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SWR2 Musikstunde

Max Reger, der Falstaff der Musik Teil 2

Von Thomas Rübenacker

Sendung: Dienstag, 11. Februar 2014 9.05 – 10.00 Uhr Redaktion: Bettina Winkler

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„Der Falstaff der Musik: Max Reger“ (2)

… mit Thomas Rübenacker. Heute: „Der Falstaff der Musik: Max Reger“, Teil 2.

MUSIK: JINGLE (ca. 20 sec)

Max Reger war die längste Zeit seines Lebens Musikerzieher. Schon am Wiesbadener Konservatorium, wo er eigentlich 1891 selbst noch als Student des Klavierspiels und der Theorie eingeschrieben ist, unterrichtet er Klavierspiel und Orgel – als noch nichtmal Zwanzigjähriger. Nach seinem „Prüfungskonzert“ erhält er auch einen Lehrauftrag für „Satzlehre“. 1903 erscheint sein einziges Lehrbuch „Beiträge zur Modulationslehre“, eine herkuleische Anstrengung des Mannes, der eigentlich lieber selber Musik schuf, als theoretisch über sie zu referieren. Es folgen München, Dozentur für Kontrapunkt, Orgel und Komposition an der Akademie der Tonkunst, danach Leipzig, wo er sowohl Universitätsmusikdirektor als auch Kompositionsdozent am Konservatorium wird. Letzteres behält er auch bei, als er in Meiningen und Jena wohnt, bis zum Lebensende: Nach einem Unterrichtstag in Leipzig stirbt er, 43-jährig, in seinem Hotelzimmer an Herzversagen; als man ihn findet, trägt er noch den Kneifer auf der Nase, hält eine aufgeschlagene Zeitung in den leblosen Händen. Und es ist natürlich mit dem Lehren wie bei allem, worin Reger sich engagiert: Als Lehrer ist er genauso umstritten wie (anfangs) als Komponist. Die einen preisen ihn, die andern schlagen innerlich drei Kreuze bei Nennung seines Namens. Am härtesten urteilte George Szell, der spätere große Dirigent in der Toscanini-Nachfolge, der das Cleveland Orchestra zum Weltensemble machte: „Bei Max Reger habe ich überhaupt nichts gelernt!“ Was wohl auch damit zu tun hatte, wie Szell berichtet, dass er damals 13 Jahre alt war. „Meist hat er schmutzige Witze gerissen“, so Szell, „und mich, weil ich mit 13 der Jüngste in der Klasse war, dann immer vor die Tür geschickt ...“ Hört man aber mal in George Szells „Variationen über ein eigenes Thema“ op. 4 hinein, dann weiß man gleich, wer Szells wahrer Meister war: nicht Max Reger, sondern .

MUSIK: SZELL, VARIATIONEN Ü. EIN EIGENES THEMA, TRACKS 1 BIS 7 (4:50) GEORGE SZELL, Variationen über ein eigenes Thema op. 4; National Philharmonic of Lithuania, Leon Botstein; AR Arabesque Recordings 6752

Das ist die Komposition eines Schülers von Max Reger: „Variationen über ein eigenes Thema“ op. 4 von George Szell, dem späteren weltberühmten Dirigenten. Aber diese Variationen haben eigentlich nichts von der Variationskunst Regers – sie sind verspielt, effektvoll, ein bisschen selbstverliebt; und auf eine sehr unterhaltsame Art völlig substanzfrei. Sie entstammen eher der neoklassischen Werkstatt eines Richard Strauss, so in Richtung des „Bürgers als Edelmann“ oder des Balletts „Schlagobers“. Hört man sie, ist man nicht verwundert, wenn man erfährt, Szell habe bei Reger „überhaupt nichts“ gelernt – und dass Szells eigentlicher Mentor Richard Strauss war, dem er in Berlin assistierte. Die Virtuosität und verführerische Taschenspielerei des Klangs könnte in ihren besten Momenten tatsächlich von Strauss sein: So ist es vermutlich gut, dass George Szell später nur noch dirigierte, zum Beispiel Richard Strauss.

MUSIK: SZELL, DER REST, TRACKS 8 BIS 12 (10:07)

… auch das Finale ist nicht gerade von Reger: Der hätte mindestens eine Doppelfuge angehängt – die aber zu dem Strauss'schen Tändeln des George Szell nicht gepasst hätte (dessen „Variationen auf ein eigenes Thema“ op. 4 hier übrigens von der Litauischen Nationalphilharmonie gespielt wurden, der Dirigent war Leon Botstein).

Die Variation erfreut nicht nur, im lateinischen Sprichwort, sie ist auch eine musikalische Urtätigkeit. Variation heißt Veränderung, und nichts lebt mehr von der Veränderung als die Musik. Das kann dann ein spielerisches Jonglieren mit Formen und Farben sein, wie eben bei George Szell oder seinem Vorbild Richard Strauss, geistreich und amüsant – oder es kann sich in das musikalische Material hineinbohren und quasi „von innen her“ die Veränderungsprozesse in Gang setzen. Dann verlieren Variationen ihren Leicht-Sinn, ihre gelegentliche Beliebigkeit, und unterwerfen sich einer Entwicklung, die beinahe so folgerichtig funktioniert wie ein Sonatenhauptsatz – die also nicht lediglich Perlen auf einer Schnur sind, sondern eine ernsthafte und mit allen kontrapunktischen Künsten herbeigeführte Entwicklung. Nur dann wäre eine Doppelfuge der krönende Abschluss. Und damit wären wir bei dem Variationskünstler Max Reger.

Er hat Bach variiert und Mozart, Telemann und Hiller, und den Variationsmeister Beethoven ebenfalls, für Klavier oder Orchester (oder für beides). Seinem frühen Hausgott Bach widmete sich variativ der 31-Jährige im Jahr 1904, nachdem er sich an diesem bereits transkribierend abgearbeitet hatte: etwa die kompletten Orchestersuiten für Klavier und die Brandenburgischen Konzerte für Klavier zu 4 Händen, die Fantasien und Toccaten für Orgel und vieles mehr. Das Thema seiner Bach-Variationen entnahm Reger der Kantate Nr. 128, „Auf Christi Himmelfahrt allein“, und zwar das wunderbare Duett von Alt und Tenor, „Seine Allmacht zu ergründen, wird sich kein Mensche finden“. Des Komponisten Spielanweisung: „durchweg süß und sehr legato“ sei zu spielen, „wie ein Oboensolo“ - ist eine Anspielung auf das Original, das tatsächlich von einer Oboe d'amore mit Continuo vorgetragen wird. Diese Bach-Variationen waren ein Quantensprung für den Komponisten Reger. Zum ersten Mal überträgt er nicht der Orgel seine kühnsten Gedanken, sondern dem Klavier, das er zuvor nur für „die kleine Form“ nutzte – und erweitert damit dessen Ausdrucksmöglichkeiten beträchtlich. Leider kann ich Ihnen nicht die ganze Komposition vorspielen, mit über einer halben Stunde Spielzeit würde sie den Rahmen dieser Sendung sprengen. Der Kanadier Marc- André Hamelin spielt uns jetzt erst den Beginn bis Variation 6, dann wird die gloriose Schlussfuge nachgereicht.

MUSIK: REGER, VAR. U. FUGE Ü. EIN THEMA v. BACH, TRACKS 1 BIS 7 (10:51) MAX REGER, Variationen und Fuge über ein Thema von Johann Sebastian Bach; Marc-André Hamelin; hyperion CDA66996

So weit der Beginn von Max Regers „Variationen und Fuge über ein Thema von Johann Sebastian Bach“ op. 81, aus dem Jahr 1904; zuletzt hörten wir Variation Nr. 6. Der Kanadier Marc-André Hamelin spielte.

„(Das Fugenthema)“, schreibt Robert Cowan, „(ist eines der schönsten und expressivsten, womit Reger je arbeitete – aber auch eines, das in manchen seiner Permutationen die Grenzen des Klaviers endgültig zu sprengen droht.) Bei Reger ist alles unmäßig, so auch sein Klaviersatz ab dem Opus 81 … Aber niemand, nicht einmal Brahms, schuf solche gloriosen 'Dächer' für seine Variationen-Gebilde … (Bei den Bach-Variationen) ist die Fuge selbst ein kolossales, dreistöckiges Bauwerk, die ersten zwei Episoden bestehen aus Vierfachfugen (Bachs originale Melodie taucht im Sopranpart der zweiten wieder auf), und der letzte Teil vereint beide zu einem phantastisch aufgetürmten Großfinale. (Das alles entspringt derselben Haltung, wie wenn Joseph Haydn unter seine vollendeten Kompositionen 'laus Deo' schrieb, zur Ehre Gottes. Bei Reger kommt allerdings noch hinzu, dass er wie ein ewiges Kind Vergnügen daran hatte, mit seinen Bauklötzchen die Häuser quasi 'in den Himmel zu bauen', beziehungsweise sich bis zur Unübertrefflichkeit zu verausgaben.)“ Hören wir noch einmal Marc-André Hamelin.

MUSIK: REGER, BACH-VARIATIONEN (FUGE), TRACK 16 (7:47) REGER, Bach-Variationen (Schlussfuge)

Max Reger, hier noch die grandiose (und kaum noch spielbare) Schlussfuge seiner „Variationen und Fuge über ein Thema von Johann Sebastian Bach“ op. 81. Marc-André Hamelin spielte – trotzdem.

Dass Max Regers große Variationszyklen auf relativ schlichten Themen fußen, ist in der Zunft gang und gäbe: Würde man schon mit einem komplexen Thema beginnen, hätte man hinterher kaum noch Steigerungsmöglichkeiten. Bezeichnend aber finde ich es, dass der Spaßbold im Leben und Ernstling in seiner Kunst sich bemüßigt fühlte, bei seinem Opus 100, den Hiller- Variationen, ausdrücklich hinzuzufügen: „Variationen und Fuge über ein lustiges Thema von “. Da muss einem nicht gerade der zugeschriebene Satz einfallen, die Musik sei nicht lustig, aber man ist erst einmal verblüfft, wenn der so witzige und geistreiche (und manchmal auch höhnisch-derbe) Anekdoten-Produzent Reger zu sagen scheint: „Vorsicht! Humor!“

Johann Adam Hiller – der übrigens weder verwandt noch verschwägert ist mit dem Hummel- Schüler und Mendelssohn-Freund Ferdinand Hiller – wurde 1728 in Ostpreußen geboren, er war als Komponist der Erfinder des Singspiels, als der erste Dirigent des Leipziger Gewandthausorchesters und als Musikschriftsteller unter anderem der Begründer der ersten deutschen Musikzeitschrift, betitelt „Der musikalische Zeitvertreib“ (später nannte er das Blatt dann, deutlich farbloser, „Wöchentliche Nachrichten, die Musik betreffend“). Max Reger, der als Historiker immer den kundigen Brahms vor Augen hatte, kannte den damals weitestgehend Unbekannten und entnahm das Thema seiner 1907 komponierten Hiller-Variationen einem von dessen Singspielen, „Der Aerndtekranz“ von 1771: ein Andante grazioso, das als Thema mit solistischer Oboe und Klarinette erst einmal im originalen Klanggewandt auftritt. Dann folgt eine Reger-typische Entwicklung durch die Jahrhunderte, bis hin zur Romantik – mündend, natürlich wieder, in einer gewaltigen Doppelfuge. Zu der werden wir heute aber leider nicht mehr kommen, die Zeit läuft ab; das anmutige Thema und so viel Variationen, wie noch gehen, spielt uns jetzt das Concertgebouworkest Amsterdam unter Leitung von Neeme Järvi.

MUSIK: REGER, HILLER-VARIATIONEN, TRACKS 5 BIS ? (BITTE AM ENDE AUSBLENDEN!) MAX REGER, Variationen und Fuge über ein Thema von Johann Adam Hiller; Chandos 8794