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BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ 2005

BERICHT20 05

BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ

Mai 2006

PUBLIKATION DES BUNDESAMTES FÜR POLIZEI, EJPD INHALT

Editorial 7

1. Überblick

1.1. Brennpunkte 2005 10

1.2. Gesamteinschätzung 11

1.3. Massnahmen 12

2. Gewalttätiger Extremismus und Terrorismus

2.1. Rechtsextremismus 20

2.2. Linksextremismus 23

2.3. Islamistischen Grupppen zugeschriebene Terrorakte 26

2.4. Naher Osten 30

2.5. Islamistische Aktivitäten in der Schweiz 31

2.6. Terrorismus in Europa 35

2.7. Ethnisch-albanische Gruppen 36

2.8. Kurdische und türkische Gruppen 37

2.9. Tamilischer Gewaltextremismus 39

2.10. Terrorismus- und Extremismusfinanzierung 40

3. Verbotener Nachrichtendienst 44 – 45

4. Proliferation 48 – 50

5. Organisierte Kriminalität

5.1. Kriminelle Gruppen aus Italien 52

5.2. Kriminelle Gruppen aus Südosteuropa 53

5.3. Kriminelle Gruppen aus der GUS 54

BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ 2005 5.4. Chinesische organisierte Kriminalität 55

5.5. Westafrikanische Netzwerkkriminalität 56

5.6. Betäubungsmittel 57

5.7. Menschenschmuggel 59

5.8. Menschenhandel 61

6. Geldwäscherei und Wirtschaftskriminalität

6.1. Geldwäscherei 64

6.2. Wirtschaftskriminalität 65

6.3. Korruption 66

6.4. Falschgeld 67

7. Weitere Aspekte der inneren Sicherheit

7.1. Allgemeine Kriminalität 70

7.2. Jugend- und Gewaltkriminalität 70

7.3. Hooliganismus 72

7.4. Luftsicherheit 73

7.5. Waffen, Sprengstoff und Pyrotechnik 74

7.6. Cyberkriminalität und Information Assurance 75

7.7. Kinderpornografie 77

7.8. Internationale Zusammenarbeit 80

Summary

Domestic Security Report 2005 84

Impressum 91

BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ 2005

EDITORIAL

Jean-Luc Vez Direktor Bundesamt für Polizei (fedpol)

Am 9. Dezember 2005 beförderte zum Nüchterne Analyse letzten Mal ein Routemaster-Bus Passagiere durch London. Die Busse werden unver- gessen bleiben. Genauso wie das Bild jenes Busses, der am 7. Juli 2005 in London durch ein Selbstmordattentat zerstört wurde. So markant solche Bilder und Erinnerungen auch sein mögen, ihre Bedeutung erschliesst sich nicht von selbst. Nüchterne Analyse tut Not. Und in Bezug auf die Be- drohung durch islamistischen Terrorismus muss man heute, nach den An- schlägen von London – bei nüchterner Betrachtung – festhalten: Der dschi- hadistische Kampf wird von einzelnen, wenigen Individuen auch in Euro- pa vorangetrieben. Betrachten wir die Schweiz als Teil eines europäischen Operationsfeldes islamistischer Terroristen, müssen wir uns eingestehen, dass Anschläge auch hierzulande im Bereich des Möglichen liegen. Konkre- te Vorbereitungshandlungen für solche Taten konnten bis heute zwar nicht endgültig nachgewiesen werden. Dies kann sich aber rasch und jederzeit ändern.

Der vorliegende Bericht blickt zurück auf das Jahr 2005, beschreibt die Lage, beurteilt das Geschehen und zeigt mögliche Entwicklungen auf, sei es beim Terrorismus, beim gewalttätigen Extremismus, beim verbotenen Nachrichtendienst oder etwa beim Menschenhandel. Das Bild der Realität, das er zeichnet, bildet den Hintergrund, vor dem in nächster Zeit über gesetzgeberische Projekte diskutiert wird: Die laufenden Revisionen des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit etwa, die Revision des Waffenrechts sowie die Vorhaben zur Bekämpfung der Netzwerkkriminalität und des Menschenhandels. Wenn dieser Bericht zur notwendigen Sachlichkeit in diesen Diskussionen beiträgt, so hat er ein wichtiges Ziel erreicht.

Ich danke all jenen, die zu seiner Entstehung beigetragen haben und allen, die sich beim Bund und bei den Kantonen für die innere Sicherheit der Schweiz einsetzen.

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BERICHT 2005

1. Überblick

1.1. Brennpunkte 2005 10

1.2. Gesamteinschätzung 11

1.3. Massnahmen 12 BERICHT 2005 1.ÜBERBLICK

1.1. Brennpunkte 2005

Islamistische Anschläge in London rer Polizeikräfte und gefährdeten teils punktuell, teils lokal die öffentliche Ruhe und Ordnung der Am 7. Juli sprengten sich in London in öffent- Schweiz. Sie stellten aber kei- lichen Verkehrsmitteln vier Attentäter in die ne Bedrohung der inneren Si- Lokale Gefährdung der Luft, rissen 48 Passagiere in den Tod und verletz- cherheit der Schweiz in ihrer Sicherheit erforderte den Ein- ten über fünfhundert weitere Personen. Nach Gesamtheit dar. Rechtsex- Madrid bestätigte sich damit die neue Dimension satz stärkerer Polizeikräfte. trem motivierte Angriffe ge- der Bedrohung Europas durch den islamistischen gen Einrichtungen des Asylwesens und gegen Terrorismus. Vielerorts entstehen kleine Zellen Ausländer stiegen 2005 leicht an, diese Bedro- gewaltbereiter Islamisten respektive Dschiha- hung blieb demnach bestehen. disten, die aufgrund ihrer beschränkten Kapa- zitäten nur Anschlagsziele in ihrer Umgebung wählen können. Linksextreme Gewalt Bis zu den Sprengstoffanschlägen in Madrid Die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung im Jahr 2004 galt Europa den meisten gewalt- sank in der linksextremen Szene weiter. Die Be- bereiten Islamisten eher als Rückzugsgebiet und reitschaft, Körperverletzungen zumindest in als Raum zur logistischen Kauf zu nehmen, stieg besonders gegenüber Europa als neue Arena des Vorbereitung von Anschlä- Sicherheitskräften. islamistischen Terrorismus. gen, nicht jedoch als Raum für Die Linksextremen haben mit ihrer selbst terroristische Operationen. verursachten Isolation innerhalb der Globalisie- Vor allem seit den Londoner Anschlägen ist auch rungsbewegung und durch das konsequente Europa zur Arena des islamistischen Terrorismus Durchgreifen der Polizei besonders bei nicht geworden. bewilligten Anlässen ihre wichtigste Plattform verloren. Die Reaktion darauf bestand in einer Islamistische Aktivitäten Erweiterung und Neuakzentuierung der Anlie- gen sowie in taktischen Veränderungen. Die in der Schweiz linksextreme Szene hat eine Doppelstrategie Die Schweiz war 2005 wiederum kein Ziel entwickelt: Einerseits wurde die Globalisierungs- des islamistischen Terrorismus. Es ist jedoch da- kritik vor allem gegen das von auszugehen, dass sich auch in der Schweiz World Economic Forum neu Schwerpunktsetzung dschihadistische Terroristen aufhalten könnten. nicht nur anlassbezogen, son- auf den «Kampf gegen In Anbetracht der jüngsten dern das ganze Jahr über the- Schweiz als Teil des euro- Entwicklung der dschihadisti- matisiert. Andererseits wur- den Faschismus» und gegen päischen Operationsfelds. schen Ideologie liegen ter- den alte und neue Themen die vermeintliche Polizei- roristische Anschläge in der vermehrt in den Vordergrund repression. Schweiz als Teil des europäischen Operations- gerückt. Dazu gehört etwa die felds zunehmend im Bereich des Möglichen. erneute Schwerpunktsetzung auf den «Kampf gegen den Faschismus», aber auch gegen die vermeintliche Polizeirepression. Rechtsextremismus Die linksextreme Gewalt gefährdete punk- Im Jahr 2005 kam es zu 111 Vorfällen mit tuell oder lokal die öffentliche Ruhe und Ord- rechtsextremem Hintergrund. Beachtlich zuge- nung, stellte aber keine Bedrohung der inneren nommen hat in den letzten Jahren vor allem die Sicherheit der Schweiz dar. Anzahl Konzerte in der rechtsextremen Szene. Teile der extremen Rechten verzichteten auf Gewalt. Die von rechtsextremen Exponenten Proliferation verursachten Schäden, vor allem gegen Personen, Der Dienst für Analyse und Prävention sind aber hoch.Auftritte von Rechtsextremen wie (DAP) im Bundesamt für Polizei (fedpol) klärte zum Beispiel am 1. August auf dem Rütli oder bei 2004 präventiv Schweizer Verwicklungen ins Auseinandersetzungen mit gegnerischen Grup- Netzwerk des «Vaters» der pakistanischen Atom- pen erforderten zunehmend den Einsatz stärke- bombe, Dr. Abdul Qadeer Khan, ab, besonders

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hinsichtlich Exporten zugunsten des libyschen diesem Umfeld gelegentlich an Gewaltausschrei- Nuklearprogramms. Im Oktober 2004 eröffnete tungen und Sachbeschädigungen. die Bundesanwaltschaft ein Der harte Kern der Hooligans ist gut organi- Fortgang der Ermittlungen Ermittlungsverfahren wegen siert und suchte hauptsächlich die Auseinander- zum Netzwerk Verdachts der Widerhandlun- setzung mit Gleichgesinnten. Eine bedeutendere Abdul Qadeer Khans. gen gegen das Güterkontroll- Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit ging gesetz (GKG) und das Kriegs- 2005 von unorganisierten Gruppen zumeist materialgesetz (KMG).Die Untersuchung dauert junger Personen aus, die gewalttätige Auseinan- seit 2004 an und führte zur Verhaftung dreier dersetzungen mit gegnerischen Fans, aber auch Mitglieder einer Familie. mit Unbeteiligten und der Polizei suchten. Nach Im Oktober 2005 deponierte das Staatssekre- den Beobachtungen der Polizei nahm die Inten- tariat für Wirtschaft (seco) eine weitere Anzeige sität der Gewalt zu, gleichzeitig sank das Alter wegen Verdachts auf Widerhandlungen gegen das der Täter. GKG und KMG bei der Bundesanwaltschaft. Es geht dabei um ein Schweizer Unternehmen, das mehrfach Güter an proliferationsrelevante Geldwäscherei Empfänger in einem mittelöstlichen Land expor- Die repressive Geldwäschereibekämpfung in tiert oder zu exportieren versucht hatte. der Schweiz fand 2005 weiterhin unter besonde- ren Vorzeichen statt.Gerade in komplexen Fällen wurde die Vortat oft im Aus- Organisierte Kriminalität land begangen, und es wurde Besondere Vorzeichen der Kriminelle Gruppen aus Südosteuropa, beson- nur versucht, die Gewinne aus repressiven Geldwäscherei- ders aus Mazedonien, Albanien und dem Kosovo, dem Verbrechen hier zu plat- bekämpfung in der Schweiz. spielten in der Kriminalitätsentwicklung der zieren. Die Schweiz war daher Schweiz unverändert eine bedeutende Rolle. Der in der Beweisführung in einem eigenen Strafver- sich seit etwa zwei bis drei Jahren abzeichnende fahren auf die Zusammenarbeit mit dem Staat an- Trend, dass die Bedeutung serbischer Gruppen gewiesen, in dem die Vortat begangen wurde. zunimmt, hielt unvermindert an. Kriminelle Orga- Konnten nicht genügend Mittel zum Beweis der nisationen aus der Gemeinschaft Unabhängiger Vortat erhoben werden, scheiterte das Verfahren Staaten blieben eine ernste Bedrohung für die in der Schweiz.Zudem wurden viele Fälle auf dem Wirtschaft, die rechtsstaatlichen Institutionen so- Rechtshilfeweg erledigt oder aus prozesstechni- wie für den Finanzplatz der Schweiz. schen Gründen an das Land delegiert, in dem die Vortat begangen worden war. Die Strafurteilssta- tistik zeichnet daher nur ein sehr begrenztes Bild Hooliganismus der repressiven Geldwäschereibekämpfung. Die Die Gruppe von Personen, die gezielt Gewalt Schweizer Strafverfolgungsbehörden lieferten oft bei Sportveranstaltungen suchten, umfasste 2005 wichtige Beiträge für die internationale Bekämp- in der Schweiz rund vierhundert Personen.Weite- fung der Geldwäscherei. re rund sechshundert Personen beteiligten sich in

1.2. Gesamteinschätzung Innere Sicherheit der Schweiz im März des Vorjahres wenig geändert. Dieses generell Gefühl ist nicht einfach wirklichkeitsfremd, leb- Im Frühjahr 2005 belegte die jährlich erschei- ten die Schweizerinnen und nende Studie der Eidgenössischen Technischen Schweizer doch auch 2005 in Schweiz ein relativ wenig Hochschule in Zürich das unverändert gute Si- einem verhältnismässig wenig bedrohtes Umfeld. cherheitsgefühl der Schweizerinnen und Schwei- bedrohten Umfeld. Trotzdem zer. An diesem hatten die Anschläge von Madrid muss festgehalten werden, dass die negativen

BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ 11 BERICHT 2005 1.ÜBERBLICK

Trends nicht gebrochen werden konnten. Weiter- stehen,um solchen Bedrohungen zu begegnen.Es hin nimmt Jugendgewalt zu, und der Trend zur gilt einen gangbaren Weg zu finden: Einerseits Gewalt ist auch in den Bereichen Rechts- und sollen dem Staat genügend und effiziente Mittel Linksextremismus, Hooliganismus oder im Men- zur Verfügung stehen, um die Sicherheit seiner schenhandel feststellbar. Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten.Ande- rerseits dürfen dabei die eigenen Errungenschaf- ten, Prinzipien und Ideale nicht verraten werden, Islamistischer Terrorismus will man nicht dem Gegner in die Hände arbeiten. Der Trend zu kleineren, selbstständig agie- renden Zellen islamistischer Terroristen bestä- tigte sich 2005. Eine solche war für die aus terro- Organisierte Kriminalität in Europa ristischer Sicht gelungenen Anschläge in London Weiterhin stellt sich den nationalen Sicher- verantwortlich.In der Schweiz heitsbehörden die Aufgabe, Bedrohungen der Weitgehende Entscheidungs- wurden bisher zwar keine kon- inneren Sicherheit durch die organisierte Krimi- und Handlungsauto- kreten Vorbereitungshand- nalität die nötige Aufmerksamkeit zu schenken nomie der islamistischen lungen zu terroristischen Ta- und Massnahmen auch hierauf auszurichten. Zu- Terroristen. ten endgültig nachgewiesen. nehmend konnte festgestellt Es gibt aber Vermutungen, werden,dass es Verbindungen Nationale und internatio- dass es in der Schweiz Islamisten gibt, welche die terroristischer Gruppierun- nale Zusammenarbeit der Durchführung solcher Taten anstreben. Die Be- gen zu anderen Kriminalitäts- drohungslage kann rasch und jederzeit ändern. feldern, teils zur Kleinkrimi- Schlüssel zum Erfolg bei Der hier beschriebene Trend und das Beispiel nalität, teils aber auch zur or- Bekämpfung organisierter der Attentate von London zeigen, dass terroristi- ganisierten Kriminalität, gibt. Kriminalität. sche Attentäter heute schwerer denn je im Vor- Angesichts des transnationa- feld einer Tat ermittelbar sind. Nicht erstaunlich len Charakters dieser Kriminalitätsformen bleibt ist deshalb, dass sich 2005 die weltweite Debatte die nationale und internationale Zusammenar- darüber verschärfte, welche Mittel liberalen beit der Schlüssel zum Erfolg bei der Bekämpfung Demokratien und Rechtsstaaten zur Verfügung organisierter Kriminalität.

1.3. Massnahmen

Verbot der Al Qaïda So wurde zum Beispiel ein ägyptischer Prediger, der im September 2005 an der Jahreskonferenz Ende November 2005 verlängerte der Bun- des Muslimdachverbands Liga der Muslime der desrat das Verbot der Terrororganisation Al Schweiz hatte teilnehmen wollen, mit einer Ein- Qaïda und verwandter Organisationen.Verboten reisesperre belegt. sind nicht nur sämtliche Aktivitäten der Orga- Die Verweigerung von Arbeitsbewilligungen nisation selber, sondern auch alle Aktionen, die an aus dem Ausland stammende Imame, die in deren Unterstützung dienen. Der Bundesrats- Schweizer Zentren ihr Amt ausüben wollen, dient beschluss verlängerte das Verbot um weitere der Unterbindung extremisti- drei Jahre bis zum 31. Dezember 2008. scher islamischer Propaganda. Einreisesperren und Neu kann nicht allein der Hin- Verweigerung von Präventive Massnahmen tergrund des kandidierenden Arbeitsbewilligungen. Vorbeters Grund hierfür sein, gegen extremistische Prediger sondern auch eine allgemein extremistische Hal- fedpol verhängt systematisch Einreisesperren tung des Zentrums. Im November 2005 bestätigte gegen islamistische Extremisten. Darunter fallen das Bundesgericht einen Entscheid des Kantons im Ausland verurteilte Aktivisten, mutmassliche Genf: Dieser hatte dem Islamischen Zentrum Angehörige terroristischer Gruppierungen und wegen der verfassungswidrigen Äusserungen sei- bekannt gewordene so genannte Hassprediger. nes Leiters die Anstellung eines Imams aus der

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Türkei verweigert. Die Sicherheitsbehörden wer- nationalen Datenbank registriert werden kön- den für solche Arbeitsbewilligungen konsultiert. nen. Im Rahmen der Gesetzesrevision BWIS I ist Veränderte Voraussetzungen weiter eine Bestimmung zur Beschlagnahme von Propagandamaterial vorgesehen, mit dem zu im Antiterrorkampf Gewalt aufgerufen wird. Solches Propagandama- Die gegenwärtig feststellbare ideologische terial soll ungeachtet der Menge präventiv auf Tendenz islamistischer Terroristen, den gewalt- verwaltungsrechtlichem Weg sichergestellt wer- tätigen Dschihad auf lokaler Ebene möglichst den können. individuell zu führen, macht islamistische Terror- anschläge prinzipiell überall möglich, auch in der Massnahmen hinsichtlich Schweiz. Je individueller Dschihadisten zudem handeln, desto schwieriger wird ihre Identifika- UEFA EURO 2008 tion vor einer Tat. Dies bedingt einen entspre- Im Juni 2008 wird in Österreich und der chenden Ausbau der gegen solche Machenschaf- Schweiz die Fussballeuropameisterschaft UEFA ten gerichteten nachrichtendienstlichen Mittel, EURO 2008 durchgeführt. Im März 2004 wurde wie er in den meisten europäischen Ländern in eine schweizerisch-österreichische Sicherheits- den letzten Jahren vorangetrieben wurde. arbeitsgruppe gegründet. Identische Projekt- Wenn die Schweiz diese Entwicklungen nicht organisationen in beiden Staaten arbeiten die verfolgt, verliert sie nicht nur die Glaubwürdig- nationalen Sicherheitskonzepte aus. Als Basis für keit gegenüber ihren Partnern im internationalen diese Sicherheitskonzepte erstellten die Schweiz Kampf gegen Terrorismus, sondern riskiert auch, und Österreich ein Rahmenkonzept, das ein- vom Ruheraum zum bevorzugten Agitations- heitliche Sicherheitsstandards in allen Bereichen raum des islamistischen Extremismus und Terro- gewährleisten soll. Dieses wurde Ende Septem- rismus zu werden. Die eingeleitete Revision des ber 2005 auf Ministerebene verabschiedet. Bundesgesetzes über Massnah- Das nationale Sicherheitskonzept wird von BWIS II men zur Wahrung der inneren Bund, Kantonen und Städten Sicherheit (BWIS II) trägt gemeinsam erarbeitet und un- Bund, Kantone und Städte diesen veränderten Rahmenbedingungen Rech- ter Wahrung der originären tragen Projekt Sicherheit nung. Der Bundesrat wird seine Botschaft zu- Zuständigkeiten umgesetzt UEFA EURO 2008 handen des Parlaments noch im Jahr 2006 verab- werden. Grundsätzlich liegt gemeinsam. schieden. die Verantwortung für die Durchführung der Sicherheitsmassnahmen bei Massnahmen gegen Gewalt den Kantonen und den Austragungsorten.Für die bei Sportveranstaltungen und Sicherheit in den Stadien ist der Ausrichter ver- antwortlich.Der Bund nimmt zusätzlich zu seinen Gewaltpropaganda eigenen Zuständigkeiten im Bereich der inneren Zurzeit deutet nichts auf ein Abflauen der Sicherheit eine Koordinationsfunktion wahr. Gewalt bei Sportanlässen, hauptsächlich Fuss- Die Eidgenössischen Räte werden im Laufe ball- und Eishockeyspielen, hin. Die Polizei be- des Jahres 2006 die Änderung des Bundesbe- obachtet im Gegenteil eine Zunahme des Phä- schlusses über Beiträge und Leistungen des nomens. Abhilfe schaffen sollte die im Frühjahr Bundes an die UEFA EURO 2008 behandeln. 2006 von den Eidgenössischen Räten verabschie- Mit dieser Vorlage wird unter anderem die part- dete Revision des Bundesgesetzes über Mass- nerschaftliche Finanzierung der Sicherheitsmass- nahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit der nahmen durch Bund, Kantone und Austragungs- Schweiz (BWIS I). Mit der orte geregelt. BWIS I Revision sollen den kantona- len Sicherheitsbehörden zu- sätzliche Mittel wie Rayonverbote, Ausreisebe- Rechtsextremismus in der Armee schränkungen, Meldeauflagen und präventiver Im August 2005 wurde die Fachstelle Extre- Gewahrsam zur Verfügung gestellt werden, um mismus in der Armee aus dem Departement für Gewaltausschreitungen an Sportveranstaltungen Bevölkerungsschutz, Verteidigung und Sport zu verhindern.Polizeilich bekannte Hooligans bei (VBS) herausgelöst und der Fachstelle für Rassis- Sportanlässen sollen in einer neu zu schaffenden musbekämpfung angegliedert. Diese Anlauf- und

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Koordinationsstelle untersucht in der Armee portieren könnten. Bis Ende 2005 wurden 150 Vorfälle mit extremistischem Hintergrund und ist Unternehmen in der gesamten Schweiz besucht. auch in den Bereichen Prävention, Kommunika- tion und Sensibilisierung aktiv. Organisierte Kriminalität Bundesgesetz über die polizeilichen Der Bundesrat verabschiedete im Oktober Informationssysteme des Bundes 2005 die Botschaft zur Ratifikation des UNO- Übereinkommens gegen grenzüberschreitende Im Bundesgesetz über die polizeilichen Infor- organisierte Kriminalität und der beiden Zu- mationssysteme des Bundes (BPI) sollen die satzprotokolle gegen Menschenhandel und Men- gesetzlichen Grundlagen für die polizeilichen schenschmuggel. Diese verkörpern eine wichtige Datenbanken des Bundes zusammengefasst wer- Weiterentwicklung des internationalen Straf- den. Ein Polizei-Index soll rechts und bilden einen Meilenstein in der in- Gesetzliche Grundlagen als eine Art elektronisches ternationalen Zusammenarbeit gegen grenzüber- für die polizeilichen Inhaltsverzeichnis den be- schreitende organisierte Kriminalität. Die Schaf- Datenbanken des Bundes. rechtigten Stellen erlauben, fung eines Mindeststandards von Vorschriften mit einer automatisierten Ab- und Massnahmen bildet eine wesentliche Voraus- frage zu klären, ob und von welcher polizeilichen setzung, um die internationale Zusammenarbeit Behörde beim Bund oder bei den Kantonen über zu verstärken. Die Vertragsstaaten des Überein- eine bestimmte Person Daten bearbeitet werden. kommens verpflichten sich, die Beteiligung an Heute muss dazu jede Behörde einzeln angefragt einer kriminellen Organisation sowie die Geld- werden. In der Vernehmlassung fielen die Reak- wäscherei für strafbar zu erklären. Sie müssen tionen auf den ersten Entwurf des BPI mehrheit- zudem prüfen, ob die aktive und passive Korrup- lich positiv aus. Besonders die Idee eines Polizei- tion von ausländischen Amtsträgern bestraft Indexes wurde unterstützt. werden soll. Weiter sollen juristische Personen strafrechtlich, zivilrechtlich oder administrativ belangt werden können. Schliesslich ist die Ein- Nonproliferation ziehung von deliktisch erlangten Vermögenswer- Die Schweiz hat sämtliche internationalen ten sicherzustellen. Verträge im Bereich der Massenvernichtungs- waffen ratifiziert und ist Mitglied aller vier Ex- portkontrollregime, deren Ziel insbesondere die Korruptionsbekämpfung Kontrolle zivil und militärisch verwendbarer Das schweizerische Instrumentarium zur Kor- Güter ist: der Gruppe der Nuklearlieferländer, ruptionsbekämpfung ist im internationalen Ver- der Australiengruppe (zum Bereich chemischer gleich überdurchschnittlich und orientiert sich an und biologischer Waffen), des Raketenkontroll- entsprechenden internationalen Übereinkom- regimes und der Wassenaar-Vereinbarung im men und Standards; in diesem Sinn wird zurzeit Bereich konventioneller Waffen. 2005 lehnte das ein Ausbau der Regelungen seco 15 Ausfuhren ab, das Dreifache des Vorjah- vorgenommen. Ein weiterer Weitere Schritte zur res. Davon entfielen zwei Drittel auf so genannte Schritt zur Stärkung der Prä- Stärkung der Prävention Catch-all-Fälle, das heisst auf nicht bewilligungs- vention und Repression ist mit und Repression bei der pflichtige Güter, die dem seco gemeldet wurden, der Umsetzung des Europa- Korruptionsbekämpfung. weil sie für einen heiklen Endempfänger be- ratsübereinkommens über die stimmt waren. strafrechtliche Bekämpfung der Korruption ge- Im Herbst 2004 begann fedpol (DAP) im Rah- setzgeberisch bereits abgeschlossen. Auf den men eines Präventions- und Sensibilisierungspro- 1. Juli 2006 wird neben der aktiven auch die pas- gramms namens Prophylax, Schweizer Unterneh- sive Privatbestechung (Artikel 4a Bundesgesetz men zu besuchen. Prophylax gegen den unlauteren Wettbewerb) sowie die pas- Erfolg des Präventions- erlaubt es, systematisch auf sive Bestechung von ausländischen und interna- und Sensibilisierungs- Unternehmen zuzugehen, die tionalen Amtsträgern (Artikel 322septies zweites programms Prophylax. in heiklen Bereichen wie etwa und drittes Lemma Strafgesetzbuch / StGB) für der Herstellung von Werk- strafbar erklärt. Schliesslich wird die Unterneh- zeugmaschinen, Messgeräten oder chemischen mungshaftung auf die aktive Privatbestechung Produkten tätig sind und diese in Risikoländer ex- ausgedehnt (Artikel 100quater Absatz 2 StGB).

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Neue Gesetzesartikel allein vermögen Kor- Elektronische ruptionshandlungen jedoch nicht einzudämmen. Kommunikationsnetze Zum erfolgreichen Kampf gegen Korruption braucht es mit der Materie vertraute Polizei- und Das Vernehmlassungsverfahren zum Bericht Justizbehörden, die nötigen Personalressourcen, und zu den Vorentwürfen zur Änderung des um die oftmals aufwändigen und langwierigen Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Mili- Ermittlungsverfahren erfolgreich abschliessen zu tärstrafgesetzes betreffend die strafrechtliche können, sowie den Schutz von Mitarbeitern und Verantwortlichkeit der Provider (Vorentwurf A) anderen Personen, die korrupte Verhaltenswei- und die Kompetenzen des Bundes bei der Ver- sen intern oder extern melden. folgung strafbarer Handlungen mittels elektro- nischer Kommunikationsnetze (Vorentwurf B) wurde 2005 abgeschlossen. Das Eidgenössische Menschenhandel Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) beabsich- Die Schweiz unternahm 2005 wichtige Schrit- tigt,dem Bundesrat 2006 die Vernehmlassungser- te im Kampf gegen den Menschenhandel und gebnisse zur Kenntnis zu bringen sowie in Bezug erzielte einige Erfolge auf kantonaler und natio- auf Vorentwurf B einen Botschaftsentwurf zu naler Ebene. Der Bundesrat verabschiedete am einem neuen Artikel 344 StGB zu unterbreiten. 11. März 2005 die Botschaft zur Ratifizierung des Bei dieser Vorlage geht es darum, dass bei straf- Fakultativprotokolls zur Kinderrechtskonven- baren Handlungen mittels elektronischer Kom- tion betreffend Verkauf von Kindern, die Kinder- munikationsnetze, bei denen noch nicht bezeich- prostitution und die Kinderpornografie; das net werden kann, welcher Kanton für die Straf- Geschäft ist in parlamentarischer Beratung. In verfolgung zuständig ist, die Bundesanwaltschaft diesem Rahmen wird auch Artikel 196 StGB und die Bundeskriminalpolizei (BKP) erste drin- (Menschenhandel) revidiert. Neben dem Men- gend notwendige Ermittlungen durchführen kön- schenhandel zum Zwecke der sexuellen Aus- nen. Bezüglich Vorentwurf A wird der Bundesrat beutung sollen die Tatbestände des Handels über das weitere Vorgehen entscheiden. zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft sowie der Entnahme von Körperorganen unter Strafe gestellt werden. Neu soll zudem auch ein Waffengesetz Einmaltäter wegen Menschenhandels bestraft Mit der Assoziierung der Schweiz zum Schen- werden können. Das neue Ausländergesetz soll gener Abkommen wird das Waffengesetz um im Rahmen der Ausnahmebestimmungen die einige wesentliche Punkte ergänzt. Der unbe- Möglichkeit bieten, Aufenthaltsbewilligungen rechtigte Besitz von Schuss- für Menschenhandelsopfer zu gewähren. waffen wird unter Strafe ge- Das Waffengesetz wird stellt. Im Handel unter Priva- um einige wesentliche ten verlangt das Gesetz nun Punkte ergänzt. Neues Ausländergesetz wie im kommerziellen Handel Mit der geplanten Qualifikation des Men- einen Erwerbschein. Importierte oder in der schenschmuggels als Verbrechen in Artikel 116 Schweiz hergestellte Schusswaffen müssen zur des neuen Ausländergesetzes (AuG) sowie mit einfacheren Rückverfolgbarkeit markiert sein. der gleichzeitig vorgesehenen Aufnahme des Tat- Schliesslich wird die Bewilligungspraxis schweiz- bestandes in den Deliktkatalog des Bundesgeset- weit vereinheitlicht. zes betreffend die Überwachung des Post- und Neben diesen bereits beschlossenen Ände- Fernmeldeverkehrs und des Bundesgesetzes über rungen schlägt der Bundesrat weitere Neuerun- die verdeckte Ermittlung wird die Ermittlungs- gen vor.So sollen Imitations-,Druckluft-,Schreck- und Strafverfolgungskompetenz der Behörden schuss- und so genannte Soft-Air-Waffen den nor- künftig erweitert. Der Erhöhung des Strafmasses malen Waffen gleichgestellt werden und somit für gewerbsmässige Schlepperei wird eine prä- den Bestimmungen des Gesetzes unterstehen. ventive Wirkung zugesprochen. Die vorgesehene Dies gilt jedoch nur, sofern sie ein Gefährdungs- Aufnahme neuer Straftatbestände wie illegaler potenzial haben, also etwa mit echten Waffen ver- Transit, Transitschlepperei, Scheinehe oder Täu- wechselt werden können oder eine gewisse Mün- schung der Behörden wird es ermöglichen, auch dungsenergie haben. Verboten werden soll auch die schwerer zu erfassenden Schleusungsmodi der anonyme Verkauf von Waffen, etwa über das besser zu bekämpfen. Internet oder über Inserate.Ausserdem wird vor-

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geschlagen, das missbräuchliche Tragen von ge- einer Reihe von Verträgen die polizeiliche fährlichen Gegenständen zu verbieten. Damit Kooperation verbessert. Im Januar 2005 verab- soll den staatlichen Sicherheitsorganen die schiedete er die Botschaft zum Abkommen mit Möglichkeit gegeben werden, in der Öffentlich- Europol, das Parlament ratifizierte das Abkom- keit getragene Baseballschläger, Metallrohre,Ve- men, und am 1. März 2006 trat es in Kraft. Im loketten und andere Gegenstände einzuziehen, Bereich der bilateralen Polizeikooperations- bevor damit Personen gefährdet oder Straftaten abkommen wurden nach Genehmigung durch begangen werden können.Dies gilt allerdings nur, den Bundesrat Abkommen mit Lettland, Tsche- wenn die Gegenstände offensichtlich als Waffen chien, Rumänien, Slowenien, Mazedonien und missbraucht werden sollen. Der Entwurf sieht zu- Albanien unterzeichnet. Diese Abkommen bil- dem eine gesetzliche Grundlage für den Aus- den die rechtliche Basis, um die bestehende, im tausch von Daten zwischen fedpol und der Armee Rahmen von Interpol durchgeführte Zusammen- vor, und fedpol soll neu auch damit beauftragt arbeit zu konsolidieren und punktuell weiter zu werden, eine nationale Stelle zur Auswertung von verbessern, und zwar in den Bereichen polizei- Schusswaffenspuren zu führen. Die aktuelle Re- licher Informationsaustausch, Koordinierung vision enthält keine Neuerungen, welche die operativer Massnahmen, Bildung gemeinsamer Ausübung der Jagd oder des Schiesssports ein- Arbeitsgruppen sowie Aus- und Weiterbildung schränken. unter Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Bestimmungen. Kooperation Zudem verabschiedete der Bundesrat im April 2005 die Botschaft zu einem Vertrag mit der Nachrichtendienste Liechtenstein über die Zusammenarbeit im Rah- Der Bundesrat umschrieb in der Legislatur- men der schweizerischen Informationssysteme planung für die Jahre 2003 bis 2007 sein neun- für Fingerabdrücke und DNS-Profile. tes Ziel «Die Sicherheit gewährleisten» damit, dass die sicherheitspolitischen Instrumente der Kontrolle gestohlener und Schweiz umfassend und flexibel zusammenwir- ken müssen. Dieses Netzwerk innere Sicherheit verlorener Pässe konnte 2005 dank einer Vielzahl von Massnah- Weltweit werden immer wieder gestohlene men in den Bereichen Polizei und Justiz weiter und verlorene Pässe und andere Ausweise dazu verstärkt werden. verwendet, illegale Handlungen zu begehen oder Der Bundesrat beschloss namentlich am der Strafverfolgung zu entgehen. Eine Interpol- 22. Juni 2005, dass der Strategische Nachrichten- Datenbank soll hier einen Riegel schieben. Als dienst (SND) im VBS und der DAP bei fedpol eines der ersten Länder nahm die Schweiz im im EJPD bei der Bearbeitung der Themenbe- Dezember 2005 einen automatisierten Abgleich reiche Terrorismus, organi- von Ausweisnummern zwischen der nationalen Plattformen des DAP sierte Kriminalität und Proli- Datenbank und jener von Interpol in Betrieb. Die und des SND. feration enger kooperieren. Vernetzung ermöglicht einen sofortigen Ver- Zu diesem Zweck wurden auf gleich der Ausweisnummern. Das unter der Anfang 2006 in diesen Bereichen drei gemeinsa- Federführung von fedpol entwickelte System me Auswertungs- und Analyseplattformen ge- kann von den zuständigen Schweizer Stellen schaffen. Gleichzeitig beschloss der Bundesrat, genutzt werden und erschwert erheblich die miss- das Projekt zur Schaffung des Stabs Sicherheits- bräuchliche Verwendung von Reisedokumenten. ausschuss des Bundesrates umzusetzen, der die sicherheitspolitische Führung des Bundes ver- Biometrische Daten stärkt. Der Stab hat am 1. Oktober 2005 seine Arbeit aufgenommen. im Schweizer Pass Aufgrund der internationalen Gegebenheiten ist die Einführung von biometrischen Daten im Internationale Zusammenarbeit Pass, vorerst im Rahmen eines Pilotprojekts, eine Das Schweizer Volk hat in der Volksabstim- Notwendigkeit, um die Reisefreiheit von Schwei- mung vom 5. Juni 2005 die Assoziierungsabkom- zer Bürgerinnen und Bürgern zu gewährleisten men Schengen und Dublin gutgeheissen. Auf und den hohen Sicherheitsstandard des Schwei- internationaler Ebene hat der Bundesrat mit zer Passes im internationalen Vergleich sicher-

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zustellen. Die biometrischen Daten sind nament- schaffen, um im Rahmen eines Pilotprojekts lich ein elektronisch gespeichertes Gesichtsbild ein elektronisch gespeichertes Gesichtsbild im und elektronisch gespeicherte Fingerabdrücke. Schweizer Pass einzuführen. Diese Revision be- Derzeit läuft die Revision der Verordnung über trifft allein die Projektphase, die gemäss dem Be- die Ausweise für Schweizer Staatsangehörige schluss des Bundesrates vom 15. September 2004 (VAwG). Diese Revision soll die Grundlagen auf maximal fünf Jahre befristet sein wird. ■

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2. Gewalttätiger Extremismus und Terrorismus

2.1. Rechtsextremismus 20

2.2. Linksextremismus 23

2.3. Islamistischen Gruppen zugeschriebene Terrorakte 26

2.4. Naher Osten 30

2.5. Islamistische Aktivitäten in der Schweiz 31

2.6. Terrorismus in Europa 35

2.7. Ethnisch-albanische Gruppen 36

2.8. Kurdische und türkische Gruppen 37

2.9. Tamilischer Gewaltextremismus 39

2.10. Terrorismus- und Extremismusfinanzierung 40 BERICHT 2005 2. GEWALTTÄTIGER EXTREMISMUS UND TERRORISMUS

2.1. Rechtsextremismus

LAGE ses gegen die Rassismusstrafnorm zu Geldbussen von 300 bis 500 Franken verurteilt. Das Bezirks- Lage allgemein amt Aarau hielt in seinem Urteil fest, das Par- Im Jahr 2005 kam es zu 111 Vorfällen mit teiprogramm der PNOS sowie eines ihrer Wahl- rechtsextremem Hintergrund. Beachtlich zuge- plakate aus dem Jahr 2003 seien rassistisch. Drei nommen hat in den letzten Jahren vor allem die der vier erstinstanzlich Verurteilten legten gegen Anzahl Konzerte in der rechtsextremen Szene: das Urteil Rekurs ein. 2003 fanden fünf, im Jahr darauf zwölf und im Berichtsjahr acht Konzerte statt. Festgestellt Nationale werden konnte, dass die Zahl der Mitglieder der rechtsextremen Szene um rund 200 auf 1’200 ausserparlamentarische Opposition Personen zugenommen hat. Zu diesem harten Nachdem es zwei Jahre ruhig um die Nationa- Kern stiessen hauptsächlich frühere Mitläufer und le ausserparlamentarische Opposition (NAPO) Sympathisanten, deren Zahl im Gegenzug von 700 gewesen war, trat sie 2005 wieder in Erscheinung. auf 600 abnahm. Gesamthaft waren 2005 also der Am 12. März veranstaltete sie in Schaffhausen rechtsextremen Szene und ihrem weiteren Umfeld einen Fackelmarsch.Am 30.April,dem Vorabend in der Schweiz rund 1’800 Personen zuzurechnen. des Tages der Arbeit, fand erneut ein Aufmarsch Insgesamt bestätigte sich die Entwicklung der der NAPO statt, an dem ihr ideologischer Kopf letzten Jahre im rechtsextremen Bereich: Rechts- eine Rede hielt, die auch von einzelnen Medien extreme suchten den Einstieg in die institutionel- aufgenommen wurde. le Politik, übten aber immer Die in Zellen organisierten Mitglieder der Einstieg in die institutionelle noch Gewalt aus. Nach wie NAPO stammen fast ausschliesslich aus der Politik, fortdauernde vor gefährdeten auch die Aus- rechtsextremen Skinheadszene. Sie organisierten Gewaltausübung. einandersetzungen zwischen hauptsächlich Aufmärsche, Treffen und Flug- Rechts- und Linksextremen blattaktionen. Der interne Kampf zwischen ver- die öffentliche Sicherheit und erforderten zum schiedenen Gruppen um die Führungsrolle wurde Teil ein massives Polizeiaufgebot. Dabei ging die wieder aufgenommen. Zwischen einzelnen Ak- Initiative zur Gewaltanwendung sowohl von tivisten bestehen offene Feindschaften. Gemäss rechts- wie linksextremer Seite aus. Innerhalb der polizeilichen Beobachtungen hat die NAPO rechten Szene kam es in Einzelfällen zu gewalt- zwischen achtzig und hundert Mitglieder. samen Auseinandersetzungen. Etablierte Grup- pierungen und lose Kameradschaften erhoben Führungsansprüche und machten sich gegenseitig Rechtsextreme Musik den Rang streitig. In Deutschland verteilten Rechtsextreme un- ter dem Titel «Projekt Schulhof» Musik-CDs auf Partei Pausenplätzen. So sollten nicht zur Szene gehö- rende Jugendliche angesprochen und über die National Orientierter Schweizer Musik Interesse für rechtsextreme Ideologie ge- Am 24.April 2005 wurde ein Mitglied der Par- weckt werden. Die Aktion griff 2005 auch auf die tei National Orientierter Schweizer (PNOS) in Schweiz über. In den Kantonen Aargau, Luzern, den Gemeinderat von Günsberg gewählt. Schon und Glarus verteilten Personen aus dem im Vorjahr war ein Vertreter der PNOS in Lan- rechtsextremen Umfeld Musik-CDs auf Pausen- genthal in den Stadtrat gewählt worden. Diese plätzen oder legten sie anonym in Briefkästen. politischen Erfolge haben das Selbstvertrauen Im Kanton Aargau beschlagnahmte die Polizei der PNOS gestärkt. In Langenthal und Solothurn zweihundert dieser CDs. Nach einer Vorprüfung gründete die PNOS im Februar respektive April durch fedpol (DAP) prüfen kantonale Strafunter- 2005 je eine Sektion. Damit verfügt die Partei suchungsbehörden, ob die Liedtexte gegen die über sechs Sektionen. Rassismusstrafnorm verstossen. Der Präsident sowie drei Vorsitzende der Der Musik und besonders den Konzerten PNOS wurden im Juli 2005 wegen eines Verstos- kommen für die Rekrutierung der rechtsextre-

20 BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ BERICHT 2005 2. GEWALTTÄTIGER EXTREMISMUS UND TERRORISMUS

Rechtsextremismus in der Schweiz: Vorfälle und Mitgliederzahl

9 200 38 175 88 250 49 150 15 300 23 400 21 500 15 350 23 275 27 550 41 650 134850 110950 117950 1011000 1111000 1111200 140 |1400 130 |1300 120 |1200 110 |110 0 100 |1000 90 | 900 80 | 800 70 | 700 60 | 600 50 | 500 40 | 400 30 | 300 20 | 200 10 |100 0 | 0 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005

Total Vorfälle Total Mitglieder (geschätzt)

Vorfälle und Mitgliederzahl. fedpol gemeldete rechtsextremistische Vorfälle (ohne Schmierereien) aus

den vergangenen 17 Jahren. GRAFIK FEDPOL

men Szene eine hohe Bedeutung zu; der Besuch hang mit dem Angriff Rechtsextremer auf eine von Skinheadkonzerten dient vielfach als Ein- «antifaschistische» Kundgebung in Willisau im stieg in die Szene. An Konzer- Oktober 2004 rechtskräftig. Einstieg in die rechts- ten spielen meistens nebst extreme Szene über Musik Schweizer auch Bands aus dem Rolle des Internets und Konzerte. Ausland. fedpol (DAP) ver- fügte und eröffnete auch 2005 Viele bekannte rechtsextreme Gruppierun- wieder Einreisesperren gegen ausländische Band- gen verfügen über einen eigenen Internetauftritt. mitglieder und verhinderte so ihre Teilnahme an fedpol (Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Konzerten. Seit 2003 stieg in der Schweiz die jähr- Internetkriminalität / Kobik) prüft laufend Pro- liche Anzahl gut besuchter Skinheadkonzerte an; pagandamaterial auf mögliche strafbare Inhalte. ebenso haben sich neue Schweizer Bands etabliert. Aufgrund dieser Abklärungen erstatteten die zu- ständigen Kantonsbehörden bereits mehrfach Strafanzeige. Die Internetseite der PNOS wurde Rechtsextremismus in der Armee 2005 ohne behördliche Veranlassung durch die Im August 2005 wurden zwei Unteroffiziere Provider wiederholt vom Internet genommen, und zwei Rekruten aus der Rekrutenschule in doch gelang es der PNOS immer wieder, sie bei Isone entlassen, weil sie sich rassistisch geäussert einem anderen Provider aufzuschalten. Das In- und in der Gruppe mit Hitlergruss gegrüsst ternet spielte, neben dem Mobiltelefon, eine hatten. Im September geriet ein Offizier wegen wichtige Rolle bei der Mobilisierung für Anlässe seiner Kontakte zur rechtsextremen Szene in der Rechtsextremen; auf einschlägigen Seiten die Schlagzeilen. Im November wurde seine Ver- wurden Veranstaltungen angekündigt. urteilung wegen Landfriedensbruchs und Wider- Das Internet wurde auch immer wieder für handlung gegen das Waffengesetz im Zusammen- den Versand rechtextremen Propagandamate-

BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ 21 BERICHT 2005 2. GEWALTTÄTIGER EXTREMISMUS UND TERRORISMUS

● An der offiziellen Nationalfeier auf dem Rütli am 1. August 2005 nahmen insgesamt 2’000 Besucher teil, darunter rund 600 Rechtsex- treme. Diese störten die Rede von Bundes- präsident Schmid wiederholt mit lauten Zwischenrufen. Die Polizei führte im ganzen Raum Brunnen (Schwyz) präventive Kon- trollen durch. Nach dem Festakt marschierten die Rechtsextremen in Brunnen, wie von ihnen angekündigt, vom Schiffssteg zum Bahnhof. Die Polizei sperrte den Abschnitt für kurze Zeit ab. In den Kantonen Solothurn und Luzern fanden am 30. und 31. Juli 2005 zwei Skinheadkonzerte statt. Daran nahmen insgesamt über 200 Personen teil. Anlässlich des Konzerts im Kanton Solothurn kam es zu einer kleineren Auseinandersetzung zwi- Demonstrationszug durch Brunnen am 1. schen Konzertbesuchern und zufällig vorbei- August 2005. Nach der Teilnahme an der Natio- kommenden Jugendlichen. nalfeier auf dem Rütli marschierten die Rechtsextre- ● Am 17. September 2005 fand in Gamsen/Brig

men zurück zum Bahnhof. FOTO POLIZEI ein grösseres Skinheadkonzert statt. Es nah- men rund 400 Leute daran teil. Die Veranstal- tung wurde wie üblich konspirativ organisiert, rials missbraucht. Der Wurm Sober.Q versandte indem lediglich ein Treffpunkt bekannt gege- ab Mitte Mai Spam-Mails mit Propaganda. Dabei ben wurde. Die Mobilisierung erfolgte per wurden die Betreffzeilen mit Links auf rechts- Internet und per SMS. Der wirkliche Veran- extreme Internetseiten kombiniert. Sober.Q staltungsort wurde erst wenige Stunden vor beinhaltete kein strafrechtlich Konzertbeginn bekannt. Grössere Konzerte Propaganda relevantes Material. Es war fanden 2005 auch in Hindelbank,Ammerzwil, und Mobilisierung. bereits der zweite grössere Neuenkirch und Steinhuserberg statt. Fall von Propaganda-Spam, ● In der Nacht vom 3. auf den 4. Dezember kam nachdem im April und Mai 2004 Sober.G und es in Grenchen (Solothurn) zu Auseinan- Sober.H für Aufsehen gesorgt hatten. Durch sie dersetzungen zwischen Rechtsextremen und waren zum Zeitpunkt der EU-Parlamentswahlen Ausländern. Es gelang der Grenchner Polizei rechtsextreme Texte versandt worden. nur mit Unterstützung durch Polizeipatrouil- len aus Solothurn und dem Kanton Bern, die beiden Lager auseinander zu halten. Wichtige Vorfälle 2005 ● Am 1. Mai 2005 marschierten Rechtsextreme in Solothurn und Aarau auf.In Solothurn löste BEURTEILUNG die Polizei die unbewilligte Kundgebung von 120 Personen auf. Dabei wurden 46 Rechts- Intensivierung der Gewalt extreme festgenommen. Die dabei verübten, Teile der extremen Rechten verzichteten auf in dieser Form bisher unüblichen Gewalttätig- Gewalt. Die von rechtsextremen Exponenten keiten der Rechtsextremen gegenüber der verursachten Schäden gegen Personen sind aber Polizei belegen das vorhandene Gewaltpo- hoch. Auftritte von Rechtsextremen wie zum tenzial. Beispiel am 1. August auf ● Am 9. Juli kam es am Rande einer unbewillig- dem Rütli oder bei Ausei- Nur teilweiser Gewalt- ten G8-Demonstration in Thun zu einer nandersetzungen mit gegneri- verzicht der rechtsextremen Schiesserei. Ein Aktivist aus der linken Szene schen Gruppen erforderten Szene. wurde dabei von einem Rechtsextremen am zunehmend den Einsatz stär- Bein verletzt. Die Behörden ermitteln gegen kerer Polizeikräfte und gefährdeten teils punk- den Täter wegen versuchter vorsätzlicher tuell, teils lokal die öffentliche Ruhe und Ord- Tötung. nung.Sie stellten aber keine namhafte Bedrohung

22 BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ BERICHT 2005 2. GEWALTTÄTIGER EXTREMISMUS UND TERRORISMUS

der inneren Sicherheit der Schweiz in ihrer Ge- MÖGLICHE ENTWICKLUNG samtheit dar. Rechtsextrem motivierte Angriffe gegen Einrichtungen des Asylwesens und gegen Anwachsen der Szene Ausländer stiegen von 14 im Vorjahr auf 16 im Spannungen in der Schweizer Rechtsextre- Jahr 2005 leicht an. Die Vorfälle wie der Brand- menszene zwischen einem gewaltbereiten Lager anschlag auf eine Asylunterkunft in Kappel von vorwiegend Jugendlichen und einem auf die (Solothurn) im Januar zeigen, dass diese Bedro- institutionelle Politik ausgerichteten Lager der hung bestehen bleibt. Die rechtsextreme Szene schon älteren Generation sind nicht erkennbar. pflegt, vor allem über Musik, internationale Durch die intensiven Rekrutierungsversuche Kontakte. von Rechtsextremen über Musik zeichnet sich ein Anwachsen der Szene ab. Die Gefahr steigt da- Konkurrenz zwischen mit, dass während des ganzen Jahres die Vorfälle zunehmen, und dass es häufiger zu Gewalttaten Rechts- und Linksextremen insbesondere gegen Personen sowie zu Ausei- Rechts- und linksextreme Gruppen mar- nandersetzungen zwischen Rechts- und Links- schierten zunehmend an wichtigen Anlässen der extremen kommt. Gegenseite auf. Sie konkurrierten damit einer- seits um Aufmerksamkeit, andererseits versuch- ten sie so, die Gegengruppe zu provozieren und deren Anlässe zu stören.

2.2. Linksextremismus

LAGE Ausnahmen bildeten der Brandanschlag vom 8. Januar auf die Ausbildungsanlage der Zür- Zunahme der Gewalt cher Kantonspolizei in Die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung Elgg, der einen Sachscha- WEF 2005 ruhiger sank in der linksextremen Szene weiter. Die den von 250’000 Franken als in den Vorjahren. Bereitschaft, Körperverletzungen zumindest in verursachte, und der Knall- Kauf zu nehmen, stieg besonders gegenüber raketenanschlag vom 26. Januar auf die Na- Sicherheitskräften. Vor allem tionalbank in Zürich. Auseinandersetzung mit so genannte Autonome such- ● Der 1. Mai 2005 mobilisierte etwa 650 Links- Rechtsextremen und mit der ten gezielt die Auseinander- extreme in Zürich, Aarau, Luzern, Winter- Polizei wurde gesucht. setzung mit Rechtsextremen thur, Bern, Solothurn und . Die unbe- und mit der Polizei. Die Betei- willigte Luzerner Kundgebung wurde von der ligung apolitischer Mitläufer an Gewaltakten im Polizei aufgelöst. Grössere Beschädigungen Umfeld von Demonstrationen blieb weiterhin in der Höhe von 220’000 Franken waren in- hoch. dessen in Zürich zu vermelden, wo am 16. Mai erneut Schaden von einer halben Million Franken entstand, als mutmasslich Autonome Wichtige Vorfälle 2005 ein Gebäude verwüsteten, das anstelle einer ● Das Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos besetzten Liegenschaft errichtet worden war. verlief 2005 so ruhig wie seit 1999 nicht mehr. ● Der 1. August 2005 wurde wie schon im Vor- Grössere Ausschreitungen konnten durch jahr von der extremen Linken zu Kundgebun- effiziente Polizeiarbeit, starke Präsenz der gen gegen den Rechtsextremismus genutzt. In Sicherheitskräfte und deren konsequentes Luzern demonstrierten etwa 800 Personen, Eingreifen verhindert werden. Auch hin- wobei ein vermeintlicher Rechtsextremer sichtlich Vorfeld- und Begleitaktionen verlief verletzt wurde; in Winterthur musste die das WEF 2005 ruhiger als in den Vorjahren. Polizei einschreiten, nachdem ein Gebäude

BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ 23 BERICHT 2005 2. GEWALTTÄTIGER EXTREMISMUS UND TERRORISMUS

in Thun durch die Sicherheitskräfte verhin- dert wurde. Am 29. Oktober kam es in Bern nach einer unbewilligten Demonstration zu Ausschreitungen, in deren Verlauf die Polizei nicht nur mit Flaschen, Petarden und Leucht- raketen, sondern auch mit Stahlkugeln aus einer Hochleistungsschleuder beschossen wurde. Am 4. Dezember wurden vor der Berner Reitschule Polizei und Feuerwehr von Chaoten angegriffen. Die Auseinander- setzungen wurden in der Reitschule selbst fortgesetzt, wo es erstmals auch zu Handgreif- lichkeiten zwischen den Chaoten und Reit- schulebesuchern kam. ● In der Romandie waren keine grösseren Zwischenfälle zu verzeichnen. Einzig in La Chaux-de-Fonds kam es am 8. Januar 2005 zu Ausschreitungen, als rund 250 Personen, unter ihnen Beträchtliches linksextremes etwa hundert Gewaltbe- Mobilisierungspotenzial in reite aus dem linksautono- der Romandie. men Umfeld, versuchten, die Delegiertenversammlung der Schweizeri- Sichergestelltes Megafon. Ein 2005 sicherge- schen Volkspartei zu stören. Der Vorfall weist stelltes Megafon mit dem Symbol der Anarchisten darauf hin, dass auch in der Westschweiz ein und dem rot-schwarz geteilten Stern der Anarcho- beträchtliches linksextremes Mobilisierungs-

syndikalisten. FOTO POLIZEI potenzial besteht.

Aktionsfeld der Stadtpolizei mit Feuerwerk angegriffen worden war.Ohnehin war 2005 eine markante Antiglobalisierungsbewegung Zunahme linksextrem motivierter Attacken Aktuelle Themen können schnell in die Anti- gegen polizeiliche Infrastruk- globalisierungsbewegung hinein getragen wer- Attacken gegen turen zu verzeichnen. Neben den,und erfahrungsgemäss wird dadurch auch die polizeiliche Infrastruktur. den genannten Fällen kam es Mobilisierung stark beeinflusst.So vermochte der im Februar in Bremgarten G8-Gipfel im schottischen Gleneagles anfangs (Bern), im Juni in St. Gallen sowie an Neu- Juli bis zu 200’000 Globalisierungsgegner zu jahr und im Juni in Winterthur zu weiteren mobilisieren, wobei es verschiedentlich zu Aus- Brandstiftungen. schreitungen kam. Unter den Festgenommenen ● Am 22. Oktober 2005 wurde abermals in befanden sich auch elf Schweizer Staatsbürger, Zürich durch Linksautonome Sachschaden was der hiesigen linksextremen Szene als Anlass angerichtet. Der Vorfall ist insofern von be- für einige kleinere spontane Protestaktionen sonderer Bedeutung, als die Mobilisierung diente. Linksextreme repräsentieren den bedeu- nicht über Internet, Flugblätter oder Radio, tendsten Teil der gewalttätigen Globalisierungs- sondern konspirativ erfolgte, und die Polizei gegner, und die Globalisierungskritik stellte die der in verschiedenen Gruppen agierenden wichtigste öffentliche Plattform der Linksextre- Chaoten nicht habhaft werden konnte. men dar. ● Im Vergleich zu den Vorjahren kam es in der Bundesstadt und im übrigen Bernbiet zu weniger Ausschreitungen. Nach einer poli- Interne Richtungskämpfe zeilichen Intervention am Bahnhof verlief In der Schweiz ist die kleine Gruppe der ge- der «Sechste Antifaschistische Abendspa- walttätigen Globalisierungsgegner durch ihre ziergang» in Bern ruhig, während der Gewalttätigkeit weitgehend von der nicht gewalt- «Dritte Antifaschistische Abendspaziergang» bereiten Mehrheit isoliert worden. Innerhalb

24 BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ BERICHT 2005 2. GEWALTTÄTIGER EXTREMISMUS UND TERRORISMUS

der linksextremen Kreise waren Richtungskämp- Masse der nicht gewalttätigen Kritiker für sich fe die Folge, die sich besonders um die thema- zu vereinnahmen und zu radikalisieren. Als tische Orientierung, Aktionsformen und speziell Trittbrettfahrer instrumentalisierten sie die Be- um den Einsatz von Gewalt drehten. wegung zunehmend für ihre Gerade bei Provokationen zwischen links- eigenen Ziele und miss- Instrumentalisierung der und rechtsextremen Gruppen, die 2005 erneut zu brauchten die Veranstaltun- Bewegung durch gewalt- zahlreichen Auseinandersetzungen führten, ver- gen zur Ausübung von Ge- tätigen Linksextremismus. schärfte sich die Lage, nachdem am 9. Juli ein walt. Dies diente hauptsäch- linker Aktivist in Thun angeschossen worden war. lich der Selbstdarstellung, verschaffte den Glo- Gleichzeitig setzte sich die Tendenz zur Ver- balisierungsgegnern aber auch jene Publizität, lagerung von Aktionen weg von den grossen Bal- der sie erst ihren Erfolg verdankten. lungszentren in kleinere Ortschaften fort. Davon In dieser Situation trugen die Ausschreitun- betroffen waren besonders Winterthur und Thun, gen und Anschläge vor allem 2003 während des aber auch Schaffhausen, die WEF in Bern und während des G8-Gipfels von Verlagerung von Aktionen Region St. Gallen, Olten, So- Evian in Genf und wesentlich zum weg von den grossen lothurn und Luzern. Die ört- Niedergang der Bewegung bei: In den Schweizer Ballungszentren. liche Verschiebung erschwert Medien liess der Themenkreis Ausschreitungen die Kontrolle durch die Si- und staatliche Gegenmassnahmen die eigent- cherheitskräfte und bringt weitere Bevölkerungs- lichen Anliegen der Globalisierungskritiker im- kreise in direkten Kontakt mit den Anliegen der mer stärker in den Hintergrund treten, diskredi- Aktivisten. Dazu dienen seit Ende September tierte so die Bewegung insgesamt, förderte die auch die lokal begrenzten so genannten Freitags- Zerrissenheit und führte zu einer umfassenden aktionen, die indessen zumeist als unproblema- Ernüchterung sowie zu einer Selbstbeschränkung tisch einzustufen sind. auf selbst geschaffene Anlässe.

Neuakzentuierung BEURTEILUNG des Linksextremismus Krise der Die Linksextremen haben durch ihre selbst Antiglobalisierungsbewegung verursachte Isolation innerhalb der Antiglobali- Es wäre verfrüht, aus der Krise der Antiglo- sierungsbewegung und wegen des konsequenten balisierungsbewegung schon ihr baldiges Ende Durchgreifens der Polizei besonders bei nicht ableiten zu wollen. Die Krise zeigte sich in Mobi- bewilligten Anlässen ihre wichtigste Plattform lisierungsmüdigkeit, Uneinigkeit und Orientie- verloren. Die Szene geriet dadurch in eine Krise. rungslosigkeit. Eine der Hauptursachen dafür Die Reaktion darauf bestand in einer Erwei- liegt in der Heterogenität der Bewegung. Als terung und Neuakzentuierung der Anliegen einigendes Band dienten der nur schwer zu um- sowie in taktischen Veränderungen, die letztlich reissende Kampf gegen den Neoliberalismus allesamt auf eine Wiederherstellung der alten sowie kurzzeitig der Krieg im Irak. Klare Ziel- Stosskraft,die Rekrutierung neuer Anhänger und setzungen fehlten weitgehend. Zudem stiessen ganz besonders auf die Wiedergewinnung der mit dem Erfolg während der Neunzigerjahre Medienpräsenz abzielen. immer neue Gruppierungen mit oft stark abwei- chenden Zielen und neuen Themen wie Sozial- abbau, Garantie der Freiheitsrechte angesichts Doppelstrategie der Terrorgefahr oder der Umgang mit dem Islam Zurzeit verfolgt die linksextreme Szene eine dazu, was die inneren Widersprüche noch ver- Doppelstrategie:Einerseits wurde die Globalisie- stärkte. rungskritik vor allem gegen das WEF neu nicht Zu diesen neuen Gruppierungen gehörten nur anlassbezogen, sondern das ganze Jahr über auch linksextreme Gruppen und ihre Mitläufer, thematisiert. Die Aktionen zielten auf eine er- obwohl für sie die Globalisierungskritik ur- neute Massenmobilisierung und damit auf die sprünglich kein Thema gewesen war. Nachdem Wiedergewinnung der verlorenen Aktionsplatt- die linksextremen Gruppen das enorme Mobili- form ab. sierungs- und Rekrutierungspotenzial erkannt hatten, begannen sie zusehends die Anliegen der

BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ 25 BERICHT 2005 2. GEWALTTÄTIGER EXTREMISMUS UND TERRORISMUS

Andererseits wurden alte und neue Themen MÖGLICHE ENTWICKLUNG vermehrt in den Vordergrund gerückt. Dazu ge- hört etwa die erneute Schwerpunktsetzung auf Unsichere Lage den unverfänglich erscheinenden «Kampf gegen Durch die Orientierungsschwierigkeiten in- den Faschismus», seit dem WEF 2004 aber auch nerhalb der globalisierungskritischen und das gegen die vermeintliche Poli- Taktieren der gewaltbereiten Kreise ist eine von Globalisierungskritik zeirepression. Die beiden zahlreichen Unsicherheiten geprägte Situation und «Kampf gegen den Ziele sind im Bewusstsein entstanden. Zugleich ist eine Radikalisierung Faschismus». der Aktivisten eng verknüpft. der linksextremen Szene feststellbar, die sich So werden der Staat, seine besonders in der gehäuften Gewaltanwendung Vertreter, besonders die Polizei, und Mass- gegen die Polizei und ihre Institutionen offenbart. nahmen wie die verschiedenenorts erlassenen Generell hat die Gewaltbereitschaft des harten Wegweisungsartikel grundsätzlich als faschistisch Kerns der linken Extremisten zugenommen. Eine und der Rechtsextremismus als Produkt des Veränderung dieser Tendenz ist kurzfristig nicht kapitalistischen Systems wahrgenommen. zu erwarten. Das Ziel der Forcierung der beiden zentralen Der Aktivismus und die Steigerung der szene- Themen durch eine steigende Anzahl von Kund- eigenen Anlässe 2005 dienten aber hauptsächlich gebungen und anderen Aktionen war dabei nicht dazu, Präsenz zu markieren und ideologisch die nur die Mobilisierung und damit die Medien- eigene Existenz zu rechtfertigen. Sie sind im We- präsenz. Sie sollte zugleich der Rekrutierung sentlichen aus der aktuellen Krisensituation zu neuer Aktivisten dienen, auf die bei späteren verstehen. Anlässen wieder zurückgegriffen werden kann. Es ist wahrscheinlich, dass sowohl die Kon- Die zweigleisige Strategie zielte somit auf eine frontationen mit den Sicherheitskräften wie auch thematische Neuorientierung bei gleichzeitiger mit Anhängern der rechtsextremen Szene weiter Rückgewinnung von verlorenem Terrain und der zunehmen. Möglich ist auch ein Ansteigen der Werbung weiterer Mitläufer ab. Es ist wahr- anlassbezogenen Vorfeld- und Begleitaktionen. scheinlich, dass diese neuen Mitglieder potenziell Hauptsächlich die Zahl der zum Gewalt befürwortenden Flügel innerhalb spontanen, szeneeigenen Ver- Konfrontationen mit der traditionell von starken personellen Fluktua- anstaltungen dürfte weiter Sicherheitskräften und mit tionen gekennzeichneten Szene zu zählen sind. zunehmen. Gerade der zwei- Die linksextreme Gewalt gefährdete punk- felhafte Erfolg durch den Anhängern der rechts- tuell oder lokal die öffentliche Ruhe und Ord- taktischen Wechsel hin zu extremen Szene werden nung, stellte aber keine Bedrohung der inneren konspirativ organisierten An- wahrscheinlich zunehmen. Sicherheit der Schweiz dar. lässen dürfte die Szene zu weiteren derartigen Aktionen ermutigen und die Arbeit der Sicherheitsorgane künftig erheblich erschweren. Dabei sind zunehmend Sachbeschä- digungen zu erwarten.

2.3. Islamistischen Gruppen zugeschriebene Terrorakte

LAGE süd- und südostasiatische Raum von islamisti- schem Terrorismus betroffen. Im April und Juli Anschläge ausserhalb Europas war die ägyptische Tourismusindustrie in Kairo Ausserhalb Europas waren im Jahr 2005 ne- beziehungsweise auf der Sinai-Halbinsel Ziel von ben den Konfliktzonen im Irak, in Afghanistan islamistischen Terrorakten, wobei die koordinier- und Pakistan, Israel und Palästina sowie im Kau- ten Sprengstoffanschläge von Sharm el-Sheikh kasus vor allem wieder verstärkt Ägypten und der mehr Menschen töteten als der Anschlag mit

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Handfeuerwaffen 1997 in Luxor. Die Anschläge auf einen touristischen Markt und ein Museum in Kairo forderten, obwohl das Werk von Selbst- mordattentätern, weniger Opfer. Jordanien erlebte am 10. November den schwersten Terroranschlag seiner Geschichte. Selbstmordattentäter sprengten sich in drei west- lichen Hotels in der Hauptstadt Amman in die Luft, töteten dabei über sechzig Gäste und ver- letzten über hundert. Die aus dem Irak stammen- den Attentäter handelten im Namen der iraki- schen Terrorgruppe um Abu Musab az-Zarqawi, weil das sichere Amman regional und internatio- nal als wichtigste Drehscheibe Angriffe auf Tourismus- für Beziehungen mit dem industrie und auf Einrich- kriegsversehrten Irak gilt. Im tungen für aus dem Westen Emirat Katar am arabischen stammende Personen. Golf war ebenfalls eine von aus dem Westen stammenden Personen besuchte Einrichtung Ziel des islamisti- schen Terrorismus, als ein Selbstmordattentäter mit einem Fahrzeugsprengsatz eine Theatervor- stellung attackierte. Zerstörter Bus in London. Am 7. Juli 2005 zün- Im Oktober war in Südostasien erneut die deten vier Selbstmordattentäter in drei U-Bahnzü- Tourismusindustrie von islamistischem Terro- gen und einem Bus Bomben. Das Bild zeigt den nahe rismus betroffen,als Selbstmordattentäter auf der dem Tavistock Square zerstörten Bus am Tag danach.

indonesischen Ferieninsel Bali den Terrorakt von FOTO KEYSTONE 2002 wiederholten. Im selben Monat verwüstete auch in Indien eine Anschlagserie neben anderen Zielen den Markt eines Touristenviertels in Neu- sprengte. Wie im Vorjahr waren neben Auslän- Delhi. Schon im August waren in Bangladesh dern die irakischen Schiiten im Allgemeinen und landesweit innert kürzester Zeit mehrere hundert die irakischen Sicherheitskräfte im Speziellen Sprengsätze detoniert. Auch auf den Philippinen Hauptangriffsziele, da beide Gruppen der griffen Islamisten im Verlauf des Jahres mehrmals Terrorgruppe um az-Zarqawi als Kollaborateure mit Sprengsätzen öffentliche Einrichtungen wie der Koalitionstruppen gelten. Auch die Restaurants, Märkte und Transportmittel an. Entführung von Ausländern durch Widerstands- gruppen hielt an. Selbstmordterrorismus im Irak Die Terrorgruppe des Jordaniers az-Zarqawi Die Londoner Selbstmordanschläge verübte als Teil des breiteren irakischen Wider- Nach den Anschlägen in Madrid am 11. März standes gegen die ausländischen Truppen auch im 2004 erlangte die Bedrohung Europas durch Jahr 2005 die meisten Selbstmordanschläge, bei den islamistischen Terrorismus im Juli 2005 in denen wie im Vorjahr hunderte irakische Zivilis- London eine neue Dimension. ten starben.Eine beträchtliche Anzahl der Selbst- London wurde das erste eu- Neue Dimension der mordattentäter stammte aus ropäische Ziel eines islamis- Bedrohung Europas. Selbstmordattentat einer dem nahen und fernen arabi- tischen Selbstmordattentats: zum Islam konvertierten schen Ausland, doch waren ei- Am 7. Juli sprengten sich in öffentlichen Ver- Belgierin. nige unter ihnen erwiesener- kehrsmitteln vier Attentäter in die Luft, rissen 48 massen auch aus europäischen Passagiere in den Tod und verletzten über fünf- Ländern in den Irak eingesickert. Unter ihnen hundert weitere Personen. Genau zwei Wochen sorgte eine zum Islam konvertierte Belgierin für später, am 21. Juli, wollte eine weitere Gruppe Aufsehen, die sich Anfang November bei einem von vier Attentätern den Anschlag imitieren,doch Anschlag auf einen US-Militärkonvoi in die Luft hielten sich die Schäden dank der unvollständigen

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Vielfach auf Unverständnis in der Bevölke- rung stiess der Freispruch von erwiesenermassen gewaltbereiten Islamisten in Italien, Deutschland und den Niederlanden.In Italien unterschied eine Richterin zugunsten des Angeklagten zwischen illegalem Terrorismus und legitimem Guerrilla- kampf, während in den Niederlanden die Ge- setzeslage eine Verurteilung verunmöglichte. In Deutschland wurde ein Mitglied des harten Kerns um Muhammad Atta vollständig freigesprochen, ein weiteres vom Vorwurf, Beihilfe zu 3’000- fachem Mord geleistet zu haben. Im Gefangenenlager von Guantánamo auf Kuba wie auch in Afghanistan waren 2005 dut- zende mutmasslicher Terroristen in spezieller US-amerikanischer Militärhaft. Bei Gefangenen- transporten soll angeblich der Luftraum und damit die Souveränität zahlreicher Staaten miss- achtet worden sein. In diesem Zusammenhang eröffnete die schweizerische Bundesanwaltschaft ein Verfahren gegen unbekannt wegen Verdachts auf verbotene Handlungen für einen fremden Staat. Belgische Selbstmordattentäterin im Irak. Die konvertierte Muslimin sprengte sich am 9. Novem- ber 2005 in Bakuba im Irak in die Luft und tötete BEURTEILUNG dabei fünf irakische Polizisten. FOTO KEYSTONE Al Qaïda und der globale Dschihadismus Al Qaïda hat sich wegen der Zerstörung ihrer Detonation der Sprengsätze in Grenzen, und Zufluchtstätten in Afghanistan und des auf sie kein Passagier wurde getötet. Ob es sich bei den ausgeübten Drucks zu einer transnationalen Tätern vom 21. Juli wirklich um Selbstmord- Ideologie des militanten Islamismus gewandelt. attentäter handelte, ist Gegenstand laufender Für ihre Verbreitung und Entwicklung spielt das Ermittlungen. Internet mit einschlägigen Seiten und Foren eine zunehmend wichtige Rolle.Usama bin Laden war Die internationale im gesamten Berichtsjahr in den Medien abwe- send, weshalb über seinen Tod oder gar seine Ent- Terrorismusbekämpfung machtung spekuliert wurde. Sein Stellvertreter Alle gescheiterten Attentäter vom 21. Juli Ayman az-Zawahiri trat hingegen mit mehreren konnten bereits in den Wochen nach der Tat in Deklarationen in Erscheinung, so auch in einem Grossbritannien und Italien festgenommen wer- Video zu den Londoner Selbstmordanschlägen. den. Am 3. Oktober nahmen die britischen Be- Die Festnahme Abu Faradsch al-Libis bedeutete hörden zudem fünf ranghohe Mitglieder der nach derjenigen Khalid Sheikh Muhammads im Groupe Islamique Combattant Libyen in Aus- Jahr 2003 eine weitere massive Schwächung der schaffungshaft. Erfolgreich Al-Qaïda-Führung. Erfolgreiche Fahndung waren auch Fahndungen nach Vielerorts entstehen kleine Zellen gewalt- in mehreren europäischen gewaltbereiten Islamisten in bereiter Islamisten respektive Dschihadisten Ländern. mehreren europäischen Län- oder gewaltbereiter Muslime, dern.Die ausgehobenen Netz- die keine personelle Verbin- Kleine Zellen gewaltbereiter werke planten entweder Anschläge vor Ort oder dung zur übrig gebliebenen organisierten die Anwerbung und Infiltration von Al-Qaïda-Führung haben. Sie Islamisten ohne personelle Selbstmordattentätern aus diesen Ländern in den sind aber bereit,ihren Dschiha- Verbindung zur Al-Qaïda- Irak. dismus in die Tat umzusetzen. Führung.

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Da diese Zellen aufgrund ihrer beschränkten Ka- len Dschihadisten zum tatbereiten Terroristen pazitäten nur lokal operieren können, wählen sie scheint teilweise erstaunlich kurz. Die operative sich Anschlagziele in ihrer Umgebung und auf- Kapazität und technischen Mög- grund ihrer Möglichkeiten aus. lichkeiten dieser europäischen Erstaunlich kurze Die islamistischen Terrorakte in Ägypten und Zellen sind im Gegensatz zur Radikalisierungsphase. Katar entsprachen diesem Trend, während in alten Al Qaïda eingeschränkt, Süd- und Südostasien etablierte Gruppen mit was aber die Effektivität von Anschlägen nicht losen Verbindungen zur ehemaligen Al-Qaïda- mindern muss. Struktur für die Anschläge verantwortlich zu ma- chen sind. Einige der süd- und südostasiatischen Dschihadismus als Gruppen verbinden die islamistischen Ziele des Terrors mit territorialen Forderungen. Dies ist ausformulierte Ideologie auch in anderen Konfliktzonen wie im Kaukasus Seit Anfang 2005 zirkuliert in islamistischen sowie in Israel und Palästina der Fall. Langfristig Kreisen die über tausendseitige Enzyklopädie verfolgen sowohl die etablierten Gruppen als des Ende 2005 in Pakistan festgenommenen syri- auch die neuen Zellen als Ziel die Errichtung ei- schen Dschihad-Ideologen Mustafa Sitmariam ner Staatsordnung auf der Grundlage des islami- Nassar alias Abu Mussab as-Suri mit dem Titel schen Rechts. «Aufruf zum weltweiten islamischen Wider- stand». Diese bisher umfangreichste Abhandlung Der erste islamistische zur dschihadistischen Ideolo- gie und Strategie ruft weltweit «Aufruf zum weltweiten Selbstmordanschlag in Europa alle Muslime zu Terrorakten islamischen Widerstand». Bis zu den Sprengstoffanschlägen in Madrid gegen europäische Staaten galt Europa den meisten gewaltbereiten Islamis- auf, die in ihrer Politik gegenüber dem arabisch- ten eher als Rückzugsgebiet und als Raum zur islamischen Raum mit den USA, Grossbritannien logistischen Vorbereitung von Attentaten, nicht oder Israel kooperieren. jedoch als Raum für terroristische Operationen. Ausgehend von ihrer komplexen islamrecht- Vor allem seit den Londoner Anschlägen ist Eu- lichen Argumentation lässt sich eine taktische ropa aber auch zur Arena islamistischer Terror- Weiterentwicklung der dschihadistischen Stra- anschläge geworden. Die Anschläge von Madrid tegie feststellen. Demnach sollen tatbereite und London gelten in der Logik des Terrors als Dschihadisten keine festen und erkennbaren gelungen, da sie völlig überraschend erfolgten, Gruppenstrukturen mehr bilden, sondern im genau koordiniert waren, möglichst viele Men- Idealfall individuell oder in Kleingruppen zur schen töteten, sofort in den Tat schreiten. Sie müssen in kein Kampfgebiet Hohe Effektivität Medien präsent waren und wie zum Beispiel den Irak auswandern, sondern von Selbstmordanschlägen. jeweils zu einem politisch sollen vor Ort zuschlagen. Sie brauchen keine symbolischen Zeitpunkt statt- Ausbildung zum Terroristen mehr zu durch- fanden. Die Terrorakte in Grossbritannien hatten laufen, sondern sollen ihren Fähigkeiten ent- zwar nicht die gleichen politischen Konsequenzen sprechend so schnell wie möglich angreifen. 2005 wie die in Spanien, doch zeigten sie die hohe Ef- entsprachen mehrere der in Europa geplanten fektivität solcher Anschläge. Auch haben sie oder ausgeführten Terroranschläge dieser neuen einmal mehr verdeutlicht, wie leicht verwundbar Taktik. die liberalen Demokratien Europas sind. Sowohl die Anschläge am 7. Juli in London als auch der gescheiterte Imitationsversuch zwei MÖGLICHE ENTWICKLUNG Wochen danach haben gezeigt, dass auch in Europa potenzielle Selbstmordattentäter leben. Islamistischer Terrorismus Diese europäischen Dschihadisten formieren sich in der islamischen Welt selbstständig in Zellen und verinnerlichen die Die Verbindung von Islamismus und Separa- Ideologie des globalen Dschihad. Sie stammen tismus ist besonders konfliktträchtig, weshalb vor allem aus der muslimischen Diaspora; sie sind Konfliktzonen in Süd- und Südostasien, Nahost in Europa aufgewachsen und sozialisiert worden, und im Kaukasus auch in Zukunft vom islamisti- bei einigen handelt es sich um Konvertiten. schen Terrorismus betroffen sein werden. In Süd- Der Prozess der Radikalisierung vom potenziel- und Südostasien verlangen viele Dschihadisten

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eine Gesellschaftsreform auf islamischer Grund- personen von gewalttätigen Islamisten gezielt lage und sind bereit, dies mit terroristischen Mit- getötet werden. Besonders Muslime, die in der teln von den jeweiligen Staatseliten zu erzwingen. Öffentlichkeit den Islam oder seine Politisierung Gleiches gilt auch für die arabische Welt, doch kritisieren, sind für potenzielle Dschihadisten sind dort Dschihadisten aufgrund staatlicher legitime Angriffsziele. Gleiches gilt für Einrich- Repression in ihrem Handeln stärker einge- tungen, die islamkritisch sind oder aus dschiha- schränkt. Die Ausnahme hierzu bildet der Irak, distischer Sicht mit der so genannten «zionistisch- der seit dem Sturz der Diktatur zum wichtigsten kreuzzüglerischen Aggression gegen den Islam» neuen Ausbildungs- und Operationsfeld für isla- in Verbindung gebracht werden können. mistische Terroristen geworden ist. Bedeutung für die London als Präzedenzfall innere Sicherheit der Schweiz Europa könnte in naher Zukunft zur Arena Die Transformation Westeuropas von einem einer neuen Generation von europäischen Dschi- Ruhe- und Unterstützungsraum in ein Opera- hadisten werden. Die Rückkehr von Europäern, tionsfeld der Dschihadisten betrifft unmittelbar die zurzeit im irakischen Widerstand den urbanen auch die Schweiz. Gleiches gilt für die Erneue- Terrorismus erlernen, könnte diese Entwicklung rung der dschihadistischen Methode, wonach der beschleunigen. In Europa aktive potenzielle gewaltbereite Islamist nicht Dschihadisten werden auch in Zukunft bevorzugt mehr nur aus dem Ausland Transformation Westeuropas so genannte weiche Ziele wie öffentlich zugäng- kommt, sondern unsichtbar zu einem Operationsfeld der liche Orte mit grossen Menschenansammlungen und unerwartet im Inland ope- Dschihadisten. oder ungeschützte Personen für ihre Terrorakte riert. Sollten sich in Zukunft auswählen. Selbstmordattentate könnten auch beide Entwicklungen ausprägen, würde das die in Europa die zeit- oder ferngesteuerten Spreng- Terrorismusbedrohung der Schweiz als west- sätze ergänzen oder mit der Zeit sogar ersetzen. europäischem Land mit einer aktiven islamisti- Neben der Strategie zur Maximierung der schen Szene erhöhen. Toten könnten in Zukunft vermehrt auch Einzel-

2.4. Naher Osten

LAGE rung der Aufmerksamkeit auf interne Konflikte beider Parteien. In Israel kam es im August zu Israel und Palästina teils heftigen Protestdemonstrationen und ver- Auch 2005 kam es zu Gewaltanwendung zwi- einzelten Gewaltakten extre- schen den Konfliktparteien in Israel und Palästi- mistischer Siedler gegen die Interne Konflikte beider na. Die Zahl der Selbstmordattentate hat dank Räumung des Gaza-Streifens. Parteien. einer Waffenstillstandsvereinbarung weiter abge- Auf der anderen Seite gelang nommen, aber auch, weil die israelischen Si- es der palästinensischen Autonomiebehörde cherheitsbehörden sie verschiedentlich vereiteln nicht, die bereits unter Arafat aufgetretenen konnten. Die israelische Armee setzte ihrerseits Spannungen zwischen ihren Fraktionen zu über- weiter auf gezielte Tötungen von palästinensi- winden und gleichzeitig die gewalttätigen Wider- schen Extremisten. Der unilateral beschlossene standsorganisationen Hamas und Dschihad zu Rückzug Israels aus dem Gazastreifen führte neutralisieren. Vielmehr kam es wiederholt zu nicht zu einer Entspannung der Sicherheitslage, bewaffneten Auseinandersetzungen. Um ihre nahm der Beschuss Israels mit Qassam-Raketen Positionen durchzusetzen, entführten Fraktionen aus Gaza doch zu. Dieser forderte jedoch keine wiederholt auch Ausländer; so wurde im August Menschenleben. auch ein Schweizer UNO-Mitarbeiter für wenige Die Lage in Israel und Palästina war 2005 ge- Stunden als Geisel genommen. prägt von einer Zunahme und teilweisen Verlage-

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Libanon nensischer Transparente durch vier das Spielfeld stürmende linksextreme Aktivisten während des Am 14. Februar 2005 wurde in Beirut der ehe- Fussballspiels Schweiz-Israel am 3. September in malige libanesische Ministerpräsident Rafiq Ha- Basel. Die von Schweizer Islam-Konvertiten ge- riri bei einem Selbstmordanschlag ermordet; wei- führte Organisation PRO-PLO Schweiz trat nicht tere Attentate auf Vertreter antisyrischer Positio- in Erscheinung, was ihre im Dezember 2004 ver- nen folgten, so zuletzt im Dezember die Ermor- kündete Selbstauflösung zu bestätigen scheint. dung des Journalisten und Abgeordneten Gibran Im extremistischen islamistischen Diskurs ist Tuéni. Internationaler Druck zwang Syrien Ende das Palästinaproblem zwar weiterhin als ideolo- April, seine seit 29 Jahren im Libanon stationier- gischer Topos allgegenwärtig, faktisch wird es ten Truppen vollständig zurückzuziehen. jedoch vom alles dominierenden Konflikt im Irak Im Rahmen der UNO-Ermittlungen um das verdrängt. Hariri-Attentat waren auch Schweizer im Libanon engagiert. Fünf Polizeiexperten nahmen im März 2005 technische Abklärungen am Tatort in Beirut Rolle der UNO vor und lieferten Erkenntnisse Die Schweiz spielte im Bezug auf die Ereig- Beteiligung von Schweizer zum Tathergang. Zudem wa- nisse in Libanon und Syrien eine vergleichsweise ren auf Ersuchen der UNO Experten an den UNO- bescheidene Rolle. Die innere Sicherheit wurde eine Expertin und ein Experte Ermittlungen. dadurch jedenfalls nicht gefährdet. Einer poten- von fedpol in der Ermittlungs- ziellen Bedrohung ist hingegen die UNO ausge- mannschaft des deutschen Staatsanwalts im Liba- setzt, welche die Ermittlungen non tätig. Ein weiterer unterstützte die Ermittlun- im Hariri-Mord führt und auf- Potenzielle Bedrohung gen nach Abschluss des Einsatzes vor Ort. Die grund der Ergebnisse Sanktio- der UNO. Schweizer Einsätze, die Mitte Dezember abge- nen gegen Syrien einfordert schlossen waren, verliefen ohne Zwischenfälle; und durchsetzt. Die allgemeine Gefährdung der die Schweizer Vertreter waren weder während UNO wird auch durch die Entführung eines des Einsatzes im Libanon noch im Nachhinein Schweizer UNO-Mitarbeiters im August 2005 Bedrohungen oder Anfeindungen ausgesetzt. bezeugt. Im Herbst war die Schweiz zudem zeitweilig Gastland für Treffen libanesischer und syrischer Politiker. Zurückzuführen war dies namentlich MÖGLICHE ENTWICKLUNG auf den Umstand, dass sich der libanesische Ver- teidigungsminister aus medizinischen Gründen in UNO als mögliches Ziel von Gewalt Genf aufhielt. Je stärker die UNO im Nahen Osten engagiert ist, desto wahrscheinlicher wird es, dass es in Genf BEURTEILUNG zu Protesten und bei einer allfälligen Eskalation gar zu gewalttätigen Aktionen kommen könnte. Kaum Reaktionen in der Schweiz Anzeichen für solche Aktionen gibt es bisher je- Die Entwicklung im Nahen Osten hat in der doch nicht. Die Sicherheitsorgane des Bundes, Schweiz 2005 kaum zu Reaktionen geführt. Er- des Kantons Genf und der UNO beurteilen lau- wähnenswert ist nur das Entrollen pro-palästi- fend die Entwicklung der Lage.

2.5. Islamistische Aktivitäten in der Schweiz

LAGE 15. Februar 2005 in Genf verhaftet, wegen Mord- Haltlose Anschuldigungen eines versuchs und Drohung angeklagt und gleichen- tags durch die zuständige Untersuchungsrichterin Islamisten gegen die Schweiz in Haft genommen. Er hatte eine Person sene- Ein ehemaliger ägyptischer Polizeioberst und galesischer Herkunft mit dem Messer angegriffen in der Schweiz anerkannter Flüchtling wurde am und blieb deswegen bis zum 22. Juni 2005 in

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Untersuchungshaft. Während und nach seiner des sichergestellten Materials lässt unter ande- Untersuchungshaft erhob er haltlose Vorwürfe rem einen Bezug der Beschuldigten zur islamisti- gegen die Schweiz und ihre Behörden. schen Hizb ut-Tahrir (Partei Er behauptete unter anderem, er sei inhaftiert der Befreiung) erkennen.Die- Starker Bezug zur islamisti- worden, weil er sich geweigert habe, mit dem se revolutionäre islamistische schen Hizb ut-Tahrir. Nachrichtendienst zu kooperieren und Lands- Bewegung strebt die Errich- leute in der Schweiz auszuspionieren. Man habe tung eines weltweiten Kalifats an und schliesst ihn als Agent in die Al Qaïda einschleusen wollen dazu Gewaltanwendung zumindest nicht aus. und ihm deswegen Geld und Frauen angeboten. Unter den sich legal in der Schweiz aufhalten- Weiter will er während seiner Haft psychischer den Festgenommenen befand sich neben dem und physischer Gewalt ausgesetzt gewesen und Hauptbetreiber der Foren auch dessen aktuelle mehr als einen Monat in Isolation gehalten Lebensgefährtin. Sie ist die Witwe eines der bei- worden sein, worauf er aus Protest in den Hun- den Männer, die den afghanischen Kriegsherrn gerstreik getreten sei. Nach den Anschlägen in Ahmad Schah Massud zwei Tage vor den An- London vom 7. Juli richtete er indirekte Drohun- schlägen vom 11. September 2001 mit einem gen gegen die Schweiz – Genf sei nächstes Ziel Selbstmordanschlag töteten. Die selbsternannte eines Al-Qaïda-Anschlags – und Dschihad-Veteranin aus Afghanistan drohte nach Indirekte Drohungen bezeichnete das Schweizer Volk ihrer Freilassung in der Presse, das angeblich gegen die Schweiz. als «Feind des Islam». Einer sei- demütigende Verhalten von Polizei und Bun- ner Internetartikel trug den Titel desanwaltschaft werde durch «Mudschaheddin- «Die Schweiz, der niederträchtigste Feind des Löwen» gerächt werden. Islam». Das Pamphlet enthält den unverhohlenen Ende 2005 übergab die Bundesanwaltschaft Aufruf an die Muslime, endlich zu reagieren, das wegen Verdachts auf öffentliche Auffor- wobei eine mögliche Mudschaheddin-Attacke derung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit gegen die Schweiz, die «verdeckte Zentrale der und auf Unterstützung einer terroristisch tätigen kreuzzüglerisch-zionistischen Front», zugleich im kriminellen Organisation eröffnete Verfahren Voraus legitimiert wird. dem Eidgenössischen Untersuchungsrichteramt. Der Mann richtete seine Beschwerden zu- Unterdessen ist im Internet unter neuer Adresse nächst an verschiedene Bundesräte, eine Genfer eine identische Internetseite in Betrieb, die je- Staatsrätin,Amtsstellen und internationale Orga- doch nicht in der Schweiz gehostet wird. Die nisationen; E-Mails gingen auch an Parlamenta- Bundesanwaltschaft hat per Rechtshilfe die rier. Über Dritte gelangten die Anschuldigungen Schliessung der Internetseite beantragt.Auf einer in die Medien, so etwa in die international bedeu- anderen von der obgenannten Frau betriebenen tende arabische Tageszeitung «ash-Sharq al-Aw- und ebenfalls im Ausland gehosteten islamisti- sat». Überdies sind seine Texte mehrfach im In- schen Internetseite wurde im Dezember 2005 ein ternet abrufbar, unter anderem auf einschlägigen Video Ayman az-Zawahiris mit französischen dschihadistischen Seiten. Dort findet er ein ihm Untertiteln verbreitet. wohlgesinntes Publikum, wie zahlreiche Kom- mentare verdeutlichen. Ein Kommentator beteu- Ein zweiter Fall islamistischer ert zum Beispiel, dass man bald angreifen werde. Gewaltpropaganda im Internet Islamistische Gewaltpropaganda Ab Mitte August 2005 wurde unter Verwen- dung des Passworts einer Studentin über den im Internet Zentralrechner der Universität Genf islamisti- Bereits 2004 ermittelte fedpol (BKP) gegen sches Propagandamaterial im die Betreiber von in der Schweiz gehosteten, Internet weiterverbreitet. Dabei Verwendung des Passworts inzwischen gesperrten Internetplattformen wie handelte es sich nebst dschihadi- einer Studentin. etwa www.islamic-minbar.com, die der Verbrei- stischen Kampfaufrufen um An- tung dschihadistischer Propaganda dienten. Im leitungen zum Bau von Waffen und Videos von Rahmen des gerichtspolizeilichen Ermittlungs- Hinrichtungen, Verstümmelungen und Kriegs- verfahrens führte fedpol (BKP), unterstützt szenen im Irak. Nach dem Hinweis eines privaten durch kantonale Polizeikräfte, am 22. Februar Internetfahnders reichte die Leitung der Uni- 2005 Hausdurchsuchungen durch und nahm fünf versität Genf am 25. Oktober Strafanzeige gegen Personen vorübergehend fest. Die Auswertung unbekannt ein.

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Am 27. und 28. Oktober konnte die Genfer Kantonspolizei zwei Verdächtige verhaften. Die beiden Islamisten maghrebinischer Herkunft, die den Besuch extremistischer Seiten, nicht jedoch die Weiterverbreitung des Materials zugaben, hielten sich illegal in der Schweiz auf. Die beiden wurden anfangs 2006 aus der Untersuchungshaft entlassen.

Schweizer Bezüge in den Jemen Im März 2005 teilte die Schweizer Botschaft in Saudi-Arabien mit, die Behörden im Jemen hät- ten einen Prozess gegen acht Terrorverdächtige Dschihadistische Propaganda auf Schweizer eröffnet. Diese sollen Attentate gegen Botschaf- Webseite. Fotografie der französisch untertitelten

ten und andere ausländische Interessen in der Videobotschaft Ayman az-Zawahiris. FOTO POLIZEI Hauptstadt Sanaa geplant haben; einer der Ange- klagten sei irakisch-schweizerischer Doppelbür- ger.Abklärungen von fedpol ergaben jedoch,dass die Person weder Schweizer Bürger ist noch sich sche Bezüge aufweisen. Darunter befindet sich je in der Schweiz aufgehalten hat. Seine Mutter auch Mullah Krekar, der in Norwegen als Flücht- hingegen lebt in der Schweiz. Sie ist liiert mit ei- ling lebende Führer der Ansar al-Islam. Auch nem der Verdächtigen in den Ermittlungen, die wenn der in der Schweiz lebende Verdächtige im Anschluss an die Anschläge im saudi-arabi- nicht aktiv in die Planung des Attentats gegen schen Riad im Mai 2004 von der Bundesanwalt- Allawi verwickelt war,besteht der dringende Ver- schaft geführt werden. Er wird verdächtigt, als dacht der Mitgliedschaft bei Ansar al-Islam. Mitglied eines Schmugglernetzwerks Personen mit Bezügen zum islamistischen Terrorismus lo- gistische Unterstützung angeboten und mehrere Fall Achraf Personen in oder durch die Schweiz geschleust zu Nach Hinweisen der spanischen Partnerdiens- haben. Überdies verschob die Gruppe beacht- te identifizierte fedpol (DAP) einen als Moham- liche Geldsummen, die teils aus ihren eigenen med Achraf bekannten angeblichen Algerier, illegalen Aktivitäten stammten, mit unbekann- der einen Anschlag auf ein Gerichtsgebäude in tem Verwendungszweck in den Nahen Osten. Madrid geplant haben soll. Ermittlungen der Bundesanwaltschaft ergaben, dass Achraf in Wirklichkeit ein marokkanischer Staatsbürger Schweizer Bezug zu Ansar al-Islam namens Abderrahmane Tahiri ist. Die spanischen Vier mutmassliche Mitglieder der kurdisch-is- Verdachtsmomente bezüglich seiner Aktivitäten lamistischen Terrororganisation Ansar al-Islam in der Schweiz konnten ihm hier nicht nachge- befinden sich unter Terrorverdacht in deutscher wiesen werden. Insbesondere gibt es keinen Untersuchungshaft, weil sie 2004 einen Anschlag Hinweis, dass er in die Schweiz gereist sei, um auf den damaligen irakischen Ministerpräsiden- Mittel zum Erwerb grosser Mengen Sprengstoff ten Allawi geplant haben sollen.Sie standen in en- zu generieren. Nur einige geringfügige Dieb- gem Kontakt zu einem irakischen Kurden in der stahlsdelikte gehen auf ihn zurück. Am 22. April Schweiz. In einer mit dem 2005 wurde Tahiri an Spanien ausgeliefert. Geplanter Anschlag auf Landeskriminalamt Baden- irakischen Ministerpräsi- Württemberg koordinierten Radikalisierung durch bosnische denten im Jahr 2004. Aktion wurde im Juni 2005 in dessen Wohnung umfangrei- Wahhabiten ches islamistisches Propagandamaterial sicher- Die bosnische Organisation Aktive Islami- gestellt. Die Ermittlungen ergaben, dass der ira- sche Jugend (AIO) bemüht sich seit mehreren kische Kurde über weit verzweigte Kontakte zu Jahren, über ein Netz kultureller Zentren in der Personen in der Schweiz, Europa und dem Mittle- Muslimgemeinschaft des den Wahha- ren Osten verfügt, von denen mehrere terroristi- bismus, eine puritanische radikale Variante des

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Islam aus Saudi-Arabien, zu verbreiten. Auch in BEURTEILUNG der Schweiz verfügt die AIO über einzelne Expo- nenten, allerdings nicht wie in anderen europäi- Das dschihadistische Operationsfeld schen Ländern über eine ge- Europa umfasst auch die Schweiz Einzelne Exponenten, aber festigte Organisationsstruk- Aus den Aussagen von gewaltbereiten Islamis- keine gefestigte Strukturen tur. Die Schweizer AIO-Akti- ten lässt sich nicht schliessen, dass die Schweiz ein in der Schweiz. visten sind vor allem propa- primäres Angriffsziel darstellte. Es ist jedoch da- gandistisch aktiv. So wurden von auszugehen, dass sich auch in der Schweiz in der und über die Schweiz wahhabitische Schrif- dschihadistische Terroristen aufhalten könnten. ten, Kassetten radikaler Prediger und Bücher In Anbetracht der jüngsten Entwicklung der über die islamische Kindererziehung vertrieben. dschihadistischen Ideologie liegen terroristische Die Bewegung nutzte einen Schweizer Internet- Anschläge in der Schweiz als auftritt und organisierte Treffen in islamischen Teil des europäischen Opera- Schweiz als Teil des euro- Zentren, an denen auch ausländische Anhänger tionsfeldes zudem zunehmend päischen Operationsfelds. der AIO teilnahmen. im Bereich des Möglichen, Umgekehrt nahmen Vertreter aus der und es gibt Vermutungen, dass es in der Schweiz Schweiz an AIO-Treffen im Ausland teil, wo die- Islamisten gibt, welche die Durchführung solcher se auch schon durch extremistische Stellungnah- Taten anstreben. Sie könnten durch falsche An- men wie die Aufforderung zum bewaffneten schuldigungen wie die des ehemaligen ägypti- Dschihad auffielen. Weiter zeichnen sich be- schen Polizeiobersten in ihren Absichten noch stimmte AIO-Anhänger durch ihre streng nach bestärkt werden. dem Vorbild des Propheten ausgerichtete Le- Das Beispiel der Anschläge von London zeigt, bensweise aus, die sie ihrem Umfeld aufzuzwin- dass terroristische Attentäter, wenn sie indivi- gen suchen. Allerdings hatten sie damit in der aus duell und unabhängig von einer grösseren Orga- dem Balkan stammenden Muslimgemeinschaft, nisationsstruktur handeln, schwerer denn je im die – wenn überhaupt – eine apolitische und volks- Vorfeld ermittelbar sind.Parallel zu diesem Trend tümliche Praxis des Islam verfolgt, bisher nur ge- hin zu kleineren, selbstständig agierenden Zellen ringen Erfolg. Im Gegenteil: AIO-Aktivisten islamistischer Terroristen wurden 2005 auch die stiessen in der Schweiz bei Praktizierenden auf ideologischen Rechtfertigungen von Terroran- offenen Widerstand und wurden aus Islamzent- schlägen überall auf der Welt vorangetrieben. ren gewiesen. Dschihadistische Terroristen können, trotz weit- gehender Entscheidungs- und Handlungsauto- Auswirkungen nomie, auf ein weit verzweigtes transnationales Unterstützernetzwerk zählen, das auch zahlrei- des Tschetschenienkriegs che Nahtstellen in der Schweiz aufweist. Die ak- Der zweite Tschetschenienkrieg wurde auch tuellen Beispiele bestätigen die bereits bekannte im sechsten Jahr mit unverminderter Härte ge- Bedeutung der Schweiz wie Europas insgesamt führt.Die Islamisten unter Schamil Bassaev haben als Logistik-, Propaganda- und Ruheraum für an Einfluss gewonnen. Gerade die junge Genera- islamistische Aktivisten. Konkrete Vorberei- tion, der Lebensperspektiven weitgehend fehlen, tungshandlungen zu terroristischen Taten wurden zeigte sich offen für radikales Gedankengut. in der Schweiz bisher zwar nicht endgültig nach- In der Schweiz leben gegenwärtig etwas mehr gewiesen. Die Bedrohungslage kann aber rasch als 500 Tschetschenen, die meisten davon als und jederzeit ändern. Asylsuchende oder anerkannte Flüchtlinge. Im Gegensatz zu Frankreich konnte hierzulande Radikalisierung der bisher nicht beobachtet werden, dass unter tsche- tschenischen Einwanderern eine politische Ra- muslimischen Gemeinschaft dikalisierung stattgefunden hat. Wie in anderen Neben der terroristischen Gefahr, die von der Ländern wurde aber auch in der Schweiz Geld sich aus der Gemeinschaft ausgrenzenden und als für Tschetschenien gesammelt. Bisher konnte Elite wähnenden Minderheit der Dschihadisten nicht festgestellt werden, dass solche Gelder zu ausgeht, repräsentieren Islamisten, die die musli- Gunsten gewaltextremistischer Gruppierungen mische Gemeinschaft zu radikalisieren suchen, oder für terroristische Aktivitäten aus der eine weitere Gefährdung der inneren Sicherheit. Schweiz nach Tschetschenien geflossen sind. Besonders die wahhabitische Variante des Islam,

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die in ihrem unübersehbaren Einheits- und MÖGLICHE ENTWICKLUNG Dominanzanspruch gegen jegliche ideelle und Veränderte Voraussetzungen soziale Pluralität der islamischen Gemeinschaft in der Schweiz vorzugehen im Antiterrorkampf Wahhabistische Variante des sucht, stellt ein Problem dar. Es ist davon auszugehen, dass sich die gegen- Islam stellt ein Problem dar. Verstärkt wird der Einfluss wärtig feststellbare ideologische Tendenz des des Wahhabismus durch seine Dschihadismus als eines auf lokaler Ebene mög- reichen finanziellen Mittel, ist er doch weiterhin lichst individuell zu führenden, eigentlich aber staatlich geförderte Doktrin in Saudi-Arabien. global-zeitlosen Kampfes durchsetzt. Diese De- Wie das Beispiel der AIO zeigt, sind entgegen der zentralisierung ermöglicht islamistische Terror- landläufigen Meinung nicht nur arabische Musli- anschläge prinzipiell überall, auch in der Schweiz me Radikalisierungsversuchen ausgesetzt. als Teil des europäischen Operationsfelds. Je in- dividueller und rein an ihren Möglichkeiten aus- gerichtet Dschihadisten zudem handeln, desto schwieriger wird ihre Identifizierung vor der be- absichtigten Tat.

2.6. Terrorismus in Europa

LAGE sich bisher durch Spenden, Raubüberfälle, Schmuggel, Drogen- und Rohstoffhandel und ETA führte Pubs, Clubs, Taxi- und Bauunternehmen. Wie in den vergangenen Jahren drohte die Nach Einschätzung der italienischen Staatsan- Euzkadi ta Azkatasuna (ETA) mit Anschlägen waltschaft bestehen im Bereich der organisierten gegen die Tourismusindustrie. Sie verübte meh- Kriminalität der IRA, namentlich beim Zigaret- rere Attentate vorwiegend tenschmuggel, Verbindungen in die Schweiz. Mehrere Attentate vor- gegen öffentliche Einrichtun- wiegend gegen öffentliche gen. Am 17. Mai sprach sich Neue Rote Brigaden Einrichtungen. das spanische Parlament für Verhandlungen mit der ETA 2005 standen mehrere Mitglieder der Neuen aus, sofern die baskischen Separatisten auf den Roten Brigaden wegen Mordes an Massimo gewaltsamen Kampf verzichteten. Nach diesem D’Antona und Marco Biagi in Rom und Bologna Entscheid wurden an verschiedenen Orten in vor Gericht. Sie wurden zu lebenslänglichen Spanien über ein Dutzend Anschläge verübt; respektive langjährigen Haftstrafen verurteilt. während des gesamten Jahres waren es weit Eine Frau hat zusätzlich zu 16 Jahren Haft eine über zwanzig. Entschädigung von einer Million Euro an die Angehörigen Biagis zu zahlen. IRA

Die Irish Republican Army (IRA) kündete BEURTEILUNG Ende Juli 2005 das Ende des bewaffneten Kampfes an. Sie hatte in ihrem Kampf Spreng- Verschiedene Entwicklungen im sätze, Minenwerfer, Raketen und Schusswaffen Terrorismus europäischer Herkunft eingesetzt. Sie stellte selbst Bomben her; ihre Sozialrevolutionären oder nationalistischen Techniker entwickelten Waffen und Zünder. Am Terrorgruppen in Europa sind die materiellen 26. September 2005 erklärte die internationale Grundlagen weitgehend entzogen. Entwaffnungskommission die IRA für entwaff- Die Neuen Roten Brigaden in Italien wurden net. durch erneute Festnahmen weiter geschwächt. Die IRA geriet seit 2004 durch ihre kriminel- Die ETA in Spanien ist trotz Fahndungserfol- len Aktivitäten in Verruf. Die IRA finanzierte gen und zahlreichen Verhaftungen durch die fran-

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und Sicherheit. Eine Kehrtwende der IRA dürfte vor allem auf Druck der Sympathisanten und Geldgeber aus den USA und Irland sowie durch die internationale politische Ächtung der Sinn Fein erfolgen.

MÖGLICHE ENTWICKLUNG Kein Ende der Gewalt Verfügen Organisationen – wie zum Beispiel die ETA – nach wie vor über personell und logis- Anschlag mit Autobombe. Am 25. Juni 2005 tisch intakte Strukturen, so sind gezielte Angriffe explodierte eine Autobombe auf einem Parkplatz auf öffentliche Einrichtungen weiterhin wahr- des olympischen Peineta Stadions in Madrid. Es gab scheinlich. Angesichts abnehmender finanzieller keine Verletzten; im Namen der ETA war zuvor eine Mittel sind eine Intensivierung erpresserischer

telefonische Warnung erfolgt. FOTO KEYSTONE Kampagnen und Anschläge auch auf private Unternehmen wahrscheinlich. Erklären sich Or- ganisationen – wie die IRA – zu einem endgülti- zösische und spanische Polizei nicht zerschlagen. gen Gewaltverzicht bereit, so können dennoch Trotz mehrmals verkündetem Verzicht, stehen Splittergruppen weitere Gewaltakte verüben – einige ETA-Aktivisten nicht von Gewalt ab, vielleicht unter politischem Vorwand, aber letzt- obwohl die ETA anstrebt, die Unabhängigkeit lich aus kriminellen Motiven. des Baskenlandes auf dem Verhandlungsweg zu Schliesslich ist es möglich, dass geschwächte erreichen. Terrorzellen versuchen werden, ihre Lücken In Nordirland sind die kriminellen Aktivitä- durch Zusammenarbeit mit Gruppierungen zu ten der bewaffneten Gruppen füllen, die ihnen ideologisch nahe stehen. Dies Kriminelle Aktivitäten auf katholischer und protes- wäre im Falle der Neuen Roten Brigaden denk- der bewaffneten Gruppen tantischer Seite ein Haupthin- bar, die den Schulterschluss mit italienischen und in Nordirland. dernis auf dem Weg zu Frieden ausländischen Anarchisten suchen könnten.

2.7. Ethnisch-albanische Gruppen

LAGE schwer mit Kompromissen zufrieden geben. Ser- biens Regierung hat ihre Vorstellungen zur Lö- Status des Kosovo sung des Konfliktes vorgelegt. Serbien und Mon- Die Verhandlungen über den künftigen Status tenegro will über alles ausser einer vollständigen des Kosovo und ihr Ausgang haben einen wich- Unabhängigkeit des Kosovo verhandeln und tigen Einfluss auf die Stabilität in der Region. beharrt auf der Unantastbarkeit seiner Grenzen; Gewaltsame Zwischenfälle Pristina akzeptiert dies nicht und beharrt auf der Lage insgesamt relativ ruhig. gab es im Vorfeld der Ver- bedingungslosen Unabhängigkeit des Kosovo. handlungen; die Lage blieb Falls der kosovo-albanischen Bevölkerung aber insgesamt relativ ruhig. Nebst der Klärung keine klaren Perspektiven geboten werden,könn- der Statusfrage könnten andere wichtige Ent- ten Extremisten Auftrieb erhalten, welche die scheide wie das Referendum über die Unabhän- Unabhängigkeit notfalls auch mit Waffengewalt gigkeit Montenegros das Konfliktpotenzial in der durchsetzen wollen. Im Kosovo gibt es eine Viel- Region weiter erhöhen. zahl unterschiedlicher Gruppen: Das Spektrum Die kosovo-albanische Bevölkerung wünscht reicht von Bewegungen, die gewaltfrei die sofor- die baldige Unabhängigkeit und wird sich nur tige Unabhängigkeit des Kosovo ohne Verhand-

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lungen fordern und sich dabei auf das Selbst- BEURTEILUNG bestimmungsrecht der Völker berufen, bis hin zu militanten Gruppen, welche die Vereinigung aller Südosteuropäischer Extremismus albanischen Siedlungsgebiete mit Albanien ver- Die Entwicklung auf politischer Ebene wird langen. Daneben gibt es die Nachfolgeorganisa- das Verhalten der gewaltextremistischen Grup- tionen der UÇK wie die Kriegsveteranenvereine pen ethnischer Albaner massgeblich bestimmen. oder das Kosovo Schutzkorps. Als paramilitäri- Neben diesen sind im Kosovo auch serbische sche Gruppen könnten sie ihren Interessen mit Gruppen aktiv. Diese könnten mit Unterstützung Gewalt Nachdruck verleihen. aus Belgrad versucht sein, den Unabhängigkeits- prozess zu stören oder bei einer allfälligen Unab- hängigkeit des Kosovo den jungen Staat zu desta- Situation in der Schweiz bilisieren. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Spannun- gen im Kosovo einen direkten Einfluss auf das Verhalten der Diaspora haben MÖGLICHE ENTWICKLUNG Lage im Kosovo hat direkten und den Aktivitäten extremis- Einfluss auf das Verhalten tischer Gruppen in die Hände Keine direkte Bedrohung der Diaspora. spielen. Allerdings verhielten Aufgrund der starren Positionen Belgrads sich sowohl die ethnisch-alba- und Pristinas ist nur durch starken Druck der nische wie die serbische Gemeinschaft in der internationalen Staatengemeinschaft mit raschen Schweiz während der Unruhen im März 2004 sehr Resultaten zu rechnen. Eine Blockade der Ver- zurückhaltend. handlungen und der Ausbruch von Gewalt sind Die insgesamt relativ ruhige Lage im Kosovo möglich. Die Schweiz müsste erklärt zum einen, weshalb sich in der Schweiz im Falle von Gewaltausbrü- Ausbruch von Gewalt in vertretene Gruppen gegenwärtig ruhig und chen zumindest kurzfristig mit Südosteuropa ist möglich. zurückhaltend verhalten; 2005 fielen in der erhöhter Einwanderung aus Schweiz keine gewaltextremistischen ethnisch- der Region rechnen.Gewaltextremistische Grup- albanischen Gruppen auf. Zum andern erweisen pen ethnischer Albaner könnten logistische oder sich die seit 2003 getroffenen Administrativmass- politische Aktivitäten wie Waffenschmuggel und nahmen wie etwa Fernhaltemassnahmen gegen Geldbeschaffung respektive Demonstrationen Führungspersonen als wirkungsvoll. aufnehmen. Eine direkte Bedrohung der inneren Sicherheit der Schweiz ist auch dann als gering einzustufen.

2.8. Kurdische und türkische Gruppen

LAGE Westtürkei durchzuführen;im Frühjahr und Som- mer wurden in mehreren Städten Bombenatten- Attentate und Entführungen tate mit Toten und Verletzten der PKK in der Türkei verübt. Mit Çeçme, Kuçadası, In mehreren Städten Seit April 2005 benutzt die Kongra-Gel wie- Antalya und Istanbul wurden Bombenattentate mit Toten der vermehrt ihren alten Namen Kurdische Ar- Tourismuszentren zu Zielen. und Verletzten. beiterpartei (PKK). Sowohl die Strukturen wie 2005 entführte die PKK in der auch die Ziele der Gruppierung sind jedoch gleich Türkei wieder Menschen.Schweizer Bürgerinnen geblieben. In der Türkei kam es seit der Aufhe- und Bürger waren nicht betroffen. bung des einseitigen Waffenstillstands durch die PKK im Juni 2004 immer wieder zu Kämpfen mit Sicherheitskräften. Am 17. April 2005 drohte die Ruhe in Westeuropa PKK, Anschläge gegen Wirtschaftseinrichtungen In Westeuropa war die Lage ruhig. Die hier le- in türkischen Grossstädten und in Städten der benden Kurden veranstalteten zwar Demonstra-

BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ 37 BERICHT 2005 2. GEWALTTÄTIGER EXTREMISMUS UND TERRORISMUS

tionen und andere Aktionen, mit denen sie vor auf das Ausland angewiesen, weshalb Anschläge allem auf die Lage in der Türkei aufmerksam oder Gewaltaktionen in Westeuropa zwar mög- machen wollten. Die Aktionen wie etwa zum Jah- lich, aber unwahrscheinlich sind. restag des Friedens von 1923 in Lausanne oder der Die Mehrheit der kurdischen Bevölkerung Verhaftung Öcalans verlaufen in der Regel fried- steht nicht hinter der PKK. Sie wünscht sich eine lich und gewaltfrei. Es gibt bis anhin keine Anzei- friedliche Lösung, befürwortet die Aufnahme der chen, dass sich Aktivisten der PKK in der Schweiz Türkei in die EU und erhofft sich Verbesserungen am bewaffneten Kampf beteiligen. Das Gewalt- von den geplanten Reformen. potenzial der PKK gegen aussen und für interne Gegen eine Verbindung mit Europa sind hin- Auseinandersetzungen aufgrund der Spaltung im gegen die türkischen Islamistengruppierungen Vorjahr ist jedoch weiterhin vorhanden. wie die IBDA-C. Antiwestliches und antisemi- tisches Propagandamaterial, das von ihnen in Türkische extremistische Umlauf gebracht wird, birgt ein Hass- und Ge- waltpotenzial in sich, das zu einer Bedrohung der und islamistische Gruppierungen inneren Sicherheit auch der Schweiz werden Die verschiedenen linksextremen türkischen könnte. Die Islamisten missbrauchen für ihre Gruppen zeigen sich seit Jahren nur noch zu be- Zwecke die Netzwerke mystischer Gruppierun- stimmten Anlässen. Weder sie noch ihr Pendant gen, die über weit reichende Verbindungen in auf der rechtsextremen Seite, die Grauen Wölfe, der Türkei und ihrer Diaspora verfügen. traten 2005 in der Schweiz gewalttätig auf. Dage- gen nahm die Bedeutung türkisch-islamistischer Gruppierungen in den letzten zwei Jahren zu. Ei- MÖGLICHE ENTWICKLUNG nige dieser Gruppen unterhalten Verbindungen zur global agierenden Dschihadbewegung. In der Kurdische und türkische Gruppen Schweiz sind vor allem die Türkische Hizbullah Hinsichtlich gewaltextremistischer kurdi- und die Stürmerfront des Grossen Islamischen scher und türkischer Gruppen gibt es keine An- Ostens (IBDA-C) bekannt. zeichen, dass sich die ruhige Lage in der Schweiz ver- Konflikt in der Türkei schlechtern wird. Im Gegen- wird sich voraussichtlich IBDA-C teil ist mit weiteren Verbesse- entspannen. In Liechtenstein wurden im Dezember 2005 rungen zu rechnen, da die drei türkische Staatsbürger festgenommen, die Türkei im Zuge der Integrationsbemühungen in beschuldigt werden, die IBDA-C finanziell und die EU zahlreiche Anstrengungen unternimmt, logistisch unterstützt zu ha- ihre innerstaatlichen Konflikte zu lösen. Verhaftungen ben. Die IBDA-C hat in der in Liechtenstein. Türkei bereits mehrere An- Islamistische Gruppen schläge verübt, unter anderem bekannte sie sich zu den Selbstmordanschlägen in aus der Türkei Istanbul vom November 2003. Die in Liechten- Die Entwicklung der islamistischen Strömun- stein festgenommenen IBDA-C-Exponenten fre- gen in der Türkei hängt ebenfalls davon ab, wie quentierten eine Moschee in Buchs (St. Gallen), der Prozess der Annäherung an die EU weiter standen sonst jedoch in keiner Verbindung zu verläuft. Einerseits könnte eine weitere An- Personen in der Schweiz. näherung dazu führen, dass sich die antiwest- Im Mai 2005 wurde in der Moschee in Buchs lichen Positionen dieser Strömungen festigen. eine Hausdurchsuchung durchgeführt, bei der Andererseits könnten diese potenzielle Mitglie- extremistisches Material beschlagnahmt wurde. der verlieren, wenn gemässigte islamische Orga- nisationen wie mystische Bruderschaften, die heute in der streng laizistischen Türkei verboten BEURTEILUNG sind, infolge der EU-Integration wieder zugelas- sen und so aus der Illegalität geführt würden, die Aktuell keine Bedrohung eine Radikalisierung fördert. Kurdische und türkische gewaltextremisti- sche Gruppen bedrohen aktuell die innere Si- cherheit der Schweiz nicht. Die PKK ist logistisch

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2.9. Tamilischer Gewaltextremismus

LAGE LTTE-Leuten, doch fehlen bislang konkrete Hin- weise, dass Spendengelder auch in die Kriegskas- Gefährdeter Friedensprozess se der LTTE flossen. Die Lage auf Sri Lanka blieb kritisch und Bei Grossanlässen in der Schweiz waren je- hat sich seit der Ermordung des sri-lankischen weils deutlich die Fahnen mit dem Tiger-Abbild Aussenministers im August 2005 sowie nach der und LTTE-Embleme zu erkennen.Am 18.August Wahl des neuen Präsidenten im November 2005 fanden sich fünfhundert Tamilinnen und Tamilen noch weiter angespannt. Die 2002 vereinbarte auf dem Bundesplatz in Bern zu einer bewilligten Waffenruhe wurde 2005 mehrmals verletzt; die Kundgebung ein. Neben grossen Schrifttafeln mit Kämpfe nahmen im Norden und Osten des Lan- der Aufforderung zur Wiederaufnahme von Frie- des merklich zu.Laut dem UNO-Kinderhilfswerk densverhandlungen in Sri Lanka wurde auch das Unicef verschleppten tamilische Rebellen nach Portrait von LTTE-Führer Velupillai Prabhaka- der Tsunami-Katastrophe zahlreiche Kinder aus ran und Tiger-Fahnen mitgeführt. Der Bundesrat Flüchtlingslagern und rekrutierten sie als Solda- wurde aufgefordert, sich für eine Lösung des ten. Todesopfer forderten auch die nicht nach- Konflikts auf Sri Lanka einzusetzen. lassenden Auseinandersetzungen unter rivalisie- Der traditionelle Anlass zum Heroes-Day, renden Gruppen der Liberation Tigers of Tamil der am 27. November 2005 in Freiburg statt- Eelam (LTTE). fand, verlief wie in den vorangegangenen Jahren Die EU liess am 26. September 2005 verlau- störungsfrei. Wie üblich wur- ten, sie ziehe in Betracht, die LTTE formal als de die LTTE-Fahne gehisst. Nachlassende Bereitschaft terroristische Organisation einzustufen, und In der Eröffnungsansprache der Tamilen zur friedlichen vereinbarte, die Mitgliedsländer dürften keine wurde zu Geldspenden für Konfliktlösung. Delegationen der LTTE und mit ihr verbundener den Kampf auf Sri Lanka auf- Organisationen mehr empfangen. gerufen. Die Rede veranschaulichte zudem die zusehends mangelnde Bereitschaft der Tamilen, den Konflikt auf Sri Lanka auf friedlichem Weg Aktivitäten in der Schweiz zu lösen. Die LTTE führt nach wie vor Geldsammlun- gen durch. Die Spendengelder werden jedoch diskreter eingezogen als früher. Es gibt Hinweise BEURTEILUNG auf Gewalt gegen säumige Zahler. Ein Teil der Gelder dürfte durch tamilische Unternehmen Entwicklung auf Sri Lanka über asiatische Finanzzentren massgebend Hinweise auf Gewalt nach Sri Lanka transferiert Norwegen bemüht sich, den Friedensprozess gegen säumige Zahler bei werden. Seit Mitte des Jahres auf Sri Lanka weiterzuführen. Die Regierung und Geldsammlungen. 2005 führte die LTTE in der die tamilischen Rebellen zeigten sich immerhin Schweiz mittels eines Frage- zu Gesprächen bereit. Das Verhalten und die bogens eine Datenerhebung unter den Tamilen Aktivitäten der tamilischen Bevölkerung in der durch. Ziel der Befragung war offenbar die Ver- Schweiz bleiben von den LTTE beeinflusst und stärkung der Geldsammlung. Als Gegenleistung hängen weitgehend von der Entwicklung auf Sri wurde den an der Befragung teilnehmenden Lanka ab. Im Februar 2006 fanden in Genf unter Tamilen eine Identitätskarte der LTTE in Aus- der Vermittlung Norwegens Gespräche zwischen sicht gestellt. Der Fragebogen wurde der Straf- der sri-lankischen Regierung und der LTTE statt. verfolgungsbehörde übergeben, die prüft, ob dem Die Parteien einigten sich darauf, das Waffenstill- Verhalten der LTTE strafrechtliche Relevanz standsabkommen einzuhalten und alle Massnah- beizumessen ist. men zu ergreifen, um jegliche Gewalttaten, Ein- Nach der Tsunami-Katastrophe vom 26. De- schüchterungen, Entführungen und Tötungen zu zember 2004 sammelte die Tamil Rehabilitations vermeiden. Organisation (TRO) in der Schweiz Geld. Es gibt Hinweise auf Kontakte zwischen TRO- und

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MÖGLICHE ENTWICKLUNG Organisationen in Europa eingeschränkt werden. Im Rahmen von Sanktionen der UNO respektive Internationale Massnahmen der EU wäre die Schweiz gehalten, diese mitzu- gegen die LTTE tragen und Gelder einzelner Organisationen zu Durch die Aufnahme der LTTE auf die EU- blockieren. Die Verhandlungen der sri-lanki- Liste der Terrororganisationen könnten die Akti- schen Regierung und der LTTE in Genf haben vitäten, darunter auch Geldsammlungen, der wahrscheinlich keine direkten Auswirkungen auf LTTE, ihrer Exponenten und ihr verbundener die Sicherheitslage in der Schweiz.

2.10. Terrorismus- und Extremismusfinanzierung

LAGE soll, die der Al Qaïda nahe stehen, wurde an das Eidgenössische Untersuchungsrichteramt Weltweit wenig Urteile überwiesen. Die Eindämmung von Geldflüssen an terro- ristische Organisationen und Gruppierungen ist ein Bestandteil der internationalen Terrorismus- BEURTEILUNG bekämpfung. Es hat sich aber gezeigt, dass sich die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung Konsequenzen aus der in der strafrechtlichen Praxis aufgrund der kom- Mikrofinanzierung plexen Beweisführung und der internationalen Die Bekämpfung der Terrorismusfinanzie- Bezüge sehr schwierig gestaltet.Es gibt denn auch rung verspricht nur Erfolg, wenn sie sich auf weltweit erst wenige Urteile im Zusammenhang verschiedene Säulen stützt. Präventive Elemente mit Terrorismusfinanzierung. wie Sorgfaltspflichten der Finanzintermediäre und Sensibilisierungskampagnen bei Nichtregie- rungsorganisationen müssen mit administrativen Wichtige Verfahren 2005 Massnahmen wie Kontosperren sowie nachrich- ● In den USA verurteilte ein Gericht einen tendienstlichen und strafrechtlichen Mitteln Geistlichen aus dem Jemen wegen Terroris- kombiniert werden. musfinanzierung zu einer Haftstrafe von 75 Weiterhin ist aber ein Trend zur Mikrofinan- Jahren. Er soll sowohl das Netzwerk der Al zierung zu beobachten, bei der sich kleine Netz- Qaïda wie auch die palästinensische Hamas werke oft über kriminelle Aktivitäten selber mit mehreren Millionen Dollar finanziell finanzieren und sich so prä- unterstützt haben. ventiven und administrativen Mikrofinanzierung ● In Schweden wurden zwei Iraker zu mehrjäh- Abwehrmassnahmen entzie- schwer zu erkennen. rigen Haftstrafen verurteilt, weil sie unter an- hen. Eine detaillierte Unter- derem mit mehreren tausend Euro ein Selbst- suchung zu den Anschlägen in Madrid vom mordattentat im Irak mitfinanziert haben sol- 11. März 2004 beziffert die Kosten inklusive aller len. Zudem unterstützten sie die terroristische logistischen Ausgaben auf 93’000 Euro.Dieser Be- Organisation Ansar al-Islam im Irak finanziell. tragsetzt sich aus den vielen kleinen Ausgaben zu- ● In der Schweiz wurde das Verfahren gegen die sammen, die einzeln kaum als Terrorismusfinan- Finanzgesellschaft Nada Management Orga- zierung zu erkennen sind. In solchen Fällen ver- nization (ehemals Al Taqwa) eingestellt. sprechen nur ausgezeichnete nachrichtendienst- ● Der Fall eines saudi-arabischen Geschäfts- liche und polizeiliche Kenntnisse des Milieus, in mannes, der als ehemaliger Vorsitzender der der sich die Zellen bewegen, Aussicht auf Erfolg. Muwafaq-Wohltätigkeitsstiftung Gelder an Erschwerend kommt dazu, dass internatio- Personen über die Schweiz verschoben haben nale Geldüberweisungen in kleineren Stückelun-

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gen auch über das so genannte Underground MÖGLICHE ENTWICKLUNG Banking oder Hawala abgewickelt werden kön- Stärkung der Nachrichtendienste nen. Da die an solchen Überweisungen betei- ligten Personen schwer zu identifizieren sind, ist und der Polizei es beinahe unmöglich, die Geldflüsse nachzu- In der Schweiz ist nicht nur der Finanzplatz vollziehen. potenziell gefährdet, für Terrorismusfinanzie- rung missbraucht zu werden. Es könnten auch lo- gistische Unterstützerzellen besonders aus dem islamistischen Milieu in der Mikrofinanzierung aktiv werden. Das Abwehrsystem muss daher nicht nur in präventiver und administrativer Hin- sicht, sondern auch auf der nachrichtendienst- lichen und polizeilichen Ebene genügend ausge- baut sein, um solche Aktivitäten zu verhindern.

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3. Verbotener Nachrichtendienst BERICHT 2005 3.VERBOTENER NACHRICHTENDIENST

LAGE Gezielte Spionageangriffe Sensitive Informationen Im Jahr 2005 fanden via Internet verschiede- aus Wissenschaft und Wirtschaft ne gezielte Spionageangriffe mit so genannten Trojanischen Pferden gegen Computersysteme Ausländische Nachrichtendienste interessier- von Unternehmen und staatlichen Einrichtungen ten sich 2005 für sensitive Informationen aus Wirt- statt. Es erfolgten spezialisierte Angriffe auf schaft, Forschung und Technik, aber auch aus ein bestimmtes Opfer mit spezifisch für diesen Militär und Politik. Im Brennpunkt der Abwehr- Zweck entwickelter Spionagesoftware. Infolge anstrengungen standen immer mehr die Nachrich- der gezielten Verbreitung blieb der Schädling tenbeschaffungen der Nachrichtendienste eines den Herstellern von Antiviren-Software unbe- asiatischen Staates. Diese Dienste agierten meist kannt, so dass er über längere Zeit unerkannt ein- unter dem Schutz diplomatischer Immunität. gesetzt werden konnte. Wie in anderen Ländern Europas war auch Bei den bekannt gewordenen Fällen wurden in der Schweiz ein markanter Anstieg des diplo- jeweils raffinierte Social-Engineering-Methoden matischen Personals dieses Staates und ein deut- angewandt, um Schädlinge in einem System zu licher Anstieg von Delegationen mit Wissen- installieren. Dazu war vorgängig gezielte Recher- schafts- und Wirtschaftsspezialisten aus diesem che nötig. So wurden zum Beispiel Mitarbeiter, Land festzustellen. Zur Informationsbeschaffung die vertrauliche Daten bearbeiteten, direkt kon- bedienten sie sich neben klassischen nachrichten- taktiert. Diese Mitarbeiter erhielten auf ihre dienstlichen Methoden auch der systematischen persönlichen Interessen zuge- Auswertung offener Quellen. schnittene E-Mails, die Links Spionagefall mit elektroni- Klassische nachrichten- Sie versuchten über Studenten auf präparierte Internetseiten schen Mitteln zieht Kreise bis an Universitäten, Geschäfts- dienstliche Methoden und oder Dokumente enthielten. leute, pensionierte Manager in den Raum Zürich. systematische Auswertung Ein Spionagefall gegen Unter- oder Wissenschafter, Beamte offener Quellen. nehmen in Israel zog seine Kreise bis zu einer in europäischen Sicherheits- Firma im Raum Zürich, wo dasselbe Programm organisationen, Jointventures sowie Beteiligun- für eine privat motivierte Spionage eingesetzt gen an oder Übernahmen von kleineren und mitt- wurde. leren Unternehmen an Informationen zu gelan- gen, die für sie von besonderem Interesse sind.

BEURTEILUNG Ausforschung der Emigration Angehörige ausländischer Nachrichtendiens- Konsequenzen aus Ausforschung te unter diplomatischer Tarnung forschten in der Nach Feststellungen von fedpol (DAP) halten Schweiz ansässige ausländische oppositionelle in der Schweiz nachrichtendienstliche Aktivitä- Gruppen aus. In einem Fall zitierte das Eidgenös- ten unvermindert an; die Ziele der Informations- sische Departement für Auswärtige Angelegen- beschaffung blieben die gleichen. Eine Zunahme heiten (EDA) den Geschäftsträger des betreffen- kann beim politischen Nachrichtendienst ver- den Landes in Bern und protestierte gegen die zeichnet werden. wiederholte Ausforschung der Opposition durch Die aktuellen Fälle der Ausforschung von Angehörige seiner Botschaft in Bern. Emigranten belegen, dass bei Kundgebungen, Im März 2005 fand in Bern die diesjährige die sich gegen Zustände in einem anderen zentrale Kundgebung der Tibeter in der Schweiz Land richten, mit nachrichtendienstlichen Hand- zum Gedenken an den Volksaufstand statt. An lungen durch fremde Staaten gerechnet werden dieser Kundgebung beteiligten sich über vierhun- muss. Eine strafrechtliche Verfolgung wegen dert Personen ausschliesslich tibetischer Her- verbotenen politischen Nach- kunft. Dabei wurde die Polizei auf zwei Personen richtendiensts (Artikel 272 Strafrechtliche Verfolgung aufmerksam, welche die Kundgebung überwach- StGB) wird durch den diplo- durch diplomatischen Status ten und die Teilnehmer ausforschten. Bei der po- matischen Status der mut- der mutmasslichen Täter lizeilichen Kontrolle gab sich einer der beiden masslichen Täter erschwert. erschwert. Männer als Botschaftsfunktionär in Bern zu Für die ausgeforschten Perso- erkennen und verliess, unter Hinweis auf seine nen können diese Handlungen Konsequenzen diplomatische Immunität, den Kundgebungsort. nach sich ziehen, sei es bei einer allfälligen Rück-

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reise in die Heimat, sei es für ihre dort lebenden Familienangehörigen.

MÖGLICHE ENTWICKLUNG Schweiz für ausländische Nachrichtendienste von Bedeutung Rückstände in Forschung und Entwicklung begründen auch weiterhin das Interesse an Informationen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Technik. Die Schweiz als Sitz internationaler Organisationen, als wichtiger Handelsplatz und Standort vieler Unternehmen der Spitzentechno- Ausforschung oppositioneller Emigranten. logie sowie als Finanzzentrum wird für Nachrich- Das Bild stammt aus einem von der Polizei beschlag- tendienste von grosser Bedeutung bleiben. nahmten Video. FOTO POLIZEI Es muss auch vermehrt mit der Ausforschung ausländischer oppositioneller Gruppen bezie- hungsweise nachrichtendienstlichen Aktivitäten im Sinne des Artikels 272 StGB gerechnet wer- den. ■

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4. Proliferation BERICHT 2005 4.PROLIFERATION

LAGE Auf pakistanischer Ausrüstung konnten Spu- ren von im Iran entdecktem hochangereichertem Erfolge und Scheitern Uran nachgewiesen werden. Diese Ausrüstung internationaler Bemühungen war unter bisher ungeklärten Umständen auf dem Erfolge sind im weltweiten Kampf gegen die Umweg über das Netzwerk Dr. Abdul Qadeer Proliferation selten. Erwähnenswert sind die Khans auf dem Schwarzmarkt verkauft worden. Annahme der Internationalen Konvention zur Ausserdem testete der Iran im Mai 2005 eine Verhinderung von nuklearem Terrorismus durch Rakete mit über zweitausend Kilometern Reich- die UN-Vollversammlung im April 2005 und die weite. Revision des Übereinkommens über den physi- schen Schutz von Kernmaterial im Juli 2005. Zwei wichtige Versammlungen scheiterten aber. Nordkorea Im Mai gingen die Teilnehmer einer Konferenz Gespräche zwischen Nord- und Südkorea,den zum Atomwaffensperrvertrag auseinander, ohne USA, China, Russland und Japan sollen die im einen Konsens für ein substanzielles Abschlussdo- Oktober 2002 entstandene Krise um das nord- kument gefunden zu haben. Im anlässlich des Gip- koreanische Nuklearprogramm beseitigen. Im feltreffens im September 2005 verabschiedeten Januar 2005 erklärte sich Pjöngjang bereit, die Kompromiss zur Reform der UNO werden Abrüs- seit November 2004 verweigerten Sechs-Par- tung und Nonproliferation nicht einmal erwähnt. teien-Gespräche fortzusetzen, gab aber im Feb- Im Oktober wurde der Internationalen Atom- ruar den Besitz von Atomwaffen zu und widerrief energiebehörde (IAEA) und ihrem kurz zuvor seine Verhandlungsbereitschaft. Die IAEA be- wieder gewählten Direktor, dem Ägypter Mo- stätigte im Mai, Nordkorea verfüge über das hammed El Baradei, für ihren Kampf gegen die nötige Know-how und über genügend Plutonium, Proliferation von Atomwaffen der Friedens- um mindestens sechs bis acht Atombomben her- nobelpreis zuerkannt. Ende Oktober 2005 nahm stellen zu können. Gleichzeitig behaupteten die El Baradei anlässlich der Präsentation des IAEA- USA,das Land plane einen unterirdischen Atom- Jahresberichts eine offensi- test, was Pjöngjang aber dementierte. Schliesslich Installation eines globalen vere Haltung ein. Er sprach wurden im Juli, September und November die Sicherheitssystems. sich für die Installation eines Gespräche fortgesetzt. Im September führten die globalen Sicherheitssystems Sechs-Parteien-Gespräche zur Annahme einer aus, das mit dem Ziel, die Proliferation zu gemeinsamen Erklärung. Nordkorea sagte zu, bremsen, den Zugang zu sensiblen Technologien auf alle Nuklearprogramme zu verzichten sowie sperren soll. so schnell als möglich dem Atomwaffensperr- vertrag und dem Garantiesystem der IAEA wie- der beizutreten. Im Gegenzug Das Atomprogramm Irans bestätigten die USA, nicht die Hoffnung Nordkoreas Während des gesamten Jahres 2005 wurden Absicht zu hegen, Nordkorea auf zivile Nutzung der die Verhandlungen zwischen dem Iran und den anzugreifen, und akzeptierten Atomenergie. drei europäischen Ländern Frankreich, Deutsch- zusammen mit ihren vier Part- land und Grossbritannien fortgesetzt. Der Iran nern, zu gegebener Zeit über ein ziviles Atom- hält seit je an seinem unveräusserlichen Recht programm Nordkoreas zu diskutieren. Die ver- auf zivile Nutzung der Nuklearenergie fest. Seit schiedenen Parteien konnten sich bisher aber Januar künden die USA an, kein Mittel aus- nicht auf einen Plan verständigen, der die Umset- zuschliessen, um den Fall Iran zu lösen. Im Au- zung der gemeinsamen Erklärung erlaubte. Die gust scheiterten die Verhandlungen mit den drei im Dezember auferlegten US-amerikanischen europäischen Ländern, und der Iran nahm seine Sanktionen gegen mehrere mit der Regierung in Aktivitäten in der Uranumwandlungsanlage in Pjöngjang verbundene Firmen, die im Drogen- Isfahan wieder auf. Diese Tätigkeiten hatte er handel, in der Geldwäscherei und im Schmuggel im November 2004 freiwillig eingestellt. Der von US-Dollar wie auch in der Proliferation von Konfrontationskurs Teherans erlaubte es Ende Raketen und Massenvernichtungswaffen tätig September der IAEA, eine europäische Reso- sind, machen die rasche Wiederaufnahme der lution anzunehmen, welche die Aktivitäten Irans Verhandlungen unwahrscheinlich. im Atombereich verurteilt und es ermöglicht, den Der pakistanische Präsident Musharraf liess Fall an den UNO-Sicherheitsrat weiterzuziehen. überdies im August verlauten, das Khan-Netz-

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werk habe die nordkoreanischen Zentrifugen lung, gab, bleibt das Interesse dschihadistischer geliefert. Damit bestätigte sich offiziell der Ver- Terroristen an solchen Waffen bestehen. In den dacht, das Khan-Netzwerk habe bei der Beschaf- westlichen Ländern wurden Präventionsmass- fung von Nukleartechnologie sowohl den Iran wie nahmen ergriffen und gross angelegte Übungen auch Nordkorea beliefert. abgehalten. Auch wenn nicht wie Ende des Jah- res 2001 Furcht vor Anthrax aufkam, erhielten doch Botschaften in Dänemark, Australien und Andere Länder Malaysia verdächtige Briefe. Wenn auch in geringerem Ausmass, so beun- ruhigten doch auch die drei Atommächte Israel, Indien und Pakistan, die den Atomwaffensperr- Situation in der Schweiz vertrag nicht unterzeichnet haben, die interna- fedpol (DAP) klärte 2004 präventiv Schwei- tionale Gemeinschaft. Indien und Pakistan führ- zer Verwicklungen ins Khan-Netzwerk ab, be- ten ihre Raketentests weiter, aber auch ihren sonders hinsichtlich Exporte zugunsten des liby- Dialog, gerade was die gegenseitige Information schen Nuklearprogramms. Im Oktober 2004 er- über solche Tests betrifft. Zwischen Indien, den öffnete die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungs- USA, Grossbritannien, Frankreich und Kanada verfahren wegen Verdachts der Widerhandlun- laufen Zusammenarbeitsprojekte im Nuklear- gen gegen das Güterkontrollgesetz (GKG) und sektor. das Kriegsmaterialgesetz (KMG). Die Ermitt- Syrien versuchte trotz Tests mit Scud-Ra- lungen dauerten 2005 an und keten, sich möglichst bedeckt zu halten und führten 2004 respektive 2005 Fortsetzung der Verfahren beteuerte, keine Massenvernichtungswaffen zu zur Verhaftung dreier Mitglie- im Fall Khan. besitzen. Libyen steht seit dem Ausstieg aus sei- der einer Familie. Ähnliche nen Programmen für Massenvernichtungswaffen Verfahren gegen Personen des Khan-Netzwerks nicht mehr im internationalen Rampenlicht. Der sind in mehreren Ländern im Gang, so etwa in Schlussbericht der Survey Group, des ame- Deutschland, Grossbritannien, den Niederlan- rikanischen Inspektionsteams für die irakische den, Südafrika, der Türkei, Spanien und Japan. In Bewaffnung, hat endgültig gezeigt, dass der Irak den Niederlanden erfolgte im Dezember 2005 nicht über Massenvernichtungswaffen verfügt erstmals eine Verurteilung. Ein niederländischer und dass es vor dem Einmarsch im März 2003 Geschäftsmann, den eine langjährige Freund- keine Waffenverschiebungen nach Syrien gege- schaft mit Khan verband, wurde zu einer zwölf- ben hatte. monatigen Haftstrafe, davon acht Monate be- Die USA kündeten im Oktober an, die Arbei- dingt, und einer hohen Geldbusse verurteilt. Er ten an einem Programm zur Herstellung kleiner, hatte zwischen 1999 und 2002 unerlaubt militä- Bunker brechender Nuklearwaffen auszusetzen. risch und zivil verwendbare Nukleartechnologie Ferner setzten sie gemeinsam mit Russland die nach Pakistan exportiert. Abrüstung chemischer und Im Oktober 2005 reichte das Staatssekretariat Zur Abrüstung der aner- nuklearer Waffen fort. Ziel ist für Wirtschaft (seco) bei der Bundesanwaltschaft kannten Atommächte fehlt es,dass beide Länder Ende des eine weitere Anzeige wegen Verdachts der der entscheidende Schritt. Jahres 2012 nicht über mehr Widerhandlungen gegen das GKG und KMG ein. als 2’200 nukleare Gefechts- Es geht dabei um ein Schweizer Unternehmen, köpfe verfügen. Obwohl sich bei den fünf aner- das mehrfach nicht bewilligungspflichtige Güter kannten Atommächten, USA, Russland, China, an heikle Empfänger in ein mittelöstliches Land Grossbritannien und Frankreich, Bestrebungen exportierte oder zu exportieren versuchte, ohne erkennen lassen, fehlt zur vollständigen Abrü- dies dem seco zu melden. Die stung der entscheidende Schritt. Empfänger waren als Beschaf- Mutmassliche Proliferation fungsorgane des Raketenpro- zugunsten eines gramms dieses Landes be- mittelöstlichen Landes. Schmutzige Bomben und kannt. Als zum Beispiel im Sommer 2003 dem Unternehmen die Ablehnung Bioterrorismus einer dem seco gemeldeten Ausfuhr eröffnet Auch wenn es bis heute keinen Anschlag mit wurde, lieferte es nur wenige Tage danach die be- einer so genannten schmutzigen Bombe, also mit troffenen Güter in mehreren Etappen trotzdem einem Sprengkörper mit radioaktiver Ummante- an einen anderen proliferationsrelevanten Emp-

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fänger.Im Januar 2005 wollte dasselbe Unterneh- ren und selbst die Furcht vor dem Umgang mit men heikle Produkte an einen weiteren fedpol giftigen Stoffen überwinden. Ausserdem müssen (DAP) bekannten Empfänger liefern. Als das sie geeignete Orte finden, ihre Produktions- seco zusätzliche Angaben zum Empfänger ver- methoden perfektionieren und wirksame Mittel langte, stoppte das Unternehmen den Fortgang auftreiben, um das verwendete Produkt zu ver- des Geschäfts. Dagegen meldete es im April er- breiten. neut eine Ausfuhr zugunsten eines anderen Emp- fängers, welche das seco aber ablehnte. Unveränderte Attraktivität von Schweizer Technik

BEURTEILUNG Schweizerprodukte bleiben Qualitätswaren. Die Proliferationsstaaten ziehen es weiterhin vor, Risiko neuer Atommächte einen hohen Preis zu bezahlen,als dass sie sich mit Falls der Iran oder Nordkorea sich als neue qualitativ tiefer stehender und billigerer Ware Atommächte etablieren, ist es wahrscheinlich, begnügten, selbst wenn diese einfacher zu be- dass dies bei ihren direkten Nachbarländern schaffen wäre. Deshalb werden die Schweizer einen Nachahmungseffekt auslöst. Saudi-Ara- Exportkontrollen im Einklang mit internationa- bien,Ägypten,Syrien und die Türkei könnten sich len Vereinbarungen weiterhin strikt angewandt. unter Berufung auf dieselben Sicherheitsargu- mente zum nuklearen Abenteuer verlocken las- sen. Japan, Südkorea und Taiwan könnten ein MÖGLICHE ENTWICKLUNG ähnliches Militärprogramm starten, weil sie über die nötigen technischen Mittel verfügen. Bedrohungen bleiben bestehen Die mit der Exportkontrolle betrauten Be- Terroranschläge mit hörden müssen gegenüber dem Erfindungsreich- tum von Beschaffungsorganen aufmerksam blei- unkonventionellen Waffen ben, die zugunsten der Proliferationsstaaten han- Die Terrorbedrohung, die von der Verwen- deln. Diese entwickeln ihre mittlerweile bekann- dung einer schmutzigen Bombe, der Freisetzung ten Methoden weiter, was rasche und wirkungs- von Giftgas oder der Verwendung eines virulen- volle Antworten erfordert. ten biologischen Stoffes ausgeht, bleibt aktuell. Die Vorstellung eines so genannten totalen Möglichkeit von Anschlägen Dschihad unter Verwendung mit nicht konventionellen Waffen Interesse der Terroristen von Massenvernichtungswaf- bleibt real vorhanden. fen wird in manchen Extre- mistenkreisen aufrecht erhal- Die Frage nach dem Bioterrorismus und der ten. Attentatspläne mit Rizin, einem tödlichen schmutzigen Bombe stellt sich allein hinsichtlich Nervengift, wurden bereits vor Jahren in Europa der realen Möglichkeiten mancher Terrorgrup- aufgedeckt. Die Wirkungsmacht konventioneller pen. Auch wenn es 2005 keine solchen Angriffe Attentate bedeutet nicht, dass kein Interesse der gab,so muss in Zukunft die Möglichkeit eines An- Terroristen an anderen Mitteln bestünde. Im griffs mit radioaktiven, chemischen oder biologi- Gegenteil scheint es, als sei ein Attentat mit schen Mitteln gegen westliche Symbole oder ge- kleinen unkonventionellen Waffen nur eine gen die Bevölkerung westlich orientierter Länder Frage der Zeit. Gegenwärtig verhindern haupt- ins Bedrohungsbild mit aufgenommen werden. In sächlich technische Schwierigkeiten die Umset- allen betroffenen Ländern bleiben die Behörden zung. So müssen sich allfällige Attentäter Zugang deswegen wachsam. zum Material verschaffen, Spezialisten rekrutie-

50 BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ BERICHT 2005

5. Organisierte Kriminalität

5.1. Kriminelle Gruppen aus Italien 52

5.2. Kriminelle Gruppen aus Südosteuropa 53

5.3. Kriminelle Gruppen aus der GUS 54

5.4. Chinesische organisierte Kriminalität 55

5.5. Westafrikanische Netzwerkkriminalität 56

5.6. Betäubungsmittel 57

5.7. Menschenschmuggel 59

5.8. Menschenhandel 61 BERICHT 2005 5. ORGANISIERTE KRIMINALITÄT

5.1. Kriminelle Gruppen aus Italien

LAGE BEURTEILUNG Internationale Lage Situation in der Schweiz Die fünf grossen mafiösen kriminellen Orga- Gemäss polizeilicher Erkenntnis ist die nisationen stammen aus dem Süden Italiens, die ’Ndrangheta auf Schweizer Boden in eine ganze Cosa Nostra aus Sizilien, die Stidda aus Südsizi- Reihe von Aktivitäten verwickelt, besonders in lien, die ’Ndrangheta aus Kalabrien, die Camorra den Kokain- und Waffenhan- aus Kampanien und schliesslich die Sacra Corona del, Geldwäscherei und Be- Kalabrische Clans investie- Unita aus Apulien. Ihre Präsenz in einem grossen trug. Sie zeigt auch ein immer ren ins Baugewerbe, in Teil Italiens und in über vierzig Ländern ist belegt. deutlicheres Interesse für ein- Immobilien und Restaurants. Diese Organisationen müssen einerseits als zelne Sektoren der legalen Wirtschaftsunternehmen verstanden werden, Wirtschaft. Kalabrische Clans investieren in deren primäres Ziel die Kapitalakkumulation ist. Immobilien, Restaurants und hauptsächlich ins Mafiöse Organisationen greifen hierzu regel- Baugewerbe, einer Vorliebe der ’Ndrangheta in mässig auch zu illegalen Ma- Süditalien. Die ’Ndrangheta ist besonders in den Kapitalakkumulation und chenschaften. Es ist anderer- Schweizer Grenzkantonen aktiv. Kontrolle über ein Gebiet seits aber auch notwendig, sie Die Cosa Nostra ist gemäss polizeilicher Er- als Ziele. als politische Gruppierungen kenntnis auf Schweizer Boden im Drogenhandel zu begreifen, deren Zweck die und in der Geldwäscherei tätig. Das gewaschene Herrschaft und Kontrolle über ein Gebiet ist. Geld stammt aus dem Betäubungsmittelhandel, Dieser Zweck soll ebenfalls mit Einschüchterung, der zwischen Lateinamerika und Europa betrie- Drohung und Mord, erpressten Leistungen und ben wird. Die Camorra wiederum ist in der Wucher sowie über die Infiltration politischer, Schweiz mit Betrug, Geldwäscherei und Schmug- administrativer und ökonomischer Einrichtun- gel verschiedener Güter, besonders gefälschter gen erreicht werden. Textilprodukte, vertreten. Schliesslich schmuggelt Seit 2004 kosteten blutige Auseinanderset- die Sacra Corona Unita wie einige Clans der Ca- zungen zwischen den Angehörigen des Di-Lauro- morra mit Schweizer Bürgern und in der Schweiz Clans und den so genannten Sezessionisten in niedergelassenen Landsleuten Zigaretten und Neapel über 130 Menschen das Leben. Interna- handelt mit Waffen und Betäubungsmitteln. Ein tional wurde die Camorra durch diese Morde zur Netz von in der Schweiz domizilierten Firmen sichtbarsten mafiösen Organisation Italiens. Die dient einerseits dem Einkauf und Transport der italienischen Behörden konnten zwar im Septem- Zigaretten und andererseits der Geldwäscherei. ber 2005 den Clanchef Paolo Di Lauro verhaften, Was die Stidda angeht, so liegen fedpol nur wenige die Morde gingen jedoch weiter. Erkenntnisse über eine Präsenz in der Schweiz vor. Trotz einiger sichtbarer Aktionen wie der Ermordung des kalabrischen Vizepräsidenten im Oktober 2005 fällt die ’Ndrangheta weniger auf. MÖGLICHE ENTWICKLUNG Wie 2004 blieb sie aber die gefährlichste und mächtigste italienische kriminelle Organisation. Wirtschaftliche Interessen Sie ist schwer zu infiltrieren, hält sich streng an in der Schweiz das Gesetz des Schweigens, und ihre Familien- Im Gegensatz zu Süditalien beschränken sich struktur verhindert,dass es allzu viele so genannte die Bestrebungen der italienischen kriminellen Reuige gibt, die der Justiz helfen. Während der Organisationen hierzulande hauptsächlich auf die letzten 15 Jahre hat sie sich auf dem Kokainmarkt Wirtschaft. Zwar wurden Einschüchterungsver- etabliert und handelt direkt mit Repräsentanten suche gegenüber Einzelpersonen beobachtet, die kolumbianischer Kartelle. mutmasslich Verbindungen zu italienischen Ma- fiaorganisationen unterhalten, doch aufgrund ihrer schwachen Intensität wäre es zu früh, dahin- ter Ambitionen zur Herrschaft über ein Gebiet zu vermuten. Darüber hinaus konnte fedpol Erpres- sung und Wucher gegenüber der in der Schweiz etablierten italienischen Gemeinschaft feststellen.

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5.2. Kriminelle Gruppen aus Südosteuropa

LAGE dieser Beziehungen ist zum gegenwärtigen Zeit- punkt schwer abzuschätzen. Es bestätigte sich Lage in Südosteuropa 2005 erneut, dass das politisch-kriminelle Ge- Die seit Jahren beobachtete Entwicklung in flecht um Milosevic und seine Getreuen weiter Südosteuropa hielt unvermindert an: Die orga- über Einfluss verfügt. Verbindungen zwischen nisierte Kriminalität profitierte auch 2005 von Personen des politischen Lebens und der orga- schwacher beziehungsweise fehlender Rechts- nisierten Kriminalität ist auch staatlichkeit in vielen Staaten der Region und in Zukunft eine besondere Be- Allgegenwärtige Korruption förderte ihrerseits durch systematische Unter- deutung beizumessen. Darü- in Serbien. wanderung die Instabilität und Schwäche dieser ber hinaus erschwerte die all- Staaten. Ein Teufelskreis, der nur schwer zu gegenwärtige Korruption in Serbien den Kampf durchbrechen ist. Die Mass- gegen die organisierte Kriminalität. Dies illus- Nur schwer zu durch- nahmen der Regierungen zur trieren zum Beispiel die Verhaftungen eines Rich- brechender Teufelskreis. Bekämpfung der organisier- ters des Obersten Gerichts Serbiens sowie des ten Kriminalität erweisen sich Stellvertretenden Sonderstaatsanwalts für vielfach als wirkungslos. So haben sich die wirt- organisiertes Verbrechen wegen Korruptionsver- schaftliche Entwicklung und die demokratische dachts. Konsolidierung in Albanien, Bosnien und Herze- gowina, Mazedonien sowie in Serbien und Mon- tenegro mitsamt dem Kosovo weiter verlangsamt. Situation in der Schweiz Kriminelle Gruppen aus der Region, be- Kriminelle Gruppen sonders aus Mazedonien, Albanien und dem Kosovo spielten in der Kriminalitätsentwicklung ethnisch-albanischer Herkunft in der Schweiz unverändert eine bedeutende Speziell im Kosovo profitierte die organisier- Rolle. Der sich seit etwa zwei bis drei Jahren te Kriminalität von der offenen Statusfrage und abzeichnende Trend, dass die Bedeutung serbi- der unter anderem daraus resultierenden Schwä- scher Gruppen zunimmt, hielt che rechtsstaatlicher Strukturen.Führende krimi- unvermindert an. Dies zeigte Bedeutung südost- nelle Akteure bekleiden zwar häufig kein poli- sich im illegalen Betäubungs- europäischer krimineller tisches Amt, stehen aber an der Spitze eines mittelhandel vor allem mit Gruppierungen flexiblen Beziehungsgeflechts von Personen in Kokain. Die Gruppen waren unverändert. offizieller Funktion. Davon nicht ausgenommen aber auch in Geldwäscherei sind die Polizei, Sicherheitsfirmen, paramilitä- involviert, im Menschenhandel und -schmuggel rische Gebilde, Parteien und Medien. Durch die tätig und begingen Delikte in den Bereichen Ei- zunehmende Kontrolle der Infrastruktur stärken gentum, Zuhälterei und Schutzgelderpressung. sie ihren Einfluss auf Politik und Gesellschaft.Die Einbrüche und Diebstähle, etwa die grosse An- ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen und zahl von Serieneinbrüchen serbischer Banden in die teilweise fehlende Gegenwehr durch staat- Bijouterien,bildeten ein weiteres Schwergewicht. liche oder internationale Institutionen gaben Spielt bei den kriminellen Gruppen ethnischer ihnen oft freie Hand für kriminelle Aktivitäten. Albaner die Familienzugehörigkeit eine bedeu- tende Rolle, so wird diese bei den serbischen Kriminelle Gruppen kriminellen Gruppen durch das Gewicht eines gemeinsamen Herkunftsorts überlagert. In eini- serbischer Herkunft gen Bereichen wie im Drogenhandel war die Der serbischen organisierten Kriminalität Schweiz 2005 Endmarkt,während sie bei anderen kam 2005 aufgrund ihrer Struktur, ihres Organi- Delikten,etwa im Bereich illegale Migration auch sationsgrads und Beziehungsnetzes eine nicht zu Transitland war. unterschätzende Bedeutung zu. Die kriminellen Die Aktivitäten krimineller Gruppen ethni- Gruppen besitzen oft aus der Zeit des Milosevic- scher Albaner haben sich nicht entscheidend Regimes stammende direkte Kontakte zu politi- verändert. Deren Netzwerke dominierten den ge- schen Behörden und Institutionen. Der Umfang samten Schweizer Heroinmarkt und versuchten,

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ihre kriminellen Aktivitäten weiter zu diversifi- Kriminalität erreicht in der Schweiz noch nicht zieren. So wurde neben Heroin und Kokain auch die Dichte und den Einfluss krimineller Gruppen mit synthetischen Drogen gehandelt. Darüber ethnischer Albaner, verfügt jedoch über erheb- hinaus versuchten die Gruppen, im lukrativen liches Entwicklungspotenzial. Rotlichtmilieu weitere Marktanteile zu gewin- Die ethnisch-albanischen wie Kriminelle Gruppen anpas- nen. die serbischen kriminellen sungsfähig gegenüber poli- Hinweise lassen darauf schliessen, dass ihr Gruppen sind auch gegenüber zeilichen Einsatztaktiken. Einfluss im Menschenschmuggel und etwas ein- polizeilichen Einsatztaktiken geschränkter im Menschenhandel weiter zuneh- anpassungsfähig. Die Ermittlungsarbeit ist wegen men dürfte. Südosteuropa ist eine der wichtigsten der teils sehr guten Organisation und der Ab- Transitregionen beim Menschenschmuggel nach schottung der Tätergruppen sehr schwierig. Straf- Westeuropa. Dabei spielen albanische Schleu- vollzug und Ausweisung krimineller Ausländer serorganisationen eine bedeutende Rolle. Durch schwächen die kriminellen Gruppen kaum, weil den Drogenhandel sind die ethnisch-albanischen die einzelnen Mitglieder ersetzt werden können. kriminellen Gruppen bereits exzellent transna- tional vernetzt und können so von ihren Erfah- rungen und Kontakten profitieren. MÖGLICHE ENTWICKLUNG Langfristige Besserung

BEURTEILUNG Erst langfristig, mit der Stärkung der staat- lichen Strukturen und der Verbesserung der wirt- Lage in Südosteuropa schaftlichen Lage in den jeweiligen Ländern der Die kriminellen Gruppen aus Südosteuropa Region, wird die Zerschlagung krimineller Grup- sind flexible, anpassungsfähige Netzwerke mit pen möglich sein. Die Integration des Westbal- internationalen Verbindungen. Sie beruhen auf kans in die euro-atlantischen Strukturen könnte familiären – besonders stark bei ethnisch-albani- für ein erfolgreiches Eindämmen der organisier- schen Gruppen – oder auf geografischen Bindun- ten Kriminalität wichtig sein. Somit werden die gen wie bei den serbischen Gruppen. serbischen und ethnisch-albanischen Gruppen Die Überlagerung verschiedener krimineller aus den Übergangs- und Aufbauprozessen in der Aktivitäten ist typisch für alle Formen der mo- Region Nutzen ziehen können und es verstehen, dernen transnationalen und globalisierten Krimi- sich wechselnden Situationen anzupassen. Kurz- nalität. Die kriminellen Gruppierungen sind auf und mittelfristig ist bei einer allfälligen Unabhän- Gewinnmaximierung ausgerichtet und reagieren gigkeit des Kosovo oder allenfalls Montenegros rasch auf Veränderungen der illegalen Märkte. mit einer Zunahme der Aktivitäten krimineller Gruppen, besonders im Kosovo, zu rechnen. Mittelfristig kann kaum mit einem Rückgang der Auswirkungen für die Schweiz Aktivitäten krimineller Akteure aus dem süd- Die Netze südosteuropäischer Kriminalität osteuropäischen Raum in der Schweiz gerechnet ziehen sich über grosse Teile des westlichen werden. Europas, auch über die Schweiz. Die serbische

5.3. Kriminelle Gruppen aus der GUS

LAGE Die Regierungswechsel in der Ukraine und in Kir- gisien führten nicht zur Beruhigung der Krimina- Weit verbreitete Korruption litätslage. In Russland war die Korruption gemäss In vielen Staaten der Gemeinschaft Unabhän- verschiedenen Studien so hoch wie nie zuvor. giger Staaten (GUS) war Kriminalität und Kor- Nach Einschätzung des russischen Innen- ruption im Jahr 2005 immer noch allgegenwärtig. ministeriums sind kriminelle Organisationen in

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Russland zu den wichtigsten Ressorts der Wirt- aus dem Kaukasus, erbeuteten durch Diebstahl schaft und Industrie vorgedrungen und kontrol- und Einbruch grosse Waren- lieren ungefähr fünfhundert Unternehmen. mengen, die sie dann auf Diebstahl grosser Waren- dem osteuropäischen Markt mengen durch kriminelle Legalisierung illegaler Einkünfte absetzten.Der hohe Organisa- Banden. tionsgrad dieser Banden lässt in der Schweiz darauf schliessen, dass hier kriminelle Organisa- Die Schweiz wurde bisher von kriminellen Or- tionen im Hintergrund stehen. ganisationen aus der GUS vor allem zur Lega- In Deutschland und Österreich sind tsche- lisierung und Anlage krimineller Einkünfte ge- tschenische kriminelle Banden ein Problem. Sie nutzt. Rohstoffgeschäfte zum Beispiel bieten traten zum Teil äusserst gewalttätig auf oder führ- zahlreiche Möglichkeiten zur Verschleierung von ten in Asylzentren heftige Auseinandersetzungen Geldströmen, zum Abschluss fiktiver Geschäfte mit Angehörigen anderer Ethnien.In der Schweiz und zur Anlage krimineller Gelder in der sind Tschetschenen bislang nicht durch eine Schweiz. Die Schweiz ist einer der bedeutendsten markante Kriminalität aufgefallen. Ölhandelsplätze der Welt: Allein in Genf wird nahezu ein Viertel der Welt- Rohstoffgeschäfte in produktion gehandelt. Auch BEURTEILUNG eigenem Namen fallen in viele russische Öl- und Roh- Ernste Bedrohung der Schweiz nicht unter das stoffhandelsfirmen sind in Geldwäschereigesetz. der Schweiz und profitieren durch kriminelle Organisationen von der niedrigen Holdingbe- Kriminelle Kreise aus der GUS verfügen in steuerung, von guten Kreditbedingungen der der Schweiz über ein wohl organisiertes Netz- Banken und wohl auch von der Tatsache, dass werk: Es ist wahrscheinlich, dass Schweizer An- Rohstoffgeschäfte in eigenem Namen nicht unter wälte und Treuhänder an den illegalen Geschäf- das Geldwäschereigesetz fallen. ten beteiligt sind. Es bestehen auch Kontakte zu Schweizer Wirtschaftsvertretern und Amtsperso- Geldwäschereiermittlungen nen, wie auch zu russischen Nachrichtendiensten. Kriminelle Organisationen der GUS blieben gegen drei Russen 2005 eine ernste Bedrohung für die Wirtschaft, Bei Geldwäschereiermittlungen gegen drei die rechtsstaatlichen Institutionen sowie für den Russen im Wallis konnten im Juni zwei verhaftet Finanzplatz der Schweiz. werden. Aus den Ermittlungen geht hervor, dass die im Wallis investierten Gelder zum Teil beim Bau einer Moskauer Umfahrungsstrasse Ende MÖGLICHE ENTWICKLUNG der Neunzigerjahre abgezweigt worden waren. Bedrohung wird bestehen bleiben Kriminelle Organisationen haben vor allem in Bandenkriminalität in der Schweiz Russland an Einfluss gewonnen. Es muss davon Aktuell bleibt das Phänomen der Bandenkri- ausgegangen werden, dass die Schweiz weiterhin minalität: Asylsuchende aus der GUS, vor allem mit Geldwäscherei und Investition krimineller Gelder aus der GUS konfrontiert bleiben wird.

5.4. Chinesische organisierte Kriminalität

LAGE tätig, vorwiegend in Menschenschmuggel und Menschenhandel, Schutzgelderpressung, Fäl- Weltweit grosse Deliktspalette schungen aller Art, Kreditkartenbetrug, Drogen- Chinesische kriminelle Gruppierungen waren und Waffenhandel,illegale Kreditgeschäfte,Pros- 2005 weltweit in verschiedenen Deliktsbereichen titution und illegales Glücksspiel. In der Schweiz

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waren ethnische Chinesen aus verschiedenen asi- Hauptgrund dafür sein, dass kaum Fälle vor atischen Ländern unter anderem im Menschen- Gericht kommen. Andere Gründe dafür sind die schmuggel und als Drahtzie- Professionalität, die Durchmischung legaler und Menschenschmuggel und her von international organi- illegaler Aktivitäten,die aufgrund internationaler Kreditkartenbetrügereien sierten Kreditkartenbetrüge- Erfahrung wahrscheinliche Infiltration wichtiger in der Schweiz. reien tätig. Dabei spielte die Stellen durch Vertrauensbildung sowie mangeln- Schweiz weiterhin vor allem de Kenntnisse über asiatische Kriminalität auf als Transit- und nicht als Zielland chinesischer Seiten der Behörden. Migranten eine Rolle. Anpassungsfähigkeit und Schleusungen grosses Potenzial Die grossen und in Europa zentral gelegenen Die illegale chinesische Emigration ist welt- Schweizer Flughäfen dienten nach wie vor als weit ausserordentlich gut organisiert. Illegal Transitpunkte für Schleusungen. Nachdem aber reisende chinesische Migranten müssen in aller am Flughafen Zürich Schlepper chinesischer Regel die Dienste von Schlepperorganisationen Migranten festgenommen wurden, wählten die nutzen, geraten dadurch in finanzielle Abhängig- Schlepper vermehrt andere Routen. Schleusun- keit und verpflichten sich, die Kosten mit gen von Chinesen auf dem Landweg scheinen in Schwarzarbeit, Prostitution oder der Teilnahme der Schweiz eher selten vorgekommen zu sein. an illegalen Aktivitäten abzuarbeiten. Die Seit aber die Schweiz offizielle Tourismusdestina- Schlepperorganisationen verfügen über erheb- tion Chinas geworden ist und somit chinesische liche finanzielle und logistische Mittel und sind Reisegruppen ohne staatliche Ausreisegenehmi- technisch bestens ausgerüstet. Sie reagieren rasch gung die Schweiz bereisen dürfen, wurden ver- auf polizeiliche Massnahmen und arbeiten je län- schiedene Missbräuche durch solche legal einrei- ger, desto weniger in ethnisch homogenen und senden Reisegruppen festgestellt. abgegrenzten Netzen.

BEURTEILUNG MÖGLICHE ENTWICKLUNG Herausforderung für die Unbemerkte Etablierung Schweizer Strafverfolgung Die Schweiz ist kein klassisches Zielland für Unter anderem weil chinesische organisierte chinesische Migranten. Nach der Erfahrung Kriminalität international in weit verzweigten anderer westeuropäischer Länder spielt sich die Netzwerken organisiert ist, chinesische Migration aber sehr diskret ab und Kaum bewältigbares nehmen die Fälle fast immer wird somit lange Zeit kaum wahrgenommen.Sehr Ausmass einzelner Fälle. ein für die Schweizer Strafver- spät bemerkt, entstanden etwa in Frankreich und folgungsbehörden kaum zu Italien Schattenwirtschaften, und chinesische bewältigendes Ausmass an.Dies dürfte neben den kriminelle Organisationen etablierten sich. einfachen Zurückweisungen an der Grenze der

5.5. Westafrikanische Netzwerkkriminalität

LAGE ligt. In der Schweiz dominierten sie den Klein- handel mit Kokain und waren Weltweite Aktivitäten an Betrugsdelikten,besonders Drogenhandel, Betrugs- Westafrikanische kriminelle Gruppierungen an Vorschussbetrügereien be- delikte, Menschenhandel und waren 2005 weltweit aktiv und hauptsächlich an teiligt. Das aus Südamerika Dokumentenfälschungen. Drogenhandel, Betrugsdelikten, Menschenhan- stammende Kokain gelangte del und Dokumentenfälschungen aller Art betei- vorwiegend über Holland und die Iberische Halb-

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insel in die Schweiz. Auch Südafrika spielte in sprachlichen und kulturellen Unterschiede grosse diesem Zusammenhang eine immer wichtigere Hindernisse dar, und die wahre Identität bleibt in Rolle, sei es als Transitland oder auch als Her- aller Regel unbekannt. Vermehrt treffen Polizei- kunftsland der meist weissen Drogenkuriere. kräfte in diesem Zusammenhang auch auf sich Die Drahtzieher im Kokainhandel sind meist illegal in der Schweiz aufhaltende Personen,meist nigerianischer Herkunft, sie kommen aber auch abgewiesene Asylbewerber. aus anderen Ländern wie beispielsweise Ghana Erfolgreiche Aktionen in einigen Kantonen oder Guinea. Sie sind in der Regel durch Ein- haben dazu geführt, dass der Drogenhandel an heirat in der Schweiz etabliert. Die Schweizer verschiedenen Orten von der Strasse wegge- Botschaft in ist jährlich mit einer grossen drängt wurde. Der Kleinhandel hat sich dadurch Anzahl Fälle mutmasslich missbräuchlicher bi- teilweise verlagert und spielt sich vermehrt im nationaler Eheschlüsse konfrontiert. Versteckten ab, zum Beispiel in angemieteten Wohnungen.

BEURTEILUNG MÖGLICHE ENTWICKLUNG Gut etablierte kriminelle Gruppen Westafrikanische kriminelle Gruppierungen Rasche Anpassungsfähigkeit sind in der Schweiz bereits gut etabliert. Die Die unternehmerische Ausrichtung und die Merkmale westafrikanischer organisierter Krimi- bekannte Flexibilität der westafrikanischen kri- nalität sind ausgesprochene Professionalität, glo- minellen Gruppierungen lässt sie immer neue, bal angelegte, netzwerkartige den Massnahmen der Strafverfolgungsbehörden, Schwierige und aufwändige Strukturen, Innovation, Fle- aber auch den veränderten Marktbedingungen Strafverfolgung. xibilität und Opportunismus. angepasste Geschäftsformen entwickeln. So wur- Die Strafverfolgung gestaltet den in der Schweiz zum Beispiel bereits einzelne sich meist schwierig und aufwändig: Die nötigen Fälle bekannt, in denen Vertreter westafrikani- kantonalen Ressourcen können nicht immer scher krimineller Gruppierungen Heroin und aufgebracht werden. So stellen unter anderem die Ecstasy handelten.

5.6. Betäubungsmittel

LAGE 2005 aktiv: Afrikaner, Dominikaner, Europäer unter anderem südosteuropäischer Herkunft, Heroin Südamerikaner, Libanesen, Im Heroinmarkt sind kaum Veränderungen Schweizer und Türken. West- Der Kokainmarkt zu beobachten. Kriminelle Gruppen ethnischer afrikanische Netzwerke be- entwickelt sich ständig. Albaner und türkische Händler beherrschten ihn herrschten nach wie vor den 2005 weiterhin; auch serbische Händler waren Kleinhandel. Die Niederlande und die Iberische hier aktiv. Die Balkanroute spielte immer noch Halbinsel blieben die Haupteinfallstore für das eine Hauptrolle beim Import des Heroins in die nach Europa drängende Kokain. Schweiz. Die türkischen Händler führten das Die an der Schweizer Grenze beschlagnahm- Heroin per Kilogramm direkt aus der Türkei ten Mengen reichten von einigen hundert oder aber via Deutschland, die Niederlande oder Gramm bis zu mehreren Dutzend Kilogramm. Belgien ein. Westafrikanische Netzwerke, dominikanische und libanesische Händler waren im Kokain- schmuggel mit Ziel Schweiz am aktivsten. Die Kokain libanesischen Händler importierten Kokain aus Der Kokainmarkt entwickelt sich ständig; Südamerika häufig mit europäischen Kurieren. Händler mehrerer Nationalitäten waren hier Grossangelegte Ermittlungen des Landeskrimi-

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sumenten, die sich in den grossen Städten oder in den Niederlanden eindecken und im abend- lichen Ausgang den Stoff in kleinen Mengen weiterverkaufen. Mehrere Fälle belegen aber, dass auch ein solcher Handel nicht vernachlässig- bare Mengen umsetzt. 2005 fanden die bedeu- tendsten Beschlagnahmungen synthetischer Dro- gen, besonders Amphetamine, statt. Involviert waren junge Händler, meist Schweizer, die ver- schiedene Substanzen verkauften – Marihuana oder Haschisch, Amphetamine, in kleineren Mengen andere synthetische Drogen wie Ecstasy Sichergestelltes Kokain. Am Flughafen Zürich oder Gammahydroxybutyrat (GHB), aber auch konnten 5,5 Kilogramm Kokain, versteckt in ausge- Kokain. höhlten Maniokwurzeln, sichergestellt werden. Der Markt für synthetische Drogen bietet

FOTO GWK aber auch kriminellen Gruppen Gewinnmöglich- keiten. Die Lausanner Stadtpolizei deckte ein Netz von Ecstasyhändlern aus dem ehemaligen nalamtes Nordrhein-Westfalen führten zur Auf- Jugoslawien auf, das sich mit Tiefstpreisen im deckung einer aus der Bekaa-Ebene stammenden Markt zu etablieren suchte. Schmugglerbande, die seit Mitte der Neunziger- Bisher wurden in der Schweiz nur Labors ent- jahre Kokain in grossen Mengen hauptsächlich deckt, die synthetische Drogen in Kleinmengen nach Deutschland, aber auch in die Schweiz herstellten. Auch 2005 wurde Ecstasy beschlag- schmuggelte. nahmt, das sich auf dem Weg von den Nieder- Die Kokainbeschlagnahmungen im Passagier- landen in andere Länder, besonders Südafrika verkehr auf Flughäfen zeigen, dass der Luftweg und Italien, befand. von Südamerika, der Karibik und Westafrika aus Synthetische Drogen werden hauptsächlich immer noch zu den bevorzugten Routen gehörte. im abendlichen Ausgang und im Technomilieu Grenzüberschreitende Züge aus den Nieder- konsumiert; charakteristisch ist der Konsum in landen und Spanien wurden immer noch zum Kombination mit anderen Substanzen. Vergif- Kokainschmuggel benutzt,aber der Transport mit tungen mit GHB, meist verbunden mit anderen Autos scheint wichtiger geworden zu sein. Die Wirkstoffen,besonders Alkohol,fielen speziell an Zürcher Kantonalpolizei deckte eine Schmugg- der Lake Parade in Genf auf. lerbande auf, die als Handelsunternehmen ge- tarnt Kokain aus Brasilien importierte. Der Fall zeigt, dass Schmuggel im Frachtgut von Bedeu- Cannabisprodukte tung ist, auch wenn Beschlagnahmungen hier sel- Seit etwa fünf Jahren wurden umfangreiche ten blieben. Immerhin konnten die Zürcher Er- kantonale Polizeiaktionen gegen den Anbau und mittler aber 17 Kilogramm Kokain sicherstellen. den Handel von Cannabis und seinen Derivaten Kokain war 2005 in der Öffentlichkeit und im durchgeführt. Diese richteten sich insbesondere abendlichen Ausgang sehr präsent. Die Zahl der gegen grössere Produktionsstätten wie beispiels- Konsumenten wird auf etwa 100’000 geschätzt, weise im Val-de-Travers. Dort konnte einer Per- ein Zehntel von ihnen ist süch- sonengruppe der gewerbs- und bandenmässige Kokain ist in der tig. Gemäss der Studie «Ge- Handel von etwa 200 Kilogramm Drogenhanf Öffentlichkeit sehr präsent. sundheit und Lebensstil 16- bis nachgewiesen werden. Die Haupttäter wurden 20-Jähriger in der Schweiz erstinstanzlich zu je 27 Monaten Gefängnis verur- (2002) – SMASH 2002» hat unter zwanzigjähri- teilt. Als Reaktion auf diese Polizeiaktionen wird gen männlichen Lehrlingen bereits ein Fünftel der Anbau diskreter betrieben und versteckt sich Kokain konsumiert. in ehemaligen Landwirtschafts- und Industriege- bäuden oder in Wohngegen- den. Zudem findet der Ver- Händler handeln zuneh- Synthetische Drogen kauf zunehmend verdeckt in mend mehrere Substanzen. Der Markt für synthetische Drogen ist kaum Geschäften statt, die andere strukturiert. Die Händler sind meist junge Kon- Güter wie zum Beispiel Sportartikel oder Platten

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anbieten. Diese Händler handeln zunehmend mehrere Substanzen wie Cannabisprodukte, syn- thetische Drogen und Kokain. Der Markt für Cannabisprodukte ist lukrativ und zieht deswegen auch kriminelle Organisatio- nen, besonders Gruppen aus Südosteuropa und der Türkei, an. Der Gassenhandel mit Cannabis- produkten existiert weiterhin,hat sich aber wegen der verschärften Strafverfolgung nicht weiter aus- gedehnt. Im Gegenzug zur Eindämmung einheimischer Produktion blüht der Schmuggel wieder auf. So konnten bei Beschlagnahmungen, besonders aus den Niederlanden, Importmengen von mehr als Gammahydroxybutyrat. GHB wird in der Szene dreissig Kilogramm sichergestellt werden. Die auch «Liquid Ecstasy» genannt, ist aber mit diesem

Nachfrage bleibt erheblich. chemisch nicht verwandt. FOTO POLIZEI

BEURTEILUNG MÖGLICHE ENTWICKLUNG Öffentliche Präsenz der Drogen Heroin Trotz des Fehlens offener Szenen im eigent- Seit mehreren Jahren sind die Heroinpreise lichen Sinn bleiben Drogen auf der Gasse und relativ tief. Falls eine andere Konsummethode in der Öffentlichkeit stark präsent. Die Konsu- als die Spritzeninjektion, zum Beispiel das Rau- menten zeigen eine Tendenz zur Einnahme ver- chen, sich durchsetzt, könnte dies neue Konsu- schiedener Substanzen, im Gegenzug bieten die menten auf den Heroinmarkt bringen, der kaum Händler mehrere Wirkstoffe an. Während der Neuzugänge verzeichnet. Eine solche Entwick- Heroinmarkt gut strukturiert ist, sind die anderen lung könnte das seit Jahren zu beobachtende Drogenmärkte offener für Händler unterschied- Schrumpfen des Marktes in Frage stellen. licher Herkunft.

5.7. Menschenschmuggel

LAGE Wie bereits im Vorjahr ging die Zahl der Personen zurück, die bei der illegalen Einreise in Umrisse eines Lagebildes die Schweiz angehalten wurden. Im Jahr 2005 Das genaue Ausmass des Menschenschmug- registrierte das Grenzwachtkorps (GWK) 5’472 gels in die Schweiz lässt sich derzeit nicht bestim- illegale Grenzübertritte und Aufenthalte gegen- men, weil Massnahmen gegen Täter vielfach im über 6’943 im Jahr zuvor. Gegenüber 1’880 im Rahmen des Ausländergesetzes erfolgen und die Vorjahr stellte das GWK 2005 weniger, nämlich Daten durch verschiedene Behörden uneinheit- 1’599 Ausweisfälschungen fest. Die gefälschten lich erfasst werden. Papiere waren von guter bis exzellenter Qualität. Eckwerte für Schleusungsaktivitäten liefern Die Zahl der Asylgesuche sank gegenüber die Aufgriffe illegal einreisender Personen und dem Vorjahr um 29,4 Prozent. von Schleppern an der Grenze. Indirekte Auf- 10’061 Personen suchten um Zahl der Asylgesuche schlüsse geben auch die Asylkennzahlen, da Asyl nach;dies sind 4’187 weni- weiter gesunken. davon ausgegangen werden muss, dass viele Asyl- ger als im Vorjahr. Der Rück- bewerber illegal einreisen. gang der Asylgesuche kann auf die getroffenen Massnahmen, unter anderem den Sozialhilfestopp

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für Personen mit einem Nichteintretensentscheid, verdacht auf. Mehrere registrierte Fälle von die Beschleunigung des Asylverfahrens und die Scheinehen belegen die Betätigung von Schlep- konsequente Vollzugspolitik zurückgeführt wer- perorganisationen in Ehe- und Partnervermitt- den. lungsgeschäften. Für krimi- Weder die Abnahme der vom GWK regis- nelle und terroristische Ak- Verkauf und Verleih echter, trierten illegalen Grenzübertritte und Aufenthal- teure erwiesen sich Ehe- gültiger Papiere war 2005 te noch die rückläufige Zahl der Asylgesuche schliessungen als besonders ein lukratives Geschäft. geben direkten Aufschluss über Schleusungs- vorteilhaft. Nach Erwerb der aktivitäten in und durch die Schweiz. Die rück- Niederlassung ist es kaum und nach Erwerb des läufigen Zahlen bedeuten nicht, dass auch die Schweizer Bürgerrechtes nicht möglich, die be- Schleusungsaktivitäten abgenommen haben. Die treffende Person auszuweisen. Private Sprach- Schleuser verlagern ihre Aktivitäten auf immer und Hotellerieschulen stellten ein zunehmend schwerer an der Grenze festzustellende Beihilfen attraktives Feld für die chinesische Schleusungs- zu illegaler Einreise und illegalem Aufenthalt. kriminalität dar. Die Schlepper profitieren hier davon, dass es nach schweizerischem Recht sehr Organisierte einfach ist, private, nicht öffentlich subventio- nierte Schulen zu eröffnen. Schleusungskriminalität Die Schlepperbanden und ihre Klientel sind multinational zusammengesetzt. Aktivitäten und Wichtige Fälle 2005 Verbindungspersonen wurden 2005 in verschie- ● Schlepper versuchten wiederholt bei Schwei- denen Ländern inner- und ausserhalb der EU zer Auslandsvertretungen mit Bestechung, registriert. Für die organisier- aber auch durch physischen und psychischen Schweiz bis heute vor- te Schleusungskriminalität ist Druck auf das Personal,Visa zu erlangen.Ende wiegend Transitstaat für die Schweiz bis heute vorwie- 2004 und 2005 wurden in Peru, Russland, organisierte Schleusungs- gend Transitstaat, in dem ille- Oman, der Demokratischen Republik Kongo, kriminalität. gale Migranten untertauchen Nigeria sowie Serbien und Montenegro Hun- oder mit einer neuen Identität derte von Visa unrechtmässig ausgestellt. ausgestattet in die EU oder nach Übersee wei- ● Im September wurden bei einem Einbruch in tergeschleust werden. Kantonale und nationale die Schweizer Botschaft in Madrid mehrere Ermittlungen hatten bisher wenig Erfolg. Bis- Dutzend Schweizer Blankopässe und Visafor- lang konnte kein einziges Bundesverfahren mulare gestohlen. wegen organisierter Schleusungskriminalität er- ● Im Kanton Glarus wurde eine Scheinehe zwi- öffnet werden. schen einer Schweizerin und einem Kosovo- Albaner aufgedeckt, der Kommandant der Anpassungsfähigkeit Befreiungsarmee von Presevo, Medveda und Bujanovac war. Die Ehe war 2003 vom da- der Menschenschmuggler mals in der Schweiz lebenden Bruder des Ehe- Menschenschmuggler passen ihre Modi Ope- mannes arrangiert worden. Der Schweizerin, randi den sich ändernden Bestimmungen im einer Sozialhilfeempfängerin, wurden für die Asyl- und Ausländerrecht flexibel an. Sie wählten Eheschliessung Geldbeträge von bis zu 30’000 2005 vielfach Einreiseformen, die den Schein der Franken plus monatliche Zahlungen von 1’999 Legalität wahrten, wie etwa Scheinehen oder die Franken geboten, jedoch nur zum Teil aus- Einreise als Tourist oder Student. Auch Visums- gezahlt. Die Familie des Gatten drohte der befreiungen machen Grenzschleusungen obsolet. Frau zudem mit Gewalt,falls sie die Scheinehe Wo kein Visum verlangt wird und die Einreise auf denunziere. einfachem, legalem Weg erfolgen kann, bedarf es ● Wiederholt reisten Chinesen in Gruppen von der Hilfe eines Schleppers nicht. bis zu mehreren Dutzend Personen mit einem Mit Verkauf und Verleih echter, gültiger Pa- Touristenvisum in die Schweiz ein und tauch- piere verdienten Schlepper 2005 viel Geld. Der ten unter. Vermutlich dient in diesen Fällen Verkauf eines erschlichenen Schweizervisums das Touristenvisum dazu, in die EU, vornehm- brachte bereits dreistellige Summen ein. In meh- lich nach Frankreich oder Grossbritannien, reren offiziellen Schweizer Auslandsvertretun- weiterzureisen und dort schwarz zu arbeiten. gen kam in diesem Zusammenhang Korruptions- Mit dem in den Nachbarstaaten der Schweiz

60 BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ BERICHT 2005 5. ORGANISIERTE KRIMINALITÄT

verzeichneten Anwachsen der chinesischen wirkungen aller Formen des Schmuggels, also Diaspora gewinnt die Schweiz als Transitland auch von Einzeltätern oder Kleingruppen, nicht an Bedeutung. unterschätzt werden. Dies gerade auch, weil enge ● Es wurden zahlreiche Fälle aufgedeckt, in Bezüge zu weiteren kriminellen Aktivitäten denen Studenten privater Hotellerie- und bestehen und der Menschenschmuggel teilweise Sprachschulen für den Erhalt einer Einreise- nur schwer vom Menschenhandel abgegrenzt wer- und Aufenthaltsbewilligung nur zum Schein den kann. eingeschrieben waren. Allein der Kanton Bern registrierte drei Fälle. In einem Fall eröffnete der Schlepper selbst die Schule und MÖGLICHE ENTWICKLUNG täuschte Lehrpläne und Unterricht vor. Er schleuste zwanzig Personen in die Schweiz Transnationales Delikt und kassierte pro Visum mehrere tausend Menschenschmuggel ist ein transnationales Franken. Delikt. Angesichts der weltweiten Entwicklung wird die Schweiz zumindest mittelfristig nicht mit einem Mittelfristig nicht mit BEURTEILUNG Rückgang dieses Kriminali- Rückgang des Menschen- tätsphänomens rechnen kön- schmuggels zu rechnen. Bezüge zu anderen Delikten nen und muss ihre rechtlichen Internationale Organisationen gehen heute und polizeilichen Instrumente entsprechend stär- davon aus, dass Menschenschmuggel und Men- ken. Dazu zählen auch die 2005 beschlossene schenhandel weltweit zu den gewinnträchtigsten Assoziierung der Schweiz zum Schengener Kriminalitätsformen gehören. Abkommen und der Beitritt zu Europol, welche Weltweit eine der gewinn- Enge Bezüge bestehen zu die Bekämpfung des internationalen Menschen- trächtigsten Kriminalitäts- Geldwäscherei und Drogen- schmuggels künftig erleichtern werden. Der formen. handel. Die Schweiz ist von Zugriff der Schweiz auf gesamteuropäische dieser Entwicklung ebenfalls Fahndungs- und Personendatenbanken wird die betroffen. Obwohl auf der Basis der heutigen Ermittlungen gegen die und Strafverfolgung der Informationslage in der Schweiz keine grossen Schleusungskriminalität unterstützen und zu kriminellen Strukturen im Bereich des Men- einer engeren europäischen Zusammenarbeit schenschmuggels erkennbar sind, dürfen die Aus- führen.

5.8. Menschenhandel

LAGE Registriert wurde 2005 eine weltweit zu- nehmende Brutalität in der Ausbeutung der Weltweit alarmierende Zunahme Sexualität und der Arbeitskraft. Die Täter brach- Aufgrund hoher Gewinnmargen bei geringem ten die mit einwandfreien Risiko für die Täter nahm der Menschenhandel Papieren ausgestatteten Op- Weltweit zunehmende weltweit zu. Die Organisation für Sicherheit und fer vermehrt über offizielle Brutalität im Menschen- Zusammenarbeit in Europa schätzt, dass mittler- Grenzübergänge. Eine solche handel. weile der Umsatz des Menschenhandels den des Einreise verringert das Auf- Drogen- und Waffenhandels übertrifft und sich griffsrisiko für Täter und Opfer.Durch die schein- auf jährlich 35 Milliarden US-Dollar beläuft. Die bare Legalität bleibt der Menschenhandel oft Internationale Organisation für Migration (IOM) länger unbemerkt, während die Betroffenen über geht davon aus,dass allein in Europa jährlich über längere Zeit zu Prostitution und Arbeit gezwun- 200’000 Menschen Opfer des Menschenhandels gen werden. werden.

BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ 61 BERICHT 2005 5. ORGANISIERTE KRIMINALITÄT

Situation in der Schweiz in engen Kellerverliesen aufgefunden, andere wurden zum Verkauf von Drogen und zu über- Die weltweite Entwicklung widerspiegelt sich höhten Geldabgaben gezwungen. Vereinzelt in der Schweiz vor allem im Wachstum des Rot- wurde den Frauen massive Gewalt angetan; es lichtmilieus und einer zunehmenden Gewalt- wurden ihnen Verletzungen beigebracht, um sie bereitschaft. Gleichzeitig führten die verstärkten gefügig zu machen. staatlichen Anstrengungen im Wachstum des Rotlicht- Kampf gegen den Menschen- milieus und zuehmende handel zu einer Zunahme der Ausbeutung von Sexualität Gewaltbereitschaft Strafverfahren. Während es und Arbeitskraft 2004 zu zwei Verurteilungen Menschenhandel in der Schweiz spielt sich wegen Menschenhandels gemäss Artikel 196 nach wie vor überwiegend im Rotlichtmilieu ab. StGB kam, ist für 2005 mit einem Mehrfachen Die wichtigsten Tätergruppen davon zu rechnen, was aber erst mit Vorliegen gegen die 2005 Ermittlungs- Menschenhandel in der rechtskräftiger Urteile abschliessend festgestellt und Strafverfahren wegen Schweiz überwiegend im werden kann. In zwei Fällen von schwerem Menschenhandels und Förde- Menschenhandel wurden Freiheitsstrafen von Rotlichtmilieu. rung der Prostitution eröffnet mehreren Monaten bis zu zwei Jahren verhängt. wurden, sowie ihre Opfer, stammen aus Südost- Täter und Opfer stammten in beiden Fällen aus und Osteuropa, der GUS, aus Südamerika und demselben osteuropäischen Staat. Unter den Tä- Asien. Im Trend liegt der Handel mit Frauen und tern fanden sich gleich viele Frauen wie Männer, Transvestiten aus Brasilien. Einschleusung und die Opfer waren ausschliesslich Frauen. Die Op- Platzierung der Opfer erfolgten mit grosser fer waren in ihrer Heimat rekrutiert,mit dem Ver- Professionalität. Im Einzelfall gab es 2005 auch sprechen guter Verdienstmöglichkeiten in die Hinweise auf organisierte Kriminalität; in der Schweiz geschleust und mit physischer und psy- Mehrzahl der Fälle wird jedoch sexuelle Aus- chischer Gewalt zum Teil in mehreren Etablisse- beutung und Menschenhandel in der Schweiz ments zur Prostitution gezwungen worden. weiterhin von Einzeltätern oder kleinen Gruppen In der gesamten Schweiz nahm 2005 die Zahl organisiert. der Prostituierten und einschlägiger Einrichtun- Fälle von Ausbeutung der Arbeitskraft sind gen zu. In Zürich zum Beispiel stieg seit 2003 die marginal und wurden 2005 vor allem bei privaten Zahl der Prostituierten um beinahe zwanzig Haushaltshilfen registriert. In Einzelfällen wur- Prozent; im Kanton Basel Stadt eröffnete 2005 den ausländische Minderjährige sowohl im Rot- im Schnitt alle zwei Wochen ein neues Rotlicht- lichtmilieu wie in der Hauswirtschaft Opfer von lokal. Schweizweit wird der Erlös der Rotlicht- Ausbeutung. branche auf jährlich etwa 3,2 Milliarden Franken geschätzt. Die Zahl der Personen, die Opfer des Men- MÖGLICHE ENTWICKLUNG schenhandels wurden und anschliessend ein Asyl- gesuch stellten, ist bisher verschwindend gering. Zunahme von Menschenhandel wahrscheinlich Die Entwicklungen weltweit und in der BEURTEILUNG Schweiz lassen eine Zunahme des Menschenhan- dels aus Südost- und Osteuropa als wahrschein- Verschiebungen im Rotlichtmilieu lich erscheinen. Wie weit die Assoziierung zu Wachstum und Gewinnsteigerung locken Kri- Schengen und Dublin hier korrigierend eingreift, minelle aus dem In- und Ausland an. Verteilungs- lässt sich aus heutiger Sicht nicht abschliessend kämpfe und die auch in der Öffentlichkeit wahr- beurteilen. Allerdings hat die Entwicklung in nehmbaren Verschiebungen im Markt destabili- den Nachbarstaaten Deutschland und Italien sieren die Branche. Im Kanton Solothurn kam gezeigt, dass Visumsbefreiung nicht zwangsläufig es 2005 zu Schiessereien und Brandstiftung in den Menschenhandel eindämmt. Die Gefahr, an diversen Etablissements. In Zürich wurde eine Menschenhändler zu geraten, ist im Rotlicht- einflussreiche Milieufigur ermordet. In mehre- milieu trotz legaler Einreise und Aufenthalt für ren Fällen wurden Opfer von Menschenhandel Prostituierte gross. ■

62 BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ BERICHT 2005

6. Geldwäscherei und Wirtschafts- kriminalität

6.1. Geldwäscherei 64

6.2. Wirtschaftskriminalität 65

6.3. Korruption 66

6.4. Falschgeld 67 BERICHT 2005 6. GELDWÄSCHEREI UND WIRTSCHAFTSKRIMINALITÄT

6.1. Geldwäscherei

LAGE BEURTEILUNG Zentrale Bedeutung für die Schweiz Abhängigkeit von Rechtshilfe In der internationalen Strafverfolgung und Die repressive Geldwäschereibekämpfung Rechtshilfe bleibt das Delikt der Geldwäscherei fand 2005 in der Schweiz weiterhin unter be- für die Schweiz besonders im Zusammenhang mit sonderen Vorzeichen statt. Drogen- und Wirtschaftsdelikten von zentraler Gerade in komplexen Fällen Repressive Geldwäscherei- Bedeutung. Die Ermittlungsverfahren, die auf wurde die Vortat oft im Aus- bekämpfung findet in der Bundesebene geführt werden, haben mehrheit- land begangen, und es wurde Schweiz unter besonderen lich den Tatbestand der Geldwäscherei zum nur versucht, die Gewinne Vorzeichen statt. Gegenstand. aus dem Verbrechen hier zu platzieren. Die Schweiz war daher in der Be- weisführung in einem eigenen Strafverfahren auf Fall Adamov die Zusammenarbeit mit dem Staat angewiesen, Im Mai 2005 wurde der ehemalige russische in dem die Vortat begangen worden war. Konn- Atomminister Evgenij Adamov auf Ersuchen ten nicht genügend Mittel zum Beweis der Vor- der USA in der Schweiz verhaftet. Die USA tat erhoben werden, scheiterte das Verfahren in werfen ihm vor, in seiner Amtszeit Ende der der Schweiz. Neunzigerjahre neun Millionen Dollar amerika- Zudem wurde eine grössere Anzahl von Fäl- nischer Hilfsgelder veruntreut len auf dem Rechtshilfeweg erledigt oder aus Evgenij Adamov und in den USA gewaschen zu prozesstechnischen Gründen in einigen Fällen an Russland ausgeliefert. haben. Adamov war im März an das Land delegiert,in dem die Vortat begangen 2001 in Russland wegen Kor- worden war. Die Strafurteilsstatistik zeichnet ruption und Abwicklung illegaler Geschäfte aus daher nur ein sehr begrenztes Bild der repressiven dem Amt entlassen worden; eine Strafuntersu- Geldwäschereibekämpfung.Die Schweizer Straf- chung wurde jedoch nicht eröffnet. Nach der verfolgungsbehörden lieferten oft wichtige Bei- Verhaftung Adamovs in der Schweiz und dem träge für die internationale Bekämpfung der Eingang eines Auslieferungsersuchens aus den Geldwäscherei, die sich nicht zwingend in der USA forderte auch Russland seine Auslieferung. Schweizer Urteilsstatistik niederschlagen. Im Dezember entschied das Bundesgericht zu- gunsten des russischen Gesuchs. Er wurde noch im selben Monat ausgeliefert. MÖGLICHE ENTWICKLUNG Pragmatische Lösungen möglich Urteil des Bundesstrafgerichts Der Regulierungsdruck auf den Finanzplatz Im Juni 2005 erging am Bundesstrafgericht Schweiz wird aufgrund der internationalen Ent- das erste Geldwäscherei-Urteil im Zusammen- wicklungen wie der Totalrevision entlang der hang mit den neuen Bundeskompetenzen in vierzig Empfehlungen der Financial Action Task der Strafverfolgung. Ein ehemaliger Schweizer Force und der dritten EU-Richtlinie zur Geld- Botschafter in Luxemburg wurde in erster Instanz wäscherei weiter hoch bleiben. Die Schweiz wird unter anderem wegen gewerbsmässiger Geld- dabei aufgrund der internationalen Bedeutung wäscherei und Veruntreuung zu 42 Monaten des Finanzplatzes zusammen Zuchthaus verurteilt. Er hatte für einen interna- mit anderen Ländern be- Schweiz zusammen mit an- tional tätigen Drogenhändlerring rund 2,4 Millio- sonders im Fokus stehen. Die deren Ländern aufgrund der nen Schweizer Franken unter anderem über sein internationalen Bestimmun- internationalen Bedeutung eigenes Bankkonto gewaschen. Das Urteil ist gen lassen aber sicher Raum des Finanzplatzes im Fokus. noch nicht rechtskräftig. für pragmatische Lösungen. Grundsätzlich gilt, dass die Schweiz weiterhin über ein griffiges Dispositiv zur Geldwäscherei- bekämpfung verfügt und in Einklang mit ein- schlägigen internationalen Standards steht.

64 BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ BERICHT 2004 6. GELDWÄSCHEREI UND WIRTSCHAFTSKRIMINALITÄT

6.2. Wirtschaftskriminalität

LAGE Anlagesystem war angeblich krisensicher und Zahlreiche Fälle renditeträchtig. Die bisherigen Ermittlungen er- härteten den Verdacht, dass Investorengelder von Wirtschaftskriminalität nicht vereinbarungsgemäss verwendet wurden Wie in den vorangehenden Jahren gab es auch und ein beträchtlicher Teil der Anlagen direkt in 2005 zahlreiche Fälle von Wirtschaftskriminalität Form von Provisionen und Vergütungen an die in der Schweiz. Hier zu erwähnen sind zum Bei- Beschuldigten floss. Der Schaden dürfte sich auf spiel Anlagebetrügereien. mehrere hundert Millionen Schweizer Franken belaufen. Schweizer Filiale

einer türkischen Holding BEURTEILUNG In der Schweiz hat die Bundesanwaltschaft 2003 ein Strafverfahren des Kantons Basel Land Langwierige Verfahren übernommen und ein gerichtspolizeiliches Er- Die Verfahren im Bereich Wirtschaftskrimina- mittlungsverfahren wegen Verdachts auf Betrug lität können lang dauern und beachtliche Mittel und Geldwäscherei eingeleitet. Die Untersu- der Polizei und Justiz binden. Dies geht vor allem chung richtet sich gegen fünf Führungskräfte auf die zahlreichen internationalen Rechts- der Schweizer Filiale einer in der Türkei nieder- hilfeersuchen zurück, besonders wenn sie Off- gelassenen Holding. Diese werden verdächtigt, Shore-Finanzzentren wie die Bahamas, British mehrere tausend Personen geschädigt zu haben. Virgin Islands oder Panama betreffen, mit denen In diesem Fall wird europaweit mehreren An- keine Rechtshilfeabkommen bestehen. Zahl- geschuldigten unter anderem vorgeworfen, sich reiche Beweiserhebungen im Ausland müssen auf Kosten mehrerer hunderttausend Mitglieder, auf dem langwierigen Rechtshilfeweg getätigt vorwiegend aus der türkisch-islamischen Diaspo- werden. ra in Europa, hauptsächlich Deutschland, berei- chert zu haben. Diese sollen ihren Opfern angeb- Keine Gefahr für die innere lich mit dem Islam konforme und hohe Gewinne abwerfende Investitionen vor- Sicherheit der Schweiz Gesamtschadensumme in geschlagen haben, die für die Ohne den Ergebnissen der laufenden Ermitt- Europa auf mehrere Milliar- türkische Industrie und zur lungen und den Strafverfahren vorzugreifen, den Euro geschätzt. Schaffung von Arbeitsplätzen kann allgemein festgehalten in der Türkei wichtig seien. werden, dass die Wirtschafts- Sensibilisierung der Die Gesamtschadensumme wird auf mehrere kriminalität für die Schweiz Öffentlichkeit eines der Milliarden Euro geschätzt.In vielen europäischen keine grundsätzliche Bedro- wirksamsten Mittel der Ländern wurden Zivil- und Strafverfahren er- hung der inneren Sicherheit Betrugsbekämpfung öffnet. darstellt. Sie gefährdet gegen- wärtig auch nicht das Funktionieren der legalen Internationales Wirtschaft. Die Sensibilisierung der Öffent- lichkeit für betrügerische Machenschaften bleibt Firmen- und Fondsnetz eines der wirksamsten Mittel der Betrugs- Ende 2004 übernahm die Schweizerische bekämpfung. Bundesanwaltschaft von den Kantonen Basel Stadt und Zürich die Strafverfahren gegen acht Personen und eröffnete ein gerichtspolizeiliches MÖGLICHE ENTWICKLUNG Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Be- truges und der Geldwäscherei.Die Angeschuldig- Betrügereien mit Anlagefonds ten bedienten sich eines komplexen internationa- Aufgrund der möglichen Gewinne wird die len Firmen- und Fondsnetzes,das teilweise in Off- Anzahl Fälle von Betrügereien mit Anlagefonds Shore-Finanzplätzen in der Karibik domiziliert ist in den nächsten Jahren wahrscheinlich nicht auf- und bei den Investoren Vertrauen erweckte. Das hören anzusteigen.

BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ 65 BERICHT 2005 6. GELDWÄSCHEREI UND WIRTSCHAFTSKRIMINALITÄT

Prävention, Wachsamkeit sicht, sodann die Wachsamkeit aller, die geschäft- und Repression liche und finanzielle Verbindungen mit einem Partner, auch aus der eigenen Gemeinschaft, ein- Die effektivsten Bekämpfungsformen von gehen wollen, und schliesslich eine konsequente Betrug werden die öffentliche und private Vor- Strafverfolgung bleiben.

6.3. Korruption

LAGE Korruption arbeiten, werden regelmässig ermun- tert, sich ungerechtfertigte Vorteile zu erkaufen. Das neue Korruptionsstrafrecht Schweizerische Strafverfolgungsbehörden erhal- Aufgrund des seit dem 1. Mai 2000 verschärf- ten durch den Umstand, dass die Tat primär das ten Korruptionsstrafrechts wurden in der Schweiz Ausland betrifft, oft nur zufällig Kenntnis von bis Ende 2004 auf kantonaler Ebene 31 Urteile Verfehlungen. gefällt. Rund zwei Drittel der Verurteilten mach- Die Vorstellung, es handle sich bei der Beste- ten sich der aktiven Bestechung von Schweizer chung ausländischer Amtsträger um eine system- Amtsträgern schuldig. Ein einziges Urteil erging bedingte Notwendigkeit, geht wegen Bestechung eines fremden Amtsträgers. langsam verloren, doch zeigen Korruptionsanfälligkeit Die Schweiz gehört gemäss Transparency Beispiele wie das UNO-Hilfs- auch renommierter inter- International (TI), einer Nichtregierungsorgani- programm «Öl für Lebens- nationaler Unternehmen. sation, die sich für die Einhaltung der interna- mittel» die Korruptionsanfäl- tional gültigen Grundsätze und Regeln im Kampf ligkeit auch renommierter internationaler Unter- gegen die Korruption einsetzt, zu jener Staaten- nehmen. Wie die unabhängige Untersuchungs- gruppe, in der die Korruption kommission aufgedeckt hat, besteht der Ver- Schweiz auch 2005 in von inländischen Amtsträgern dacht, dass 139 der am Ölexport beteiligten Un- der Spitzengruppe der am als marginales Phänomen ternehmen und 2’253 Handelsfirmen dem ira- wenigsten korrupten wahrgenommen wird.Gemäss kischen Regime in einer Zeitspanne von zwei Länder klassiert. Corruption Perceptions Index Jahren so genannte Kickbacks, also geheime von TI war die Schweiz auch Rückzahlungen oder Aufpreise, von insgesamt 2005 in der Spitzengruppe der am wenigsten kor- 1,8 Milliarden Dollar überwiesen haben. Darun- rupten Länder klassiert. Dennoch treten in der ter befinden sich Schweizer Firmen oder in der Schweiz regelmässig Bestechungsfälle auf. Die Schweiz ansässige Unternehmen. Die Schweizer Anschuldigungen gegen EDA-Mitarbeiter, für Justizbehörden werden im Einzelfall prüfen, ob einen Aufpreis illegal Visa ausgestellt zu haben der Straftatbestand der Korruption oder anderer oder Verdächtigungen im Zusammenhang mit Strafnormen erfüllt ist. unter Marktpreisen verkauften Immobilien der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt im Tessin benennen nur einige Fälle, in denen im Privatbestechung Berichtsjahr Verfahren eröffnet wurden. Bei Fällen von Privatbestechung ist der ange- richtete Schaden auf den ersten Blick nicht sicht- Bestechung bar. Opfer im herkömmlichen Sinn gibt es keine. Aufgedeckt werden Privatbestechungen in der ausländischer Amtsträger Regel nur aufgrund von Hinweisen und Anzeigen Besonders schwierig ist die Einschätzung des von Drittpersonen. Zahlreiche Unternehmen ge- durch die Konvention der Organisation für Wirt- ben bei Befragungen an, von Bestechungsvorfäl- schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung len betroffen zu sein,beschliessen aber aus Furcht (OECD) bekämpften und in der Schweiz seit dem vor Reputationsschäden, die Verfehlungen ohne 1. Mai 2000 unter Strafe stehenden Phänomens die Einschaltung der Behörden zu ahnden. der Bestechung ausländischer Amtsträger. Un- ternehmen, die in Ländern mit systematischer

66 BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ BERICHT 2005 6. GELDWÄSCHEREI UND WIRTSCHAFTSKRIMINALITÄT

BEURTEILUNG zu machen und damit die Aufdeckungsrate zu erhöhen. Allein durch die Ausweitung der straf- Hohe Dunkelziffer rechtlichen Bestimmung wird dies nicht zu er- Aus der Anzahl von Verurteilungen kann reichen sein. Aufgrund der minimalen Auf- nicht unbedingt auf den wirklichen Umfang von deckungswahrscheinlichkeit wird kaum eine prä- Korruption geschlossen werden. Da es sich bei ventive Wirkung erzielt. Es ist daher wie bis anhin Korruption um Delikte mit einer Doppeltäter- mit vereinzelt zufällig aufgedeckten publikums- schaft handelt und sowohl der Bestechende wie wirksamen Bestechungsfällen der Bestochene ein Interesse an der Verschleie- zu rechnen. Am wahrschein- Vereinzelt zufällig auf- rung der Tat haben, muss von einer im Vergleich lichsten sind dabei Korrup- gedeckte publikumswirksame mit anderen Deliktsfeldern hohen Dunkelziffer tionshandlungen in den von Bestechungsfälle. ausgegangen werden. Verlässliche Studien hierzu den Experten als besonders liegen nicht vor. anfällig für Korruption und Preisabsprachen bezeichneten Branchen Bauwesen, Immobilien- wirtschaft, Versicherungswesen, Handel und Fi- MÖGLICHE ENTWICKLUNG nanzdienstleistungen. Korruption sichtbar machen Die Entwicklung hängt massgeblich davon ab, ob es gelingen wird, Korruptionsabläufe sichtbar

6.4. Falschgeld

LAGE Nichtfachmann leicht erkennbar. Bei einigen Fälschungen wurde durch die Täterschaft ledig- Fälschungen von Fremdwährungen lich der Fensterfaden oder das Kinegramm mit Seit der Euro in Europa das wichtigste Zah- einem Silberstift nachgeahmt. Die Schadenhöhe lungsmittel ist, ist ein Rückgang der sicherge- der falschen in Umlauf gebrachten Schweizer- stellten Fälschungen von US-Dollar festzustellen. währung liegt bei rund 0,01 Promille des gesamten Für die Schweiz waren 2005 deshalb vor allem Notenumlaufs. Fälschungen von Euro von Bedeutung. Immer mehr im Druckverfahren hergestellte, qualitativ hochwertige Eurofälschungen tauchten Mehr Fälle – kleinere Summen auf. Die Fälschungen wurden in erster Linie 2005 wurde 50,4 Prozent weniger Falschgeld im Schweizer Notenhandel sichergestellt und sichergestellt als im Vorjahr. Eine gegenläufige stammten vorwiegend aus Frankreich, Italien Entwicklung ist wie schon 2004 (Zunahme von und Bulgarien. In der Schweiz wurden Fälschun- 22 Prozent) bei den eingegangenen Anzeigen zu gen vielfach durch ausländische Staatsangehörige beobachten, die um rund 0,6 Prozent zugenom- überwiegend in Verkaufsgeschäften oder in Spiel- men haben. Diese Steigerung beruht auf einer kasinos abgesetzt. Es wurden jedoch 2005 keine Zunahme von Anzeigen, die nur kleinere Sum- grossen Fälle verzeichnet. men betrafen. Vermehrt wurden die Fälschungen von den Opfern erkannt und führten zur Ver- haftung beziehungsweise Anhaltung der Täter Einzeltäter bei Frankenfälschungen durch die Polizei. Frankenfälschungen wurden vorwiegend von Zu den positiven Entwicklungen zählt eben- Einzeltätern im Kopierverfahren mit Laser- oder falls, dass der Anteil der Jugendlichen, die mit Tintenstrahldruckern hergestellt. In der Regel Hilfe von Computern hergestellte Farbkopie- handelte es sich um vor- und rückseitige Tinten- fälschungen in Umlauf brachten, von 13,5 Prozent strahldrucke ohne Nachahmung von Sicherheits- vor drei Jahren auf 7,4 (2004) beziehungsweise 6,4 merkmalen. Die Fälschungen sind auch für den Prozent (2005) drastisch gesunken ist.

BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ 67 BERICHT 2005 6. GELDWÄSCHEREI UND WIRTSCHAFTSKRIMINALITÄT

MÖGLICHE ENTWICKLUNG Kein neuer Trend Aufgrund der geografischen Lage der Schweiz als Transitland wird Falschgeld auch in Zukunft eine Rolle spielen. Gegenwär- tig sind keine neuen Trends Keine schwerwiegende bezüglich Tätergruppen oder Störung der Schweizer Vorgehensweisen erkennbar, Wirtschaft zu erwarten. Falsche Euronote. Die 125-Eurofälschung konnte was einen ähnlichen Umfang in einem Solothurner Geschäft erfolgreich abgesetzt von im Umlauf befindlichem Falschgeld und

werden. FOTO POLIZEI weiterhin keine schwerwiegende Störung der Schweizer Wirtschaft erwarten lässt.

BEURTEILUNG Keine gravierende Störung Gemäss Polizeistatistik wurde in den letzten Jahren im Durchschnitt Falschgeld in Höhe von rund 300’000 Schweizer Franken erfolgreich abgesetzt. Vergleicht man diese Summe mit dem durchschnittlichen Notenumlaufvolumen von jährlich rund 34 Milliarden Schweizer Franken, so kann geschlossen werden, dass dies zu keinen gravierenden Störungen der Schweizer Wirt- schaft führte. Falsche Euronoten bei Schweizer Finanzinsti- tuten abzusetzen, ist nach wie vor schwierig.

68 BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ BERICHT 2005

7. Weitere Aspekte der inneren Sicherheit

7.1. Allgemeine Kriminalität 70

7.2. Jugend- und Gewaltkriminalität 70

7.3. Hooliganismus 72

7.4. Luftsicherheit 73

7.5. Waffen, Sprengstoff und Pyrotechnik 74

7.6. Cyberkriminalität und Information Assurance 75

7.7. Kinderpornografie 77

7.8. Internationale Zusammenarbeit 80 BERICHT 2005 7.WEITERE ASPEKTE DER INNEREN SICHERHEIT

7.1. Allgemeine Kriminalität

LAGE worden sind, lässt aber auf gut organisiere Ab- satzwege für das Diebesgut Blitzeinbrüche schliessen. Es ist ebenfalls Bisher keine übergeordnete Seit rund fünf Jahren sieht sich die Schweiz mit davon auszugehen, dass zu- Organisationsstruktur der dem Phänomen der so genannten Blitzeinbrüche mindest Teile der gestohlenen verschiedenen Tätergruppen in Schmuck- und Uhrenfachgeschäfte konfron- Schmuckstücke wieder in den entdeckt. tiert. Gezielt werden dabei hochwertige Produkte legalen Handel gelangen. gestohlen. Betroffen ist die gesamte Schweiz, Eine Konzentration zeigt sich bei der Täter- wobei grössere Ballungszentren Ziele der Ein- schaft: Ein Grossteil stammt aus Südost- respek- brecherbanden sind. tive Osteuropa. Neben der Schweiz sind auch Der Verkaufswert des gesamten Deliktsguts, weitere europäische Länder wie zum Beispiel ohne die verursachten Sachbeschädigungen etwa Deutschland und Österreich von diesem Krimi- an Immobilien oder Fahrzeugen, bewegt sich in nalitätsphänomen betroffen. zweistelliger Millionenhöhe. Die Sachschäden betragen schätzungsweise mehrere Millionen Schweizer Franken. MÖGLICHE ENTWICKLUNG Von den zahlreichen gestohlenen Uhren, oft- mals Luxusuhren, sind nur wenige, insgesamt Raubüberfälle statt Einbrüche weniger als fünf Prozent, wieder zum Vorschein Im Vergleich zum Vorjahr waren 2005 die gekommen. Ähnlich verhält es sich mit den in Blitzeinbrüche in Bijouteriegeschäfte rückläufig. derselben Zeitspanne entwendeten Schmuck- Aus heutiger Sicht dürfte dies auf zwei Faktoren stücken. zurückzuführen sein: auf bauliche Massnahmen zum besseren Schutz der Bijouterien und auf die präventive Wirkung erfolgreicher polizeilicher BEURTEILUNG Ermittlungen mit der Festnahme mehrerer Täter. Aus Umfragen bei Nachbarstaaten wurde aller- Unbekannte Organisationsstruktur dings ersichtlich, dass verbesserte bauliche Mass- Bisher konnte keine übergeordnete Organisa- nahmen eine Verlagerung von Einbruch zu Raub tionsstruktur der verschiedenen Tätergruppen bewirkten. Dieser Trend könnte sich auch in der entdeckt werden. Die Erkenntnis, dass nur sehr Schweiz manifestieren. wenige Teile des Deliktsguts wieder aufgefunden

7.2. Jugend- und Gewaltkriminalität

LAGE tung unter Anklage standen, wurden zu elf, neun und sechseinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Aufsehen erregende Prozesse Einer muss in eine Arbeitserziehungsanstalt. Die und Urteile jungen Erwachsenen, die 2003 in Yverdon einen Standen in den Vorjahren die unmittelbaren Jugendlichen töteten, wurden vom Waadtländer Taten im Mittelpunkt des medialen Interesses, Kreisgericht zu 19 respektive 20 Jahren Zucht- sorgten 2005 hauptsächlich Prozesse und Urteile haus verurteilt. gegen Minderjährige und junge Erwachsene für Aufsehen, die Gewaltdelikte begangen hatten. Trend zu mehr Gewalttätigkeit Die vier Gewaltstraftäter zum Beispiel, die beim Raubüberfall in der Postgasse in Bern im Jahr setzt sich fort 2003 das Opfer so brutal niedergeschlagen hat- Der seit längerem anhaltende Trend zu mehr ten, dass sie wegen versuchter vorsätzlicher Tö- Gewalttätigkeit bei Jugendlichen setzte sich fort.

70 BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ BERICHT 2005 7.WEITERE ASPEKTE DER INNEREN SICHERHEIT

18 Prozent aller in der Polizeilichen Kriminal- die Gruppen von Intensivtätern, die über längere statistik (PKS) erfassten Anzeigen betrafen im Zeit aktiv waren und immer schwerer wiegende Jahr 2004 minderjährige Täter und Täterinnen. Gewalttaten verübten, die Polizeikräfte banden, Seit 1995 entspricht dies zwar einem Tiefststand. Ängste in der Bevölkerung hervorriefen und Wählt man jedoch Anzeigen gegen Minderjährige anstiftend auf andere Jugendliche wirken konn- zu Straftatbeständen gegen Leib und Leben ten. (Tötungen, Körperverletzungen, Drohungen, Vor allem die Früherkennung, aber auch an- Gewalt und Drohungen gegen Beamte und Be- gemessene präventive und repressive Reaktionen hörden, Raub und Brandstiftung) und gegen die auf Gewalthandlungen dieser Risikogruppen sexuelle Integrität aus, machen diese zirka 23 können helfen, kriminelle Karrieren zu verhin- Prozent aller Anzeigen gegen Minderjährige aus. dern. Ausser bei den Tötungs- und Raubdelikten sowie der Brandstiftung ist der Anteil Anzeigen gegen Minderjährige in allen diesen Delikten gegenüber BEURTEILUNG dem Vorjahr angestiegen. Im Zehnjahresver- gleich wird deutlich, wie mehr oder weniger Schwieriger Umgang kontinuierlich die Anzahl Anzeigen gegen Min- mit Jugendgewalt derjährige bei den meisten Gewalt- und Sexual- Gewaltkriminalität von Jugendlichen ist kein delikten anstieg. isoliertes Phänomen.Betrachtet man die Entwick- Auch die Entwicklung der Urteile gegen lung der Anzeigen gegen erwachsene Personen, ist Minderjährige in den Jahren 1999 bis 2003 zeigt der steigende Trend bei den einen ansteigenden Trend. Zudem weist eine Körperverletzungen und den Gewaltkriminalität von 2005 an der Universität Lausanne durchgeführte Drohungen noch deutlicher als Jugendlichen ist kein Befragung von Jugendlichen darauf hin, dass im bei den Anzeigen gegen Min- isoliertes Phänomen. Vergleich zu 1992 nicht nur eine effektive Zunah- derjährige. Die jungen Er- me der Anzahl jugendlicher Täter feststellbar, wachsenen (18- bis 25-Jährige) können allerdings sondern dass auch die Anzahl verübter Delikte in der Anzeigestatistik nicht gesondert ausgewie- pro Person gestiegen ist. sen werden. Gerade diese Altersklasse ist aber vor Einige Fachleute vertreten weiterhin die allem bei Gewaltdelikten eine bekannte Risiko- Meinung, der Anstieg sei vor allem auf eine gruppe.Trotz dieser Unschärfe lässt sich aber fest- gestiegene Sensibilität in der Gesellschaft ge- halten: Der Vergleich zwischen den Anzeigen ge- genüber Gewaltdelikten und auf eine dement- gen Minderjährige und gegen Erwachsene zeigt, sprechend erhöhte Anzeige- dass die Zunahme der Gewaltdelikte bei Jugend- Hohe Dunkelziffer bei bereitschaft zurückzuführen. lichen medial überzeichnet wird. schwächeren Formen von Andere Experten halten dem Gemäss Expertenkreisen wurden mit den Gewaltdelikten. entgegen, dass gerade im Be- oben erwähnten hohen Freiheitsstrafen auch reich der schwächeren For- Exempel statuiert. Sie sind eine Reaktion auf die men von Gewaltdelikten wie zum Beispiel Tät- öffentliche Empörung gegenüber Jugendgewalt, lichkeiten eine hohe Dunkelziffer vorhanden sei. und man erhofft sich davon eine generalpräven- tive Wirkung. Nur ein sehr kleiner Teil der Jugend

kriminell auffällig MÖGLICHE ENTWICKLUNG Die Urteilsstatistik des Bundesamtes für Sta- tistik für 2003 zeigt, dass nur zwei Promille der Keine Unruhen von grösserer minderjährigen Wohnbevölkerung, das heisst der Tragweite zu befürchten 7- bis 18-Jährigen, wegen Gewaltdelikten verur- Grössere, ethnisch geprägte Jugendunruhen teilt wurden. Dieser kleine Prozentsatz macht wie etwa in Frankreich im Herbst 2005 sind in zweierlei deutlich: Die Anzahl Gewalttaten von der Schweiz wenig wahrscheinlich. Die Klein- Minderjährigen nahm zwar zu, und es sind An- flächigkeit der Schweiz, die bis anhin relativ gute zeichen vorhanden, dass sich die Gewalthandlun- soziale Durchmischung in den Quartieren, das gen in den letzten Jahren intensivierten, dennoch Fehlen ghettoähnlicher Vorstädte und die eng- wurde nur ein sehr kleiner Teil der Jugend krimi- maschigen sozialen Einrichtungen gelten als pro- nell auffällig. Zum anderen waren es aber gerade tektive Faktoren gegen Jugendunruhen.

BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ 71 BERICHT 2004 7.WEITERE ASPEKTE DER INNEREN SICHERHEIT

7.3. Hooliganismus

LAGE BEURTEILUNG Gewaltproblem ungelöst Problemgruppe von mehreren Fussball- und Eishockeyspiele wurden in der hundert Personen Schweiz von mehreren hundert meist sehr jungen Der Kern von Personen,die gezielt Gewalt bei Personen als Plattform für Gewalt, Sachbeschädi- Sportveranstaltungen suchten, umfasste 2005 in gungen und zum Teil auch für politischen Extre- der Schweiz rund vierhundert Personen. Weitere mismus missbraucht. Spiele rund sechshundert Personen beteiligten sich in Spiele der Klubmeisterschaf- der Klubmeisterschaften wur- diesem Umfeld gelegentlich an Gewaltausschrei- ten regelmässig von Gewalt den regelmässig von Gewalt tungen und Sachbeschädigungen. Die grössten überschattet. überschattet, während Spiele Probleme bestehen in Basel,Zürich,Bern,Luzern der Schweizer Nationalmann- und Lugano, wobei sich auch in den Regionen schaften jeweils fast gänzlich ohne Zwischenfälle Aarau, St. Gallen und Sitten kleinere Szenen über die Bühne gingen. Schauplätze der Gewalt gewaltbereiter Personen gebildet haben. waren die Stadien selbst, die Anmarschwege zu Der harte Kern der Hooligans ist gut organi- den Stadien oder aber beliebige andere Orte. siert und suchte hauptsächlich die Auseinander- setzung mit Gleichgesinnten. Eine bedeutendere Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit ging Neunzig Verletzte in einer Saison 2005 von unorganisierten Gruppen zumeist jun- In der Schweiz wurden im Verlauf der Eis- ger Personen aus, die gewalttätige Auseinander- hockey- und Fussballsaison 2004/2005 rund 570 setzungen mit gegnerischen Fans, aber auch mit Personen festgenommen, die sich an Gewalt im Unbeteiligten und der Polizei suchten. Diese Zusammenhang mit Sportanlässen beteiligt hat- Gruppe zählt zum Teil zur Sze- ten oder zu wenig von den Gewalttätern abgrenz- ne der Ultras, das heisst zu den Härte der Gewalt nimmt zu, bar waren. Rund neunzig Personen, darunter fanatischen Fans. Nach den und das Alter der Täter sinkt. auch Polizisten, Sicherheitsangestellte der Sta- Beobachtungen der Polizei dienbetreiber und Unbeteiligte wurden verletzt. nahm die Intensität der Gewalt zu, gleichzeitig Während sich im Eishockey im Vergleich zu sank das Alter der Täter. Zahlreiche Gewalttäter den Vorjahren die Lage leicht beruhigte, war die gehörten der Altersgruppe der 13- bis 16-Jährigen Entwicklung im Fussball negativ. an.

Grenzüberschreitende Beteiligung Plattform für politischen an Krawallen Extremismus Gewaltbereite Schweizer Fussballfans über- Es gibt zum Teil Überschneidungen zwischen schritten auf der Suche nach Konfrontationen der Gruppe der jungen unorganisierten Gewalt- auch die Landesgrenze. Am 8. April 2005 wur- täter und der Szene der Mitläufer bei Krawallen, den im deutschen Neu-Ulm 28 Angehörige der die am Rande von Demonstrationen mit vor- Schweizer Hooliganszene nach Randalen und nehmlich linksextremem Hintergrund stattfin- Angriffen auf die Polizei festgenommen. Schwei- den. Generell sind unter den gewaltbereiten Fans zer Fans attackierten auch am 15. September allerdings rechtsextreme Ansichten eher verbrei- 2005 in Kopenhagen die Polizei. Dabei wurden tet. fedpol (DAP) geht davon aus, dass 10 bis 15 97 Schweizer festgenommen und drei von ihnen Prozent der gewaltbereiten Szene Kontakte zum im Anschluss zu Gefängnisstrafen von bis zu rechtsextremen Milieu unterhalten. siebzig Tagen verurteilt. Auch der «Krawall-Tourismus» ausländischer Gewalttäter in die Schweiz nahm zu. Schweizer Aufhebung der Anonymität als Ziel Hooligangruppen unterhalten vornehmlich mit Die grosse Zahl gewaltbereiter Störer und die deutschen Hooligans enge Verbindungen. mangelnde Entschlossenheit mancher Fangrup- pierungen, sich von Gewalttätern zu distanzieren, machen auch bei gewöhnlichen Fussballmeister-

72 BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ BERICHT 2004 7.WEITERE ASPEKTE DER INNEREN SICHERHEIT

schaftsspielen aufwändige und teure Einsätze der Polizei erforderlich. Vermehrt wählen die zustän- digen Polizeikorps eine Strategie des konse- quenten Durchgreifens gegen Fussballkrawalle und so genannte «Fan-Saubannerzüge». Ziel ist die Aufhebung der Anonymität Gewalt suchen- der Personen, die aus dem Schutz grosser Grup- pen heraus agieren. Zur Aufhebung der Anonymität trüge ein bes- serer interkantonaler Austausch von Informatio- nen über polizeilich bekannte Gewalttäter bei. In vielen Fällen ist dieser aber rechtlich noch nicht Festgenommene Schweizer Fussballfans. Vor zulässig. dem Spiel in Kopenhagen am 15. September 2005 nahm die dänische Polizei 97 Schweizer Fussballfans Handlungsbedarf fest. FOTO KEYSTONE auf Veranstalterseite MÖGLICHE ENTWICKLUNG Primär sind die Veranstalter für die Stadion- sicherheit verantwortlich. Die Polizei schreitet Keine Entspannung in Sicht in den Stadien nur bei einer Eskalation ein. Zurzeit deutet nichts auf ein Abflauen der Zwischenfälle haben deutlich gemacht, dass An- Gewalt bei Sportanlässen hin. Die Polizei be- passungen bei den Sicherheitsdispositiven der obachtet im Gegenteil eine Zunahme des Phä- Stadionbetreiber nötig sind. Die Zutrittskon- nomens. trollen müssen verbessert werden, um das gefähr- Es ist davon auszugehen, dass während der liche Abbrennen verbotener Feuerwerkskörper UEFA EURO 2008 Hunderte bis Tausende ge- zu verhindern. waltbereite ausländische Fussballfans versuchen Die Swiss Football League hat im Verlauf werden, in die Schweiz zu reisen. Dies gilt es in des Jahres 2005 neue Sicherheitsmassnahmen in Zusammenarbeit mit den zuständigen Polizei- Kraft gesetzt. Klubs haften neu auch bei Aus- stellen in Europa zu verhindern. Im Ausland wärtsspielen für das Fehlverhalten ihrer Fans. polizeilich bekannte Gewalttäter sollen im Vor- Auch wurden sämtliche Klubs verpflichtet, je hinein an der Ausreise gehindert werden. Szene- einen Sicherheits- und Fanverantwortlichen ein- kundige ausländische Polizeibeamte sollen wäh- zusetzen. rend der UEFA EURO 2008 ihre Schweizer Kollegen beim Erkennen und Ansprechen poten- ziell gewalttätiger Fans unterstützen. Im Rahmen des Sicherheitskonzepts werden umfangreiche Massnahmen getroffen.

7.4. Luftsicherheit

LAGE Schultergestützte Terroranschlag auf spanischen Boden-Luft-Raketen Flughafen Gemäss offiziell nie bestätigten Medienberich- Die ETA beschoss im Mai 2005 den Flughafen ten soll im Oktober 2005 eine von Saragossa mit zwei Mörsergranaten. Die Ge- französische Terrorzelle Bo- Tausende von Manpads schosse schlugen dreihundert Meter neben einer den-Luft-Raketen von tsche- in Händen nichtstaatlicher Abfertigungshalle ein und verursachten einigen tschenischen Rebellen erhal- Akteure. Sachschaden. Eine erneute Drohung gegen die- ten haben. Schultergestützte sen Flughafen ging Ende Oktober 2005 ein. Flugabwehrsysteme, so genannte Man Portable

BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ 73 BERICHT 2005 7.WEITERE ASPEKTE DER INNEREN SICHERHEIT

Air Defence Systems (Manpads), stellen gemäss mit angeblichen Verbindungen zu Usama bin einer amerikanischen Studie eine immer grössere Laden die Entführung eines Flugzeuges der Bedrohung für die Zivilluftfahrt dar. Seit 1978 American Airlines auf dem Flug von Zürich- sind rund dreissig Angriffe auf Zivilflugzeuge Kloten nach New York planten, um damit durch Manpads bekannt geworden. einen Terroranschlag zu verüben. Schätzungen zufolge sollen seit 1950 weltweit ● Im Juli wurde der Schweizer Botschaft in etwa eine Million Boden-Luft-Raketen produ- Berlin gemeldet, es sei eine Entführung einer ziert worden sein; die Anzahl der in Händen Maschine der Swiss auf dem Flug von Genf nichtstaatlicher Akteure befindlichen soll in die nach Zürich geplant. Tausende gehen. Ausländische Meldungen über ● Im Oktober 2005 ging auf dem Flughafen Diebstähle oder Funde solcher Raketen häufen Zürich-Kloten eine Bombendrohung gegen sich. In Europa – auch in der Schweiz – befassen ein von Zürich nach Istanbul fliegendes sich verschiedene Sicherheitsbehörden mit der Flugzeug ein. Ein Flugzeug wurde deswegen Frage, wie die internationale Zivilluftfahrt gegen zu einer Notlandung nach Budapest umgelei- Manpads geschützt werden kann. tet, ein weiteres in Zürich-Kloten durchsucht. In beiden Flugzeugen wurde kein Sprengstoff gefunden. Vorfälle im Jahr 2005 Im Jahr 2005 wurden fedpol (DAP) 78 (Vor- In allen Fällen wurden die notwendigen Ab- jahr 86) sicherheitsrelevante Vorkommnisse im klärungen und Sicherheitsmassnahmen getrof- internationalen zivilen Luftverkehr bekannt. Da- fen. bei fanden 11 (Vorjahr 94) Personen den Tod.

BEURTEILUNG Vorfälle in der Schweiz ● Im Zusammenhang mit dem WEF 05 musste Steigende Bedrohung die Schweizer Luftwaffe sechsmal interve- Angesichts der steigenden Bedrohungen müs- nieren: Die Flugzeuge wurden identifiziert, sen die Sicherheitsdispositive weiterhin aufrecht- bevor sie in den gesperrten Luftraum ein- erhalten werden. drangen. ● Ende Januar 2005 gingen innerhalb weniger Stunden verschiedene Bombendrohungen MÖGLICHE ENTWICKLUNG gegen zwei Fluggesellschaften ein, die regel- mässige Flugverbindungen ab Genf-Cointrin Anschläge möglich mit dem benachbarten Ausland unterhalten. Terroranschläge auf Infrastruktureinrichtun- ● Im März 2005 ging bei einer diplomatischen gen einschliesslich Flughäfen und Flugzeuge sind Vertretung im Ausland eine Warnung ein, trotz hohen Sicherheitsstandards weiterhin mög- wonach zwei in Berlin wohnhafte Personen lich.

7.5. Waffen, Sprengstoff und Pyrotechnik

LAGE KMG erhärtet werden. Die Akten wurden nach Abschluss des polizeilichen Ermittlungsverfah- Waffen rens der Bundesanwaltschaft im August dem Am 2. März 2005 erfolgten zeitgleich in der Eidgenössischen Untersuchungsrichteramt über- Schweiz, Deutschland und Tschechien Haus- geben. durchsuchungen bei einem Waffenhersteller und Die Anzahl Bewilligungen im Bereich der zwei Waffenhändlern. Aufgrund des sicherge- Einfuhr von Waffen, wesentlichen Waffenbe- stellten Materials und der Unterlagen konnte der standteilen,Waffenzubehör, Munition und Muni- Verdacht auf illegale Umgehungsgeschäfte des tionsbestandteilen bewegten sich meist im Rah-

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men des Vorjahrs: Während die Ausnahmebewil- übt wurden. Mit zwölf Anschlägen, von denen ligungen um knapp zehn Pro- die Hälfte mutmasslich einen gewaltextremisti- Anzahl Importbewilligungen zent zunahmen,gingen die Be- schen Hintergrund hatte, blieb das Berichtsjahr bewegte sich meist im willigungen für die gewerbs- deutlich unter dem Mittelwert. Rahmen des Vorjahrs. mässige Einfuhr durch Waf- fenhändler um mehr als zehn Prozent zurück. Hingegen nahm die nicht BEURTEILUNG gewerbsmässige Einfuhr um gut ein Viertel zu. Anstrengungen belohnt Die andauernde Stabilisierung auf tiefem Sachbeschädigungen Niveau ist einerseits auf die Anstrengungen von 2005 wurden 292 Fälle von Sachbeschädigun- fedpol (Zentralstelle Sprengstoff und Pyrotech- gen durch handelsübliche Feuerwerkskörper, so nik) im Zusammenhang mit der systematischen genannte Bagatellfälle, gezählt, die insgesamt Erfassung, Prüfung und Zulassung von Feuer- einen Schaden von 420’920 Franken verursach- werk und andererseits auf den Einsatz der für den ten. Diese Zahlen liegen höher als in den beiden Vollzug der Sprengstoffgesetzgebung verant- Vorjahren, doch bestätigen auch sie den markan- wortlichen Organe der Kantone zurückzuführen. ten Rückgang gegenüber den drei Jahren vor Die feststellbare Gewaltbereitschaft ist in den 2003. wenigsten Fällen durch verbrecherische Absicht Die von den vornehmlich jugendlichen Tätern motiviert, sondern hat soziale und individuelle bevorzugten Ziele sind vorwiegend Briefkasten Ursachen. und öffentliche Abfallkübel aller Art sowie Tele- fonkabinen, Waren- und Billettautomaten. MÖGLICHE ENTWICKLUNG Sprengstoffanschläge Kein Trend erkennbar Durchschnittlich wurden in den vergangenen Es wäre aufgrund der kleinen Fallzahlen vor- Jahren jeweils rund 17 Gewalttaten registriert, die eilig, im deutlichen Rückgang der Sprengstoff- mit Sprengstoff, Handgranaten oder unkonven- anschläge seit 2003 einen Trend für die nächsten tionellen Spreng- oder Brandvorrichtungen ver- Jahre erkennen zu wollen.

7.6. Cyberkriminalität und Information Assurance

LAGE Verdachtsmeldungen aus der Bevölkerung zu hartpornografischem Material nahmen zu, die- Bekämpfung der jenigen zu Spam waren leicht rückläufig. Stark Internetkriminalität angestiegen sind Meldungen zu Wirtschaftskrimi- Der Meldungseingang bei der nationalen nalität wie Betrügereien via Internet, Phishing- Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Inter- versuche und Hinweise auf gefälschte Internet- netkriminalität (Kobik) blieb seiten von Bankinstituten oder Auktionshäusern. Meldungseingang bei Kobik konstant hoch. Aus der Bevöl- blieb konstant hoch. kerung gingen wie in den Vorjahren monatlich durch- Informationssicherung schnittlich zwischen 500 und 600 Meldungen ein. Die Melde- und Analysestelle zur Informa- Ausserdem generierte die verdachtsunabhängige tionssicherung Schweiz (Melani) stellt seit dem Recherche von Kobik Verdachtsdossiers, die in 1. Dezember 2004 auf ihrer Internetseite rund neunzig Prozent zur Strafverfolgung führten. (www.melani.admin.ch) Informationen zur Com- putersicherheit zur Verfügung.Das Angebot rich-

BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ 75 BERICHT 2005 7.WEITERE ASPEKTE DER INNEREN SICHERHEIT

tet sich ebenso an private Nutzer wie an kleinere Art der Spionage sowohl im privaten wie auch im und mittlere Unternehmen. öffentlichen Sektor eingesetzt wird. Eine Infek- Angebot für private Nutzer Melani-Net, das im Jahr 2005 tion ist mitunter schwer festzustellen und auch in und kleinere und mittlere gestartet wurde, bietet darü- gut geschützten Netzen kaum zu verhindern. Ne- Unternehmen. ber hinaus ausgewählten Be- ben einem umfassenden technischen Schutz ist treibern kritischer Infrastruk- eine gezielte Schulung und Sensibilisierung der turen Analysen zur Früherkennung von Attacken Mitarbeiter im Umgang mit sensiblen Daten von und dient bei Vorfällen als Koordinationsplatt- grosser Bedeutung. form. Schadsoftware-Autoren entdeckten vermehrt Die Internetseite von Melani erlaubt es, Vor- den deutschen Sprachraum. E-Mails mit infi- fälle zu melden. Die meisten Meldungen betrafen ziertem Anhang treten nun Phishing und Spam. Im Gegensatz zur EU kann auch in gutem Deutsch auf. Schadsoftware vermehrt allerdings in der Schweiz gegen Spam noch nicht Deutschsprachige Internet- in deutscher Sprache. viel unternommen werden, da die gesetzlichen nutzer öffnen solche E-Mails Spezialbestimmungen fehlen und die Rechtspre- häufiger. Mit Sober.I tauchte die erste Schadsoft- chung noch nicht weit gediehen ist. ware auf, die ihre Sprache dynamisch anpassen kann.

BEURTEILUNG Botnetze Zunahme von Phishing Die Bedrohung durch Botnetze nimmt stetig Phishing bezeichnet den betrügerischen Ver- zu. Botnetze sind logische Computernetze aus such, über Manipulationen an vertrauliche Daten kompromittierten Systemen, die meist via Inter- von Internetnutzern zu gelangen. Während der net-Relay-Chat kontrolliert werden, ohne dass letzten Monate des Jahres 2005 wurde weltweit die Besitzer dieser Systeme davon eine Ahnung eine Zunahme des Phishing festgestellt. Meistens haben. Mit der Zunahme von Breitbandverbin- sind Finanzdienstleister, Online-Versteigerungs- dungen in Privathaushalten vergrössert sich auch häuser und Internetprovider betroffen. Der die Zahl infizierter Computersysteme rapide, da Grossteil dieser Versuche betrifft immer noch die immer mehr Computersysteme konstant mit dem USA; die gezielten Attacken sind mittlerweile Internet verbunden bleiben. Erst wenn ein aber auch in Europa häufig und kamen 2005 auch Grossteil der mit dem Internet verbundenen in der Schweiz vor. Rechner ausreichend geschützt sein wird, wird das Wachstum der Botnetze eingedämmt werden können. Gezielter Einsatz von Schadsoftware Botnetze umfassen nicht selten mehr als zehn- Der Trend setzt sich fort, dass für die Ent- tausend Computer, ihre Urheber sind schwer wickler von Schadsoftware Bereicherung das greifbar. Jeder Computer eines Botnetzes trägt Hauptmotiv bildet. Zudem kann eine engere seinen Teil zu einer neuen Spamflut oder einem Verbindung zur organisierten Kriminalität, be- Denial-of-Service-Angriff bei, einer koordinier- sonders aus Osteuropa,beobachtet werden.Diese ten Flut von Anfragen an dasselbe Netz,das damit dehnt ihre Betätigungsfelder wie Bestechung, Er- überlastet werden soll. pressung, Bedrohung und Betrug immer mehr in die virtuelle Welt aus. Viren dienen dabei immer mehr kommerziel- MÖGLICHE ENTWICKLUNG len Absichten: Das Angebot geht von Denial-of- Service-Attacken über das Versenden von Wer- Kobik be- respektive Spam-Mails bis hin zum Ausspio- Weiterhin wird dem Kampf gegen die Kinder- nieren von Daten. Die Bandbreite dieser ausspio- pornografie ein hoher Stellenwert eingeräumt nierten Daten reicht vom E-Mail-Passwort über werden, nicht zuletzt aufgrund der zurzeit lau- die Kreditkartennummer, die Zugangsdaten zum fenden, von der Konferenz der Kantonalen Ju- E-Banking-Konto bis hin zu sensiblen und ver- stiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren traulichen Firmendaten. Die Spionagefälle mit (KKJPD) lancierten nationalen Kampagne der gezielt eingesetzten Trojanischen Pferden in Schweizerischen Kriminalprävention. Der von Grossbritannien und Israel belegen, dass diese Kobik eingeschlagene Weg führt zu guten Ergeb-

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nissen im Kampf gegen die Internetkriminalität, ing ist zum Beispiel die Manipulation des DNS- besonders gegen die Kinderpornografie. Die Eintrages respektive die Veränderung der Host- Meldungen aus der Bevölkerung sind vielfach von datei mittels eingeschleustem Virus. Anschlies- hoher Qualität und widerspie- send wird trotz manueller und korrekter Eingabe Kampf gegen die Kinder- geln das gesteigerte Unrechts- der Adresse eine betrügerische Seite angezeigt. pornografie hat weiterhin bewusstsein der Internetbe- Diese Methode, so genanntes Pharming, wird si- hohen Stellenwert. nutzer. Die Höchstqualität bei cherlich in Zukunft vermehrt der Erstellung der Verdachts- eine Rolle spielen. Auch Industriespionage mit infor- dossiers aus verdachtsunabhängiger Recherche Schadprogramme, die gezielt mationstechnologischen wird von den kantonalen Strafverfolgungsbehör- gegen Personen oder Unter- Mitteln wird an Bedeutung den geschätzt und findet ihren Niederschlag in der nehmen eingesetzt werden, gewinnen. hohen Trefferquote bei den eröffneten Strafver- daher unentdeckt bleiben und folgungen. in keiner Antiviren-Software-Signatur auftau- Gleichzeitig muss auch die Entwicklung im chen, werden vermehrt eingesetzt werden. Das Bereich der Wirtschaftskriminalität beobachtet Thema Industriespionage mit informationstech- und analysiert werden, dies nicht zuletzt aufgrund nologischen Mitteln wird auch in der Schweiz an der Tatsache, dass eine allgemeine Kommerziali- Bedeutung gewinnen. sierung und Professionalisierung im Bereich der Es wird eine weitere Zunahme der Anzahl und Internetkriminalität ersichtlich ist. der Grösse der Botnetze erwartet. Unzählige Heimcomputer machen ihre Besitzer unwissent- lich zu Komplizen und stellen Strafverfolgung, Melani Nachrichtendienste und IT-Spezialisten vor gros- In allen Bereichen der Internetkriminalität se Herausforderungen. Solche Botnetze sind werden immer professionellere Methoden einge- nicht auf ein Land beschränkt; deshalb muss auch setzt.Eine weitere Entwicklung im Bereich Phish- die Gegenwehr international abgestützt werden.

7.7. Kinderpornografie

LAGE Einstellungen. Die bedingten Freiheitsstrafen reichten bis zu acht Monaten Gefängnis, die Bus- Kleinere nationale und senhöhe betrug maximal 25’000 Schweizer Fran- internationale Aktionen ken. Zwar wurde erst etwa die Hälfte der Ver- 2005 fanden keine in der Grösse mit Genesis dächtigen aus der Aktion Falcon juristisch beur- oder Falcon in den Jahren 2002 bis 2004 ver- teilt, aber es zeichnet sich bereits jetzt ab, dass gleichbaren Aktionen gegen Kinderpornografie prozentual mehr Personen verurteilt werden statt. Das Kommissariat Pädophilie, Menschen- können als bei der Aktion Genesis. handel, Menschenschmuggel (PMM) bei fedpol (BKP) war mit der Koordination von vielen klei- Folgeermittlungen neren nationalen und internationalen Operatio- nen und Fällen befasst. Die zahlreichen Aktionen zu Kindsmissbrauch aus dem Jahr 2004 beschäftigen die Polizei und International koordinierte Aktionen, kanto- besonders die Justiz der Kantone weiterhin. nale Ermittlungen und Verdachtsdossiers von Kobik zu Besitz, Einfuhr oder Verbreitung von Kinderpornografie führen im- Urteile aus Genesis und Falcon mer öfter zu Folgeermittlun- Immer öfter Folgeermittlun- Die in der Schweiz bis anhin grössten Aktio- gen, die Kindsmissbrauch gen wegen Kindsmissbrauchs nen Genesis mit bis Ende 2005 rund 900 und oder die Produktion von Kin- oder Produktion von Falcon mit über 250 juristisch überprüften Per- derpornografie zum Gegen- Kinderpornografie. sonen führten bis Ende 2005 zu 289 bedingten stand haben. So wurde bei- Freiheitsstrafen, 313 Bussentscheiden und 545 spielsweise bei der Hausdurchsuchung eines ver-

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aus rund zwanzig Ländern umgesetzt. Ecpat Schweiz hat unter anderem unter Mitarbeit von fedpol den Verhaltenskodex mit hiesigen Rei- seunternehmen erfolgreich eingeführt.

Präventionskampagne der Schweizerischen Kriminalprävention Im Auftrag der KKJPD konnte im September 2005 unter Federführung der Schweizerischen Kriminalprävention eine nationale dreijährige Präventionskampagne gegen Kinderpornografie und Pädokriminalität im Internet lanciert werden. Im September 2005 wurden die ersten an die Bevölkerung adressierten Initiativen gestartet. Im ersten Jahr der Kampagne soll verdeutlicht wer- den, dass Kinderpornografie ein Verbrechen ist «Stopp Kinderpornografie im Internet». Die und dass hinter jedem Bild ein Missbrauch steht. nationale Präventionskampagne der Schweizerischen Kriminalprävention will auf mittlere und längere Frist Pädokriminalität eindämmen. Sie informiert und BEURTEILUNG sensibilisiert potenzielle Opfer und Täter sowie deren Zunahme des polizeilichen Umfeld. FOTO SPK Aufwands Die Analyse der polizeilichen Bearbeitung der Kinderpornografieaktionen in den letzten dächtigen Kinderpornografiekonsumenten fest- Jahren macht deutlich, dass gesamtschweizerisch gestellt, dass dieser zwar alleine wohnt und kin- das sichergestellte und auszuwertende Beweis- derlos ist, in der Wohnung aber auffallend viele material massiv zunimmt. Dies führt per se schon Kinderfotos zu finden waren. Unter anderem auf- zu einem sehr hohen Bearbeitungsaufwand in den grund dieser Hinweise konnte der Verdächtige Kantonen. Zudem legen die nach weiteren Ermittlungen wegen sexuellen meisten Kantone ein immer Folgeermittlungen Missbrauchs des zehnjährigen Sohnes seiner grösseres Gewicht auf die Ent- im Sinne des Kinderschutzes Freundin angeklagt werden. deckung von Kindsmissbrau- sehr begrüssenswert. chern und Produzenten unter den Kinderpornografiekonsumenten, was zu ei- Kindersextourismus ner Zunahme von Folgeermittlungen führt. Der Mit Hilfe der im Ausland, besonders in der quantitative und qualitative Mehraufwand ist im Tschechischen Republik, Thailand und Brasilien Sinne des Kinderschutzes sehr begrüssenswert, stationierten Polizeiattachés von fedpol (BKP) führt aber zu Ressourcenproblemen bei der poli- konnten 2005 gegen mehrere verdächtige Kin- zeilichen Arbeit. dersextouristen aus der Schweiz Verhaltenskodex bei hiesigen Ermittlungen aufgenommen Auswirkungen der Reiseunternehmen erfolg- werden. Im Bereich Kindersex- Bundesgerichtsurteile von 2004 reich eingeführt. tourismus hat die Nichtregie- rungsorganisation End Child Einzelne Kantone setzen die neue Bundes- Prostitution, Child and Trafficking rechtssprechung aus dem Jahr 2004 bereits um of Children for Sexual Purposes (Ecpat) mit der und verurteilen jede Form von aktivem He- Welttourismusorganisation und Touristikunter- runterladen auf beliebige Datenträger als Her- nehmen einen Verhaltenskodex entwickelt und stellung von Kinderpornografie. Auch der Straf- erfolgreich in der Branche eingeführt. Heute wird tatbestand der Einfuhr von Kinderpornografie dieser «Code of Conduct» bereits von über 240 wird vereinzelt angewendet, wenn Kinderporno- Reiseunternehmen, Hotelketten, Luftfahrtsge- grafie von einem ausländischen Server herunter- sellschaften,Tourismusverbänden und -behörden geladen wird. Auch wenn sich in einzelnen Kan-

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tonen das verhängte Strafmass für den Besitz von Die bereits genannten Massnahmen der poli- Kinderpornografie erhöhte, ist es noch verfrüht, zeilichen Präventionskampagne sollten mittel- die Auswirkungen der Bundesgerichtsurteile aus bis langfristig zu einer erhöhten Sensibilität bei dem Jahr 2004 gesamtschweizerisch zu beurtei- der Täterschaft, den potenziellen Opfern und len. Mittel- bis langfristig werden sich aber wohl deren Umgebung führen. Mit dem Aufbau eines die kantonalen Rechtsprechungen zu Artikel 197 Beratungs- und Therapieangebots für Täter ist StGB bezüglich des Straftatbestandes und bezüg- es im besten Falle möglich, Pädokriminelle von lich des Strafmasses einander angleichen. der Schädlichkeit ihres Tuns für die Opfer, aber auch für sich selbst, zu überzeugen und sie von weiteren pädosexuellen Handlungen abzuhalten. Bundesgerichtsurteil von 2005 Die an Minderjährige gerichteten Botschaften Das Bundesgericht fällte in einem Fall von sollen diesen deutlich machen, welche Gefahren sexueller Belästigung in einem Jugendchat durch im Internet lauern und wie sie sich mit einfachen einen Erwachsenen mit anschliessendem Ver- Massnahmen davor schützen können. such, sich mit dem Minderjährigen zu treffen, ein Urteil und verminderte damit die auf diesem Datenbanken mit Gebiet herrschende Rechtsunsicherheit. Erst- mals wurde damit die Grenze zwischen strafloser kinderpornografischem Material und strafbarer Vorbereitungshandlung in solchen Bei Interpol und in einigen Ländern Europas Fällen definiert. existieren Datenbanken, in die alle verfügbaren Aufgrund des Urteils wurde aber auch die kinderpornografischen Materialien eingespiesen Frage nach ausreichendem Schutz von Kindern werden. Diese Datenbanken erlauben es, bereits vor sexuellen Belästigungen in speziell für Kinder identifizierte Opfer zu erkennen und dies den eingerichteten Chatforen aufgeworfen.Eindeutig verfahrensführenden Dienststellen mitzuteilen, sexuell motivierte, erwachsene Teilnehmer in neue Bilder in bereits bekannte Serien einzu- Chatforen für Kinder sind ohne reale Kontakte ordnen, Täter zu identifizieren und über die nicht per se rechtlich belangbar, auch wenn ihre Bildanalyse den Tatort einzukreisen und somit Chatbeiträge in einer unmissverständlichen sexu- Länder zu bestimmen, die ein Verfahren eröffnen alisierten Sprache von starker Intensität sind. können. Pädosexuelle Kontaktaufnahmen in Chatfo- Die Schweiz verfügt bis anhin weder über ren mittels sexueller Belästigung, Versenden von eine Bilddatenbank noch über Personen, die sich pornografischen Darstellungen oder Versuchen, solchen Ermittlungen widmen. Einzelne Ansätze die Kinder und Jugendlichen zu treffen, werden werden von engagierten kantonalen Ermittlern von Präventions- und Polizeikreisen als relativ und Ermittlerinnen weiterverfolgt, angesichts neue, ernsthafte Gefahr für Minderjährige be- der Fülle an Material besteht aber weiterer zeichnet. Handlungsbedarf. Ist die Aussage von Experten und Expertinnen richtig,dass ein Grossteil der Bil- der von Missbrauchssituationen aus dem sozialen MÖGLICHE ENTWICKLUNG Nahraum stammt, sollte sich eine verstärkte Er- mittlung über das Material lohnen. Eine erfolgrei- Verstärkte Prävention che Opferidentifikation führt aufgrund dieser Tat- Auch wenn im Berichtsjahr keine grossen Ak- sache meist relativ schnell auch zum Täter. tionen gegen Kinderpornografie stattfanden, hat Die G8-Länder haben eine Evaluationsstudie sich das Problem der pornografischen Ausbeu- zum Ausbau einer internationalen Opferdaten- tung von Minderjährigen nicht verringert. Im bank ausgearbeitet, die auch Bilder enthält und in Gegenteil sind die Strafverfolgungsbehörden mit der Verantwortung von Interpol stehen soll. Die neuen Phänomenen wie etwa Ermittlungsarbeit mithilfe dieser Datenbank ist Verdeutlichung der Cam-to-Cam-Chat, dem Aus- am effizientesten, wenn möglichst viele Länder Gefahren im Internet für tausch von (Video-)Dateien über eine nationale Opferdatenbank verfügen Minderjährige. via Handy, der sexuellen Belä- und die Resultate der nationalen Opferidentifika- stigung von Kindern via neue tion in die internationale Datenbank eingespiesen Internetdienste und Kommunikationsmittel und werden können. Die Schweiz sollte den Anschluss mit der wachsenden Bedrohung durch pädose- hierbei nicht verpassen. xuelle Nötigungen in Chatforen konfrontiert.

BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ 79 BERICHT 2005 7.WEITERE ASPEKTE DER INNEREN SICHERHEIT

7.8. Internationale Zusammenarbeit

LAGE pol ist die Unterstützung der beteiligten Staaten bei der Verhütung und Bekämpfung der internationa- Allgemeine polizeiliche len organisierten Schwerstkriminalität, darunter Zusammenarbeit auch des Terrorismus. Das Kooperationsabkom- In der Praxis der Strafverfolgung findet häufig men ermöglicht der Schweiz den Austausch opera- bereits ein intensiver Informationsaustausch auf tiver Informationen mit dem Polizeiamt. polizeilicher Ebene statt, bevor ein Strafverfah- ren formell eröffnet und die Zusammenarbeit da- mit auf den Rechtshilfeweg zwischen Justizbehör- Bilaterale Zusammenarbeit den verlagert wird. Die gegenwärtige internatio- Im Bereich der bilateralen Kooperation hat nale Zusammenarbeit der Schweiz steht auf drei die Schweiz Abkommen mit allen Nachbarstaa- Pfeilern: der globalen, der regional-europäischen ten abgeschlossen und in Kraft gesetzt. Die in- und der bilateralen Zusammenarbeit. haltlich unterschiedlich ausgestalteten Abkom- men verstärken die Zusammenarbeit in allen Kri- minalitätsbereichen in Bezug auf den Informa- Globale Zusammenarbeit tionsaustausch und bei gemeinsamen Massnah- Auf der globalen Ebene steht für den polizei- men an der Grenze. In Chiasso und Genf sind ge- lichen Informationsaustausch die Internationale stützt auf diese Abkommen gemeinsame Centres Kriminalpolizeiliche Organisation (Interpol) mit de coopération policière et douanière (CCPD) er- derzeit 184 Mitgliedern im Vordergrund. Die richtet worden und laufen auf Hochtouren. Sechs Hauptfunktionen der Organisation liegen in der weitere Abkommen wurden mit Slowenien, Lett- Verbreitung von Personen- und Sachfahndungen land, Tschechien, Rumänien, Albanien und Ma- und dem kriminalpolizeilichen Informationsaus- zedonien unterzeichnet, einer für die Bekämp- tausch. fung der organisierten Kriminalität wichtigen Re- gion. Der Abschluss weiterer Abkommen mit Regional-europäische Ländern aus dieser Region ist vorgesehen. Zusammenarbeit Auf regional-europäischer Ebene wird die Polizeiattachés Schweiz in absehbarer Zeit Zugang zu zwei neuen Zu einer Steigerung der Effizienz der interna- multilateralen Kooperationsplattformen erhal- tionalen Zusammenarbeit bei der Kriminalitätsbe- ten. Es sind dies die Assoziierung an das Schenge- kämpfung trägt das – im internationalen Vergleich ner Abkommen sowie das Kooperationsabkom- eher kleine – Netz von Schweizer Polizeiattachés men vom 24. September 2004 mit dem Europäi- bei.Polizeiattachés als vorgela- schen Polizeiamt (Europol). gertes Element im Dispositiv Vorgelagertes Element im Schengener Abkommen Das Schengener Abkommen der Strafverfolgung haben die Dispositiv der Strafverfolgung. und Europol. wurde am 5. Juni 2005 vom Aufgabe, ein persönliches, ver- Schweizer Volk gutgeheissen. trauenswürdiges Kontaktnetz aufzubauen sowie Schengen ermöglicht der Schweiz eine Intensivie- Informationsquellen zu erschliessen. Informelle rung der Polizeizusammenarbeit mit verschiede- Abklärungen über die Polizeiattachés sind effi- nen europäischen Staaten. Kernelement des Ab- zienter und schneller als der Weg über Interpol. kommens aus polizeilicher Sicht ist das europa- Damit können Ermittlungsverfahren in Bundes- weite Fahndungssystem (Schengener Informa- wie in Kantonskompetenz optimal unterstützt wer- tionssystem 2. Generation, SIS II). Dank einer den. Dieses Netz bewährte sich im Rahmen laufen- speziellen SIS-Ausschreibungskategorie wird es der Ermittlungen im Jahr 2005 wiederum. unter anderem möglich sein, Reisewege und -zie- le von mutmasslichen Terroristen besser zu ver- Nachrichtendienstliche folgen. Das Kooperationsabkommen mit Europol wur- Zusammenarbeit de 2005 vom Schweizer Parlament ratifiziert und Für die Verhinderung von Terroranschlägen trat am 1. März 2006 in Kraft. Aufgabe von Euro- ist die Arbeit der Nachrichtendienste besonders

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wichtig. Die Information der Nachrichtendienste tionen erlaubt. Für die Schweizer Polizeibehör- muss möglichst frühzeitig erfolgen, was das den ist diese Organisation deshalb von entschei- zeitgerechte Erkennen terroristischer Netzwerke dender Bedeutung. Im Bereich der bilateralen und die Verhinderung einschlägiger Aktivitäten Kontakte haben sich die Abkommen mit den voraussetzt. Die Prävention muss deshalb ein- Nachbarstaaten als unerlässliches Instrument zur setzen, bevor die Bedrohungen konkret und Intensivierung der Zusammenarbeit heraus- unmittelbar erscheinen. Aber auch nach einem gestellt, sowohl im Bereich des Informationsaus- erfolgten Terroranschlag sind die polizeilichen tausches wie auch der Durchführung von gemein- Ermittlungen auf eine enge Zusammenarbeit mit samen Massnahmen an der Grenze. Auf der den Nachrichtendiensten angewiesen. europäischen Ebene verläuft die Entwicklung im Bei fedpol nimmt der DAP als Schweizer Bereich Justiz und Inneres sehr dynamisch, vor Inlandnachrichtendienst die Verbindungen zu allem seit den Anschlägen vom 11. September ausländischen Sicherheitsbehörden wahr, die 2001. Die künftige Zusammenarbeit mit Europol dieselben Aufgaben wie er erfüllen,und er vertritt und im Rahmen von Schengen bringt der Schweiz die Schweiz in internationalen Gremien. Die eine weitere Stärkung im Kampf gegen transna- Prävention des Terrorismus macht heute den tionale Kriminalität. überwiegenden Teil des internationalen nachrich- tendienstlichen Informationsaustausches aus. Nachrichtendienstliche Im Einzelnen pflegt der DAP einen kontinu- ierlichen Nachrichtenaustausch mit rund neunzig Zusammenarbeit Partnerdiensten aus verschiedenen Staaten oder Der nachrichtendienstlichen Zusammenar- ausländischen Organisationen wie zum Beispiel beit kommt bei der Früherkennung von Gefahren der UNO und der EU. Der DAP ist auch Mitglied und Gewaltakten oder der Verhinderung von in vier informellen multilateralen Gremien: terroristischen Aktivitäten entscheidende Be- ● in der «Counter-Terrorism Group» (CTG), deutung zu. Der DAP unterhält seit langem zusammengesetzt aus je einem Dienst aus regelmässige Beziehungen zu ausländischen jedem EU-Staat sowie aus Norwegen und der Sicherheits-, Nachrichten- und Polizeidiensten. Schweiz, Anfang der 70er-Jahre führte der immer breite- ● im «Club de Berne», der Dienste aus 21 Län- ren Raum einnehmende Informationsaustausch dern vereinigt, zu einem engeren Zusammenschluss der westeu- ● in der «Middle European Conference» ropäischen Sicherheitsdienste und zur Einrich- (MEC), bestehend aus Diensten aus 20 Län- tung eines gemeinsamen sicheren Übermittlungs- dern mit Schwergewicht im südosteuropäi- systems. Der bilaterale Aus- schen Raum und tausch sicherheitsrelevanter Erfolg versprechende ● in der «Police Working Group on Terrorism» Informationen wurde laufend Staatsschutztätigkeit ohne (PWGT) der polizeilichen Anti-Terroreinhei- ausgebaut und intensiviert. ten aus 28 Ländern. Die Kontakte und der Infor- nachrichtendienstliche Als Voraussetzung für einen nachrichten- mationsaustausch mit auslän- Zusammenarbeit dienstlichen Informationsaustausch mit dem «Si- dischen Diensten sind für undenkbar. tuation Center» der EU schloss die Schweiz ein die Sicherheitsinteressen der Abkommen über die Sicherheitsverfahren für Schweiz von vitaler Bedeutung. Ohne sie wäre den Austausch von Verschlusssachen. eine Erfolg versprechende Staatsschutztätigkeit Die Mitgliedschaft in den genannten multi- im Interesse der Sicherheit der Schweiz un- lateralen Gremien erschloss der Schweiz auch denkbar. 2005 für ihre Sicherheit wichtige Informationen. Dies gilt nicht zuletzt für die Lagebeurteilung nach den Attentaten von London im Juli 2005. MÖGLICHE ENTWICKLUNG Handlungsbedarf

BEURTEILUNG Im Bereich der globalen Zusammenarbeit können die Kooperationsmöglichkeiten von In- Polizeiliche Zusammenarbeit terpol, namentlich der Zugang zu weiteren Da- Interpol ist die einzige Organisation, die einen tenbanken, optimal ausgeschöpft werden. Bei der weltweiten Austausch von polizeilichen Informa- europäisch-regionalen Zusammenarbeit steht die

BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ 81 BERICHT 2005 7.WEITERE ASPEKTE DER INNEREN SICHERHEIT

rasche und effiziente Umsetzung der Abkommen Der Kreis der nachrichtendienstlichen Part- mit Europol und von Schengen im Vordergrund. ner des DAP entspricht den aktuellen Bedürfnis- Im bilateralen Bereich wird es darum gehen, sen der Schweiz bei der Bekämpfung von Terro- die neu verhandelten Abkommen konsequent rismus und organisierter Kriminalität. Kann je- umzusetzen sowie die Anwendung der bereits in doch die Zusammenarbeit mit dem Ausland Kraft getretenen Abkommen weiter zu optimie- wegen begrenzten gesetzlichen Handlungsmög- ren. Weiter sollen mit ausgewählten Staaten, die lichkeiten nur ungenügend wahrgenommen wer- einen besonderen Einfluss auf die Kriminalitäts- den, droht die Schweiz, von Informationen aus entwicklung in der Schweiz haben, neue Abkom- dem Ausland abgeschnitten zu werden. Im Rah- men geschlossen werden.Überdies gilt es,die vor- men der Revision BWIS II werden deshalb neue gesehene, aber aus Ressourcengründen nur an- Nachrichtenbeschaffungsmittel geprüft, die der satzweise umgesetzte Stationierung von weiteren heutigen Situation besser angepasst sind. ■ Polizeiattachés im Ausland konsequent weiter zu verfolgen.

82 BERICHT INNERE SICHERHEIT DER SCHWEIZ REPORT 2005

DOMESTIC SECURITY REPORT SWITZERLAND 2005

Summary

Focal points 2005 84

Overall assessment 85

Measures 86 REPORT 2005 SUMMARY

Focal points 2005

Attacks by Islamist terrorists not pose a threat to national security on the whole; in London but the number of right-wing motivated attacks against asylum facilities and foreigners slightly On 7 July 2005, four suicide bombers blew increased in 2005. The threat right-wing activism themselves up on London’s public transport net- poses thus persists. work.They killed 48 passengers and injured more than 500 people. Together with the bombings in Madrid, the attacks confirmed the new force of Violence by left-wing activists the threat to Europe by Islamist terrorism. In Once again left-wing activists showed greater many places, small cells of violent jihad activists preparedness to use violence; their willingness are evolving,which owing to their limited capacity at least to inflict bodily harm, especially on the are only able to select targets in their vicinity. security forces, has risen. Up until the attacks in Madrid in 2004, most of Left-wing extremists have lost their most im- the violent Islamist activists considered Europe a portant platform through their self-inflicted iso- region of retreat and a place lation within the globalisation movement and as Europe – The new arena for planning the logistical sup- a result of consistent intervention by the police, for Islamist terrorism. port of attacks, rather than an especially at unauthorised events. Their reaction area of terrorist operations. has been to increase, and place new emphasis on, However, especially since the attacks in London, their demands, and to change their tactics. The Europe has also become an arena for Islamist ter- left-wing scene has devised a two-fold strategy: on rorism. the one hand their criticism of the globalisation process,especially of the World Economic Forum, is now no longer limited to Islamist activities in Switzerland certain events but expressed Focus on the “Fight against Switzerland was not a target of Islamist terror- the whole year round. On the Fascism” and alleged police ism in 2005. However, it must be assumed that other hand, old and new issues repression. jihadis could be residing in the are increasingly being pushed Switzerland – An integral country. In view of recent de- into the foreground, such as the renewed em- part of the European velopments in jihadi ideology, phasis on the ”Fight against Fascism” and alleged field of operation. terrorist attacks in Switzer- police repression. land – an integral part of the In some instances and places, left-wing vio- European field of operation – are becoming an lence endangered public law and order,but did not increasing possibility. pose a threat to Switzerland’s domestic security.

Right-wing extremism Proliferation There were 111 incidents in 2005 that were mo- In 2004, the Service for Analysis and Pre- tivated by right-wing extremism. Also, the num- vention (SAP) at the ber of right-wing concerts has particularly in- (fedpol) started investigating Swiss involvement creased over the past few years. in Dr. Abdul Qadeer Khan’s nuclear technology Parts of the extreme right have renounced vi- network. Dr. Khan is considered the father of the olence. However, the damage caused by right- Pakistani atomic bomb. The investigations were wing activists, especially injury caused to people, especially focused on Swiss exports in connection is considerable. Appearances with Libya’s nuclear programme. The Office Threat to local safety by right-wing extremists such of the Attorney General of requires deployment of as on 1 August on the “Rütli”, Switzerland began proceed- Ongoing investigations greater police forces. or confrontation with oppos- ings in October 2004 on sus- into the Khan network. ing groups, required the de- pected violation of the Goods ployment of greater police forces and in some in- Control Act and the War Materials Act. The in- stances and places endangered public law and or- vestigations resulted in the arrest of three mem- der in Switzerland. However, such incidents did bers of one and the same family.

84 DOMESTIC SECURITY REPORT SWITZERLAND REPORT 2005 SUMMARY

In October 2005,the State Secretariat for Eco- ganised groups consisting mostly of young people nomic Affairs (seco) laid a further charge with the who sought violent confrontation not only with Attorney General’s Office for violations of the opposing supporters but also with innocent by- Goods Control Act and the War Materials Act. standers and the police. According to the obser- The charge involved a Swiss company that ex- vations of the police, the brutality of the violence ported, or attempted to export, goods to prolifer- has increased and the perpetrators have become ation-relevant purchasers in a Middle-Eastern younger. country. Organised Once again the repressive fight against money Criminal groups from south-eastern Europe, laundering in Switzerland in 2005 took place especially from Macedonia, Albania and Kosovo, under special circumstances: the more complex continued to play a significant part in the evolu- cases especially revealed that the predicate of- tion of crime in Switzerland. The significance of fence was often committed abroad, and Switzer- Serbian groups – a trend that has been consistent land was only used to deposit in the last two to three years – continued to grow. the crime proceeds. In pre- Repressive means for fighting Furthermore, criminal groups from the Common- senting evidence during crimi- money laundering – Special wealth of Independent States remained a serious nal proceedings, Switzerland circumstances in Switzer- threat to Switzerland’s economy, its financial cen- therefore largely relied on the land. tre and its democratic institutions. cooperation of the country in which the predicate offence has been committed. If evidence of the predicate offence was insuffi- Hooliganism cient, the proceedings in Switzerland collapsed. In 2005, there were approximately 400 people Moreover, many cases were dealt with by means in Switzerland known to have intentionally of mutual legal assistance, or for technical reasons caused violence at sporting events. A further 600 were delegated to the state in which the predicate were occasionally involved in violent confronta- offence had been carried out. As a result of this, tions and in damage to property. the statistics on convictions are not truly repre- The hard core of the hooligan scene is well- sentative of the repressive fight against money organised and sought confrontation mainly with laundering. Switzerland’s law enforcement agen- people of the same conviction. A more significant cies often make an important contribution to the threat to public security was posed in 2005 by or- international fight against money laundering.

Overall assessment A general picture of Switzerland’s be on the increase,and there is a growing tendency towards violence in the right and left-wing domestic security scene, in the area of hooliganism and in human According to the annual survey by the Swiss trafficking. Federal Institute of Technology in released in spring 2005, the Swiss invariably feel safe in their country; the at- Islamist terrorism Switzerland – A compara- tacks in Madrid in March of The trend to smaller independent Islamist tively safe environment. the previous year had done lit- terrorist cells continued in 2005. One such cell tle to change this. This feeling was responsible for the attacks in London, which is not unrealistic because the Swiss, even in 2005, from a terrorist’s point of view were successful. still lived in a comparatively safe environment. There has been no hard evidence up to now to Nevertheless, it must be said that negative trends suggest that terrorist acts have been planned in could not be halted: youth violence continues to Switzerland. However,it is assumed that there are

DOMESTIC SECURITY REPORT SWITZERLAND 85 REPORT 2005 SUMMARY

Islamist activists in Switzerland who aspire to such wants to avoid playing into the hands of its oppo- acts. The threat situation can change quickly and nents. at any time. The trend towards smaller independent cells and the attacks in London illustrate that never be- Organised crime in Europe fore has it been more difficult to trace terrorists National security agencies still face the chal- before an attack is launched. It is not surprising, lenge of focussing the necessary attention on, and therefore, that since 2005 the directing their efforts at, the threat organised Islamist terrorists – Largely debate over the instruments crime represents to domestic security. There is free to act and make liberal democracies and con- increasing evidence of links decisions independently. stitutional states may use for between terrorist groups and National and international combating such threats has other areas of crime such as cooperation – The key to grown fiercer. The objective is to find a practica- petty crime as well as organ- fighting organised crime ble solution; on the one hand the state must have ised crime. In view of the successfully. sufficient and efficient instruments at its disposal transnational character of to ensure the safety of its citizens; on the other these forms of crime, national and international hand these instruments should not betray a state’s cooperation remains the key to success in com- achievements, its principles and its ideals, if one bating organised crime.

Measures

Further ban on Al Qaeda may be refused not only on account of the back- ground of the applicant, but – as of recently – also At the end of November 2005, the Federal if the position of the centre Council extended the ban on the terror organisa- is generally extremist. In No- Keeping extremist tion Al Qaeda and its associate organisations for a vember 2005, the Federal preachers from working further three years until 31 December, 2008. The Court upheld a decision by and out of the country. ban includes not only all activities by the organi- the canton of to re- sation itself, but also all activities in support of fuse a work permit to a Turkish imam who had the organisation. been employed by an Islamic centre, the reason being the unconstitutional remarks made by the Preventive measures against centre’s director. In such matters regarding work permits, the security authorities are consulted. extremist preachers Fedpol systematically imposes entry bans on Changing circumstances Islamist extremists. The bans apply to activists who have been convicted abroad, to suspected in the fight against terrorism members of terrorist groups and to hate-preach- The current ideological tendency of Islamist ers; for example an Egyptian cleric who wanted terrorists to conduct violent jihad individually on to participate in the annual conference of the the local level means principally that terrorist Muslim umbrella organisation “Swiss Muslims attacks can be carried out possibly anywhere, League” in September 2005 was prevented from including Switzerland. The taking part when the Swiss authorities imposed a more independently jihadis Domestic Security Act II. ban on his entering the country. act, the more difficult it be- Furthermore, the refusal of work permits for comes to identify them before the act is commit- imams from abroad who want to carry out their ted. Identifying jihadis before they strike requires duties in religious centres in Switzerland serves what most European countries have done in the as a means of preventing the dissemination of last few years; that is to extend the means of in- extremist Islamist propaganda. A work permit telligence to anticipate such acts.

86 DOMESTIC SECURITY REPORT SWITZERLAND REPORT 2005 SUMMARY

If Switzerland does not follow this develop- The national security plan in Switzerland is ment, it will not only lose its credibility towards its being devised jointly by the federal, cantonal and partners in the international fight against terror- municipal authorities, and should be implement- ism,but it also risks turning from an area of retreat ed in keeping with the original fields of compe- into an area of agitation for Islamist extremism tence of the different govern- and terrorism. The current amendment of the mental levels. Basically, the The Swiss federal govern- Federal Act on Measures for Safeguarding Do- cantons and the cities where ment, the cantons and the mestic Security (known as the Domestic Security the football matches will be cities pledge to guarantee Act II, for short) takes these changing circum- taking place are responsible security. stances into account. The Federal Council plans for implementing the security to put forward its draft legislation to the Federal measures. The organiser of the event is responsi- Parliament in 2006. ble for safety inside the stadiums. In addition to their responsibilities in the field of domestic secu- Measures against violence rity,the federal authorities will also be responsible at sporting events and violent for coordinating the measures. During the course of 2006, the Federal Parlia- propaganda ment will deliberate a change to the decision on Currently there is nothing to suggest that vio- the contributions by the federal government to lence at sporting events – mainly in football and the UEFA EURO 2008. This bill will regulate, hockey games – has decreased; rather, the police amongst other issues, the financing of the security have noticed an upsurge in violence. The amend- measures by the federal government, the canton- ment of the Federal Act on Measures for Safe- al authorities and the municipalities where the guarding Domestic Security (Domestic Security matches will be taking place. Act I), which is to be passed by the Federal Parliament in spring 2006, should bring remedial Right-wing extremism action. The revised legislation should provide thecantonal security agencies with additional tools in the Swiss army such as exclusion orders, exit restrictions, registra- In August 2005, the Swiss army’s specialised tion orders and preventive detention to help pre- unit for extremism was removed from the Federal vent violence at sporting events. Furthermore, Department of Defence, Civil Protection and hooligans that are known to the police for causing Sports and incorporated into the Service for violence at sporting events will be registered in a Combating .This contact and coordination newly-established national database. unit investigates extremist-motivated incidents The amendment of the Domestic Security Act within the army. It also conducts work in the fields I also includes a further clause on confiscating of prevention, communication and awareness. propaganda material that incites to violence. As a preventive measure, it is planned that such The Federal Police Information material be confiscated,regardless of the quantity, by means of an administrative order. Systems Act The purpose of the Federal Police Informa- Measures regarding tion Systems Act (FPI) is to unify the legal frame- works of the federal police databases.A police in- UEFA EURO 2008 dex should in future allow authorised offices to In June 2008, the European football champi- check the database for persons who are known to onship UEFA EURO 2008 will take place in Aus- the federal or cantonal police and, in the affirma- tria and Switzerland. To this end, a Swiss-Austri- tive, to find out which police an working group on security was established in authority is involved.This is an Legal basis for federal March 2004. Identical project groups in both improvement over the current police databases. countries are working on a national security plan system which requires each that is based on a framework concept drawn up by authority to be individually contacted for any in- Switzerland and . This concept should formation on a person. During the consultation guarantee uniform safety standards in all areas. procedure the reaction to the first draft of the new The draft was passed on a ministerial level at the FPI was mostly positive; the idea of a police index end of September 2005. was especially welcomed.

DOMESTIC SECURITY REPORT SWITZERLAND 87 REPORT 2005 SUMMARY

Non-proliferation Fighting corruption Switzerland has ratified all international Switzerland’s measures for fighting corrup- agreements on weapons of mass destruction and is tion compare favourably internationally; in fact, a member of all four export control regimes, they are above average and oriented towards whose objective is to control the use of goods international agreements and standards. More- that have a civilian and military purpose. These over, the appropriate regulations are currently regimes are: the Nuclear Suppliers Group, the being expanded accordingly. Another step to- Australia Group (on biologi- wards increased prevention Prophylax – A successful cal and chemical weapons), and repression has also been Prevention and repression – prevention and awareness the Missile Technology Con- made with the legislative im- Improving the fight against programme. trol Regime, and the Wasse- plementation of the Council of corruption. naar Arrangement on Export Europe’s Criminal Law Con- Controls for Conventional and Dual-Use Goods vention on Corruption.From 1 July,2006,not only and Technologies. In 2005, the seco refused au- active corruption, but also passive corruption by thorisation for 15 export applications, a threefold private persons (Article 4a Federal Act against increase over 2004. Around two-thirds of these Unfair Competition) and the passive corruption applications involved so-called catch-all-cases; of foreign and international officials (Article that is goods that are not subject to authorisation 322septies Swiss Criminal Code) will be consid- but were registered with the seco because they ered illegal. Finally, corporate liability will be ex- were intended for a high-risk end user. tended to include private sector participation in In autumn 2004, fedpol (SAP) started visiting corruption (Article 100quater paragraph 2 Swiss Swiss companies as part of its prevention and Criminal Code). awareness programme called Prophylax.The pur- However, new legislation on its own is not suf- pose of Prophylax is to systematically approach ficient to prevent corruption. Combating cor- and open a dialogue with Swiss companies that ruption successfully requires police and judicial manufacture sensitive products such as tool ma- authorities who are familiar with the issues, the chines, measuring instruments or chemical prod- necessary personnel resources to conclude the ucts that could be exported to high-risk countries. often time-consuming and lengthy investigations, By December 2005, fedpol had visited 150 com- and also the protection of employees and other panies throughout Switzerland. individuals who report corrupt practices.

Organised crime Human trafficking In October 2005, the Federal Council put for- In 2005 Switzerland took a number of crucial ward its draft legislation on the ratification of the steps to combat human trafficking and achieved United Nations Convention against Transnation- some success on the cantonal and national level. al Organised Crime and both additional protocols On 11 March, 2005, the Federal Council put for- against the trafficking of persons and smuggling ward its draft legislation on the ratification of the of migrants. These agreements represent a fur- Optional Protocol to the Convention on the ther important development in international cri- Rights of the Child, on the Sale of Children, Child minal law and a milestone in international co- Prostitution and Child Pornography. The draft operation against transnational organised crime. legislation is currently being debated by the Fed- The creation of minimum standards in regulations eral Assembly.At the same time,Article 196 of the and measures is a significant precondition for Swiss Criminal Code on human trafficking is be- strengthening international cooperation. The sig- ing amended. Besides trafficking for the purpose natory states have committed themselves to out- of sexual exploitation, the new legislation will lawing the participation in a criminal organisation also make trafficking to exploit labour and the and money laundering. Moreover, they must ex- removal of human organs punishable offences. amine whether the act of corrupting foreign offi- Moreover, a one-time offender will also be liable cials, actively or passively, should be punishable. for punishment for human trafficking. And the A further point of the convention is the criminal, new law on foreign nationals will include a clause civil or administrative prosecution of companies, granting residence permits to victims of human and the confiscation of illegally acquired assets. trafficking.

88 DOMESTIC SECURITY REPORT SWITZERLAND REPORT 2005 SUMMARY

New legislation on foreign nationals of purchase as is the case in commercial trading, and firearms imported into Switzerland or ma- Under Article 116 of the new legislation on for- nufactured in the country have to be marked so eign nationals (Aliens Act) human trafficking will they can be traced back to the original source. qualify as a felony. Human trafficking will also be Finally, the licensing practice will be standardised listed as a felony in the Federal Act on the Sur- throughout Switzerland. veillance of Post and Telecommunications and in Apart from these changes, which have already the Federal Act on Covert Investigations. Elevat- been agreed upon, the Federal Council has pro- ing human trafficking to the status of a felony posed further reforms. Under these reforms, means that in future law enforcement agencies imitation guns, air guns, blank cartridge guns and will have greater investigating and prosecuting airsoft guns are to be placed in the same category competence. as normal weapons and would Increasing the penalty for smuggling on a therefore be subject to the Weapons Act substantially commercial basis is expected to have a preventive same legal regulations. How- effect. Furthermore, incorporating new offences amended and improved. ever, this only applies if the such as illegal transit, transit smuggling, bogus weapon has endangering potential; for example marriages or deception of officials, will help if it could be mistaken for a real one or if it has a combat forms of smuggling that are more difficult certain muzzle power. Likewise, selling weapons to detect. anonymously, for instance over the Internet or through advertisement, would become illegal under new legislation. It has further been pro- Electronic communication networks posed to prohibit the improper carrying of dan- The year 2005 saw the completion of the con- gerous objects. It would thus be possible for state sultation procedure on the report and preliminary security forces to confiscate baseball bats, metal drafts for the revision of the Swiss Criminal Code pipes, bicycle chains and other objects carried in and the Military Criminal Code. The drafts under public before they can be used to injure people or review regard the criminal responsibility of commit offences. However, this would only apply providers (Preliminary Draft A) and federal if it is obvious that such objects are meant for use jurisdiction in prosecuting committed by as weapons. means of electronic communication networks The draft also includes legislation on the (Preliminary Draft B). The Federal Department exchange of data between fedpol and the army. of Justice and Police (FDJP) intends to submit the Under proposed legislation, fedpol would be results of the consultation proceedings and new responsible for establishing a national office to draft legislation pertaining to Article 344 of the evaluate tracing data on firearms. The amend- Swiss Criminal Code (electronic communication ment under review does not contain any reforms networks) to the Federal Council in 2006. Under limiting hunting or shooting sports, however. the new legislation, the Office of the Attorney General of Switzerland and the Federal Criminal Cooperation between Police would thus be empowered to conduct ini- tial investigations into criminal offences com- intelligence services mitted by means of electronic communication When planning for the years 2003 through networks in such cases where it is has not yet been 2007, the Federal Council defined its ninth ob- determined which canton is responsible. Regard- jective – safeguarding security – in some detail: ing Preliminary Draft A, the Federal Council has accordingly, Switzerland’s security policy instru- yet to decide on the further course of procedure. ments must fully interact with each other and be flexible.Besides,the instruments for safeguarding domestic security were further strengthened in Weapons Act 2005 with the introduction of Switzerland’s joining of the Schengen Agree- numerous police and judicial SAP and SIS – Joint eva- ment means that the Weapons Act needs to be measures. One of these meas- luation and analysis forums. extended in a number of essential respects; thus, ures was the decision taken by the unauthorised possession of firearms becomes the Federal Council on 22 June 2005 that in fu- a punishable offence, the trading of firearms ture the Strategic Intelligence Service (SIS) at the between private individuals requires a certificate Federal Department of Defence, Civil Protection

DOMESTIC SECURITY REPORT SWITZERLAND 89 and Sports, and fedpol’s SAP (FDJP) should nection with Swiss information systems for finger- work together more closely in the fields of ter- printing and DNA profiling. rorism, organised crime and nonproliferation. To this end, three joint evaluation and analysis Preventing the misuse of lost forums were established at the beginning of 2006. At the same time the Federal Council also decid- and stolen passports ed to implement a project that had been aimed All over the globe, lost and stolen passports at establishing the staff of the Federal Council Se- or other documents are used time and again to curity Committee. The purpose of this staff is to commit offences or to avoid law enforcement. strengthen the leadership of the Confederation in An Interpol database should put a stop to this. security policy matters. The staff began work on Switzerland was one of the first countries to take 1 October, 2005. advantage of the automated document compari- son facility in December 2005: Linking up its national database to Interpol’s database makes International cooperation it possible to immediately check and compare In the popular vote on 5 June, 2005, the Swiss document numbers. The system, which was de- people agreed to Switzerland’s joining of the veloped under the overall leadership of fedpol, Schengen and Dublin Agreements. The Federal can be used by authorised offices in Switzerland Council has strengthened international police and can considerably curb the misuse of travel cooperation through a series of agreements. The documents. parliamentary draft on cooperation with Europol was passed by the Federal Council in January 2005 and subsequently ratified by Parliament Biometric data in the Swiss passport before coming into force on 1 March, 2006. By International factors have made the intro- approval of the Federal Council, several bilateral duction – initially as a pilot project – of biometric police cooperation agreements have been signed data in Swiss passports necessary in order to with Latvia, the Czech Republic, Romania, Slo- guarantee the freedom of travel to Swiss citizens venia,Macedonia and Albania.These agreements and to ensure the high security standard of the form the legal basis for consolidating and further Swiss passport as compared internationally. The improving certain areas of cooperation that al- facial photograph and the fingerprints of the hold- ready exist through Interpol,such as the exchange er are among the main biometric information.The of police intelligence, the coordination of opera- Ordinance on Documents for Swiss Nationals is tional measures, the establishment of joint work- currently being revised. It will serve as a basis for ing groups and joint training modules while at the incorporating the electronic photograph into same time taking into account data protection Swiss passports within the framework of a pilot regulations. scheme. By decision of the Federal Council dated Furthermore, in April 2005 the Federal Coun- 15 September 2004, the revision only concerns the cil passed the parliamentary draft on an agree- project phase and is limited to a period of five ment with Liechtenstein on cooperation in con- years. ■

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