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Band 4, Heft 1:1- 56 Zeitschrift Wiesbaden, Mai 1986 für Vogelkunde (ausgeliefert im Juni 1986) und Naturschu in Hessen

ISSN 0173-0266

Herausgeber: Der Hessische Minister für Umwelt und Energie - Oberste Naturschutzbehörde - Herausgeber:

Der Hessische Minister für Umwelt und Energie - Oberste Naturschutzbehörde - Redaktion: W. Bauer, Frankfurt am Main Dr. H.J. Böhr, Wiesbaden K. Fiedler, Offenbach am Main Dr. W. Keil, Frankfurt am Main K. Möbus, Frankfurt am Main

Druck: C. Adelmann, Frankfurt am Main

Wiesbaden (1986) Alle Rechte vorbehalten.

Für den Inhalt ihrer Beiträge sind die Autoren verantwortlich. 111. .1111116

Band 4 Zeitschrift (1986 -1987) fürVogelkunde und Naturschutz in Hessen

ISSN 0173-0266

Herausgeber: Die Hessische Ministerin für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz - Oberste Naturschutzbehörde - Inhaltsverzeichnis Seite

Berichte

W. BAUER: Anforderungen an eine integrierte Planung des Naturschutzes und der Abgrabungsindustrie - Erfahrungen in Hessen 211 BOTANISCHE VEREINIGUNG FÜR NATURSCHUTZ IN HESSEN et al.: Vorschläge und Forderungen zur Naturschutzpolitik in Hessen 191 J. W. BRAUNEIS: Artkapitel „Waldschnepfe" der neuen „Avifauna von Hessen" 153 J. W. BRAUNEIS & W. BRAUNEIS: Zur Bedeutung von Schutzgebieten für den Brut- bestand einiger ans Wasser gebundener Vogelarten im hessischen Werratal (Werra-Meißner-Kreis) 269 0. DIEHL: Schützt die Obstwiesen! Konsequenzen aus der Streuobstkartierung 3

F.EMDE: Nisthilfen für den Eisvogel (Alcedo atthis) 161 A. ENSGRABER: Hessens neue Naturschutzgebiete (14) 11 A. ENSGRABER: Hessens neue Naturschutzgebiete (15) 135

A. KÖSTER: Brutbestand 1986 und Nahrungsräume der Saatkrähe (Corvus frugilegus) in Hessen 99 G. KRAPF: Nachwachsende Rohstoffe - eine kritische Bewertung aus der Sicht des Natur- und Umweltschutzes 25 H.-J. KRIEG: Das Naturschutzgebiet „Röhrig von Rodenbach" (Main-Kinzig-Kreis) 59 I. MOHR: Zur Schutzwürdigkeit einer stillgelegten Bahntrasse im Hintertaunus 281 F. NÜRNBERGER: Die Populationsentwicklung und die derzeitige Situation der Saat- krähe (Corvus frugilegus) in Hessen 89 K. RADLER: Faunenverfälschung, Artenschutz und Genetik - Konzepte, Fakten und Probleme - 247

J. H. REICHHOLF: Vogelschutz: die Bringschuld der Wissenschaft 345 E. SCHNEIDER & R. SCHULTE: Die Haltung und Zucht von Vögeln und anderen Wild- tieren - Artenschutz der Zukunft? 215 K. SCHREINER: Ackerrandstreifenprogramm erfolgreich in Hessen angelaufen 121 K. SCHREINER: Ackerrandstreifen- und Wiesenprogramm in Hessen: Durchführung und erste Ergebnisse 303 STAATLICHE VOGELSCHUTZWARTE FÜR HESSEN, RHEINLAND-PFALZ UND SAARLAND & HESSISCHE GESELLSCHAFT FÜR ORNITHOLOGIE UND NATUR- SCHUTZ E.V.: Rote Liste der bestandsgefährdeten Vogelarten in Hessen.-7. Fassung, Stand 1. Januar 1988 335 K.-U. STÖRKEL: Einige Vorschläge für den naturnahen Ausbau von kleineren Fließ- gewässern 39

K.-U. STÖRKEL: Naturschutz und Entwässerungsgräben - Anregungen und Tips 117 Seite

U. WESTPHAL: Tümpel - Lebensraum für Überlebenskünstler 111

P. WÖLFING: Erfahrungen in einer Vogelauffangstation - eine erneute Bilanz nach weiteren drei Jahren 105

Kleine Mitteilungen

ARBEITSGEMEINSCHAFT DER DEUTSCHEN VOGELSCHUTZWARTEN: Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Vogelschutzwarten zum Problem des Aussetzens von Weißstörchen 175

H. BUB: Eissturmvogel (Fulmarus glacialis) bei Kassel 47

D.& 0. DIEHL: Schwalben mit flugunfähigmachendem Gespinst im Gefieder 328

K. FIEDLER: Bemerkenswerte Brutzeitbeobachtungen in Hessen 1986 165 K. FIEDLER & K. MÖBUS: Bemerkenswerte Brutzeitbeobachtungen in Hessen 1987 353

0. JOST: Brutökologische Besonderheiten bei Baumfalke (Falco subbuteo), Eichel- häher (Garrulus glandarius) und Kuckuck (Cuculus canorus) 1986 im Landkreis 361 W. KEIL: Richtigstellung zu: Festschrift „Der Wanderfalke in Baden-Württemberg - gerettet!" 180 K. KLIEBE: Steppenkiebitz (Chettusia gregaria) bei Kirchhain/Kreis Marburg- Biedenkopf 327 H.-J. KRIEG: Erstnachweis der Alpendohle (Pyrrhocorax graculus) in Hessen 48 H.-J. KRIEG: Berichtigung zu „Das Naturschutzgebiet Röhrig von Rodenbach" (Main-Kinzig-Kreis) 180

L.MALLACH: Beobachtungen zum Bruterfolg eines Haubentaucher-Bestandes 1985 auf künstlich angelegten Wasserbecken 123 L. MALLACH: Schlafplatzflüge überwinternder Krähen-Dohlenschwärme (Corvidae) im Raum Wiesbaden-Biebrich und Mombacher Ufer, Budenheim 126 K. MÖBUS: In Schweden beringte Streifengänse (Anser indicus) überwintern in Frankfurt am Main 174 G. RHEINWALD: Presseerklärung der Deutschen Sektion des Internationalen Rates für Vogelschutz e.V. (DS/IRV) 179 K. STAIBER: Berichtigung zu Schellenten-Brut 1985 47

Aus der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland

A. HARBODT: Schutz der Streuobstwiesen -ein Beitrag zum Hessischen Naturschutz- programm 41

G. LESSING: Anhang zu „Steuobstkartierung" 44 Seite

R. ROSSBACH: 50 Jahre Vogelschutzwarte Frankfurt-Bericht über die Jubiläumsfeier im Römer zu Frankfurt am Main 363 W. KEIL: Zur Bejagung von Krähenvogelarten -Stellungnahme der Staatl. Vogelschutz- warte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland anläßlich der Anhörung im Landtag von Rheinland-Pfalz am 26. November 1987 367

Aktuelle Mitteilung der Redaktion

Birkenzeisig- (Carduelis flammea)-Invasion in Hessen 181

Zeitschriftenschau

Bundeswildschutzverordnung (BWildSchV) 49

Pressemitteilung: Naturschutzverbände klagen gegen die Freigabe von Rabenvögeln zum Abschuß 370

Persönliches K.-H. BERCK: Erinnerungen an LUDWIG GEBHARDT 182 W. KEIL: In memoriam OTTO VÖLKER (1907-1986) 185

Neue Literatur: 10, 23, 24, 40, 46, 56, 98, 110, 116, 120, 122, 131, 132, 160, 186-188, 268, 280, 301-302, 326, 330-332, 362, 371-376

Vorankündigung: Atlas der Brutvögel Luxemburgs 181

Herausgeber:

Die Hessische Ministerin für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz - Oberste Natuschutzbehörde - D-6200 Wiesbaden, Hölderlinstraße 1-3 Redaktion: W. Bauer, Frankfurt am Main Dr. H.-J. Böhr, Wiesbaden K. Fiedler, Offenbach am Main Dr. W. Keil, Frankfurt am Main K. Möbus, Frankfurt am Main Druck: C. Adelmann, Frankfurt am Main

Alle Rechte vorbehalten. Für den Inhalt ihrer Beiträge sind die Autoren verantwortlich. IV Band 4, Heft 1:1- 56 Zeitschrift Wiesbaden, Mai 1986 für Vogelkunde (ausgeliefert im Juni 1986) und Naturschutz in Hessen

ISSN 0173-0266

Herausgeber: Der Hessische Minister für Umwelt und Energie - Oberste Naturschutzbehörde - Inhaltsverzeichnis

Seite

0. DIEHL: Schützt die Obstwiesen! Konsequenzen aus der Streuobstkartierung 3

A. ENSGRABER: Hessens neue Naturschutzgebiete (14) 11

G. KRAPF: Nachwachsende Rohstoffe - eine kritische Bewertung aus der Sicht des Natur- und Umweltschutzes 25

K.-U. STÖRKEL: Einige Vorschläge für den naturnahen Ausbau von kleineren Fließgewässern 39

Aus der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland

A. HARBODT: Schutz der Streuobstwiesen - ein Beitrag zum Hessischen Naturschutzprogramm 41

G.LESSING: Anhang zu „Streuobstkartierung" 44

Kleine Mitteilungen

H.BUB: Eissturmvogel (Fulmarus glacialis) bei Kassel 47

Berichtigung zu Schellenten-Brut 1985 47

H.-J. KRIEG: Erstnachweis der Alpendohle (Pyrrhocorax graculus) in Hessen .... 48

Bundeswildschutzverordnung (BWildSchV) 49

Neue Literatur 10, 23, 24, 40, 46, 56

2 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen • Vogel und Umwelt 4: 3 - 9 (1986)

Schützt die Obstwiesen! Konsequenzen aus der Streuobstkartierung * von OTTO DIEHL, Babenhausen-Langstadt

Die Obstbäume wurden in Hessen in den Jahren 1938,1951 und 1965 gezählt. Die dabei ermit- telten und vom Statistischen Landesamt (1953, 1967) zusammengefaßten Zahlen sind jedoch nur bedingt miteinander vergleichbar, weil die Zählungen jeweils unter etwas veränderten Gesichtspunkten erfolgten. Trotz dieser Einschränkung sind die Ergebnisse eindeutig.

Die Gesamtzahlen aller Obstbäume, vom Apfel bis Pfirsich, vom Hochstamm bis zum Spindel- busch, an allen Standorten von der Feldgemarkung bis zum Hausgarten, betrugen in Hessen:

1938 = 13.184.000 Stück 1951 = 12.660.000 Stück 1965 = 10.500.000 Stück, was bis dahin, über den Zeitraum von 1938 bis 1965 hinweg, eine Abnahme von etwa 20 0/0 bedeutet.

Bei unserer neuen, von der Vogelschutzwarte, in Verbindung mit dem Deutschen Bund für Vogelschutz (DBV) und der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON), veranlaßten Bestandsaufnahme werden wir eine hiermit direkt vergleichbare Zahl nicht erhalten, weil wir dabei nur den Baumbestand in der Feldgemarkung erfassen.

Für den Altkreis Dieburg in seiner früheren Größe, einschließlich der durch die kommunale Gebietsreform inzwischen abgetrennten Gemeinden, stehen mir folgende Zahlen zur Ver- fügung: 1951 = 321.433 Stück 1965 = 251.673 Stück.

Auch hierbei sind alle Obstsorten, alle Baumformen und alle Standorte enthalten. Für die Zeitspanne 1951 bis 1965 beträgt die Abnahme rund 22 %.

Bei der von uns 1983 bis 1985 durchgeführten Baumkartierung wurden nur noch 46.400 Bäume ermittelt, wobei im Gegensatz zu den vorausgegangenen Zählungen nur die Bäume in der freien Feldgemarkung erfaßt wurden. Haus- und Obstgärten im Siedlungsbereich blieben genauso unberücksichtigt, wie eingezäunte Erwerbsobstanlagen. Weiterhin ist zu bedenken, daß der frühere Landkreis Dieburg durch die Abtrennung von 11 Ortschaften inzwischen von ehemals 450 qkm auf ca. 370 qkm verkleinert wurde. Ein unmittelbarer Vergleich ist also auch hier nicht möglich.

* Diesem Manuskript liegt ein Vortrag zugrunde, den der Verfasser bei der Fachtagung des Landesverbandes Hessen im Deutschen Bund für Vogelschutz (DBV) am 20.10.1985 in Dieburg gehalten hat. 3 Außerdem möchte ich die Zahlen für die Gemarkung Langstadt, meinen Heimatort, nennen. Es waren: 1951 = 4.339 Stück 1965 = 2.007 Stück Obstbäume; alle Sorten, alle Baumformen, alle Standorte. Unsere Zählung 1983/84 ergab nur noch 771 Obstbäume in der freien Feldgemarkung.

Allein auf die Hochstamm -Apfelbäume bezogen, ergibt sich folgendes Bild: Hessen 1951 = 4.545.896 1965 = 3.485.200 - 1965 allerdings einschließlich der Halbstämme. Auf das Gesamtergebnis der jetzigen hessenweiten Zählung, speziell die Apfel-Hochstämme betreffend, darf man gespannt sein.

Im Altkreis Dieburg, wo die neuen Zahlen bereits vorliegen, sieht der Vergleich so aus: 1951 = 155.689 Apfel-Hochstämme, alle Standorte 1965 = 142.575 - wie vor - jedoch einschließlich Halbstämme 1985 = 20.083 Apfel-Hochstämme in der freien Feldgemarkung.

Um die Ergebnisse von 1951 und 1984 zueinander in Beziehung setzen zu können, müssen wir die Zahl von 1951 mit 155.689 Apfel-Hochstämmen um rund 27.000 Bäume kürzen, die in den damals miterfaßten, jedoch inzwischen abgetrennten Gemarkungen Asbach, Brensbach, Fränkisch-Crumbach, Gundernhausen, Klein-Bieberau, Messenhausen, Nieder-Roden, Ober-Roden, Urberach, Webern und Wersau standen. Die verbleibende Summe beträgt 128.689 Apfel-Hochstämme.

Diese Zahl muß weiter reduziert werden um die Apfel-Hochstämme, die 1951 im Bereich der Obst- und Hausgärten und in den reinen Erwerbsobstanlagen miterfaßt wurden. Wenn wir für diesen Komplex 28.689 Bäume abziehen, so bleiben für 1951 rund 100.000 Apfel-Hoch- stämme, die sowohl vom Standort in der freien Feldgemarkung her, als auch in der flächen- mäßigen Ausdehnung mit unserem heutigen Arbeitsgebiet übereinstimmen.

Dies bedeutet von 100.000 Apfel-Hochstämmen im Jahr 1951 auf 20.083 in 1984 einen Rück- gang um rund 80%!

Auch hier möchte ich den Vergleich in der Gemarkung Langstadt anschließen: 1951 = 2.300 Apfel-Hochstämme 1965 = 1.420 Apfel-Hochstämme (einschließlich Halbstämme) 1984 = 626 Apfel-Hochstämme Der Rückgang seit 1951 beträgt rund 73 %.

Alle Zahlen zeigen, trotz mancher Einschränkungen im Hinblick auf die Vergleichbarkeit, den enormen Rückgang der Baumbestände allgemein und ganz speziell der Apfel-Hochstämme in der freien Feldgemarkung. Die ständige Reduzierung war zwar unübersehbar, nunmehr liegen jedoch für weite Teile Hessens konkrete Zahlen vor, die dem letzten Zweifler die Notwendigkeit des Baumschutzes begreiflich machen.

Mein Aufruf geht jetzt, auch von dieser Stelle aus, an alle, die die Streuobstkartierung in ihrem Bereich noch nicht abgeschlossen oder die Ergebnisse noch nicht abgeliefert haben. Empfänger für die Kartierungsunterlagen ist die Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, 4 Abb. 1: Ein idealer Zustand: alte und junge Hochstammapfelbäume auf einer Mähwiese. Solche Streuobstwiesen bereichern die Landschaft ungemein; sie sind Lebens- räume einer vielfältigen Tierwelt und von hoher Schutzwürdigkeit.

Aufnahme: OTTO DIEHL, Gemarkung Langstadt 1950

5 Rheinland-Pfalz und Saarland in Frankfurt. Dort werden die Meldungen ausgewertet und zusammengefaßt. Anleitungen für die Kartierung wurden durch A. HARBODT: Biotopschutz- programm: „Streuobstwiesen" in „Vogel und Umwelt", Band 2, Heft 3, Dezember 1982 sowie in verschiedenen Verbandsrundschreiben gegeben. Da die neuen Ergebnisse für Hessen insgesamt noch nicht vorliegen, stütze ich mich auf die Resultate im Altkreis Dieburg, die für viele Bereiche Hessens Gültigkeit haben dürften: Der starke Rückgang der Streuobstbestände hat verschiedene und schon oft diskutierte Ursachen, die hier nicht wiederholt werden sollen. Die Auswirkungen sind gravierend für das Landschaftsbild, weil mit dem Wegfall der Hochstamm-Obstbäume gliedernde und bele- bende Strukturen verloren gehen; die Landschaft wird uniform und eintönig; sie wirkt ausge- räumt und verliert ihren Reiz. Noch schwerwiegender als dieser mehr optische Aspekt, ist der damit verbundene Verlust von wertvollen Lebensräumen für eine spezialisierte Tierwelt und unter bestimmten Voraus- setzungen auch von artenreichen Pflanzengesellschaften. Wegen dieser herausragenden Bedeutung muß der Lebensraum „Streuobstwiese" erhalten und noch stärker als bisher gefördert werden. Grundlage für dieses Biotopschutzprogramm ist die Kartierung der Streuobstbestände im ganzen Land. Im Altkreis Dieburg wurde die Kartierung von Mai 1983 bis Juni 1985 von rund 50 Mitarbeitern durchgeführt. Die Erfassung wurde zunächst als Einzelbaumkartierung auf Flurkarten 1:2000 begonnen; jedoch in der letzten Phase, dort wo sich Bearbeitungsengpässe ergaben, ist das Verfahren soweit vereinfacht worden, daß die auf einer bestimmten Fläche vorhandenen Bäume auf topographischen Karten 1:25000 mit dem Flächenumriß festgehalten und auf einem Beiblatt näher erläutert wurden. Bereiche mit mehr als 7 Bäumen sind sodann als Streuobstgebiete registriert und mit einer Kenn-Nummer versehen worden. Auf dem bereits erwähnten Beiblatt sind neben der zahlen- mäßigen Erfassung der Bäume auch Fragen zur Bodennutzung, Baumpflege, Störungen und Gefährdungen enthalten. Die ermittelten Baumbestände wurden in einer Übersichtskarte gemarkungsweise einge- tragen. Dabei zeigte sich nunmehr definitiv welch' geringe Restbestände in den Gemarkungen mit intensiver Landwirtschaft und stark ausgedehnter Bebauung übriggeblieben sind. Beim Vergleich der verschiedenen Einheiten der naturräumlichen Gliederung unseres Arbeitsgebietes, finden sich die größten Streuobstbestände im Bereich des östlichen Rein- heimer Buckels, des Otzberger Randhügellandes und der Kleinen Bergstraße. Die Hanglagen mit einer etwas bewegteren Topographie verhindern die landwirtschaftliche Totalnutzung, was den alten Bäumen in gewissem Umfang zugute gekommen ist. Von den insgesamt ermit- telten 32.850 Hochstamm-Obstbäumen sind 20.083 oder 61,1 %Apfelbäume. Dieser Anteil an Apfelbäumen entspricht weitgehend den Ergebnissen, die von anderen Gebieten bekannt sind. Steinobst steht mit 6.459 Bäumen bzw. 19,7 0/0 an zweiter Stelle, gefolgt von Birnen mit 2.667 Bäumen oder 8,10/0. Neben dem Bestand von 32.850 Hochstamm-Obstbäumen wurden 13.551 Niedrigstämme erfaßt. Die Gesamtzahl der Niedrigstämme ist allerdings wesentlich höher, weil die Bäume in Gärten und Obstplantagen nicht registriert wurden. Die Altersstruktur der Hochstammbäume ergab folgendes Bild: 50,3 0/oalten Bäumen, die teil- weise überaltert und abgängig sind, stehen 12,0% Jungbäume gegenüber. Zur kontinuier- lichen Erhaltung eines Streuobstbestandes ist jedoch ein Anteil von 30% jungen Bäumen erforderlich - das heißt die Nachpflanzung von jungen Bäumen ist besonders dringlich, und das bisher Geschehene reicht bei weitem noch nicht zur Stabilisierung aus. 6 Abb. 2: Der Steinkauz, als Bewohner der Feldgemarkung und als Höhlenbrüter, ist sehr aus- geprägt auf Obstwiesen mit Hochstammbäumen angewiesen. In den Höhlungen alter Bäume oder in dort angebrachten Brutröhren zieht er seine Jungen auf, und im Umfeld jagt er bevorzugt nach Mäusen, Insekten und Regenwürmern.

Aufnahme: OTTO DIEHL, Gemarkung Langstadt 1950

Bei der Bewertung der ökologischen Bedeutung von Streuobstgebieten spielt die Bestands- größe, das heißt die Anzahl an Bäumen je Streuobstgebiet, eine besondere Rolle. Da diese Gebiete in ihrer Habitatfunktion zwischen lichten Feldgehölzen und Einzelbäumen vermitteln, können sie diese Funktion mit abnehmender Bestandsgröße immer weniger erfüllen. Arten- vielfalt setzt den erforderlichen Lebensraum nach Größe und Beschaffenheit voraus.

Die Streuobstkartierung ergab, daß vorwiegend nur noch kleine Baumgruppen vorhanden sind. So weisen 250 Streuobstgebiete bis 25 Bäume auf, das sind 48,10/0 der ermittelten Gebiete - jedoch nur insgesamt 6,6% umfassen mehr als 200 Bäume. Wenn man davon ausgeht, daß bei einem Flächenbedarf von 100 qnn pro Hochstamm auf einen Hektar 100 Hochstämme gepflanzt werden können, so wird die geringe Flächenausdehnung der Streu- obstgebiete deutlich.

Bei dieser Überlegung darf jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, daß die meisten Gebiete nur mit 50% und weniger der möglichen Dichte bestockt sind. 7 Die Ergebnisse im einzelnen: bis 25 Bäume = 250 Gebiete = 48,1% 26 - 50 = 114 Gebiete = 21,9 0/0 51 - 100 = 73 Gebiete = 14,0 0/0 101 - 150 = 38 Gebiete = 7,3% 151 - 200 = 11 Gebiete = 2,1 0/0 201 - 250 = 8 Gebiete = 1,5 0/0 251 - 300 = 5 Gebiete = 1,0 0/0 301 - 400 = 11 Gebiete = 2,1 0/0 401 - 500 = 5 Gebiete = 1,0% 501 - 600 = 3 Gebiete = 0,6% 601 - 700 = - Gebiete = 701 - 800 = 1 Gebiet = 0,2% 801 - 900 = 1 Gebiet = 0,2%

Als Konsequenz hieraus ergeben sich unter dem Generalziel „Erhaltung und Sicherung der Streuobstbestände" folgende Aufgaben: - Bestandssicherung durch Vereinbarungen mit den Grundstückseigentümern;

- Pacht oder Ankauf von Grundstücken durch Naturschutz oder öffentliche Hand; - Einbindung von Kirchen- und Gemeindegrundstücken in das optimale Schutzkonzept; - Durchsetzung von Ersatzpflanzungen, wenn im Zuge von Bebauungsplänen Eingriffe in Streuobstbestände unvermeidbar sind; - Ausweisung als Geschützte Landschaftsbestandteile oder Landschaftsschutzgebiete;

- Pflege der Altbäume unter Naturschutzgesichtspunkten - also Erhaltung eines Totholz- anteils;

- Nachpflanzung und Pflege von Jungbäumen, natürlich Hochstämme: Apfel, Birne, da und dort auch Walnuß, unter Verwendung alter, starkwüchsiger, unempfindlicher und standort- gemäßer Sorten sowie Erhaltung der alten Lokalsorten; - Anbringung von Schutzvorrichtungen gegen Wildverbiß und gegen Beschädigungen durch das Weidevieh; - Reduzierung der Weidenutzung;

- Erhaltung der Grünlandnutzung und Übergang zur extensiven Handhabung, möglichst ohne Düngung - vor allem ohne Stickstoff; - Obstbaumnutzung ohne Biozidanwendung; - Erhaltung der sonstigen Biotopstrukturen, wie Hecken, Raine, Trockenmauern; - Herrichtung zusätzlicher Biotopelemente, wie Reisighaufen, Starkholzhaufen (Holzstöße), Steinhaufen;

- Neuanpflanzung von Hecken, z. B. an Hangkanten und als Abgrenzung gegen eine anschlie- ßende Ackernutzung; - eventuell Einrichtung von Wasserstellen oder Kleintümpeln;

- Neuanpflanzung von Hochstämmen, wo immer sich die Gelegenheit dazu bietet und erst recht dort, wo die Voraussetzungen für den Aufbau eines dauerhaften Streuobstbestandes in einer gewissen Größe gegeben sind. 8 fig) 41) fit

Abb. 3: Rebhühner bei der Nahrungssuche im Winter. Unter den Hochstamm-Apfelbäumen graben sie im Schnee nach Fallobst. Aufnahme: OTTO DIEHL, Gemarkung Langstadt 1951

Das sind Aufgaben, die uns für den Rest unseres Lebens beschäftigen werden. Die Renais- sance der hochbaumbestandenen Obstwiesen wird uns jedoch nur dann wirklich gelingen, wenn wir es fertigbringen, unsere Mitmenschen für den Hochstamm, als die landschaftsge- mäße Baumform der Feldgemarkung zu motivieren; wenn wir erreichen, daß die Zuneigung zum schmackhaften, am Hochstamm gereiften Apfel weiter wächst und der besondere Natur- schutzwert des Lebensraumes „Streuobstwiese" bewußt wird.

Literatur:

BLAB, J. (1984): Grundlagen des Biotopschutzes für Tiere. — Schriftenreihe für Landschafts- pflege u. Naturschutz, Heft 24. Hessisches Statistisches Landesamt, Wiesbaden (1953): Die Obstbaumzählung 1951 in Hessen (1967): Obstbaumzählung 1965 SOMMER, U. (1985): Zusammenfassung der Streuobstkartierung im Altkreis Dieburg.

Anschrift des Verfassers: OTTO DIEHL, Dr. Diehl-Straße 9, 6113 Babenhausen-Langstadt 9 Neue Literatur

MÜLLER, F. (1985): Wildbiologische Informationen für den Jäger: Jagd + Hege Ausbildungs- buch VIII. Ferdinand Enke Verlag Stuttgart. 190 Seiten, 134 Abbildungen. Durch den vorliegenden Band findet die bewährte Reihe lebendiger Monographien wild- lebender Tiere aus der Schreib- und Zeichenfeder von Dr. Franz Müller ihre erwartete und will- kommene Fortsetzung (vgl. erste Besprechung in dieser Zeitschrift, Band 3, Heft 2, Seite 88, 1984). 4 Säugetier- und 11 Vogelarten werden in grundlegender Darstellung, mit neuen Erkenntnissen, selbsterlebten Beobachtungen und treffenden Zeichnungen anschaulich vorgestellt. Wieder spricht der Autor von einer bunten Vielfalt von Tieren an, die dem Jäger und sonstigen Naturfreund teils häufiger, teils seltener begegnen und die meist auch als exempla- risch für jeweils besondere Probleme der freilebenden Tierwelt betrachtet werden können: Das Alpensteinwild beispielsweise als ausgeprägte Hochgebirgs-Art, deren Bestände sich durch hegerische Maßnahmen erholt haben; leidtragend infolge verschmutzter Fließge- wässer und vom Aussterben bedroht, der Fischotter, dessen versuchte Wiederansiedlung anspruchsvoller Voraussetzungen bedarf; nach Meinung vieler Menschen am besten wieder ausgerottet gehörte der anpassungsfähige Bisam, ursprünglich aus Nordamerika stammend und hier seit 1905 aus Zuchtgehegen entwichen; das Sorgenkind weiter Bevölkerungskreise, der Weißstorch, dessen rapider Rückgang in der Bundesrepublik das Schwinden von Feucht- gebieten, extensiv genutzter Talauen und Beutetieren signalisiert, aber auch die Gefahren des zunehmenden Leitungsdrahtgewirrs in der Landschaft; die Turteltaube konnte vor kurzem aus der Roten Liste gestrichen werden, aber weniger wegen ansteigender Bestände als aufgrund genauerer Erkenntnisse, daß sie wohl doch noch nicht bestandsgefährdet ist; schließlich der „Vogel des Jahres" 1986 des Deutschen Bundes für Vogelschutz, die Saatkrähe, die im Winter zu zehntausenden zählt, aber nur in kleiner Anzahl bei uns brütet. Weiter sind behandelt: Mauswiesel - Zwergtaucher, Krick- und Tafelente, Fischadler, Wespenbussard, Moor- schneehuhn, Waldschnepfe, Waldohreule. Vom Geplanten sind damit jetzt 60 Arten (19 Säugetiere und 41 Vögel) behandelt. 90 stehen noch aus (23 Säugetier- und 67 Vogelarten), Stoff für 6 weitere Folgen mit je 15 Arten. Nach diesem „fachliterarischen Reviergang" möchte man zitieren: Mit Euch, Herr Doktor, zu spazieren, ist ehrenvoll und ist Gewinn. H.-J. BÖHR

PIECHOCKI, R. (1985): Der Uhu. - Die Neue Brehm-Bücherei Nr. 108, 128 S., 43 Abb., 5. Auf- lage, A. Ziemsen-Verlag Wittenberg-Lutherstadt. - Vertrieb in der Bundesrepublik, Öster- reich und der Schweiz durch Verlag Neumann-Neudamm, 3508 Melsungen. Bis vor wenigen Jahren gehörte in Mitteleuropa der Uhu zu den vom Aussterben bedrohten Brutvogelarten. Zwischenzeitlich gelang es nicht nur diesen Abwärtstrend zu stoppen, sondern es konnte zumindest in Bayern und Baden-Württemberg eine autochthone Popula- tion erreicht werden. Die Bemühungen im Breich des rheinischen Schiefergebirges durch das Aussetzen gezüchteter Junguhus eine sich selbsttragende Population aufzubauen, kann noch nicht abschließend beurteilt werden. Noch werden dort jährlich zahlreiche Uhus fliegen gelassen um Abgänge auszugleichen. Als gesichert kann eine Uhupopulation aber erst dann gelten, wenn sich die Brutpaare ohne menschliche Hilfe halten können. Dieser Beweis muß erst noch erbracht werden (Erfolgskontrolle). Die in der 5. (überarbeiteten) Auflage vorgelegte Uhu-Monographie ermöglicht einen umfassenden Überblick über diese Großeule. Sehr ausführlich wird über das Vorkommen in Europa und die Brutbiologie berichtet. Das Literatur- verzeichnis umfaßt 8 Seiten. Angemerkt sei, daß das Kapitel „Nutzen und Schaden" ersatzlos gestrichen werden sollte. Eine Schaden-Nutzen-Analyse widerspricht weitgehend heutigen ökologischen Erkenntnissen. Die vorliegende Neuauflage der Uhu-Monographie ist eine weitere Bereicherung der Brehm-Bücherei. W. KEIL 10 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen • Vogel und Umwelt 4: 11-23 (1986)

Hessens neue Naturschutzgebiete (14) von ALBRECHT ENSGRABER, Wiesbaden

Vorbemerkung Die vorliegende Reihe von Kurzbeschreibungen der hessischen Naturschutzgebiete wertet die in den amtlichen Akten der Hessischen Landesanstalt für Umwelt in Wiesbaden sich befin- denden Gutachten und sonstigen Ausweisungsunterlagen aus. Diese verdankt der amtliche Naturschutz zu einem großen Teil freiwillig tätigen Fachleuten und Ortskundigen, Privatper- sonen, Mitgliedern der Verbände, insbesondere Botanische Vereinigung für Naturschutz in Hessen, Deutscher Bund für Vogelschutz und Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz, sowie Mitarbeitern wissenschaftlicher Institutionen, wie Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und Landschaftsökologie in Bonn, Forschungsinstitut Senckenberg in Frankfurt, Limnologische Flußstation des Max-Planck-Instituts für Limnologie in Schlitz sowie Hoch-und Fachschulen. Es wird um Verständnis gebeten, daß angesichts des Bemühens um knappe Texte diese wertvollen Quellen - im Gegensatz zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen - hier nicht im einzelnen zitiert werden können. Dies muß ausführlichen Gebietsbeschreibungen vorbe- halten bleiben. Doch es sei der Anlaß genutzt für einen verbindlichen Dank an alle, die ihre Kenntnisse bei der fachlichen Begründung der Schutzwürdigkeit der dann ausgewiesenen und hier vorgestellten Naturschutzgebiete eingebracht haben. Die Naturschutzgebiete werden hier in der zeitlichen Reihenfolge der Veröffentlichung ihrer Schutzverordnungen im Staatsanzeiger abgehandelt. Diesmal sind drei Gebiete nachzu- tragen, die eigentlich in die Folge 11 nach „NSG 'Weidenau von Hirschhorn" (Kreis Berg- straße), Band 3, Heft 2 (1984), S. 91/92, gehört hätten:

NSG „Kleinseggensumpf bei Breungeshain" (Vogelsbergkreis) VO vom 6. September 1983 (StAnz. S. 1920); in Kraft getreten: 27. September 1983

Das 7,51 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Hoher Vogelsberg, Oberwald", am Nordwesthang des Hoherodskopf in einer Höhe von 600 bis 700 m über NN im oberen Einzugsgebiet des Eichelbaches, einem oberen Zufluß der Nidda. Geologisch-hydrologisch ist das Gebiet gekennzeichnet durch die Quellen des „Kirschwiesenborns" bei einem Vor- kommen von unverwitterten Basaltblöcken unterschiedlicher Größe, die Teile des Hang- schuftes bilden. Dieser ist aus einem größeren Einzugsbereich hier während der Eiszeit zusammengedriftet, was trotz der geringen Hangneigung von ca. 10% durch das Bodeneis des damals dauerhaft gefrorenen Untergrundes möglich war. Die geologischen Bedingungen haben zu einem kleinflächig sehr wechselhaften Biotop von Pflanzengesellschaften geführt, die von auf höher liegenden flachgründigsten Borstgrasrasen bis zur Grauseggen-Sumpf- wiese (Carici canescentis Agrostietum caninae) reichen. Letztere ist eine in der Hauptverbrei- tung nordische Flachmoorgesellschaft mit der Bindung an kalkarmes, aber nicht ausge- sprochen nährstoffarmes Wasser, welches im vorliegenden Falle durch die basaltischen Vorbedingungen geliefert wird. Die folgenden z. T. auf der Roten Liste Blütenpflanzen Hessen stehenden Pflanzenarten kommen hier vor: Zottige Fetthenne (Sedum villosum), Herzblatt (Parnassia palustris), Kleines Quellkraut (Montia fontana), Flügel-Johanniskraut (Hypericum tetrapterum), Dunkelgrünes Weidenröschen (Epilobium obscurum). 11 NSG „Bruch von Brensbach" (Odenwaldkreis) VO vom 8. September 1983 (StAnz. S. 1923); in Kraft getreten: 27. September 1983

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - Maßnahmen zur Trinkwasserversorgung und aller damit verbundenen Anlagen

Das 5,5 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Reinheimer Hügelland, Gersprenz- grund" unmittelbar westlich der hier neu ausgebauten B 38. Es handelt sich um eine Feucht- mulde, die vom Kilsbach in nördlicher Richtung durchflossen wird. Der Grundwasserstand wird einerseits durch die Gersprenz, den Kilsbach und von Osten her zuströmendes Grund- wasser bestimmt, andererseits breitet sich der Absenkungstrichter des nahe westlich gele- genen Brunnens der Gemeinde Brensbach im Gebiet aus. Vorgeschlagen ist die Entfernung der Beton-Halbschalen aus dem Bachbett des Kilsbaches und eine Rückhaltung des gebiets- bürtigen Wassers am nördlichen Auslauf des vorhandenen Grabensystems. Nach 1940 wurde die bis dahin geübte vollständige Grünlandnutzung mehr und mehr aufge- geben. Seitdem haben sich besonders im Nahbereich des Kilsbaches Schwarzerle, Zitter- pappel und verschiedene Weidenarten ausgebreitet. Offene Flächen mit Großseggenbe- ständen, Rohrkolben und Schilf befinden sich überwiegend im Osten und Südosten. Als Rote- Liste-Art kommt das Sumpf-Weidenröschen vor. Mindestens 33 Brutvogelarten, darunter die Turteltaube, wurden festgestellt; als Durchzügler und Gastvogel sind 17 Vogelarten der Roten Liste Hessen nachgewiesen.

NSG „In den Weiden bei Blankenheim" (Kreis Hersfeld-Rotenburg) VO vom 12. September 1983 (StAnz. S. 1924); in Kraft getreten: 27. September 1983

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - die Ausübung der Fischerei im Rahmen erforderlicher Pflegemaßnahmen

Das ca. 5 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Friedlos Mecklarer Fuldatal" in einer Dreiecksfläche zwischen dem linken Fulda-Ufer und der Bundesbahnstrecke. Der größte Teil der Fläche wird von einer ehemaligen Kiesgrube eingenommen, die jetzt von einem Grund- wassersee ausgefüllt wird. Dieser hat Brut-, Rast-, Nahrungs- und Trittsteinfunktion für Enten, Rallen und Taucher. In der Ufer- und Gebüschvegetation bestehen gute Brutmöglichkeiten für Singvogelarten. Wegen des im Norden geplanten großen Industrie- und Gewerbegebietes, das auch potentieller Kraftwerksstandort ist, bestanden gegen die Ausweisung des Natur- schutzgebietes von anderer Seite erhebliche Bedenken.

NSG „Wüster Forst bei Rüsselsheim" (Kreis Groß-Gerau) VO vom 2. Oktober 1984 (StAnz. S. 2072); in Kraft getreten: 23. Oktober 1984

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - forstliche Pflege- und Erhaltungsmaßnahmen, die der Förderung des geschütz- ten Waldes dienen, im Einvernehmen mit der oberen Naturschutzbehörde; - der Betrieb der Brunnenanlage „Gut Schönau" des Wasserwerkes Mainz im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Erlaubnis; - die Einzeljagd auf Schalenwild und Wildkaninchen - einschließlich der Frettierjagd - in der Zeit vom 16. Juli bis zum 31. März. 12 Das ca. 37 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Rhein-Main-Niederung, Rüssels- heimer Sand", südlich von Rüsselsheim. Im Norden bildet eine Autobahn, im Südwesten eine Bundesbahnstrecke die Grenze; innerhalb der südöstlichen bogenförmigen Begrenzung liegt eine ehemalige Mainschlinge („Osterbach"). Bis auf Randbereiche handelt es sich um eine ehemalige Sand-Kiesgrube, die vom Abbau einer Binnendüne herrührt. Seither ist durch Sukzession unter Einfluß von Schwankungen des Grundwasserspiegels ein außerordentlich reich strukturierter Feuchtbiotop mit vielfältiger Planzen- und Tierwelt entstanden.

Dominierender Teil ist ein Flachgewässer im mittleren Gebietsteil, das je nach Wasserstand sich über Feuchtwiesen im Osten und Westen ausdehnt. An mehreren Stellen befinden sich waldartige Bestände, die teils durch Anpflanzung, teils durch Sukzession entstanden sind. Im Nordosten liegt eine trockene Kiesfläche, an zwei Stellen im Westen auch Trockenwiesen. Die ansteigenden Randbereiche enthalten noch einige Elemente der ehemaligen Dünenflora (z. B. Chondrilla juncea und Helichrysum arenaria). Infolge des schwankenden Wasserstandes treten Amphibienarten auf, die neu entstandene Biotope rasch besiedeln und zur Jugendent- wicklung nutzen.

NSG „Mittlere Horloffaue" (Wetteraukreis und Kreis Gießen) VO vom 15. Oktober 1984 (StAnz. S. 2153); in Kraft getreten: 6. November 1984

Über die Musterverordnung hinaus ist verboten: - das Naturschutzgebiet zu betreten; Wiesen in der Zeit vom 1. März bis zum 31. August zu eggen, zu walzen und zu schleifen; - die Fischerei im „Unteren Knappensee" auszuüben; - Pferde weiden zu lassen; - die Parzelle Flur 4, Flurstück 79, Gemarkung Unter-Widdersheim („Kuhweid"), landwirtschaftlich oder in anderer Weise zu nutzen;

gestattet: - die Einleitung von Horloffwasser in den „Unteren Knappensee" und die Entnahme von Wasser aus dem „Unteren Knappensee" zur Versorgung des Kraftwerkes Wölfersheim im Rahmen der öffenlich-rechtlichen Erlaubnis; - das Betreten des Naturschutzgebietes in der Zeit vom 1. Juli bis zum 28. Februar auf drei Wegschleifen; - die Ausübung der Jagd auf Schalenwild, jedoch nicht im Bereich des Knappen- sees; auf der „Kuhweid" nur vom 15. November bis 31. März. Auf Niederwild ist eine Gesellschaftsjagd nach dem 15. November, jedoch nicht am Knappensee und nicht an der „Kuhweid", erlaubt.

Das 184 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Wetterau, Horloffniederung", südöst- lich Utphe. Es stellt eines der bedeutendsten Kerngebiete in dem am 15. Januar 1985 einst- weilig sichergestellten künftigen Landschaftsschutzgebiet „Auenverbund Wetterau" dar. Horloff, Lehngraben und Weidgraben durchfließen das Gebiet von Norden nach Süden. Im nordwestlichen Teil befinden sich der „Untere Knappensee", Restloch des ehemaligen Tage- baues IV, eine ca. 35 ha große Wasserfläche mit ca. 14 ha Randstreifen.

Der größte Teil der Fläche wird als Grünland genutzt, das ein reich gegliedertes Bild liefert und infolge mäßig intensiver Nutzung ein hohes Arteninventar aufweist. Vorherrschende Pflanzen- 13 gesellschaft ist die zur Klasse der Feuchtwiesen (Calthion) gehörige Silau-Wiese mit Silau (Silaum silaus) und Wassergreiskraut (Senecio aquatius). Feuchtester Teil ist die Kuhweid im Südosten. Die Liste der Vogelarten weist insgesamt 155 Arten, davon 68 Arten der „Roten Liste" Hessen bzw. 16 Brutvogelarten dieser Liste, auf. Der große Brachvogel ist mit 7 Brut- paaren vertreten, die stabilste und reproduktiv erfolgreichste Brutpopulation in der Wetterau. Die Bekassine kommt mit 15 bis 30 Brutpaaren vor. Bis zu 4000 Anatiden, bis zu 2400 Ringel- tauben und bis zu 1000 Kiebitze wurden als Tageshöchstzahlen festgestellt.

NSG „Autal bei Bad Orb" (Main-Kinzig-Kreis) VO vom 18. Oktober 1984; in Kraft getreten: 13. November 1984

Über die Musterverordnung hinaus ist verboten: - auf Schilf- oder Brachflächen zu düngen oder dort Pflanzenbehandlungsmittel anzuwenden. gestattet: - Die Überwachung, Unterhaltung und Instandsetzung von Ent- und Versorgungs- anlagen der Deutschen Bundesbahn sowie Arbeiten, die zur sicheren Betriebs- führung der Leitung erforderlich sind, im Benehmen mit der oberen Naturschutz- behörde. Das 14,90 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Nördlicher Sandsteinspessart". Es wird im Norden durch die Kreisbahnstrecke, im Osten durch die Kläranlage, im Westen durch einen Wirtschaftsweg und im Süden durch die Orb, teilweise einschließlich eines linken Ufer- streifens, begrenzt. Der schmale Grünstreifen zwischen Orb-Bach und L 3199 konnte wegen der Einsprüche von seiten der Landwirte nicht mit ausgewiesen werden. Die Orb ist von einem lückenlosen Gehölzsaum begleitet. Im Kernbereich des Naturschutzge- bietes befinden sich Schilfröhricht und Großseggenbestände, an diese grenzen Wässer- wiesen und Brachwiesen. In zwei Randbereichen wurde der Aueboden vor kurzem umge- brochen; an einer Stelle wurden Nadelbäume angepflanzt. Bekassine, Gebirgsstelze, Wasseramsel, Neuntöter und Schwarzkehlchen kommen als Brutvögel vor. Langfristig sind Veränderungen an der Auevegetation nicht auszuschließen, da der an der nördlichen Tal- flanke liegende Brunnen der Stadt Bad Orb mit seinem Entnahmetrichter bis unter das Natur- schutzgebiet reicht.

NSG „Steinbruch bei Ahlbach" (Kreis Limburg-Weilburg) VO vom 25. Oktober 1984 (StAnz. S. 2208); in Kraft getreten: 13. November 1984

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - Unterhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen an der bestehenden, zur Krater- absicherung dienenden Einfriedung im jeweiligen Einvernehmen mit der oberen Naturschutzbehörde Das 4,5 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Nördliches Limburger Becken", nord- westlich von Ahlbach. Es handelt sich um eine ehemalige Kuppe, in der sich heute nach Abbau eines Basaltschlotes ein ovaler, nach unten sich verengender Krater öffnet, der einen Durch- messer von ca. 150 und 300 m und eine Tiefe von ca. 50 m hat. Am Grunde ist eine Wasser- fläche von etwa einem Hektar Flächengröße entstanden. Ungefähr vom Norden führt eine 14 schräge, befahrbare Rampe vom Rande des Kessels bis an das Gewässer hinab. Die Wände des Kessels sind steil, in kleinen Partien felsig, zum größten Teil jedoch aus mit Lehm ver- mischtem gelockertem Gestein gebildet. Hauptschutzgrund ist ein beträchtlicher Bestand der in Hessen hochgradig bestandsbedrohten Geburtshelferkröte („Glöckchenfrosch" wegen seines Rufes), welchem das höhlenreiche Basaltgeröll eine hervorragende Lebensstätte und das Gewässer den erforderlichen Laichplatz bietet.

NSG „Vollmarshäuser Teiche" (Kreis Kassel) VO vom 1. November 1984 (StAnz. S. 2282); in Kraft getreten: 20. November 1984 Das ca. 5,50 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Kasseler Becken". Es handelt sich um ein Feuchtbiotop mit Großseggenbeständen, in dem wahrscheinlich einmal Teiche vorhanden gewesen sind, die aber inzwischen vollständig verlandet sind. Östlich und nordöstlich befinden sich bereits rekultivierte bzw. noch betriebene Deponien. Eine Randbepflanzung des Naturschutzgebietes mit mehreren Lücken ist vorgesehen. In dessen unterem Teil soll ein Flachwasserteich angelegt werden. Ferner wird an der Einmün- dung des Deponiegrabens in den Hauptgraben ein Klärteich angelegt, in dem sich die in den Sickerwässern der Deponien enthaltenen Schwermetallverbindungen absetzen sollen.

NSG „Basaltsteinbruch von Heegheim" (Wetteraukreis) VO vom 1. November 1984 (StAnz. S. 2362); in Kraft getreten: 27. November 1984 Das ca. 6 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Heldenbergener Wetterau", unmit- telbar an der Ostseite der neuen Autobahnstrecke. Der Steinbruch wurde zur Entnahme von Basalt während des Autobahnbaues betrieben, für den das Material benötigt wurde. Der nord- westliche Teil des Steinbruches wurde bereits früher verfüllt und ist daher für das Natur- schutzgebiet nicht in Anspruch genommen worden; auch im südöstlichen Teil wurden durch Verzicht auf randständige Abraumhalden Abstrichevon der ursprünglichen Planung gemacht. Die Schutzgebietsausweisung war sehr umkämpft, da neben der Absicht des Betriebes einer Erd-und Bauschuttdeponie und der landwirtschaftlichen Rekultivierung des Geländes auch der Schutz für die Bohrbrunnen der Gemeinde Altenstadt konkurrierend auftraten. Doch wurde durch ein geologisches Gutachten festgestellt, daß die im Steinbruchgelände beste- hende offene Wasserfläche keine Gefährdung für die erwähnten Brunnen darstellt. Etwa 20 m hohe Abbruchwände umstellen den großen Grundwassersee. An dessen flachen Uferstreifen und um weitere kleine Teiche befinden sich Schilf- und Binsenflächen. Beson- ders Amphibien, Reptilien sowie Limikolen haben hier einen geeigneten Lebensraum. Die an der Bruchkante befindlichen buschbestandenen Begrenzungswälle des Steinbruchs bieten einer vielfältigen Kleinvogelwelt Brut- und Nahrungsmöglichkeiten.

NSG „Kist von Berstadt" (Wetteraukreis) VO vom 3. Dezember 1984 (StAnz. S. 2495); in Kraft getreten: 18. Dezember 1984

Über die Musterverordnung hinaus ist verboten: - Wiesen in der Zeit vom 1. März bis 30. Juli zu eggen, zu walzen oder zu schleifen; gestattet: - die extensive Nutzung der Grünlandflächen. 15 Das 7,52 ha große Naturschutzgebiet, ein weiteres Kerngebiet im Landschaftsschutzgebiet Wetterau, liegt im Naturraum „Wetterau, Horloffniederung". „Der Kist" stellt einen Teil einer seitlichen Ausbuchtung der Horloff-Niederung im Bereich des von Berstadt kommenden Waschbaches dar, eines kleinen Zuflusses der Horloff. Nur die höchste Lage einer Gelände- welle im Norden des Naturschutzgebietes wird seit einiger Zeit ackerbaulich genutzt, auf einer Teilfläche in der Südost-Ecke ist seit einigen Jahren die Grünlandwirtschaft zugunsten eines Röhrichtbestandes aufgegeben; der größte Teil des Gebietes ist traditionelles Grünland. Etwa 5 0/oder Wiesenfläche wird von Glatthaferwiesen, etwa 35 % von Silau-Feuchtwiesen und ca. 50% von Wassergreiskraut-Feuchtwiesen eingenommen.

Die Gesellschaft der Silau-Feuchtwiesen dürfte auch überregional im mittleren und südlichen Hessen einen Verbreitungsschwerpunkt haben, ihre Standorte sind stark im Rückgang. Die Gesellschaft der Wassergreiskraut-Feuchtwiese besiedelt hier die feuchtesten Standorte; sie gehört zu den stark gefährdeten Pflanzengesellschaften in Hessen. Bekassine, Braun- kehlchen, Wiesenralle, Brachvogel, Schafstelze und Graureiher sind Brutvögel im Natur- schutzgebiet; Tüpfelralle und Wasserralle sind als ehemalige Brutvögel bei entsprechender Renaturierung des Biotops wieder zu erwarten.

NSG „Bermershube bei Heisterberg" (Lahn-Dill-Kreis) VO vom 3. Dezember 1984 (StAnz. S. 2565); in Kraft getreten: 25. Dezember 1984

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - forstliche Erhaltungs- und Pflegemaßnahmen, die der Förderung der geschützten Waldgesellschaften dienen, im Einvernehmen mit der oberen Naturschutz- behörde.

Das 46,61 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Westerwälder Basaltfläche", nörd- lich der B 256 bzw. auf beiden Seiten der Straße nach Heisterberg. Der Amdorf-Bach verläuft im nördlichen Grenzbereich des Gebietes. Den geologischen Untergrund bildet tertiärer Basalt, dem pleistozäner Löß und Laacher Bimstuff aufgelagert sind. Dies führte zu den verschiedensten Bodentypen, die kleinräumig verzahnt und durch alle denkbaren Übergänge verbunden sind.

Es wurden 10 Arten der „Roten Liste Farn- und Blütenpflanzen Hessen" festgestellt; darunter Sturm-Eisenhut (Aconitum neomontanum), Scheidiger Goldstern (Gagea spathacea), Spar- rige Binse (Juncus squarrosus) und gedrungene Hainsimse (Luzula multiflora ssp. concesta). Nicht weniger als 12 Pflanzengesellschaften mit 56 Subassoziationen wurden kartiert, da- runter der Dornfarn-Ahornwald (Deschampsio-Aceretum), welcher hier erstmalig beschrie- ben worden ist. Zusammen mit dem ausgezeichneten Erhaltungszustand werden dem Gebiet wegen dieses breiten Ausschnittes der natürlichen Vegetation des Westerwaldes die Prädi- kate „einmalig" und „von internationaler Bedeutung" zuerkannt. Potentielle Gefährdungen gehen von der unmittelbaren Nachbarschaft des Naherholungsgebietes „Heistersberger Weiher" und von dem Tiefbrunnen für Heisterberg aus. 16 NSG „Aubachtal bei Rabenscheid" (Lahn-Dill-Kreis)

VO vom 5. Dezember 1984 (StAnz. S. 2567); in Kraft getreten: 25. Dezember 1984

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - forstliche Pflege- und Erhaltungsmaßnahmen, die der Förderung der geschützten Waldgesellschaften dienen im Einvernehmen mit der oberen Naturschutzbe- hörde; - die Ausübung der Fischerei in der Zeit vom 16. Juli bis 15. März. Das 63,05 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Hoher Westerwald". Im oberen naturnah erhaltenen Aubachtal zwischen Rabenscheid und Langenaubach besteht das Gebiet aus mehreren aneinandergereihten Teilflächen. Auf der südlichsten Fläche bei der Fischbachmühle befindet sich schwach gedüngtes Grünland mit Fadenbinse (Juncus fili- formis), Trollblume (Trollius europaeus), Wassergreiskraut (Senecio aquaticus) und Wald- Storchschnabel (Geranium sylvaticum). Zwischen der Fischbachmühle und den Fischteichen ist das Naturschutzgebiet teilweise auf einen schmalen Streifen längs des Aubaches verengt. Hier wachsen große Bestände von Blauem Eisenhut (Aconitum napellus), ferner Bach-Nelken- wurz (Geum rivale), Blaues Pfeifengras (Molinia caerulea) und auf Steinblöcken eine beson- dere Moos- und Flechtenvegetation. Im nördlichen, weitaus größten Teil des Naturschutzgebietes mit einer ehemaligen Tongrube befindet sich am Aubach ein breiter Streifen des Bergahorn-Eschenwaldes (Aceri-Fraxi- netum). Auf den westlich exponierten Hängen stocken ausgedehnte formenreiche Zahnwurz- Buchenwälder (Dentario-Fagetum). Hier kommen unter anderem vor: Scheiden-Goldstern (Gagea spathacea), Langährige Segge (Carex elongata) und Wolliger Hahnenfluß (Ranunculus lanuginosus). In der Spritzwasserzone des Baches wächst die Flechte Dermatocarpon rivu- lorum. Eisvogel, Wasseramsel, Braunkehlchen, Bekassine und Haselhuhn kommen im Gebiet vor.

NSG „Heißbachgrund bei Michelnau" (Wetteraukreis) VO vom 10. Dezember 1984 (StAnz. S. 2646); in Kraft getreten: 1. Januar 1985

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - die extensive Nutzung der Grünlandflächen ohne Umbruch, Düngung, Anwen- dung von Herbiziden und ohne Schafbeweidung; - die Grabenräumung ohne Sohlenvertiefung, maximal alle zwei Jahre von Mitte August bis Oktober, jeweils nur einseitig; - die forstliche Bodennutzung zur Erhaltung oder Wiederherstellung einer natur- nahen Baumartenzusammensetzung einschließlich der Waldränder; - die Ausübung der Einzeljagd auf Haarwild. Das 50,79 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Westlicher Unterer Vogelsberg" nordöstlich von Nidda-Michelnau. Das ausgedehnte, ziemlich abgelegene Wiesental des oberen Heißbaches wird allseitig von Wald umgeben; der Waldrand bildet fast überall die Grenzen des Naturschutzgebietes. Zum größten Teil befinden sich hier Mäh-Wiesen, daneben einiges Brachland, das teilweise mit Fichten aufgeforstet ist und in einem Waldwinkel ein Stau- weiher, der Heißbachteich. Während die Vegetation, bedingt durch die bisher angewandte 17 intensive Düngung, nur wenige schützenswerte Elemente aufweist, kommen viele Rote-Liste- Arten der Wirbeltiere vor: Baummarder, Zwergmaus, Haselmaus, Wasserspitzmaus, Feld- spitzmaus, Igel, Feuersalamander, Fadenmolch, Kammolch und als Brutvögel Drosselrohr- sänger, Zwergtaucher, Grauammer und Neuntöter.

NSG „Lorcher Werth" (Rheingau-Taunus-Kreis)

VO vom 10. Dezember 1984 (StAnz. S. 2648); in Kraft getreten: 1. Januar 1985

Über die Musterverordnung hinaus ist

gestattet: - das Anlanden am Großen Werth zwischen Rhein-km 539 und der Nordwestspitze der Insel in der Zeit vom 1. April bis 15. September; - die Ausübung der Fischerei in der Zeit vom 1. April bis 15. September am Großen Werth zwischen Rhein-km 539 und der Nordwestspitze der Insel.

Das 13,68 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Oberes Mittelrheintal". Es handelt sich um zwei durch einen Damm verbundene Rheininseln sowie ein Leitwerk am oberen Ende der kleineren südlichen Insel. Der große Werth wird bis auf einen Gehölzsaum und die baum- bestandenen Spitzen intensiv zur Anzucht von Pfropfreben genutzt. Der kleine Werth ist teil- weise dicht mit Pappeln und Weiden bestanden und bis auf eine nicht betriebene Brunnen- anlage ungenutzt. Es besteht eine artenreiche Feuchtbiotopflora. Zweck der Unterschutzstellung ist die Siche- rung der Nahrungs- und Rastplätze für durchziehende und überwinternde Wasservögel und Limikolen sowie der Sandbänke und des Stillwassers als Lebensraum spezifischer Tier- und Planzenarten und die Erhaltung und Förderung eines der Dynamik des Stromes unterwor- fenen Auewaldes.

NSG „Am kalten Born bei Wallenrod" (Vogelsbergkreis) VO vom 11. Dezember 1984 (StAnz. S. 2654); in Kraft getreten: 1. Januar 1985

Über die Musterverordnung hinaus ist

gestattet: - der Betrieb der Trinkwassergewinnungsanlage der Stadt Lauterbach; - die Ausübung der Einzeljagd auf Haarwild in der Zeit vom 16. Juli bis 15. März.

Das 24,95 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Östlicher Unterer Vogelsberg". Es handelt sich um das Quellgebiet der Musel, eines Zuflusses der oberen Schwalm, mit Sumpf- und Feuchtwiesen sowie landwirtschaftlich genutztem Grünland. Vorherrschende Bodenart ist Lehm, darin steht inselartig Muschelkalk. Es besteht ein ausgedehntes anthropogenes Gedrängtährigen-Seggen (Carex appropinquata)-Ried, kleinflächig karpatischer Moorbirken (Betula pubescens ssp. carpatica)-Sumpfwald, Seggenried mit Rispensegge (Carex panicu- lata), Sumpf-Herzblatt (Parnassia palustris) und Fieberklee (Manyanthes trifoliata), im Ostteil besonders Sumpfstorchschnabelflur (Filipendulo-Gerannietum palustris) sowie Pfeifengras (Molinia)-Wiesen mit Vorkommen von Silge (Selinum carvifolia) und Schatten-Segge (Carex umbrosa). Sehr viele Vogelarten wurden schon innerhalb kurzer Beobachtungszeit festge- stellt, darunter als Brutvögel Wiesenpieper, Schafstelze, Gebirgsstelze und Baunkehlchen. 18 NSG „Antrifttalsperre bei Angenrod" (Vogelsbergkreis) VO vom 12. Dezember 1984 (StAnz. S. 2656); in Kraft getreten: 1. Januar 1985

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - das Betreten des asphaltierten Weges, der über den Damm der Vorsperre führt - Unterhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen der zuständigen Wasserbe- hörden vom 16. Juli bis 31. März Das 13,6 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Nördliches Vogelsberg-Vorland". Es umfaßt neben der Vorsperre, die der Verbesserung der Wasserqualität des Zulaufes in die Sperre dient, noch den angrenzenden Teil der Hauptsperre in einer Tiefe von etwa 250 m als Pufferzone. Das Naturschutzgebiet stellt einen ersten Beitrag zur Sicherung von Rast- und Brutplätzen für Wasservögel in diesem Teil des Vogelsberges dar. Bis zu tausend Tagesgäste an Schwimm- und Tauchenten sowie verschiedener Taucher, Säger und Bleßrallen wurden während des Vogelzuges bisher festgestellt. Darüber hinaus bietet das Naturschutzgebiet zahlreichen Amphibienarten wertvolle Lebensstätten.

NSG „Sickler Teich bei Londorf" (Kreis Gießen) VO vom 12. Dezember 1984 (StAnz. S. 2658); in Kraft getreten: 1. Januar 1985 Das 6,32 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Vorderer Vogelsberg, Lumda Plateau". Der Sickler Teich befindet sich in einer flachen Senke zwischen Wermertshausen und Londorf. Der künstliche Staudamm, wahrscheinlich bereits im 17. Jahrhundert errichtet, ist ca. 2 m hoch, der Teich ist bei vollem Einstau ca. 70 m breit und ca. 150 m lang. Das Gewässer weist bemerkenswerte Verlandungsgesellschaften und in nächster Nachbarschaft Pioniergesellschaften nährstoffarmer saurer Moorböden und Schlammufergesellschaften nährstoffreicher Böden auf. Die Naßwiese „Hainstruth" im Nordosten zeichnet sich durch eine hohe Vielfalt an Pflanzenarten aus. Der randständige Mischwald ist aus verschiedenen Alters- klassen zusammengesetzt. Durch die Tätigkeit mehrerer Spezialisten der Universität Marburg sind u. a. 18 Libellenarten, 68 Käferarten, 23 Zikadenarten, 44 Wanzenarten und 12 Schmetterlingsarten nachgewiesen. Durch ungesteuerte Erholungsaktivitäten ist das Gebiet beeinträchtigt.

NSG „Alte Fulda bei Bad Hersfeld" (Kreis Hersfeld-Rotenburg) VO vom 5. Dezember 1984 (StAnz. S. 2660); in Kraft getreten: 1. Januar 1985 Das 8,71 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Fulda-Haune-Tafelland, Hersfelder Senke". Es handelt sich um einen versumpften Altarm der Fulda, der auch „Würfel" genannt wird, weitgehend verlandet ist und nur noch kleine offene Wasserflächen aufweist. Das Natur- schutzgebiet wird von der Autobahn durchschnitten; es ist mit Schilf und Strauchwerk bewachsen und bildet einen Trittstein für durchziehende Vögel. Im Gebiet bisher befindliche Äcker der Lehr- und Forschungsanstalt Eichhof wurden aus der Bewirtschaftung genommen. 19 NSG „Fuldatal bei Eichenzell (Kreis Fulda) VO vom 5. Dezember 1984 (StAnz. S. 2662); in Kraft getreten: 1. Januar 1985

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - die Ausübung der Fischerei in der Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember; - die Errichtung einer 380-110 KV-Leitung Dipperz-Altenstadt. Das ca. 30,82 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Vorder- und Kuppenrhön, westliches Rhönvorland." Zwischen der Lütermündung und der Fliedemündung liegt das Hyporhithral bzw. die Äschenregion der Fulda, das ist der Bereich des Gewässers, der den Übergang von der Bach- zur Flußzone bildet. Beim Übergang zu geringerem Gefälle werden hier die transportierten Gesteinstrümmer abgelagert und dadurch die Bildung von Mäandern begünstigt. Der besterhaltene Teil dieser Region der Fulda ist die auch als „Bienengarten" bezeichnete Talaue bei Eichenzell mit 4 Schleifen, in denen sich die Fulda um 903 bis 1803 wendet. Es kommen etwa zehn mehr oder weniger hohe und ausgedehnte Prallhänge vor. Die Bildung einer Auewald-Krautzone läßt der ständig materialführende Fluß und sein wech- selnder Wasserstand nicht zu. Unmittelbar an den Erlensaum des Flusses grenzen Mähwiesen und Viehweiden, die auftretenden Pflanzengesellschaften drängen sich auf einen schmalen Uferstreifen zusammen und zeigen eine relativ hohe Artenzahl. Die hydrologischen Bedingungen führen durch sehr verschiedenartige Sedimente und sehr wechselnde Strö- mungsverhältnisse zu vielfältigen biozönotischen Strukturierungen auf dem Gewässerboden. Hierdurch und wegen der mäßigen Belastung des Wassers können Eintagsfliegen, Köcher- fliegen, Kleinkrebse und Muscheln im Gewässer gedeihen, welche ihrerseits die Nahrungs- grundlage für die hier vorkommenden bestandsbedrohten Arten Wasseramsel und Eisvogel ergeben.

NSG „Leistwiesen bei Rommershausen" (Schwalm--Kreis) VO vom 13. Dezember 1984 (StAnz. S. 2663); in Kraft getreten: 1. Januar 1985

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - in der Schutzzone II die ordnungsgemäße landwirtschaftliche Bodennutzung einschließlich Düngung und Anwendung von Pflanzenbehandlungsmitteln; - die Ausübung der Jagd, in der Schutzzone I jedoch nur als Einzeljagd; - die Ausübung der Fischerei in der Schwalm vom linken Ufer aus; - das Befahren der Schwalm mit durch Muskelkraft bewegten Booten. Das 27,40 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Westhessische Senke, Lands- burger Grund". Das Gebiet wird im Norden und Westen von einer natürlichen Flußschlinge der Schwalm, im Osten und Süden von einem Feldweg begrenzt. Das Feuchtgebiet „Leist" war bis zur Durchführung der Regulierungsarbeiten ein Überschwemmungsbereich der Schwalm, nach diesen Maßnahmen gewähren ein hoher Grundwasserstand und durch tonigen Unter- grund bedingte Staunässe eine gute Bodendurchfeuchtung. Im südöstlich gelegenen Kern- gebiet (Schutzzone I) befindet sich ein Silberweidenwald (Salicetum albae), an den sich ein Großseggenried, eine Röhrichtzone und in der Peripherie Viehweide, Streuwiese, Futterwiese und ein Fischteich anschließen. An bedrohten Pflanzenarten kommen vor: Blasensegge (Carex vesicaria), Sumpfweiden- röschen (Epilobium palustris), Schmalblättriges Wollgras (Eriophorum angustifolium) und Wasserfeder (Hottonia palustris). Das Gebiet ist reich an Amphibien und Nahrungsareal der 20 Dittershäuser Weißstörche. An bestandsbedrohten Vogelarten sind hier als Brutvögel u. a. zu erwähnen: Bekassine, Rohrschwirl, Zwergtaucher, Wiesenpieper, Schafstelze und Gebirgs- stelze.

NSG „Wattertal bei Landau" (Kreis Waldeck-Frankenberg) VO vom 13. Dezember 1984 (StAnz. S. 2665); in Kraft getreten: 1. Januar 1985 Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - die Grünlandnutzung ohne Umbruch, Düngung und Pflanzenbehandlungsmittel auf dem Streifen zwischen der Watter und der Straße von Landau zum Ortsteil Vahlhausen; - Maßnahmen des Jagdschutzes in der Zeit vom 16. Juli bis 31. März sowie der Schutz vor Wildseuchen. Das 11,14 ha große Naturzschutzgebiet liegt im Naturraum „Waldecker Tafel, Arolser Platte", auf einer Länge von ca. 750 m links- und rechtsseitig der Watter, eines Mittelgebirgsbaches, der zur Twiste fließt: Der Watter-Bach, der Hangweg an der Südwest-Grenze und teilweise der Graben im Südwestteil sind mit Gehölzen bestanden. Auf ca. 0,6 ha sind Kulturpappeln ange- pflanzt. An mehreren Stellen befinden sich Quellenaustritte des „Krähenborn", einer Hang- quelle, die auch in trockenen Sommern nicht versiegt. Auf diese gründet sich ein besonderer Wert dieses Naturschutzgebietes. Floristisch bemerkenswert ist das Vorkommen des Wasser-Ampfers (Rumex aquaticus), der in großen Stauden über die Seggen ragt. Auch der Fieberklee (Menyanthes trifoliata) kommt auf ca. 10 bis 20 m2 vor. Von 84 im Gebiet bisher festgestellten Vogelarten sind 25 in der Roten Liste Hessen aufgeführt.

NSG „Bernertsgrund bei Löhlbach" (Kreis Waldeck-Frankenberg) VO vom 13. Dezember 1984 (StAnz. S. 2667); in Kraft getreten: 1. Januar 1985 Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - die extensive Nutzung des Grünlandes als Mähwiese; - die Erhaltung und Pflege des Bruchwaldes sowie Überführung von Nadel- in naturnahe Laubwaldbestockung. Das 13,44 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Mittelkellerwald". Das auch „Börner Tal" genannte weitgehend naturnah erhaltene Mittelgebirgs-Waldbachtal gehört zum Rest einer früher im Kellerwald weitverbreiteten Landschaftsform. Der Bach wird in seinem gesamten Verlauf von ungewöhnlich reichen Beständen des Echten Eisenhuts (Aconitum napellus) gesäumt. Der größere östliche Teil des Gebietes besteht aus lichten Erlen- Beständen mit Torfmoos-Flächen (Sphagnum spec.) und Rundblättrigem Sonnentau (Drosera rotundifolia). Im Südteil liegt eine ehemalige Hutefläche mit Arnika, die nur zum Teil aufge- forstet ist. Im Nordwestteil befindet sich eine Fichtenkultur in ehemaliger Sumpfwiese. Der Baumbestand ist noch licht genug, daß Fieberklee (Menyanthes trifoliata), Großes Zweiblatt (Listera ovata), Fleischrote Kuckucksblume (Dactylorhiza incarnata), Genecktes Knabenkraut (Dactylorhiza maculata), Breitblättriges Knabenkraut (Dactylorhiza latifolia) und Männliches Knabenkraut (Orchis mascula) größere Bestände bilden können. Märzenbecher (Leucojum vernum) wachsen im gesamten Gebiet. Zu den Brutvögeln gehören hier: Waldschnepfe, 21 Raubwürger, Neuntöter, Feldschwirl, Sumpfrohrsänger und Zeisig. Ein Rauhfußkauz brütet in einem benachbarten Fichtenbestand. Eisvogel und Wasseramsel können hier wahrscheinlich wiederangesiedelt werden.

NSG „Fuldaschleuse Wolfsanger" (Stadt Kassel) VO vom 13. Dezember 1984 (StAnz. S. 2668); in Kraft getreten: 1. Januar 1985 Über die Musterverordung hinaus ist gestattet: - die Ausübung der Fischerei, nicht jedoch im Bereich der „Lagune" Das ca. 21 ha große Naturschutzgebiet befindet sich im Naturraum „Kasseler Becken" im Bereich der ehemaligen Fuldaschleuse und des von Westen nach Norden verlaufenden Fuldaknies. Es ist eine östliche Erweiterung des flächenhaften Naturdenkmals „Die Fulda- plätze", das 1968 wegen der hier vorkommenden seltenen Wasserpflanzen-, Amphibien- und Reptilienarten (einziges in diesem Umkreis noch bekanntes Vorkommen der Ringelnatter) sowie von schilfbewohnenden Vogelarten als Brutvögel (u. a. Teichrohrsänger, Teichralle) ausgewiesen wurde. Weil durch Verlandung (leider auch Müllablagerungen) der Wert des Gebietes inzwischen sehr zurückgegangen war, wurden drei neue Amphibientümpel hier angelegt. Außerdem wurde im Zuge des Fuldaausbaus unmittelbar am Fulda-Knie ein halb- mondförmiges Stillgewässer („Lagune") angelegt, das am unteren Ende und in der Mitte mit der Fulda in Verbindung steht. Im mittleren Teil des Naturschutzgebietes bestehen darüber hinaus schon bisher drei teilweise zur Brutaufzucht verwendete Fischteiche. Seit der Durch- führung der Ausbaumaßnahmen besteht jetzt hier ein bedeutendes Brut-, Rast- und Überwin- terungsgebiet für zahlreiche Wasservogelarten.

NSG „Unterm Wolfsberg" (Kreis Marburg-Biedenkopf) VO vom 13. Dezember 1984 (StAnz. S. 2670); in Kraft getreten: 1. Januar 1985 Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - die extensive Nutzung der Grünlandflächen einschließlich notwendiger Weide- zäune, nicht jedoch im südlichen Kernbereich; - die Ausübung der Einzeljagd im nördlichen Bereich; - die Ausübung der Sportfischerei vom 16. Juli bis zum 31. März vom westlichen Ufer der Lahn; - das Befahren der Lahn mit durch Muskelkraft bewegten Booten. Das 10,08 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Marburger Lahntalsenke" zwischen der Straße Wolfshausen-Ronhausen und der Lahn; es schließt auch die Lahn in diesem Bereich ein. Der Kernbereich liegt im südlichen Dreieck, dieses ist fast immer mehrere Dezi- meter von Wasser überstaut. Hier dominiert auf großen Flächen der Wasserschwaden; wo die Überflutung etwas geringer ist, wachsen meist einartige Bestände von Großseggen und Rohr- Glanzgras (Phalaris arundinacea). Als Begleiter der Seggen kommt die bestandsbedrohte Gras-Sternmiere (Stellaria palustris) und an einer Stelle auch die stark bestandsbedrohte Fuchs-Segge (Carex vulpina) vor. 8 Amphibienarten, 4 Reptilienarten sowie 45 bis 50 Brutvo- gelarten, darunter Teichrohrsänger und mehrere Grasmückenarten sowie etwa 70 Gastvogel- arten, darunter die Bekassine, wurden nachgewiesen. 22 NSG „Kiesteich unter der Aue'schen Kugel" (Werra-Meißner-Kreis) VO vom 15. Dezember 1984 (StAnz. S. 2671); in Kraft getreten: 1. Januar 1985 Das 9,31 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Treffurt-Wanfrieder Werratal" am linken Ufer der Werra. In ihm sind zwei 4 bzw. 1 ha große Kiesbaggerteiche unter Schutz gestellt, ein kleiner Teil der über 300 ha Wasserfläche, die durch Kiesabbau im Werragebiet entstanden sind oder entstehen. Die Teiche haben steile Ufer, die Uferhöhe beträgt zwischen 0,5 und 1,5 m, die Wassertiefe liegt bei 7 m, sie werden durch einen 20 m breiten Ackerstreifen voneinander getrennt. Da die wirtschaftliche Nutzung des Geländes erst 1976 eingestellt wurde, kam bisher nur floristisch unbedeutsamer Aufwuchs von Weiden auf. An bemerkens- werten Vogelarten brüten hier regelmäßig Haubentaucher, Flußregenpfeifer, Rohrammer und Feldschwirl, in manchen Jahren auch Zwergtaucher, ferner an der Werra Teichrohrsänger. Graureiher, Lachmöwe, Krick- und Knäkente treten als Gäste auf.

Anschrift des Verfassers: Dr. ALBRECHT ENSGRABER, Hessische Landesanstalt für Umwelt, Unter den Eichen 7, 6200 Wiesbaden

Neue Literatur

SCHUMANN, G. (1984): Die Vogelwelt des Reinhardswaldes. - 90S., 37 Fotos, 1 Karte. Eigenverlag Waltraud Schumann, Kalter Hof 7, 3512 Reinhardshagen.

Der Reinhardswald, ein Teil des Oberweserberglandes, liegt westlich der zwischen Hann. - Münden und Bad Karlshafen. Er umfaßt ein Waldgebiet von rund 20000 ha und 3 Feld- gemarkungen mit ca. 2150 ha. Die höchsten Berge liegen 472 m über NN. Erwähnenswert sind ferner die 5 Naturschutzgebiete mit zusammen 264 ha und 33 Altholzinseln mit 66,5 ha Fläche. Über 30 Jahre hat sich der Autor mit der vielfältigen Vogelwelt dieser Region befaßt. Insgesamt konnten 174 Vogelarten nachgewiesen werden. 108 Arten sind Brutvögel, davon 27 % als be- standsbedroht nach der „Roten Liste". 10 Vogelarten sind seit der Jahrhundertwende als Brut- vögel verschwunden. Insgesamt eine wenig erfreuliche Bilanz. Der Autor führt dies auf nega- tive Umweltbedingungen zurück. Wer den Reinhardswald ornithologisch erleben will, findet in der vorgelegten Ornis einen guten Begleiter. 37 Schwarz-Weiß-Fotos, eine Übersichtskarte, Literaturhinweise und ein Artenverzeichnis runden das sehr instruktive Büchlein ab. W. KEIL 23 Neue Literatur

HANDEL, A. (1986): Singvögel. - 63 S., 56 Farbfotos, BLV Reihe Dreipunkt-Buch Nr. 1011. ZIMMER, U. (1986): Greifögel und Eulen sowie Rabenvögel. - 63 S., 56 Farbfotos, BLV Reihe Dreipunkt-Buch Nr. 1012 BLV-Verlagsgesellschaft München. In der Dreipunkt-Buch-Reihe des BLV liegen zwei weitere Büchlein vor, die sich mit unserer Vogelwelt befassen. Das eine behandelt die häufigsten Singvogelarten, während das andere Greifvögel, Eulen und Rabenvögel beinhaltet. Der jeder Vogelart beigegebene Text informiert - wenn auch knapp - über Merkmale, Vorkommen, Lebensweise und Brutbiologie. Das zu jeder Art gehörende Farbfoto ist von ausgezeichneter Qualität. Im Greifvogelbändchen sind zudem einige Fotos, die betreffenden Vogel im Fluge zeigen. Die beiden Bändchen vervoll- ständigen die informative Buchreihe. W. KEIL

SCHEUFLER, H. & A. STIEFEL (1985): Der Kampfläufer. - 211 S., 83 Abb., 2 Farbtafeln, Die Neue Brehm-Bücherei Nr. 574, A. Zierasen-Verlag, Wittenberg-Lutherstadt. - Vertrieb in der Bundesrepublik, Österreich und der Schweiz durch Verlag Neumann-Neudamm, 3508 Melsungen. Der Kampfläufer, in unserem hessischen Beobachtungsgebiet nur als Durchzügler auftre- tend, ist eine in ihrem Brutvogelbestand stark bedrohte Watvogelart. Seine wesentlichen Brut- gebiete sind Tundren, Marschländereien an der Küste und feuchte Binnenlandwiesen. Während der Balzzeit kämpfen die Männchen - jeder Vogel in einem individuell gefärbten Brutkleid - wie in Arenen, um den Weibchen zu imponieren. Die beiden Autoren haben jahre- lang diesen interessanten Vogel im Bereich eines Küstenvogelschutzgebietes an der Ostsee studiert und alles Wissenswerte zusammengetragen. Die als Resultat dieser Bemühungen vorgelegte Monographie gibt einen umfassenden Überblick über den Stand unseres Wissens. Behandelt werden Systematik, Morphologie, Brut-, Rast- und Winterquartiere, Verhalten, Balz und Brutbiologie, Populationsdynamik, Zug, Feinde, Krankheiten, Parasiten und letztlich Schutzmaßnahmen. Ein über 10seitiges Literaturverzeichnis und ein Register beschließen den Band. Die wohlgelungene Monographie macht aber auch deutlich, wo Lücken im Wissen über diese Vogelart vorhanden sind. Die z. T. farbigen Fotos und die zahlreichen sonstigen Illu- strationen ergänzen den Text. Ein sehr empfehlenswertes Buch. W. KEIL

PINTER, H. (1985): Unser Graupapagei. - 72 S., 11. Farbfotos, 31 Schwarzweißzeichnungen, Franckh'sche Verlagshandlung W. Keller & Co., Stuttgart. Der Graupapagei - aus dem tropischen Afrika stammend - gehört zu den Großpapageien, der besonders gerne als Hausgenosse gehalten wird. Während die Tiere früher per Schiff - mit sehr hohen Verlusten - nach Europa kamen, erfolgt heute der Import per Flugzeug. Bevor sich der Interessent zum Kauf eines solchen Tieres entschließt, sollte er sich sehr genau über Haltung, Futter und andere Dinge informieren. Da Papageien sehr alt werden (ca. 50 bis 60 Jahre), ist es eine Anschaffung fürs Leben. Das im Kosmosverlag herausgebrachte Buch unterrichtet über Anschaffung, Pflege, Verhalten, Zucht, Krankheiten und die persönlichen Beziehungen zwischen Halter und Vogel. In sehr verständlicher Art und Weise werden die einzelnen Punkte abgehandelt. Es gibt in knapper Form ausreichend Auskunft und trägt dazu bei, Fehler bei Kauf und Haltung zu vermeiden. W. KEIL 24 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen • Vogel und Umwelt 4: 25-38 (1986)

Nachwachsende Rohstoffe - eine kritische Bewertung aus der Sicht des Natur- und Umweltschutzes von GÖTZ KRAPF, Meißendorf

1. Die Ausgangslage Die Notwendigkeit von grundlegenden Reformen sowohl bei der europäischen als auch der deutschen Agrarpolitik ist unbestritten. Den maßgeblichen Politikern bleibt angesichts unbe- zahlbarer Agrarüberschüsse und der Not vieler landwirtschaftlicher Betriebe keine andere Möglichkeit, als endlich die Fehler in der Agrarpolitik zu bekennen und auf Abhilfe zu sinnen (EG-Kommission 1985, GALLUS 1985c, KIECHLE 1985a). Hochsubventionierte Garantiepreise bei unbegrenzter Absatzmöglichkeit lösten eine beispiellose Produktionssteigerung der europäischen Landwirtschaft aus (PRI EBE 1985a). Intensivierung, Industrialisierung und Konzentration kennzeichnen die Entwicklung. Die Folgen: EG-Agrarausgaben 1986 ca. 48,8 Mia DM = 66 % des EG-Haushaltes (Agrarbe- richt 1986a), gelagerte Interventionsbestände Ende 1985 bei Getreide von ca.16,5 Mio Tonnen, Butter 1,12 Mio Tonnen, Rindfleisch 0,9 Mio Tonnen in der EG (Agrarbericht1986b).Trotz Milch- quotenregelung erhöhte sich der Interventionsbestand an Butter in der Bundesrepublik 1985 auf eine neue Rekordmenge von knapp 0,5 Mio Tonnen (Agrarbericht 1986c). Bei einem Inter- ventionsbestand von nur ca. 100.000 Tonnen 1982 betrugen die Kosten schon ca. 1 Mia DM (HAMPICKE 1984,1985). Erhalt und Existenssicherung bäuerlicher Familienbetriebe war mit dieser Entwicklung nicht gekoppelt. So reduzierte sich die Zahl der landwirtschaftlichen Fami- lienbetriebe von ca.1,4 Mio 1960 auf 0,72 Mio 1985 in der Bundesrepublik (Agrarbericht 1975, 1986d). Zur Zeit werden ca. 60% aller landwirtschaftlichen Betriebe als existenzgefährdet eingestuft (JOCH I MSEN & PETERSEN 1986). Die Intensivierung landwirtschaftlicher Produktionsweisen hat zu dramatischen Gefähr- dungen und Belastungen von Natur und Umwelt geführt (BAUER 1985, Umweltbrief 29, Sondergutachten „Umweltprobleme der Landwirtschaft" 1985). Zu Artensterben, chemischer und physikalischer Bodenbelastung kommt die Isolierung und Zerstückelung naturnaher nicht bzw. nur sehr extensiv genutzter Lebensräume mit stark nega- tiven Auswirkungen auf die zukünftigen Überlebenschancen vieler Arten (MADER 1981,1985). Die fatalen Folgen der Agrarpolitik wurden seit Jahren gerade von privaten Naturschutzver- bänden kritisiert und grundlegende Reformen gefordert. Allen Beteuerungen der politisch Verantwortlichen zum Trotz, Umweltfragen hochrangig zu werten, wurden erst unter dem Eindruck unbezahlbarer Agrarsubventionen neue Wege zur Behebung der Krise gesucht. Hektik, Ratlosigkeit und verwirrende Aussagen charakterisieren die meisten Aussagen der zuständigen Politiker, die Lektüre der BMELF*-Informationen seit 1985 gibt dafür beredte Beispiele. Vergleicht man die verschiedenen Lösungsansätze miteinander,so zeichnen sich zwei gegen- läufige Strategien ab.

* BM ELF = Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 25 Zum einen sollen Marktentlastungen durch extensivere Bewirtschaftungsformen und/oder Stillegungen landwirtschaftlicher Produktionsflächen erreicht werden, zum anderen soll die Intensivproduktion von „Nachwachsenden Rohstoffen" (N R) die Produktion von Nahrungsmit- teln verringern und den Landwirten neue Absatzmöglichkeiten eröffnen (GALLUS 1985a, b, HAMPICKE 1985, KIECHLE 1985b, MORITZ 1985a, b).

Bietet die zuerst genannte Strategie Chancen, Natur- und Umweltschutzprobleme zu redu- zieren, so läuft der Anbau von NR einer umweltverträglicheren Landwirtschaft in jedem Fall zuwider.

Da die öffentliche Diskussion der letzten Zeit zunehmend von der Diskussion um die NR und hier insbesondere durch die Produktion von Äthanol aus Biomasse (Bioäthanol) bestimmt wird und sich abzeichnet, daß zumindest ein bestimmter Flächenanteil durch den Anbau von NR gebunden wird, soll hier der Versuch einer kritischen Betrachtung des Komplexes aus der Sicht des Natur- und Umweltschutzes gemacht werden. Dieses erscheint umso notwendiger zu sein, als von Seiten der Befürworter des Anbaus von NR immer wieder positive Auswir- kungen auf Umweltbelange geltend gemacht werden, so z. B. durch Auflockerung der Frucht- folge mit neuen Kulturpflanzen (DAMBROTH 1985).

2. Formen Nachwachsender Rohstoffe

Die folgende Übersicht vermittelt den Eindruck von der Vielfalt möglicher Nutzung von N R. Die Zusammenstellung wurde in Anlehnung an GÖRLACH (1985) entwickelt.

A Energiesubstitute

- Holz und Stroh zur direkten Erzeugung von Energie mittels Verbrennung bzw.zurGewinnung von Methanol

- energiereiches pflanzliches Material wie Zucker, Stärke, Cellulose zur Energiegewinnung aus nachwachsenden Rohstoffen mittels Biogas- und Alkoholgewinnung - zur Bioalkohol-(Äthanol-) gewinnung lassen sich sehr viele grünmasse-, vor allem stärke- und zuckerbildende Agrarpflanzen nutzen, z. B.Zuckerrüben, Futterrüben, Steckrüben, Kohl- rabi, Möhren, Rettich, Kartoffeln, Kürbis, Getreide, Körnermais, Silomais,Zuckerhi rse, Körner- leguminosen, Topinambur, Zichorie, Pastinak.

B Chemiegrundstoffe

- pflanzliche Öle, Stärke, Zucker, Eiweiß, Fettsäuren, organische Säuren, Cellulose, Natur- fasern sowie Äthanol und Methanol

- Zur Ölgewinnung sind die Samen einer großen Zahl verschiedener Pflanzen nutzbar, wie z. B. Raps, Rübsen, Senf, Ölrettich, Ölrauke, Öllein, Ölmadie, Crambe, Mohn, viele Leguminosen, Sonnenblumen, Ölkürbis, Leindotter, Saflor sowie wahrscheinlich eine große Zahl bisher nicht kultivierter Wildpflanzen

- zur Fasererzeugung kommen Arten wie Faserlein, Öllein, und Hanf in Frage - zur Stärkeerzeugung können vor allem Kartoffeln, Getreide, Topinambur und Körnermais dienen. 26 C Spezialchemikalien und Werkstoffe

- ätherische Öle, Aromastoffe, Farbststoffe, Klebstoffe, Gerbstoffe, Enzyme, Pestizide, Wachse

- Wirkstoffe für Pharmazie und Pflanzenschutz - zur Erzeugung von ätherischen Ölen stehen Kulturpflanzen wie Kamille, Anis, Baldrian, Fenchel, Koriander, Kerbel, Ringelblumen und Salbei zur Verfügung.

Besonderes Interesse finden zur Zeit die Produktlinien Zucker, Stärke, pflanzliche Fette und Öle, Holz (Lignocellulose), Fasern, Biogas und vor allem Bioäthanol (BMELF 1985a, DAMBROTH 1985).

3. Zum Stand der Forschung über die Nachwachsenden Rohstoffe Ausgelöst durch die Ölkrise der 70er Jahre sowie die sich abzeichnende Überschußproble- matik in der Landwirtschaft erfuhren die NR entscheidende Impulse, die sich seit Beginn der 80er Jahre zunehmend in der Forschungsförderung vor allem der Bundesministerien für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (BMELF) und Forschung und Technologie (BMFT) ausdrücken. Bisher wurden mehr als 60 Forschungsprojekte durch diese beiden Ministerien meist über Bundesforschungsanstalten verwirklicht. Hinzu kommen weitere rund 40 Projekte, die einen Bezug zum Themenfeld der NR haben (BMFT 1985, BM ELF 1985b).

Einen Überblick zu den Forschungsvorhaben gestattet die Broschüre: Forschungsprogramm NR 1982-1985 des BMELF (BMELF1981). Besonders viele Projekte werden in der Bundesfor- schungsanstalt für Landwirtschaft (FAL) in Braunschweig durchgeführt. Das Förderungsvo- lumen beläuft sich auf mehrere hundert Mio DM (BMELF 1983a). Die BMFT-Problemskizze 23/85 verzeichnet bis 1985 für das BMFT 30 Projekte mit einem Förderungsvolumen von 46 Mio DM (BM FT1985). Bundesfördermittel werden auch verwendet von der Zuckerfabrik Franken, die mit der Südzucker AG in Ochsenfurt/Main eine Pilotanlage zur Gewinnung von Bioäthanol aus Zuckerrüben unter Verwendung von Rest-und Abfallstoffen erprobt. Weiterhin werden von Bundesländern vereinzelt Vorhaben über Hochschulen und Universi- täten unterstützt. Das Land Niedersachsen arbeitet mit der Firmengruppe der Deutschen Kornbranntwein-Verwertungsstelle GmbH zusammen.Ziel ist es, mit der Pilot-Anlage in Ahau- sen-Eversen im Landkreis Rotenburg-Wümme die Herstellung von Bioäthanol hier vorrangig aus Kartoffeln zu erproben.

Im Rahmen der EG sind eine Reihe von Forschungsprogrammen in Gang gesetzt worden, die sich vorrangig mit der Nutzung „Nachwachsender Rohstoffe" zur Energiegewinnung befassen.

4. Zur aktuellen Nutzung von Nachwachsenden Rohstoffen

Im starken Gegensatz zur Vielfalt derverschiedenen möglichen Formen von NR ist deraktuelle Anbau von NR in der Bundesrepublik sehr eingeschränkt und erfaßt weniger als 2 % der land- wirtschaftlichen Nutzfläche von ca. 12 Mio ha. Die Nutzung von Holz als Rohstoff ist hierbei allerdings nicht berücksichtigt (BMELF 1985b). Die Verwendung von Bioäthanol in Treibstoffen hat lediglich in den USAund vor allem in Brasi- lien bisher eine größere Bedeutung. So führten erhebliche Steuervergünstigungen beim 27 „Gasohol-Programm” in den USA dazu, daß 1983 ca.0,4 0/0 des Treibstoffanteils durch Äthanol gebildet wurde. Es ist in den USA allerdings nicht zu erwarten, daß das Gasohol-Programm weiterhin besonders wächst. Umweltprobleme, eine Gefährdung der Verwendungsmöglich- keit von Nebenprodukten sowie die Aufrechterhaltung von Steuervergünstigungen begrenzen das Programm ganz wesentlich (BMLF 1983b). Das Proalcool-Programm in Brasilien ist beispiellos und hat das Ziel, Benzin weitestgehend durch Bioäthanol zu ersetzen. Zur Verminderung der Abhängigkeit von Energieimporten setzt Brasilien in großem Umfang staatliche Förderungen zur Durchsetzung des Programms ein. Trotz relativ günstiger Produktionsbedingungen (Zuckerrohr als Ausgangsmaterial) sind erhe- bliche staatliche Anreize zur Durchsetzung notwendig (BMELF 1983b). Die entstandenen Umweltprobleme vor allem mit Abwässern aus der Bioäthanolproduktion sind ganz außeror- dentlich, abgesehen von den mit dem Programm verbundenen sozialen Problemen (Brasilien- dialog 1, 1981).

5. Welche Faktoren beschränken den Anbau von NR in der Bundesrepublik? Der verschwindend geringe Flächenanteil, den der Anbau von NR an landwirtschaftlicher Nutzfläche (LN) zur Zeit in der Bundesrepublik bindet, ist durch eine ganze Reihe von Faktoren begründet, von denen einige in der folgenden Auflistung aufgeführt werden: - Für die wichtigsten hier genannten Stoffe ist Mineralöl das mit Abstand wirtschaftlichste Ausgangsmaterial. Die hohen über die EG-Marktordnung bewirkten Preise für landwirt- schaftliche Produkte verhindern die Konkurrenzfähigkeit, die von Fall zu Fall bei landwirt- schaftlichen Produkten zum Weltmarktpreis gegeben wäre. Selbst wenn durch staatliche Subventionierung von Ausgangsstoffen für die chemische Industrie prinzipiell der Wettbe- werbsnachteil landwirtschaftlicher Produkte behoben würde, bestehen von Seiten der chemischen Industrie generelle Vorbehalte gegen die Verwendung von subventionierten Grundstoffen (Expertengespräch in Wiesbaden 1985, ZÖBELEIN 1986). - Die Lektüre der Forschungsprogramme (BM ELF1981,1985a) macht deutlich,daß noch viele Fragen offen sind. Beispiele: • Einsatzmöglichkeiten der Stoffe,wo bestehen Chancen zur Substitution von Mineralölpro- dukten? • Rohstoffquellen, welche Pflanzenarten kommen in Betracht, mangelnde züchterische Bearbeitung der Pflanzen im Hinblick auf die neuen Produkte, Zeitbedarf weit mehr als zehn Jahre • Anbaupraxis, welche Anbausysteme sind optimal? • Welche Regionen und Böden kommen für den Anbau von NR in Frage? • Frage nach der Akzeptanz des Anbaus von NR durch die Landwirte • Mangel an eingespielten Märkten • Ein Fülle ungelöster Umweltbelastungen durch Anbau und Verarbeitung von NR

Die Vielzahl dieser Probleme schließt es aus, daß in absehbarer Zeit, z. B. innerhalb von fünf Jahren, ein flächenmäßig nennenswerter Anteil der LN durch den Anbau mit NR gebunden werden kann (Expertengespräch in Wiesbaden 1985). Sieht man einmal vom hier noch gesondert zu behandelnden Komplex Bioäthanol als Treib- stoffkomponente ab, dann ergeben sich für die überschaubare Zukunft nur geringe Chancen zum Anbau von NR. 28 Ungeachtet derTatsache,daß z.Zt. bei den Produktlinien Stärke und Öle-Fette die Konkurrenz- fähigkeit zu Weltmarktpreisen nicht gegeben ist, sind Flächenbedarfsschätzungen von zu- sammen maximal 500 000 ha LN in der Bundesrepublik mit großer Zurückhaltung zu sehen (BMELF1985b).

6. Sonderfall „Bioäthanol als Treibstoffkomponente" Da in letzter Zeit die öffentliche Diskussion um die zukünftige Agrarpolitik in besonderem Umfang von der Frage nach dem Einsatz von Bioäthanol als Treibstoffkomponente geprägt wird und ernsthafte agrarpolitische Vorstöße gerade auf EG-Ebene in dieser Richtung bestehen (AGRA-EUROPE 1986a, HANKE 1986, KIECHLE 1986a) wird dem Bereich „Bio- äthanol" eine gesonderte Betrachtung gewidmet. Welche Hauptargumente werden von Seiten der Befürworter des Anbaus von NR zur Erzeu- gung von Bioäthanol als Treibstoffkomponente angeführt? a) Zunächst verspricht man sich eine Entlastung des Agrarmarktes in der Weise, daß die Getreide- und Zuckerüberschußproduktion, die durch die EG-Marktordnungsregelung enorme Kosten verursacht und nicht absetzbar ist, abgeschöpft werden kann. Der sich in einer Existenskrise befindlichen Landwirtschaft sollen neue Märkte erschlossesn werden (GALLUS 1985a, KIECHLE 1986a). Der Produktion von NR kommt gewissermaßen die Funktion eines Notventils zu. Es ist ausdrücklich an eine intensive Produktionsweise mit möglichst hohen Flächenerträgen gedacht (BMFT 1985). b) Der Anbau von Pflanzen zum Gewinn von Treibstoffen soll die Importabhängigkeit auf dem Energiesektor vermindern besonders im Hinblick auf die Erschöpfung fossiler Energien und ihrer zukünftig stark ansteigenden Preise (AGRA-EUROPE 1986b). c) Bioäthanol als Treibstoffkomponente soll die Qualität der Treibstoffe verbessern und zu geringeren Abgasbelastungen führen.

Bewertung der für den Anbau von Treibstoffpflanzen hervorgebrachten Argumente im ein- zelnen: 1. Zur Entlastung des Agrarmarktes von Überschüssen und zur Schaffung neuer Märkte für die Landwirtschaft a) Flächenangebot und Flächenbedarf

Die heutige intensive landwirtschaftliche Produktionsweise würde es zum Abbau der Über- schüsse in der Bundesrepublik nötig machen, daß z. B. 500 000 ha LN aus der Produktion von Milchleistungsfutter herausgenommen werden (HAMPICKE 1985). Insgesamt schätzt HAMPICKE, daß z.Zt.1 bis 1,2 Mio ha LN ohne Rückwirkung auf die Nahrungsversorgung aus der Produktion genommen werden könnten. Für die Zukunft schätzt DAMBROTH (zitiert in MORITZ1985a), daß in der Bundesrepublik bis zu 3 Mio ha LN aus der Produktion genommen werden könnten, die bisherige Intensität landwirtschaftlicher Nutzung vorausgesetzt und unter Miteinbeziehung der Produktionssteigerungen der letzten Jahre. EG-weit ließen sich zur Zeit 2,4 Mio ha LN und innerhalb von 10 Jahren bis zu 8 Mio ha LN freisetzen (BMELF1983c). Allein die jährliche Steigerung der Getreideerzeugung von 2% schafft EG-weit jährlich eine Überschußfläche von ca. 500 000 ha LN (BUND 1985). 29 Die Bindung von LN durch den Anbau von Zucker- und Stärke produzierende Pflanzen wie Zuckerrübe, Getreide und Kartoffeln hängt wesentlich davon ab, welcher Äthanolanteil dem Treibstoff beigemischt werden soll und in welchem Umfang Rüben und/oder Getreide das Ausgangsmaterial liefern. Die aus technischen Gründen am häufigsten genannten Vorschläge zum Beimischungsanteil sind 3, 5,10 aber auch 15% (BMELF 1983d). Bei einer Produktion von 4000 Liter Äthanol/ha, wie beim Anbau von Zuckerrüben und Kar- toffeln erreichbar, ergäbe sich ein Flächenbedarf von ca. 210 000, 360 000, 710 000 und 1070 000 ha für die Bundesrepublik. Für die EG würde eine 5%ige Äthanolbeimischung 1,4 -2 Mio ha LN binden (MORITZ 1985b, JOCHIMSEN & PETERSEN 1986). Die hier genannten Zahlen sind Richtwerte, die für den Fall, daß ein höherer Getreideanteil (2-3000 I pro ha LN) als Rohstoff genutzt wird, sich zu höheren Flächenbedarfswerten verschieben. Geht man davon aus, daß sich Bioäthanolanlagen zunächst an Zuckerfabriken angliedern, um Investitionskosten zu sparen - die Pilotanlage Ochsenfurt/Main ist ein Beispiel - dann ist zu erwarten, daß sich die Bioäthanolproduktion vorrangig im Bereich des traditionellen Zuckerrü- benanbaus ansiedeln wird. Der Zuckerrübenanbau beläuft sich in der Bundesrepublik auf ca. 400 000 ha (Agrarbericht 1986e). Es steht am ehesten eine 5%ige Äthanolzumischung („E 5" Kraftstoffgemisch - Eurosuper) zu erwarten, die gegebenenfalls in erster Linie den Landwirten zugute kommt, die bereits jetzt Rübenanbau betreiben und auf besten Ackerstandorten arbeiten. Eine unmittelbare Einkom- mensalternative für Betriebe benachteiligter Gebiete ist nicht zu erwarten. Eine 5%ige Beimischung von Äthanol wird auch in Zukunft die Überschußproblematik nur zu einem geringen Teil lösen können, ganz davon abgesehen, daß sie die jetzt drängenden Probleme innerhalb der nächsten 5-10 Jahre noch nicht einmal in Ansätzen mindern kann. b) Kostenentlastung oder Subventionierungsbedarf

Eine verläßliche und brauchbare mittelfristige Kostenabwägung erscheint zur Zeit nur sehr bedingt möglich. Einige wesentliche Gründe sind: - Die Wettbewerbsfähigkeit von Äthanol ist entscheidend vom Mineralölpreis abhängig. Wie die aktuelle dramatische Entwicklung auf dem Treibstoffmarkt zeigt, sind unabsehbare starke Schwankungen möglich, die jede mittelfristige Prognose erschweren.

- Es gibt in der Bundesrepublik zwei Pilotanlagen (Zuckerfabrik Ochsenfurt/Main und Ahau- sen/Eversen in Niedersachsen), die seit kurzer Zeit den Testbetrieb aufgenommen haben (WEHLAND 1985). Die Produktionskosten werden erst nach einer gewissen Betriebszeit exakt und sicher zu ermitteln sein. Studien zur Ermittlung der Wirtschaftlichkeit der Äthanol- erzeugung von MEI N HOLD,WOLFFRAM und HANTELMANN sowie MISSELHORN (zitiert in: BMELF 1983e) zeigen deutliche Abweichungen von einander.

- Da die Marktordnungskosten der EG in die Kosten/Nutzen-Analyse mit eingehen, spielen auch Schwankungen des Weltmarktpreises für Zucker und Getreide u. a. mithinein.

- Es ist sehr schwierig, technologische und züchterische Fortschritte zu quantifizieren und in die Prognosen mit einzuflechten.

In einer Aussage stimmen trotz dieser Probleme alle Berechnungen überein: mindestens für die nächsten Jahre erfordert ein Bioäthanolprogramm erhebliche zusätzliche Aufwendungen des Staates, um der Landwirtschaft das Einkommen zu sichern, das über den Anbau von 30 Lebensmitteln zu erzielen ist. Beispielhaft sind im Folgenden einige Kostenabwägungen für Zuckerrüben und Weizen aufgeführt:

Zuckerrübe Subventionsbedarf je ha DM 2 730,- (BUND 1985) Subventionsbedarf je ha DM 1 440,- (STÜRMER et al. 1985) Ein Anbau von Weizen hätte den Staat pro ha an Kosten für Ausfuhrerstattung und Lager ledig- lich ca. DM 965,- gekostet. Die Mehrkosten für den Steuerzahler betragen somit: DM 1765,-bzw. DM 475,- und bei einer Anbaufläche von ca. 360 000 ha pro Jahr 0,635 bzw. 0,17 Mia DM.

Weizen Subventionsbedarf je ha DM 1 500,- - 2 500,- (JOCHIMSEN & PETERSEN 1986)

Die Mehrkosten für die Bioäthanolerzeugung liegen damit bei DM 535 bis 1535 je ha. Die BM FT-Skizze 23/85 führt umgerechnet auf eine 50/oige Zumischung einen Subventions- bedarf von 0,5 -1,5 Mia auf. Ohne zu sehr in Details zu gehen, liegen den zitierten Kalkulationen folgende Richtwerte zugrunde: Herstellungskosten für Bioäthanol DM 1,20 -1,50 Raffinerieabgabepreis für Superbenzin ca. DM 0,65 Subventionsbedarf pro Liter Bioäthanol ca. DM 0,40 - 0,90 (bei Anrechnung eines Qualitäts- bonus für Bioäthanol) Bioäthanolflächenerträge, Zuckerrüben 4 - 5000 Liter/ha Bioäthanolflächenerträge, Weizen ca. 1700 - 2800 Liter/ha. Die Gesamtkonzeption NR des BMELF (1983) beinhaltet eine sehr detaillierte Kosten-Nutzen- Betrachtung und schließt nicht aus, daß im letzten Jahrzehnt des Jahrhunderts günstigere Konkurrenz-Verhältnisse die Produktion von Bioäthanol erleichtern (hohe Mineralölpreise, verbesserte Produktionsweise des Bioäthanols). Legt man allerdings die Mineralölpreise vom Frühjahr 1986 zugrunde, dann rückt eine kostengünstigere Bioäthanolproduktion in sehrweite Ferne. Auf alle Fälle ist die Belastung des Steuerzahlers durch die Bioäthanolerzeugung mit DM 1440 bis DM 2730 pro ha LN und Jahr wesentlich größer als im Falle einer Flächenstillegung, die nach GOCHT (zitiert in Agra-Europe 1986a) lediglich DM 1300,- pro ha und Jahr betrüge!

2. Bioäthanol als Energieträger

Auch in dieser Kernfrage gibt es ähnlich wie bei der Kosten-Nutzen-Analyse eine Reihe unter- schiedlicher Aussagen, die von Fall zu Fall genau geprüft werden müssen, um Fehlinterpre- tationen zu vermeiden. Grundsätzlich wandeln grüne Pflanzen Sonnenenergie durch die Synthese von organischen Stoffen wie Zucker oder Stärke in chemische Energie um. Diese Energie findet sich nach der Vergärung in Form von Äthanol gespeichert. Für eine Energie- bilanz ist von der im Äthanol gebundenen Energie der Betrag abzuziehen, der beim Anbau der Pflanzen (Bodenbearbeitung, Energie, die in die verwendeten Agrochemikalien investiert wurde u. a.), der Ernte,dem Transport sowie der Konversion in Äthanol aufgebraucht wurde. Für die Energiebilanz ist es entscheidend, ob und in welcher Form Nebenprodukte wie Blattmasse, 31 Schlempe, brennbare Masse wie Bagasse beim Zuckerrohr anfallen und genutzt werden können. Für Kartoffel und Zuckerrübe errechnete die FAL (zitiert in GÖRLACH 1985) folgendes:

Zuckerrübe a) nur Äthanol: Energieeinsatz zu Energiegewinn =1:1,35 b) Äthanol und Futterwert der Nebenprodukte: Energieeinsatz zu Energiegewinn =1:2,02 c) Äthanol und Futterwert und Biogas aus Schlempe: Energieeinsatz zu Energiegewinn =1 : 3,00

Kartoffel a) nur Äthanol: Energieeinsatz zu Energiegewinn =1 :1,33 b) Äthanol und Schlempeverfütterung : Energieeinsatz zu Energiegewinn .= 1 : 1,56 c) Äthanol und Biogas aus Schlempe: Energieeinsatz zu Energiegewinn =1: 2,06

Betrachtet man nur die Äthanolgewinnung, dann bleibt festzuhalten, daß beim Anbau von Zuckerrüben und Kartoffeln rund 3/4 der in Anspruch genommenen Fläche benötigt wird, um die Energie zu produzieren, die die Produktion von Bioäthanol verbraucht. Ein 5%iger Treib- stoffzusatz über Bioäthanol leistet einen Beitrag zur Substitution von weniger als 10/0 der Energie an fossilen Rohstoffen, da zusätzlich in Rechnung gestellt werden muß, daß der Heizwert von Äthanol deutlich geringer als der von Benzin ist.

Das Bioäthanolprogramm leistet also faktisch keinen nennenswerten Beitrag zur Einsparung fossiler Energie! Dies gilt umso mehr, als für Weizen sogar von negativen Energiebilanzen die Rede ist (BUND 1985). Die Verbesserung der Energiebilanz durch die Anrechnung derVerwer- tung von Nebenprodukten ist problematisch. Sie kann nur dann akzeptiert werden, wenn der Nachweis einer gekoppelten Nutzung erbracht wird. Dies gilt ganz besonders kritisch bei der Verfütterung von Rübenblättern.

3. Bioäthanol als Treibstoffkomponente

Eine 5%ige Äthanolbeimischung zu einfachem Benzin verbessert in der Tat die Oktanzahl. Ein vollständiger Ersatz von organischen Bleiverbindungen ist jedoch für Superbenzin keinesfalls möglich, da Äthanol im Gegensatz zu den herkömmlichen Bleiverbindungen nicht den gesamten Siedebereich des Vergaserkraftstoffes im Hinblick auf die Oktanzahlsteigerung abdeckt. Es muß offen bleiben, ob der Einsatz z. B. von Äthyl-tertiär-Butyl-Äther (ETBE), der auch unter Verwendung von Bioäthanol hergestellt werden kann, einen praktikablen Weg zum unverbleiten Benzin darstellt (BMELF 1983 f, 1985 a,b).

Am Rande sollen noch zwei weitere Argumente gestreift werden, mit denen die Produktion von Bio- äthanol motiviert wird: a) Schaffung neuer Arbeitsplätze und b) Auflockerung der Fruchtfolge durch den Anbau neuer Pflanzenarten. Zu a: Bei einer 5%igen Bioäthanolbeimischung ergibt sich möglicherweise ein Bedarf von 700 bis 900 Arbeitsplätzen (MEINHOLD zitiert in SIGLI NGER 1986). Es steht zu befürchten, daß aufgrund weiterer Intensivierung in der Landwirtschaft durch den Anbau von Bioäthanolpflanzen anderer- seits landwirtschaftliche Betriebe aufgeben müssen, mithin Arbeitsplätze vernichtet werden. Zu b: Eine umweltentlastende Auflockerung der Fruchtfolge ist keinesfalls zu erwarten, stehen doch Rüben und Kartoffeln im Zentrum des Interesses (MEINHOLD 1985) und wird von Höchster- trägen ausgegangen (BMFT 1985). 32 Während eine 5%ige Äthanolbeimischung den Kohlenmonoxid-und Kohlenwasserstoffgehalt der Abgase mindert, bleibt der besonders umweltbelastende Anteil von Stickoxiden unver- mindert (BUND 1985). Ein Äthanolzusatz kann die Funktion eines Katalysators zur Abgasreini- gung in keiner Weise ersetzen und leistet auch keinen entscheidenden Beitrag zur Einführung von bleifreiem Benzin. Im übrigen wären die geringen Umweltvorteile wahrscheinlich mit Syntheseäthanol der chemischen Industrie auf der Basis von Äthylen preiswerter zu erreichen (MORITZ 1985b). In Ergänzung zum Bereich Treibstoffe aus Biomasse sei hier noch ein Hinweis auf eine weitere Kraftstoffkomponente mit geringer aktueller Bedeutung gegeben: Methanol. Als Ausgangsmaterialien zur Synthese kommen Erdgas, Braunkohle, Steinkohle, aber auch Biomasse, vorrangig Holz, in Frage. Da Kohle und Erdgas jedoch auch in Zukunft preiswerter als Holz sein werden, ist nicht zu erwarten, daß hier ein erheblicher Markt für die Forst- bzw. Landwirtschaft entstehen kann (BMELF 1983g).

7. Auswirkungen des Anbaus von Nachwachsenden Rohstoffen auf Natur- und Umwelt- schutz Die folgende Erörterung konzentriert sich auf den Anbau und die Verwendung von Pflanzen zur Treibstoffgewinnung.

(1.) Entsorgungsprobleme, die unmittelbar mit der Produktion von Bioäthanol verknüpft sind: Erhebliche Probleme bereitet die Entsorgung von Abfallstoffen, die in Mengen von bis zu 15 Litern Schlempe pro Liter Bioäthanol anfallen. Eine befriedigende Entsorgung unter Einschluß von Biogasgewinnung zur Verbesserung der energetischen Bilanz erfordert noch erheblichen Forschungs- und Entwicklungsaufwand (BMELF 1983 f).

(2.) Generelle Belastung der Umwelt durch intensive Anbauformen von Zuckerrübe, Kartoffel, Weizen, Mais: Alle bisher zitierten Überlegungen und Kalkulationen gehen von hohen Flächenerträgen aus und setzen eine entsprechende Bewirtschaftungsform voraus (BM FT1985,SIG LI NGER1985). Damit einher gehen die bekannten Belastungen und Gefährdungen von Natur und Umwelt u. a. durch: • starke Düngung (Eutrophierung von Grundwasser und Gewässern) • Pestizideinsatz (Artenverarmung, Rückstandsproblematik) • Mechanisierung (Bodenverdichtung, Ausräumung von Kleinstrukturen in der Agrarland- schaft, Grundwasserabsenkung, Beregnung) • Bodenerosion

(3.) Agrarpolitische Folgen Es steht zu befürchten, daß die Einführung der Bioäthanolwirtschaft über hoch subventionierte und für die Landwirtschaft attraktive Garantiepreise auf längere Sicht die Industrialisierungs- tendenzen in der Landwirtschaft verstärkt. Große Betriebe in guten Lagen werden den größten Nutzen aus der Entwicklung ziehen und auf Kosten der Existenz kleinerer Betriebe wachsen. Da technisch einer höheren Bioäthanolbeimischung zum Treibstoff keine schwerwiegenden Gründe entgegenstehen, kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Bioäthanolwirtschaft eine Eigendynamik gewinnt, die eine Ausdehnung auf immer größere Flächen bewirkt und sich ein unbegrenztes Abnahmevolumen schafft. Erfolge bei der Optimierung der Bioäthanolge- winnung und weitere Ertragsmaximierung durch verbesserte Anbausysteme werden diese Entwicklung verstärken. 33 Ein vergleichbarer Mechanismus hat die bisherige europäische Agrarpolitik zum Scheitern gebracht (PRIEBE 1985a)! Es hat den Anschein, daß der Ruf nach Einführung der Bioäthanolwirtschaft, wie er z. B. vom Deutschen Bauernverband immer wieder zu hören ist (AG RA-EUROPE 1986 b), der Versuch ist, ein gesamtwirtschaftlich gescheitertes System zum Nutzen bestimmter Interessenten in neuer Form aufleben zu lassen.

(4.) Konkurrenz zu Extensivierungs- und Flächenstillegungsvorhaben aus Gründen des Natur- und Umweltschutzes Wenn auch innerhalb des nächsten Jahrzehntes der Anbau von NR aufgrund zu geringer Verarbeitungskapazitäten und Konkurrenzfähigkeit keinen übermäßigen Landhunger be- wirken wird, geben doch Verlautbarungen aus dem BMELF und BMFT zu gewissen Besorg- nissen Anlaß. So suggeriert die BMFT-Skizze 23/85, daß z.Zt knapp 1 Mio ha Brach-, Öd- und Unlandfläche potentiell zur Erzeugung von Biomasse verfügbar wären, ohne auf die hoch bedeutsame Funk- tion solcher Flächen als „Regenerationsgebiete" für Trinkwasser oder als Refugium für viele Arten (AID 1985) überhaupt ansatzweise einzugehen. Für den Fall, daß es gelingt, die Technologie der Konversion von komplexer Biomasse wie z. B. Holz zu Methanol bzw. Äthanol entscheidend zu verbessern und zu verbilligen, steht zu erwarten, daß Extensivierungsprogramme zur Erhaltung der herkömmlichen ökologischen Funktionen der Landschaft gerade auch in Grenzertragsgebieten durch direkte Konkurrenz vom Anbau von NR erheblich erschwert würden. Mit Vorbehalt zu beurteilen ist auch die Empfehlung zur Aufforstung (GALLUS 1985), es sei denn, sie führt zu standortgerechten und naturnahen Forsten in waldarmen Gebieten. Die kritische Lektüre einer Erklärung von Bundesernährungsminister KIECHLE (1986) läßt vermuten, daß Flächenstillegungs- und Extensivierungsmaßnahmen nur als vorübergehender Notbehelf zum aktuellen Abbau von Überschüsssen angesehen werden. Es steht zu befürchten, daß extensivierte bzw.stillgelegte Flächen dann zur Intensivproduktion zurückgeführt werden sollen, sobald sich z. B. nach fester Etablierung eines Bioäthanolpro- gramms der Landwirtschaft für neue Produkte neue Märkte bieten. Der unbestritten dringende Bedarf an Naturregenerationsflächen (z. B. Umweltbrief 29) wird nicht gewürdigt. Die Verwirklichung von vergleichsweise überzeugenden konzeptionellen Ansätzen zur Exten- sivierung und Flächenstillegung in der Landwirtschaft, die auch einen weitgehenden Erhalt bäuerlicher Familienbetriebe gewährleisten könnten (HAMPICKE 1985, PRIEBE 1985b), würde durch ein in jeder Hinsicht fragwürdiges Programm zur Stützung des Anbaus von NR zur Bioäthanolgewinnung allein durch den Abzug von Finanzmitteln entscheidend gehemmt. Es sei, wie oben ausgeführt, daran erinnert, daß ein Bioäthanolprogramm für absehbare Zeit je Flächeneinheit erheblich teurer wäre als eine Flächenstillegung.

8. Folgerungen und Forderungen aus der Sicht des Natur- und Umweltschutzes im Hinblick auf den Anbau von NR und Zusammenfassung

Zunächst zeigt sich, daß für den am meisten diskutierten Fall der Produktion von Bioäthanol als Treibstoffzusatz aus NR keine wirklich überzeugenden Argumente bestehen. Zusammengefaßt bleibt festzuhalten: - In der vorgesehenen Form (5%-Zusatz) wird die drängende Überschußproblematik weder in der Bundesrepublik noch der EG auch nur näherungsweise gelöst. 34 - Innerhalb der nächsten Jahre können damit überhaupt keine Einkommenssicherungen für die in Not geratene Landwirtschaft erreicht werden.

- Ab Mitte der neunziger Jahre würden allenfalls große Betriebe Nutzen haben, Betriebs- sterben und Industrialisierung in der Landwirtschaft würden eher noch beschleunigt. So sehen große landwirtschaftliche Betriebe, wie sie vor allem im Norden der Bundesrepublik vorkommen (Sondergutachten „Ud1.2' 1985, Abb. 1. 3.) wirtschaftliche Chancen durch die Einführung eines faktisch unbegrenzten Marktes zu Garantiepreisen. Bezeichnenderweise zeigt sich die niedersächsische Landesregierung auch als Protagonist des Anbaus Nach- wachsender Rohstoffe zur Treibstoffgewinnung (Nds. MELF1985).Weiterhin reflektieren die Forderungen nach der Einführung eines Bioäthanol-Marktes beim Treibstoff die wirtschaft- lichen Interessen von sehr eng zu umgrenzenden Gruppen. So ist die Zuckerindustrie (z. B. Südzucker AG, Bioäthanolversuchsanlage Zuckerfabrik Ochsenfurt) in hohem Maße an der Entwicklung des Zuckerrübenanbaus interessiert, um eine strukturelle Anpassung an veränderte Verhältnisse zu umgehen. In der Bundesrepublik sinkt der Zuckerverbrauch, weltweite Zuckerüberschüsse kennzeichnen die Lage.Zuckerfa- briken wurden geschlossen oder stehen zur Schließung an (AGRA-EUROPE1986b, ISER- MEYER 1986, MORITZ 1986).

- Einen Beitrag zur Minderung der Abhängigkeit von Energieimporten leistet das Programm nicht - es besteht kein Bedarf an Bioäthanol! Zuckerindustrie, Kornbrenner und Bauernver- band leiten die Öffentlichkeit fehl (AG RA-Europe 1986b).Viel eher scheint die Konzentration der Forschungsmittel auf die Entwicklung von Energiespartechniken geeignet. In welch gewaltigem Umfang hier ungenutzte Reserven liegen, hat der völlige Zusammenbruch aller Energieverbrauchsvorhersagen aus den siebziger Jahren gezeigt. Die Ölpreiskrise hat auf Anhieb zu enormen Energieeinsparungen geführt. Darüber hinaus liegen gerade bei der Nutzung von nicht erschöpfbaren Energien zur Heizung von Gebäuden (Wärmepumpen, Solarenergie) große Möglichkeiten zur Einsparung von Erdöl.

- Arbeitsplätze werden nicht in nennenswertem Umfang geschaffen.

- Das Programm belastet auf unabsehbare Zeit die öffentliche Hand deutlich mehr als die bisherige Überschußsubventionierung.

- Es kommt zur Erhöhung der Umweltbelastung durch die Produktion von Bioäthanol. - Die geradezu historische Chance zu grundlegenden Reformen im Sinne von Natur- und Umweltschutz und Erhaltung bäuerlicher Familienbetriebe wird gefährdet. Extensivierung und Umwidmung von Flächen für Natur- und Umweltschutzbelange gegen Entschädigung sind erschwert. Das Argument, Landwirte wollten nicht zu Almosenempfängern für weniger Arbeit werden, sondern durch ihre Leistung ihren Lebensunterhalt erwirtschaften, ist gera- dezu absurd, würde doch die Subventionierung des Anbaus Nachwachsender Rohstoffe zur Gewinnung von Treibstoffen die augenblicklich schon bestehende Almosenempfänger- situation erst recht verstärken!

Der Anbau Nachwachsender Rohstoffe im Nicht-Treibstoff-Bereich bedarf noch erheblicher Forschungsanstrengungen, ehe er angemessen zu beurteilen ist. Es ist z.Zt. nicht erkennbar, daß er der Landwirtschaft bis zum Jahr 2000 eine nennenswerte Einkommensperspektive bietet. Gleichwohl muß aus der Sicht des Natur- und Umweltschutzes auf folgende Probleme hingewiesen werden: jedes Verfahren, bei dem in größeren Mengen Produkte aus dem Anbau von nachwach- senden Rohstoffen verarbeitet werden müssen, wie z. B. Fasern aus Flachs zur Spanplatten- 35 herstellung oder als Asbestersatz, fördert schon aus Transportgründen die ohnehin aus Gründen der Bodenqualität und des Klimas vorhandene Konzentration. Die Produktions- anlagen müssen gewisse Dimensionen erreichen und ausgelastet werden. Hierdurch und durch die auf Grund des Zwangs zur rationellen Ausnutzung von Spezialmaschinen sich entwickelnde Betriebsspezialisierung dürfte in der Regel das Argument entkräftet werden, demzufolge durch die Palette neuer Pflanzenarten für den Anbau Nachwachsender Rohstoffe die Fruchtfolge erweitert würde. Die Praxis könnte eher zum Gegenteil führen. Die ökologischen Auswirkungen eines intensiven großflächigen Anbaus rohstoffproduzie- render Pflanzen müssen vorher kritisch abgeschätzt werden. Eine Ausrichtung allein nach der Stoffproduktion und der politischen Opportunität, wie sie z.Zt. beim Bioäthanolprojekt deutlich wird, ist aus der Sicht des Natur- und Umweltschutzes nicht akzeptabel. Die Umwelt- verträglichkeit sollte ein zentrales Kriterium bei der Bewertung des Anbaus Nachwach- sender Rohstoffe werden. Die kritische Belastung von Natur und Umwelt durch die prakti- zierte Landwirtschaft erlaubt es nicht,daß der Komplex Nachwachsende Rohstoffe durch die zuständigen Bundes- und Länderministerien so fahrlässig wie bisher weiter von Fragen des Natur- und Umweltschutzes abgekoppelt wird! - Zu guter letzt sei noch auf die Gefahr hingewiesen, die darin liegt, daß an Rohstoffe für den Nichtlebensmittelbereich in Hinblick auf gesundheitsgefährdende Inhaltsstoffe wie Schwer- metalle, Pflanzenschutzmittelrückstände keine Auflagen gestellt werden, mithin der Zwang zum Schutz des Bodens vor Giften und der Zwang zur zurückhaltenden Anwendung von Pflanzenschutzmitteln unterbunden werden kann.

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Anschrift des Verfassers: Dr. GÖTZ KRAPF, DBV-Naturschutzseminar Sunder, 3108 Winsen-Meißendorf 38 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen • Vogel und Umwelt 4: 39-40 (1986)

Einige Vorschläge für den naturnahen Ausbau von kleineren Fließ- gewässern von KARL-ULRICH STÖRKEL, Frankfurt am Main

Bei allen Maßnahmen zur Renaturierung eines Fließgewässers ist als Zielvorstellung eine möglichst große Vielfalt von Mikrohabitaten anzustreben, die als Lebensgrundlage für eine reiche Biozönose dienen kann. Ein solches Mosaik aus Kleinlebensräumen entsteht durch ein zeitlich und räumlich wechselndes Zusammenspiel der relevanten ökologischen Faktoren.

Im einzelnen kann daher folgendes vorgeschlagen werden:

- Im Längs- und Querschnitt des Gewässers sollte durch Einbau von Sohlschwellen bzw. mäandrierenden Verlauf die Fließgeschwindigkeit variiert werden. Dies führt gleichzeitig zu einer Zonierung der Sedimente, so daß eine wechselnde Abfolge der Korngröße im Sohlen- substrat entsteht. In dem Spektrum von einer rauhen Sohle durch Blöcke, Schotter und Grob- kies, über Kies- und Sandbänke, bis hin zu Feinsand- und Schlammablagerungen kann eine Maximalzahl von grabenden,festsitzenden und lückenbewohnenden Organismen auftreten.

- Die Turbulenzen an einer Schwelle tragen außerdem zu einer Sauerstoffanreicherung bei.

- Eine Verengung und stellenweise großzügige Ausweitung des Abflußprofils sorgt durch unterschiedliche Wassertiefen und ermöglicht in Abhhängigkeit von der jahreszeitlich- und witterungsbedingten Wasserführung für das Auftreten von trockenfallenden Bänken, die von heute seltenen planzlichen und tierischen Pioniergesellschaften besiedelt werden können.

- In tiefliegenden, bei Hochwasserbedingungen überfluteten Uferflächen sollte durch exten- sive Nutzung Raum geschaffen werden für die Entwicklung einer blütenreichen Hochstau- denflur.

- Der Ufersaum sollte einen möglichst mehrzeiligen Baumbestand aus vorwiegend Erlen (daneben auch Baum-und Strauchweiden und andere ufertypische Gehölze) aufweisen. Die Erlenwurzeln tragen zur Ufersicherung bei. Durch die Beschattung wird eine Verkrautung verhindert, die durch Auflandungsprozesse und Profileinengung den Abfluß zunehmend einschränken würde und zu kostspieligen Räumungsarbeiten führen müßte.

- Neben den durch einen Gehölzsaum beschatteten Strecken sollten aber auch kürzere Abschnitte baumfrei bleiben. Bei günstigen Beleuchtungsverhältnissen kann so auch eine kleinflächige Unterwasservegetation aus Makrophyten entstehen, die durch ihre begrenzte Ausdehnung kein Hindernis für die Abflußsituation darstellt. Bei entsprechend flachen und wechselnassen Stellen am Ufer tragen kleinere Röhrichtbestände ebenfalls zur Biotopviel- falt bei. An einem solchen Gewässer beschränken sich langfristig die Pflegemaßnahmen auf das „auf den Stock setzen" der Gehölze und auf die Beseitigung von kleineren Abflußhindernissen (abgebrochene Äste usw.). Ergänzend kann darauf hingewiesen werden, daß sich diese Maßnahmen auch günstig auf die Gewässergüte auswirken. Die Beschattung führt zu einer geringeren Aufwärmung und begrenzt dadurch ein mögliches Sauerstoffdefizit bei organischer Belastung. Die Erlen 39 entnehmen dem Wasser Nährstoffe. Aufwuchsorganismen und auch größere Besiedler der Gewässersohle sind durch ihr Remineralisierungspotential wesentlicher Bestandteil der Selbstreinigungskraft eines Fließgewässers. Da diese Maßnahmen zum großen Teil nur dann durchgeführt werden können,wenn ein ausrei- chend breiter Uferstreifen im Eigentum der öffentlichen Hand ist, sollte auf der Gemeinde- ebene der verfügbare finanzielle und politische Spielraum für den Ankauf bzw. Tausch entsprechender Flächen genutzt werden.

Anschrift des Verfassers: Dr. K.-U. STÖRKEL, Am Großen Berge 24, 6000 Frankfurt am Main 50.

Neue Literatur

RUGE, K. (1986): Die Saatkrähe.-56 S.,12 Farbfotos,3 Farbtafeln,zahlreiche Grafiken,Tabellen und Karten, Franckh'sche Verlagshandlung W. Keller & Co., Stuttgart. Die Saatkrähe, -Vogel des Jahres 1986 - früher eine unserer häufigsten Brutvogelarten, muß heute als bestandsbedrohte Art in der „Roten Liste" geführt werden. Hauptursachen sind Biotopverschlechterungen und eine bis in die letzte Zeit anhaltende Verfolgung durch den Menschen. Zwischenzeitlich wurde die Saatkrähe vom Gesetzgeber auf die Liste der beson- ders zu schützenden Vogelarten aufgenommen. Dies hat den Negativtrend der Bestandsent- wicklung zum Stillstand gebracht. Das im Kosmos-Verlag erschienene Buch vermittelt ein sehr reales Bild dieses „Problemvogels". So wird über Nahrung und Nahrungserwerb, über die Fort- pflanzungsbiologie, über Verhalten und Ausdruck sowie über Schutz- und Abwehrmaß- nahmen berichtet. Den Abschluß bildet eine Übersicht über alle in Europa vorkommenden Rabenvögel (mit farbigen Bildtafeln). Das Buch ist eine „runde" Sache und sollte in keinem ornithologisch ausgerichteten Bücherschrank fehlen. W. KEIL 40 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen • Vogel und Umwelt 4: 41-43 (1986)

Aus der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland

Schutz der Streuobstwiesen - ein Beitrag zum hessischen Natur- schutzprogramm von ALBERT HARBODT, Frankfurt am Main

1. Einleitung Ein Teilziel des hessischen Naturschutzprogramms stellt die Erfassung und Sicherung extensiv genutzter Kultur-Ökosysteme im Rahmen eines „Naturraumbezogenen Schutzge- biets-Konzeptes" dar. Streuobstwiesen mit hochstämmigen Obstbäumen traditioneller Lokal- sorten sind aufgrund ihres landeskulturellen und ökologischen Wertes (ULLRICH 1975, MADER 1982,ZVVYGART1983, BLAB 1984) Beispiele für solche Agrarökosysteme,die darüber hinaus zur Vernetzung von Lebensräumen beitragen können.

2. Schutzprogramm Die andauernden Verluste an Streuobstbeständen (u. a. auch Refugien für zahlreiche bestandsgefährdete Vogelarten) veranlaßten im Jahre 1982 die Vogelschutzwarte, in Zusam- menarbeit mit den Naturschutzverbänden eine landesweite Kartierung als Grundlage für ein Biotopschutzprogramm durchzuführen (HARBODT 1982, HARBODT& KEIL 1984).

2.1 Kartierung In 17 von 26 Land- bzw. Stadtkreisen wurden bisher Kartierungen durchgeführt; damit dürften ca. 70 0/0 der für Streuobstbestände bedeutsamen Flächen erfaßt sein. Ergänzende Erhe- bungen sind u. a. im ehemaligen Landkreis Darmstadt und an der Bergstraße erforderlich. Im vorliegenden Heft stellt DIEHL beispielhaft die Ergebnisse der Streuobstwiesenerhebung im Altkreis Dieburg vor. Die Befunde in anderen Landkreisen zeigen die gleiche Tendenz - starken Rückgang. Der Umlandverband Frankfurt hat für seinen Zuständigkeitsbereich (43 Städte und Gemeinden) die Kartierungsergebnisse in Arbeitskarten übernommen, um sie bei Planungen zu berücksichtigen.

2.2 Forschung Ab Frühjahr 1983 führte das Institut für Obstbau der Forschungsanstalt Griesheim „Modell- untersuchungen über den Wert und die Bedeutung von Streuobstgebieten für Naturschhutz- belange" durch, die von der Stiftung Hessischer Naturschutz gefördert wurden. Das Ergebnis liegt inzwischen als Entwurf vor. Nach Abschluß beider Projekte plant die hessische Landes- regierung ein Gesamtprogramm zum Zwecke der Erhaltung und Neuanlage von Streuobst- beständen. 41 3. Schutzmaßnahmen

Aus der Vielzahl der Aktivitäten und Veröffentlichungen zum Schutz von Streuobstbeständen sollen hier einige ausgewählte Beispiele dargestellt werden.

3.1 Öffentlichkeitsarbeit:

- Seminar zur „ökologischen Bedeutung der Streuobstwiese" am 29./30.09.1984 in Frankfurt (Vogelschutzwarte).

- Apfelmarkt am 28.09.1985 in Wetzlar (Naturschutzzentrum) mit Informationsstand. - Aufkleber „Rettet die Obstwiesen" (Deutscher Bund für Vogelschutz Landesverband Hessen; Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz). - Mitteilungen 4/1984: Lebensraum: Streuobstwiesen (Naturlandstiftung Hessen). - Unser Wald 3/1985: Schwerpunktthema: Obstwiesen, Seite 88-95 (Schutzgemeinschaft Deutscher Wald).

- natur 10/1985: Die Streuobstwiese - Natur aus Menschenhand, Seite 65-68. - Der Spiegel 41/1985: Knackiges Kulturgut - der alte Apfelbaum der Obstwiesen und Dorf- gärten stirbt aus. Seite 119 und 122.

- Zahlreiche Artikel in den Regionalzeitungen über Informationsveranstaltungen und Pflanz- aktionen.

3.2 Flurbereinigung: Zwischen 1982 und 1984 wurden aufgrund der sog. „Öko-Erlasse" (BÖHR 1983) bei Flurbe- reinigungsverfahren insgesamt 969 Biotope gesichert bzw. neu angelegt, davon 148 Streu- obstbestände.

3.3 Unterschutzstellung: Am 09.11.1985 trat die Verordnung zum Schutz der Obstbaumbestände, Feldgehölze und Hecken auf dem Distelberg in der Gemarkung Maintal-Hochstadt (Main-Kinzig-Kreis) in Kraft. Dieser Geschützte Landschaftsbestandteil (§15 H ENatG) hat eine Größe von 73,1 ha. Das Areal wurde den Teilnehmern des o. g. Seminars 1984 bei einer Exkursion vorgestellt.

Weitere Anträge der Naturschutzverbände auf Unterschutzstellung von Streuobstbeständen liegen den Unteren Naturschutzbehörden zur Bearbeitung vor.

3.4 Pflegemaßnahmen, Ergänzungspflanzungen, Neuanlage von Streu- obstbeständen:

- Das Naturschutzzentrum Hessen führte im Februar und März 1985 Lehrgänge über Pflege und Schnitt von Obstbäumen unter besonderer Berücksichtigung der Erhaltung von Hoch- stämmen traditioneller Obstsorten durch.

- Im Main-Kinzig-Kreis entwickelte die Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Natur- schutz ein Förderungsprogramm für Streuobstwiesen. Danach werden privaten und kommunalen Besitzern von Streuobstbeständen kostenlose Pflanz- und Pflegemaßnahmen durch Fachkräfte angeboten. 42 - In einigen Landkreisen wurden „Hochstamm-Obstbaum-Anpflanzungen" finanziell, zum Teil mit zusätzlichen Mitteln der Gemeinden, gefördert (z. B. Offenbach und Darmstadt-Dieburg je DM 10 000,-, Rheingau-Taunus DM 2 000,-). Die Planzung der Hochstämme wurde in vielen Fällen durch die Mitglieder des Deutschen Bundes für Vogelschutz vorgenommen.

Zum Schluß ergeht die dringende Bitte an die Beauftragten der Vogelschutzwarte und an die kooperierenden Mitglieder der Naturschutzverbände, alle noch ausstehenden Kartierungs- unterlagen umgehend der Vogelschutzwarte zuzusenden.

Der Anblick blühender Obstbaumbestände wird alle ehrenamtlichen Mitarbeiter für die zeitaufwendige und oft mühseligen Kartierungs- und Aufklärungsarbeiten in den letzten drei Jahren entschädigen.

4. Literatur

BLAB, J. (1984): Grundlagen des Biotopschutzes für Tiere. Schriftenreihe für Landschafts- pflege und Naturschutz 24: 163-167.

BÖHR, H.-J. (1983): Die hessischen „Öko-Erlasse" zur Flurbereinigung. Vogel und Umwelt 2: 227-229.

HARBODT, A. (1982): Biotopschutzprogramm: „Streuobstwiesen". Vogel und Umwelt 2: 183-87.

HARBODT, A. & W. KEIL (1984): Ökosystem „Streuobstwiesen" - Bericht über ein Untersu- chungsprogramm in Hessen. Ber. Dtsch. Sekt. Int. Rat Vogelschutz 24: 149-154. MADER, H.-J. (1982): Die Tierwelt der Obstwiesen und intensiv bewirtschafteten Obstplan- tagen im quantitativen Vergleich. Natur und Landschaft 57: 371-377.

ULLRICH, B. (1975): Bestandsgefährdung von Vogelarten im Ökosystem „Streuostwiese" unter besonderer Berücksichtigung von Steinkauz (Athene noctua) und den einheimischen Würgerarten der Gattung Lanius. Beih. Veröff. Naturschutz und Landschaftspflege Baden-Württemberg 7: 90-110. ZWYGART, D. (1983): Die Vogelwelt von Nieder- und Hochstammobstkulturen des Kantons Thurgau. Ornith. Beob. 80: 89-104.

Es wird weiter auf folgende Druckschriften des Hessischen Ministers für Umwelt und Energie verwiesen:

Natur in Hessen: Naturschutzprogramm (Mai 1985): 48 S.

Natur in Hessen: Bericht zur Lage der Natur (November 1985): 184 S.

- Referat Presse und Öffentlichkeitsarbeit - Postfach 3127 - 6200 Wiesbaden

Anschrift des Verfassers: ALBERT HARBODT, Dipl.-Forstwirt, Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland - Institut für angewandte Vogelkunde - Steinauer Straße 44, 6000 Frankfurt 61 43 Anhang

Die Staatliche Vogelschutzwarte in Frankfurt-Fechenheim hat seit dem 1. April 1986 Frau Diplom-Biologin Gabriele Lessing im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme einge- stellt. Ihre Aufgabe ist die Ergänzung und zusammenfassende Auswertung der Streuobstkar- tierungen.

Das Ergebnis einer ersten Durchsicht der Unterlagen und die daraus abgeleiteten Wünsche nach weiteren Informationen durch die örtlichen Bearbeiter werden in den folgenden drei Punkten dargestellt:

1. Fehlanteil Aus 6 Landkreisen liegen (fast) gar keine Unterlagen vor:

- Waldeck-Frankenberg - Schwalm-Eder - Hersfeld-Rotenburg - Marburg-Biedenkopf - Vogelsberg - Lahn-Dill

Bei 10 Landkreisen bzw. kreisfreien Städten wurde ein insgesamt sehr erheblicher Prozentsatz der Gemarkungen nicht erfaßt - ohne Hinweis auf die dafür verantwortlichen Gründe: Kreis fehlende Gemarkungen Stadt in % der Gesamtzahl

- Offenbach 46 0/0 - Odenwald 46 0/0 - Rheingau-Taunus 48% - Fulda 52% - Gießen 57 0/0 (ohne Stadtbezirke, Innenstadt, Nord, Ost, Süd u. West) - Werra-Meißner 57% - Hochtaunus 67 0/0 - Kassel 76 0/0 - Stadt Kassel 76% (ohne Mittel) - Umburg-Weilburg 80 0/0

Vom Landkreis Kassel sind noch einige Kartierungen angekündigt. Dieser Fehlanteil wird sich also weiter verringern. Bei den Stadtbezirken wurden bereits einige Gebiete nicht in obige Rechnung mit einbezogen, da es hier vermutlich keine Streuobstbestände gibt. Generell sind Angaben über Nichtvorkommen von Streuobstbeständen wünschenswert, da ein bloßes Übergehen bzw. Auslassen der betreffenden Gemarkung (ohne Anmerkungen) noch keine Aussage beinhaltet. 44 2. Ergänzungskartierungen Für alle zukünftig noch erfolgenden Kartierungen empfiehlt sich die Verwendung der von der Vogelschutzwarte herausgegebenen Erfassungsbögen, da hierauf alle für die Auswertung wichtigen Punkte aufgeführt sind. Eine Zählung oder Schätzung der Anzahl der Obstbäume und Obstbaumarten ist einer der wichtigsten Punkte der Erhebung.Wo dies nicht möglich ist,sollten Flächenschätzung (ha oder qm) und Angaben über die Bestandsdichte vorhanden sein. Bei letzterem sind zwei Beurtei- lungskriterien anzugeben: a) dicht, locker oder lückig und b) regelmäßig oder ungleichmäßig. Unentbehrlich für eine Kartierung ist natürlich eine genaue Ortsangabe, falls kein Eintrag in einer Karte erfolgt ist. Ein genauerer Karteneintrag plus Angaben über die Bestandsdichte kann auch u. U. für eine quantitative Schätzung genügen. Generell sind auch Angaben über Nichtvorkommen von Streuobstbeständen erwünscht, da ein bloßes Übergehen respektive Auslassen der betreffenden Gemarkung oder des betref- fenden Gemeindeteils keinen Informationswert besitzt. Es sollte unterscheidbar sein, ob in einem bestimmten Gebiet nicht kartiert wurde oder ob es dort keine Strueobstbestände gibt.

3. Schutz- und Pflegemaßnahmen Seit Beginn des Streuobstprogrammes sind bereits einige Aktivitäten zur Unterschutzstellung, Neuanpflanzung und Verjüngung von Streuobstbeständen erfolgt. Bitte informieren Sie die Vogelschutzwarte über die Existenz solcher Bestrebungen, ihren Entwicklungs- bzw. Bearbei- tungsstand, die dabei auftretenden Probleme etc. Dabei interessieren alle Einzelheiten: - welche Streuobstbestände wurden wann als geschützter Landschaftsbestandteil, Land- schaftschutzgebiet oder Naturschutzgebiet beantragt und ausgwiesen? - wo sind solche Bemühungen gescheitert und warum? - wie groß sind die betreffenden Flächen, welchen Baumbestand haben sie? - wo und in welchem Umfang fanden Ergänzungspflanzungen statt? (Anzahl der Pflanzen, Obstbaumarten, Flächengröße) - wurde dafürvom Landkreis odervon den Gemeinden oderanderen Einrichtungen finanzielle Unterstützung gewährt? - welche Schwierigkeiten bestanden hinsichtlich der Beschaffung von geeignetem Pflanzen- material? (z. B. unzureichendes Angebot bewährter Lokalsorten) - wo erfolgten seit Beginn des Streuobstprogramms Rodungen (keine Einzelbäume) - in welchen Fällen wurden für die Aufgabe bestehender Streuobstwiesenbestände als Aus- gleichsmaßnahmen Neuanlagen von Streuobstwiesen gefordert bzw. durchgeführt? - wo und in welchem Rahmen fand Öffentlichkeitsarbeit statt? (Informationsveranstaltungen, Broschüren, Faltblätter etc.) Die Vogelschutzwarte hofft auf zahlreiche Auskünfte zu allen oben aufgeführten Fragen und dankt allen Mitarbeitern für ihre Aufmerksamkeit und ihre Bemühungen.

Anschrift der Verfasserin: GABRIELE LESSING, Dipl.-Biologin, Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland- Pfalz und Saarland - Institut für angewandte Vogelkunde -Steinauer Straße 44,6000 Frankfurt am Main 61 45 Neue Literatur

LACHNER, R. (1985): Vogelvolk am Fenster. -192 S., 46 Farbfotos, Reihe: LB-Naturbücherei Landbuch-Verlag Hannover. Im Winter bietet eine Futterstelle am Fenster, im Vor-, Haus- oder Kleingarten eine gute Gelegenheit, viele der bei uns verbleibenden Vogelarten und Wintergäste aus Nord- und Osteuropa zu beobachten. so hautnah wie zu dieser Zeit ist die Vogelbeobachtung während des übrigen Jahres nicht möglich. Der Autor stellt eine ganze Reihe von Vogelarten an der Futterstelle vor. Die jeweiligen Farbfotos sind von seltener Brillanz und von hervorragender drucktechnischer Wiedergabe. Die biologischen Daten jeder abgebildeten Art werden stichwortartig vorgestellt. Darüber hinaus werden noch einige Begebenheiten des Autors mit den einzelnen Arten geschildert. Mit einem Kapitel zur heftig diskutierten Winterfütterung, ein Literaturverzeichnis und ein Register beschließen das empfehlenswerte Buch. W. KEIL

PÄTZOLD, R. (1986): Heidelerche und Haubenlerche. - Die Neue Brehm-Bücherei Nr. 440.183 S., 107 Abb., 2. erweit. Auflage, A. Ziemsen-Verlag, Wittenberg-Lutherstadt. - Vertrieb in der Bundesrepublik, Österreich und der Schweiz durch Verlag Neumann-Neudamm, 3508 Melsungen. Im mitteleuropäischen Raum brüten drei Lerchenarten (in Europa 10 und weltweit 76 Arten) die Feld-, Heide- und Haubenlerche, ursprüngliche Steppenvögel, die den Menschen auf die von ihnen bearbeiteten Kultursteppen folgten. Die Haubenlerche zum Beispiel brütet heute bereits im Bereich von Einkaufszentren, in Stadtrandgebieten, singt dort von kiesbedeckten Flachdä- chern ihr Lied und sucht zwischen Einkaufswagen nach Nahrung. DerAutor dieses Bandes hat sich viele Jahre eingehend mit der Biologie der mitteleuropäischen Lerchen befaßt. Der Ziem- sen-Verlag konnte wohl kaum einen besseren Bearbeiter für diese Vogelarten finden. Nach einem allgemeinen Überblick über die Familie der Lerchen, werden Heide- und Haubenlerche vorgestellt. Schwerpunkte der Monographie sind: Morphologie, Ökologie, Fortpflanzungsbio- logie, Zug- und Überwinterung. Die Literaturübersicht umfaßt 5 Seiten. Für den Ornithologen, der sich mit den Lerchen befaßt, ist das vorliegende Heft der Neuen Brehm-Bücherei eine unverzichtbare Arbeitsgrundlage. W. KEIL

46 Kleine Mitteilungen

Eissturmvogel (Fulmarus glacialis) bei Kassel

Am 30. September 1985 erhielt das Institut für Vogelforschung „Vogelwarte Helgoland" durch Herrn Dr. KLAUS WAGNER vom Staatlichen Veterinäruntersuchungsamt in Kassel einen erschöpften bzw. kranken Eissturmvogel, der dem Amt am 27.09.1985 aus dem Stadtgebiet Kassel gebracht worden war. Der mit dem Ring BTO British Museum Nat. Hist. FR 71864 ver- sehene Vogel starb am 2.10.1985. Durch die Beringung läßt sich die Herkunft dieses so weit in das Binnenland geratenen Seevogels einwandfrei nachweisen, sogar der Geburtsort. Der Eissturmvogel wurde als noch nicht flügges Tier im gleichen Jahr, nämlich am 20.Juli 1985 auf der schottischen Insel Fair 'sie (59.32 N/1.37 E),den Ornithologen bekannt durch eine ornitho- logische Station, beringt. Die Entferung zwischen Beringungs- und Fundort beträgt etwa 1150 km. Von Interesse sind einige Maße dieses kaum drei Monate alten Weibchens: Flügellänge 315 mm, Schnabellänge 35 mm, Schnabelhöhe an der Wurzel 16 mm und Schna- belhöhe vorn 15 mm.

Anschrift des Verfassers: HANS BUB, Institut für Vogelforschung, Vogelwarte Helgoland, 2940 Wilhelmshaven

(Anmerkung der Redaktion: Bei dem Fund des Eissturmvogels in Kassel handelt es sich um den Erstnachweis dieser Art für Hessen.)

Berichtigung

In Heft 6 (1985), Band 3, Seite 371, wurde für die Schellente - Bucephala clangula - irrtümlich der Edersee als Brutplatz angegeben. Richtig muß es heißen: „Am Twistestausee im Kreis Waldeck-Frankenberg wurde ein Gelege aus 8 Eiern in einem Gänsesäger-Nistkasten gefunden." K. STAIBER 47 Erstnachweis der Alpendohle (Pyrrhocorax graculus) in Hessen

Am 07. 12.1970 beobachtete ich zusammen mit Herrn H.-J. HALIN, Hanau-Kesselstadt, eine Alpendohle. DerVogel hielt sich nur etwa eine halbe Minute in einem Gartengelände innerhalb der bebauten Ortslage von Hanau-Kesselstadt auf. Das Gebiet ist nur locker bebaut. Der Vogel war völlig schwarz und hate einen gelben Schnabel. Der Schnabel war nicht sehr lang und nicht gebogen, so daß eine Verwechslung mit einer juvenilen Alpenkrähe (Pyrrho- corax pyrrhocorax) ausschied. Eine Dohle (Corvus monedula) kam aufgrund der unterschied- lichen Schnabel- und Augenfarbe ebenfalls nicht in Betracht; desweiteren wären, zumindest bei einer adulten Dohle, der graue Hinterkopf und Nacken aufgefallen. Bei einer Annäherung auf weniger als ca. 40 m flog der Vogel auf und entschwand. Aufgrund der hohen Fluchtdistanz ist ein Gefangenschaftsflüchtling unwahrscheinlich; allerdings hat die Art in den Alpen oft keine Fluchtdistanz und ist äußerst zutraulich. Eine Nachsuche in der Nähe und am Folgetag war erfolglos. Beobachtet wurde mit einem Fernglas Vergrößerung 8 x 40. Beiden Beobachtern war die Art aus den Alpen schon vor dieser Beobachtung bestens bekannt. Am Beobachtungstag war es wolkig bei 6°C und Windstärke 1 aus NW. Nach Auskunft des Deutschen Wetterdienstes herrschte in den Vortagen eine nordwestliche Wetterlage, so daß eine Verdriftung durch Sturm aus den Alpen wenig wahrscheinlich ist und bei dieser Art wohl kaum vorkommt. Die Beobachtung wurde vom Hessischen Seltenheiten-Ausschuß anerkannt. Es handelt sich um die Erstbeobachtung dieser Art in Hessen.

Literatur:

BERG-SCHLOSSER, G.: Die Vögel Hessens. Ergänzungsband. Frankfurt am Main 1968. GEBHARDT, L. &W. SUNKEL: Die Vögel Hessens. Frankfurt am Main 1954. NIETHAMMER, G., H. KRAMER & H. E. WOLTERS: Die Vögel Deutschlands - Artenliste. Frankfurt am Main 1964, 5.111.

Anschrift des Verfassers: HANS-JOACHIM KRIEG, Roßdorfer Straße 5, 6454 Bruchköbel

48 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen • Vogel und Umwelt 4: 49-56 (1986)

Bundeswildschutzverordnung

Die aufgrund des Bundesjagdgesetzes erlassene Bundeswildschutzverordnung gilt für 4 zu den jagdbaren Tieren („Wild") zählende, tatsächlich jedoch ganzjährige Schonzeit genie- ßende Säugetierarten („Haarwild") sowie für 71 jagdbare Vogelarten („Federwild"), von denen auf 30 zumindest in einzelnen Bundesländern (in Hessen: auf 13) die Jagd ausgeübt werden darf. Nicht in den Geltungsbereich einbezogen sind jagdlich bedeutsame, aber nicht bestandsgefährdete Säugetierarten wie Rot-, Reh- und Schwarzwild. Geregelt werden ins- besondere Besitz, Erwerb, Be- und Verarbeitung sowie Handel in unterschiedlicher Art und Weise; dazu sind die Tierarten in 5 Listen („Anlage 1 bis 5") gruppiert. In den Vorschriften über die Vögel (insbesondere Rauhfußhühner, Tauben, Gänse und Enten sowie Möwen) werden Maßgaben der EWG-Vogelschutzrichtlinie vom 2.4.1979 in bundesdeutsches Recht umge- setzt und erlangen damit für den einzelnen Bürger Verbindlichkeit. Besonders bemerkenswert ist §3, der das Halten von Greifvögeln regelt. Falkner dürfen danach nur mehr bis zu 2 Beizvögel der Arten Habicht, Steinadler und Wanderfalke halten. Für alle anderen der 18 in der Verord- nung als heimisch aufgezählten Greifvogelarten werden äußerst einschränkende Haltungs- vorschriften getroffen. Für die Ausführung sind in Hessen die Bezirksdirektionen für Forsten und Naturschutz zuständig (Anordnung über die Zuständigkeit zur Ausführung der Bundes- wildschutzverordnung vom 27.1.1986 (Gesetz- und Verordnungsblatt/Hessen Teil I, Seite 35)). Abschließend sei darauf hingewiesen, daß für alle Säugetier- und Vogelarten, die nicht unter die Bundeswildschutzverordnung und das übrige Jagdrecht fallen, nationales oder inter- nationales Artenschutzrecht anzuwenden ist. Im folgenden wird der Verordnungstext mit geringen Kürzungen in §8, soweit dieser andere Bundesländer betrifft,wiedergegeben. Die Anlagen 1 bis 5 derVerordnung sind in Tabellenform umgestaltet und zusätzlich kurz erläutert in der Hoffnung, dem Benutzer damit die Übersicht zu erleichtern. Anlage 6 ist fortgelassen (Muster für Aufnahme- und Auslieferungsbuch nach § 4 Abs. 1 BWildSchV). H.-J. BÖHR

Verordnung über den Schutz von Wild (Bundeswildschutzverordnung - BWildSchV) vom 25. Oktober 1985 (Bundesgesetzblatt Teil 1, Seite 2040-2045)

Auf Grund des § 36 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 in Verbindung mit § 36 Abs. 3 des Bundesjagd- gesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. September 1976 (BGBI. I S. 2849) wird mit Zustimmung des Bundesrates verordnet:

§1 Anwendungsbereich, Begriffsbestimmungen (1) Diese Verordnung findet Anwendung auf Tiere der in den Anlagen 1 und 4 genannten Arten. Für die Abgrenzung der Tierarten im Sinne dieser Verordnung ist ihre wissenschaftliche Bezeichnung maßgebend. Die Art schließt Unterarten ein, auch soweit diese im Geltungs- bereich des Bundeswaldgesetztes in der Natur nicht vorkommen. (2) Der Begriff Tiere im Sinne dieser Verordnung umfaßt lebende und tote Tiere, ihre ohne weiteres erkennbaren Teile, ohne weiteres erkennbar aus ihnen gewonnenen Erzeugnisse sowie ihre Eier, sonstigen Entwicklungsformen und Nester. 49 §2 Verbote

(1) Es ist verboten, Tiere der in Anlage 1 genannten Arten

1. in Besitz zu nehmen, zu erwerben, die tatsächliche Gewalt über sie auszuüben, sie zu be- oder verarbeiten oder sonst zu verwenden,

2. abzugeben, anzubieten, zu veräußern oder sonst in den Verkehr zu bringen sowie 3. für eine der in Nummer 2 genannten Tätigkeiten zu befördern. Das Aneignungsrecht des Jagdausübungsberechtigten sowie Vorschriften der Länder nach §36 Abs. 2 Nr.2 des Bundesjagdgesetzes über das Aufnehmen, die Pflege und die Aufzucht verletzten oder kranken Wildes und dessen Verbleib bleiben unberührt.

(2) Die Verbote des Absatzes 1 gelten nicht für Tiere, an denen nach Inkrafttreten dieser Verordnung im Rahmen der Ausübung des Jagdrechts Eigentum erworben wurde. Diese Tiere dürfen jedoch nicht an Dritte gegen Entgelt abgegeben oder zu diesem Zweck befördert, gehalten oder angeboten werden. Ausgenommen von diesen Beschränkungen sind

1.Tiere der in Anlage 2 genannten Arten, 2. Tiere der in Anlage 3 genannten Arten, soweit die in Satz 2 aufgeführten Tätigkeiten nicht zu gewerbsmäßigen Zwecken erfolgen, sowie 3. in der Natur aufgefundene tote Tiere, soweit sie für Zwecke der Forschung oder Lehre verwendet werden.

(3) Die Verbote des Absatzes 1 gelten ferner nicht für Tiere, die

1.vor Inkrafttreten dieser Verordnung in Übereinstimmung mit den Vorschriften zum Schutz der betreffenden Art im Geltungsbereich des Bundeswaldgesetzes erworben worden sind, 2. in Übereinstimmung mit den Vorschriften zum Schutz der betreffenden Art in den Geltungs- bereich des Bundeswaldgesetzes gelangt sind. Für Tiere der in Anlage 1 genannten Arten, die auf Grund einer lediglich zum persönlichen Gebrauch oder als Hausrat zulässigen Einfuhr in den Geltungsbereich des Bundeswaldgesetzes gelangt sind, gelten die Be- schränkungen des Absatzes 2 Satz 2 entsprechend.

(4) Die Verbote des Absatzes 1 gelten ferner nicht für Tiere der Arten Rebhuhn, Fasan, Wachtel und Stockente, die im Geltungsbereich des Bundeswaldgesetzes in der Gefangenschaft gezüchtet und nicht herrenlos geworden sind.

(5) Die nach Landesrecht zuständige Behörde kann im Einzelfall Ausnahmen von den Verboten des Absatzes 1 zulassen, soweit dies für die Verwertung beschlagnahmter oder eingezogener Tiere erforderlich ist. Sie kann ferner im Einzelfall Ausnahmen von den Verboten des Absatzes 1 sowie von den Verboten des Absatzes 2 Satz 2 und des Absatzes 3 Satz 2 zulassen, soweit dies 1. für Zwecke der Forschung oder Lehre, 2. zur Ansiedlung von Tieren in derfreien Natur oder der damit zusammenhängenden Aufzucht oder 50 3. aus einem sonstigen vernünftigen Grund für eine Nutzung von Tieren in geringen Mengen erforderlich ist und Belange des Arten- und Biotopschutzes sowie Rechtsakte des Rates oder der Kommission der Europäischen Gemeinschaften oder Verpflichtungen aus inter- nationalen Artenschutzübereinkommen nicht entgegenstehen.

§3 Halten von Greifen und Falken (1) Die Haltung von Greifen oder Falken der in Anlage 4 genannten Arten ist nur nach Maßgabe der Absätze 2 bis 6 zulässig.

(2) Wer Greife oder Falken hält, 1. muß Inhaber eines auf seinen Namen lautenden gültigen Falknerjagdscheines sein, 2. darf insgesamt nicht mehr als zwei Exemplare der Arten Habicht, Steinadler und Wander- falke halten, 3. hat unverzüglich die Greife und Falken dauerhaft und unverwechselbar nach Maßgabe des Absatzes 3 zu kennzeichnen und 4. hat der nach Landesrecht zuständigen Stelle a) spätestens bis zum 1. Juni 1986, bei späterem Beginn der Haltung binnen vier Wochen nach Begründung des Eigenbesitzes, den Bestand an Greifen und Falken und b) nach der Bestandsanzeige jeweils unverzüglich den Zu- und Abgang von Greifen und Falken schriftlich anzuzeigen; die Anzeige muß Angaben enthalten über Zahl, Art, Alter, Geschlecht, Herkunft, Verbleib, Standort, Verwendungszweck und Kennzeichen der Greife und Falken. Die Verlegung des regelmäßigen Standortes der Greife und Falken ist ebenfalls unverzüglich anzuzeigen. Das durch den Tod eines Tieres freigewordene Kennzeichen ist mit der Anzeige über den Abgang zurückzugeben.

(3) Für die nach Absatz 2 Nr.3 vorgeschriebene Kennzeichnung sind Fußringe zu verwenden, die von der nach Landesrecht zuständigen Stelle ausgegeben werden. Diese kann verlangen, daß die Kennzeichnung unter ihrer Aufsicht vorzunehmen ist. Die Fußringe müssen 1. so beschaffen sein, daß sie nur einmal verwendet werden können und 2. mit dem abgekürzten Namen des Bundeslandes, in dem die Beringung vorgenommen wird, der Bezeichnung der ausgebenden Stelle und einer fortlaufenden Nummer aus einem in jedem Bundesland einzurichtenden Nummernsystem beschriftet sein.

Die nach Landesrecht zuständige Behörde kann im Einzelfall eine andere Kennzeichnung zulassen, wenn diese im übrigen den Anforderungen nach Satz 3 entspricht. Sind Greife und Falken in Vollzug des Washingtoner Artenschutzübereinkommens zu kennzeichnen, so ist dieses Kennzeichen maßgebend und eine Kennzeichnung nach dieser Verordnung nicht erforderlich.

(4) Die nach Landesrecht zuständige Behörde kann im Einzelfall von den Voraussetzungen des Absatzes 2 Nr. 1 und 2 Ausnahmen zulassen, wenn 1. die Haltung wissenschaftlichen, Lehr- oder Forschungszwecken dient oder die Ausnahme zur Nachzucht für einen der vorstehenden Zwecke, zur Nachzucht für die Ausübung der Beizjagd oder zur Nachzucht für die Ansiedlung in der freien Natur erforderlich ist,

51 2. der Halter die erforderliche Zuverlässigkeit und ausreichende Kenntnisse über das Halten und die Pflege von Greifen und Falken besitzt und 3. eine fachgerechte Betreuung sowie eine den tierschutzrechtlichen Vorschriften entspre- chende Haltung gewährleistet sind.

(5) Absatz 2 Nr. 1 und 2 ist nicht anzuwenden auf Greife und Falken, die bei Inkrafttreten dieser Verordnung in Übereinstimmung mit den zu ihrem Schutz geltenden Vorschriften gehalten werden. Die Anwendung des Absatzes 2 Nr. 1 und 2 auf die Erweiterung solcher Bestände und auf den Ersatz des Abgangs bleibt unberührt.

(6) Die Absätze 2 bis 5 gelten nicht für zoologische Einrichtungen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts sowie für behördlich genehmigte oder anerkannte Auffang- und Pflegestationen. §4 Aufzeichnungs- und Kennzeichnungspflichten (1) Wer gewerbsmäßig 1.tote Tiere der in Anlage 5 genannten Arten oder Teile dieser Tiere präpariert oder 2. lebende oder tote Tiere der in Anlage 5 genannten Arten oder Teile dieser Tiere in den Verkehr bringt oder erwirbt, hat über diese Tiere ein Aufnahme- und Auslieferungsbuch mit täglicher Eintragung nach dem Muster der Anlage 6 zu führen. Werden Tiere nach Nummer 2 im Einzelhandel abgegeben, brauchen Name und Anschrift des Empfängers sowie der Abgangstag nur bei den Tieren angegeben zu werden, deren Verkaufspreis über 250 Deutsche Mark beträgt.

(2) Alle Eintragungen in das Buch sind in dauerhafter Form vorzunehmen; §43 Abs.2 bis 4 Satz 1 und 2 des Handelsgesetzbuches gilt sinngemäß.

(3) Die Bücher mit den Belegen sind der nach Landesrecht zuständigen Stelle auf Verlangen zur Prüfung auszuhändigen.

(4) Die Bücher mit den Belegen sind fünf Jahre aufzubewahren. Die Aufbewahrungsfrist beginnt mit dem Schluß des Kalenderjahres, in dem die letzte Eintragung für ein abgeschlos- senes Geschäftsjahr gemacht worden ist.

(5) Die in Absatz 1 genannten Tiere und Teile von Tieren sind zu kennzeichnen, soweit dies mit angemessenem Aufwand möglich ist.

§5 Rechtmäßiger Besitz, Nachweispflicht WerTiere der in Anlage 5 genannten Arten besitzt oder die tatsächliche Gewalt darüber ausübt, kann sich gegenüber der zuständigen Behörde auf eine Berechtigung hierzu nur berufen, wenn er auf Verlangen nachweist, daß die Voraussetzungen für eine Ausnahme nach §2 Abs.2 bis 5 vorliegen oder glaubhaft macht, daß er oder ein Dritter die Tiere bei Inkrafttreten dieser Verordnung in Besitz hatte. Für Gegenstände zum persönlichen Gebrauch oder Hausrat gilt dies nur, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß eine Berechtigung nach §2 Abs.2 bis 5 nicht besteht. 52 §6 Ordnungswidrigkeiten Ordnungswidrig im Sinne des §39 Abs. 2 Nr.5 des Bundesjagdgesetzes handelt,wervorsätz- lich oder fahrlässig 1. entgegen §2 Abs. 1 Satz 1 dort bezeichnete Tiere in Besitz nimmt, erwirbt, die tatsächliche Gewalt über sie ausübt, sie be- oder verarbeitet oder sonst verwendet, in den Verkehr bringt oder befördert, 2. entgegen §2 Abs. 2 Satz 2 oder Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 dort bezeichnete Tiere an Dritte gegen Entgelt abgibt oder zu diesem Zweck befördert, hält oder anbietet, 3. entgegen § 3 Abs. 2 Nr. 1 Greife oder Falken hält, 4. einer Vorschrift des § 3 Abs. 2 Nr. 2, 3 oder 4 über die Haltung oder Kennzeichnung von Greifen oder Falken, über Anzeigepflichten oder über die Pflicht zur Rückgabe eines frei- gewordenen Kennzeichens zuwiderhandelt oder 5. einerVorschrift des §4 Abs.1 Satz 1,Abs.2 bis 5 Ober die Führung, Form,Aushändigung oder Aufbewahrung von Aufnahme- und Auslieferungsbüchern oder Belegen oder über die Kennzeichnung von Tieren oder Teilen von Tieren zuwiderhandelt.

§7 Berlin-Klausel Diese Verordnung gilt nach § 14 des Dritten Überleitungsgesetzes in Verbindung mit § 45 des Bundesjagdgesetzes auch im Land Berlin.

§8 Inkrafttreten § 3 Abs. 2 Nr.3 und 4 und Abs. 3, § 4 sowie § 6, soweit er sich auf die genannten Vorschriften bezieht, treten am 1. April 1986 in Kraft; im übrigen tritt diese Verordnung am Tage nach der Verkündung in Kraft. Gleichzeitig treten außer Kraft: Hessen 5. die Wildbret-Verordnung vom 10. November 1969 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen -Teil I - S.267), geändert durch Verordnung vom 10. Oktober 1972 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen -Teil I - S. 346).

53 Tabelle Anlagen 1 bis 5 der Bundeswildschutzverordnung zusammengefaßt Jagd- BWildSchV zeiten Anlage BD HE 1 2 3 4 5 1. Haarwild Steinwild (Capra ibex L.), • • Schneehase (Lepus timidus L.), • • Murmeltier (Marmota marmota L), • • Seehund (Phoca vitulina L.), • •

2. Federwild Rebhuhn (Perdix perdix L.), • • • • Fasan (Phasianus colchicus L.), • • • • Wachtel (Coturnix coturnix L), • • Auerwild (Tetrao urogallus L.), • • • Birkwild (Lyrurus tetrix L), • • • Rackelwild (Lyrurus tetrix x Tetrao urogallus), • • • Haselwild (Tetrastes bonasia L.), • • Alpenschneehuhn (Lagopus mutus MONTIN), • • Wildtruthuhn (Meleagris gallopavo L.), • • Hohltaube (Columba oenas L), • • Ringeltaube (Columba palumbus L), • • • • Turteltaube (Streptopelia turtur L.), • • Türkentaube (Streptopelia decaocto FRIVALDSKY), • • • Höckerschwan (Cygnus olor GMELIN), • • • Graugans (Anser anser L.), • • • Bläßgans (Anser albifrons SCOPOLI), • • • Saatgans (Anser fabalis LATHAM), • • Kurzschnabelgans (Anser brachyrhynchos BAILLON), • • Ringelgans (Branta bemicia L.), • • Weißwangengans (Branta leucopsis BECHSTEIN), • • Kanadagans (Branta canadensis L.), • • Stockente (Anas platyrhynchos L.), • • • • Löffelente (Anas clypeata L.), • • Schnatterente (Anas strepera L.), • • Pfeifente (Anas penelope L.), • • • Krickente (Anas crecca L.), • • • Spießente (Anas acuta L), • • • Kolbenente (Netta rufina PALLAS), • • Bergente (Aythya marila L.), • • Reiherente (Aythya fuligula L), • • • Tafelente (Aythya ferina L), • • • Schellente (Bucephala ciangula L.), • • Brandente (Tadorna tadorna L.), • • Eisente (Clangula hyemalis L.), • • Samtente (Melanitta fusca L.), • • Trauerente (Melanitta nigra L.), • • Eiderente (Somateria mollissima L). • • 54 Jagd- BWildSchV zelen Anlage BD HE 1 2 3 4 5

Mittelsäger (Mergus serrator L.), • • Gänsesäger (Mergus merganser L.), • • Zwergsäger (Mergus albellus L.), • • Waldschnepfe (Scolopax rusticola L.), • • • • Bläßhuhn (Fulica atra L.), • • • • Mantelmöwe (Larus marinus L.), • • • Heringsmöwe (Larus fuscus L.), • • • Silbermöwe (Larus argentatus PONTOPPI DAN), • • • Sturmmöwe (Larus canus L.), • • • Lachmöwe (Larus ridibundus L), • • • Schwarzkopf möwe (Larus melanocephalus TEMMINCK), • • Zwergmöwe (Larus minutus PALLAS), • • Dreizehenmöwe (Rissa tridactyla L.), • • Haubentaucher (Podiceps cristatus L.), • • Graureiher (Ardea cinerea L.), • • Fischadler (Pandion haliaetus L.), • Wespenbussard (Pernis apivorus L), • Schwarzmilan (Milvus migrans BODDAERT), • Rotmilan (Milvus milvus L.), • Seeadler (Haliaeetus albicilla L.), • Rohrweihe (Circus aeruginosus L), • Kornweihe (Circus cyaneus L.), • Wiesenweihe (Circus pygargus L.), • Sperber (Accipiter nisus L.), • Habicht (Accipiter gentilis L.), • Mäusebussard (Buteo buteo L.), • Rauhfußbussard (Buteo lagopus BRUENNICH), • Steinadler (Aquila chtysaetos L.), • Turmfalke (Falco tinnunculus L.), • Rotfußfalke (Falco vespertinus L.), • Merlin (Falco columbarius L), • Baumfalke (Falco subbuteo L.), • Wanderfalke (Falco peregrinus TUNSTALL), • Kolkrabe (Corvus corax L.). • •

(Anmerkung: In den Anlagen der BWildSchVfehlen Knäkente - Anas queruedula - mit Jagd- zeit nach Bundesjagdrecht, und Moorente - Aythya nyroca - keine Jagdzeit.)

Erläuterungen zur Tabelle: BD = Arten mit Jagdzeit nach Bundes-Jagdrecht (zusätzliche Angaben, die nicht auf der BWildSchV beruhen) HE = Arten mit Jagdzeit nach hessischem Jagdrecht 55 Anlage 1 (zu § 2 Abs. 1 BWildSchV): Arten, die einem allgemeinen Besitz- und Verkehrsver- bot unterliegen, das jedoch das Aneignungsrecht des Jagdausübungsberech- tigten unberührt läßt

Anlage 2 (zu § 2 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 BWildSchV): Arten, an denen bei Ausübung des Jagdrechts Eigentum erworben worden ist, und die an Dritte verkauft werden dürfen

Anlage 3 (zu § 2 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 BWildSchV): Wie Anlage 2; jedoch darf der Verkauf nicht gewerbsmäßig erfolgen

Anlage 4 (zu § 3 Abs. 1 BWildSchV): Aufzählung der 18 Greifvogel-Arten (Falconiformes), die dem Jagdrecht unterliegen

Anlage 5 (zu § 4 Abs. 1, § 5 BWildSchV): Arten, deren gewerbsmäßiges Präparieren, Inver- kehrbringen oder Erwerben einer Buchführungspflicht unterliegt bzw. für deren rechtmäßigen Besitz Nachweispflicht besteht.

Neue Literatur

STEPHAN, B. (1985): Die Amsel. - 231 S., 83 Abb., Neue Brehm-Bücherei Band 75, A. Ziem- sen-Verlag Wittenberg-Lutherstadt. Auslieferung in der Bundesrepublik, Österreich und der Schweiz erfolgt durch den Verlag Neumann-Neudamm, 3508 Melsungen.

Die Amsel ist heute die häufigste Vogelart Mitteleuropas. Aus dem ursprünglichen Waldvogel wurde ein Bewohner unserer Siedlungen. Park- und Friedhofsanlagen sind ebenso Lebens- raum wie kleinere Gartenparzellen von Reihenhäusern. Sowohl die Vielgestaltigkeit der Areale wie das optimale Nahrungs- und Nistplatzangebot ermöglichen dieser Vogelart mit einer entsprechenden Anpassung an diese neuen Habitate eine explosionsartige Steigerung ihrer Populationsdichte. Selbst im Verhalten - vom scheuen Waldbewohner zum vertrauten Hausgartenbewohner- paßte sich die Amsel ihrer Umgebung an. Sie wird ebenso heiß geliebt wie mit aller Konsequenz verfolgt. Das ursprünglich von Richard Heyder 1953 verfaßte Bändchen wurde vollkommen neu bearbeitet und macht beim Vergleich beider Ausgaben deutlich, welche Fülle an Material gerade bei diesem Allerweltsvogel in den letzten 30 Jahren zusammengetragen wurde. Allein 18 Seiten Literatur dokumentieren dies überdeutlich. W. KEIL 56 Band 4, Heft 2: 57-132 Zeitschrift Wiesbaden, August 1986 für Vogelkunde (ausgeliefert im Dezember 1986) und Naturschutz in Hessen

ISSN 0173-0266

Herausgeber: Der Hessische Minister für Umwelt und Energie - Oberste Naturschutzbehörde - Inhaltsverzeichnis

Berichte Seite

H.-J. KRIEG: Das Naturschutzgebiet „Röhrig von Rodenbach" (Main-Kinzig-Kreis) 59

F. NÜRNBERGER: Die Populationsentwicklung und die derzeitige Situation der Saatkrähe (Corvus frugilegus) in Hessen 89

A. KÖSTER: Brutbestand 1986 und Nahrungsräume der Saatkrähe (Corvus frugilegus) in Hessen 99

P. WÖLFING: Erfahrungen in einer Vogelauffangstation - eine erneute Bilanz nach weiteren drei Jahren 105

U. WESTPHAL: Tümpel - Lebensraum für Überlebenskünstler 111

K.-U. STÖRKEL: Naturschutz und Entwässerungsgräben - Anregungen und Tips 117

K.SCHREINER: Ackerrandstreifenprogramm erfolgreich in Hessen angelaufen 121

Kleine Mitteilungen

L.MALLACH: Beobachtungen zum Bruterfolg eines Haubentaucher-Bestandes 1985 auf künstlich angelegten Wasserbecken 123

L. MALLACH: Schlafplatzflüge überwinternder Krähen/Dohlenschwärme (Corvidae) im Raum Wiesbaden-Biebrich und Mombacher Ufer, Budenheim 126

Zeitschriftenschau 127

Neue Literatur 98, 110, 116, 120, 122, 131, 132

58 Zeitschrift fürVogelkunde und Naturschutz in Hessen • Vogel und Umwelt 4: 59-88 (1986)

Das Naturschutzgebiet „Röhrig von Rodenbach" (Main-Kinzig-Kreis) von HANS-JOACHIM KRIEG, Bruchköbel

Inhalt Seite

1. Einleitung 60

2. Rechtliche Grundlagen 62

3. Abiotische Faktoren 62

3.1 Klima 62

3.2 Geologie 63 3.3 Boden (unter Mitwirkung von A. OTTO) 63 3.4 Wasser 63

4. Biotische Faktoren 65

4.1 Flora (unter Mitwirkung von A. OTTO) 65

4.2 Fauna 68

5. Vergleich des Zustandes und der Wertigkeit vor und nach Überstaumaßnahmen 81

6. Nutzungen im NSG und deren Auswirkungen auf das Schutzgebiet 82

7. Weitere Zielsetzungen für das NSG 83

8. Zusammenfassung 86

9. Danksagung 87

10. Literatur 87

59 1. Einleitung

Das Naturschutzgebiet (NSG) „Röhrig von Rodenbach" (Größe 48,22 ha) liegt im unteren Kinzigtal beiderseits der Bahnlinie Frankfurt-Fulda; es schließt sich nördlich an den Ortsrand von Niederrodenbach an. Der Bahnkörper ist nicht Bestandteil des NSG. Das Gebiet liegt zwischen 112 m und 115 m über NN. Im Norden und Westen ist das NSG von Wiesen umgeben, an die Südgrenze stoßen ortsnahe Äcker und ein Supermarkt. Östlich des Schutzgebietes liegen drei ehemalige Kiesgruben, die durch Badebetrieb und Angeltätigkeit sowie als Dauer- campingplatz genutzt werden (Abb. 1).

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Abb 1: Lage des NSG „Röhrig von Rodenbach" Ausschnitt aus der Top. Karte 1:25 000 „Langenselbold"

Das NSG stellt einen Ausschnitt aus der Auenlandschaft des unteren Kinzigtales dar. Dieser Bereich ist seit Jahrhunderten vom Menschen genutzt worden und weist heute keine natür- lichen Landschaften mehr auf. Durch die menschlichen Nutzungsformen entstanden jedoch andere vielfältige Pflanzengesellschaften, die wiederum artenreichen Tiergesellschaften Lebensraum boten. Artenreichtum und Vielfältigkeit nahmen durch die menschliche Nutzung zu; jedoch blieben nur wenige Landschaftsteile übrig, die man als „naturnah" bezeichnen kann. Hierzu zählen im Bereich des unteren Kinzigtales Teile der restlichen Wälder sowie der Lauf der Kinzig. Das NSG „Röhrig von Rodenbach" zählt hierzu nicht, sondern ist ein vom Menschen geschaffener Landschaftsbestandteil, der jedoch aufgrund seiner Zusammenset- zung und Gliederung als wertvoller, schützenswerter Lebensraum erhalten werden muß. Die Fläche des NSG sowie seine Umgebung könnte noch bis zur letzten mittelalterlichen Rodungsperiode (um 1300) mit Erlenbruchwäldern bestanden gewesen sein. Diese Vegeta- tionsform dürfte für diesen Teil der Kinzigaue die potentielle natürliche Vegetation darstellen. 60 Nach der Rodung dieser Wälder setzte eine Nutzung durch den Menschen ein, die waldfreie abwechslungsreiche Pflanzengesellschaften schuf.Zu dieser Zeit könnten sich schon Wiesen verschiedenster Ausprägung, Großseggengesellschaften und Röhrichte gebildet haben. Daß sich wertvolle Lebensgemeinschaften gebildet haben, wird durch ein erstes Schutzgebiet belegt. Bereits am 8. Juli 1936 wurde der zentrale Teil des heutigen NSG als flächenhaftes Naturdenkmal (ND) ausgewiesen (Amtsblatt der Preußischen Regierung in Kassel).

Die ersten botanischen Aufzeichnungen über das heutige NSG stammen von SEIBIG aus dem Jahre 1954. Zu dieser Zeit waren die Vegetationszonen ungefähr wie heute noch nasse Wiesen, Großseggengesellschaften und Röhrichte. Er erwähnte bestandsbildend Schilfrohr (Phragmites communis) sowie vorherrschend Sumpfsegge () und häufig die Blasensegge (Carex vesicaria).

In seiner Aufzählung sind auch folgende seltene und bedrohte Pflanzenarten vorhanden, die heute auf der „Roten Liste der Farn- und Blütenpflanzen Hessen" stehen:

Breitblättriges Wollgras (Eriophorum latifolium) Sumpfläusekraut (Pedicularis palustris) Sumpf-Haarstrang (Peucedanum palustre) Sumpffarn (Thelypteris palustris) Cypergrassegge (Carex pseudocyperus) Sumpfblutauge (Comarum palustre) Sumpf-Sternmiere (Stellaria palustris) Dreiblättriger Fieberklee (Menyanthes trifoliata) Breitblättriges Knabenkraut (Dactylorhiza majalis) Breitblättriger Sonnentau ( Drosera rotundifolia) Sumpfveilchen (Viola palustris)

Am 17.10.1959 wurde auf Antrag der damaligen Vogelschutzwarte für Hessen und Rheinland- Pfalz eine Nachtragsverordnung für das flächenhafte ND wirksam, die das Streuen von Kunst- düngern und Spurenelementen, die Anwendung von Unkrautbekämpfungsmitteln sowie Maßnahmen, die den Grundwasserstand verändern, verbietet. Mit gleichem Datum wurde, ebenfalls auf Antrag derVogelschutzwarte,eine Landschaftsschutzgebiets-Verordnung für die Umgebung des flächenhaften ND wirksam, die auch auf die ornithologische Bedeutung des Gebietes hinweist. Als Brutvögel wurden damals Zwergdommel (lxobrychus minutus), Großer Brachvogel (Numenius arquata), Bekassine (Gallinago gallinago) und Uferschwalbe (Riparia riparia) erwähnt. Die Grenzen dieses Landschaftsschutzgebietes (LSG) sind schon weit- gehend mit den Grenzen des heutigen NSG identisch.

Während der sechziger Jahre wurde der Bereich südlich der Bahn ausgekiest, der sich nach Aufgabe der Nutzung mit Grundwasser füllte und samt seinem Umland hervorragend renatu- rierte.

Im Laufe der sechziger Jahre verschwanden eine Reihe von seltenen Pflanzenarten, so zum Beispiel Fieberklee, Breitblättriges Wollgras und Rundblättriger Sonnentau. Auch eine Reihe von Brutvogelarten wie Zwergdommel, Großer Brachvogel und Flußregenpfeifer ver- schwanden. Trotzdem hat das Gebiet weiterhin seine Schutzwürdigkeit behalten können, so daß es mit Wirkung vom 28.12.1976 auf Antrag der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON) als NSG ausgwiesen wurde. 61 Im Jahre 1983 wurden im Rahmen eines Flurbereinigungsverfahrens (erstes Verfahren zugunsten des Naturschutzes in Hessen) Verbesserungsmaßnahmen im zentralen Teil des NSG durchgeführt. Durch den Bau einerVerwallung und Einleitung von Wasser aus der östlich des NSG liegenden ehemaligen Kiesgrube wurde das Gelände innerhalb der Verwallung bis zu max. 30 cm überstaut.

2. Rechtliche Grundlagen Die gesetzliche Grundlage für die Unterschutzstellung ist die Verordnung (VO) über das NSG „Röhrig von Rodenbach" vom 10.12.1976, die am 28.12.1976 wirksam wurde. Das gesamte NSG liegt im großflächigen LSG „Vogelsberg - Hessischer Spessart". Leider konnte die VO Schädigungen im unmittelbaren Umfeld des NSG nicht verhindern. Hier sind vor allem illegale Ablagerungen von Erdmaterial in die nassen Bereiche der Wiesen (alte Kinzigarme) zu nennen. Selbst im NSG wurde widerrechtlich verfüllt. Der NSG-Bereich nörd- lich der Bahn liegt außerdem im einstweilig sichergestellten LSG „Auenverbund Kinzig" (mit Umbruchverbot von Grünland). Der Bereich südlich der Bahnlinie liegt im Naturpark Hessischer Spessart und ist ferner in der Flächenschutzkarte Hessen als freizuhaltende offene Fläche wegen der Bedeutung für das Klima eingetragen.

Abb. 2: NSG „Röhrig von Rodenbach" nördlich der Bahnlinie (Foto: H.-J. KRIEG)

3. Abiotische Faktoren

3.1 Klima

Klimatisch weist das untere Kinzigtal die Eigenschaften der Rhein-Main-Ebene auf, deren östlichsten Teil es darstellt. Die vorwiegend aus westlichen Richtungen herangeführten feuchten Meeresluftmassen geben im Bereich der weiter westlich liegenden Mittelgebirge 62 (Taunus, Westerwald, Hunsrück) bereits erhebliche Niederschlagsmengen als Steigungs- regen ab, so daß in den Ebenen östlich dieser Mittelgebirge relativ geringe Niederschläge fallen. Erst in Richtung Vogelsberg und Spessart steigen die Niederschlagswerte wieder an. Die höchsten Niederschlagsmengen fallen in den Sommermonaten, in denen allerdings auch eine starke Verdunstung eintritt, so daß der Effekt der Grundwasseranreicherung gering ist und diese in den anderen Jahreszeiten stattfindet.

Im Gebiet herrscht ein ozeanisch geprägtes humides Klima mit milden Wintern und warmen Sommern.

3.2 Geologie

Das Gebiet wird durch pleistozäne Sande und Kiese der Niederterrasse der Kinzig sowie holo- zäne Hochflutablagerungen gebildet. Die Dynamik der Kinzig verursachte im Gebiet des NSG ein für Auen typisches Landschaftsprofi lin der Nähe des Flusses wurden bei Hochwasser die grobkörnigeren Sedimente abgelagert, während das feinkörnigere Material weitertranspor- tiert bzw. weiter weg vom Flußlauf an den Talrändern abgelagert wurde. Dies führte zu einem zunächst unlogisch erscheinenden Profil, bei dem oft in unmittelbarer Flußnähe die am höchsten gelegenen Bereiche der Aue liegen, die gegen die Talränder hin -weiter vom Flußlauf entfernt - abfallen.Während die Böden in den höher gelegenen Teilen der Aue - in Flußnähe- oft beackert werden können, treten weitab vom Fluß am Talrand Vergleyungen auf, welche oft nur eine Grünlandnutzung zulassen oder gar zu Moorbildungen führen können. Die Entste- hung des „Röhrigs von Rodenbach" könnte zum Teil auf dieses Phänomen zurückzuführen sein.

3.3 Boden 1982 wurden von A. OTTO, Frankfurt am Main, Bodenuntersuchungen durchgeführt.lm Bereich der Wiesen zeigten sich recht ähnliche Bodenverhältnisse. Als Bodentyp fanden sich nur Grundwasserböden (Gleyen), die an manchen Profilen stärker oder schwächer ausgeprägte Staunässe (Pseudovergleyung) zeigten. Im Bereich der Röhricht- und Großseggengesellschaften sind verbreitet Anmoorgleye auf Seggen- und Bruchwaldtorf anzutreffen.

3.4 Wasser Südlich der Bahnlinie liegt eine etwa 3 ha große ehemalige Kiesgrube,die sich seit Aufgabe der Nutzung in den sechziger Jahren mit Wasser gefüllt und samt ihrem Umland hervorragend renaturiert hat. Der Bereich des Schilfröhrichtes und des nördlichen Teiles der Großseggen- und Sumpfreit- grasbestände war schon vor dem Bau der im Kapitel 1 (Einleitung) geschilderten Verwallung in Jahren mit durchschnittlichen Niederschlägen ausgesprochen naß, wobei der Grundwasser- stand oft flurgleich stand oder das Gebiet bis ca.10 cm hoch leicht überstaute. In Jahren mit geringen Niederschlägen (z. B.1976 bis 1979) führten allerdings nur noch die Gräben Wasser. Um möglichst das ganze Jahr über einen bestimmten Wasserstand im Gebiet zu erhalten, wurde 1983 eine Verwallung gebaut (siehe Abb. 3) und Wasser aus der östlich an das NSG angrenzenden ehemaligen Kiesgrube eingeleitet. 63 Abb. 3: Bau der Verwallung sowie des davor liegenden Grabens im August 1983 (Foto: H.-J. KRIEG)

Im westlichen Bereich wurde eine kleine Wasserfläche (0,2 ha) mit max.zwei MeterWassertiefe als Dauer- und Rückzugswassserfläche angelegt. Die Menge und der Abfluß durch den instal- lierten Mönch wurde so eingerichtet, daß das Gelände im westlichen Bereich max.30 cm hoch überstaut wird. Insgesamt ergibt sich so auf ca.15 ha Fläche eine 0 cm bis 30 cm hoch über- staute Fläche. Die Wiesen weisen nur bei stärkeren Niederschlägen stauende Nässe auf. In kleinen Senken sowie alten Kinzigläufen können sich mehrere Quadratmeter große offene Wasserflächen bilden, die bei entsprechendem Wetter und Jahreszeit wochenlang bestehen bleiben können. Anfang Februar 1984 überschwemmte die Kinzig fast das gesamte NSG; das Wasser war jedoch nach zwei Tagen über die bestehenden Gräben weitgehend wieder abgelaufen. Im südwestlichen Teil wird das NSG von einem Graben (Lache genannt) durchflossen. Erfließt außerhalb des NSG von Süden her verrohrt unter dem angrenzenden Supermarktgelände entlang und wird - weiterhin verrohrt - im NSG bis zur Bahnlinie weitergeführt. In die Lache wird das Oberflächenwasser vom Parkplatzgelände des Supermarktes über einen Öl- und Benzinabscheider eingeleitet. Dieses Wasser wird von der Hessischen Landes- anstalt für Umwelt zweimal jährlich untersucht. Im Untersuchungsbericht vorn 31. 7. 1981 wurde die Verschmutzung durch pertolätherextrahierbare Stoffe beanstandet und die Überprüfung der Benzin- und Ölabscheider gefordert. Im nördlichen Bereich wird das NSG von einem weiteren, allerdings nur periodisch wasser- führenden Graben, durchzogen. 64 4. Biotische Faktoren

4.1 Flora

Übersicht:

Südlich der Bahnlinie befindet sich die ehemalige Kiesgrube. Mit den sie umgebenden baum- und buschbestandenen Flächen ist das Gelände ca. 3,5 ha groß.

Nördlich der Bahnlinie befinden sich auf weniger nassen Standorten von Gräben durchzo- gene unterschiedliche Wiesengesellschaften mit einer kleinen Ackerfläche. Dieser Bereich des NSG nimmt ca. 29,7 ha ein. Die am tiefsten gelegenen Bereiche des NSG werden von Seggengesellschaften, Sumpfreit- grasbeständen und einem Schilfröhricht auf ca.15 ha bedeckt (Abb. 4).

Kurze Beschreibung der einzelnen Vegetationszonen:

Ehemalige Kiesgrube südlich der Bahnlinie:

Die Kiesgrube wird durch die verrohrte Lache in einen kleinen westlichen und einen größeren östlichen Teil getrennt. Als Wasserpflanzen fallen Bestände von Weißen Seerosen (Nymphea alba) auf, daneben kommt eine Tausendblattart (Myriophyllum spec.) vor.

Im östlichen Teil der Kiesgrube befindet sich eine Insel mit steilen Ufern, die hauptsächlich mit Schwarzerlen (Alnus glutinosa) bestanden ist. Desweiteren befinden sich hier noch ca. zehn jeweils nur wenige Quadratmeter große Inseln, die hauptsächlich mit Schilf (Phragmites communis) bestanden sind. Das Nordufer ist flach und weist einen nur wenige Meter breiten Schilfgürtel auf; zwischen diesem und dem Bahndamm wachsen Pappeln. Die übrigen Ufer dieses Teiles der Kiesgrube sind steil und mit dichter Baum- und Strauchvegetation bestanden. Nordöstlich an die Kiesgrube schließt sich eine Sukzessionsfläche an, die zum Großteil von einer Schwingelart (Festuca spec.) bestanden ist. Das Gelände zwischen den beiden Kies- grubenteilen ist von einem Weidengebüsch bestanden, in dem an lichteren Stellen Schilf wächst. Im westlichen Teil der Kiesgrube befinden sich fünf wenige Quadratmeter große Inseln.

Wiesengebiete nördlich der Bahnlinie: Die Wiesengesellschaften wurden unter anderem durch 30 vegetationskundliche Aufnahmen von A. OTTO im Mai und Juni 1981 begutachtet. Danach ließen sich vierverschiedene Einheiten voneinander abgrenzen: - die Fuchsschwanz-Glatthaferwiese - die frischere Variante der Wiesenknopf-Si lauwiese - die typische Wiesenknopf-Silauwiese - die nasse Variante der Wiesenknopf-Silauwiese (Variante mit Seggen). Es existieren alle Übergänge.

Bei den die Wiesen durchziehenden Gräben sind die eigentliche Grabenvegetation und die Vegetation der Grabenränder zu unterscheiden. Erstere besteht aus Pflanzengesellschaften der stehenden bzw. langsam fließenden Gewässer, letztere ist ein Mosaik unterschiedlicher Vegetation, das bedingt ist durch die Höhe des Grabenrandes, die Nutzung bzw.die Bepflan- zung mit Sträuchern etc. 65

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Legende: • • • Mähwiesen (hauptsächlich Fuchsschwanz-Glatthafer-Wiesen (Arrhe- natheretum alopecuretosum) im Übergang zur Wiesenknopf-Silau- Wiese (Sanguisorbo-silaetum typicum) ■ IM ■ Acker Ä • Ä Sumpfreitgras- und Großseggenbestände Schilf-Röhricht A A A Gehölze; westlich und nordöstlich der Wasserfläche Sukzessions- gebiete Wasserfläche 0 66 Sumpfreitgras- und Großseggenbestände:

Es wurden vier verschiedene Gesellschaften differenziert, wobei die ersten beiden noch stär- kere Beziehungen zum Grünland aufweisen, die letzteren durch zunehmende Feuchtigkeit gekennzeichnet sind.

1. Die Gesellschaft der Zweizeiligen Segge (Caricetum distichae) 2. Die Gesellschaft der Schlanken Segge (Caricetum gracilis) 3. Die Sumpfreitgras-Bestände 4. Die Sumpfseggen-Bestände

Schilfröhricht (Phragmition):

Diese Zone liegt etwas tiefer als die umliegenden Bereiche und wird aus einem geschlossenen Bestand von Schilf gebildet.

Das Schilf ist in seinem physiologischen Bereich außerordentlich konkurrenzfähig; Begleiter treten in den Kernzonen nahezu völlig zurück. Nur an kleinen trockeneren Erhebungen finden sich Lücken im dichten Verband. An den Rändern des Röhrigs werden an einigen Stellen Stickstoffzeiger wie der Stechende Hohlzahn (Galeopsis tetrahit) oder die Große Brennessel (Urtica dioica) angetroffen, an anderen Stellen finden sich Elemente der Mädesüß-Gesell- schaften (Filipendula u/maria-Stadien) wie das Mädesüß (Filipendula ulmaria) in Begleitung des Blutweiderichs (Lythrum salicaria) und des Wolftrapps (Lycopus europaeus).

Im äußersten Osten des Gebietes befinden sich an zwei Stellen noch Reste des Erlenbruch- waldes. Sie sind als Überbleibsel der ursprünglichen Vegetation anzusehen. Anhand der charakteristischen Begleiter der Schwarzerle läßt sich das Relikt noch als Walzenseggen- Erlenbruch (Carici elongatae-Alnetum glutinosae) ansprechen. Die Begleiter sind die Walzen- segge (Carex elongate), der seltene Sumpffarn,ferner die Sumpfdotterblume (Caltha palustris), die Sumpfsegge (Carex acutiformis) u. a. (OTTO briefl. 1982).

Erwähnt werden soll noch die Vegetation der Wege, die den nördlich der Bahnlinie gelegenen Teil des NSG im Süden und Osten begrenzen.

An den Stellen, die durch Tritt oder durch Befahren immer wiederfreigehalten (beeinträchtigt) werden, machen sich Pionierpflanzen der sauren Sandböden breit. Hierzu zählen die Elemente des Federschwingelrasens (Filagini-Vulpietum), in dem sich das Rote Straußgras (Agrostis tenius) breitmacht, das an den unberührten Stellen der trockenen Wegränder vorherrscht (Agrostietum tenius).

Insgesamt kommen im Schutzgebiet elf Pflanzenarten der Roten Liste vor:

1. Früher Schmielenhafer (Airs praecox) 2. Schmalblättrige Blasensegge (Carex vesicaria) 3. Breitblättriges Knabenkraut (Dactylorhiza majalis) 4. Sumpf-Weidenröschen (Epilobium palustre) 5. Weiße Seerose (Nymphaea alba) 6. Sumpf-Läusekraut (Pedicularis palustris) 7. Wasser-Greiskraut (Senecio aquaticus) 8. Bauernsenf (Teesdalia nudicaulis) 9. Sumpffarn (Thelypteris palustris) 10. Sumpf-Veilchen (Viola palustris) 11. Graben-Veilchen (Viola persicifolia) 67 4.2 Fauna

Über den größten Teil der Fauna liegen aus dem Bereich des NSG bisher keine Erkenntnisse vor. Dies gilt besonders für „niedere"Tiergruppen wie zum Beispiel Einzeller (Protozoa), Hohl- tiere (Coelenterata), Plattwürmer (Plathelminthes),VVeichtiere (Mollusca),Spinnen (Arachnida), Krebse (Crustacea) und Tausendfüßler (Myriapoda).

Innerhalb der Klasse der Insekten liegen leider nur über die Ordnung der Schmetterlinge () Untersuchungen von D. KLEIN E-RÜSCH KAM P, Rodenbach-Niederrodenbach, M. SCHROTH, Hainburg-Hainstadt sowie R.ZELL, Rodenbach-Niederrodenbach vor. Im NSG kommen eine Anzahl besonderer und bedrohter Arten vor (Rote Liste der Schmetterlinge der BRD). Unter den Tagfaltern sind dies Schwalbenschwanz (Papillo machaon), Dukatenfalter (Neodes virgaureae), Großer Moorbläuling (Maculinea teleius) und Schwarzblauer Bläuling (Maculinea nausithous). Die Bestände dieser Arten sind jedoch seit 1974 stark rückläufig; der Schwalbenschwanz wurde zuletzt 1978 nachgewiesen. Unter den Eulenfaltern () sind als Arten der „Roten Liste" zu nennen: Reitgras-Halmeule ( extrema), Reitgras- Stengeleule (Photedes fluxa), Rohrkolbeneule (Nonagria typhae), Igelkolben-Röhrichteule (Archanara sparganii) und Büttners Schrägflügeleule (Sedina buettneri). Alle Arten leben in den Sumpfreitgras-, Großseggen- und Schilfbeständen.

Da die ehemalige Kiesgrube bis zum Jahre 1983 an einen Angelverein verpachtet war,wurden von dem Verein eine Reihe von Fischarten eingesetzt. Es handelt sich um folgende Arten:

Aal (Anguilla anguilla) Aland (Leuciscus idus) In der vorläufigen „Roten Liste der gefährdeten Fische Hessens" ist die Art als ausgestorben oder verschollen aufgeführt. Blei (Abramis brama) Flußbarsch (Perca fluviatilis) Graskarpfen (Ctenopharyngodon idella) Hecht (Esox lucius) Karausche (Carassius carassius) Karpfen (Cyprinus carpio) Quappe (Lote Jota) Rotauge (Rutilus rutilus) Rotfeder (Scardinius erythrophthalmus) Schleie (Tinca tinca) Zander (Stizostedion lucioperca) (OHL 1979).

Im Gebiet um Rodenbach werden von einer Rodenbacher Arbeitsgruppe seit 1980 Unter- suchungen über die Amphibienbestände durchgeführt. Für den Bereich des NSG führte dies zu folgenden Ergebnissen:

Grasfrosch (Rana temporaria) - Alljährlich ca. 20 ablaichende Exemplare Wasserfrosch (Rana esculenta u. R. lessonae) - Seit dem Überstau der Kernzone balzen alljährlich bis zu 80 Männchen Seefrosch (Rana ridibunda) - Seit 1985 balzen bis zu 12 Männchen Laubfrosch (Hyla arborea) - 6 balzende Männchen 1986 Erdkröte (Bufo bufo) - Alljährlich ca. 30 ablaichende Exemplare Kreuzkröte (Bufo calamita) - 4 balzende Männchen 1986 Teichmolch (Triturus vulgaris) - 2 Ex.1986 Kammolch (Triturus cristatus) - 1 Ex. 1980 68 Reptilien:

1974 wurde im westlichen Teil der ehemaligen Kiesgrube eine 200 g schwere Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) geangelt und nach einigen Tagen wieder ausgesetzt (OHL 1979)

Avifauna:

Das NSG wird seit Anfang der fünfziger Jahre von hessischen Ornithologen aufgesucht. Seit 1964 wird das NSG von Mitgliedern der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz intensiv erforscht.

Die ehemalige Kiesgrube südlich der Bahnlinie hat in erster Linie eine Funktion als Rastgebiet für wassergebundene Vogelarten. Die Rastkapazität betrug bis zu 1000 Individuen; haupt- sächlich während des Frühjahr- und Herbstzuges. In den achtziger Jahren beträgt die Rast- kapazität nur noch bis zu 500 Ex. Gründe für einen Rückgang der Zahlen sind nicht bekannt.

Die Masse der Wasservögel wird von Stockenten (Anas platyrhynchos) gebildet; daneben rasten alljährlich kleine Gruppen bis 10 Ex. von Haubentauchern (Podiceps cristatus), Zwerg- tauchern (Podiceps ruficollis), Höckerschwänen (Cygnus olor), Pfeifenten (Anas penelope), Krickenten (Anas crecca), Spießenten (Anas acuta), Knäkenten (Anas querquedula), Löffe- lenten (Anas clypeata),Tafelenten (Aythya ferina) und Reiherenten (Aythya fuligula). Die Bedeu- tung des Gebietes als Überwinterungsplatz ist geringer, da die Kiesgrube leicht zufriert. Der Eisvogel (Alcedo atthis) und die Uferschwalbe (Riparia riparia) nutzen die Kiesgrube als Nahrungs- und Rastareal; seit 1983 wurden beide Arten hier nicht mehr beobachtet. Anfang der achtziger Jahre wurde in der SO-Ecke der Kiesgrube eine künstliche Uferschwalben- steilwand gebaut (siehe Abb. 5).

Abb. 5: Künstliche Uferschwalbenbrutwand an der ehemaligen Kiesgrube südlich der Bahn (Foto: H.-J. KRIEG) 69 Die Uferschwalbe brütete von 1974 bis 1981 an der ehemaligen Kiesgrube; teilweise auch in künstlichen Tonröhren, die vor Errichtung der Brutwand als Nisthilfen vorhanden waren.

Seit 1980 brütet hier regelmäßig ein Haubentaucherpaar. In den Schilfröhrichten und den angrenzenden Seggenrieden nördlich der Bahn leben folgende bedrohte Brutvogelarten: Bekassine (Gallinago gallinago) (1 bis 4 Brutpaare (BP)),Wasserralle (Rallus aquaticus) (1 BP), Rohrweihe (Circus aeruginosus) (1 BP), Schafstelze (Motacilla flava) (1 BP). Dominante Brut- vogelarten in diesem Gebiet sind Teichrohrsänger (Acrocephalus scirpaceus) (6 bis 10 BP), Sumpfrohrsänger (Acrocephalus palustris) (3 bis 10 BP) und Rohrammer (Emberiza schoe- niclus) (5 bis 13 BP).Während derZugzeit befindet sich hier ein Schlafplatz von Staren (Sturnus vulgaris). Das Schilfröhricht und die Seggenrieder stellen nach dem Überstau das bedeu- tenste Nahrungs- und Rastgebiet im NSG. Die Bedeutung dieser Zone ist hessenweit sehr hoch einzuschätzen. Hier rasten, hauptsächlich während des Frühjahrszuges, bis zu ca. 60 Paare auch seltener Entenarten wie Schnatter-, Krick-, Spieß- und Knäkenten! Auch für Li mi- kolenarten wurde das Gebiet nach dem Überstau während des Frühjahrszuges attraktiv. Es rasten folgende Arten: Flußregenpfeifer, Bekassine, Großer Brachvogel, Uferschnepfe (Limosa limosa), Rotschenkel (Tringa totanus) und Waldwasserläufer (Tringa ochropus). Desweiteren rasten in diesem Teil des NSG Kornweihe (Circus cyaneus), Wiesenpieper (Anthus pratensis), Wasserpieper (Anthus spinoletta), Schilfrohrsänger (Acrocephalus schoenobaenus) und Blau- kehlchen (Luscinia svecica).

Das intensiv genutzte Grünland ist wichtiges Nahrungs- und Rastareal für Weißstorch (Ciconia ciconia), Graureiher (Ardea cinerea), Schwarzmilan (Milvus migrans), Rotmilan (Milvus milvus), Habicht (Accipiter gentilis), Schafstelze, Wiesenpieper und Saatkrähe (Corvus frugilegus). Bisher wurden 131 Arten im NSG nachgewiesen, die im folgenden vorgestellt werden sollen.

Abkürzungen: aBV = alljährlicher Brutvogel nDZ = nicht alljährlicher Durchzügler nBV = nicht alljährlicher Brutvogel WG = Wintergast eiBV = einmaliger Brutvogel NG = Nahrungsgast ehBV = ehemaliger Brutvogel ehNG = ehemaliger Nahrungsgast aDZ = alljährlicher Durchzügler d = weniger als drei Nachweise = Art der „Roten Liste der bestandsgefährdeten Vogelarten Hessens" +1- = Art der „Roten Liste" der Bundesrepublik Deutschland +++ = Art der „Roten Liste" Europas

Höchstzahlen bei Durchzüglern beziehen sich auf die höchste Anzahl an einem Tag beobach- teter Individuen.

1.Haubentaucher ++ nBV aDZ 1973 : 1 BP. Seit 1980 alljährlich 1 BP. Alljährlich Durchzügler bis 9 Ex. (29.3.1976).

2. Zwergtaucher ehBV?aDZ BV? in 1 Paar bis Anfang der siebziger Jahre. Alljährlicher Durchzügler bis 3 Ex. (20.4.73).

3. Graureiher ++ Jahresgast In allen Monaten bis 40 Ex. anwesend. Mitte der sechziger Jahre bis 9 Ex. anwesend (13.9.64, 14.2.65, 7.3.65), danach sinkende Anzahl, ab Mitte dersiebzigerJahre bis 1979 wieder bis 6 Ex.19 80 und 1981 bis 10 Ex.anwesend 70 (oft erreichtes Maximum). 1982 und 1983 stark ansteigende Zahlen bis 25 Ex. (12.11. 83). 1984 im Sommer bis 40 Ex.! BERG-SCHLOSSER (1968) gibt von 1956 bis 1968 einen Rückgang der hessischen Graureiherbrutpopulation um ca. 2/3 der Bestände an. Nach einer Stabilisierungsphase von 1969 bis 1974 stieg der Bestand seit 1975 jedoch auf Grund von Schutzmaßnahmen stark an (FI EDLER briefl., ROSSBACH (1974)); seit dieserZeit nimmt auch die Zahl der im Kinzigtal beobachteten Graureiher wieder zu.

4. Zwergdommel ehBV Brutvogel in den fünfziger Jahren; bis Anfang der sechziger Jahre noch DZ in einzelnen Ex.

5. Rohrdommel (Rohrdommel) ++ ehBV? Ältere Einwohner von Niederrodenbach können sich an den markanten Balzruf der Rohr- dommel in früheren Jahrzehnten erinnern; möglicherweise brütete die Dommel hier.

6. Weißstorch ++ NG Brutvogel in einem Paar auf einem Wehrturm in Niederrodenbach schon 1893 erwähnt. Brut- vogel bis 1963, letztmalig 1962 erfoglreich brütend (2 Junge).1963 schwere Kämpfe zwischen Störchen, Horst seitdem unbewohnt (BERG-SCHLOSSER 1968). Das „Röhrig von Rodenbach" war Hauptnahrungsgebiet des Niederrodenbacher Storchen- paares. Die in Langenselbold brütenden Störche (bis 1966; Einzelvögel bis 1969 anwesend) nutzten das „Röhrig" ebenfalls als Nahrungsgebiet. Das noch in Rückingen brütende Stor- chenpaar nutzt das „Röhrig" noch heute als Nahrungsgebiet!

7. Höckerschwan aDZ Alljährlicher Durchügler bis 3 Ex. (25.11.79).

8. Pfeifente ++ aDZ Alljährlicher Durchzügler bis 4 Ex. (26.3.73).

9. Schnatterente ++ d 1 Männchen 1.5.74 ; ca. 30 Paare März/April 1984

10. Krickente ++ aDZ Alljährlicher Durchzügler bis ca. 60 Paare (!) (Ende April 1984). Derartig hohe Zahlen wurden nur nach Schaffung der Flachwasserzone (1983) erreicht.

11.Stockente aBV aDZ Alljährlicher BV in 12 bis ca. 20 BP. Alljährlicher DZ bis 1.000 Ex. (Oft erreichtes Maximum). In den achtziger Jahren nur noch bis ca. 500 Ex.

12.Spießente ++ aDZ Alljährlicher Durchzügler bis 10 Ex. (8.4.73).

13. Knäkente ++ aDZ Alljährlicher Durchzügler bis ca. 30 Paare (!) (März/April 1984). Derartig hohe Zahlen wurden nur nach Schaffung der Flachwasserzone (1983) erreicht. 71 14.Löffelente ++ aDZ Alljährlicher Durchzügler bis 7 Ex. (3.4.1973).

15.Tafelente aDZ Alljährlicher Durchzügler bis 4 Ex. (31. 3.1973, 18.3. 1978).

16.Reiherente ÷-h aDZ Alljährlicher Durchzügler bis 6 Ex. (29. 3.1972, 20.4. 1973, 16.3. 1975).

17.Schellente d Je 1 Männchen am 1.5.1974 und 4. 3.1978.

18. Mäusebussard aDZ NG Überhinfliegende Bussarde bis 5 Ex. (17.2.1974, 12.3. 1975, 5.9.1977). Einzelne Nahrungs- gäste (Brutvögel der umliegenden Wälder).

19.Sperber ++ NG Seltener Nahrungsgast

20. Habicht ++ NG Einzelne Nahrungsgäste (Brutvögel der umliegenden Wälder).

21. Rotmilan ++ aDZ NG Einzelne Ex. erscheinen als Durchzügler sowie als Nahrungsgäste (Brutvögel der umlie- genden Wälder).

22. Schwarzmilan ++ NG Bis 4 Ex. erscheinen als Nahrungsgäste (Brutvögel der umliegenden Wälder).

23. Rohrweihe ++ aBV aDZ Bis 1978 alljährlicher Durchzügler in einzelnen Ex.1979 1 Paar anwesend, das möglicherweise auch brütete. Seit 1980 brütet alljährlich 1 Paar.

24. Kornweihe +++ d 2 Weibchen am 10.11.1983.

25. Fischadler ++ nDZ Nicht alljährlicher Durchzügler in einzelnen Ex.

26. Baumfalke ++ NG Bis 2 Ex. erschienen 1984 als Nahrungsgäste.

27. Wanderfalke +++ ehNG Auf Stare jagende Wanderfalken wurden mehrfach 1962 beobachtet.

28. Turmfalke nBV NG Nicht alljährlicher BV in 1 Paar sowie NG in einzelnen Ex. 72 29. Rebhuhn ++ ehnBV WG Ehemaliger nicht alljährlicher Brutvogel in einem Paar. Vor Besetzung der Reviere Völker anwesend. In den sechzigerJahren noch bis 12 Ex.In den siebziger und achtzigerJahren unter 10 Ex.

30. Wachtel +++ d 30. 5. 1978 1 balzendes Männchen gehört.

31. Fasan aBV Alljährlich 1 balzendes Männchen; gleichzeitig bis zu 16 Weibchen (19. 3. 1965)! Die Be- stände werden durch Aussetzungsaktionen des Jagdpächters aufgefüllt. 1983 3 balzende Männchen.

32. Kranich ++ d 54 Ex. am 8.3.1977 und 26 Ex. am 10.4.1985 überhinfliegend.

33. Wasserralle ++ aBV Alljährlicher BV in 1 Paar.

34. Tüpfelralle ++ eiBV? 3 rufende Ex. am 17. 4. 1961, wobei es sich um Zug gehandelt haben könnte. Da Rufe auch noch im Mai festgestellt wurden, scheint ein Brutvorkommen in diesem Jahr nicht ausgeschlossen.

35. Wachtelkönig +++ d Je 1 Ex. 18.7.1956 und 16. 5.1962.

36. Teichralle aBV Alljährlicher Brutvogel in 1 bis 2 Paaren.

37. Bleßralle aBV aDZ Alljährlicher Brutvogel in 2 Paaren. Alljährlicher Durchzügler bis 20 Ex. (oft erreichtes Maximum).

38. Kiebitz aBV aDZ Alljährlicher BV in 1 bis ca. 20 Paaren. Mitte der sechziger Jahre 8 BP. In den trockenen und durch zu häufige Grabenräumungen betroffenen siebziger Jahren sowie in deren Folge bis 1983 brüteten nur 1 bis 4 BP. Durch Schaffung der Flachwasserzone (1983) 1984 und 1985 je 14 BP! 1986 ca. 15 - 20 BP! Alljährlicher DZ bis 136 Ex. (6.11.1977).

39. Flußregenpfeifer ehBV Ehemaliger Brutvogel in mindestens einem Paar bis in die sechzigerJahre in der Auskiesungs- fläche der ehemaligen Kiesgrube.

40. Bekassine ++ aBV aDZ Alljährlicher Brutvogel in 1 bis 4 BP. Alljährlicher Durchzügler bis ca. 40 Ex. (30.3.1964). Ähnlich hohe Zahlen wurden in den letzten zehn Jahren nicht mehr erreicht. 73 41.Großer Brachvogel ++ ehBV nDZ Brutvogel mindestens von 1957 bis 1966. 1957 Brutvoge1,1958 1 BP,1959 2 BP,1960 3 BP,1961 2 BP,1962 1 BP,1963 1 BP,1964 1 BP, 1965 0 BP, 1966 1 BP. Nach 1966 nur noch nicht alljährliche Durchzügler bis 15 Ex. (März/April 1984).

42. Uferschnepfe ++ d 18 - 20 Ex. März/April 1984.

43. Rotschenkel ++ d Ende April 1975 2 Ex.

44. Waldwasserläufer ++ d Je 1 Ex. am 31.3.1977 und 13. 6.1985.

45. Flußuferläufer ++ d Je 1 Ex. am 12.9.1964 und 6.5.1973.

46. Lachmöwe aDZ Alljährlicher Durchzügler bis 46 Ex. (6.11.1977).

47. Trauerseeschwalbe ++ nDZ Nicht alljährlicher Durchzügler in einzelnen Exemplaren.

48. Flußseeschwalbe ++ d 7 Ex. 31. 3.1964.

49. Ringeltaube eiBV aDZ NG 1974: 1 BP. Alljährlich Durchzügler bis ca. 250 Ex. (12. 3.1978). Nahrungsgast bis 4 Ex. (31. 5.1986).

50. Türkentaube d Je 1 Ex. am 25. 5.1972 und 8.7.1972.

51.Turteltaube ++ d 1 balzendes Männchen am 8. 6.1985.

52. Kuckuck aBV Alljährlich 1 rufendes Männchen; 1973 3 balzende Männchen.

53. Schleiereule ++ d 1 Ex. wurde 1977 tot an der Bahnlinie gefunden (wohl Verkehrsopfer).

54. Sumpfohreule ++ nDZ Nicht alljährlicher Durchzügler in einzelnen Ex.

55. Mauersegler aDZ NG Alljährlicher Durchzügler und Nahrungsgast bis ca. 25 Ex. (13. 5.1972, 23. 5.1975). 74 56. Eisvogel ++ a? DZ a? NG Alljährlicher Druchzügler und Nahrungsgast in einzelnen Ex.

57. Wiedehopf ++ d 1 Ex. 16.4.1972 bis 19.4.1972.

58. Grünspecht NG Nahrungsgast in einzelnen Ex.

59. Grauspecht NG Nahrungsgast in einzelnen Ex.

60. Buntspecht NG Nahrungsgast in einzelnen Ex.

61. Wendehals ++ d 1 Ex. am 11. 7.1976.

62. Feldlerche aBV aDZ Alljährlicher Brutvogel in 3 bis 4 Paaren. Alljährlicher Durchzügler bis ca. 100 bis 150 Ex. (Mitte Februar 1979).

63. Uferschwalbe ++ nBV Seit 1957 befand sich eine Kolonie in wechselnder Stärke (63 bis 45 BP) in einer östlich des NSG liegenden Kiesgrube.1973 wurden infolge eines Campingplatzes fast alle Steilhänge der Kiesgrube beseitigt; es fanden hier keine Bruten mehr statt. 1974 siedelten 15 Paare in das damals geplante NSG um. 1975: 9 BP; 1976: ca. 40 BP; 1977: ca. 50 BP; 1978: 1 bis 2 BP; 1979: 0 BP; 1980: 0 BP; 1981: 12 BP (ohne Bruterfolg); seit 1982 keine Bruten mehr. Die Bruten fanden zum Teil in künstlichen Niströhren (Ton) statt.

64. Rauchschwalbe aDZ NG Alljährlicher Durchzügler und Nahrungsgast bis ca. 50 Ex. (8.4.1976).

65. Mehlschwalbe aDZ NG Alljährlicher Durchzügler bis ca. 10 Ex. (2.10.1974). Nahrungsgast in einzelnen Ex.

66. Schafstelze aBV aDZ Alljährlicher Brutvogel in einem Paar. Alljährlicher Durchzügler in einzelnen Ex.

67. Gebirgsstelze nDZ Nicht alljährlicher Durchzügler in einzelnen Ex.

68. Bachstelze aBV aDZ Alljährlicher Brutvogel in ein bis zwei Paaren. Alljährlicher Durchzügler bis ca. 10 Ex. (7.12.1983).

69. Brachpieper ++ d Ein fragliches Ex. im August 1964. 75 70. Baumpieper nBV aDV 1973 und 1975 je 1 BP. Alljährliche Durchzügler in einzelnen Ex.

71.Wiesenpieper + aDZ WG Alljährlicher Durchzügler bis ca. 30 Ex. (26. 9.1964) und Wintergast in einzelnen Ex.

72. Wasserpieper ++ d 1 Ex. am 7.12.1983.

73. Neuntöter ++ eiBV nDZ 1 Männchen 1.5.1974; 2 Männchen 22.5.1974 und 1 BP 1984.

74. Raubwürger ++ nDZ Nicht alljährlicher Durchzügler in einzelnen Ex. Aus den achtziger Jahren liegen kaum noch Beobachtungen vor.

75. Zaunkönig aBV aDZ Alljährlich ein bis zwei BP. Alljährlich Durchzügler in einzelnen Ex.

76. Heckenbraunelle aBV aDZ Alljährlicher Brutvogel in ein bis zwei BP. Alljährlicher Durchzügler bis 6 Ex. (oft erreichtes Maximum).

77. Feldschwirl aBV aDZ Alljährlicher Brutvogel in ein bis fünf BP. Alljährlicher Durchzügler bis 4 Ex. (oft erreichtes Maximum).

78. Schlagschwirl d Ein singendes Männchen am 6.6.1985.

79. Schilfrohrsänger ++ d 1 Ex.Juli 1964; 1 singendes Männchen 6. 5.1972

80. Sumpfrohrsänger aBV Alljährlicher Brutvogel in 3 bis 10 Paaren.

81.Teichrohrsänger aBV Alljährlicher Brutvogel in 6 bis 10 Paaren.

82. Drosselrohrsänger ++ nBV? nDZ Ein singendes Männchen am 30.4.1973. Während der gesamten Brutzeit sang in den Jahren 1974 und 1986 ein Männchen im NSG.

83. Gelbspötter d Ein singendes Männchen 31. 5.1986.

84. Gartengrasmücke eiBV nDZ 1 BP 1975. Nicht alljährlicher Durchzügler in einzelnen Ex. 76 85. Mönchsgrasmücke eiBV a? DZ 1 BP 1974. Alljährlicher? Durchzügler in einzelnen Ex.

86. Klappergrasmücke eiBV nDZ 1 BP 1975. Nicht alljährlicher Durchzügler in einzelnen Ex.

87. Dorngrasmücke nBV Nicht alljährlicher Brutvogel in 1-2 Paaren.

88. Zilpzalp aBV aDZ Alljährlicher Brutvogel in 1-5 Paaren. Alljährlicher Durchzügler in einzelnen Ex.

89. Fitis aBV aDZ Alljährlicher Brutvogel in 1-4 BP. Alljährlicher Durchzügler bis 6 Ex. (oft erreichtes Maximum).

90. Wintergoldhähnchen d Ein singendes Männchen am 15. 4. 1978.

91. Trauerschnäpper aBV Alljährliche Brutversuche einzelner Paare in den Holzbetonnistkästen südlich der Bahnlinie; starke Konkurrenz durch Feldsperlinge.

92. Schwarzkehlchen ++ eiBV Ein Brutpaar 1964.

93. Braunkehlchen ++ ehBV nDZ Ehemaliger Brutvogel in 2-3 Paaren. Nicht alljährlicher Durchzügler bis 5 Ex. (4.5.1980).

94. Gartenrotschwanz ehBV a?DZ Ehemaliger Brutvogel bis Mitte der siebziger Jahre. Alljährlicher? Durchzügler in einzelnen Ex.

95. Hausrotschwanz nBV Nicht alljährlicher Brutvogel mit 1-3 BP am Südrand des NSG.

96. Nachtigall aBV aDZ Alljährlicher Brutvogel in 2-3 Paaren. Alljährlicher Durchzügler bis 10 Ex. (oft erreichtes Maximum).

97. Blaukehlchen ++ nDZ Nicht alljährlicher Durchzügler in einzelnen Ex. Letzte Beobachtungen in den siebzigerJahren.

98. Rotkehlchen nBV aDZ Nicht alljährlicher Brutvogel in einzelnen Paaren. Alljährlicher Durchzügler in einzelnen Ex. 77 99. Misteldrossel a?DZ Alljährlicher (?) Durchzügler in einzelnen Ex.

100. Wacholderdrossel aBV aDZ Alljährlicher Brutvogel in 3-4 Paaren. Alljährlicher Durchzügler bis ca. 1900 - 2 000 Ex. (19.1.1975).

101.Singdrossel aBV? a?DZ Möglicherweise Brutvogel in wenigen Paaren. Alljährlicher (?) Durchzügler bis ca. 50 Ex. (15. 3.1979).

102.Rotdrossel nDZ Nicht alljährlicher Durchzügler bis ca. 50 Ex. (17.3.1979).

103. Amsel aBV Alljährlicher Brutvogel in schwankender Dichte (2 bis ca. 8 Paare).

104. Schwanzmeise nDZ Nicht alljährlicher Durchzügler bis 6 Ex. (30.11.1972).

105.Sumpfmeise d 3 Ex. am 15.3.1979.

106.Weidenmeise NG Nahrungsgast in einzelnen Ex.

107. Blaumeise aBV Alljährlicher Brutvogel in zwei Paaren (Holzbetonnistkästen südlich der Bahnlinie).

108. Kohlmeise aBV Alljährlicher Brutvogel in 3-4 Paaren (Holzbetonnistkästen südlich der Bahnlinie).

109. Kleiber NG Nahrungsgast in einzelnen Ex.

110. Gartenbaumläufer d 2 Ex. am 15. 3. 1979.

111. Grauammer ++ nBV nDZ Nicht alljährlicher Brutvogel in einem Paar. Nicht alljährlicher Durchzügler bis 3 Ex. (28.2.1972).

112. Goldammer aBV aDZ WG Alljährlicher Brutvogel in 2-3 Paaren. Alljährlicher Durchzügler und Wintergast bis 14 Ex. (29.1.1977).

113. Rohrammer aBV aDZ Alljährlicher Brutvogel in schwankender Dichte (5-13 BP). Alljährlicher Durchzügler in unbekannter Höhe. 78 114.Buchfink aBV aDZ Alljährlicher Brutvogel in 1-2 Paaren. Alljährlicher Durchzügler bis ca. 30 Ex. (oft erreichtes Maximum).

115.Bergfink aDZ Alljährlicher Durchzügler bis 8 Ex. (15. 3.1979).

116.Girlitz aBV Alljährlicher Brutvogel in 1-4 Paaren.

117. Grünling aBV aDZ Alljährlicher Brutvogel in 2-4 Paaren. Alljährlicher Durchzügler bis ca. 80 Ex. (30.10.1972).

118.Stieglitz aBV aDZ Alljährlich 1-2 BP. Alljährlicher Durchzügler bis ca. 50 Ex. (Anfang November 1983).

119.Zeisig aDZ WG Alljährlicher Durchzügler und Wintergast bis ca. 36 Ex. (Anfang November 1983).

120. Hänfling aBV aDZ Alljährlicher Brutvogel in 1-3 Paaren. Alljährlicher Durchzügler bis ca. 50 Ex. (30.10.1972)

121.Kernbeißer NG Nahrungsgast in einzelnen Ex.

122. Gimpel aDZ NG WG Alljährlicher Durchzügler, Nahrungs- und Wintergast in einzelnen Ex.

123. Haussperling NG Nahrungsgast in Schwärmen bis ca. 50 Ex.

124. Feldsperling aBV aDZ WG Alljährlicher Brutvogel in 5-6 Paaren (Holzbetonnistkästen südlich der Bahnlinie). Alljährlicher Durchzügler und Wintergast bis ca. 70 Ex. (30.10.1972).

125. Star aDZ Alljährlicher Durchzügler bis ca. 1500 Ex. (4.4.1965). Im Frühjahr bis Herbst befindet sich alljährlich im Röhrig ein Schlafplatz; Höchstzahl ca.18 000 Ex. (± ca. 3 000 Ex.) während des Frühjahres 1979.

126. Pirol nBV? aDZ Nicht alljährlicher Brutvogel? Alljährlicher Durchzügler in einzelnen Ex.

127. Eichelhäher aDZ Alljährlicher Durchzügler in einzelnen Ex. 79 128.Elster aBV Alljährlicher Brutvogel in 1-2 Paaren.

129. Dohle aDZ NG Alljährlicher Durchzügler bis ca. 500 Ex. (30.10.1972). Nahrungsgast in einzelnen Ex. Im Herbst 1979 ein Schlafplatz auf den angrenzenden Hochspannungsmasten; bis ca. 300 Ex.

130.Saatkrähe ++ aDZ WG Alljährlicher Durchzügler und Wintergast bis ca. 500 Ex. (30.10.1972).

131. Aaskrähe Rabenkrähe (Corvus corone corone) aBV NG Alljährlicher Brutvogel in 1-3 Paaren. Nahrungsgast bis ca. 40 Ex. (17. 9.1964). Im Herbst 1979 ein Schlafplatz auf den angrenzenden Hochspannungsmasten; bis ca. 300 Ex. Nebelkrähe (Corvus corone cornix) d Je 1 Ex. am 6. 9.1964,13. 9.1984 und 17.9.1964 (wohl dasselbe Ex.)

Insgesamt kommen im NSG 60 Arten der „Roten Listen" vor (46 0/0 der hier vorkommenden Arten), davon sind 54 Arten überregional in der BR Deutschland oder Europa bestands- gefährdet.

Die Säugetierfauna des Gebietes ist wenig erforscht. Folgende Arten konnten im Schutz- gebiet nachgewiesen werden:

Reh (Capreolus capreolus): bis 26 Ex. (in den sechziger Jahren) in den siebziger und achtziger Jahren nur noch höchstens 8 Ex. Hase (Lepus capensis): ca.10 bis 20 Ex. (in den achtzigerJahren höchstens bis ca.10 Ex.) Kaninchen (Oryctolagus cuniculus): ca. 30 bis 35 Ex. Fuchs (Vulpes vulpes): 1982 1 Bau mit 5 Jungen Steinmarder (Marter foina): unter 5 Ex. Iltis (Mustela putorius) ++: unter 5 Ex. Hermelin (Mustela erminea) ±: einzelne Ex. Mauswiesel (Mustela nivalis) ±: einzelne Ex. Maulwurf (Talpa europaea) Feldmaus (Microtus arvalis) Erdmaus (Microtus agrestis) Rötelmaus (Clethrionomys glareolus) Waldmaus (Apodemus sylvaticus) Gelbhalsmaus (Apodemus flavicollis) Waldspitzmaus (Sorex araneus) Zwergspitzmaus (Sorex minutus) (DEEG briefl. SCHREIBER mündl. und eigene Beobachtungen) 80 5. Vergleich des Zustandes und der Wertigkeit vor und nach den Überstaumaßnahmen

Um die Lebensmöglichkeiten für wassergebundene Vogelarten zu verbessern, wurde im Sommer 1983 ein Flurbereinigungsverfahren durchgeführt und in diesem Zuge eine Flach- wasserzone gebaut.Überstaut werden sollten neben den vor 1983 bestehenden Schilf-, Groß- seggen- und Sumpfreitgrasbeständen weitere sechs Hektar in Privatbesitz befindliche Wiesen. Die Schilf-, Großseggen- und Sumpfreitgrasbestände befanden sich im Eigentum der Gemeinde Rodenbach. Vorausgegangen waren während der gesamten siebziger Jahre bis 1983 zum Teil harte Auseinandersetzungen mit der Landwirtschaft, die immer wieder eine Räumung der Gräben und Bäche in den Wiesen forderte und zum Teil durchsetzte, um einen starken und schnellen Wasserabfluß zu erreichen und um die Wiesen trockener zu gestalten. Die Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON) in Gestalt ihres Arbeits- kreises Main-Kinzig versuchte ständig, dieses zu verhindern. Nach siebenjährigem Bemühen, hauptsächlich von Herrn RAAB, konnte 1983 das erste Flurbereinigungsverfahren zu Gunsten des Naturschutzes in Hessen durchgeführt werden. In diesen sieben Jahren konnten durch äußerst komplizierte Kauf- und Tauschverhandlungen die sechs Hektar in Privatbesitz befind- liche Fläche in Eigentum des Landes Hessen (Domänenverwaltung) überführt werden. Die Gesamtkosten des Verfahrens sowie der Baumaßnahmen betrugen DM 662.000. Im ein- zelnen: Für den Grunderwerb der insgesamt 6,74 ha wandte das Land Hessen DM 312.000 auf; die Baukosten betrugen DM 350.000, von denen die Bundesrepublik Deutschland und das Land Hessen DM 323.500 und die HGON DM 26.500 auf brachten.Die Kosten des Flurbereini- gungsverfahrens wurde im Rahmen der Arbeit des Amtes für Landwirtschaft und Landent- wicklung Hanau sowie des Hessischen Landesamtes für Ernährung, Landwirtschaft und Landentwicklung durchgeführt und nicht berechnet; sie sind also nicht in der Gesamtkosten- rechnung enthalten. Gebaut wurden eine Verwallung, ein Graben, eine 0,2 ha große Wasserfläche (max. Tiefe ca.2 m) mit Mönch sowie der Einlauf von der östlich an das NSG angrenzende ehemalige Kies- grube. Das Wasser aus dem Gelände südlich der Bahnlinie fließt nun nicht mehr in das Schilf- gebiet, sondern um die Schilffläche herum durch die Wiesen. Insgesamt sind ca. 15 ha zwischen 0 cm und 30 cm hoch überstaut mit allen Übergängen. Auf den 6 ha überstauten Wiesen haben sich Großseggengesellschaften eingestellt. Insgesamt kann festgestellt werden, daß die Maßnahmen über Erwarten gute und hervorra- gende Verbesserungen für das NSG brachten. Selbst die außerhalb der Verwallung auf Ver- langen der Landwirtschaft angelegten Gräben, deren Böschungen und die der Verwallungen haben sich gut entwickelt. Der nördlich der Verwallung liegende Graben wurde aufgrund von Forderungen der Landwirtschaft gebaut, die befürchtete, daß durchdrückendes Wasser von innerhalb der Verwallung eine weitere Vernässung der angrenzenden Wiesen bewirken könnte. Zwar wurde ein Streifen der Wiesen entlang des Grabens trockener, aber dieser Nach- teil wird durch die Existenz des Grabens mehr als aufgehoben. Die Vorteile ergeben sich durch flache Böschungswinkel, ständige Wasserführung (in den Wiesen steht nur bei starken Niederschlägen Wasser) und vor allem nicht genutzte Grabenböschungen. Hier hat sich, wie auch auf den nicht genutzten Verwallungen, eine außerordentliche Vielfalt von Blütenpflanzen entwickelt, die ein überaus abwechslungsreiches, buntes Artenspektrum darstellen. Im Graben wachsen u. a. eine Wassersternart (Callitriche spec.) und Froschlöffel (Alisma plan- tago-aquatica). Die Böschungen sind mit großen Beständen von Kuckucks-Lichtnelke (Lychnis flos-cuculi) und Sumpf-Vergißmeinnicht (Myosotis palustris) bedeckt, desweiteren wachsen eine Vielzahl weiterer Arten wie Gelbe Schwertlilie (Iris pseudacorus), Breitblättriger Rohrkolben (Typha latifolia), Wiesen-Platterbse (Lathyrus pratensis), Rot-Klee (Trifolium partense), Weiß-Klee (Trifolium repens), Inkarnat-Klee (Trifolium incarnatum), Breitblättriges 81 Knabenkraut u. a. Der bunte Aspekt hebt sich deutlich von den genutzten Wiesen ab; der größte Teil der genannten Pflanzen hat auf den genutzten Wiesen kaum noch Lebensmöglichkeiten. Die Pflanzenvielfalt bedingt ein reiches Schmetterlingsvorkommen, das sich, lediglich sub- jektiv beobachtet, beträchtig gesteigert hat. Untersuchungen sollen demnächst folgen. Durch den Überstau siedelten sich, teilweise sofort im Folgejahr, fünf Amphibienarten neu an (Wasserfrosch, Seefrosch, Laubfrosch, Kreuzkröte und Teichmolch).

Hervorragende Verbesserungen brachte der Überstau für die Lebensbedingungen von Vogel- arten. Bemerkenswert ist, daß die Flachwasserzone sofort nach Einstau angenommen und „genutzt" wurde; dies zeigt das enorme Defizit von Flachwasserzonen im Kinzigtal.

Nachdem der Kiebitzbestand während der siebziger Jahre bis 1983 bei 1- 4 Paaren lag, schnellte er im ersten Jahr nach dem Überstau auf 14 BP und 1986 auf max.20 BP. Es handelt sich um die höchste Siedlungsdichte dieser Limikole im Main-Kinzig-Kreis. Die Anzahl der Bekassinenbrutpaare stabilisierte sich bei 4 Paaren.

Arten-und Individuenzahl von Enten und Limikolen stiegen sofort nach dem Überstau sprung- haft an. Dies betrifft u. a. Bekassine, Großer Brachvogel, Uferschnepfe und Waldwasserläufer. Die Tagesmaxima bei der Schnatterente stiegen auf ca. 30 Paare, bei der Krickente auf ca. 60 Paare und bei der Knäkente auf ca. 30 Paare! Die Zahlen sind auch aus gesamthessischer Sicht von hoher Bedeutung. 1986 brütete wahrscheinlich der Drosselrohrsänger im Gebiet! Die Zahl rastender Graureiher stieg auf 40 Ex. Drei Arten konnten aufgrund des Überstaues neu im NSG nachgewiesen werden. Diese hervorragende gesteigerte Bedeutung des Ge- bietes ergibt sich aus der Tatsache, daß ca. 15 ha mit unterschiedlichen Wassertiefen von 0- 30 cm überstaut sind.Auf diese Weise ergeben sich unterschiedliche ökologische Nischen für eine Reihe fast ausschließlich bedrohter Amphibien- und Vogelarten.

Als Ergebnis des Vorgesagten muß deutlich festgehalten werden, daß ein max. Anstau der Kernzone während des ganzen Jahres gehalten werden muß (Stauhöhe 112,9 m ü. NN).

6. Nutzungen im NSG und deren Auswirkungen auf das Schutzgebiet

Außerhalb der Verwallung ist die Nutzung der Grünlandbereiche durch die Landwirtschaft leider zu intensiv. Sie werden als gedüngte Mähwiesen genutzt, die bis zu dreimal im Jahr gemäht werden.Die Auswirkungen auf derart genutzte Wiesen selbst, sowie auf die Schmetter- lings- und Amphibienarten sind hinlänglich bekannt.Der kleine Acker im Westen des NSG wird mit Pestiziden behandelt, die durch Windverdriftung auch auf die Wiesen gelangen. Die Anwendung von Pestiziden ist in jedem NSG äußerst unerwünscht und auch im NSG „Röhrig von Rodenbach" nach §3, Absatz 2, der Verordnung verboten. Das Bestehen des Ackers ist aus diesem Grund im NSG unerwünscht.

Das Gebiet wird auf den es umgebenden Wegen durch Spaziergänger zur stillen Erholung genutzt. Ein Teil der Spaziergänger führt Hunde mit, die zum Teil entgegen der NSG-Verord- nung nicht angeleint sind.

Die westlich des NSG gelegenen Wiesen werden hauptsächlich im Sommer von Personen benutzt, die hier ihre Modellflugzeuge fliegen lassen. Hierbei kommt es auch zu „Luftraumver- letzungen" über dem NSG.

Die Jagd ist nach der bestehenden Verordnung noch erlaubt; im neuen Jagdpachtvertrag wurde jedoch festgelegt, daß sich die Jagdausübung gemäß dem zu erstellenden Pflegeplan des NSG auszurichten habe. 82 7. Weitere Zielsetzungen für das NSG

Wichtigste Punkte hierzu sind Änderungen in der landwirtschaftlichen Bodennutzung, Maßnahmen zur Verbesserung des Wasserhaushaltes, die Befriedung des NSG (geringere Störungen durch Spaziergänger etc.) sowie eine Erweiterung des NSG um angrenzende wert- volle Flächen. Einer der wichtigsten Faktoren im NSG ist der Wa sse r h a u s h a lt. Um aus biologischer Sicht optimale Wasserstandsverhältnisse auch außerhalb der Kernzone zu erhalten, müssen folgende Maßnahmen durchgeführt werden: Die beiden das NSG nach Westen verlassenden Gräben sollen auf eine Höhe von 112,5 m über NN eingestaut werden. Beide Bauvorrichtungen sollten in Betonbauweise mit variablen Staumöglichkeiten (Bretter) erbaut sein. Gegen unbefugten Zugriff muß das Stauwehr abschließbar sein. Durch diesen Stau wird eine kleine Fläche einer Parzelle am Westrand des NSG 3 cm hoch überstaut, daher soll diese Parzelle in Eigentum der öffentlichen Hand übergeführt werden. Das umliegende Gelände steigt nahe der Gräben schon auf 112,75 über NN an, so daß eine Beeinträchtigung der landwirtschaftlichen Nutzung nicht eintreten wird. Erreicht wird aber, besonders im nörd- lichen der beiden Gräben, ein ständiger ausreichender Wasserstand, der besonders in trockenen Jahren wichtiges Rückzugsareal für Tierarten darstellen würde. Die Kernzone muß ganzjährig 112,9 m über NN eingestaut bleiben. Als problematisch ist auch die gegenwärtige landwirtschaftliche Nutzung zu beur- teilen. Im Westen des NSG befindet sich eine Ackerfläche; diese Bewirtschftungsform soll aus dem NSG herausgenommen und die Fläche in Wiese umgewandelt werden. Nach der derzeit gültigen Verordnung ist im Norden des NSG der Umbruch von Wiesenflächen gestattet; dies sollte mit einer Novellierung der Verordnung gestrichen werden, da es dem Schutzziel stark zuwider läuft. Außerdem muß die Nutzung der Wiesen auf eine zweimalige Mahd beschränkt werden. Da es sich bei dem NSG um ein kleinflächiges Schutzgebiet handelt, soll, ebenfalls bei einer Novellierung der Verordnung, das Betreten des NSG auch auf den Wegen verboten werden (ausgenommen westlicher und südlicher „Grenzweg" nördlich der Bahn). Ausgenommen bliebe natürlich die ordnungsgemäße landwirtschaftliche Nutzung. Weitergehend muß die Jagd im NSG verboten werden; die Störfaktoren in diesem relativ kleinflächigen Schutz- gebiet sind zu groß. Die entsprechende Rechtsgrundlage ist im Jagdpachtvertrag bereits enthalten. Eine Novellierung der Verordnung ist also dringend von Nöten. Das NSG stellt nur einen kleinen Teil der in der Gemarkung Niederrodenbach liegenden wert- vollen Kinzigaue dar. Angrenzende Teile der Landschaft sind ebenfalls wertvolle Lebens- räume.Als wertvolles und schützenswertes Gebiet ist die im Osten (nördlich der Bahn) an das NSG angrenzende ehemalige Kiesgrube anzusehen. Die Schutzgründe sind hauptsächlich ornithologisch begründet; jedoch ist die ehemalige Kiesgrube auch aus anderen zoolo- gischen und botanischen Gründen schutzwürdig. Erwähnt werden soll hier die Wertigkeit als Rastplatz für wassergebunde Vogelarten. Die Rastkapazität beträgt bis ca. 500 Wasservögel in verschiedenen Arten. Auch Gänse rasteten hier schon. Wichtig ist weiterhin das Brut- vorkommen des Haubentauchers und das Vorkommen von Moostierchen (Bryozoa). Außer- dem ist der Bereich durch das Vorkommen von Wasserpflanzen wie See- und Teichrosen, Tausendblatt, Zartem Hornblatt u. a. Arten interessant. Die angrenzenden Wiesengebiete nördlich und westlich des NSG sind von gleich hoher Wertigkeit wie die Wiesen im Schutzgebiet. Hier kommen die gleichen schutzwürdigen Pflan- zengesellschaften, Lurch- und Vogelarten vor. Erwähnt werden soll auch, daß das heute bestehende NSG größer geplant war und lediglich wegen landwirtschaftlicher Interessen kleiner ausgewiesen wurde.ln diesen Wiesen befinden 83 - Erweiterungsfläche 61

Abb. 6: Erweiterungsflächen für das NSG „Röhrig von Rodenbach". Ausschnitt aus der Top. Karte 1 : 25 000 „Langenselbold"

84 sich, wie im NSG selbst, zum Teil sehr nasse Areale und alte Kinzigarme; desweiteren ein Amphibienteich. Aus vorgenannten Gründen soll das NSG erweitert werden,auch um ein lang- fristiges Überleben des heute zu klein gehaltenen Schutzgebietes zu gewährleisten. Hierbei würde sich das Anschließen an das nördlich liegende NSG „Kinzigaue von Langenselbold" sehr anbieten. Auf diese Weise kann ein nicht unerheblicher Teil der stark beanspruchten Kinzigaue gesichert und erhalten werden. Die im NSG befindlichen Kinzigaltarme sind vor der Ausweisung teilweise verfüllt worden. Die Altarme (Abb. 7: Luftbild) sollten in Eigentum der öffentlichen Hand überführt werden und wieder ca. 30 cm tief ausgebaggert werden.

Abb. 7: Kinzigaltarme im NSG „Röhrig von Rodenbach". Umrandete und nachgezeichnete Bereiche in der NW-Ecke des NSG. Luftbild 5820 Langenselbold 4. Freigegeben durch den Regierungspräsidenten in Darmstadt unter HLVA-522/81. 85 Abb. 8: Durch Kinzighochwasser gefüllter Kinzigaltarm in den Wiesenbereichen des NSG „Röhricht von Rodenbach". Restwasser nach Ablaufen das die gesamten Wiesen ca. 40 cm hoch überschwemmenden Wassers.

8. Zusammenfassung

Ein ca. 48,2 ha großes NSG im unteren Kinzigtal (Main-Kinzig-Kreis) wird beschrieben. Geschildert werden rechtliche Grundlagen, die abiotischen Faktoren Klima, Geologie, Boden und Wasser sowie die biotischen Faktoren der Flora und Fauna. Schmetterlinge und Wirbel- tiere werden ausführlich behandelt. Im Schutzgebiet leben neun Schmetterlingsarten der Roten Liste, darunter vier Tagfalter- und fünf Nachtfalterarten. 13 Fischarten wurden in die ehemalige Kiesgrube eingesetzt, darunter zehn Arten der Roten Liste Hessens.

Im Gebiet leben acht Amphibienarten (alle auf der „Roten Liste" Hessens) sowie möglicher- weise die Europäische Sumpfschildkröte, eine der am stärksten bedrohten Reptilienarten Mitteleuropas. Die Avifauna besteht aus 131 Arten, darunter 60 Arten der Roten Liste Hessens. 16 Säugetierarten konnten bisher nachgewiesen werden.

Ein Vergleich des Zustandes und der Wertigkeit vor und nach einer Überstauungsmaßnahme wird vorgenommen. Eine positive Wirkung auf alle Glieder der Flora und Fauna kann nach- gewiesen werden. Die Nutzungen im NSG und deren Auswirkungen auf das Schutzgebiet werden beschrieben sowie weitere Zielsetzungen für das NSG erläutert und ein Erweiterungs- vorschlag unterbreitet. Wichtige Zielvorstellungen sind eine weiter Stabilisierung des Wasser- haushaltes auch außerhalb der Kernzone, ein ganzjähriger Einstau der Kernzone (bei 112,9 m über NN), eine schonendere landwirtschaftliche Bewirtschaftung, die Einstellung der Jagd sowie ein ganzjähriges Betretungsverbot auch auf den Wegen. 86 9. Danksagung

Für die Untersuchungen von Boden und Flora im Jahre 1981 danke ich Herrn OTTO, Frankfurt am Main. Für die Untersuchungen zur Schmetterlingsfauna danke ich den Herren KLEIN E- RÜSCH KAMP, Rodenbach, SCH ROTH, Hainburg und ZELL, Rodenbach; für die Überlassung von Daten zu den Amphibien den Herren BRATIN und HARMS, beide Rodenbach. Für die Überlassung von Daten zur Avifauna danke ich den Herren GUX(t), Rodenbach, HALT N, Hanau; KEIM, KÖN ITZER, NOLL, OTT, Herrn und Frau RAAB, alle Rodenbach, den Herren SCH ROTH, SIEBERT, Bruchköbel und SIMON, Rodenbach. Für Hinweise zum Vorkommen von Säuge- tieren bin ich Herren SCHREIBER, Rodenbach, zu Dank verpflichtet. Herrn RAAB danke ich darüberhinaus für viele Hinweise und Anregungen verschiedenster Art. Dem Amt für Landwirt- schaft und Landentwicklung Hanau danke ich für die Übermittlung der Kostenrechnung.

10. Literatur

BERG-SCHLOSSER, G. (1968): Die Vögel Hessens - Ergänzungsband - Frankfurt am Main. BRUN N, B. et al. (1982): Der Kosmos-Vogelführer. Stuttgart. Deutscher Wetterdienst Offenbach (1981): Das Klima von Hessen. Wiesbaden.

ELLENBERG, H. (1978): Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen. Stuttgart. GEBHARDT, L.& W. SUNKEL (1954): Die Vögel Hessens. Frankfurt am Main.

Hanauer Geschichtsverein (Herausgeber; 1954): Hanau - Stadt und Land. Hanau.

HARMS, J. (1981): Amphibien in und um Rodenbach. Unveröffentlicht.

Hessische Forsteinrichtungsanstalt (1977): Flächenschutzkarte Hessen L 5920 ALZ i. Ufr. 2. Auflage Gießen. Hessische Landesanstalt für Umwelt (1979): Rote Liste Farn- und Blütenpflanzen Hessen. Wiesbaden. Hessische Landesanstalt für Umwelt (1980): Rote Liste Wirbeltiere Hessen. Wiesbaden.

Ingenieurbüro A. HOFFMANN (1982): Gutachten zur Bewässerung des NSG „Röhrig von Rodenbach". Wiesbaden.

KLEIN, W. (1969): Zur Vogelwelt des Kinzigtales (Hessen) und seines Einzugsgebietes Luscinia 40: 185 -191. KLEIN, W. (1971): Zur Vogelwelt des Kinzigtales (Hessen) und seines Einzugsgebietes Luscinia 41: 169-177.

KOSCH, A. (1972): Welcher Baum ist das? Stuttgart.

KÜKENTHAL, W. et al. (1971): Leitfaden für das Zoologische Praktikum. Stuttgart. LOBIN, W. (1978) in HILLESHEIM-KIMMEL, U. et al: Die Naturschutzgebiete in Hessen 2. Auflage; Institut für Naturschutz Darmstadt, Schriftenreihe XI, 3: 180 -183.

MALENDE, B. (1961): Naturschutz und Pflanzenwelt im Landkreis Hanau. Jber. Wetterau 113.-114. Jahrg. S. 89. 87 OHL, C. (1979): Erarbeitung eine Pflegeplanes für das NSG „Röhrig von Rodenbach", Main- Kinzig-Kreis. Unveröffentlichte Diplomarbeit. Rodenbach.

OTTO, A. (1982): Pflanzensoziologisches Gutachten. Unveröffentlicht. Frankfurt am Main.

ROSSBACH, R. (1974): Der Bestand des Graureihers 1971 bis 1974 in Hessen. Luscinia 42: 133 —134.

SCHMEIL-FITSCHEN (1973): Flora von Deutschland. Heidelberg.

SPEIDEL, B. (1976): Planzensoziologisches Gutachten. Unveröffentlicht. Bad Hersfeld.

Anschrift des Verfassers: HANS-JOACHIM KRIEG, Roßdorfer Straße 5, 6454 Bruchköbel

88 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen • Vogel und Umwelt 4: 89-97 (1986)

Die Populationsentwicklung und die derzeitige Situation der Saat- krähe (Corvus frugilegus) in Hessen von FRANK NÜRNBERGER, Gießen

1. Einleitung Die Saatkrähe wurde vom Deutschen Bund für Vogelschutz zum „Vogel des Jahres 1986" gewählt. Die Grundlage dieser Entscheidung dürfte unter anderem darin bestanden haben, daß diese Spezies unter den bedrohten Vogelarten der „Roten Liste" wohl den stärksten relativen Rückgang in der Populationsdichte hinzunehmen hatte. Während die meisten der gegenwärtig bedrohten Vogelspezies in Hessen nie besonders zahlreich auftraten, so wies gerade die Saatkrähe in fast allen Gebieten dieses Bundeslandes noch zum Ende des 19. Jahrhunderts sehr hohe Individuenzahlen auf. Der extreme Verfall der hessischen Saat- krähenbestände wurde von verschiedenen Autoren ausführlich dokumentiert (SU N KEL1926, GEBHARDT & SUNKEL 1954, PFEIFER & KEI L 1956), jedoch fehlt seit der Zusammenfassung durch BERG-SCHLOSSER (1968) eine summarische Darstellung neuerer Entwicklungs- tendenzen. Durch menschliche Einflüsse wurden die Saatkrähen aus ihren ursprünglich über das gesamte Land verteilten Verbreitungsarealen auf wenige Rückzugsgebiete in Süd- und West- hessen zurückgedrängt. Diese Gebiete dürften mit Sicherheit eine Vielzahl von Ansprüchen an einen optimalen Lebensraum erfüllen. Saatkrähen benötigen generell offenes Gelände mit Acker- und Grünlandflächen, auf denen sich günstige Nahrungsquellen bieten. Daneben werden angrenzende Baumbestände als Schlaf platz und Neststandort benötigt. Derartige Gebiete werden besonders bevorzugt, wenn sie sich in den weiten Ebenen der Flußtäler befinden; Hochlagen werden hingegen gemieden. Alle angesprochenen Standortbedingungen sind für die verbliebenen hessischen Saat- krähenkolonien erfüllt (siehe Tabelle 1). Selbst die Bäume, auf denen die Nester errichtet wurden, gehören Arten an, die von Saatkrähen überdurchschnittlich bevorzugt werden: zu 60 0/0 werden Platanen genutzt, während Pappeln einen Anteil von 20 0/0 und Birken, Erlen, Eschen und Kiefern einen Anteil von je ca.5 0/0 an der Artenzusammensetzung der Brutbäume besitzen. Als Kuriosum wurde für das Bundesland Hessen selbst eine Gebäudebrut beschrieben (MELCHIOR 1955). Wie am Beispiel der noch bestehenden Kolonien leicht gezeigt werden kann, meidet die Saatkrähe nicht die menschlichen Siedlungen. Von 24 Kolonien, die während der vergangenen 15 Jahre beobachtet wurden, befanden sich elf in unmittelbarer Ortslage, neun im Randbereich von Ortschaften und vier abseits von Bebauungsflächen.Weiterführende Angaben zur allgemeinen Biologie der Saatkrähe können der monographischen Abhandlung von RUGE (1986) entnommen werden.

2. Bestandsentwicklung bis 1985 Die Bestandsentwicklung der hessischen Saatkrähenpopulation während der letzten (ca.) 15 Jahre wird unter einem generellen, landesweiten Aspekt sowie unter dem Aspekt von Fluk- tuationen innerhalb einzelner Kolonien und zwischen verschiedenen Kolonien betrachtet: PFEIFER und KEIL (1956) gingen Mitte der fünfzigerJahre noch von 400 bis 470 Brutpaaren für das Land Hessen aus, die in 14 verschiedenen Kolonien brüteten. Ähnliche Angaben wurden 89 von BERG-SCHLOSSER (1968) bestätigt. Aufgrund von Unwissen und Ignoranz hielt die Verfolgung und Dezimierung der Saatkrähe bis in die Gegenwart an. Die erste Brutbestands- aufnahme, die 1976 im Rahmen des Schwerpunktprogramms der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON) durchgeführt wurde, erbrachte noch ca.180 Brutpaare für das gesamte Land. Die zweite Erhebung im Jahre 1979 ergab nur noch ca.160 Brutpaare, und 1980 folgte mit nur ca.125 Brutpaaren ein absoluter Tiefstand in der Individuenzahl. Erst seit dem Beginn des laufenden Jahrzehnts scheint der stete Rückgang der Saatkrähenpopu- lation gestoppt und ihre Zahl wieder im Steigen begriffen zu sein. Bis zum Jahre 1984 erholte sich der Bestand auf etwa 310 Brutpaare, fiel jedoch im darauffolgenden Jahr 1985 wieder auf ca. 260 Paare ab. In der Tabelle 2 sind alle Daten zur Bestandsentwicklung über die Periode 1976 bis 1985 im Dreijahreszyklus zusammengefaßt.

Neben der Tendenz einer generellen Erholung des Brutbestandes weist auch die Entwicklung der Koloniegröße in positive Richtung. Im Jahre 1985 errechnete sich eine mittlere Kolonien- größe von 25 Brutpaaren, und die Vielzahl von Kleinkolonien,die noch 1976 bestanden, hat sich zugunsten von stärkeren Brutgemeinschaften aufgelöst.

Die von BEHRENS et al. (1985) vorgestellten Verbreitungsangaben der Saatkrähe für das Bundesland Hessen bedürfen bereits einer Revision. Eine aktualisierte Rasterkarte der Koloniestandorte ist in Abbildung 2 dargestellt.

Obwohl Saatkrähen im Hinblick auf ihre Nistplätze ausgesprochen ortstreu sind, lassen sich spontane und - leider wesentlich häufiger - durch menschliche Störungen hervorgerufene Fluktuationen bei der Wahl des Koloniestandortes beobachten. PETER und Mitarbeiter haben solche Fluktuationen über viele Jahre im Gebiet von Gelnhausen beobachtet, und im folgenden sollen diese Daten ausführlich dokumentiert werden: Im Stadtgebiet von Geln- hausen bestanden über eine Vielzahl von Jahren je eine Kolonie in der Barbarossa-Burg (siehe Abb. 1 a) und auf dem Judenfriedhof. Daneben existierte bis 1980 eine Brutgemeinschaft in einem Kiefernwäldchen in der Gemarkung des benachbarten Niedermittlau. Nach 1980 schlossen sich die Saatkrähen der Kiefernwald-Kolonie offenbar der Gelnhäuser Population an. Von den größeren Kolonien auf dem Judenfriedhof und dem Burggelände sonderten sich im Frühjahr 1980 acht Saatkrähen ab und belegten einen neuen Standort in Platanen am Kino. Diese Kolonie wuchs bis zum Jahre 1982 auf 14 Paare an, doch sogenannte „Baumpflegemaß- nahmen" zerstörten diesen Brutplatz noch im gleichen Frühjahr, nachdem die Vögel bereits mit dem Nestbau begonnen hatten. Die Saatkrähen übersiedelten zum Krankenhauspark, wo schließlich doch noch 13 erfolgreiche Bruten durchgeführt werden konnten. Aufgrund gezielter Ansiedlungsstörungen im Frühjahr1983 wanderten die Individuen der Krankenhaus- Kolonie offenbar in den Meerholzer Erlenbruch ab und formierten dort eine neue Brutgemein- schaft. Diese zeigte zunächst eine ausgesprochen positive Entwicklungstendenz (über 60 Brutpaare im Jahre 1984), jedoch begann eine gezielte Abwanderung zum gegenwärtig jüngsten Standort „Pappelallee am Panzergraben" in der gleichen Gemarkung. Hier konnten 1984 neun,1985 bereits 22 Brutpaare gezählt werden. In Gelnhausen selbst ist die Kolonie auf dem Judenfriedhof in Abnahme begriffen, wogegen die Bestände auf dem Gelände der Burg und an der Kreissparkasse weitgehend konstant sind.

Ähnliche Verschiebungen lassen sich über das Vorkommen in Limburg und in Wiesbaden- Eltville vermuten. Bei Wiesbaden siedelten z. B. sporadisch einige Saatkrähenpaare im Dyckerhoff-Steinbruch, wo sie jedoch auf vielfältige Weise - besonders durch Jagd - gestört wurden. Im Jahre 1981 formierte sich eine neue Kolonie in der Rettbergsaue und 1984 eine zweite im Schloßpark. Bereits 1985 waren beide Standorte wieder verwaist. Die Wiesbadener Saatkrähen sind offenbar später nach Eltville abgewandert, wo sie sich den seit 1983 90 Abb. 1 : Brutplätze der Saatkrähe in Hessen. 1 a: Saatkrähenkolonie auf einer Platane im Bereich' der Barbarossaburg, Geln- hausen. 1 b: Saatkrähen an ihren Nestern in der Kolonie zwischen Rheinufer und Bundes- straße 42 östlich von Eltville.

bestehenden Brutgemeinschaften anschlossen (Abb. 1 b). Diese Kolonien, die 1984 aus 35, ein Jahr später aus 57 und im laufenden Jahre (1986) bereits aus ca. 97Brutpaaren bestanden, dürften auch Zuzug aus Rheinhessen erhalten.

Aus diesen vorgestellten Befunden zur Bestandsentwicklung der Saatkrähe lassen sich die folgenden Erkenntnisse zusammenfassen: Saatkrähen sind relativ ortstreu und versuchen auch nach Beeinträchtigungen, die von Ansiedlungs- und Brutstörungen bis zu Vernichtungs- aktionen reichen, Neustandorte in der Nähe aufzusuchen oder sich anderen bestehenden Kolonien anzuschließen. Natürlicherweise werden Abwanderungen aus bestehenden Kolo- nien dann beobachtet, wenn die Individuenzahl der Brutgemeinschaft zu groß und damit die Anzahl der potentiellen Neststandorte zu gering wird. Landesweit läßt sich die Erholung des hessischen Brutbestandes auf verbesserte Schutzmaßnahmen, auf umfassendere Sensibili- sierung der Bevölkerung gegenüber der Naturschutzproblematik und nicht zuletzt auf das Verbot der Quecksilberbeize von Saatgut und geringere Anwendung von Pflanzenschutz- mitteln zurückführen. 91 Tabelle 1: Auflistung aller Saatkrähenkolonien, die während der Jahre von 1975 bis 1985 bestanden.

Land-/Stadt-Kreis Koloniestandort Koloniehabitat Art des Nestbaumes Nutzungszeitraum

Frankfurt Farbwerke Hoechst Ortslage Platane, Pappel durchgehend Höchst, Hostato-Schule Ortslage Platane bis 1975 Höchst, Evangelische Kirche Ortslage Pappel bis 1975

Main-Kinzig Gelnhausen, Judenfriedhof Ortsrand Esche durchgehend Gelnhausen, Barbarossaburg Ortsrand Platane, Kiefer durchgehend Gelnhausen, Kreissparkasse Ortsrand Erle seit 1979 Gelnhausen, Kreiswerke Ortsrand Platane bis 1980 Gelnhausen, Kino Ortslage Platane 1980 —1982 Gelnhausen, Krankenhaus Ortslage Birke 1982 Niedermittlau, Kiefernwald Wald, Feldflur Kiefer bis 1980 Meerholz, Schloßpark Ortsrand Platane bis 1975,1984 Meerholz, Pappelallee Feldflur Pappel seit 1984 Meerholz, Erlenbruch Feldflur Pappel seit 1983

Bergstraße Lampertheim- Rosengarten Feldflur Pappel bis 1983

Wiesbaden Wiesbaden, Schloßpark Ortslage Platane 1984 Wiesbaden, Rettbergsaue Ortsrand Platane 1981-1984 Dyckerhoff-Steinbruch Ortsrand/Ruderal Pappel bis 1981, sporadisch

Rheingau-Taunus Eltville, östl. Ortsrand, B 42 Ortsrand Platane, Ulme, Buche seit 1983 Eltville, Krankenhaus Ortsrand Platane seit 1983 Eltville, Parkplatz Ortslage Platane seit 1985 Eltville, Langwerth v. Simmern Ortslage Platane seit 1986

Limburg-Weilburg Limburg, Lahninsel Ortsrand Kastanie durchgehend Limburg, Bahnhof Ortslage Platane bis 1977 Limburg, Innenstadt Ortslage Platane durchgehend

92 Tabelle 2: Brutbestände der Saatkrähen in hessischen Kolonien. Synopse der im dreijäh- rigen Turnus beginnend im Jahr 1976 erhobenen Brutpaarzahlen,Angaben wurden besonders von EIDAM, MALLACH, PETER, STAHL, THIENHAUS und WAGNER zur Verfügung gestellt.

Land-/Stadt-Kreis Koloniestandort Anzahl der Brutpaare 1976 1979 1982 1985

25 (?) Frankfurt Farbwerke Hoechst 14 22 20 (?)

12 Main-Kinzig Gelnhausen, Judenfriedhof 2 35 28 Gelnhausen, Barbarossaburg 16 37 28 38 Gelnhausen, Kreissparkasse - 1 19 15 Gelnhausen, Kreiswerke 5 - - Gelnhausen, Krankenhaus - - 13 Niedermittlau, Kiefernwald 33 - Meerholz, Schloßpark 2 - Meerholz, Pappelallee - - 53 Meerholz, Erlenbruch - 22

Bergstraße Lampertheim-Rosengarten 28 30 10

Wiesbaden Wiesbaden, Rettbergsaue - - 15 Dyckerhoff-Steinbruch (?) (?)

40 Rheingau-Taunus Eltville, östl. Ortsrand, B 42 - - Eltville, Krankenhaus - - - 12 Eltville, Parkplatz - - 5

30 (?) Limburg-Weilburg Limburg, Lahninsel 35 38 36 Limburg, Bahnhof 35 - Limburg, Innenstadt 8 13 24 15 267 Gesamtzahl der Brutpaare 178 176 193 24+/-14 Mittlere Größe der Kolonien 18+/-13 23+/-15 24+/-8

93 SAATKRÄHE (Corvus frugilegus) 21 23 24 25 26 27 42 28 Brutverbreitung

4411

45 45

46 46

47 47 48

49 51' 50

51

52

53

54

55

50° 60

61

62

6322 23 1 24 25 j 26 27 6328

unter 100 m 65 über 100 m - 200 m 10 66 km über 200 m - 400 m 6711 12 13 14 15 über 400 m 9 Höhen über NN Abb. 2: Brutvorkommen der Saatkrähe in Hessen. Aktualisierte Fassung der Verbreitungs- karte auf der Basis von 1/4 Meßtischblatt. 94 3. Situation des Winterbestandes Die Saatkrähen der hessischen Kolonien verweilen auch außerhalb der Brutzeit vorwiegend im mitteldeutschen Raum. Die Brutplätze werden jedoch im allgemeinen unmittelbar nach der Brutzeit verlassen und nicht als Schlafplatz genutzt. Während der Wintermonate gesellen sich zu den heimischen Individuen Gäste aus den europäischen Teilen Rußlands, um hier den Winter zu verbringen. Auf dem Weg in die Überwinterungsgebiete, die sich von Nordfrankreich bis Großbritannien erstrecken, überfliegen weitere große Saatkrähenschwärme aus Westruß- land und Ostpolen Hessen; häufig verweilen sie hier für kürzere Zeiträume. Detaillierte Angaben zur Herkunft und zu den Zugstrecken der in Mitteldeutschland beobachteten Wintergäste wurden von VEH (1981) zusammengefaßt. Die Vielzahl der gemeldeten Daten zu Winterbeobachtungen der Saatkrähe lassen für das hessische Gebiet je einen Zuggipfel während der dritten Oktoberdekade und während der zweiten Märzdekade erkennen. Sowohl die Gesamtzahl der beobachteten Saatkrähen (summiert über alle Beobachtungsjahre) als auch die Individuenzahl je beobachtetem Trupp überragen während dieser beiden Perioden deutlich die entsprechenden Anzahlen, die während aller anderen Phasen der Zugzeit festgestellt wurden (siehe hierzu Abb. 3 a und 3 b). Obwohl die durchschnittliche Truppgröße normalerweise weit unter 1000 Exemplaren liegt, konnten hin und wieder Saatkrähenschwärme beobachtet werden, die diese Zahl weit übertrafen: 5000 Ex. am 26.03.1969 bei Schröck, Marburg (KLIEBE) 3000 Ex. am 20.10.1977 bei Schwebda, Eschwege (SAUER) 3000 Ex. am 01.03.1982 bei Trendelburg, Kassel (STEPHAN) 2500 Ex. am 25.03.1969 bei Schröck, Marburg (KLIEBE) 1500 Ex. am 16.12.1971 bei Dieburg (HEIMER und KORZER) Den Abbildungen 3 a und 3 b läßt sich weiterhin ein ausgesprochen abruptes Einsetzen des Herbstzuges und ein entsprechend plötzlicher Abbruch der Frühjahrszugaktivität entnehmen. Bei den kleinen Trupps, die in geringer Anzahl vor dem Einsetzen oder nach dem Ende des Zuggeschehens beobachtet wurden, handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um umherstreifende Saatkrähen der Brutpopulation aus Hessen oder der angrenzenden Gebiete. Hinsichtlich des Zuggeschehens bestehen zwischen den verschiedenen Landesteilen keine signifikanten Unterschiede. Der Saatkrähenzug setzt offenbar sehr breitflächig ein, sodaß keine Differenzierung zwischen - beispielsweise - nördlichen und südlichen Landesteilen besteht. Ohne signifikante Unterschiede sind auch diä Schlafgemeinschaften der Saatkrähe über das gesamte Land verteilt. Derartige Schlafplätze werden zumeist über vieleJahre aufgesucht und weisen eine starke räumliche Konstanz auf. Lokale Verschiebungen umfassen oft nur wenige 100 Meter (LUCAN 1978, MALLACH). Die Individuenzahlen dieser Gemeinschaften reichen von weniger als 100 Exemplaren bis weit über 5000 (PFEIFER 1979) oder gar 15000 Exemplaren (MALLACH). Der Zuzug zum Schlafplatz findet normalerweise nicht individuell, sondern in größeren Schwärmen statt, die sich auf sogenannten Vorsammelplätzen formieren. Die zum Teil starken Schwankungen der Individuenzahl von Schlafgemeinschaften lassen sich nicht oder nur mit erheblichen Einschränkungen mit dem Zugverhalten in Einklang bringen (LUCAN et al. 1974). Aus den zur Verfügung stehenden Daten ist es ausgesprochen schwierig, Entwicklungsten- denzen im Winterbestand der Saatkrähe sowie in der Anzahl der durchziehenden Individuen zu erkennen. Im Durchschnitt ist die Zahl der Saatkrähen in den Schlafgemeinschaften relativ konstant, und eine generelle Zu- bzw. Abnahme der Anzahl von durchziehenden Exemplaren konnte nicht verzeichnet werden. 95 Anzahl 1000

30-

20-

10—

n n Sept 1 Okt Nov Dez Jar. Feb März I Apr. I Na,

llruppgroße 100

5-

4-

3-

2-

n n Sept. l Okt Nov.1 Dez. 1 Ja 1 Feb.März Apr I Nkr I

Abb.3: Histographische Zusammenfassung der Winterbeobachtungen von Saatkrähen in Hessen. 3 a: Summe aller während des gesamten Beobachtungszeitraumes gemel- deten Saatkrähenexemplare dargestellt in Abhängigkeit von 10-Tage-Intervallen (Dekaden). 3 b: Mittlere Individuenzahl der je Dekade beobachteten Saatkrähenschwärme. Aufgrund von extremen Größenunterschieden der Schwärme während einzelner Dekaden ist die statistische Auswertung nur ungenügend, und Standardabweich- ungen sowie Signifikanzniveaus sind nicht eingetragen. Schlafgemeinschaften wurden ebenfalls nicht berücksichtigt.

96 4. Zusammenfassung

In der vorliegenden Arbeit wurden die Daten zur Bestandsentwicklung der Saatkrähe in Hessen über den Zeitraum von 1975 bis 1985 zusammengefaßt. Saatkrähenkolonien bestehen noch in vier Gebieten Hessens (Eltville, Frankfurt-Höchst, Gelnhausen, Limburg); ihre stets sinkende Individuenzahl erreichte 1980 ein Minimum von 125 Brutpaaren, konnte sich seit 1981 aber erfreulicherweise wieder auf etwas über 300 Brutpaare erholen. In der Anzahl derWinter- gäste und Durchzügler kam es zu keinen überdurchschnittlichen Einbrüchen während der letzten 15 bis 20 Jahre; im Mittel blieben diese Zahlen relativ konstant. Die Zuggipfel konnten für die dritte Oktoberdekade und die zweite Märzdekade ermittelt werden.

5. Literatur BEHRENS, H., K. FIEDLER, H. KLAMBERG & K. MÖBUS: Verzeichnis der Vögel Hessens. Frankfurt am Main 1985; S. 97,158.

BERG-SCHLOSSER, G.: Die Vögel Hessens. W. Kramer, Frankfurt am Main 1968; S.229 - 232. GEBHARDT, L. & W. SUNKEL: Die Vögel Hessens. W. Kramer, Frankfurt am Main 1954; S. 115 -118.

WCAN,V. (1978): Kurze vogelkundliche Mitteilungen aus dem KasselerRaum von 1976 bis 1977. Vogelkundliche Mitteilungen aus dem Kasseler Raum 2: 81.

LUCAN,V, L. NITSCHE & G. SCHUMANN: Vogelwelt des Land- und Stadtkreises Kassel. Selbstverlag, Grebenstein 1974; S. 232 - 233.

MELCHIOR, G. (1955): Saatkrähe (Corvus frugilegus) als Kirchturmbrüter. Ornithologische Mitteilungen 7: 173. PFEIFER, S.: Das Naturschutzgebiet Kühkopf-Knoblochsaue. Strohbach, Frankfurt am Main 1979.

PFEIFER, S. & W. KEIL (1956): Die Brutpaardichte der Saatkrähe in Westdeutschland. Nachrichtenblatt des deutschen Pflanzenschutzdienstes 8: 129 -131.

RUGE, K.: Die Saatkrähe. Franck, Stuttgart 1986. SUNKEL,W.: Die Vogelwelt Hessens. - Wohngebiete und Verbreitung der hessischen Vögel. Eschwege 1926; 5.130 -131.

VEH, M. (1981): Überwinternde Saatkrähen (Corvus frugilegus) in Norbaden. Konflikt zwischen Naturschutz und Landwirtschaft und Vorschläge zu einer Lösung. Dissertation, Heidel- berg.

Anschrift des Verfassers: Dr. FRANK NÜRNBERGER, Institut für Anatomie und Zytobiologie, Aulweg 123, 6300 Gießen

97 Neue Literatur

HENDEL, H. (1986): Wasser im Garten - Von der Vogeltränke zum Naturteich. Natürliche Lebensräume selbst gestalten. Band 4230, 244 Seiten, 247 Farbfotos, 79 Zeichnungen. Falken Verlag, Niedernhausen/Taunus. Wasser verzaubert den Garten! Immer mehr Gartenfreunde wollen einen Teich anlegen, weil darin eine ganze Welt wächst und gedeiht. Da gilt es, Standort, Größe und Bauweise zu bedenken, sich über Flora und Fauna Gedanken zu machen. Das Buch „Wasserirr Garten"gibt umfassend auf alle Fragen Antwort: Welche Arten von Gartenteichen es gibt, wie man einen Fertigteich fachgerecht eingräbt und was bei der Anlage eines Folien- oder Betonteiches zu beachten ist. Besonders ausführlich werden die Möglichkeiten der Bepflanzung des Teiches und der gärtnerischen Gestaltung der Uferzonen mit Vorschlägen für die verschiedensten Lebensgemeinschaften in einem Teich behandelt. Die vorgestellten Pflegemaßnahmen beruhen alle auf praktischer Erfahrung und haben das Ziel,das biologische Gleichgewicht des Gewässers zu erhalten. Alle Arbeiten werden in übersichtlichen Zeichnungen, Fotos und Plänen verdeutlicht. K. FIEDLER

SCHULZE, A. (1986): Vogeltips für jedermann -Alles wichtige zu unsererVogelwelt.124 Seiten, 41 Farbfotos, 47 Zeichnungen. Mit Vogelstimmen - Kassette. - Ein BR-Buch und eine BR-Kassette im Ehrenwirth Verlag, München. MitVOG ELTI PS FÜR JEDERMANN gibt es jetzt erstmals ein Buch,das alle wichtigen Fragen zu unserer Vogelwelt verständlich und zuverlässig beantwortet. Über vier Jahre lang hat der Verfasser mehr als 1000 Anfragen aus der Bevölkerung ausgewertet, die in einer deutschen Millionenstadt an die dortige Kreisgruppe des Bundes für Vogelschutz gerichtet wurden. Auf dieser Grundlage entstand ein bemerkenswert vielseitiges Buch,das so populäre Themen wie Winterfütterung, gefiederte Findelkinder, Nistkästen (Bastelanleitungen und umfassende Informationen zu über 30 Vogelarten !),Vogelbeobachtungen und Vogelkunde ebenso behan- delt wie die Bereiche Katzen im Garten, naturnahe Gartenbepflanzung,Anlegen und Betreuen eines Teichs u.v. a. m.

Darüber hinaus bietet VOGELTIPS FÜR JEDERMANN aktuelle Hintergrundinformationen zur Naturschutz-Praxis: Auf 40 Seiten setzt es sich mit „Problemvögeln" wie Elstern, Krähen, Tauben, Möwen, Graureihern, Greifvögeln, Zugvögeln in Südeuropa u. a. auseinander und erläutert in einem gesonderten Kapitel Naturkreisläufe, Gefährdungsursachen, Schutzpro- gramme sowie in neuartiger Form die Bedeutung des Vogel- und Naturschutzes für den Menschen. Das Buch ist wahlweise mit einer 2 x 25 minütigen Tonkassette erhältlich, die in Zusammenar- beit mit dem Bayerischen Rundfunk entstand und auf der die Gesänge der 38 häufigsten einheimischen Vogelarten vorgestellt und ausführlich besprochen werden. Fürden Einstieg in die Vogelschutzpraxis, insbesondere fürJugendliche, kann diese handliche und didaktisch gut aufgebaute Broschüre sehr empfohlen werden. K. FIEDLER

98 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen • Vogel und Umwelt 4: 99-104 (1986)

Brutbestand 1986 und Nahrungsräume der Saatkrähe (Corvus frugilegus) in Hessen*) von ANTONIUS KOSTER, Wetzlar

1. Erfassung der Brutplätze und des Brutbestandes

Die vier hessischen Saatkrähenkolonien befinden sich in Gelnhausen/Meerholz (Main- Kinzig-Kreis), in Frankfurt am Main, in Eltville (Rheingau-Taunus-Kreis) und in Limburg (Kreis Limburg-Weilburg). Sie bestehen aus mehreren Teilkolonien, die im folgenden aufgeführt werden:

1.1 Kolonie in Gelnhausen/Meerholz Sie stellt mit insgesamt fünf Teilkolonien die größte Brutkolonie dar: Nr. 1 „Erlenbruch" mit sieben Brutpaaren auf Pappeln (Schlußerhebung am 21.5.1986; Erst- erhebung am 26.3.1986 ergab 8 Brutpaare). Nr. 2 „Panzergraben" mit 124 Brutpaaren auf Pappeln (Ersterhebung 79 Brutpaare). Nr. 3 „Judenfriedhof" mit 6 Brutpaaren auf Esche (Ersterhebung 11 Brutpaare). Nr. 4 „Kreissparkasse" mit 2 Brutpaaren auf Erle (Ersterhebung 11 Brutpaare). Nr. 5 „Barbarossaburg" mit 32 Brutpaaren auf Platane und Kiefer (Ersterhebung 24 Brutpaare).

1.2 Kolonie in Frankfurt am Main

In Frankfurt am Main existieren vier Teilkolonien: Nr. 1 „Südliches Mainufer" mit 18 Brutpaaren auf Pappeln (Schlußerhebung am 16.5.1986; Ersterhebung am 9.4.1986 ergab 7 Brutpaare). Nr. 2 „Tor Ost" der Firma Hoechst AG mit 2 Brutpaaren auf Platane (Ersterhebung ergab nichts). Nr. 3 „Hostato-Schule" mit 7 Brutpaaren auf Platane (Ersterhebung 3 Brutpaare). Nr. 4 „Liederbachstraße" mit 16 Brutpaaren auf Platane (Ersterhebung 10 Brutpaare).

1.3 Kolonie in Eltville

Der Eltviller Saatkrähenbestand setzt sich zusammen aus vier Teilkolonien: Nr. 1 „Park der Familie Hardt und Wagner" mit 72 Brutpaaren auf Buche, Ahorn, Eiche und Platane (Schlußerhebung am 29.4.1986; Ersterhebung am 9.4.1986 mit 66 Brutpaaren). Nr. 2 „Krankenhaus" mit 12 Brutpaaren auf Platane (Schlußerhebung am 28.5.1986; Erst- erhebung 15 Brutpaare). Nr. 3 „Lichtensteiner Hof" mit 8 Brutpaaren auf Platane (Ersterhebung 11 Brutpaare). Nr. 4 „Parkplatz Schlossergasse" mit 5 Brutpaaren auf Platane (Ersterhebung 6 Brutpaare).

*) Diese Arbeit wurde vom Hessischen Minister für Umwelt und Energie finanziell gefördert. 99 1.4 Kolonie in Limburg Auch die Kolonie in Limburg umfaßt vier Teilkolonien. Die größte horstet auf einer kleinen Lahninsel unterhalb des Limburger Dorns: Nr. 1 „Limburger Dom" mit 13 Brutpaaren auf Kastanie (Schlußerhebung am 30.4.1986; Erst- erhebung am 27.3.1986 ergab 11 Brutpaare). Nr.2 „Stadthalle" mit 7 Brutpaaren auf Platane (Ersterhebung 5 Brutpaare). Nr.3 „Dr.-Wolf-Straße" mit 4 Brutpaaren auf Platane (Ersterhebung 2 Brutpaare). Nr. 4 „Blechwarenfabrik" mit 5 Brutpaaren auf Platane (Ersterhebung 3 Brutpaare).

1.5 Ehemalige Kolonien Die Kolonie in Lampertheim (Kreis Bergstraße) brütete erstmalig 1984 nicht mehr. Der Grund dafür könnte darin liegen, daß einige Jahre zuvor eine Straße entlang des Brutstandortes im „Zigeunerwäldchen" gebaut wurde,worauf die Zahl der Brutpaare mehr und mehrabnahm und schließlich die Kolonie ganz verschwand. Die Wiesbadener Kolonie bestand aus drei Einzelkolonien. Bei der Teilkolonie auf einem „Kinderspielplatz" wurden 1981 von sechs Nestern zwei von der Feuerwehr entfernt, worauf sie 1982 erlosch. Die beiden anderen Teilkolonien im „Schloßpark Biebrich" und auf der „Rettbergsaue" wurden ohne ersichtlichen Grund 1985 aufgegeben. Auf der „Rettbergsaue" hatte Frau L. MALLACH Ende April dieses Jahres zwar wieder drei Saatkrähenpaare beobachtet, die zur Brut geschritten waren. Da sie von Rabenkrähen belästigt wurden, bauten sie 70 m weiter neue Nester. Aber auch dort wurden sie von ihren Artverwandten gestört, so daß am 16.5.1986 nur noch ein Paar brütete, welches kurze Zeit später ebenfalls aufgab.

1.6 Brutpaare in Hessen Für Hessen ergibt sich somit z.Z. ein Gesamtbestand von 340 Brutpaaren. Diese Zahl birgt allerdings einen gewissen, wenn auch nur geringen Schwankungsfaktor in sich. Es zeigte sich, daß fast während der gesamten Brut- und Aufzuchtphase immer noch Brutpaare mit dem Nestbau begannen, teils aber auch fertige wiederverschwanden. Diese Veränderungen waren nach dem Laubausbruch nicht mehr festzustellen.

2. Erfassug des Brutergebnisses Laut Literaturangaben') besteht hinsichtlich der Baumartenwahl für den Horstplatz keine generelle Bevorzugung. Besonders geeignet sind Bäume mit starken Astgabeln bis hinauf in die Krone. In Hessen werden neben Pappel und Platane noch Buche, Ahorn, Eiche, Esche, Kastanie, Erle und Kiefer angenommen. Da die hessischen Kolonien hauptsächlich auf Pappeln (Kolonie „Panzergraben",„Erlenbruch",„Mainufer") und Platanen (Kolonie „Barbaros- saburg", „Liederbachstraße" und andere kleine) brüten, die erst später austreiben und die „Brut-Baumarten" im oberen Kronenbereich häufig kaum belaubte Zweige (sogenannte Totfinger) aufweisen, bin ich der Meinung, daß der Zeitpunkt des Laubaustriebes bzw. der Belaubungszustand überhaupt für die Nistplatzwahl von Bedeutung ist. Sind diese Vorausset- zungen nicht gegeben, liegen die Nester in der Kronenperipherie,was einen Einstieg ebenfalls erleichtert.

') „Die Saatkrähe", Klaus Ruge, Kosmos-Verlag 100 Noch während der Brut- und Aufzuchtphase brechen die Saatkrähen in ihrem Nestbereich Zweige ab und verbauen diese; vermutlich um ihren Landeplatz so dicht wie möglich an das Nest heranzulegen und um sich mehr Licht und bessere Bewegungsmöglichkeiten, besonders für die flügge werdenden Jungen zu verschaffen. Von einer Erfassung des Brutergebnisses durch Auszählen am Nest mittels einer Feuerwehr- leiter wurde von verschiedener Seite abgeraten, da dies zuviel Unruhe verbreitet und die Brut gefährdet hätte. Laut schriftlicher Mitteilung von Herrn Dr. WITTENBERG, Ornithologische Arbeitsgemeinschaft für Populationsforschung in Braunschweig, ist eine Zählung nach Ersteigung der Brutbäume mit Steigeisen brauchbar. Diese Methode schien mir jedoch ebenfalls zu riskant. Mit Hilfe eines Spektives versuchte ich vom First des Limburger Domes die dortigen Nestlinge zu zählen. Die Nester der früh austreibenden Kastanie waren jedoch nicht einsehbar, da die Jungen noch in der Nestmulde gefüttert wurden und die Entfernung vom Dom zum Horstbaum so groß ist, daß aufgrund der Schrägeinsicht falsche Ergebnisse herausgekommen wären. Bei den beiden Teilkolonien in der „Barbarossaburg" und am „Panzergraben" konnten durch Beobachtung bei der Fütterung in einigen Fällen der Bruterfolg festgestellt werden, und zwar: Viermal zwei und dreimal drei Nestlinge in der „Barbarossaburg" sowie zweimal zwei und dreimal drei am „Panzergraben". Eine hundertprozentige Genauigkeit kann wegen der Steil- sicht und der, wenn auch nur geringen Verdeckung durch Blätter und Zweige bei diesen peripher liegenden Nestern nicht gewährleistet werden. Beim „Panzergraben" fand ich drei und in der „Barbarossaburg" bei 32 Brutpaaren sogar 17 tote Junge am Boden. Auf die Gründe komme ich im letzten Abschnitt noch zu sprechen. Aufgrund der schlechten Witterung im April wurden schätzungsweise nur zwei bis drei Junge pro Brutpaar großgezogen.

3. Untersuchung zur Nahrungsbiologie Maßgeblich für den Nahrungsraum ist der Anteil der Wiesen und Ackerflächen, die zur Futter- aufnahme geeignet sind und deren Bewuchs eine bestimmte Höhe nicht überschreitet, damit sich die Saatkrähen noch sicher fühlen können. Wesentlich sind auch die Größe der Kolonie und das Angebot an anderen Nahrungsquellen, wie beispielsweise Erdwege, Bahndämme, Mülldeponien, Reste von Erdsilos u. a. Zum Brutbeginn stellen Wiesen und Ackerflächen gemeinsam das Nahrungspotential dar, je nach anteiliger Größe, räumlicherVertei lung und je nachdem ob eine Bestellung bereits erfolgt ist oder nicht. Im zeitigen Frühjahr werden die Wiesen aber noch bevorzugt, zumal wenn sie teils unter Wasser stehen. Je höher aber das Gras wird, desto mehr verlagert sich die Futter- suche auf die anderen Nahrungsquellen. Konkrete Datenangaben sind hier nicht angebracht, da das Brutgeschäft und die Vegetationsentwicklung von der Witterung abhängen. Gestützt auf meine Diplomarbeit: „Vergleichende Untersuchungen zum Nahrungsverhalten der Saat- und Rabenkrähen" am Institut fürWildbiologie und Jagdkunde in Göttingen und den jetzigen Beobachtungen möchte ich folgende Punkte für die Futtersuche der omnivoren Saat- krähen aufstellen: 1. Bevorzugung leicht erreichbarer Nahrung. 2. Einflug zur Nahrungsaufnahme dort, wo bereits andere Vögel fressen (Signalwirkung) 3. Tierische Beute vor pflanzlicher Kost a) Rangfolge bei tierischer Nahrung: Mäuse, Insekten, Regenwürmer, (junge Küken und junge Kaninchen) 101 b) Rangfolge bei „lebloser" Nahrung: Fleisch, Brot, Fasaneneier, Getreide, Kirschen und Pflaumen, Kartoffeln. c) Rangfolge bei gleichzeitigem Angebot tierischer und pflanzlicher Nahrung: Mäuse, Küchenreste, Insekten, Eier, Getreide. 4. Heterogen zusammengesetztes Futter wird homogenem Futter vorgezogen. Das Aufsuchen der Flächen, d ie noch nicht bestellt sind oder brach liegen, richtet sich in erster Linie nach dem offenliegenden Angebot. Sind erste Vögel fündig geworden, lassen sich dort weitere nieder. Diese Signalwirkung gilt nicht nur für eine einzelne Vogelart, sondern ihr bedienten sich während meiner Feldbeobachtungen neben den Saatkrähen die Dohlen, Tauben, Stare, Rabenkrähen, Amseln und Kiebitze. Hierdurch werden große Nahrungs- vorkommen rasch gefunden und gut ausgenutzt. Von den eingesäten Getreidefeldern oder der frisch auflaufenden Saat haben diejenigen die größte Anziehungskraft, auf denen viele Körner obenerdig liegengeblieben sind. Diese lesen die Saatkrähen dann gerne auf. Häufig wird dabei das Korn mit der Innenzehe an den Boden gedrückt und mit der Schnabelspitze die Spelzen abgezupft und weggeschleudert. Deshalb wohl sind in dieser Zeit nur wenig Gewölle gefunden worden, die aber fast ausschließlich aus Spelzen und Hautresten von Kultursamen bestehen.Nur max.5°/0 (Massenanteil) waren Steine, Eischalenstücke und Chitinteile von Insekten. Ich habe mehrfach Getreideschläge kontrolliert und nicht ein einziges Mal festgestellt, daß Keimlinge herausgezogen oder -gegraben worden sind. Was nicht bedeuten soll, daß dies nicht auch mal vorkommt. Während meiner Diplomarbeit hat sich folgende Rangfolge beim Getreide herausgestellt: Mais, Weizen, Roggen und Hafer und Gerste gemeinsam auf dem letzten Platz. Weiche Mais- körner und die Körner der anderen Getreidearten werden unzerkleinert hinuntergeschluckt. Harte Maiskörner dagegen werden vorher zerhackt. Körner, die beim Ergreifen mit der Schnabelspitze wegspringen, werden wieder gesucht und gefressen. Lebende Beuteobjekte, die den Saatkrähen bei der Getreidesuche unterkommen, verspeisen sie mit Vorliebe. Sind die ersten Wiesen gemäht oder die Weiden vom Vieh ein Stück abgefressen,so ziehen die Saatkrähen sofort dorthin. Sie lassen sich weder vom Traktor noch vom weidenden Vieh abhalten. Sobald der Bauer die ersten Schwaden abgemäht hat, suchen sie dort ihr Futter. Kommt d er Traktor in ihre Nähe, starten sie zu einem kurzen Rundflug und lassen sich alsbald wieder auf der Wiese nieder. Sie gehen kreuz und quer und ergreifen ihre Beute sowohl in den Grasschwaden als auch, jedoch häufiger, vom „nackten" Boden. Hin und wieder schnappen sie auch in die Luft und laufen oder flattern kurz, um fliegende Insekten zu fangen. Selten versucht eine Krähe, einer anderen den Futterbrocken abzujagen. Am 21.5.1986 konnte ich in Gelnhausen ganz klar feststellen: Je frischer eine Wiese gemäht ist, umso attraktiver ist sie für die Vögel. Zunächst hielten sich alle Saatkrähen einschließlich Dohlen, Tauben und Stare auf einer noch in Schwaden liegenden Wiese auf, die aber schon abgetrocknet war. Als direkt daneben gemäht wurde, flogen nach kurzer Zeit mehr und mehr Vögel dorthin. Auf einer ebenfalls noch in Schwaden liegenden, aber schon weiter abgetrockneten Wiese, die nur ca.20 m entfernt lag, waren nur eine Saatkrähe und ein Kiebitz zu beobachten. Die Vögel der Kolonie vom „Panzergraben" in Meerholz halten sich auch gern auf dem kurz geschnittenen Streifen des Segelflugplatzes auf. Am 21.5.1986 konnte ich beobachten, wie 24 Saatkrähen zunächst auf der ca.30 m breiten Start-und Landebahn nach Nahrung suchten. Nach einigen Minuten flogen die ersten in das angrenzende etwa 40 cm hohe Gras, weitere 102 folgten. Nur drei Krähen blieben zurück, wahrscheinlich um die Artgenossen bei Gefahr früh- zeitig warnen zu können. Andere Krähen flatterten alle paar Sekunden kurz hoch, um zu sichern. Nach 10 Minuten befanden sich alle Vögel im hohen Gras, wobei aber jetzt öfters ein Teil oder alle zusammen den Standort wechselten und sich 10 bis 20 m weiter wieder niederließen, oder auch einzelne ein kurzes „Kontroll-Flattern" machten. Häufig sieht man die Saatkrähen auf den Feldwegen, um im Gras oder in den Wagenspuren,wo sich nach einem Regenschauer Pfützen bilden, das reichhaltige Nahrungsangebot zu nutzen. Auch hier wagen sie sich für kurze Zeit in das hohe Gras am Wegrand,von wo aus sie alle zwei bis drei Sekunden in „Pfahlstellung" das Umfeld beobachten. Dies zeigt, daß die Saatkrähen durchaus auch versteckt Futter suchen, sofern sich in der weiteren Umgebung keine Stör- quelle befindet. Zu dieser Zeit bestehen die Gewölle in der Hauptsache aus Chitinteilen und Mäuseresten sowie Steinen.

4. Ermittlung des Aktionsradius' im Brutgebiet Der Aktionsradius richtet sich nach der Struktur des Brutgebietes, in dem die Kolonie brütet. Je größer eine Kolonie ist, desto größer ist ihr Futterbedarf, speziell während der Aufzucht- phase. Sie nutzen zunächst die nähere Umgebung und streichen erst weiter ab, wenn hier nichts mehr zu holen ist. Somit kann man nicht von einer direkten Abhängigkeit zwischen der Größe des Nahrungsbiotops und der Koloniegröße sprechen, sondern vorrangig ist immer erst die Reichhaltigkeit des Nahrungsangebots in der näheren Umgebung einer Kolonie. Dieses wiederum ist abhängig von dem Verhältnis und derVerteilung von Acker- und Brachflächen zu Wiesenflächen. Die anderen Nahrungsquellen spielen dabei eine nicht unerhebliche Rolle. Der Radius bei den Nahrungsflügen beträgt zwischen zwei und drei Kilometer um den Kolonie- standort herum. Wenn die Jungen mitfliegen, kann er sich um bis zu einen Kilometer erweitern.

5. Die Bedeutung der Saatkrähe für die Landwirtschaft Die Bedeutung der Saatkrähe für die Landwirtschaft ergibt sich aus der Diskrepanz zwischen dem notwendigen und dem tatsächlich vorhandenen Nahrungsbiotop. Sind um die Kolonie herum gute Nahrungsgründe,werden sie auch erschlossen. Ein ausgewogenes Verhältnis von Acker- und Wiesenflächen ist deshalb so wichtig, damit die Saatkrähen auf die Ackerflächen ausweichen können, wenn das Gras zu hoch wird und umgekehrt. Sie ziehen sofort wieder auf die Wiesen, wenn diese gemäht werden. Für landwirtschaftliche Kulturen in Hessen sehe ich bei den momentanen Koloniegrößen keine Gefahr. Dies haben mir auch Naturschützer und Landwirte vor Ort bestätigt. Die jeweiligen Nahrungsräume sind so groß und abwechslungsreich, daß die Brutkrähen für ihre Jungen genügend Futter finden, ohne Schaden anzurichten.

6. Folgerungen hinsichtlich der Schutzmaßnahmen Schutzmaßnahmen für die Saatkrähe selbst sind für die Kolonien „Barbarossaburg" und „Panzergraben" zu treffen. Bei der erstgenannten sind insgesamt 17 tote Junge gefunden worden. Dies führe ich auf den regen Besucherverkehr zurück.So waren beispielsweise am 1. Mai knapp 500 Besucher in der Barbarossaburg. Am nächsten Tag wurden vier tote Junge aufgelesen. Meiner Meinung nach geschieht das dadurch, daß immer wieder Besucher trotz der Absperrlinie unter den Horst- 103 bäumen hergehen und somit die gesamte Kolonie beunruhigen, so daß die Altvögel plötzlich aufsteigen und kreisen und dabei wahrscheinlich die Jungen herausfallen. Um das zu vermeiden, sollten zwei Schilder mit der Aufschrift: „Während der Brutzeit Durchgang ver- boten" aufgestellt werden, oder, was vielleicht noch effektiver wäre, zwei Informationstafeln.

In der Nähe der Kolonie am „Panzerg raben"soll nach meiner Kenntnis eine neue Straße gebaut werden. Die Kolonie dort ist nicht durch die Trassenführung direkt gefährdet, sondern durch die zu erwartenden permanenten Aktivitäten und den Lärm der Bauarbeiten.

Zudem soll die alte Straße, die nur ca. 30 m entfernt verläuft, aufgerissen und renaturiert werden. Deshalb ist darauf zu drängen, daß diese Arbeiten außerhalb der Brut- und Aufzucht- phase durchgeführt werden. Für die übrigen Kolonien sehe ich derzeitig keine Gefahren, mit Ausnahme direkter menschlicher Verfolgung, die nie auszuschließen ist. Im Winter 1986/87 soll auch eine Erfassung der Saatkrähen, die als Wintergäste zu uns kommen, durchgeführt werden. Folgende Punkte stehen auf dem Programm:

— Erfassung der Wintervorkommen nach Örtlichkeit, Quantität und Vergesellschaftung mit anderen Arten — Erfassung der Schlafplätze, möglichst mit Erfassung der An- und Abflugzeiten — Benutzte Nahrungsbiotope

— Erhebungen über mögliche Schäden im landwirtschaftlichen Bereich (ausgesäte und auflaufende Saaten, Erdsilos)

— Vorschläge für Schadensabwendung — Erfassung der auf Kreismülldeponien vorkommenden Saatkrähen (Anzahl, Bestands- schwankungen) und Vergesellschaftung mit anderen Arten (z. B. Dohle, Rabenkrähe, Lach- möwe, Star)

— Verweildauer im Deponiebereich und auf angrenzenden landwirtschaftlichen Flächen — Verschleppung von Gegenständen aus der Deponie — Vorschläge für Öffentlichkeitsarbeit

Wer Kenntnisse zu den vorgenannten Punkten hat, bitte ich,— soweit noch nicht geschehen — diese mir mitzuteilen.

Anschrift des Verfassers: A. KÖSTER, Dipl.-Forstwirt, DBV-Landesgeschäftsstelle, Friedenstraße 25, 6330 Wetzlar

104 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen • Vogel und Umwelt 4: 105-110 (1986)

Erfahrungen in einer Vogelauffangstation - eine erneute Bilanz nach weiteren drei Jahren von PETER WOELFING, Bad Nauheim

Ausgangspunkt für die nachfolgende Arbeit war die unerwartet große Resonanz nicht nur in der Bundesrepublik auf die Veröffentlichung aus dem Jahre 1983 (WOELFING 1983). Beson- ders viele Zuschriften mit der Bitte um einen Sonderdruck kamen aus der DDR, der CSSR und Polen. Somit soll im Folgenden nach Ablauf von weiteren drei Jahren der erneute Versuch gemacht werden, Bilanz zu ziehen.

In den Jahren von 1983 bis 1985 wurden insgesamt 189 Vögel in die Vogelpflege-und Auffang- station in Bad Nauheim-Rödgen eingeliefert, zwölf davon tot. Davon waren 85 Greifvögel (45%) und 37 Eulen (19,6%). Tabelle 1 und 2 geben einen Überblick für die einzelnen Jahre; die prozentuale Auswertung erfolgte bewußt nur für die Greifvogel- und Eulenarten.

Hier fällt besonders die Tatsache ins Auge, daß 1983 bzw.1984 fünf respektive sieben Schleier- eulen,1985 dagegen nicht ein einziges Tier zu betreuen waren.Bemerkenswert erscheint noch die Konstanz der Sperberfunde mit jeweils vier Vögeln in jedem der drei Jahre.

Es wurden Individuen von 45 verschiedenen Arten eingeliefert.Von den Greifvögeln waren laut der „Roten Liste der bestandsbedrohten Vögel in Hessen" (6. Fassung) fünf von acht Arten (62,5%) bedroht, wobei die bisherige Nichterfassung des Merlins in der Roten Liste auffällt. Von den Eulenarten waren (laut Liste) drei von fünf Arten bedroht (60%). Von den übrigen Vogelarten waren fünf von 31 (16,1%) bedroht.

Tabelle 3 gibt einen Überblick über die im Berichtszeitraum festgestellten Erkrankungen. Verständlicherweise beschränkt sich dies in aller Regel auf klinische bzw. pathologisch- anatomische Diagnosen. Tabelle 4 beleuchtet die veterinärmedizinische Betreuung.

Die Gesamtverluste betrugen in drei Jahren 107 Tiere (60,5%). Wieder freigelassen werden konnten 70 (37%). Hierzu ist jedoch klar zu sagen, daß die auf den ersten Blick enorm hoch erscheinende Erfolgsquote von 46,8 0/0 bzw. 43,3 0/0 in 1983 bzw. 1984 nur durch die über- durchschnittlich große Zahl der Jungvögel in diesen beiden Jahren erreichbar war, die „einfach" nur aufgezogen werden mußten. Das Ergebnis für 1985 mit 32,0% dürfte somit im Hinblick auf die echten Erkrankungen als wesentlich real istischer zu werten sein.Auch dies ist noch ein sehr respektables Ergebnis, legt man die von WOELFING 1983 dargestellten Probleme zu Grunde.

Aus dem Gesagten kann gefolgert werden: Die beschriebenen Schwierigkeiten in und um eine solche Station (WOELFING 1983) finden nach Ablauf von weiteren drei Jahren uneingeschränkt ihre Bestätigung. Auch hat sich die Problematik weder zur einen noch zur anderen Seite hin verlagert, sie war und ist gleichblei- bend groß, zumindest soweit es die Veterinärmedizin betrifft.

Das Einzugsgebiet hat sich in den letzten drei Jahren z.T. erheblich erweitert. Kamen bis zu diesem Zeitpunkt die Vögel fast ausnahmslos aus der näheren Umgebung, so wurden jetzt des öfteren größere Entfernungen registriert. So erreichte uns z. B. der Schwarzstorch aus 105 dem Vogelsberg, und ein Steinkauz fand den Weg von nahe Limburg zu uns. Weiter konnte mittlerweile eine größere Bereitschaft der Finder zum Bringen des Vogels vermerkt werden, wogegen früher wesentlich häufiger das Abholen des Tieres zur Bedingung gemacht wurde. Dies mag damit zusammenhängen, daß die Station inzwischen wesentlich bekannter ge- worden ist. Hervorragend hat sich die von der Friedberg-Dorheimer Vogelschutzgruppe eigens für die Station angelegte Mäusezucht bewährt. Abgesehen von der Ernährung dient sie vor allem auch der Prüfung von Greifvögeln und Eulen auf ihre Freiheitstauglichkeit. Allen voran ist hier Herrn Wolfgang Köhler von der genannten Gruppe zu danken. Leider ist die Zahl der zur Ver- fügung stehenden freiwilligen Helfer nicht allzugroß, um so höher ist jedoch dadurch der Einsatz derer, die mithelfen, zu bewerten.

Tabelle 1

Eingelieferte Jahresstatistik (1983 bis 1985) 2/86 Vögel Gefährdungsgrad I. Greifvögel 1983 1984 1985 Su % (Rote Liste)

Mäusebussard 10 20,8 % • 14 23,3 %• 12 15,8 % 36 19,0 % 0 Wespenbussard 1 2,1% 1 0,5% b Turmfalke 12 25,0% 5 8,3% 9 11,8% 26 13,8% Baumfalke 2 2,6% 2 1,1% b Merlin* 1 1,3% 1 0,5% Habicht 1 2,1% 2 3,3 % 1 1,3% 4 2,1% b Rotmilan 1 2,1% 2 1,3% 1 1,3% 4 2,1% b Sperber 4 8,3% 4 6,7% 4 5,3% 12 6,3% b

Summe 28 58,3 % 26 43,3% 31 40,8% 85 45,0%

II. Eulen

Waldohreule 2 4,2% 2 3,3% 12 10,5% 12 6,3% Waldkauz 1 2,1 0/0 5 8,5% 3 3,9% 9 4,8% Schleiereule 5 10,4% 7 11,6% 12 6,3% b Steinkauz 1 1,7% 1 1,3% 2 1,1% b Sumpfohreule 2 2,6% 2 1,1% a

Summe 8 16,7% 15 25,0% 14 18,4% 37 19,6%

* = beringt eingeliefert a = ausgestorben (Hessen) • = berechnet auf die Gesamtzahl der eingelieferten Vögel pro Jahr b = bestandsbedroht = berechnet auf die Gesamtzahl Rote Liste für Hessen der eingelieferten Vögel in 3 Jahren =189 (6. Fassung, Stand 15.5.1980) 106 Tabelle 2 Gefährdungsgrad III. andere Vogelarten 1983 1984 1985 Su (Rote Liste)

Amsel 1 1 Star 1 1 Haustaube 1 1 Türkentaube 1 1 Ringeltaube 1 1 Stockente 2 2 Moschusente 4 4 Höckerschwan 2 2 4 Schwarzer Schwan 1 1 Nilgans 1 1 Teichralle 1 2 3 Bleßralle 1 1 Wacholderdrossel 2 6 8 Eichelhäher 1 1 2 Rabenkrähe 3 1 4 Saatkrähe 2 2 b Mauersegler 3 3 Buchfink 1 1 Kernbeißer 1 1 1 3 Feldlerche 1 1 Rotkehlchen 1 1 Zaunkönig 1 1 Fitis 1 1 Buntspecht 1 1 2 4 Grünspecht 1 1 2 Grauspecht 1 1 2 Graureiher 5 2 7 b

Weißstorch* 1 1 b Schwarzstorch 1 1 a Eisvogel 1 1 b Gänsesäger 1 1 b

Summe 16 20 31 67 *= beringt eingeliefert a = ausgestorben b = bestandsbedroht 107 Erfolgen, wie z. B. der Wiederfreilassung einer ganzen Reihe von Sperbern, Schleiereulen, Waldkäuzen, Waldohreulen, von je einem Steinkauz, einer Sumpfohreule, eines Rotmilans, Schwarzstorches, Grauspechtes und mehreren Graureihern, standen eine ganze Reihe von Mißerfolgen gegenüber. So schmerzte der Verlust der beiden Baumfalken, eines Wespen- bussards, Steinkauzes und einer der beiden Sumpfohreulen sowie eines Grünspechtes, Gänsesägers und Eisvogels besonders. Mittlerweile wurden von den rund 100 in der Station beringten Greifvögeln und Eulen im Berichtszeitraum vier Exemplare (ca. 4 ob) wiedergefunden. Hierbei handelt es sich um einen Mäusebussard, einen Turmfalken und zwei Schleiereulen. Es fiel auf,daß die größte Entfernung zwischen Auflaß- und Fundort maximal 3 km betrug. Mäusebussard und beide Schleiereulen wurden sogar in nur 2 km Entfernung gefunden. Von den beiden Eulen war das Tier mit der Ringnummer 4043367der von WOELFI NG 1985 beschriebene Fall.Während der Bussard sich über ein Jahr nach seiner Freilassung noch in der freien Natur bewegte, waren dies für den Falken und die beiden Eulen jeweils mehr als vier Monate. Nach eigener Einschätzung dürfte nach Ablauf von zwei Monaten ein direkter Zusammenhang mit dem Aufenthaltsort in der Find- lingsstation bezüglich der Todesursache nicht mehr gegeben sein.

Tabelle 3: Überblick über die Erkrankungsursachen der Vögel im Berichtszeitraum

Diagnose 1983 1984 1985 Su SU (0/0)*

Verletzungen (insgesamt) 36 69,2% 35 57,4% 44 57,9% 115 60,8% davon: stumpfe Traumen insbes. im Schädelbereich 6 11,8% 8 13,1 % 11 25,0 % 25 13,2% Flügel einschließlich Frakturen 20 39,2% 10 16,4% 22 50,0% 52 27,5% Bein einschließlich Frakturen 6 11,3% 9 14,8% 8 18,2% 23 12,2% sonstige Verletzungen 4 7,8% 8 13,1% 3 4,3% 15 7,9% innere Erkrankungen insgesamt, einschließlich Injektionen 19 37,3% 19 31,1% 27 39,1% 65 34,4% Vergiftungsverdacht bez. auf Spalte 6 4 21,1% 6 31,6 % 3 3,9 % 13 20,0%

* Die Summe ergibt nicht 100%, weil häufig mehrere Behandlungen bzw. Diagnosen einen Vogel betrafen. 108 Tabelle 4: Überblick über die veterinärmedizinische Betreuung derVögel im Berichtszeitraum

Art der Versorgung 1983 1984 1985 Su SU (%)*

Konservative Behandlung 26 44,6 % 28 46,7 % 40 58,0 % 94 49,7 % Chirurgische Behandlung 5 10,6% 7 11,7% 6 8,7% 18 9,5% gestorben, insgesamt vor- während oder nach Behandlung bzw. Operation 6 12,8 % 17 28,3 % 18 26,1 % 41 26,7 % eingeschläfert: mit oder ohne Behandlung bzw. Operation (insgesamt) 21 44,6 % 20 33,3 % 25 36,2 % 66 34,9 % Freilassung 22 46,8% 26 43,3 % 22 32,0% 70 37,0 % Sektion 22 43,1 0/0 22 36,1 % 28 40,6% 72 38,1% tot angelieferte Vögel 4 7,8 % 1 1,5 % 7 9,2 0/0 12 6,3 % Verluste insgesamt (Spalte 3 + 4) 27 56,3 % 37 61,7 % 43 62,3 % 107 60,5

* Die Summe ergibt nicht 100%, weil häufig mehrere Behandlungen bzw. Diagnosen einen Vogel betrafen.

Zusammenfassung Die unerwartet große Resonanz vor allem auch im Ausland der1983 veröffentlichten Arbeit gab den Anstoß für den Versuch einer erneuten Bilanz nach weiteren drei Jahren. Von den insge- samt 189 Vögeln waren 45 %Greifvögel und 19,6 0/0Eulen. Bei den Greifvögeln sind zwei Baum- falken, ein Wespenbussard und ein Merlin, von den Eulen zwei Sumpfohreulen besonders bemerkenswert. Insgesamt wurden 45 verschiedene Vogelarten betreut, „Starpatient" war zweifellos davon ein Schwarzstorch, gefunden im Vogelsberg. Erwurde nach langer Betreuung bei Obersuhl wieder freigelassen. An Erkrankungen standen im Berichtszeitraum die Ver- letzungen vor allem am Flügel im Vordergrund, oft jedoch waren dies sekundäre Folgen einer primären inneren Erkrankung wie Infektionen,Vergiftungen bzw. Parasitenbefall, d ie zur Beein- trächtigung der Flugleistung führten. Die Gesamtverluste mit oder ohne Behandlung bzw. Behandlungsversuch einschließlich der Anzahl Vögel, die auf Grund der Aussichtslosigkeit sofort eingeschläfert werden mußten, beläuft sich somit auf 107Tiere oder 60,5%. Dies ist ein immer noch respektables Ergebnis, legt man die von WOELFING 1983 dargelegten Probleme zugrunde. Von den in der Station mittlerweile ca.100 beringten Vögel wurden im Berichtszeit- raum vier Exemplare-ein Mäusebussard, zwei Turmfalken und zwei Schleiereulen -wiederge- funden. Bei der einen Schleiereule handelt es sich um den von WOELFING 1983 beschrie- benen Fall. Die größte Entfernung zwischen Auflaß- und Fundort betrug maximal 3 km für die Turmfalken, die anderen Tiere überschritten die 2 km-Marke nicht. Der Bussard bewegte sich über ein Jahr,die anderen Tiere über4 Monate nach ihrerWiederfreilassung in der freien Natur. Der Autor geht davon aus, daß nach Ablauf von zwei Monaten kein direkterZusammenhang mit dem Aufenthaltsort in der Findlingsstation mehr gegeben sein dürfte. 109 Literatur

WOELFING, P. (1983): Erfahrungen in einer Vogelauffangstation - eine kritische Bilanz aus der Sicht der Veterinärmedizin, des Natur- und des Tierschutzes. Vogel und Umwelt 3: 247- 252. WOELFING, P. (1985): Erfahrungen bei der medizinischen Versorgung verletzter Greifvögel und Eulen.Vogel und Umwelt 3: 235-238. STAATLICHE VOGELSCHUTZWARTE FÜR HESSEN, RHEI NLAND-PFALZ UND SAARLAND- Institut für angewandte Vogelkunde - ROTE LISTE der bestandsgefährdeten Vögel in Hessen (6. Fassung) Stand 15.05.1980.

Anschrift des Verfassers: Dr. med. vet. PETER WOELFING, Weingartenstraße 35, 6350 Bad Nauheim 3

Neue Literatur

ROBILLER, F. (1986): Lexikon der Vogelhaltung. - 679 S., 348 Farbfotos, 30 Schwarzweiß- Fotos. 223 Zeichn., Landbuch-Verlag GmbH Hannover. Die Vogelhaltung gehört seit eh und je zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen des Menschen. Darüber hinaus hat sie viel Wissenswertes über die Biologie der gekäfigten Vogel- arten zusammengetragen. Es wurden Erkenntnisse gewonnen, die auch dem Artenschutz zugute kamen (z.B.Zucht zur Wiederansiedlung bestandsbedrohter Arten).Verschwiegen sei aber auch nicht, daß die Vogelhaltung auch ihre negativen Seiten hat (z.B.illegales Ausnehmen von Nestlingen). Die heutige Gesetzgebung versucht weltweit, Fang, Handel und Haltung unserer Vögel in den „Griff" zu bekommen, was auch dringend geboten erscheint. Das vorlie- gende Werk, an dem 48 Fachleute Einzelbeiträge übernommen haben, versucht alles Wissenswerte über die Vogelhaltung (in witestem Sinne) zusammenzutragen. Es werden nicht nur all jene Vogelarten beschrieben, die in Europa von Liebhabern und Züchtern gehalten werden, sondern es werden auch Begriffe abgehandelt, die im Rahmen der Vogelhaltung wesentlich sind. Selbst kleine Monographien von bedeutenden Vogelliebhabern wurden aufgenommen. Vermißt wurde vom Rezensenten, daß amtliche Stellen nicht genannt wurden. Diese Institiutionen können insbesondere dem Anfänger Hinweise und Ratschläge geben, die selbst in einem Lexikon nicht ausführlich abgehandelt sind.Trotz dieses „Schönheitsfehlers" vermittelt das Werk den Stand des heutigen Wissens auf diesem Gebiet. Es ist nicht nur ein Nachschlagewerk für den Vogelhalter. W. KEIL 110 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen • Vogel und Umwelt 4: 111-116 (1986)

Tümpel - Lebensraum für Überlebenskünstler von UWE WESTPHAL, Wetzlar

Tümpel, Teiche und Weiher - einst ein vertrauter Anblick in unserer Landschaft - sind heutzu- tage allesamt stark in ihrer Existenz bedroht (BORCHERT 1977, RING LER 1976). In manchen Gegenden sind in den letzten Jahrzehnten bis zu 90 0/0 dieser Lebensräume durch Trockenle- gung, Verfüllung oder Überbauung vernichtet worden. Die noch vorhandenen Kleingewässer werden vielfach durch intensive landwirtschaftliche Nutzung ihrer unmittelbaren Umgebung (Biozid- und Düngereinsatz, Viehtritt), durch Freizeitnutzung oder Umwandlung in intensiv genutzte Fischteiche erheblich beeinträchtigt (HAARMANN 1977).

Ganz besonders betroffen von dieser negativen Entwicklung sind die sog. periodischen oder ephemeren Kleingewässer, die „Tümpel" im engeren Sinne. Gemeint sind damit mehr oder weniger kurzlebige, d.h. regelmäßig austrocknende Gewässer, die heutzutage zu den bedroh- testen Lebensräumen unserer Heimat gehören.

Je nach Art der Wasserzufuhr (Regen-, Schmelz-, Qualmwasser, Überschwemmungen) kann man verschiedene Haupttypen von Tümpeln unterscheiden (SPANDL 1925). In den meisten Fällen handelt es sich um Bodensenken oder-mulden mit mehr oder weniger wasserundurch- lässigem Untergrund, die - etwa im Auenbereich der Flüsse - durch Überschwemmungen und/oder periodisch steigendes Grundwasser, aber auch durch Schmelzwasser oder heftige Regenfälle mit Wasser gefüllt werden. In letztere Kategorie gehören z. B. tief ausgefahrene Wagenspuren auf Forstwegen, die von JOGER (1981) eingehend untersucht wurden. Je nach Lage und Umgebung können kurzlebige Gewässer sehr verschiedenartig ausgeprägt sein. Allen gemeinsam ist aber, daß sie in vielerlei Hinsicht (Wasserführung, Chemismus, Temperaturhaushalt) Extrembiotope darstellen (DROSTE 1982, G I EYSZTOR 1934, KRAMER 1964, KREUZER 1940). Sie können daher nur von solchen Tierarten dauerhaft besiedelt werden, die über bestimmte Überlebensstrategien und spezielle Anpassungen verfügen. Den artenmäßig überwiegenden Anteil an der Tümpelfauna (Übersichten z. B. bei KREUZER 1940, SPANDL 1925) stellen anpassungsfähige Arten, die auch in den verschiedensten aus- dauernden Kleingewässern weit verbreitet sind. Diese Arten zeigen aufgrund einer schnellen Entwicklungsdauer und/oder der Fähigkeit, zumindest kürzere Trockenperioden im feuchten Schlamm zu überstehen, sowie ggf. eines gut entwickelten Flugvermögens eine gewisse Prä- adaption (Voranpassung) an die Existenz in kurzlebigen Gewässern. So sind z. B. viele Wasserkäfer und Wasserwanzen nicht nur sehr flugtüchtig, sondern sie führen zumindest zu bestimmten Zeiten auch ausgedehnte Verbreitungsflüge durch, die es ihnen ermöglichen, neu entstandene Gewässer sehr rasch (oft binnen Stunden) zu besiedeln bzw. bei nicht zusagenden Bedingungen wieder zu verlassen (FERNAN DO 1958, 1959, WESTPHAL 1984).

Die Larven der meisten Insekten mit aquatischer Larvalentwicklung können sich aber nur bei einer längeren Wasserführung entwickeln; bei vorzeitiger Austrocknung des Gewässers gehen sie zugrunde. Nur wenige,wie z. B.die Larven der Plattbauchlibelle,einer Pionierart stark besonnter lehmiger Tümpel, sind in der Lage, mehrere Wochen Trockenheit im Schlamm vergraben zu überleben (PORTMANN 1921 in KRAMER 1964). Auch bei erwachsenen Wasserkäfern, die ja eigentlich fliegen können, ist dies mehrfach beobachtet worden (DROSTE 1982), ebenso bei manchen Muscheln (HINZ 1972) und Wasserschnecken. Weit verbreitet ist 111 dieses Phänomen bei Algen und mikroskopisch kleinen Tieren, den Einzellern, Rädertierchen, Strudel- und Fadenwürmern und Bärtierchen, von denen viele sich entweder selbst ency- stieren, d. h. eine austrocknungsresistente Hülle (Cyste) bilden, oder aber sonstige Dauer- formen hervorbringen können. So können sie oft jahrelang im trockenen Zustand überdauern, aber auch leicht verbreitet werden (KEN K 1949). Sehr eindrucksvoll läßt sich das an einem Schlammbodenaufguß nachweisen, in dem sich schon nach kurzer Zeit ein reiches Leben entwickelt (KRAMER 1964).

Eine weitere Anpassungsstrategie ist in der Verkürzung der Entwicklungsdauer von der Larve zum geschlechtsreifen Tier zu sehen. Stechmücken beispielsweise benötigen dafür oft nur 2 -3 Wochen. Manche Arten wie die berüchtigten „Rheinschnaken" (Aedes), legen ihre Eier im Frühjahr noch vor der Überflutung an den Rand des Tümpels, so daß die Eientwicklung ohne Verzögerung beginnen kann (MOHRIG 1969). Von einigen Mückenarten ist sogar bekannt geworden, daß sie ihre Entwicklung bei drohender Austrocknung noch beschleunigen können (CHODOROWSKI 1958). Andere wiederum können sich parthenogenetisch, d. h. durch unbe- fruchtete Eier, fortpflanzen (FRITZ 1981), auch dies ein - u. U. lebensentscheidender - Zeitge- winn.Auch aus anderen Tiergruppen gibt es spezialisierte Formen,die eine bedeutend kürzere Entwicklungsdauer haben als nahe verwandte Arten. Genannt seien hier nur die Gelbbauch- unke, deren Kaulquappen sich selbst in wassergefüllten Wagenspuren entwickeln können (KRAMER 1964), die Binsenjungfern (FISCHER 1961, HARTLAND - ROWE 1966) sowie einige Köcherfliegen. Deren Anpassung geht sogar so weit, daß sie nach dem Schlüpfen im Frühjahr den Sommer „verschlafen" (Sommer-Diapause) und erst im Herbst ihre Eier an den Rand bzw. auf den Schlamm ihrer trockengefallenen Heimatgewässer legen. Sie tun dies auch dann, wenn wider Erwarten der Tümpel im Sommer einmal nicht trockenfällt (WICHARD &REICHEL 1970). Die oben bei den Mücken als Ausnahme geschilderte Parthenogenese ist bei den zu den Krebstieren zählenden Wasserflöhen zur Regel geworden. Bei ihnen findet zudem die Embryo- nalentwicklung unter Umgehung von Larvenstadien bereits im Mutterleib statt, sie sind also lebendgebärend. Dabei können die Neugeborenen u. U. selbst bereits wieder Embryonen in sich tragen! Da in der Regel zunächst nurWeibchen geboren werden, können sich diese Tiere unter günstigen Bedingungen innerhalb kürzester Zeit geradezu explosionsartig vermehren. Erst bei Verschlechterung der Lebensbedingungen (z. B. Nahrungsknappheit, tiefe Tempera- turen, drohende Austrocknung) treten auch Männchen auf; die nunmehr befruchteten Eier entwickeln sich im Brutraum der Weibchen nicht weiter, sondern werden als sog. „Dauereier" im Rückenteil der Mutter eingekapselt. Bei ihrem Tod werden diese „Ephippien" genannten Dauereibehälter frei. In dieser Form können sie ungünstige Umweltbedingungen längere Zeit überstehen, aber auch leicht durch Vögel oder Wasserinsekten verschleppt werden.

Diesen Entwicklungsmodus zeigen zwar alle Wasserflöhe, selbst die aus großen Seen, doch gibt es auch hier bei spezialisierten Tümpelformen adaptive Abweichungen. So werden z. B. bei Arten der Gattung Moina von Anfang an Männchen und damit auch Dauereier gebildet, zunächst nur ein geringer Prozentsatz, von Generation zu Generation dann aber immer mehr. Dies ist wohl als Absicherung gegen ein zu schnelles Austrocknen der Wohngewässer zu verstehen (KESTNER 1967). Die vollkommenste Anpassung an und die höchste Spezialisierung auf das Leben in ephemeren Gewässern zeigen jedoch verschiedene andere Vertreter aus der Klasse der Krebstiere, die im heimischen Raum den überwiegenden Anteil der echten „Tümpelspezia- listen" stellen. Hier sind ganz besonders die Kiemenfüße (Anostraka), die Rückenschaler (Notostraka) und die Muschelschaler (Conchostraka) zu erwähnen. Ihre Eier können jahrelang trockenliegen; bei Überflutung schlüpfen binnen weniger Stunden die Larven, die sich mit 112 rapider Schnelligkeit zu geschlechtsreifen Tieren entwickeln, sich fortpflanzen und bei Austrocknung des Gewässers sozusagen „planmäßig" zugrundegehen. In den Tropen gibt es sogar bestimmte Fischarten mit entsprechender Lebensweise, die man selbst in wasser- gefüllten Elefantenspuren schon gefunden hat!

Viele Arten der genannten Krebsgruppen sind wegen ihrer teilweise recht beträchtlichen Größe und ihres vielfach sehr urtümlichen Aussehens sehr auffällige Erscheinungen. Unter ihnen gibt es typische Frühjahrs- und typische Sommerformen, die nicht selten jeweils verge- sellschaftet auftreten. Während einige Arten eine größere Vielzahl von periodischen Gewäs- sern bewohnen, sind andere offenbar auf ganz bestimmte Tümpeltypen - z. B. Qualmwasser- tümpel (G ILLAN DT et al.1983) - spezialisiert und angewiesen. Warum aber kommen sie nicht oder nur in ganz seltenen Ausnahmefällen unter natürlichen Bedingungen wie viele der bisher behandelten Organismen auch in ausdauernden Gewässern vor? Zur Beantwortung dieser Frage muß man sich vergegenwärtigen, daß die extremen Bedingungen kurzlebiger Gewässer ihren Bewohnern zwar ein Höchstmaß an Anpassung abverlangen, ihnen dafüraber auch weit- gehenden Schutz vor weniger gut angepaßten Feinden und Konkurrenten bieten. Echte Tünnpelbewohner sind daher auch nicht auf Konkurrenz und Feinddruck (Fische!) eingerichtet und reagieren -damit konfrontiert-vielfach sehr empfindlich darauf: sie sterben aus. Darüber- hinaus sind offenbar einige Formen physiologisch schon so an die astatischen Bedingungen angepaßt, daß sie diese speziellen Bedingungen tatsächlich zur Entwicklung benötigen. So scheinen die Eier einiger Krebse für ihre Weiterentwicklung tiefe Temperaturen (Durch- frieren) zu benötigen (CLAUSNITZER 1985), andere die durch dasTrockenfallen erzwungene Ruhepause.

Im Gegensatz zu den Arten, die auch - meist sogar besser- in ausdauernden Kleingewässern leben können, sind die echten Tümpelspezialisten durch die Vernichtung ihrer Lebensräume heutzutage ausnahmslos stark bedroht. Dies gilt ganz besonders für die Kiemenfüße, Rücken- und Muschelschaler, die nicht wie etwa die flugfähigen Mücken und Köcherfliegen aktiv neu entstandene geeignete Gewässer aufsuchen können und die daher z.T. nur noch an wenigen- oft weit voneinander entfernten - Fundorten in der Bundesrepublik vorkommen (HERBST 1982, RIEDER in BLAB et al. 1984).

Ein trockengefallener Tümpel ist ebenfalls alles andere als ein „toter" Lebensraum: mit der Austrocknung „erlischt" zwar zumindest optisch die aquatische Lebensgemeinschaft, aber nur, um einer anderen Biozönose Platz zu machen. Eine Reihe von teilweise ebenso speziali- sierten (und vielfach ebenso bedrohten) Organismen ist nämlich auf die Besiedlung des feuchten Schlammbodens frisch ausgetrockneter Tümpel bzw. auf extrem niedrige Wasser- stände von wenigen Millimetern angewiesen. Hier dominieren u. a. die Larven verschiedener Zweiflügler (Dipteren), besonders die diverser Mückenarten (keine Stechmücken!). Auch sie zeigen mannigfache Anpassungen (DROSTE 1982) an ihren extremen Lebensraum, auf die hier aus Platzgründen aber nicht näher eingegangen werden kann. Erwähnt sei nur die Fähig- keit mancher dieser Spezialisten, im Eistadium Überflutungen zu ertragen, eine Entsprechung zur geschilderten Austrocknungsresistenz der Eier aquatischer Formen! Dieses Phänomen wurde erst in jüngsterZeit für Springschwänze (flügellose Urinsekten) nachgewiesen und wird auch für gewisse Dipteren sowie Milben vermutet (TAMM 1981).

Außer Tieren kommen in diesem Lebensraum der feuchten Schlammflächen auch Samen- pflanzen zum Zuge. Während man in kurzlebigen Gewässern in der Regel lediglich Algen (BOCK 1952, KRAMER 1964), jedoch keine typischen Wasserpflanzen findet, bestenfalls amphibische Arten, die sowohl Überflutung als auch Austrocknung ertragen (z. B. Wasser- pfeffer), können sich hier spezielle floristisch meist erstaunlich homogene Pflanzengesell- schaften - die Zwergpflanzen-Fluren wechselnasser Standorte - einstellen. In Mitteleuropa 113 gehören sie pflanzensoziologisch gesehen sämtlich zum Verband der Zwergbinsengesell- schaften (Nanocyperion) (ELLENBERG 1982). Hierzu gehören z. B. Krötenbinse, Schlammling, oder Sumpfruhrkraut, allesamt sehr unscheinbare, weil kleinwüchsige und konkurrenz- schwache Pionierarten, die sich durch kurze Entwicklungsdauer und vielfach extrem hohe Samenproduktion auszeichnen. Die meist winzigen Samen können sowohl ungezielt durch Wind und Wasser verfrachtet als auch relativ gezielt durch Wat- und Wasservögel verschleppt werden. Die dadurch ermöglichte potentielle Allgegenwart ihrer Samen erklärt das oft fast schlagartige Auftreten dieser Pflanzen an jedem noch so kleinen und isolierten geeigneten Wuchsort. Die Samen vieler Arten ertragen auch eine Überflutung; diese haben dann beim Trockenfallen gegenüber anderen -konkurrenzstärkeren -Gesellschaften, etwa den ebenfalls an solchen Standorten wachsenden Zweizahnfluren, einen überlebenswichtigen Entwick- lungsvorsprung. Trotz dieser Anpassungen trifft man die meisten Arten der Zwergbinsen- Gesellschaften heutzutage mangels geeigneter Standorte nur noch selten an, ja, einige müssen sogar als ausgesprochene „Kleinodien" unserer Flora gelten. Wie fast stets, sind auch hier die am engsten angepaßten Arten zugleich am meisten gefährdet.

Dieser keineswegs erschöpfende Ausflug in die Welt der Tümpel und ihrer Bewohner, die zwei so völlig unterschiedlichen Lebensgemeinschaften angehören, mag verdeutlichen, welchen biologischen und ökologischen Wert diese häufig als nutzloses „Unland"verkannten wechsel- nassen Standorte haben. Leider werden diese Biotope auch heute noch absichtlich oder gedankenlos vernichtet. Feuchte Mulden werden verfüllt odertrockengelegt, nasse Waldwege asphaltiert, Tümpel in Fischteiche umgewandelt. Selbst von Seiten des Naturschutzes droht Gefahr!

Gerade diese hochgradig gefährdeten Lebensräume werden nämlich gemeinhin als optimal geeignete Standorte für die jetzt so in Mode gekommene und an sich begrüßenswerte Neu- anlage von Kleingewässern (PRETSCHER 1985) in der freien Landschaft angepriesen. Das ist zwar besser als etwa ein Standort in einem Trockenrasen, führt aber zu einer ungewollten weiteren Gefährdung.

Den wenigen noch verbliebenen Tümpeln gebührt daher uneingeschränkter Schutz; keines- falls dürfen sie etwa einem noch so „naturnahen Seerosenteich" geopfert werden, zumal vom Menschen künstlich geschaffene Kleingewässer kaum einen Ersatz für die Vielfalt natürlicher Feucht- und Naßbiotope bieten können (WILDERMUTH 1982)! Jeder verantwortungsbewußte Bürger sollte daher bemüht sein, durch Aufklärung und aktives Handeln einen Beitrag zur Erhaltung dieser ebenso bemerkenswerten wie bedrohten Lebens- räume zu leisten.

Literaturverzeichnis:

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KESTN ER, A. (1967): Lehrbuch der Speziellen Zoologie, Bd. 1/2: Crustacea - Stuttgart.

KRAMER, H. (1964): Ökologische Untersuchungen an temporären Tümpeln des Bonner Kottenforstes. Decheniana 117: 53 -132.

KREUZER, R. (1940): Limnologisch-ökologische Untersuchungen an holsteinischen Klein- gewässern. Arch. Hydrobiol. Suppl. Bd. 10: 359 - 572.

MOHRIG,W. (1969): Die Culiciden Deutschlands- Parasitologische Schriftenreihe 18, Jena.

PRETSCHER, P. (1985): Kleingewässer schützen und schaffen. Informationsbroschüre des AID (Bonn). 115 RINGLER, A. (1976): Verlustbilanz nasser Kleinstbiotope in Moränengebieten der Bundes- republik Deutschland. Natur und Landschaft 51 (7/8): 205 - 209. SPAN DL, H. (1925): Die Tierwelt vorübergehender Gewässer Mitteleuropas. Arch. Hydrobiol. 16: 74 -132. TAMM, J. C. (1981): Das jahresperiodisch trockenliegende Eulitoral der Edertalsperre als Lebens- und Ersatzlebensraum. Dissertation, Marburg. WESTPHAL, U. (1984): Die Besiedlung künstlicher Kleinstgewässer in Abhängigkeit von Fläche und Substrat -ökologische Untersuchungen an normierten Modellökosystemen. Dissertation, Marburg. WICHARD,W. & H. REICHEL (1970): Zur Trichopterenfauna periodischer Gewässer. Nachr. bl. der Bayer. Ent. 18: 4 - 6, 56 - 57. WI LDERMUTH, H. (1982): Die Bedeutung anthropogener Kleingewässer für die Erhaltung der aquatischen Fauna. Natur und Landschaft 57 (9): 297-306.

Anschrift des Verfassers: Dr. UWE WESTPHAL, Naturschutzzentrum Hessen, Friedensstraße 38, 6330 Wetzlar

Neue Literatur

BEZZEL, E. (1985): Kompendium der Vögel Mitteleuropas. - Nonpasseriformes, Nichtsing- vögel.-792 5.,198 Zeichnungen,127Verbreitungskarten,27Tab.,Aula-Verlag Wiesbaden. Nunmehr liegen 10 der insgesamt projektierten 14 Bände des „Handbuchs der Vögel Mittel- europas" vor. Dieses sehr umfangreiche (und dementsprechend auch teure) Werk ist für viele Ornithologen zu ausführlich und finanziell nicht erschwinglich. Es war daher eine ausgezeich- nete Idee, dieses Handbuch in Kurzfassung (in Form eines Kompendiums) in 2 Bänden herauszubringen. Hinzu kommt, daß es bisher auch keine Zusammenfassung über die mittel- europäische Vogelwelt gibt. Das Kompendium ist nicht nur ein generelles Nachschlagewerk, sondern informiert schnell und umfassend über die einzelnen Arten.Zu jeder Vogelart werden Angaben zu folgenden Stichpunkten gemacht: Status in Mitteleuropa, Kennzeichen, Verbrei- tung und Bestand, Wanderungen, Lebensraum, Nahrung, Stimme, Verhalten, Fortpflanzung, Alter, Mauser und Literatur. Zum Lesen der Literaturzitate bedarf es einiger Übung, da vieles (zwangsläufig) stark abgekürzt dargestellt werden mußte. Das Kompendium ist daher aber nicht nur für den Ornithologen ein ausgezeichnetes Nachschlagewerk, sondern auch für alle im Naturschutz amtlich und ehrenamtlich Tätigen. Der Erwerb dieses Werkes kann sehr empfohlen werden und sollte zur Grundausstattung jeder guten ornithologischen Bibliothek gehören. W. KEIL 116 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen • Vogel und Umwelt 4: 117-120 (1986)

Naturschutz und Entwässerungsgräben - Anregungen und Tips — von KARL-ULRICH STÖRKEL, Frankfurt am Main

Grundlagen

1. Das Anlegen von Entwässerungsgräben steht in einem starken Spannungsverhältnis zu Forderungen des Naturschutzes. Einerseits soll der Grabenbau die land- oder forstwirtschaftliche Nutzung von vernäßten Geländeparzellen ermöglichen, andererseits ist seit geraumer Zeit überall ein Rückgang von Feuchtbiotopen,z.B.in Form von Naß- und Feuchtwiesen, zu beobachten. Diese Biotope sind in ihrer Gesamtheit, also in ihren großflächigen und kleinflächigen Ausprägungen, absolut schutzwürdig.

2. Bei der Neuanlage von Gräben ist daher in jedem Fall zuerst zu prüfen, ob und wieweit eine Entwässerung überhaupt notwendig und unter Berücksichtigung ökologischer Gesichts- punkte vertretbar ist. Insbesondere ist z.B. im Rahmen der Flurbereinigung zu überlegen, ob die intensive Bewirtschaftung von Feuchtwiesen durch Entschädigung oder Tausch der Grundstücke vermieden werden kann. Eine u. U. aus Gründen des Naturschutzes notwen- dige extensive Flächennutzung bleibt dabei selbstverständlich aufrecht erhalten.

Weiter ist zu bedenken, daß es wasserwirtschaftlich günstiger ist, Hochwasser nach Stark- regen zurückzuhalten, als es schnell abzuleiten.

3. An bestehenden Grabensystemen kann der o. g. Nutzungskonflikt zwar nicht aufgehoben, jedoch z.T. durch eine Reihe von Maßnahmen entschärft werden. Bei naturgemäßer Pflege können Gräben z. B. wertvolle Ersatzbiotope für verlorengegangene Kleingewässer (ausdauernde und vorübergehende Tümpel) darstellen.

Vorschläge zur Verbesserung der Situation an Gräben

1. In vielen Fällen sind Gräben im Rahmen der Flurbereinigung mit Betonhalbschalen und Rasengittersteinen ausgelegt worden. Diese naturwidrige Sohlbefestigung verhindert den Wasseraustausch mit dem Untergrund (Grundwasseranreicherung) und führt zu arten- armen, einseitigen Biozönosen. Eine natürliche Grabensohle ist Voraussetzung für die Ausbildung einer reichhaltigen Gewässerlebensgemeinschaft. Sie dient als Besiedlungs- substrat für Pflanzen und Tiere und als Refugialraum bei ungünstigen Verhältnissen (Hoch- wasser, Austrocknen, Frost). Betonhalbschalen und andere naturfremde Sohlbefesti- gungen sind daher zu entfernen.

2. Gräben liegen i. a. im Bereich intensiv genutzter landwirtschaftlicher Nutzflächen. Der Nähr- stoffeintrag durch mineralischen Dünger und Gülle ist daher oft erheblich. Dies führt nicht nur zu einem unerwünschten starken Verkrauten der Gräben, sondern trägt auch zu der bedenklichen Eutrophierung aller weiteren Vorfluter bei. Durch die Anlage von weniger 117 intensiv genutzten, geschlossenen Schutzstreifen am Grabenrand, die als Pufferzone bzw. Nährstoffbarriere dienen, können die negativen Folgen gemindert werden (dies gilt auch für Pestizideinsätze). Diese Geländestreifen sollen im Flurbereinigungsverfahren in die öffent- liche Hand überführt oder mit Auflagen versehen werden, so daß die Pflegemaßnahmen nicht der privaten Entscheidung der Grundstücksinhaber überlassen bleiben.

3. Um die Ersatzfunktion der Gräben für temporäre oder ausdauernde Kleingewässer zu verbessern, sollten die Uferlinien abwechslungsreich gestaltet werden. Flache Uferränder sind vor allem für Amphibien und manche Insektenlarven von Bedeutung (z. B. Verpup- pungswanderung von Dytiscus oder Hydrous). An verschiedenen Stellen sind Buchten und Grabentaschen anzulegen, die neben vorherr- schenden Flachwasserbedingungen vereinzelt auch tiefe Stellen (1-2 m) aufweisen können. Diese Maßnahmen sind auch aus landschaftsästhetischen Gesichtspunkten zu begrüßen, da sie den monotonen, geraden Verlauf der Gräben durchbrechen. Je nach Geländeneigung sollen in unregelmäßigen Abständen Sohlschwellen von geringer Höhe eingebaut werden. Sie garantieren einerseits einen Mindestwasserstand für be- stimmte Abschnitte, behindern andererseits aber nicht den Hochwasserabfluß. Teil- abschnitte sind jedoch auch dem Trockenfallen preiszugeben.

4. Bei Gräben mit starker Sedimentführung und Schwebstofffracht sollen Sandfänge evtl. in Kombination mit einer kleinen Röhrichtfläche als Schwebstoffilter eingerichtet werden. Hierdurch ließe sich Häufigkeit und Ausmaß von Räumungsarbeiten örtlich begrenzen.Als flankierende Maßnahme, die den Sedimenteintrag in die Gewässer verlangsamt und daher auch wasserwirtschaftlich erwünscht ist, soll ein Umbruchverbot in Überschwemmungs- gebieten angestrebt werden.

Die Sohlräumung ist generell als der massivste Eingriff in die Grabenlebensgemeinschaft anzusehen. Neben der direkten mechanischen Zerstörung der Organismen sind auch indi- rekte Schädigungen damit verbunden. Das aufgewirbelte Sediment erhöht die Trübung in den unterliegenden Grabenabschnitten und beeinflußt hydrochemische Parameter wie z.B.Sauerstoff-Zehrung. Örtlich können z.T. anaerobe Schichten freigelegt werden, was zu einem Anstieg von Schwefelwasserstoff-Gehalten führt. Um die Zerstörung zu begrenzen und eine rasche Wiederbesiedlung zu ermöglichen, soll daher entweder nur eine Uferseite entlandet werden, oder die Räumung nur abschnittsweise in mehrjährigem Turnus erfolgen. Bei jährlicher Wiederholung der Bearbeitung würde allen Organismen mit längeren Entwik- klungszeiten (z. B. Libellen- und Käferlarven) die Lebensmöglichkeit entzogen.

5. Die meist nährstoffreichen Bedingungen und fehlende Beschattung führt in den Gräben i. a. zu einer üppigen Entwicklung von Wasser- bzw. Sumpfpflanzen. Durch deren Bestands- abfall und die sedimentationsfördernde Wirkung beschleunigen sie die Verlandung.

Die submerse und emerse Vegetation ist jedoch für die meisten grabenbewohnenden Tierarten ein unerläßliches Biotop-Requisit. Sie erst bietet die notwendige Raumstruktur und die Nahrungsgrundlage für eine arten- und individuenreiche Besiedlung mit Insekten (Odonaten, Dipteren, Coleopteren, Heteropteren), Mollusken und anderen Wirbellosen (Hirudineen, Crustaceen usw.). Die Pflanzen dienen daneben aber auch Fischen und Amphibien als Unterschlupf und Laichplatz. Bei manchen Tierarten ist vielfach eine voll- ständige Spezialisierung auf nur eine Pflanzenart als Nahrungsquelle oder Eiablage- Substrat festzustellen. Hierzu gehören viele monophage Käfer (Donacia-Arten), Klein- schmetterlinge (Nymphula, Paraponyx) und manche Libelle. Diese stenöken Arten müssen 118 mit dem Verschwinden der entsprechenden Pflanzen lokal aussterben. Eine Wiederbe- siedlung ist nicht immer möglich, da der Ausbreitungsradius oft begrenzt ist (z.T. weniger als 100 m). 6. Die Ufervegetation der Gräben besteht meist aus Röhricht oder einer nitrophi len Hochstau- denflur. Sie beherbergt eine reichhaltige Wirbellosenfauna (Insekten, Spinnen, Mollusken). In Schleswig-Hostein sind z. B. in der Bachröhricht- und Mädesüßflur mehr als 3000 Tierarten registriert worden. Die Uferzone ist aber auch für eine Reihe von terrestrischen Tierarten Brut-, Schutz-, Nahrungs- und Überwinterungsraum. Vor allem in der ausge- räumten Feld- und Wiesenflur bietet die Vegetation der Grabenränder oft die letzte Zu- fluchtsstätte (Deckung für Niederwild, Winternahrung für Zug- und Strichvögel, nektar- reiche Blütenfluren für Insekten). Eine Mahd der Ufervegetation sollte daher, wo immer möglich, nur alle 3 - 5 Jahre erfolgen, um vor allem das Aufkommen von Gehölzen zu begrenzen und nur abschnittsweise bzw. einseitig vorgenommen werden. Einer ökologischen Unbedenklichkeitserklärung für eine regelmäßige Herbstmahd, wie sie die DVWK-Richtlinie 204 1) uneingeschränkt vorsieht, kann nicht zugestimmt werden. Zum einen berücksichtigt sie nicht das Winternahrungsan- gebot an Sämereien für die Vogelwelt, und zum anderen wird beispielsweise die Hibernal- fauna der Halme übersehen: Pflanzenstengel sind für eine Reihe von z.T. seltenen Klein- tieren (Insekten, Spinnen) artspezifische Überwinterungsplätze. Eine regelmäßige Herbst- mahd kann bei solchen Populationen das lokale Aussterben bewi rken. In jedem Fall soll das Mähgut aus dem Grabenbereich entfernt werden,um die Nährstoffanreicherung in Grenzen zu halten. 7. An geeigneten Abschnitten können Gehölzanpflanzungen ökologisch günstige Auswir- kungen an Gräben erzielen und zu einer Belebung des Landschaftsbildes beitragen. Neben der Ufersicherung ist dabei vor allem an die Beschattung zu denken. Sie führt zu einem ausgeglichenen Wärmehaushalt des Wassers und reduziert die Verkrautung. Ob und in welchem Ausmaß Anpflanzungen sinnvoll sind, muß jedoch von den gegebenen örtlichen Bedingungen abhängig gemacht werden. Schützenswerte Bestände krautiger Pflanzen sind zu berücksichtigen. Der weiträumigste Charakter von Feuchtgrünländereien ist zu erhalten, da viele Wiesenvögel empfindlich auf Horizontüberhöhungen durch Baumzeilen reagieren. Ein weites Sichtfeld ist für Bodenbrüter (z. B. Brachvogel) unerläßlich. Einzel- gehölze werden jedoch i. a. toleriert und sind als zusätzliche vertikale Strukturelemente für eine Reihe weiterer Arten förderlich (Ansitz- bzw. Singwarte z. B. für Braunkehlchen, Grauammer). 8. Ziel aller Maßnahmen zur Verbesserung der ökologischen Situation an Gräben ist die Beseitigung der einseitigen Lebensbedingungen und die Schaffung einer Vielfalt von Standortfaktoren und Kleinhabitaten. Da dabei die naturräumliche und morphologische Individualität jedes Grabensystems zu berücksischtigen ist, müssen die hier dargestellten Leitgedanken den örtlichen Gegebenheiten angepaßt werden. Hierzu scheinen Unterhaltungspläne, die zwischen allen Interessengruppen abgestimmt werden müssen, ein geeignetes Mittel zu sein. Die vorgeschlagenen Maßnahmen für ein ökologisch ausgerichtetes Grabensystem und dessen Unterhaltung stehen sicherlich in einem gewissen Gegensatz zur Schematisierung und Mechanisierung der Grabenunter- haltung in den rationell zu bearbeitenden landwirtschaftlichen Nutzflächen.Dafür erlauben sie aber auch die Erhaltung und Wiederansiedlung einer naturnahen Gewässerbiozönose und verbessern den Erlebnis- und Erholungswert der Landschaft.

1) DVWK= Deutscher Verband für Wasserwirtschaft und Kulturbau. 119 Literatur

BLAB, J. (1984): Grundlagen des Biotopschutzes für Tiere; Kilda-Verlag, Greven.

Deutscher Verband für Wasserwirtschaft und Kulturbau (1984): Ökologische Aspekte bei Ausbau und Unterhaltung von Fließgewässern.Verlag Paul Parey, Hamburg. GARMS, R. (1961): Biozönotische Untersuchungen an Entwässerungsgräben in Fluß- marschen des Elbe-Aestuars. Arch. Hydrobiol./Suppl. 26: 344 - 462.

KLUGE, H.-H. (1984): Lebensbedingungen für limnische Wirbellose (Invertebrata) in unter- schiedlich ausgebauten Entwässerungsgräben. Natur und Landschaft 59: 400 - 406.

Anschrift des Verfassers: Dr. KARL-ULRICH STÖRKEL, Am Großen Berge 24, 6000 Frankfurt am Main 50

Neue Literatur

JEDICKE, E. (1986): Blumenwiese oder Rasen? - Anlage und Pflege -. 80S., 25 Farbfotos, 36 Zeichnungen, Kosmos-Florarium in Farbe, Franckh-Kosmos Verlasgsgruppe Stuttgart.

Bis vor wenigen Jahren war es üblich, im eigenen Garten einen gepflegten Rasen, möglichst nach „englischem Vorbild" anzulegen. Von seiten des Gesetzgebers war ein Gartenbesitzer sogar angehalten, seine Rasenfläche so zu halten, daß der Flug von „Unkrautsämereien" auf Nachbargrundstücke verhindert werden mußte. Zwischenzeitlich wurde nicht nur dieser unsinnige und unökologoische Zopf angeschnitten, sondern viele Gartenbesitzer bemühen sich darum, eine Blumenwiese anzulegen. Hierzu Anleitung und Hinweise zur Pflege solcher Flächen zu geben, ist der hauptsächliche Sinn dieses Buches. Sehr anschaulich wird darge- legt,wie Blumenwiesen und entsprechende Rasenflächen angelegt, behandelt und langfristig zu pflegen sind. Auch wird ein Kapitel dem „öffentlichen" Grün in Städten und Dörfern gewidmet. Am Schluß des Buches werden Boden-Untersuchungsanstalten und die weiterfüh- rende Literatur genannt. Der Text wird durch eine umfangreiche Illustration vertieft. Das preis- werte Buch kann jedem Gartenbesitzer empfohlen werden. W. KEIL 120 Zeitschrift fürVogelkunde und Naturschutz in Hessen • Vogel und Umwelt 4: 121-122 (1986)

Ackerrandstreifenprogramm erfolgreich in Hessen angelaufen von KARIN SCHREINER, Wetzlar

Mehr als 400 km Ackerrandstreifen mit einer Fläche von etwa 180 ha konnten hessenweit, nach Angaben des Deutschen Bundes für Vogelschutz - Landesverband Hessen -, bereits in diesem Jahr durch das Schutzprogramm, auch Aktion Kornblume genannt, erfaßt werden. Mit über 500 Landwirten wurden Verträge abgeschlossen. In vielen Gemarkungen Hessens konnten sich die standorttypischen Ackerbegleitpflanzen auf den 3 bis 5 m breiten Schonstreifen entwickeln. Die bunten Farbtupfer von Klatschmohn, Kornblumen und Kamillen tragen zur Belebung und Bereicherung unserer Kulturlandschaft bei. Die Ackerrandstreifen werden wie die restliche Feldfläche in der üblichen Weise bewirt- schaftet, bleiben aber frei von Pflanzenbehandlungsmitteln. Nicht nur häufigere Wildkräuter, sondern auch seltenere und bestandsbedrohte Arten wie Acker-Löwenmaul, Acker-Rittersporn und Lämmersalat konnten blühen und fruchten. Von den ca. 280 Ackerbegleitpflanzen sind bereits 14 Arten verschollen und mehr als 70 Arten sind vom Aussterben bedroht oder gefährdet. Bereits im ersten Jahr der Durchführung stellten sich auf den meisten Flächen artenreiche Lebensgemeinschaften ein. Eine Vielzahl von Tieren, insbesondere Insekten und das Rebhuhn profitieren von dem deutlich größeren Angebot an wildwachsenden Feldpflanzen. Landwirte helfen damit bedrohten Pflanzen und Tieren. Ein schöner,vielversprechenderErfolg, der durch die Zusammenarbeit von Landwirtschaft und Naturschutz entsteht. Der Samenvorrat, der in den Böden unserer Äcker noch vorhanden ist, bildet den Ausgangs- punkt für das Artenspektrum, das auf den ungespritzten Randstreifen zur Entwicklung kommt. Die unbehandelten mit Wildkräutern bestandenen Schonstreifen setzen sich fast geradlinig von der restlichen Ackerfläche ab. Mehrjähgrige Erfahrungen von SCHUMACHER (1984) aus Nordrhein-Westfalen zeigen, daß Ackerwildkräuter im Rahmen der heute üblichen Bewirtschaftung auf ungespritzen Feld- rändern erhalten werden können. Es zeigt sich, daß eine stärkere Verunkrautung der angren- zenden Flächen nicht auftritt, da die Unkräuter im Feldbestand ohnehin bekämpft werden. Ein höherer Einsatz von Herbiziden sei dabei nicht nötig. Das Ackerrandstreifenprogramm kann auf allen Kulturen, nicht nur im Getreide, auch auf Hackfrucht oder Raps, durchgeführt werden. Fruchtwahl und Fruchtfolge bleiben dem Land- wirt überlassen. Evtl. kann der Landwirt auch in dem Jahr, in dem Hackfrucht angebaut wird, seinen Acker aus dem Programm nehmen. Die Ackerränder können dann wie der gesamte Schlag bewirtschaftet und behandelt werden. Die charakteristischen Getreidewildkräuter z.B. Kornblume, Klatschmohn, Acker-Rittersporn werden dadurch nicht in ihrem Bestand gefährdet, da sich diese Pflanzen im Hackfruchtjahr im allgemeinen nicht entwickeln. In Hackfruchtkulturen treten andere Ackerbegleitpflanzen auf. Dies ist jedem Landwirt, der den Besatz an wildwachsenden Pflanzen in seinen Feldern beobachtet, bekannt. Wird im Rahmen der Fruchtfolge der Acker wieder als Getreideschlag genutzt, kann das Ackerrandstreifen- programm erneut greifen. Die typischen Getreidewildkräuter werden auflaufen und gedeihen. Der Landwirt erhält vom Land für entstehenden Minderertrag und Ernteerschwernisse einen Ausgleich von 9 Pfennig pro m2. 121 Die meisten Landwirte werden sich im kommenden Jahr wieder beim Ackerrandstreifen- programm beteiligen. Zahlreiche Landwirte werden zusätzlich neu in das Programm ein- steigen.

Die Zielsetzung: Erhaltung und Förderung der Ackerlebensgemeinschaften kann nur erreicht werden,wenn das Programm,wie in anderen Bundesländern auch, langf ristig auf den gleichen Flächen durchgeführt wird. Möglichst bald sollten in allen Gemarkungen Hessens ungespritzte Ackerränder für unsere Flora und Fauna entstehen. Landwirte, die sich für das Programm interessieren, können sich an den Deutschen Bund für Vogelschutz, Friedenstraße 25, 6330 Wetzlar, wenden.

Literatur

SCHREINER, K. (1986): Ackerlebensgemeinschaften - Ackerrandstreifenprogramm des DBV- Landesverband Hessen. Natursch. heute, H.1: 16.

SCHUMACHER,W. (1984): Gefährdete Ackerwildkräuter können auf ungespritzten Feld- rändern erhalten werden. LÖLF-Mitt. 9: 14 - 20.

Anschrift der Verfasserin: Dipl.-Biologin KARIN SCHREINER Deutscher Bund für Vogelschutz Landesverband Hessen e.V., Friedenstraße 25, 6330 Wetzlar

Neue Literatur

BURTON, R. (1985): Das Leben der Vögel.- 244 S., 572 Farbfotos,17Zeichn.,Franckh-Kosmos Verlagsgruppe Stuttgart. Wer Vögel beobachtet wird schnell feststellen, daß es sehr interessant und lehrreich ist, das Verhalten zu ergründen. Gerade die Verhaltensweisen lassen Rückschlüsse auf die Biologie der betreffenden Vogelart zu. So gibt es während der Balz ebenso bestimmte Abläufe, wie während des Brutgeschäftes. Die Fütterung derJungen zeigt ebenfalls entsprechende Verhal- tensweisen. Selbst ins Winterquartier ziehende Vogelschwärme haben ihre Gesetzmäßig- keiten. Das vorliegende Buch veranschaulicht in sehr ansprechender Weise eine Reihe von Verhaltensarten im Jahresablauf unserer Vögel. So wird zunächst erklärt, wie man das Vogel- verhalten verstehen lernen kann. Dem Vogelflug, dem Sehen, Hören, Tasten, Fühlen, der Nahrungssuche, der Lebensweise,derVogelsprache,dem Miteinander,Werbung und Paarung, Brutbiologie und dem Vogelzug werden entsprechende Kapitel gewidmet. Eine exzellente Auswahl von Farbfotos und Zeichnungen ergänzen den Text. Das Buch ist nicht nur für den Ornithologen eine lesenswerte Lektüre. W. KEIL 122 Kleine Mitteilungen

Beobachtungen zum Bruterfolg eines Haubentaucher-Bestandes 1985 auf künstlich angelegten Wasserbecken.

Einleitung In dem Beobachtungsgebiet zwischen Wiesbaden-Schierstein und Walluf, Ortsteil Nieder- walluf, welches der Wasserversorgung der Stadt Wiesbaden dient, liegen sechs Wasser- becken mit einer Gesamtgröße von 11,15 ha Wasserfläche. Die Beckenränder aus gesetzten Steinen haben einen Böschungswinkel von 35 - 40°, auf denen sich im Laufe der Jahre ein Vegetationsgürtel von unterschiedlicher Dichte und Ausdehnung gebildet hat. Die Wassertiefe beträgt 1,50 - 3,00 m, Flachwasserzonen sind nicht vorhanden.

Der Fischbesatz besteht aus Karpfen, Rotauge, Schleie, Aal, Barsch, Hecht und Zander. Die diesjährige Abfischung der beiden „3 er Becken" ergab an Raubfischen fünf Hechte mit durch- schnittlichem Gewicht von 3,5 kg und elf Zander mit durchschnittlichem Gewicht von 2,5 kg.

Im Gebiet werden seit 1947 brütende Haubentaucher beobachtet und zwar: 1947 -1957: 2 - 4 Brutpaare 1958 -1961: 4 - 8 Brutpaare (Neuanlage von zwei zusätzlichen Becken mit 3,05 ha Wasserfläche, NEUBAUR 1962) In den Jahren 1962 -1967 wurde die Anzahl der Brutpaare genauer notiert, über die Anzahl der Jungen wird nichts berichtet (NEUBAUR, DÄSEM &ZINGEL 1968). 1962: 9 Brutpaare 1963: 7 Brutpaare 1964: 5 Brutpaare 1965: 6 Brutpaare + 1 Zweitbrut 1966: 7 Brutpaare 1967: 7 Brutpaare + 1 Zweitbrut Ab dem Jahr 1977 sind von verschiedenen Beobachtern folgende Brutpaar-Zahlen mündlich angegeben worden: 1977: 8 Brutpaare 1978: 10 Brutpaare 1979: 9 Brutpaare 1980: 6 Brutpaare + 1 Zweitbrut 1981: 7 Brutpaare 1983: 9 Brutpaare 1984: 7 Brutpaare 1985: 8 Brutpaare, Nichtbrüter waren nicht anwesend.

Untersuchungsziel Das abgeschlossene und gut überschaubare Gebiet erscheint recht geeignet für planmäßige Beobachtungen zum Bruterfolg. 1985 wurde erstmals die Anzahl der Jungtiere vom frühest- möglichen Zeitpunkt an ermittelt und weiter verfolgt bis zum „Verschwinden" der Jungen. Bislang waren nur Gelegenheitsbeobachtungen von ad. Haubentauchern mit pulli mündlich erwähnt worden. Die genaue Reproduktionsrate - abzüglich der Mortalitätsrate der „nicht 123 flüggen" Jungvögel - war nie festgestellt worden. Da die Flugfähigkeit erst in der 10. bis 12. Lebenswoche erreicht wird, können nur Bruten mit Jungvögeln, die dieses Alter erreicht haben, als erfolgreich gewertet werden.

Ergebnis

Bei den acht Brutpaaren im Jahr 1985 sind insgesamt 14 Jungvögel ermittelt worden. Fünf pulli verschwanden, bevor sie das Alter von drei Wochen erreicht hatten, fünf Jungvögel verschwanden im Alter von 7 - 8 Wochen. Vier Junge sind bis zur 10., 11., 12. und sogar 15. Lebenswoche auf den Becken geblieben. Bei den in der 10. und 11. Lebenswoche verschwun- denen wurde ein „Wegbeißen" durch die Eltern beobachtet, die beiden länger verweilenden Jungtiere fielen durch besondere „Harmonie" mit den Elterntieren auf. Es ergibt sich ein Brut- erfolg von 0,5 Junge pro Brutpaar. Dabei hat ein Brutpaar zwei Junge großgezogen, ein Brut- paar ist ohne Bruterfolg geblieben. Die Reproduktionsrate von 0,5 Junge/Brutpaar muß als sehr gering angesehen werden. In der Zusammenstellung von VLUG (1983) über den durch- schnittlichen Bruterfolg in verschiedenen europoäischen Gebieten gibt es allerdings noch geringere Jungenzahlen; so bei einer dreijährigen Beobachtung (1975-1977) am Genfer See mit 0,2 Junge/Brutpaar, am Pfäffikersee (1974-1977) nur 0,05 Junge/Brutpaar. Eine Unter- suchung in Schottland (SMITH 1974) erbrachte 0,5 Junge/Brutpaar.

Dem gegenüber stehen höhere Durchschnittszahlen vom Prespasee/Jugoslawien (1970) von 2,06 Junge/Brutpaar und aus Belgien (SUETENS 1960) mit 2,33 Junge/Brutpaar. Allerdings wird nie mitgeteilt welches Alter die Jungen bei der Erfassung hatten.

Mögliche Todesursachen Raubfische : Beobachtet wurde das Verschlingen kleiner Stockentenküken durch Hechte. Dem dürften auch junge Haubentaucher zum Opfer fallen. HARRISON und HOLLOM (1932) erwähnen auch Aale. Rabenkrähe, Elster : Beide brüten im und am Gelände und werden als Eierräuber vermutet. Grau re iher: Während des Frühjahrs und Sommers sind 10 -15 Ex. im Gelände anwesend. Beobachtet wurde, daß ein im Strauch über dem Haubentauchernest sitzender Graureiher dieses mit lang ausgestrecktem Hals zu erreichen versuchte. Die Nestbesitzer drohten, aus dem Wasser schnellend, mit gestreckten Hälsen. Bleßralle: In zwei Fällen wurde eine Bleßralle auf einem Haubentauchernest beobachtet, die in den zerstörten Eiern stocherte. Ob sie als „Täter" in Frage kommt, muß offen bleiben. Die Zerstörung von Haubentaucher-Gelegen durch Bleßrallen wird von GÖTTSCHI (1955), BORRMANN (1969) und HARRISON und HOLLOM (1932; p. 177- 178) beschrieben. Ratten : Sie werden als Eiräuber vermutet (NEUBAUR 1962). Unterkühlung: Unterkühlung als Todesursache der Pulli wird von mehreren Autoren angenommen (MELDE 1973, WOBUS 1964 a, ONNO 1966). Nahrungsmangel: Dies trifft wohl vor allem auf die älteren, 7 -8 Wochen alten, Jungtiere zu (VLUG briefl.).

Zu danken habe ich den Stadtwerken Wiesbaden, insbesondere Herrn F. DEUTER, der mir die Genehmigung zum Betreten des Geländes erteilte, und Herrn R. LEBOLD, der die Beobach- tungen in meiner Abwesenheit fortsetzte. 124 Literatur

BAUER, K. & U. N. GLUTZ VON BLOTZHEIM: Handbuch der Vögel Mitteleuropas; Band 1. Wiesbaden 1966; S. 94 -117.

BERNDT, R. K. & D. DRENCKHAHN: Die Vogelwelt Schleswig-Holsteins; Band 1. Kiel 1974; S. 68 - 88.

BORRMANN, K. (1969): Rothalstauchergelege vom Bleßhuhn geplündert. Der Falke 16: 211.

CRAMP, S. & K. E. L. SIMMONS: Handbook of the Birds of Europe, the Middle East and North Africa. Vol. 1; Oxford 1977 p.78 - 89.

GÖTTSCHI, F. (1955): Vögel der Heimat, 25: 116 -118.

HARRISSON, T. H. & P. A. D. HOLLOM (1932): The Great Crested Grebe Enquiry. Brit. Birds 26: 62 -92,102 -131,142 -155,174-195, 286-291.

MELDE, M.: Der Haubentaucher. Die Neue Brehm-Bücherei. Wittenberg-Lutherstadt 1973.

NEUBAUR, F., W. DÄSEM & D. ZINGEL (1968): Nachträge zur Vogelfauna des Gebietes zwischen Wiesbaden-Schierstein und Niederwalluf. Jahrbuch Nass. Ver. Naturkunde 99: 133 -152. NEUBAUR, F., R. PETERSEN & 0.v. HELVERSEN (1962): Vogelfauna eines kleinen Gebietes bei Schierstein und Niederwalluf im Rheingau. Jahrbuch Nass. Ver. Naturkunde 99: 60 - 95. ONNO, S. (1966): Zur vergleichenden Ökologie der paläarktischen Taucherarten. Der Falke 13: 220 - 226. SMITH 1974 in J. J.VLUG 1983

SUETENS 1960 in J. J.VLUG 1983.

VLUG, J. J. (1983): De Fuut (Podiceps cristatus). Wetenschappelijke mededelingen k. N. N. V. nr. 160, Hoogwoud. WOBUS, U.: Der Rothalstaucher. Die Neue Brehm-Bücherei. Wittenberg-Lutherstadt 1964 a.

WOBUS, U. (1964 b): Zur Biologie von Haubentaucher und Rothalstaucher und ihrerVerbrei- tung im Kreis Niesky/Oberlausitz. Abh. und Ber. Naturk. Museum Görlitz 39: 1-16.

Anschrift der Verfasserin: LILO MALLACH, Rheingaustraße 111 A, 6200 Wiesbaden

125 Schlafplatzflüge überwinternder Krähen/Dohlenschwärme (Corvidae) im Raum Wiesbaden-Biebrich und Mombacher Ufer, Budenheim

1. Beschreibung der Örtlichkeit und Tradition Der winterliche Schlafplatz, der in den Monaten Oktober bis Februar seit Jahrzehnten benutzt wurde, lag bis 1976 auf der Ostspitze der „Rettbergsaue" (NSG). Durch häufige abendliche Jagden auf Ringeltauben, die ihren Schlafplatz ebenfalls auf der Rettbergsaue haben,wurden die Corviden von der Ostspitze der Insel vertrieben und schlafen seit 1977 auf der Westspitze der Rettbergsaue bzw. am direkt gegenüber liegenden ca. 75 m entfernten Mombacher Ufer (Rheinland-Pfalz). Mitunter werden beide Uferseiten benutzt; das Mombacher Ufer beherbergt aber die größere Anzahl. Der Schlafplatz liegt direkt zwischen den Deponien Mainz- Budenheim und der Wiesbadener Deponie im Dyckerhoff-Bruch.

2. Fluggeschehen Die Mehrzahl der Tiere kommt zum abendlichen Schlafplatzflug aus der Richtung Dyckerhoff- Bruch. Beliebte Hauptsammelplätze von aus dieser Richtung anfliegenden Tieren sind: Biebricher Schloßpark und das Industriegebiet Parkfeld/Biebrich. In kleinen Gruppen erfolgt hierher auch ein Anflug aus Rheinland-Pfalz. Für die meisten auf der Mainzer Deponie fressenden Saatkrähen ist der nachmittägliche Sammelplatz: die Hochspannungsleitung über dem Rhein, ufernahe Bäume am Ostrand des Budenheimer Industriegebietes und das Wasserwerksgelände Wiesbaden-Schierstein. Bei bestimmten Wetterlagen kann auch ein Überflug vom Dyckerhoff-Bruch in größerer Höhe direkt bis zu Bäumen im südlichen Schiersteiner Hafenbereich erfolgen. Hierbei wird z.T. über dem Rhein geflogen, die Flughöhe dürfte 80 -150 m betragen. Hohes Kreisen über dem Rhein bzw. über ufernahen Bereichen ist meist bei sehr klarem, nicht kaltem Wetter ab Februar zu beobachten. Die Hauptsammelplätze werden häufig gewechselt, was auf mutwillige (Biebricher Schloßpark) und unbeabsichtigte (Industriegebiet Parkfeld) Störung zurückzuführen sein dürfte. Mitunter sammelt sich auch ein Teil der Tiere im Schloßpark, ein anderer Teil im Industriegebiet. Der Zuflug zum Schlafplatz erfolgt dann nacheinander. Die Bäume des Schlafplatzes werden nie sofort aufgesucht, sondern es gibt ein fünfzehn bis zwanzigminütiges Kreisen, Sichsetzen (auch auf anderen Bäumen, den Lahnungen im Rhein, auf Gebäuden) Wiederauffliegen ehe der eigentliche Schlafplatz mit seinen Bäumen aufgesucht wird. Dies geschieht bei völliger Dunkelheit. Das Kreisen vor dem Aufsuchen der Schlafbäume geschieht über dem Rhein, recht niedrig, zwischen der Schiersteiner Brücke und der Wallufer Bucht.

3. Uhrzeit des abendlichen Fluggeschehens Der Überflug von den Hauptsammelplätzen in die Region des Schlafplatzkreisens er- folgt z. B. 7. Dezember 16.00 - 16.30 Uhr, 22. Dezember 17.00 Uhr, 21. Januar 17.30 Uhr, 2. Februar 17.15 Uhr.

Abhängigkeiten von der jeweiligen Tageswetterlage (klarer sonniger Tag, sehr bedeckt und dunkel) sind vorhanden. Der Zuflug zu den Hauptsammelplätzen erfolgt ab 2 Stunden vor dem Abflug zum Schlafplatz, also ab 15.00 Uhr, 15.30 Uhr. Gegen 16.00 Uhr ist der Zuflug ganz massiv. Die hauptsächlichen Flugbewegungen der Krähenschwärme am Nachmittag/ Abend über dem Rhein und angrenzenden Uferbereichen liegen maximal zwischen 16.00 - 18.00 Uhr. Dabei ist die Flughöhe abhängig vom Wetter. 126

Am Schlafplatz „Eilenriede" bei Hannover ermittelte SCHRAMM (1971) als Einfallswert von November bis März 0,05 Lux, mit leichter Erhöhung des Wertes im Januar auf 0,1 Lux, der aber im Verlauf des Februar wieder geringer wurde. Es ist anzunehmen, daß diese Werte auch für Wiesbaden gelten.Zu beachten ist allerdings, daß im dicht besiedelten Rheintal mit z.T.nachts arbeitenden Industrien direkt am Flußuferdie Lichtwerte durch künstliche Lichtquellen anders sind. (1 Lux = 10,76 4 Footcandle fc).

Überwinterungszahlen (eine Auswahl):

1978: 12.Januar ca. 9 500 Exemplare 1983: 23.Januar ca. 13 000 Exemplare 1979: 15.Januar ca. 15 000 Exemplare 26. November ca. 11 000 Exemplare 25. November ca. 8000 Exemplare 1984: 5.Februar ca. 11 000 Exemplare 1980: 25.Februar ca. 8000 Exemplare 24. November ca. 5 000 Exemplare 16. Dezember ca. 9 000 Exemplare 17. Dezember ca. 9-10000 Exemplare 1981: 11.Januar ca. 15000 Exemplare 1985: 23.Januar ca. 12 000 Exemplare 9.Februar ca. 12000 Exemplare 8. März ca. 5 700 Exemplare 31. Dezember ca. 8-10000 Exemplare 7. Dezember ca. 9 000 Exemplare 1982: 17.Januar ca. 10000 Exemplare 1986: 21.Januar ca. 6 000 Exemplare 8. Februar ca.10 -12 000 Exemplare 13. Februar ca. 10 900 Exemplare 11.Dezember ca. 6- 8000 Exemplare (seit ca. 10 Tagen sehr kalt!) Ein Schlafplatz an der Weisenauer Brücke bei Gustavsburg umfaßte am 21. Januar 1985 3000 - 5000 Exemplare und am 2 2.Januar 1986 4500 - 5 000 Exemplare.

Literatur

SCHRAMM, A. (1971): Krähen und Dohlen als Wintergäste im Raum Hannover und ihr Schlaf- platz in der Eilenriede. Beih. Ber. Naturh. Ges. Hannover 7: 213 - 227.

Anschrift der Verfasserin: LILO MALLACH, Rheingaustraße 111 a, 6200 Wiesbaden

127 Zeitschriftenschau von KURT MÖBUS, Frankfurt am Main

1. Berichte aus den Arbeitskreisen der „GNOR" Arbeitskreis Rheinhessen Heft 2 (1979):

BITZ, A.: Verbreitung der Brutvogelarten Rheinhessens 1979; S. 2 -90

Erster Zwischenbericht einer auf der Basis des 5 x 5 km-UTM-Gitternetzes durchgeführten Rasterkartierung und Bestandserfassung. Auswahl von 68 der 75 erfaßten Arten, teilweise mit Verbreitungskarten. (Anschrift: Hebbelstr. 127, 6500 Mainz-Lerchesberg)

Arbeitskreis Rheinhessen, Heft 3 (1981):

BITZ, A.: Avifaunistischer Jahresbericht Rheinhessen 1980. S.1 -117.

141 Arten werden besprochen; 40 Verbreitungskarten. U. a. wurden ein Trupp von sieben Schwarzstörchen, sieben Moorenten, 24 Paare Rohrweihen, 2 Paare Lachmöwen, mind.18 Paare Wiedehopfe,die erste Beobachtung des Nordischen Laubsängers in Rheinland-Pfalz und 57 -77 singende Blaukehlchen festgestellt. (Anschrift: Hebbelstr. 127, 6500 Mainz-Lerchesberg.)

2. Jahresberichte der Wetterauischen Gesellschaft für Naturkunde 133.-135. Jahrgang, 1983:

KLEIN, W.: Der Vogelbestand in der Brut- und Winterperiode zweier Stadtlandschafts- biotope in Hanau - 1980/81; S. 31- 58 Siedlungsdichteuntersuchungen aus der bebauten Innenstadt. Es wurden ermittelt: Gesamtbestand (Individuen und Arten), die Aufgliederung der Vögel nach ihrer Nist- und Nahrungsökologie, Bestandsveränderungen zwischen Brut- und Winterperiode, Struktur der Habitate und ihr Einfluß auf die Vogelbestände. (Anschrift: Max-Planck-Straße 9, 6450 Hanau)

3. Ornithologie und Naturschutz (1981) Westerwald, Mittelrhein, Mosel, Eifel, Ahr, Hunsrück Heft 3,1982: BRAUN, M., V. SCHÖNFELD &J. SCHWAMMBECK: Ergebnisse von Zugvogelzählungen bei Singhofen (Rhein-Lahn-Kreis) im Herbst 1980 und 1981; S.95-104 An 12 (1980) bzw. 19 Tagen (1981) wurde jeweils drei Stunden lang, beginnend kurz nach Sonnenaufgang, der sichtbare Vogelzug erfaßt. Die Ergebnisse werden nach Häufigkeit und Stetigkeit der einzelnen Arten sowie Artenzahl an den einzelnen Zähltagen aufgeschlüsselt. Der quantitative Zugablauf und die Abhängigkeit des Zuggeschehens vom Sonnenaufgang werden dargestellt. Anmerkung: Diese Zählung wurde auch in den Folgejahren durchgeführt; die Ergebnisse sind in den jeweiligen weiteren Jahresheften veröffentlicht. (Anschrift: Im Mühlbachtal 2, 5408 Nassau) 128 Heft 4,1983:

KUNZ, A.: Die Vogelwelt der Krombachtalsperre in den Jahren 1981 und 1982; S. 29-39

Ornithologischer Sammelbericht aus einem auch von hessischen Beobachtern häufig aufgesuchten Gebiet. Auf den ständigen Rückgang der Brut- und Rastbestände und die Ursachen dafür-fortlau- fende Störungen durch Surf-, Segel- und Badebetrieb - wird hingewiesen. (Anschrift: Schulstraße 1, 5238 Gehlert)

Heft 5,1984:

KUNZ, A.: Das Brutvorkommen des Braunkehlchens (Saxicola rubetra) im Westerwald; S. 45 - 52

Verbreitung und Lebenraum, Bestand und Bestandsentwicklung des Braunkehlchens in ca. 900 1-Minuten-Rastern (2,17 km') werden nach Ergebnissen einer Rasterkartierung und einer teilweisen Bestandserfassung 1981/82 beschrieben. Überlegungen zum Arten- schutz werden angeführt. (Anschrift: s. o.)

3. Naturschutz und Ornithologie in Rheinland-Pfalz

Band 2, Nr. 1 (1981):

BRAUN, M.& L. SIMON: Rote Liste der bestandsgefährdeten Vogelarten in Rheinland-Pfalz Stand 1. Januar 1981; S. 61 -70. (Anschrift: Im Mühlbachtal 2, 5408 Nassau)

HOFFMAN N, D.: Die Zwergammer (Emberiza pusilla) als Wintergast in der Pfalz; S.199 - 200. (Anschrift: Hanhoferstraße 35, 6720 Harthausen) SIMON, L.: Beiträge zur Fauna von Rheinland-Pfalz: Zum Vorkommen der Uferschwalbe (Riparia riparia) in Rheinland-Pfalz; S.130 -167. (Anschrift: Frühmeßstraße 190 g, 6741 Ilbesheim)

Band 2, Nr. 2 (1981):

GRUSCHWITZ, M.: Verbreitung und Bestandssituation der Amphibien und Reptilien in Rheinland-Pfalz; S. 298 -390. Ergebnisse einer vierjährigen Bestandsaufnahme der Herpetofauna. Jede Art wird unter den Gesichtspunkten „Rote Liste",,,Verbreitung",,,Verbreitung in Rheinland-Pfalz", „Habitat", „ Bestandssituation", „Gefährdungsfaktoren" und „Schutzmaßnahmen" abge- handelt. Die Verbreitung aller Arten wird auf Rasterkarten mit dem Grundraster TK 1 :25000 dargestellt. (Anschrift: Institut für Zoologie der Universität Bonn,An der Immenburg 1,5300 Bonn 1)

Band 2, Nr. 3 (1982)

Folgende Arbeiten erschienen alle in der Reihe „Beiträge zur Fauna von Rheinland Pfalz":

FOLZ, H.-G.: Die Heidelerche (Lullula arborea) in Rheinland-Pfalz; S. 415- 441 . (Anschrift: Waldthausenstraße 10, 6500 Mainz 21) 129 KUNZ, A.: Die Brutverbreitung des Wiesenpiepers (Anthus pratensis) in Rheinland-Pfalz; S. 442- 448.

KUNZ,A.&L. SIMON: Zum Brutvorkommen derWasseramsel (Cinclus cinclus) in Rheinland- Pfalz; S. 449 - 463. (Anschrift: Schulstraße 1, 5239 Gehlert) MEINHARDT, R., L. SIMON, & J. WALTER: Die Verbreitung der Haubenlerche (Galerida cristata) in Rheinland-Pfalz; S. 469 - 483. (Anschrift: Bahnhofstraße 26, 6740 Landau 14)

NI EHUIS, M.: Zum Vorkommen des Brachpiepers (Anthus campestris) in Rheinland-Pfalz; S. 484 - 525 (Anschrift: Im Vorderen Großthal 5, 6743 Albersweiler)

SIMON, L.: Arbeitsmaterialien zur Verbreitung der Schafstelze (Motacilla flava) in Rhein- land-Pfalz; S. 526- 535. (Anschrift: Frühmeßstraße 190 g, 6741 Ilbesheim)

Band 2, Nr. 4 (1983) BRAUN, M.& L.SIMON: Rote Liste der bestandsgefährdeten Vogelarten in Rheinland-Pfalz Stand 31. August 1983. S. 583 - 592. (Anschrift: Im Mühltal 2, 5408 Nassau) NI EHUIS, M., W. SCHNEIDER & L. SIMON: Beiträge zur Fauna von Rheinland-Pfalz: Die Ver- breitung des Schwarzkehlchens (Saxicola torquate) in Rheinland-Pfalz; S. 602 - 638. (Anschrift: Im Vorderen Großthal 5, 6734 Albersweiler)

Anschrift des Verfassers: KURT MÖBUS, Wasserweg 27, 6000 Frankfurt am Main 70

130 Neue Literatur

RADTKE, G. A. (1986): Unser Wellensittich. - 72 S., 13 Farbfotos, 34 Zeichn., Franckh-Kosmos Verlagsgruppe Stuttgart. Der Wellensittich ist derVogel Nr.1 auf der Liste der in VoliAre und Käfig gehaltenen Vogelarten. Er wird heute bei uns gezüchtet, so daß Importe aus seiner australischen Heimat nicht mehr notwendig sind. Die Züchtung dieser Vogelart geht soweit, daß bereits eine Reihe von Farb- varianten auf dem Markt sind, die mit der Farbgebung des ursprünglich freilebenden Vogels nicht mehr identisch ist. Im Untertitel wird auf den Zweck des Buches hingewiesen. So werden behandelt: Anschaffung, Eingewöhnung, Pflege, Fütterung, Vorbeugen gegen Krankheiten, Verhalten, Züchtung und „Sprechenlernen". Der Leser wird sehr anschaulich mit allen Problemen vertraut gemacht. Das Buch ist ein guter Ratgeber für jeden Wellensittichhalter. W. KEIL

KOMITEE GEGEN DEN VOGELMORD E.V. (Herausgeber): Biologie und Jagd. Heft 5/35,35.Jg. (1986) der Schriftenreihe „Praxis der Naturwissenschaften - Biologie - ". 120 Seiten, 1 Vierfarbfolie, zahlreiche Abb. und Tabellen. Aulis Verlag Deubner & Co. KG., Köln.

Die Zusammenhänge zwischen Jagd und Hege auf der einen Seite, Natur- und Umweltschutz, Tier- und Landschaftsschutz auf der anderen Seite werden in dieser, im deutschen Sprachraum bisher einzigartigen, Zusammenstellung aufgezeigt. Fachwissenschaftlich fundiert, didaktisch aufbereitet und mit Engagement vorgetragen, werden die Widersprüche zwischen Jagd und Naturschutz deutlich, die entgegengesetzten Interessen aufgedeckt. Das umfangreiche Heft (120 Seiten, 11 Unterrichtseinheiten, zahlreiche Folienvorlagen und Arbeitsblätter, I nformationstexte, Tabellen, Abbildungen und Übungsaufgaben, 1 Vierfarbfolie) ist in jahrelanger, sorgfältiger und mühsamer Kleinarbeit von namhaften Natur- und Tierschüt- zern erstellt worden. Es wendet sich an Naturschützer und Mitarbeiter von Fachbehörden, die auf fundierte Sachinformationen angewiesen sind, besonders aber an Lehrer und in der Öffentlichkeitsarbeit Tätige, die Schülern und Öffentlichkeit die Widersprüche zwischen Jagd und Naturschutz aufzeigen wollen.

Dabei werden gerade dem Biologielehrer, aber auch Lehrern anderer Disziplinen, detaillierte Unterlagen zur Beurteilung und für die unterrichtliche Darstellung der Jagd zur Verfügung gestellt, die nirgends sonst in solcher Ausführlichkeit verfügbar sind! Denn noch machen Schulbücher einen großen Bogen um das Thema Jagd! Das Heft „Biologie und Jagd" kann nicht nur allen Biologielehrern, sondern auch Natur- schützern und Ornithologen sehr empfohlen werden. K. FIEDLER

Vogel-KOSMOS-Kalender 1987: 13 farbige Bildblätter, Franckh - Kosmos-Verlagsgruppe, Stuttgart.

Der jährlich erscheinende Vogelkalender des KOSMOS ist immer wieder eine Augenweide. Die 13 Farbfotos (einschließlich Titelbild) einheimischer Vogelarten sind Meisterleistungen erstklassiger Fotografen. Ebenso positiv ist die drucktechnische Umsetzung zu bewerten. Der Kalender wird das ganze Jahr viel Freude bereiten. W. KEIL 131 SCHERZI NG ER, W. (1986): „Die Vogelwelt der Urwaldreservate im Inneren Bayerischen Wald". Wiss. Schriftenreihe National park Bayer. Wald, Heft 12. Herausgeber: Bayer. Staatsmini- sterium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.188 S., 29 SW-Fotos, 91 Abb.; 1 Farb- foto am Titel. Bezug NPV D - 8352 Grafenau.

„Urwälder" gibt es auf Restflächen auch noch mitten in Europa. Sie unterscheiden sich in wesentlichen Merkmalen von bewirtschafteten Wäldern. Vögel reagieren empfindlich auf Veränderungen ihres Lebensraumes. Im Wald trifft dies vor allem für Höhlenbrüter und Arten zu, die an Alt- oder Totholz gebunden sind.

An Hand einer qualitativen und quantitativen Erhebung der Vogelarten von 5 repräsentativen Naturwald-Schutzgebieten in der Montan-bis Subalpinstufe des Inneren Bayerischen Waldes stellt die Schrift die phänologische Bestandsentwicklung von Jan./Feb. bisJuni/Juli sowie den Einfluß von Höhenlage, Exposition und Waldgesellschaft in den Kontrollflächen (insgesamt 293 ha) dar. Als Maximalbestand wurden 50 Vogelarten mit 9,6 Individuen/ha für die Fläche „Mittelsteighütte" (46 ha) erhoben.

Mit Hilfe einer Feinrasterkartierung (50 x 50 m Raster) konnte ein möglichst genauer Bezug zwischen Artenvielfalt, Siedlungsdichte (bzw. Biomassengewicht) und den ökologischen Parametern des Standortes hergestellt werden. Deutlich wird hier die hervorragende Bedeu- tung des alten, I ückigen Bergmischwaldes herausgestel lt. Als indikatorisch für die Naturwald- situation ist ein hoher Artenanteil bei Höhlenbrütern und ein geringer bei Busch-und Boden- brütern zu bemessen.

Der Nationalpark Bayerischer Wald umschließt großteils ehemalige Wirtschaftswälder. Wieweit sich seine Avifauna auf dem Weg zurück zum „Urwald" verändern und an Naturnähe gewinnen wird, kann auf Grund derVergleichsdaten aus den Urwaldprobeflächen -spekulativ - abgeleitet werden. In einer Gesamtartenliste sind 63 aktuelle Brutvogelarten des Waldes 80 potentiellen gegenübergestellt. Im Kapitel „Besprechung einzelner Vogelarten" werden historische Angaben überVerbreitung und Status mit den aktuellen Trends verglichen und die Biotoppräferenzen anhand der Urwalddaten skizziert. Miteinbezogen sind örtlich ausgestor- bene Arten und Überlegungen zu deren Wiederansiedlung im Gebiet.

Unsere heutigen Wälder sind seit Jahrhunderten vom Menschen beeinflußt und in ihrer Entwicklung gelenkt. Da unsere Kenntnisse von Tier- und Pflanzengemeinschaften aus den Verhältnissen im Kulturwald abgeleitet wurden,fehlt bei Diskussionen über natürliche Besied- lung und Artenschutz im Wald meist der Vergleich mit dem Naturwald. Diese Lücke will diese Schrift für den Bergmischwald im Mittelgebirgsbereich schließen helfen. Sie richtet sich somit an Faunisten, Ökologen, Forstleute und alle an der Vogelwelt des Bayerischen Waldes interes- sierten Besucher. K. FIEDLER

132

Band 4, Heft 3: 133-188 Zeitschrift Wiesbaden, Dezember 1986 für Vogelkunde (ausgeliefert im März 1987) und Naturschu in Hessen

ISSN 0173-0266

Herausgeber: Der Hessische Minister für Umwelt und Energie - Oberste Naturschutzbehörde - Inhaltsverzeichnis

Berichte Seite

A. ENSGRABER: Hessens neue Naturschutzgebiete (15) 135

J.W. BRAUNEIS: Artkapitel „Waldschnepfe" der neuen „Avifauna von Hessen 153

F. EMDE: Nisthilfen für den Eisvogel (Alcedo atthis) 161

Kleine Mitteilungen

K. FIEDLER: Bemerkenswerte Brutzeitbeobachtungen in Hessen 1986 165

K. MÖBUS: In Schweden beringte Streifengänse (Anser indicus) überwintern in Frankfurt/Main 174

ARBEITSGEMEINSCHAFT DER DEUTSCHEN VOGELSCHUTZWARTEN: Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Vogelschutz- warten zum Problem des Aussetzens von Weißstörchen 175

G. RHEINWALD: Presseerklärung der Deutschen Sektion des Internationalen Rates für Vogelschutz e.V. (DS/IRV) 179

W. KEIL: Richtigstellung zu: Festschrift „Der Wanderfalke in Baden-Württemberg - gerettet!" 180

H.-J. KRIEG: Berichtigung zu „Das Naturschutzgebiet Röhrig von Rodenbach" (Main-Kinzig-Kreis) 180

Aktuelle Mitteilung der Redaktion

Birkenzeisig- (Carduelis flammea)- Invasion in Hessen 181

Persönliches

K.-H. BERCK: Erinnerungen an LUDWIG GEBHARDT 182

W. KEIL: In memoriam OTTO VÖLKER (1907-1986) 185

Neue Literatur 160, 186 -188

Vorankündigung: Atlas der Brutvögel Luxemburgs 181 134 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen • Vogel und Umwelt 4: 135-152 (1986)

Hessens neue Naturschutzgebiete (15) von ALBRECHT ENSGRABER, Wiesbaden

NSG „Brömster bei Darmstadt-Eberstadt" (Stadt Darmstadt)

VO vom 19. Dezember 1984 (StAnz. S.63); in Kraft getreten: 8.Januar 1985

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - die zur Unterhaltung und Instandsetzung der Böschung zur Bundesstraße 426 notwendigen Arbeiten.

Das etwa 9,6 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Bergstraße,Eberstädter Becken" am Westhang des Langenberges, an dem die Bergstraße ausläuft, es liegt zwischen 160 und 200 m über NN. Es handelt sich um einen östlichen Ausläufer des Darmstädter Flugsand- gebietes. Auf etwa einem Viertel der Fläche ist der Sand noch bis zur Oberfläche kalkhaltig bis kalkreich und zwar in einem nordwestlichen Bereich angrenzend an die B 426 und in einem zentralen Bereich. Hier findet sich als seltene und für das Gebiet bezeichnende Vegetations- einheit der Graslilien- (Antherium ramosum-) Kiefernwald mit (den Rote-Liste-Arten) Sand- Thymian (Thymus serpyllum), Berg-Heilwurz (Seseli libanotis),Berg-Haarstrang (Peucedanum oreoselinum), Sand-Veilchen (Viola rupestris), Sand-Strohblume (Helichrysum arenarium), Einblütiges Wintergrün (Moneses uniflora), Echte Mondraute (Bottychium lunaria), Kleiner Schneckenklee (Medicago minima), Vogelfußsegge (Carex ornithopoda), Steppen-Fenchel (Seseli annuum), Schopfkreuzblümchen (Polygala comosa) u. a. Der größte Teil der Fläche ist durch oberflächlich völlig entkalkte Sande ausgezeichnet. Hier befinden sich mehr oder weniger laubholzfreie Moos-Kiefernwälder, die u. a. wegen ihrer Arthropoden-Fauna von Bedeutung sind.

Der Sandstandort zusammen mit dem leicht „kontinental" getönten Klima führten dazu, daß hier Kiefern-Reinbestände das Schutzziel darstellen. Der Buchen- und Ahorn-Unterbau soll zumindest im Bereich der Kalksand-Flächen, soweit vorhanden, entfernt werden.

Wegen des Baues der Eberstädter Südostunngehung (B426),welche die Nordwestgrenze des Naturschutzgebietes darstellt, sind in diesem Bereich Abböschungen und Abholzungen vorgenommen worden, wodurch besonders südlich des großen Steinbruches auch große Bereiche des Graslilien - Kiefernwaldes betroffen wurden und die Areale einiger der wert- vollsten Pflanzenarten teilweise derart eingeengt wurden, daß das Überleben ihrer dortigen Populationen fraglich ist. Ausgleichsmaßnahmen sind vorgesehen.

NSG „Die kleine Qualle von Hergershausen" (Kreis Darmstadt-Dieburg) VO vom 13. Dezember 1984 (StAnz. S.114); in Kraft getreten: 15.Januar 1985

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - die extensive Nutzung der Grünlandflächen, die Beweidung nur auf Flurstück 116, 117,119 bis 122 (im Westen) und eine Herbstbeweidung auf den übrigen Flächen, soweit dabei nur Elektrozäune verwendet werden, - das Betreten der Wege auf Flurstück 93,138,139 und 160 einschließlich Fahrrad- fahren, 135 - der Betrieb der Brunnenanlage des Wasserwerkes Hergershausen im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Erlaubnis, - die Ausübung der Fischerei auf Flurstück 65 verboten: - die ackerbauliche Nutzung namentlich auch auf Flurstück 126

Das etwa 27 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Untermainebene Gersprenz- niederung". Nach der im Jahre 1940 durchgeführten Kanalisierung der Gersprenz, durch Drai- nage und Grabenvertiefungen in den 50er Jahren sowie weitgreifenden Grundwasser- absenkungen wegen Wasserentnahme zur Trinkwassergewinnung ist die ehemals reizvolle Flußniederungslandschaft mehr und mehr zu einer Ackersteppe geworden. Nachdem ein Schutzgebietskonzept im Jahre 1971 noch ca. 170 ha umfaßte, stellt die jetzt ausgewiesene Fläche das letzte zusammenhängende Wiesenareal zwischen Hergershausen und Münster dar,wo auch zuletzt noch Flurstück 126 umgebrochen wurde (s.o.). Hier befindet sich der letzte Brutplatz des Großen Brachvogels im Landkreis Darmstadt-Dieburg; als Brutvögel der Roten Liste kommen ferner Wachtelkönig, Kiebitz, Bekassine, Wiesenpieper, Schafstelze, Braun- kehldien und Grauammer vor, dazu zahlreiche Futtergäste und Durchzügler. Ungenehmigte Freizeitaktivitäten auf Flurstück 65 sollen unterbunden werden.Auf mehreren der HGON gehö- rigen Grundstücken soll das Naturschutzpotential durch geeignete Maßnahmen vermehrt werden.

NSG „Viehweide am Barstein" (Lahn-Dill-Kreis)

VO vom 19. Dezember 1984 (StAnz. S.118); in Kraft getreten: 15.Januar 1985

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - die Nutzung der Viehweide ohne Anwendung von Düngung und Pflanzen- behandlungsmitteln

Das 20,61 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Hoher Westerwald" im oberen Bereich des Aubaches. Es handelt sich um brachliegendes, mit Gehölzen durchsetztes Grün- land, das früher ebenso als Viehweide genutzt wurde. Wesentliche Teile sind quellig bzw. naß und oft kleinräumig mit trockenen Standorten vergesellschaftet, was zu einer besonderen Reichhaltigkeit der Vegetation mit mehreren Rote-Liste-Arten führt. In den Jahren 1979 bis 1981 wurden auf dieser Fläche 107Großschnnetterlingsarten, Echte Tagfalter, Dickkopftalter,Spinner und Schwärmer, Eulenartige und Spannerartige Nachtfalter beobachtet. Darunter befand sich als bemerkenswerteste Art der Violettschi Iler-Feuerfalter (Lycaena helle), eine eurasiatische Art, die in Mitteleuropa nur in vereinzelten Kolonien vorkommt.

NSG „Feuerheck bei Waldaubach" (Lahn-Dill-Kreis) VO vom 19. Dezember 1984 (StAnz. S.120); in Kraft getreten: 15.Januar 1985

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - forstliche Erhaltungs- und Hilfsmaßnahmen, die der Förderung der naturnah ausgebildeten Waldgesellschaften (Bergahorn-Eschenwald,Zahnwurz-Buchen- wald und Traubenkirschen-Erlen-Eschenwald) dienen; - der Betrieb der Wassergewinnungsanlage Waldaubach im Rahmen der wasser- rechtlichen Zulassung. 136 Auf tertiärem Basalt mit Lößauflagen weist der leichte Südosthang Staunässe und Pseudo- vergleyung auf. Die Laubholz-Bestände kommen in einem in Hessen kaum anderorts bekannten intakten Zustand vor. Die forstlichen Pflegemaßnahmen sollen lt. Verordnung ganz auf deren Erhalt gerichtet sein.

Als größte Westerwald-Rarität kommt hier der Wolfs-Eisenhut (Aconitum napellus) in einem reichlichen Bestand vor; er ist seit 1863 an diesem Standort schriftlich belegt.Auch die Karpa- ten-Birke (Betula carpatica) ist für das Westerwaldgebiet hier einmalig. DerWollige Hahnenfuß (Ranunculus lanuginosus) hat mit einigen weiteren nahegelegenen Standorten hier ein kleines disjunktes Areal. Rote Liste Arten sind hier außerdem: Entferntblütiges Rispengras (Poa remota), Scheiden-Goldstern (Gagea spatacea) und Blauer Eisenhut (Aconitum napellus var. neomontanum). Wegen des nahe südöstlich gelegenen Tiefbrunnens Waldaubach I, für den ein Wasserschutzgebiet seit 05.02.1980 bereits ausgewiesen ist, gelang eine Abstimmung wasserwirtschaftlicher und der Naturschutzbelange, ohne daß ein eigenes Raumordnungs- verfahren nötig wurde.

NSG „Bingenheimer Ried" (Wetteraukreis) VO vom 2.Januar 1985 (StAnz. S. 204); in Kraft getreten: 22.Januar 1985

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - die Grabenräumung ohne Sohlenvertiefung der im Kataster ausgewiesenen Gräben; - die Ausübung der Einzeljagd auf Haarwild in der Zeit vom 1. November bis 31. Januar

Das ca. 85 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum Wetterau, Horloffniederung, west- lich der Horloff und wird von den Gemeinden Bingenheim, Heuchelheim und Gettenau umschlossen. Im Landschaftsschutzgebiet „Auenverbund Wetterau" stellt das neue Natur- schutzgebiet nunmehr eine weitere wichtige Kernzone und das Bindeglied zwischen den Naturschutzgebieten „Am Mähried bei Staden" im Süden und „Mittlere Horloffaue" im Norden dar. Es handelt sich um eine große, sehr oft überschwemmte Wiesenfläche mit moorigem Charakter. Aus Echzell/Gettenau führt der Riedgraben durch das Gebiet zur Horloff. Er ist durch Rückstau Ursache dieser Überschwemmungen; mit einer deutlichen Verminderung seiner Abwasserbelastung ist zu rechnen. Im ganzen westlichen Bereich des Naturschutz- gebietes sind große Wiesenflächen in den letzten Jahren in Ackerland (Zuckerrüben, Mais) umgewandelt worden. Düngung und Anwendung von Pflanzenbehandlungsmitteln ist auch für diese Flächen untersagt. Auch die Beschränkung der Jagdausübung auf Haarwild in den Wintermonaten ist in Anbetracht der Gebietsgröße beachtenswert. Das Bingenheimer Ried stellt einen überragenden Rast- und Brutplatz für 20 Entenarten,11Arten der Schnepfenvögel und 4 Rallen-Arten dar. Es rasten hier 60% aller Limikolenarten des nördlichen und mittleren Eurasiens. Im Gebiet wurden 6 Libellenarten gefunden, 6 weitere kommen wahrscheinlich vor. Von 6 vorhandenen Amphibienarten schreiten 4 im Gebiet zur Fortpflanzung. Als Vorrang- gebiet für den Abbau oberflächennaher Lagerstätten ist mit der Ausbeutung dieser Lagerstätte (Braunkohle) zu rechnen, doch der Zeitpunkt eines Abbaues noch ungewiß. 137 NSG „Das große Hörmes bei Dieburg" (Kreis Darmstadt-Dieburg) VO vom 4. Februar 1985 (StAnz. S.386); in Kraft getreten: 19. Februar 1985

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - die Ausübung der Einzeljagd auf Haarwild in derZeit vom 16.Juli bis Ende Februar auf den bewirtschafteten Grünlandflächen ohne den Bau jagdlicher Einrichtungen.

Das 13,63 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum Untermainebene - Gersprenz- niederung. Es gliedert sich in ausgedehnte Röhricht- und Seggenbestände, Naß- und Streu- wiesen sowie Teile, die als Mähwiesen genutzt werden. Der Hörmesgraben, welcher westlich zur Gersprenz fließt, bildet die Nordgrenze. Als Brutvögel kommen u. a. Bekassine, Grauammer, BraunkehIchen,Wiesenpieper und Schaf- stelze vor; von Pflanzenarten der Roten Liste wachsen hier Wollgras, Breitblättriges Knaben- kraut, Prachtnelke und Bachnelkenwurz. Das Gebiet war, besonders auch wegen der Stadtnähe, durch andersgeartete Nutzungen und Planungen arg bedrängt: Die Anlage eines ca. 1,8 ha großen Angelteiches war geplant; das Gebiet hätte infolge Flächenabnahme und unvermeidlicher Nebenwirkungen hierbei restlos zerstört werden können. Das Gebiet lag laut Regionalem Raumordnungsplan im Siedlungsgebiet-Zuwachs von Dieburg, wurde aber bei Fortschreibung des RRP aus der Siedlungsfläche herausgenommen. Durch das Gebiet verlief eine Reitstrecke des Reitclubs, welche den vorhandenen Tümpel als Wasserpassage bei Vielseitigkeitsprüfungen einschloß.Auch die Ausübung derJagd ist durch die Verordnung erheblich eingeschränkt worden.

NSG „Mosbachwiesen bei Rönshausen" (Kreis Fulda) VO vom 13. Mai 1985 (StAnz. S.972); in Kraft getreten: 28.05.1985

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - die Düngung in der Schutzzone II - die Ausübung der Fischerei in der Zeit vom 16. Juli bis Ende Februar

Das o.g. 22,15 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Westliches Rhönvorland" im oberen Fuldatal bei der Lüttermündung. Nahe unterhalb an der Fulda wurde erst wenige Monate vorher das Naturschutzgebiet „Fuldatal bei Eichenzell" ausgewiesen. Die Fulda in naturnahem Zustand und zwei Mühlbäche durchfließen das Gebiet. In der Schutzzone I befindet sich ein ausgedehntes Schilfgebiet; hier wurde kürzlich ein Flachgewässer angelegt. Das Schutzgebiet stellt eine gut erhaltene Flußauenlandschaft mit sehr gut bewachsenen Ufern dar, die u.a. Eisvogel, Wasseramsel und Gebirgsstelze beherbergt.

NSG „Hengstwiese bei Naumburg" (Kreis Kassel) VO vom 28.Juni 1985 (StAnz. S.1361); in Kraft getreten: 23. Juli 1985

Das 11,96 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Ostwaldecker Randsenken". Zwischen dem Naumburger Stadtwald und der Trasse der Kleinbahnlinie Naumburg-Kassel ist eine häufig überflutete Senke der Spolaue (der Spolebach fließt über die Elbe zur Eder) seit 138 mehreren Jahrzehnten ungenutzt geblieben und mit Naßstaudengesellschaften sowie Groß- seggenbeständen bewachsen. Im Jahre 1981wurde hier ein bis zu 3,5 m tiefer Stauteich ange- legt, der etwa in der Mitte des Naturschutzgebietes eine Fläche von etwa 2 ha einnimmt. Hierzu wurde der in das Gelände hineinragende Bergrücken durchstochen und durch Aufschüttung des dabei erhaltenen Bodenmaterials unter Abschnürung der Bachschleife eine künstliche Altwasserbildung erzielt. Um den Teich fällt der Grünlandring hufeisenförmig bis zu 25% zum Stauteich ab; im Südosten und Nordwesten schließen sich oberhalb im Naturschutzgebiet noch Äcker an. Der so größtenteils künstlich gestaltete Biotop nimmt eine wichtige Trittstein- funktion im Wasservogelzug zwischen den Schutzgebieten der Eder, Twiste und Fulda ein.

NSG „Winshäuser Teich" (Kreis Marburg-Biedenkopf)

VO vom 28.Juni 1985 (StAnz. S.1362); in Kraft getreten: 23. Juli 1985

Das 11,32 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Oberhessische Schwelle, Neu- städter Sattel", bei der ebenso benannten Wüstung, südlich angrenzend an die Bundesstraße 454. In der Südostecke des Naturschutzgebietes befindet sich der früher zum Brandschutz für einen nahegelegenen Industriebetrieb angelegte Teich mit jetzt voll ausgebildeter natürlicher Entwicklung, einem breiten Verlandungsgürtel, ausgedehnten Schwimmblattpflanzen und einer artenreichen Plankton- und Insekten-Fauna. An den Ufer- und Dammbefestigungen befinden sich Rasen von Moostierchen (Plumatella fungosa) und Süßwasserschwamm (Ephy- datia fluviatilis). Die Uferzone besteht größtenteils aus Großseggenried und mächtigen Bulten der Rispensegge (Carex paniculata). Daran schließt sich nach Nordwesten in einer Mulde ein weiter Schilf röhrichtbestand an; dieser wird an den höher gelegenen Randzonen von einem kurzen Trockenrasen auf Buntsandstein flankiert. An Brut- und Rastvögeln der Roten Liste kommen vor: Bekassine, Wiesenpieper, Schafstelze, Braunkehlchen, Zwergtaucher, Raub- würger, Neuntöter und Steinschmätzer. Die Schutzgebietsausweisung war u. a. umstritten wegen des Vorkommens von Tertiärsanden; dessen Hauptgebiet liegt allerdings in einer Mächtigkeit bis zu 18 m außerhalb, südöstlich der Stadt Neustadt.

NSG „Mairied von Rodheim und Gänsweid von Steinheim" (Kreis Gießen) VO vom 10. Juli 1985 (StAnz. S.1408); in Kraft getreten: 30. Juli 1985)

Das 21,46 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Wetterau-Horloffniederung". Infolge einer Grundwasserabsenkung, vermutlich in den 70er Jahren, wurden die einst den größten Teil des Gebietes einnehmenden sauren Wiesen umgebrochen und vorübergehend als Ackerland genutzt. Der in geringer Tiefe lagernde Torf sackte hiernach zusammen, so daß sich ab 1981 zwei große abflußlose Senken bildeten. Diese werden in der nassen Jahreszeit durch ausgedehnte Flachwasserzonen eingenommen. Die nördliche der beiden Teilflächen, Mairied, zeichnet sich durch ihre Vegetationsarmut und die extrem seichte Wasserfläche mit weiten Schlamm- und Schlickflächen aus. Sie wird im Westen durch den Mühlgraben, im Norden durch einen deutlichen Geländeanstieg begrenzt, eine östliche Randpartie wurde als Hausmülldeponie früher verfüllt. Der Mühlgraben dient der Wasserversorgung des Gebietes. Die lange Überflutungsdauer im Frühjahr und die starke Austrocknung der Torfe im Sommer sind ausdauernden Pflanzengesellschaften abträglich, so daß bei hohem Nährstoffangebot einjährige Zweizahngesellschaften (Bidention) hier zeitweise dominieren. Neun Zehntel des Mairied gehören der Stadt Hungen, eine zentrale Fläche ist im Privatbesitz. Die Gänsweid zwischen der Bahnlinie Gießen -Gelnhausen und dem Lehngraben ist im zentralen Bereich mit 139 Baumweiden und Erlen bestanden. Der Lehngraben wirkt auch hier als Wasserzufluß. Die nördlichen und südlichen Randbereiche liegen deutlich höher; auch ein Sportplatz ist der Absenkung zum Opfer gefallen. Die Gänsweid gehört fast ausschließlich der Stadt Hungen. Unter 145 beobachteten Vogelarten gehören 48 der Roten-Liste-Hessen an. Fast sämtliche das europäische Binnenland passierende Limikolenarten konnten bisher festgestellt werden. Krick-, Knäck- und Löffelente suchen das Gebiet als Rast- und Nahrungsplatz auf. Auch Weiß- störche wurden wieder beobachtet. Es bestehen große Populationen von Grünfrosch, Wech- selkröte und verschiedenen Libellenarten.

NSG „Bernshäuser Sumpf" (Vogelsbergkreis) VO vom 2. August 1985 (StAnz. 5.1585); in Kraft getreten: 20. August 1985

Das 3,91 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Fulda-Haune-Tafelland, Schlitzer Land" im Schlitz-Tal. Von dem ursprünglich um Bernshausen vorhandenen gut 20 ha großen Quellsumpf ist dies der noch am besten erhalteneTeil,dertrotz aller Kultivierungsbemühungen nicht als Grünland genutzt werden konnte.Ein Rispenseggen- (Carex paniculata) Ried und ein in Wuchs und Ausdehnung einmaliger Grauweidenbestand sind die wertvollsten Pflanzen- gesellschaften. Von Vögeln wurden Bekassine, Rohrammer, Zwergschnepfe, Wasserralle, Schilfrohrsänger und Weißstorch, von Insekten Pappelschwärmer, Weinschwärmer, Abend- pfauenauge, Käfer wie Stenus longitarsis und Sospita vigentiguttata und Fliegen wie Flabellifera spec. im Gebiet beobachtet. Fast 3 ha der Fläche befinden sich im Besitz des BUND. Die allmähliche Entnahme der naturfremden Gehölze (Pappeln und Sitka-Fichte) werden im Rahmen der Pflegeplanung erfolgen.

NSG „Ratzerod bei Neuengronau" (Main-Kinzig-Kreis) VO vom 19. August 1985 (StAnz. S.1746); in Kraft getreten: 24. September 1985

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - Maßnahmen zur Erhaltung und Förderung von natürlichen arten- und struktur- reichen Waldgesellschaften mit reichgegliedertem Waldaufbau und funktions- gerechten Waldrändern ohne Düngung und Anwendung von Pflanzenbehand- lungsmitteln.

Das 78,27 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Nördlicher Sandsteinspessart". Nachdem im Jahre 1983 das Naturschutzgebiet „Westerngrund von Neuengronau und Breu- nings" eingerichtet worden ist, wird der diesem Gebiet oberhalb anschließende Quellbereich des Westernbaches jetzt ausgewiesen. Von dem hier einst 160 ha umfassenden Bergwiesen- komplex sind große Teile mit Fichten aufgeforstet worden, das Schutzgebiet umfaßt noch vorhandene Bergwiesen (ca. 30 ha) und angrenzende Waldbereiche. Die Bergwiesen auf meist schwach geneigten Hängen sind von kleinen Gehölzen, Einzel- bäumen und Lesesteinriegeln durchsetzt. Sie haben in den vergangenen Jahren durch Dünge- maßnahmen und Pestizidanwendungen ihren Bestand an Pflanzenarten teilweise eingebüßt, die Schutzgebietsverordnung hat jetzt beides (und den Umbruch der Wiesen) auf der ganzen Fläche untersagt; diese konsequente Verordnung, für die insbesondere auch auf die bedeu- tende Fläche des Gebietes zu verweisen ist, war durch den Umstand begünstigt, daß sich der überwiegende Teil der Fläche im Besitz des Landes Hessen befindet. Durch diese 140 Einschränkung soll die einschürige Wildwiese erhalten bzw. regeneriert werden. Durch Entwässerungsmaßnahmen haben auch die Wuchsorte hygrophiler Arten abgenommen, so beschränken sich die Wollgrasarten gegenwärtig auf die zahlreichen Quellaustritte und Rasenbinse (Juncus bulbosus) und Brennender Hahnenfuß (Ranunculus flammula) auf die Entwässerungsgräben.

Zu den floristischen Besonderheiten des Ratzerod gehören der im Bereich des Spessart hier alleine vorkommende Moorklee (Trifolium spadiceum),Üchtritz's Augentrost (Euphrasia Uech- tritziana), eine seltene düngerempflindliche Pflanze, Drahtsegge (Carex diandra), Salep- Knabenkraut (Orchis morio), Brand-Knabenkraut (0.ustulata), Hohlzüngel (Coleoglossum viride) u. a.

NSG „Tongruben von Hintermeilingen" (Kreis Limburg-Weilburg) VO vom 9. September 1985 (StAnZ. 5.1748); in Kraft getreten: 24. September 1985

Das 10,60 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Oberwesterwald, Gandernbacher Platte". Hier besteht die „Tongrube Maria" seit 1906, der Tonabbau dauert westlich außerhalb des Gebietes z.Zt. an; östlich angrenzend sind abbauwürdige Schichten für spätere Jahre vorgesehen. Die abbauende Firma hat durch eine vorbildliche Rekultivierung das Gebiet zu einem Biotop von hoher ökologischer Diversität entwickelt, sie wurde dafür beim Bundeswett- bewerb „Industrie und Handwerk im Städtebau 1982" mit einer Goldmedaille ausgezeichnet. Das nach Süden allmählich ansteigende Gelände ist mit mehreren Teichen und Kleintümpeln, mit Hoch- und Buschwald sowie mit Grünflächen unterschiedlicher Wasserversorgung ausgestattet. Das Arteninventar nennt im Gebiet: Zahlreiche Amphibienarten, darunter Gelb- bauchunke, Geburtshelferkröte und Springfrosch, mehrere Reptilienarten, darunter Mauereidechse, Wasserfledermaus, an Brutvögeln u.a. Steinschmätzer, Braunkehlchen, Schafstelze und Wiesenpieper, an Durchzüglern Graureiher, Eisvogel und Roter Milan, mehrere Arten von Libellen und Tagschmetterlingen, 5 Orchideenarten, darunter Dactylorhiza maculata mit über 500 Exemplaren, Sumpfhaarstrang (Peucedanum palustre), Moose und Flechten.

NSG „Litterbachtal bei Breitenborn" (Main-Kinzig-Kreis) VO vom 24. September 1985 (StAnz. S.1870); in Kraft getreten: 15. Oktober 1985

Das 15,40 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Büdinger Wald". Es stellt ein weiteres Kerngebiet des kürzlich einstweilig sichergestellten Landschaftsschutzgebietes „Auenverbund Kinzig" dar. Das Gebiet besteht aus den drei Bereichen Hain-Gründauer Grund (Gründau heißt der Bach von dem Zufluß des Gettenbaches ab, wenige Kilometer unterhalb des Naturschutzgebietes), Küppelfeld und Sauerwiese. Während der rechte Teil des Talgrundes bis zum Forellenweg von Wirtschaftswiesen eingenommen wird, befindet sich das feuchte Grünland am linken Litterbachufer wegen nicht mehr regelmäßig erfolgender Bewirt- schaftung und zahlreichen Quellaustritten in unterschiedlichen Sukzessionsstadien zu nähr- stoffreichen Staudenfluren mit Gehölzanflug, Waldsimsensümpfen und Großseggen- beständen. Das Küppelfeld stellt im Bereich des Naturschutzgebietes den nördlichen Unter- hang des Tales dar, ein Trockenhang mit lockerer Bepflanzung aus unterschiedlichen Baumarten, der in den 20er Jahren durch Waldrodungen entstanden ist. In der Sauerwiese, dem nördlichen Anhang des Schutzgebietes, sind vor wenigen Jahren vier Vogelschutz- und Amphibienteiche angelegt worden. An Amphibien und Reptilien kommen unter anderem vor: 141 Gelbbauchunke, Laubfrosch, Feuersalamander, Ringelnatter, Schlingnatter und Zaun- eidechse. Brutvögel der Roten Liste sind im Gebiet: Grauammer, Gebirgsstelze, Schafstelze, Neuntöter,Wasseramsel,Ziegenmelker und Turteltaube.Die Liste dervorkommenden Pflanzen- arten ist sehr umfangreich, sie enthält auch 4 Rote Liste-Arten der Feuchtbiotope.

NSG „Faulbruch von Münster" (Kreis Darmstadt-Dieburg)

VO vom 17. Oktober 1985 (StAnz. S. 1955); in Kraft getreten: 5. November 1985

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - Maßnahmen zum Aufbau und zur Erhaltung von natürlichen arten- und struktur- reichen Waldgesellschaften. - Die Ausübung der Einzeljagd auf Haarwild, außerhalb des Waldes jedoch erst vom 1. August bis 31. Januar. - Der Betrieb der Brunnenanlage Hegershausen im Rahmen der wasserrechtlichen Erlaubnis

Das 77,0 ha große Naturschutzgebiet liegt in den Naturräumen „Untermainebene-Gersprenz- niederung" und „Messeler Hügelland"; der Übergang zwischen diesen beiden zeigt sich hier nur durch einen leichten Anstieg von etwa 134 m NN im Südosten auf knapp 143 mm NN im Nordwesten. Das Naturschutzgebiet wird im Osten durch die autobahnartige B 45 neu, im Süden durch die „Munastraße", im Westen durch das Munitionslager und im Norden durch die „Russenschneise" begrenzt. Pliozäne Tonschichten führen in tieferen Lagen zu sehr nassen Böden. Zahl reiche Entwässe- rungsgräben münden meist in einen von Nordwest nach Südost fließenden Bach. Der vor 150 Jahren hier fast überall bestehende Wald war am Ende des vorigen Jahrhunderts weitgehend je etwa zur Hälfte in Acker und Grünland umgewandelt. Später wurde der Grünlandanteil auf Kosten der Äcker vermehrt und nach dem 2. Weltkrieg erhebliche Aufforstungen vorge- nommen, so daß die Fläche des Naturschutzgebietes jetzt etwa zu 65 0/ovon Wald, zu etwa 21 von Grünland und nur zu etwa 7% von Äckern eingenommen wird.Als die naturnächsten Pflan- zengesellschaffen kommen an den feuchtesten bis nassesten Standorten Großseggenge- sellschaften, auf dem feuchtesten derzeit noch genutzten Grünland die Wiesenknopf- Schwingel (Sanguisorba-Festuca)-Gesellschaft und auf frischen bis wechselfeuchten Stand- orten Glatthaferwiesen vor. Innerhalb des brachgefallenen Grünlands herrscht das gemeine Pfeifengras vor. Das Sand-Reitgras hat sich in letzterZeit stark ausgebreitet.Auf Ackerbrachen dominieren Flatterbinse, Ackerkratzdistel und Weißes Straußgras. Die Wälder werden auf den nassesten Standorten von Erlenbeständen mit Großseggen, auf den höhergelegenen von solchen mit Arten europäischer Buchenwälder (Fagetalia)- aufgebaut. Im westlichen Waldteil befindet sich der Gänsweiher mit mehreren bestandsbedrohten Pflanzenarten. Unter 277fest- gestellten Gefäßpflanzen befinden sich 15 Arten der Roten Liste, darunter Pillenfarn (Pilularia globilufera) und Röhrige Pferdesaat (Oenanthe fistulosa). An einem besonders ausgewählten Standort im Naturschutzgebiet, wo durch Abschieben des Oberbodens sandig-aulehmiges, nährstoffarmes Substrat freigelegt wurde, ist eine Einpflanzung des Pillenfarns mit Erfolg vorgenommen worden, der an seinem seitherigen Standort in der Nähe bedroht war. An Säugetieren kommen Dachs, Wasserspitzmaus, Abendsegler und Mausohr vor; 14 Amphi- bienarten und Reptilien-Arten der Roten Liste, 75 Brutvogelarten, darunter 14 Arten der Roten Liste, und zahlreiche Insektenarten, darunter Schwalbenschwanz, Kolbenwasserkäfer und Nashornkäfer wurden im Gebiet nachgewiesen. 142 NSG „Kalkberg bei Weißenborn" (Schwalm-Eder-Kreis)

VO vom 24. Oktober 1985 (StAnz. S. 2002); in Kraft getreten: 12. November 1985

Über die Musterverordnung hinaus ist

gestattet: - die Ausübung der Einzeljagd auf Schalenwild und Fuchs in der Zeit vom 1.Juli bis 31. Januar; - die Benutzung der Erholungseinrichtungen und die erforderlichen Maßnahmen zu ihrer Unterhaltung

Das ca.18,57 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Fulda-Haune-Tafelland,Ottrauer Bergland", unmittelbar nördlich von Weißenborn. Es handelt sich um einen südexponierten Kalkhang zwischen 420 m und 465 m über NN mit zahlreichen ehemaligen Kalkentnahme- stellen,der durch einen grenzlinienreichen Sukzessionsgürtel ausgezeichnet ist.Kalkbuchen- wald und wärmeliebender Kiefernwald bedecken einen großen Teil der Fläche; Gebüsche, Magerrasen und kleine Gründlandparzellen,die z.T. brachfallen,sind in die Waldteile verzahnt. An Rote Liste-Arten kommen Stattliches Knabenkraut (Orchis mascula), Geflecktes Knaben- kraut (Dactylorhiza maculata), Fliegen- und Bienen-Ragwurz (Ophtys insectifera und 0. api- fera), Echte Katzenminze (Nepeta cataria), Berg-Aster (Aster amellus) Fransenenzian (Gentia- nella ciliata) und Mond-Rautenfarn (Botrychium lunaria) vor. Das Gebiet ist mit 73 nachgewie- senen Spezies reich an Vogelarten; unter der bedeutenden Repti I ienfauna befindet sich die Schlingnatter. Der Kalkabbau-Betrieb im Südwesten wurde einbezogen, um eine Folgenut- zung auszuschließen und auf eine geeignete Rekultivierung besser Einfluß nehmen zu können. Der Sportplatz und die auf dem Plateau des Kalkberges liegenden Äcker wurden dagegen aus dem Naturschutzgebiet ausgeklammert. Die Unterschutzstellung war aufgrund der Ortsnähe und der damit verbundenen Inanspruchnahme als Naherholungsgebiet, auch wegen des Kalkabbaues und wegen des einbezogenen Privatwaldes besonders schwierig. Die kommu- nalen Gremien haben die Ausweisung aus den genannten Gründen lange Zeit entschieden abgelehnt.

NSG „Langenstüttig bei Betten" (Kreis Fulda)

VO vom 24. Oktober 1985 (StAnz. S. 2004); in Kraft getreten: 12. November 1985

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - die Maßnahmen zur Erhaltung und Förderung naturnaher, vielstufiger, ungleich- alter Mischbestände und Waldränder

Das 47,45 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Hohe Rhön", Untereinheit „Lange Rhön" nordöstlich des Ortsteils Betten der Gemeinde Hilders am Osthang des Ulstertals. Die Nordostgrenze bildet die Straße Hilders-Frankenheim. Das Gebiet besteht aus basaltüberrollten Hängen mit Quellaustritten in der Kontaktzone Muschelkalk-Röt. Es weist hauptsächlich hygrophile Laub-Mischwälder jüngeren Alters im Übergangsbereich zwischen Hoch- und Tieflagenvegetation auf. An Quellstellen, z.T.schwach gewölbten Quellmooren, befinden sich Eschen- Erlenwälder, im Kontakt mit diesen, z.T. groß- flächig, feuchter Bergahorn-Eschenwald. Daran anschließend wächst krautreicher Zahnwurz- Buchenwald sowie auf insel- und zungenförmig ausgebildeten Blockansammlungen Frag- mente des Linden-Ulmen-Blockschuttwaldes. An der Südgrenze sind typische Rhön-Hute- flächen mit ca. 2,3 ha und der naturnahe Bachlauf des „Dorfwassers" einbezogen. Die einge- sprengten Nadelholz-Horste aus Fichte und Douglasie sollen in Laubholz umgewandelt 143 NSG „Bühlchen bei Weißenbach" (Werra-Meißner-Kreis)

VO vom 30. Oktober 1985 (StAnz. S. 2052); in Kraft getreten: 19. November 1985

Das 7,92 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Fulda-Werra-Bergland, Nördliche Meißnervorberge". Es handelt sich um eine Muschelkalkkuppe mit einem nach Westen expo- nierten Hangbereich. Auf dem flachgründigen, grobschottrigen und humusarmen Kalkboden, wo früher wahrscheinlich überall Weidegang stattfand, besteht ein artenreicher Halbtrocken- rasen mit Wacholderheide. An Rote-Liste-Arten wurden nachgewiesen: Katzenpfötchen (Antennaria dioica), Großes Windröschen (Anemone sylvestris), Deutscher und Fransen- Enzian (Gentianella germanica und G. ciliata), Dreizähniges, Männliches und Purpur-Knaben- kraut (Orchis tridentata, mascula und purpurea) sowie Sand-Thymian (Thymus serpyllum). Ansätze zurVerbuschung sind vorhanden. Der ebenfalls potentiell schützenswerte Hang nach Norden konnte nicht einbezogen werden, da die intensive Grünlandwirtschaft nicht aufge- geben wird.

NSG „Frauenberg bei Beltershausen" (Kreis Marburg-Biedenkopf) VO vom 30. Oktober 1985 (StAnz. S. 2053); in Kraft getreten: 19. November 1985

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - die Maßnahmen zur Erhaltung und Förderung von naturnahen, vielstufigen ungleichalten Mischbeständen und Waldrändern Das 9,79 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Marburg-Gießener Lahntal, Lahn- berge". 370 m über NN erhebt sich der Basaltkegel über die Buntsandsteinhochfläche; auf dem Gipfel befinden sich die Reste der um 1250 erbauten Burg, die bereits um 1480 zerstört wurde. Der Sektor des Berges mit dem Hotel wurde vom Naturschutzgebiet freigehalten; vom Süden her ist der Kegel durch den ehemaligen Steinbruch bis fast zu seinem Zentrum erschlossen. Durch neolithische Wohngruben und ein prähistorisches Urnengrabfeld ist eine Jahrhunderte andauernde prähistorische Besiedlung des Frauenberges belegt.Zwei konzen- trische Rundwanderwege führen um den Gipfel. Laubmischwald befindet sich im Fußbereich, Buchen-Hainbuchen-Eichen-Nieder- und Mittelwald mit buschartigen Stockausschlägen schließen sich im oberen Bereich an. Nahezu undurchdringliche Heckensäume sind insbe- sondere nach Süden hin, Schwarzdorn-, Weißdorn- und Wildrosengebüsch in lockerer Aus- prägung sind an der Südhangsenke des Gipfels entwickelt. Magerrasen und Felsgrasfluren liegen zwischen diesen Waldteilen. Eurasiatische, subatlantische und submediterrane Floren- elemente sind im Naturschutzgebiet anzutreffen. An Pflanzen-Arten der Roten-Liste kommen vor: Sand-Wicke (Vicia lathyroides), Acker-Goldstern (Gagea vil lose) ,Eselsd istel (Onopordum acanthium), Katzenminze (Nepeta cataria) und Märzenbecher (Leucojum vernum). 28 Brom- beerarten bzw. deren Kleinarten wurden nachgewiesen. Bestandsbedrohte Vogelarten sind hier vertreten: Neuntöter, Raubwürger und Wendehals. Das Gebiet wird durch Besucher stark belaufen.

NSG „Grebensteine bei VVillingen" (Kreis Waldeck-Frankenberg) VO vom 30. Oktober 1985 (StAnz. S. 2055); in Kraft getreten: 29. November 1985

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - Maßnahmen, die der naturnahen Dauerbestockung dienen

Das 15,70 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Hochsauerland, Langenberg" auf dem sehr steilen und schattigen Osthang des Mühlenkopfes in einer Höhenlage von 650 bis 144 700 m über NN. Forstwege bilden die West- und Ostgrenze; im Westen schließt sich der schmale Talgrund des Itterbaches an; im Norden grenzt die Sprungschanze.

Im mittleren und oberen Teil des Hanges stehen einzelne, steil aufragende Felsen an, die Grebensteine. Im zentralen Bereich des Naturschutzgebietes wächst über Silikatgestein der Ahorn-Ulmen-Eschenwald. Der lehmige Boden des Hanges ist mit grobem plattigem Gesteinsschutt durchsetzt und von Quell- und Hangdruckwasser durchnäßt, wodurch es bei der Steilheit des Hanges zu ständigen Rutschungen kommt. Durch den dichten Kronenschluß der Laubbäume führt die Verdunstung aus dem durchnäßten Boden und den kleinen Quell- wasserläufen zu einem ausgeglichenen, durch hohe Luftfeuchtigkeit und -kühle ausgezeich- neten Lokalklima. Die Breitblättrige Glockenblume (Campanula latifolia) und der Al pen-Mi Ich- lattich (Cicerbita alpina) sind hier (durch Wildverbiß?) verschwunden. In einer üppigen Kraut- flora feuchtigkeits-und schattenliebender Arten mit zahlreichen Farnen kommen als Rote- Liste-Arten Schuppenwurz (Lathraea squamaria) und Weiße Pestwurz (Petasites albus) vor. In den Randzonen geht der Schluchtwald in einen geophytenreichen Berg-Buchenwald und Fichtenaufforstungen über. Ein im Kernbereich vor wenigen Jahren angelegter Klippenpfad wurde wegen der negativen Auswirkungen auf die Flora gesperrt.

NSG „Kalkrain bei Giflitz" (Kreis Waldeck-Frankenberg) VO vom 30. Oktober 1985 (StAnz. S. 2056); in Kraft getreten: 19. November 1985 Das 6,40 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Ostwaldecker Randsenken, Wilde- Hügelland" zwischen dem Ortskern von Giflitz und dem Baugebiet bei der Grundmühle. Es handelt sich um einen nach Süden zum Wesebach zwischen 210 und 230 m über NN steil abfallenden, weitgehend unberührt gebliebenen Hang. Dieser besteht aus durch Solifluktion aus dem darüber liegenden, anstehenden Zechstein abgelagertem Kalksteinschutt. Auf dem locker-mergeligen, leicht erwärmbaren, sehr trockenen Boden wächst ein lückiger Trocken- rasen licht- und wärmeliebender Pflanzen, die zum Teil zum kontinentalen Florenelement mit Hauptverbreitung im osteuropäischen Steppengebiet gehören. Die Sandstrohblume (Hell- chtysum arenarium) wächst hier über größere Flächen hinweg in mehr oder weniger dichten bis reinen Beständen, Rote Liste Art ist hier ferner der Frühe Ehrenpreis (Veronica praecox).An der Oberkante des Hanges besteht auf kleiner Fläche ein Halbtrockenrasen mit Fiederzwenke und einem größeren Bestand von Fliegen-Ragwurz (Ophrys insectifera). Der untere Teil des Hanges und Vertiefung des Geländes sind zerstreut bis locker mit Sträuchern, darunter Feldrose und Kleinblütige Rose (Rosa agrestis und R. micrantha) besetzt. Die Gemeinde Edertal hat von sich aus auf den ursprünglichen Plan, die Baulücke in Giflitz zu schließen, aus Gründen des Landschaftsschutzes und der Ausweisung dieses Naturschutzgebietes verzichtet.

NSG „Schanzenberg bei Korbach" (Kreis Waldeck-Frankenberg) VO vom 30. Oktober 1985 (StAnz. S. 2057); in Kraft getreten: 19. November 1985

Das 7,06 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Waldecker Tafel, Korbacher Ebene", nahe südlich von Korbach. Der Schanzenberg ist ein langgestreckter, bis 375 m hoher, nach Süden und Osten steil abfallender, nach Norden und Westen allmählich verflachender Zech- steinhügel.Auf der Kuppe des Hügels und im oberen Teil der Abhänge liegt eine flachgründige Dolomit-Rendzina, auf den unteren Hanglagen wird der Boden etwas tiefgründiger. Unter- schiedlich verbuschter Halbtrockenrasen, in denen Gräser und Sauergräser dominieren, bedeckt den größten Teil des Naturschutzgebietes. Der lückige Rasen läßt genügend offenen 145 Raum für eine außergewöhnlich artenreiche Krautflora sowohl kontinentaler als auch mediter- raner Arten, darunter als bestandsgefährdete Arten Rötliches Fingerkraut (Potentilla hepta- phylla), Katzenpfötchen (Antennaria dioica), Mondraute (Botrychium lunaria), Gefranster Enzian (Gentianella cilata), Deutscher Enzian (G.germanica) und Wiesen-Leinblatt (Thesium pyrenaicum). Namentlich auch das Dreizähnige Knabenkraut (Orchis tridentata), in Hessen nur in dessen nördlichen Kalkgebieten, blüht hier in günstigen Jahren mit über tausend Exemplaren. Der Wacholder, wegen der Trockenheit einzige gut entwickelte Strauchart, ist bevorzugt auf den tiefer gelegenen Hangflächen stellenweise verbreitet. An der östlichen Grenze steht ein Streifen ca. 30 jähriger Kiefern, ein Relikt eines fehlgeschlagenen Aufforstungsversuches. Andere Teile der Aufforstungen wurden inzwischen wieder beseitigt.

NSG „Mayengewann von Lämmerspiel" (Kreis Offenbach) VO vom 12. November 1985 (StAnz. S. 2118); in Kraft getreten: 26. November 1985

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - die Obstbaumnutzung ohne Anwendung von Düngung und Pflanzenbehand- lungsmitteln - Maßnahmen zur Erhaltung und Förderung des Eichenwaldes - Unterhaltungsarbeiten am Entwässerungsgraben ohne Sohlenvertiefung Das 6,69 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Untermainebene, Steinheimer Terrasse". Es besteht aus Mähwiesen verschiedenen intensiver Bewirtschaftung und einer Eichenwaldparzelle. In letzterer, im Westteil, wurde Mitte der siebziger Jahre der Kiefern- bestand herausgeschlagen; im lichten Unterholz läuft seitdem eine Laubwaldsukzession ab, die eine große Artenvielfalt an Pflanzen und Tieren verspricht. Kernteil des Wiesenbereichs ist die Orchideenwiese in der nach Südwesten geöffneten Waldecke.Von temporär überfluteten Binsenbeständen bis hin zu trockenen, sandigen Abschnitten am südlichen Rand sind alle Übergänge vertreten. An bestandsgefährdeten Pflanzenarten wachsen hier Breitblättriges Knabenkraut (Dactylorhiza majalis), Kleines Knabenkraut (Orchis morio), Natternzunge (Ophioglossum valgatum) und Tausendgüldenkraut (Centaurium erythraea). Nach Westen und Norden schließen sich verschieden intensiv bewirtschaftete Wiesen an. Diese Wiesen haben als Reliktflächen früherer mäßig intensiver Mähwiesenwirtschaft zu gelten. Durch die relativ frühe Orientierung der dortigen Bevölkerung zu Industrie und Handel im Ballungsraum wurde die mäßig intensive Bewirtschaftung der Grünlandflächen beibehalten, und es konnte sich so eine gewisse Kontinuität der Flora und Fauna aus der vorindustriellen bis in die heutige Zeit erhalten. In einer kurzen Beobachtungsreihe wurden bereits 99 Arten von Großschmetterlingen nach- gewiesen, dies nicht zuletzt wegen der Verzahnung von Grünland und Wald. Es befinden sich darunter der Schwalbenschwanz (Papilio machaon), der große Areale und als Futterpflanze Roßfenchel (Silaum silaus) benötigt, viele Arten derZahnspinner (Notodontidae),die an Eichen angepaßt sind und der Große und Schwarzblaue Moorbläuling (Maculinea teleius und M. nausithous), deren frühe Raupenstadien in Blütenköpfchen des Großen Wiesenknopfes und spätere Stadien in Ameisennestern leben.

NSG „Endlache von Wallerstädten" (Kreis Groß-Gerau)

VO vom 12. November 1985 (St.Anz. S. 2119); in Kraft getreten: 26. November 1985 Das 5,76 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Hessische Rheinebene, Riedhäuser Feld". Ein ehemaliges Altneckarbett wurde mit Rübenerdeschlamm über Rohrleitungen aus 146 der nahegelegenen Zuckerfabrik ausgefüllt. Der nördliche Teil dieser Fläche wurde landwirt- schaftlich regeneriert; im südlichen Drittel blieb ein Flachwasserteich zurück, der sich auf natürliche Weise entwickelte und von vielen Wasser- und Watvogelarten als Biotop,besonders als Rastplatz während der Wanderung nordischer Durchzügler angenommen wurde. Etwa 40% aller eurasischen Limikolenarten wurden bereits im Gebiet festgestellt. Darüber hinaus bietet die Randzone der Wasserfläche einer Reihe heimischer Vogelarten gute Brutmöglich- keiten; als bestandsgefährdete Brutvögel sind zu nennen: Flußregenpfeifer, Schafstelze und Grauammer. Da ein natürlicher Wasserzulauf nicht besteht, werden die Verdunstungs- und Sickerverluste des Gewässers durch zugepumptes Brunnenwasser ausgeglichen.

NSG „Burgberg und Weiherwiesen von Adolfseck" (Rheingau-Taunus-Kreis) VO vom 5. November 1985 (StAnz. S. 2121); in Kraft getreten: 26. November 1985

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - forstliche Pflege- und Erholungsmaßnahmen, die der Förderung der geschützten Waldgesellschaften dienen.

Das 3,56 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Westlicher Hintertaunus, Bad Schwalbach-Hohensteiner Aartal", südlich unmittelbar bei der kleinen Gemeinde seines Namens. Die romanische Burg wurde durch Graf Adolf I von Nassau-Idstein im 14.Jahrhundert erneuert, sie war zuletzt 1654 bewohnt. Die Flächen innerhalb der Mauerreste nehmen brach- gefallene Wiesen mit Buschwerk ein. In einem Halbkreis nach Süden fällt ein niederwaldartig genutzter Steilhang ab. Bevor durch einen Bergdurchschnitt westlich des Ortes und der Burg die Aar ein neues Bachbett bekam, floß diese in einer Dreiviertelschleife um die Burg. Später wurde zur Burgsicherung in dieser Schleife ein großer Stauweiher angelegt. Heute sind hier fast ausschließlich Naßwiesen zu finden, einige kleine Tümpel bieten einigen Amphibienarten Lebensraum. Das Naturschutzgebiet stellt nicht nur eine ökologische Einheit dar; es bildet in dieser Form auch ein Ensemble von historischer Bedeutung.

NSG „Walzenberg bei Hohenzell" (Main-Kinzig-Kreis)

VO vom 6. November 1985 (StAnz. S. 2186); in Kraft getreten: 3. Dezember 1985

Das ca. 28,62 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Sandsteinspessart, Schlüch- terner Becken" etwa auf halber Strecke südlich der Straße von Bellings nach Hohenzell. Von einer mehr oder weniger zentral gelegenen weitgehend waldfreien Hochfläche mit einer höchsten Erhebung von 327,8 m über NN fällt das Gelände nach Norden und Osten nur allmählich ab und wird hier von Wald verschiedenster Baumartenzusammensetzung einge- nommen. Nach Westen und noch mehr nach Süden (wo z. T. auch Fels ansteht) bestehen in Richtung zum „Katzental" des Ahlersbaches relativ steile Hänge, auf deren flachgründigem Boden über Muschelkalk xerotherme Magerrasen mit breiten Heckenzügen ausgebildet sind.

Die zahlreichen Übergänge von Wald zum Offenland und die unterschiedlichen Vegetations- typen werden von einerartenreichen Tierwelt, insbesondere auch von interessanten Insekten- arten besiedelt. Die stark bestandsgefährdete Gewöhnliche Sichelschrecke (Phaneroptera falcata) tritt ungemein häufig auf. 147 An Schmetterlingsarten kommen im Wald der Queckenfalter (Aegeria egerides), der Kaiser- mantel (Argynuis paphia) und der Birkenzipfelfalter (Thecla betulae), als typische Arten der Kalkmagerrasen Dukatenfalter (Neodes virgaureae) und Schachbrettfalter (Agapetes galathea) vor. Als Nachtfalter wurden Brombeerspinner (Macrothylacia rubi), Mondvogel (Phalera bucephala) und Weinschwärmer (Pergesa elpenor) nachgewiesen. Feld- Sandlauf- käfer (Cicindela campestris) und Bombardierkäfer (Brachynus explodens) kommen im Bereich der thermisch extremen Standorte vor. Neuntöter und Rotmilan sind als bestandsbedrohte Vogelarten hier zu nennen. Für die vom Aussterben bedrohte Hundswurz (Anacamptispyrami- dalis) ist der Waizenberg einziger hessischer Standort. Weitere bestandsbedrohte Pflanzen- arten sind: Fransen-Enzian (Gentianelle ciliata), Bienen- und Fliegen-Ragwurz (Ophrys apifera und insectifera), Männliches Helm- und Purpur-Knabenkraut (Orchis mascula, militaris und purpurea).

NSG „Am Kleewoog von Gräfenhausen" (Stadt Darmstadt und Kreis Darmstadt-Dieburg) VO vom 14. November 1985 (StAnz. S. 2188); in Kraft getreten: 5. Dezember 1985

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - Maßnahmen zum Ausbau, der Erhaltung und Förderung eines artenreichen Kiefern- und Eichenmischwaldes sowie reichgegliederter Waldränder.

Das 20,89 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Untermainebene, Hegbach-Apfel- bach-Grund" am nördlichsten Zipfel des Forstteiles Teufelshölle. Etwa die Hälfte der Fläche wird von einem 60-80 jährigen Kiefern/Eichen Mischwald bzw. einem Schafschwingel- und Heidekraut/Moos-Kiefernwald eingenommen. Diese Waldgesellschaften stocken auf ober- flächig entkalkten sauren Sanden des Darmstädter Flugsandgebietes. Eine rund 20 m breite ehemalige Flutrinne verläuft von Nordwesten nach Südwesten durch den Waldbestand.Nitro- phile Kräuter und Stauden wachsen hier, der Grenzlinieneffekt der schön gewachsenen Waldränder bedingen den besonderen Wert dieses Landschaftsteils. Das ehemalige Kies- grubengelände in der westlichen Hälfte des Naturschutzgebietes gliedert sich in eine wegen der Steilufer weitgehend vegetationsfreie grundwasserbespannte Großgrube mit reichstruk- turierten Ufern und mehrere kleine mit Röhricht und Weiden dicht zugewachsene kleine Gruben. Das Gebiet ist schutzwürdig wegen seiner Sand- und Ruderalflora, es hat Brut-, Rast- und Trittsteinfunktion für bestandsbedrohte Vogelarten, es ist Lebensraum für Amphibien und Reptilien, wozu auch eine Amphibienschutzanlage an der nahegelegenen Weiterstädter Straße beiträgt,durch eine eingehende Untersuchung ist hier eine reiche Insektenfauna belegt.

NSG „In der Bellersdorfer Tränk" (Lahn-Dill-Kreis)

VO vom 21. November 1985 (StAnz. S. 2224); in Kraft getreten: 10. Dezember 1985

Das 24.42 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Gladenbacher Bergland, Hörre". Die Fläche fällt in östlicher Richtung von 340 auf 310 m über NN allmählich ab, in dieser Rich- tung verlaufen, teilweise randlich, zwei kleine Bäche. Im Norden schließen sich große Wälder an.

Der weitaus größte Flächenanteil wird als Mähwiesen genutzt; im feuchten, östlichen Teil sind die nassesten Senken seit einigen Jahren schon ungenutzt. Auf trockeneren Flächen finden sich sehr magere und artenreiche Glatthaferwiesen in einer Ausbildung, die zu den Berg- Goldhaferwiesen vermittelt. Häufigste Grünlandgesellschaft ist im Gebiet die Si lauwiese auf wechselfeuchten Standorten, hier in einer außerordentlich artenreichen Ausbildung nährstoff- 148 armer Standorte. Auf nährstoffarmen, feuchten Brachflächen treten Pfeifengraswiesen und Waldsimsen-Feuchtwiesen in einer Ausbildung mit Faden-Binse auf.

Kleinflächig finden sich Kleinseggen-Niedermoore. Die reiche Florenliste enthält an bestandsbedrohten Arten: Flohsegge (Carex pulicaris), Breitblättriges Knabenkraut (Dactylor- hiza majalis), Faden-Binse (Juncus filiformis), Färber-Scharte (Serratula tinctoria), Schnabel- und Blasensegge (Carex rostrata und C. vesicaria), Sumpf-Weidenröschen (Epilobium palustre) und Schmalblättr.Wollg ras (Eriophorum angustifolium). Für Wiesenvogelarten ist das Gebiet wichtigstes Brutgebiet, so für Bekassine, Braunkehlchen, Raubwürger und Neuntöter. Eine reiche Pilzflora des Magergrünlandes, vor allem in den Glatthaferwiesen umfaßt viele Vertreter der Saftlinge (Hygrocybe) und mehrere Arten der Korallenpilze (Clavariaceae). Im Süden ist dicht angrenzend der Bau einer Teichkläranlage für Bellersdorf vorgesehen. In der Zeit kurz vor der Naturschutzgebietsausweisung noch schnell erfolgte Umbrüche an mehreren Stellen müssen wieder rückgängig gemacht werden.

NSG „Pfingstgemeinde bei Zennern" (Schwalm-Eder-Kreis) VO vom 26. November 1985 (StAnz. S. 2226); in Kraft getreten: 10. Dezember 1985

Das 7,76 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Westhessische Senke, Fritzlarer Ederflur" nahe der Eder. Es handelt sich um eine ungestörte Sukzessionsfläche, die aus einer ehemaligen Kiesgrube entstanden ist. Der größte Teil ist mit Pioniergesellschaften und Rude- ralvegetation bestanden, die im Kernbereich eine ausgeprägte Hochstaudenflur aufweisen. Der Wasserstand mehrerer unterschiedlich großer Gewässer schwankt mit der Eder. Eine große, dichte Gehölzzone befindet sich im Nordwestteil, im östlichen Teil bestehen mehrere kleinere Gehölzflächen. Zu den hervorzuhebenden Vertretern der Avifauna gehören hier Feld- schwirl, Teichrohrsänger, Braunkehlchen und Beutelmeise. Wegen des geringen Fisch- besatzes und wegen der ausgeprägten Flachwasserzonen der Gewässer besteht ein großer Amphibienreichtum, darunter als bestandsbedrohte Arten Kreuzkröte und Laubfrosch. Die ehemalige Kiesgrube warvon Seiten des Straßenbauamtes zur Ersatzlandbeschaffung für die Inanspruchnahme landwirtschaftlicher Nutzfläche u.a. für den Weiterbau der Südumgehung von Wabern vorgesehen. Die Rekultivierung sollte durch Auflandung mit Zuckerrübenwasch- erde vorgenommen werden. Im Abweichungsverfahren zum Regionalen Raumordnungsplan wurde dieser Antrag jedoch zugunsten der Ausweisung des Naturschutzgebietes abgewiesen.

NSG „Forbachsee bei Bebra" (Kreis Hersfeld-Rotenburg) VO vom 26. November 1985 (StAnz. S. 2227); in Kraft getreten: 10. Dezember 1985

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - das Befahren der Fulda, ohne anzulegen; - die Ausübung der Fischerei in der Fulda vom rechten Uferaus in derZeit vom 16.Juli bis 31.Januar

Das 21,93 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Fulda-Werra-Bergland, Bebraer Becken". Es umfaßt den relativ naturnahen Fuldalauf mit dichtem Weidenbestand in einer Länge von ca. 800 Metern und die beiden Kiesteiche. Als Ausgleichsmaßnahme der Deutschen Bundesbahn ist das Gelände aus Privathand in das Eigentum des Landes Hessen übergegangen. Es besteht volles Betretungsverbot, keinerlei Nutzungen (Ausnahme Angeln s.o.) sind zugelassen. Der ökologische Wert des Gebietes beruht z.T. auch auf angrenzenden 149 Biotopen, nämlich den nahe rechts der Fulda gelegenen drei Kiesteichen und dem steilen Hangwald mit Altholzbeständen, der sich im Westen des Gebietes anschließt. Flachwasser- zonen an den Ufern der Flußseite und Steiluferzonen an der Hangseite kennzeichnen die Teiche. Im nördlichen Teil am Hang befindet sich ein Quellhorizont. Das Gebiet ist Lebensraum und Rastplatz für zahlreiche bestandbedrohte Vogelarten. Verschiedene Amphibienarten, Tagfalter- und Libellenarten wurden bisher beobachtet.

NSG „Auf dem Ried bei Iba" (Kreis Hersfeld-Rotenburg) VO vom 26. November 1985 (StAnz. S. 2229); in Kraft getreten: 10. Dezember 1985

Das 4,74 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Fulda-Werra-Bergland, lbaer Hügel- land", südlich der L3250 angrenzend. In dem weitgehend durch Grünland geprägten Tal des Iba-Baches ist an dieser Stelle infolge der hydrologischen Verhältnisse ein hoher Flächen- anteil nicht mehr landwirtschaftlich genutzt. In Grünland, Streuwiesen, Seggen- und Röhrichtzonen wurden 57 Pflanzenarten nachge- wiesen. Das in NO-SW-Richtung verlaufende Tal hat als Zugroute fürVögel eine wichtige Funk- tion. Braunkehlchen und Wachtelkönig sind hier Brutvögel, Neuntöter, Gebirgsstelze, Rotmilan, Wendehals und Wasseramsel sind Nahrungsgäste der Roten Liste.

NSG „Schittkamm im Wispertal" (Rheingau-Taunus-Kreis) VO vom 25. November 1985 (StAnz.S. 2283); in Kraft getreten: 17. Dezember 1985 Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - Maßnahmen zur Erhaltung und Förderung von natürlichen arten- und struktur- reichen Waldgesellschaften Das 16,11 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Westlicher Hintertaunus, Wisper- taunus". Es umfaßt größtenteils den namengebenden bewaldeten Bergrücken rechts der Wisper. Auf dessen Rücken und an der südexponierten Hangseite stockt ein Waldlabkraut- Eichen-Hainbuchenwald (Galio-Carpinetum) und anschließend zum Hangfuß ein Winter- linden-Eichen-Hainbuchenwald (Tilio-Carpinetum). Erhöhte Lichtzufuhr, Wärme und ausrei- chender Niederschlag bedingen eine vielfältige Pflanzenwelt mit Wald-Ackelei (Aquilegia vulgaris), Hallers Schaumkresse (Cardaminopsis hallen), Diptam (Dictamnus albus),Wildapfel (Malus sylvestris), Echtem Lungenkraut (Pulmonaria officinalis), Sand-Thymian (Thymus serpyllum), Rotem Waldvögelein (Cephalanthera rubra), Purpur-Knabenkraut (Orchis purpurea) und Weißer Waldhyazinthe (Platanthera bifolia) als bestandsbedrohte Arten. Auf der nordexponierten Hangseite bis zum Bachufer breitet sich bei frischem, mit vielen Steinen durchsetztem Boden und bei hoher Luftfeuchtigkeit ein Schluchtwald (Aceri-Fraxinetum) aus. Auf der Südostseite schließt sich dem Waldrand ein Hirschwurz-Saum (Geranio-Peuceda- netum cervariae) mit Helm-Knabenkraut (Orchis militaris) an. Zum Naturschutzgebiet gehört die Glatthaferwiese, südlich der zum Bundeswehrstollen führenden Straße, an deren südlichem Ende ein Feuchtbiotop mit Rispensegge (Carex paniculata) besteht.

NSG „Erbacher Wäldchen" (Rheingau-Taunus-Kreis) VO vom 27. November 1985 (StAnz. S. 2285); in Kraft getreten: 17. Dezember 1985

Das 5,18 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum Rheingau. Mit dem 1979 aus Natur- schutzgründen vom Lande Hessen angekauften, etwa 90 Jahre alten Eichenwäldchen ist auch 150 das vorgelagerte Stillwasser bis zum Leitwerk unter Schutz gestellt. Entlang des Ufers besteht ein standorttypisches Korbweidengebüsch; der Spülsaum ist mit Fragmenten des Flußröh- richts (Phalaridetum arundinaceae) bestanden, Relikte aus der Zeit vor der Kanalisierung und Schiffbarmachung des Rheinstroms. Das kleine Gebiet ist von ornithologischer Bedeutung insbesondere im Zusammenhang mit dem gegenüberliegenden Naturschutzgebiet „Mariannenaue".

NSG „Ederseeufer bei Herzhausen" (Kreis Waldeck-Frankenberg) VO vom 28. November 1985 (StAnz. S. 2288); in Kraft getreten: 17. Dezember 1985

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - in der Schutzzone II a) die Ausübung der Fischerei vom Boot aus b) das Baden und Einsetzen von Wasserfahrzeugen vom Ederseeufer aus, nicht jedoch das Betreten trockengefallener Flächen

Das 28,74 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Kellerwald, Herzhausen- Hemfurther Edertal", am obersten Ende des Edersees. Das Gebiet ist der südlichen Uferstraße des Edersees vorgelagert. Von ihr aus fällt das Gelände im westlichen Teil zunächst einige Meter steil zum See hin ab; im östlichen Teil liegt zwischen Straße und See zunächst ein bewaldeter höherer Stei lhang. Die geschützte Fläche reicht etwa bis zum alten Ederseelauf, sie gliedert sich in zwei etwa gleichbreite dem Ufer parallel laufende Streifen,die landseitige Zone I genießt den stärkeren Schutz

Alle Schwankungen des Wasserstandes der Stauung (bis zu 80% der Gesamtstauseefläche fallen jährlich trocken) wirken sich hier an der „Stauwurzel" des Sees zuerst aus. Schon relativ geringe Wasserstandsänderungen lassen bei dem flach streichenden Gelände große Flächen trockenfallen bzw. wieder im Wasser verschwinden.

Mit der Überflutungsdauer geht eine deutliche Tiefenzonierung der Pflanzenwelt einher. Dabei nehmen mit der Tiefe die anstehenden Pflanzenmassen nach der Bestandshöhe und dem Bodenbedeckungsgrad gleichmäßig ab. Fünf Pflanzenzonierungen folgen vom Ufer aus: 1) Das Weidicht in 0 bis 1,8 m unter Vollstaupegel, durchschnittlich über 75 0/0 der Zeit trocken- liegend; 2) das hochstaudenreiche Ried,1,5 bis 2,5 m unterVollstaupegel, durchschnittlich 70 bis 75% trockenliegend; 3) das reine Schlankseggenried, 2,5 bis 6 m, 50 bis 70 %wie oben; 4) die obere Zwergpflanzenflur mit Seggeninseln 6 bis 9 m, 30-50% wie oben; 5) die Untere Zwergpflanzenflur 9 m und mehr, 12 bis 30% wie oben.

Mit 67 Gefäßpflanzenarten, einem Moos und mehreren Bodenalgen ist das Gebiet nicht sonderlich artenreich, doch befinden sich darunter viele Spezialisten der Ufer-, Auen und Sumpfstandorte und bestandsbedrohte Arten der Roten Liste: Sumpfampfer (Rumex palustris), Dreimänniges Tännel (Elatine triandra).

Etwa 800 Tierarten kommen zeitweise in außerordentlich hohen Besiedlungsdichten vor. Obgleich fast alle Tiergruppen vertreten sind, können nur Insekten und Spinnentiere als wirklich erfolgreiche Besiedler des Überschwemmungsgebietes gelten. Die erfolgreichsten Tiere während der Trockenphase sind die Springschwänze, weil sie sich bereits wenige Tage nach dem Trockenfallen aus Eiern entwickeln, die auf dem Seeboden die Flut überlebt haben. Unter den echten Insekten sind die kleinen Sumpffliegen (Ephydridae, Spaeroceridae) sehr 151 zahl- und artenreich. Für den nordischen Singschwan mit meist nicht mehr als zehn Tieren ist das Gebiet ein wichtiger hessischer Überwinterungsplatz; der Bruterfolg von maximal zehn Brutpaaren des Haubentauchers ist abhängig vom Vollstau über das Frühjahr.

NSG „Stadtbruch von Volkmarsen" (Kreis Waldeck-Frankenberg) VO vom 28. November 1985 (StAnz. S. 2291); in Kraft getreten: 17. Dezember 1985

Über die Musterverordnung hinaus ist gestattet: - Maßnahmen zur Erhaltung und Pflege eines natürlichen Bruchwaldes; - der Betrieb und die Unterhaltung der Wassergewinnungsanlage

Das 27,80 ha große Naturschutzgebiet liegt im Naturraum „Ostwaldecker Randsenken, Volk- marser Becken", südwestlich in unmittelbarer Nähe der Stadt Volkmarsen, in dem Dreieck, das durch die Twiste und den Mühlgraben gebildet wird. Im Westen bildet die Twiste die Grenze, im Nordwesten schiebt sich zwischen Twiste und Naturschutzgebiet das dem Bruch abgenom- mene Gelände des Sportzentrums, im Südosten hat sich das Volkmarser Industriegebiet in einem breiten Gürtel entlang des Mühlgrabens auf Kosten des Bruches etabliert. Die Feucht- und Naßwiesen zeigen in einzelnen Bereichen Anklänge an einen naturnahen Erlenbruchwald mit Schwarzerlen und Grauerlen; der größte Teil wird jedoch von ca. 30 jährigen Pappel- anpflanzungen unterschiedlicher Sorten eingenommen. Auch die Twiste ist mit einem breiten Gürtel von Pappeln versehen worden. Die Wiesen und Weiden im Nordwesten und im Süden befinden sich auf höherem, trockenerem Gelände. Unter der reichen Amphibienfauna domi- niert eine sehr große Population des Grasfrosches. In den Gräben befindet sich ein relativ großer Bestand des Dreistacheligen Stichlings. Bestandsbedrohte Brutvögel sind hier Klein- specht, Wasseramsel und Gebirgsstelze, möglicherweise der Eisvogel. Eine planmäßige Entwicklung des Gebietes ist hier besonders wichtig.

Anschrift des Verfassers: DR. ALBRECHT ENSGRABER, Hessische Landesanstalt für Umwelt, Unter den Eichen 7, 6200 Wiesbaden.

152 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen • Vogel und Umwelt 4: 153-160 (1986)

Artkapitel „Waldschnepfe" der neuen „Avifauna von Hessen" von JÖRG W. BRAUNEIS, Göttingen

Anmerkung der Redaktion: Die folgende Arbeit über die Waldschnepfe ergänzt die Reihe von Artbearbeitungen für die neue „Avifauna von Hessen", die wir beispielhaft in „Vogel und Umwelt" vorab veröffentlichen. Auch von diesem Artikel erhoffen wir uns einerseits, daß er Anregungen für andere Artbearbeiter enthält, andererseits aber auch, daß Sie als Leser uns weitere Informationen, Anregungen oder Kritik zukommen lassen. Insbesondere die Forstbediensteten und Jäger bitten wir um Mitarbeit, wenn sie durch ihre Beobachtungen die Aussagen dieser Artbearbeitung bestätigen, ergänzen oder auch widerlegen können.

Waldschnepfe - Scolopax rusticola (Linne 1758)

Rassen: keine Rassengliederung Status und Häufigkeit: Brutvogel (Sommervogel): wahrscheinlich Kategorie IV (über 200 bis 1000 brütende Weibchen). Durchzügler: Kategorie B-C (über 100 bis 10.000 Ex.) unregelmäßiger Wintergast: Kategorie A-B (1-1000 Ex.).

Verbreitung: Die Waldschnepfe ist in allen Teilen Hessens als Brutvogel anzutreffen, sofern geeignete Wald- gebiete vorhanden sind.

Lebensraum: Bevorzugte Bruthabitate der Waldschnepfe sind ausgedehnte, bodenfeuchte, artenreiche Mischwälder, die eine für die Schnepfe leicht erreichbare vielfältige Bodenfauna (Haupt- nahrung: Regenwürmer) garantieren. Diese Bedingungen sind bei Femel- oder Plenterwald- betrieb jedenfalls erfüllt. Bei Kahlschlagbetrieb werden Gelege meist in den jüngeren Alters- klassen gefunden, wobei in Laubholz eingebrachte Nadelholzhorste die Attraktivität zu erhöhen scheinen. Regional können anthropogen stark beeinflußte Waldformen (Wester- wälder Hauberge, Eichenschälwälder derWerraberge) als traditionell gute Schnepfenbiotope gelten. Nadelholzmonokulturen werden nach dem Dickungsschluß wohl nur noch in Ausnah- mefällen besiedelt. Da die Brutpopulation zumindest teilweise gemeinsam mit den durchzie- henden Angehörigen der skandinavischen und baltischen Populationen in Hessen erscheint und sich letztere während des Zuges an der Balz beteiligen, dürfen Balzflüge (Schnepfen- strich) nur dann als Hinweis auf ein Brutvorkommen gewertet werden,wenn sie über Mitte April hinaus anhalten (GLUTZ v. BLOTZHEIM et al. 1977). 153 KEIL (1980) legte Ergebnisse einer ökologischen Untersuchung der Waldschnepfe in Mittel- gebirgsregionen vor, an der sich - neben rheinland-pfälzischen Revieren - die hessischen Forstämter Homberg/Ohm, Romrod, Morschen, Wanfried, Wolfgang und Isenburg beteiligten: Von 70 im Frühjahr1976 erlegten Schnepfen waren 81,4% Männchen und 18,6 %Weibchen.Bei den nach dem 20. März zur Strecke gekommenen Vögeln waren die Geschlechtsorgane bereits so weit entwickelt,daß ein wesentlicherTeil dieser Individuen der örtlichen Brutpopula- tion zugerechnet werden muß. KEIL (1980) gibt weiter an, daß nach diesen Untersuchungen ein typischer Waldschnepfen (-durchzugs-)biotop z. B. folgende Merkmale aufweisen muß: - Alter des Baumbestandes unter etwa 25 Jahren, kleiner Bachlauf oder Feuchtstellen; - ein oder mehrere Überhälter (aus der vorangegangenen forstlichen Waldgeneration über- nommene Altbäume). KALDEN (1978) führte in den Jahren 1975-1978 eine Erhebung der Waldschnepfen-Beobach- tungen zur Balzzeit im Kreisteil Frankenberg durch und betont, daß man dort streichenden Schnepfen am häufigsten im Bereich von Buchennaturverjüngungen (Buchenrauschen) begegnet. Da Gelege in der Regel nur als Zufallsfunde nachgewiesen werden und sich eine syste- matische Suche aus Gründen des Artenschutzes verbietet, müssen über Mitte April hinaus andauernde Balzflüge als ein entscheidendes Kriterium zum Auffinden einer Waldschnepfen- Brutpopulation gewertet werden. Danach besiedelt die Schnepfe die hessischen Wälder von den Auwaldrelikten des hessischen Rheinabschnitts bis in die Kammlagen aller Mittelgebirge. Gelege der Waldschnepfe werden in Hessen ausnahmsweise schon von Ende März an (28.03.1973 Runkeler Wald/STAHL), in der Regel ab Anfang April gefunden (10.04.1972 bei Waldkappel-Bischhausen/STANEK). Die Gelegenachweise erstrecken sich dann bis Mitte August (12.08.1979 bei Waldkkappel-Bischhausen/STANEK). Bei einer durchschnittlichen Brutdauer von 22 bis 23 Tagen und ca.drei Wochen bis zum Flüggewerden (BETTMANN 1975) werden unselbständige Jungvögel von Ende April noch bis Mitte September angetroffen (10.09.1974 drei Jungvögel bei Waldkappel-Bischhausen/STAN EK). Die aus den Jahren 1953 bis 1981 vorliegenden genau bezeichneten hessischen Gelegefunde sind über die Brut- periode von März bis August annähernd gleichmäßig verteilt (s. Abb. 1). Eine zweigipfelige Verteilung der Gelege- und Jungenfunde mit einem absoluten Maximum in der zweiten Aprildekade und einem geringeren Maximum in der ersten Junidekade, wie es NEMETSCHECK und FESTETICS (1977) für ihr niedersächsisches Untersuchungsgebiet fanden, konnte für Hessen - bei aller angesichts des geringen Materialumfangs gebotenen Vorsicht - nicht bestätigt werden. Möglicherweise wird dieses Phänomen durch den je nach Höhenlage unterschiedlichen Balz- und Brutbeginn in Hessen überlagert. Obwohl auch für Hessen zwei Jahresbruten nicht sicher nachgewiesen sind, erscheinen diese insbesondere angesichts der langen Brutperiode als sehr wahrscheinlich.KALCHREUTER (1975) nimmt bei 30 0/0 der Waldschnepfenweibchen aus populationsdynamischen Gründen ein zweimaliges Brüten im Jahr an. Die in der Literatur (LAN DAU 1849 ; GEBHARDT&SUNKEL19 54; BRAUNEIS 1985; LUCAN et al. 1974), aber auch von erfahrenen Feldornithologen und Jägern (STANEK mündl.) insbesondere für das nördliche Hessen immer wieder berichteten zwei Balzhöhe- punkte dürfen wohl als gegeben angesehen werden. Nach einem Höhepunkt des Anfang März beginnenden „Schnepfenstrichs" in der ersten und zweiten Aprildekade werden balzende Schnepfen erst Ende Mai/Anfang Juni wieder häufiger beobachtet. Dieser Eindruck sollte durch eine planmäßige Untersuchung überprüft werden, insbesondere da NEMETSCHECK und FESTETICS (1977) ebenso wie KALCH REUTER (1979) eine derartige Zweigipfligkeit der Balzsaison bei umfangreichen Studien in ihren niedersächsischen bzw.süddeutschen Unter- suchungsgebieten nicht finden konnten. 154 Anzahl Gelege

n=25

Zeit

MÄRZ APRIL MAI JUNI JULI AUGUST

Abb. 1: Jahreszeitliche Verteilung der in Hessen gefundenen Waldschnepfen-Gelege (Zeit in Monatsdekaden)

Anzahl

500-

Jahr 1960 1965 1970 1975 1900

Abb. 2: Erlegte Waldschnepfen in Hessen. (Ab 1978 Verbot der Frühjahrsjagd in Hessen) 155 Bestandsentwicklung:

Über die Entwicklung des Waldschnepfen-Bestandes in Hessen kann nur spekuliert werden, besonders da Einflüsse auf die Durchzugs- und die Brutpopulation nicht sicher unterschieden werden können. Die Anzahl der geschossenen Waldschnepfen war in den Jahren 1959 bis zum Verbot der Frühjahrsjagd 1977deutlich rückläufig (s.Abb. 2 ), obwohl sich die Anzahl der ausge- gebenen Jahresjagdscheine im selben Zeitraum um etwa 4000 erhöht hatte (von 14 313 1960 auf 18 58 5 1977). Da sich während dieser Zeit die Art und der Umfang der Schnepfenbejagung nicht geändert zu haben scheinen, kann auf einen Rückgang des Waldschnepfen-Bestandes in den sechziger und siebziger Jahren geschlossen werden. In diese Zeit fallen die Intensivie- rung und Mechanisierung des Waldbaus in Hessen sowie eine flächenmäßig umfangreiche Umwandlung von Laubwäldern in Nadelholzforste, wobei von diesen Maßnahmen besonders die Wälder betroffen waren, die als bevorzugte Schnepfenbiotope gelten: sog. „herabgewirt- schaftete", degradierte Buchen- und Eichenniederwälder mit einem hohen Anteil an Birke, Hasel, Weide und Erle (Hauberge, Eichenschälwälder). Die an ihrer Stelle auf großen Flächen begründeten Fichten- und später auch Douglasienmonokulturen können, insbesondere bei intensiver mechanischer oder chemischer (Biozideinsatz) Kulturpflege, keine Ersatzbiotop- funktion übernehmen. Ab dem Dickungsalter sind diese „Pflanzwüsten" nicht nur für die Wald- schnepfe unbewohnbar. Seit Anfang der achtziger Jahre stellen einige Beobachter (HEIMER für den Altkreis Dieburg; BRAUNEIS für den Werra-Meißner-Kreis, mündl.) subjektiv eine leichte Zunahme der Waldschnepfenbestände fest.

Angaben über die Siedlungsdichte sind aus methodischen Gründen mit größter Skepsis zu betrachten. So gibt BERG-SCHLOSSER (1968) nach KEIL für die Herchenhainer Höhe (Vogelsberg) 6 bis 8 brütende Weibchen auf 10 bis 12 Hektar Waldfläche an. Eine ähnlich hohe Siedlungsdichte findet sich in der gesamten überschaubaren Literatur nur noch bei PAY(1937) für eine Insel bei Samäland: hier 1919 sechs Schnepfengelege auf 12 Hektar.

HEIMER schätzt für den Altkreis Dieburg 1983 etwa 10 bis 15 brütende Weibchen auf ca. 146 km2 Waldfläche.

Vermutlich sind die hessischen Verhältnisse am ehesten mit den von CREUTZ (1978) für die DDR beschriebenen vergleichbar. Er gibt maximal zwei Paare auf 10 Hektar an.

Jahresphänologie: Nach G LUTZ von BLOTZH EI M et al. (1975) ist die Waldschnepfe ein Zug-,teilweise Strich- und Standvogel mit ähnlich frostabhängigem Verhalten wie der Kiebitz. LANDAU (1849) zitiert einen Oberforstmeister v. SCHWERTZELL: „Die Schnepfe erscheint im Frühjahr in der Regel im März und zieht im Oktober wieder in wärmere Länder."Auch von Überwinterungsversuchen berichtet v. SCHWERTZELL als von „Lagerschnepfen".

Die Auswertung aller zur Verfügung stehenden Schnepfen-Beoabchtungen in Hessen aus neuester Zeit bestätigt diese Aussage. Das Maximum der Frühjahrsbeobachtungen fällt in die zweite März- bis zweite Aprildekade, während das Maximum der Herbstbeobachtungen in der dritten Oktober- und ersten Novemberdekade festzustellen ist. Dezemberbeobachtungen sind in den ersten beiden Dekaden dieses Monats nicht ungewöhnlich.Von SCHWERTZELLin LANDAU (1849): „...wogegen in gelinden Wintern oft noch ziemlich häufig Schnepfen bis Mitte Dezember geschossen werden."Waldschnepfen-Beobachtungen im Januar und Februar sind in Hessen sehr selten, damit sind die sog. Lagerschnepfen möglicherweise nur die letzten Kälteflüchter (s. Abb. 3). 156 Nachweise

20-

n=223

15-

10-

J F M A M J J A S 0 N Zeit Abb. 3: Jahreszeitliche Verteilung aller auswertbaren Waldschnepfen-Nachweise in Hessen (Schraffur= Balz)

Abb. 4: Brut- und Rasthabitat der Waldschnepfe; Erlenbruch im Naturschutzgebiet „Wohra- teiche bei Haina"— März 1982. (Foto: K. MÖBUS) 157 Unter Zugstaubedingungen kommt es bei diesem nächtlichen Breitfrontzieher auch zum Einfallen an ungewöhnlichen Plätzen,so am 16.03.1960 im Stadtgebiet von Eschwege (SAUER in BRAUNEIS 1985).

Abb. 5: Bruthabitat der Waldschnepfe; autochthoner Erlenwald, geplantes Naturdenkmal bei Haina-Löhlbach -Juli 1983. (Foto: K. Möbus) 158 Schutz: Um die Waldschnepfe wirkungsvoll zu schützen, ist es dringend notwendig, naturnahe Wald- formen zu erhalten und wieder aufzubauen. Dabei muß regional die Pflege kulturhistorisch bedeutsamer Waldbilder (Hauberge, Eichenschälwälder) auf nennenswerter Fläche eine besondere Bedeutung erlangen. Umwandlungen von Laub-in Nadelwälder sowie die Biozid- anwendung im Wald müssen gänzlich unterbleiben. Der Laubwaldanteil muß auf Kosten der Fichten und Douglasien bedeutend gesteigert werden. Die Übererschließung der Wälder durch Wege muß ebenso wie die Mechanisierung der Fostwirtschaft zurückgenommen werden.

Offene Fragen: Auf landesweit verteilten Probeflächen sollte eine jährliche, planmäßige Schnepfenbeobach- tung z. B. in Form eines Programms der Landesforstverwaltung erfolgen, um Veränderungen des Schnepfenbestandes in Abhängigkeit von Witterung, Forstwirtschaft, aber auch so bedrohlichen Entwicklungen wie dem Waldsterben zu dokumentieren und rechtzeitig zu erkennen.

Die Feldornithologen sind aufgefordert, eine auch unter Artenschutzgesichtspunkten befriedi- gende und zuverlässige Methode zur Ermittlung der Siedlungsdichte zu entwickeln. Die offenen Fragen im Zusammenhang mit der Balzaktivität sind nur durch systematische Beobachtungen des Schnepfenstrichs zu klären. Eine verstärkte Beringung könnte ins- besondere Fragen in Zusammenhang mit der Gefährdung derWaldschnepfe auf dem Zug und in den Winterquartieren klären helfen.

Literatur:

BEHRENS, H., K. Fl EDLER, H. KLAMBERG &K. MÖBUS (1985): Verzeichnis derVögel Hessens. Frankfurt am Main; Seite 54.

BERG-SCHLOSSER, G. (1968): Die Vögel Hessens (Ergänzungsband). Frankfurt am Main; Seite 113-115.

BETTMANN, H. (1975): Die Waldschnepfe. München.

BRAUNEIS, W. (1985): Die Vogelwelt des Werra-Meißner-Kreises. Witzenhausen; Seite 107-108.

CREUTZ,G. (1978): Die Verbreitung der Waldschnepfe in der DDR zur Brutzeit. Unsere Jagd 28: 82-83. GEBHARDT, L.& W. SUNKEL (1954): Die Vögel Hessens. Frankfurt am Main; Seite 409-410.

G LUTZ von BLOTZH El M, U. N., K. M. BAUER & E. BEZZEL (1977): Handbuch der Vögel Mittel- europas. Wiesbaden. Bd. 7, Seite 122-174. KALCHREUTER, H. (1979): Die Waldschnepfe. Mainz.

KALCHREUTER, H. (1975): Zur Populationsdynamik der Waldschnepfe nach europäischen Ringfunden. Vogelwarte 27: 153-166. 159 KALDEN, G. (1978): Verbreitung der Waldschnepfe im Kreisteil Frankenberg - Versuch einer Bestandserhebung. Vogelk. Hefte Edertal 4: 112-118. KEIL, W. (1980): Untersuchungen zur Biologie und Ökologie der Waldschnepfe in Mittel- gebirgsregionen. Vogel u. Umwelt 1: 123-126. LANDAU, G. (1849): Beiträge zur Geschichte derJagd und der Falknerei in Deutschland.-Die Geschichte der Jagd und der Falknerei in beiden Hessen. Kassel. LUCAN,V., L. N ITSCHE & G. SCHUMANN (1974): Vogelwelt des Land- und Stadtkreises Kassel. Kassel; Seite 133-134. NEMETSCHECK, G. & A. FESTETICS (1977): Zur Frage der Frühjahrsbejagung der Wald- schnepfe in der Bundesrepublik Deutschland. Themen der Zeit, Heft 1. Greven. PAY L. M. (1937): Die Waldschnepfe. München.

Anschrift des Verfassers: Dr. med. JÖRG W. BRAUNEIS, Friedrich-Jenner-Straße 21, 3400 Göttingen.

Neue Literatur

KREM ER, B. P., W. MEYER &H. J. ROTH (1986): Natur im Rheinland.-207S.,106 Farbfotos,zahlr. Zeichnungen, Stürtz Verlag Würzburg.

Das Rheinland, heute zu den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Hessen gehörend, wird im wesentlichen vom Mittelrhein und seinen angrenzenden Mittel- gebirgslandschaften gebildet. Es ist eine außerordentlich abwechslungsreiche Landschaft, mit einer vielgestaltigen Flora und Fauna. Daneben spielen u.a.auch geographische und histo- rische Gesichtspunkte eine bedeutende Rolle. Die drei Autoren haben es verstanden, dem Leser diese Landschaft näher zu bringen. So werden erdgeschichtliche Entwicklung, Minera- lien, Versteinerungen, Klima, Bodenverhältnisse, Flora und Fauna ebenso dargestellt, wie die einzelnen Gebiete die „das Rheinland" bilden. Am Schluß des Buches findet man Hinweise über Naturschutz, Naturlehrpfade und Literatur. Die beigegebenen Farbfotos veranschau- lichen und ergänzen den Text in harmonischer Weise. Der Rheinisch-Bergische Naturschutz- verein e.V. hat mit finanzieller Unterstützung der Deutschen Lufthansa und des Landschafts- verbandes Rheinland das Buch gestaltet. Der vorgelegte Band zeigt nicht nur den Liebreiz dieser Landschaft, sondern läßt auch die Dringlichkeit der Durchführung naturschutzge- rechter Maßnahmen erkennen, die notwendig sind, das Rheinland zu erhalten. Insgesamt ist das Buch eine gelungene Sache. W.KEIL 160 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen • Vogel und Umwelt 4: 161-164 (1986)

Nisthilfen für den Eisvogel (Alcedo atthis)* von FALKO EMDE, Bad Wildungen

1. Vorbemerkung In den letzten Jahren werden verstärkt Bemühungen um die künstliche Ansiedlung des Eis- vogels (Alcedo atthis) unternommen. Nach einem Bestandshoch in den Jahren 1975 und 1978 in weiten Teilen der Bundesrepublik wurde der Brutbestand durch langanhaltende Frost- perioden in den Wintern 1978/79,1984/85 und 1985/86 wieder erheblich reduziert, regional sogar völlig ausgelöscht.Vor dieserin Hintergrund erscheint es notwendig,endlich umfassende Schutzmaßnahmen für diese bedrohte Vogelart zu ergreifen. Während sich heute die Schutz- anstrengungen zumeist auf die Erhaltung oder Neuanschaffung geeigneter Steilwände (Nist- plätze) konzentrieren, ist die Erhaltung von Bruthabitaten für den Eisvogel mindestens ebenso wichtig. Die Mehrzahl der hessischen Eisvögel brütet an den Ober- und Mittelläufen unserer Fließgewässer. Es kommt daher künftig besonders darauf an, bei allen Fließgewässern wenig- stens Güteklasse II zu erreichen, sowie die Sportfischerei auf ein vernünftiges Maß zu begrenzen. Dies bedeutet Erhaltung oder Wiederherstellung der jeweiligen gewässer- typischen Fischfauna gegenüber einer heute meist ertragsorientierten Fischerei. Bedingt durch die hohen Pachtpreise werden nur wenige Nutzfischarten zulasten vor allem der Klein- fischarten begünstigt. Die Gemeinden - in der Regel im Besitz des Fischereirechtes- könnten durch entsprechende ökologische Auflagen bei der Neuverpachtung ihrer Fischgewässer auch einen wirksamen Beitrag zum Schutz des Eisvogels leisten. Gerade am Beispiel dieser Vogelart zeigt sich besonders deutlich, daß Artenschutz ohne Biotopschutz wirkungslos bleiben muß.

2. Nisthilfen Nachdem inzwischen eine Anzahl verschiedener Nisthilfen entwickelt und erprobt worden ist, werden im folgenden drei Vorschläge für geeignete Nistmöglichkeiten vorgestellt. WALD- SCHMIDT (1983) bringt eine anschauliche Zusammenstellung der verschiedensten Nisthil- fentypen, auf die der interessierte Leser hierverwiesen sei. Eine abschließende Beurteilung der verschiedenen Typen ist derzeit aufgrund des gringen Materials noch nicht möglich. Hier sollen nur solche Möglichkeiten erörtert werden, d ie in der Regel keinen allzu großen Aufwand erfordern.

2.1 Abstechen von Steilufern Die einfachste und zugleich wirksamste Art ist das senkrechte Abstechen lehmiger Prallufer auf einer Fläche von etwa 2 m Höhe und 2 m Breite. Zum Schutz gegen das Ausgraben des Brutkessels durch Säuger von oben her empfiehlt sich das Auflegen von mit „Kaninchendraht" bespannten Baustahlmatten in einer Größe von etwa 1 m x 1 m. Ein einmal so geschaffener Brutplatz muß jährlich bis Anfang März neu präpariert werden, um die Steilheit der Wand, die das Eindringen von Feinden von vorne her wirksam verhindert, zu gewährleisten. Besonders günstig ist die Anlage einer Brutwand direkt über einem Kolk, so daß auch bei Niedrigwasser der Nistplatz für Feinde - besonders aber für Menschen - unzugänglich bleibt. Um auch den

*Aus Vogelk. Hefte Edertal Nr. 12 (1986): 39-44 161 flüggen Eisvögeln Schutz und Deckung zu bieten, müssen dichte Ufergehölze, z. B. Strauch- weiden, in der Nähe des Brutplatzes vorhanden sein, die Nistwand selbst muß aber stets vege- tationsfrei bleiben.

2.2 Einbau von Nistkästen (Abb. 1)

In steinigen Wänden, wie sie in den Mittelgebirgen leider allzu oft vorkommen, bietet sich der Einbau eines hölzernen Nistkastens gefüllt mit kalkstabilisiertem Bodenmaterial an.Zunächst wird ein ausreichend großer Hohlraum in einer geeigneten Steilwand geschaffen (s.2.1). Der Nistkasten kann aus unbehandelten Brettern und Dachlatten angefertigt werden, die Front- platte sollte aus einer etwa 50 x 50 cm großen wasserfesten Hartfaserplatte bestehen,die nach dem Einsetzen des Kastens in ihrer Form den örtlichen Gegebenheiten angepaßt und auf- geschraubt wird. 3-5 Querlatten unter dem Kasten ergeben eine bessere Verankerung im Untergrund. Die Deckenlatten werden erst nach Einfüllen und Stampfen des Bodens aufgena- gelt. Zuletzt wird der Kasten mit Bodenmaterial und darüber mit einer festen Platte abgedeckt, um ein Freispülen der Nisthilfe zu verhindern. Das Bodenmaterial gewinnt man in der Nähe der vorgesehenen Nisthilfe und bereitet es dort mit Kalk auf,wenn wegen dererstrebten Unzuläng- lichkeit geeigneter Plätze Probleme mit dem Materialabtransport entstehen.

2.3 Aufbau von Nistblöcken (Abb. 2)

Im Zuge von Unterhaltungs- und Ausbaumaßnahmen an Fließgewässern sowie bei derAnlage von Teichen, wo Baumaschinen im Einsatz sind, bietet sich der Aufbau von größeren Nist- blöcken an. Am geeignetsten hierfür erscheint mir mit geringfügigen Änderungen die „Mündener Schalwand" zu sein, die WALDSCHMIDT (1983, S.178-180) im Detail beschreibt. Die Höhe der Nistwand ist abhängig von der Hochwassersituation des jeweiligen Gewässers. Für Fließgewässer erscheint im allgemeinen eine Höhe von 1,5 bis 2 Metern erforderlich, an Teichen reicht eine Wandhöhe von 1 m. Bei der Herstellung der Fundamente sind aufjeden Fall die örtlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Grundsätzlich sollten die Betonfundamente über die Hochwasserlinie hinausragen, um eine Unterspülung der Nistwand zu vermeiden. In das Fundament werden im Abstand von 2 m zwei nach innen offene U-Eisen (0 50 mm), in der Mitte davon ein Doppel-T-Träger im gleichen Maß eingelassen. Im Abstand von etwa 10 cm erfolgt der Einbau einer Baustahlmatte (150 x150 mm),die an mehreren Punkten durch Spann- drähte, die im gewachsenen Boden zu verankern sind, befestigt wird.Nach dem Aushärten des Betons werden Schalbretter zwischen die Träger gesteckt und ein Boden-Kalk-Gemisch lagenweise eingefüllt und verdichtet. Nach Entfernung der Schalung erfolgt die Abdeckung des Nistblockes durch Ondulineplatten, auf die Grassoden aufgelegt werden. Die frei zugäng- lichen Seiten des Nistblockes werden gegen das Eindringen von Kleinsäugern mit eng- maschigem Draht belegt. Wird der Nistblock durch Hochwasser beschädigt, läßt er sich nach Einlegen der Schalung und Einbau neuen Bodens wieder als Eisvogelnistplatz herrichten. 162

Abb. 1: Nistkasten

30

Abb. 2a: Nistblock (Frontansicht) Grassoden

Onduline-Platte •

Schiene

Schalung

m. I 4m. Fundament

163 Abb. 2b: Nistblock (Schnitt)

Grassoden Onduline-Platte

Schiene Baustahlmatte

Verankerung

gewachsener Boden

Beton-Fundament

3. Literatur

WALDSCHMIDT, M. (1975): Der Mündener Eisvogel-Nistblock, Orn. Mitt. 27: 49-53. Ders. (1983): Mögliche Nisthilfen für den Eisvogel (Alcedo atthis) und die Uferschwalbe (Riparia riparia). Beih. Veröff. Naturschutz Landschaftspflege Bad.-Württ. 37: 163-182.

Anschrift des Verfassers: FALKO EMDE, Unterm Rosengarten 35, 3590 Bad Wildungen 164 Kleine Mitteilungen

Bemerkenswerte Brutzeitbeobachtungen in Hessen 1986 zusammengestellt von KLAUS FIEDLER, Offenbach am Main

Die Schriftleitung erhielt von folgenden Damen und Herren „bemerkenswerte" Brutzeit- beobachtungen aus der Brutperiode 1986:

H. BECKER Bodenstraße 2, 3565 Breidenbach Prof. Dr. K.-H. BERCK Ludwig-Rinn-Straße 29, 6301 Launsbach

W. BRAUNEIS Brückenstraße 21/23, 3440 Eschwege

B. DEISS Aschaffenburger Straße 5, 6453 Seligenstadt 0. DIEHL Dr.-Diehl-Straße 9, 6113 Babenhausen 6

P. ERLEMANN Fichtenstraße 11, 6053 Obertshausen 2

R. FIPPL Neu-Braunfelser-Straße 5, 6333 Braunfels

K. FREY Hofwiesenweg 15, 6320 Alsfeld K. GREBE Forsthaus Raßdorf, 6444 Wildeck 3 T. GREGOR Grabenweg 1, 6407 Schlitz-Sandlofs

E. HEIDER Petersberger Straße 82, 6400 Fulda

H. HEIGEL Mühlgasse 5, 6416 Poppenhausen

Dr. W. HEIMER Dieburger Straße 1, 6114 Groß-Umstadt K. HERRMANN Waldbrunnenweg 28, 6300 Gießen

G. HERZOG Holunderweg 18, 3440 Eschwege

Dr. M. KRAFT Ludwig-Juppe-Weg 5, 3550 Marburg A. KRUG Unterdorf 32, 6087 Büttelborn 3

R. LANNERT Nibelungenring 17, 6149 Grasellenbach V. LUCAN Ahornstraße 36, 3549 Wolfhagen 1

LILO MALLACH Rheingau-Straße 111 a, 6200 Wiesbaden

A. MALTEN Kirchweg 6, 6072 Dreieich-Buchschlag Dr. R. ROSSBACH Staatl. Vogelschutzwarte für Hessen, Rhld.-Pfalz u. Saarland, Steinauer Straße 44, 6000 Frankfurt/Main 61

H. SCHAUB Wolfgang-Zeller-Straße 4,3579 Willingshausen 2 H.J. SCHMIDT Mühlberg 7, 6441 Weißenhasel

H.-G. SCHNEIDER In den Höfen 1, 3559 Battenberg 4

M. SCHROTH Kastellstraße 23, 6452 Hainburg 165 IRMGARD SCH ULTHEIS Mühlweg 2, 6497 Steinau-Marjoß U. SEUM Eichenstraße 1, 6363 Echzell 2

H. SIEGEL Rehbachstraße 42, 6701 Neuhofen

K. SPERNER Am Griesfeld 2, 3590 Bad Wildungen D. STAHL Weinbergstraße 9, 6251 Runkel 4 W. VEIT Am Pfaffenrain 2, 6336 Solms

0. VOLK Fichtenweg 6, 3550 Marburg 16

A. WERNER Auestraße 11, 6440 Bebra

M. WILKE Warpelsstraße 5, 3501 Fuldabrück 3

Haubentaucher - (Podiceps cristatus) Auf den Kiesseen zwischen Wetzlar und Gießen konnte der letztjährige Bruterfolg (1985) deut- lich übertroffen werden: 11 Brutpaare (Bp.) zogen insgesamt 25 Junge groß. Die Jungvögel verteilen sich auf die Brutpaare wie folgt: 5 x drei, 4 x zwei und 2 x ein Junges. (FIPPL, PFAFF& SCHINDLER)

Im NSG „Krombachtalsperre",Westerwald, brüteten mind.vier Bp. ; 10-12 Junge wurden flügge. (FIPPL, PFAFF& SCHINDLER) In der Fulda- und Karlsaue, Kassel, haben 7 Bp. ca. 12 Junge großgezogen. (JENTSCH & LANDAU) Auf den Teichen des Werratales zwischen Herleshausen-Wommen und Witzenhausen, Werra- Meißner-Kreis, wurden 17 Bp. festgestellt, die insgesamt 48 Jungvögel, z. T. auch aus Zweit- gelegen, erbrüteten. (J.& W. BRAUNEIS, HERZOG & LÄTSCH) Auf den Gewässern des Kreises Waldeck-Frankenberg wurden 18 Bp. gezählt. 4 x wurde kein Bruterfolg registriert; 6 Bp. hatten insgesamt 21 Junge,wobei ein Paar zwei Bruten zeitigte.Auf dem Edersee bei Herzhausen konnten 8 Bp. ermittelt werden. (SPERNER)

Schwarzhalstaucher - Podiceps nigricollis Je ein Brutpaar konnte auf dem Reichloser Teich (2 Junge) und auf dem Obermooser Teich (1-3 Junge) im Vogelsberg beobachtet werden. (H El DER)

Zwergtaucher - Podiceps ruficollis Starker Rückgang im Kreis Kassel. Nur folgende Brutnachweise gelangen: 1 Paar auf dem Rothenkühler Teich bei Grebenstein (REUBERT), 1 Bp. mit 2 Jungen auf dem „Wolfsanger" in Kassel (SITTIG),2 Bp. mit Jungen im NSG „Hengstwiese" bei Naumburg (LUCAN &WOLF) und 1 Bp. mit 2-3 Jungen auf dem Kelzer Teich im Reinhardswald. (FRÖHLICH, LUCAN & STEINBOCK)

Lahn-Dill-Kreis: Obwohl Brutbiotope für den Zwergtaucher vorhanden sind, werden seit 1984 keine Bruten nachgewiesen. (FIPPL)

Während auf dem Moorweiher im NSG „Rotes Moor" (Rhön), Kreis Fulda,1986 erstmals ein Bp. erfolgreich brütete (HEIDER), blieb ein alter Brutplatz im Vogelsberg, die Schalksbachteiche, 1986 erstmals ohne Brut. (GREGOR) 166 (Anmerkung der Schriftleitung: Der Brutbestand Hessens hat regional z T. katastrophal abge- nommen, obwohl Bruthabitate vorhanden sind. Wir bitten um Meldung aller Bruten und um weitere Angaben zur Bestandsentwicklung.)

Kormoran - Phalocrocorax carbo Während im Vorjahr 2 Paare im NSG „Lampertheimer Altrhein" (Krs. Bergstraße) brüteten, waren es 1986 bereits 11 Bp. (I). Die genaue Anzahl der Jungen konnte nicht ermittelt werden. Mit Sicherheit waren 8 Paare erfolgreich. (SIEGEL)

Graureiher - Ardea cinerea Die Kolonie im NSG „Thorengrund" an der Weser, Kreis Kassel, scheint ihr Maximum erreicht zu haben: wie im Vorjahr konnten 23 Bp. ermittelt werden. (SCHUMANN)

Die Brutvorkommen im Lahn-Dill-Kreis zeigen weiterhin eine steigende Tendenz: 8 Bp. bei Driedorf-Mademühlen, 7 Bp. bei Hohenahr-Mudersbach und eine Neuansiedlung von 1 Bp. in Eschenburg-Eibelshausen. Das Einzelvorkommen bei Waldsolms-Kraftsolms (1985: 1 Bp.) konnte 1986 nicht bestätigt werden. (BECKER, FIPPL, METZ& SCHINDLER) Eine Einzelbrut in Weinbach-Elkershaus: 3 Junge wurden ermittelt. Es wird angenommen,daß der Brutplatz schon seit zwei bis drei Jahren existiert (Lahn-Dill-Kreis).(FRIEDRICH &VEIT)

Die Kolonie im Werra-Meißner-Kreis („Am Eichholz" in Blickershausen) scheint sich auf eine Größe von 12-15 Bp. „eingependelt" zu haben. (BRAUNEIS)

Die Kolonie in Bebra-Breitenbach, Kreis Hersfeld-Rotenburg, hat sich auf 9-10 Bp. mehr als verdoppelt (1985: 4 Bp.) (SCHMIDT & WERN ER)

Neben zwei Brutkolonien im Edergebiet mit 7 und ca. 30 besetzten Horsten (ACHTERBERG, MAI, SCHÄFER & WAGNER) konnten noch 5 Horste im Bereich des Twistesees festgestellt werden. (STAIBER)

Zwergdommel - Ixobrychus minutus Erstmals wieder „seit Jahrzehnten" konnte zur Brutzeit der Ruf der Zwergdommel am Werra- Altwasser bei Albungen (Werra-Meißner-Kreis) gehört werden. (BRAUN EIS)

(Anmerkung der Schriftleitung: Alle Anzeichen sprechen dafür, daß die Zwergdommel nicht mehr zu den hessischen Brutvögeln zählt. Alle traditionellen Brutplätze der letzten zehn Jahre sollten genauestens kontrolliert werden, um eine verläßliche Aussage treffen zu können.)

Weißstorch - Ciconia ciconia 1986 sind erstmals keine „Wildstörche" in Hessen ausgeflogen. Im NSG „Rhäden von Ober- suhl", Kreis Hersfeld-Rotenburg, und im Main-Kinzig-Kreis bei Rückingen waren wohl Horst- paare anwesend, ein Bruterfolg blieb jedoch aus. (GREBE & KRIEG)

In Obersuhl, Kreis Hersfeld-Rotenburg, wurden 26 Jungstörche ausgewildert, die mit den Alt- und Jungstörchen von Gerstungen und Berka (Thüringen/DDR) vereint der Nahrungssuche nachgingen und später fortzogen. (SCHMIDT)

Schwarzstorch - Ciconia nigra Für den Kreis Waldeck-Frankenberg wird ein Bp. mit 3 Jungen und einmal Brutverdacht gemeldet. (SCHNEIDER & STAIBER)

Nachtrag: Bereits seit 1983 werden erfolgreiche Bruten beobachtet: 1983 und 1984 sind je 2 Junge und 1985 4 Jungstörche ausgeflogen. (SCHNEIDER) 167 Werra-Meißner-Kreis: Die Beobachtungen von Einzelstücken und mehreren Ex. zur Brutzeit und im Sommer mehren sich. Es ist nicht auszuschließen, daß z. B. im Grenzbereich zur DDR (Thüringen) eine oder zwei Bruten stattfanden. (GROTEWOLD, GUCKERLE & NIEMANN)

Im Kreis Hersfeld-Rotenburg wurden vom 16. Mai bis 7.Septennber insgesamt 66 mal Schwarz- störche beobachtet, wobei maximal 6 Ex. gesehen wurden. Ab dem 8. Juli wurden auch Jung- störche beobachtet. Diese Beobachtungen lassen ein weiteres Brutvorkommen im Nordosten Hessens vermuten. (GREBE & SCHMIDT) In einem großen Waldgebiet im Schwalm-Eder-Kreis konnte von Mai bis 18.August ein Altvogel beobachtet werden. (SCHAUB)

Graugans - Anser anser Eine erfolglose Brut wurde bei Dehrn im Kreis Limburg-Weilburg festgestellt. (STAHL)

Schnatterente - Anas strepera Kreis Hersfeld-Rotenburg: Brutverdacht bestand im NSG „In den Weiden von Blanken- heim". (WERNER)

Krickente - Anas crecca Im Werratal bei Eschwege wurden mehrfach „übersommernde" Vögel beobachtet, die auf einen Brutverdacht schließen lassen. (BRAUNEIS) Im Kreis Waldeck-Frankenberg konnten 2 Bruten nachgewiesen werden: eine Ente mit 4 Jungen auf dem Twistevorstau (ENDERLEIN &STAIBER) und ein Brutversuch am Ederwehr bei . (WAGNER) Kreis Hersfeld-Rotenburg: Eine Brut wurde im NSG „Rhäden von Obersuhl" beob- achtet. (GREBE)

Knäkente - Anas querquedula Zur Brutzeit beobachtete Knäkenten im Schwebdaer- und Albunger Werra-Altwasser (Werra- Meißner-Kreis) lassen auf Brutverdacht schließen. (BRAUNEIS & UNVERFERTH)

Löffelente - Anas clypeata Drei Bruten wurden bekannt: 1 Bp. im NSG „Bingenheimer Ried",Wetterau (SEUM), und 2 Bp. im NSG „Rhäden von Obersuhl", Kreis Hersfeld-Rotenburg. (GREBE)

Im NSG „Reinheimer Teich", Kreis Darmstadt-Dieburg, wurden zur Brutzeit Löffelenten beobachtet, ein Brutnachweis gelang jedoch nicht. (HEIMER)

Tafelente - (Aythya ferina) Die Bestandsentwicklung scheint wieder stark rückläufig zu sein: Es wurden lediglich zwei Bruten aus dem NSG „Rhäden von Obersuhl", Kreis Hersfeld Rotenburg, bekannt. (GREBE)

Reiherente - Aythya fuligula In Stadt und Kreis Kassel gelangen folgende Brutnachweise: 1Bp. mit 6 Jungen im NSG „Kelzer Teiche", Hofgeismar, (REUBERT) und 4-5 Bp. mit insgesamt 10-11 Jungen in der Fulda-und Karlsaue in Kassel (LANDAU). Im NSG „Hengstwiese", Naumburg, konnte erstmalig seitJahren keine Brut festgestellt werden ; 1985 wurden 2 Bp. mit 7 und 9 Jungen beobachtet (Natursch. in Nordhessen 9 (86) : 112)! (LUCAN) Im NSG „Krombachtalsperre" im Westerwald (Lahn-Dill-Kreis) konnte 1 Ente mit 9 Jungen beobachtet werden. (FLEH MIG, FIPPL& STRÖHMANN) 168 Nachtrag für 1985: In den „Schiersteiner Wiesen" (Wiesbaden) brütete eine Ente, die 8 Junge großzog. (L. MALLACH) Im Kreis Waldeck-Frankenberg wurden 1986 nicht weniger als 18 Bruten registriert. Folgende Schoofe wurden festgestellt: 2 x ein Junges, je 1 x zwei und drei Junge, 5 x fünf, je 1 x sechs, sieben, 2 x acht und je 1 x neun, zehn und 13 Junge. (SPERNER)

Auf den Kiesteichen im Werratal, Werra-Meißner-Kreis, konnten 12-15 Bruten nachgewiesen werden: auf dem Teich des NSG „JestädterWeinberg"wurden 8 Paare festgestellt. Der stärkste Schoof zählte 15 Gössel. (BRAUNEIS) Kreis Gießen: 3 Bp. (THÖRNER); Kreis Hersfeld-Rothenburg: 4 Bp. im NSG „Rhäden von Ober- suhl" und im Vogelsbergkreis: 1 Bp. auf der Antrifttalsperre. (FREY)

Schwalm-Eder-Kreis: 3 Bruten (8, 1 und kein Junges) gelangen im NSG „Ederauen Ober- möllrich-Cappel" (WILKE), 2 Bruten (9 und 1 Junges) auf dem „Teich bei Lohre" (DELPHO & WILKE), 1-2 Bruten mit mind. 9 Jungen in der Fischzuchtanlage Fritzlar (SCHRADER) und auf dem Teufelsbach bei Dillich führte 1 Weibchen 13 Junge. (MAI)

(Anmerkung der Schriftleitung: Die Ausbreitung der Reiherente in Hessen scheint noch nicht abgeschlossen zu sein; sie ist nach der Stockente die mit Abstand häufigste Ente in Hessen.)

Fischadler - Pandion haliaetus In den letzten Jahren häufen sich Sommerbeobachtungen dieses ehemaligen hessischen Brutvogels: so konnte z. B. 1 Ex. drei Monate lang im NSG „Strauchteiche von Oberbreiten- bach", Vogelsberg (FREY), und ein Ex. im Gebiet der „Westerwälder Seenplatte" (STAHL) beobachtet werden.

Schwarzmilan - Milvus migrans Beim Schwarzmilan wird eine schwache Ausbreitungstendenz in die Mittelgebirgslagen beobachtet: 1986 erstmals eine erfolglose Brut in einem Waldgebiet zwischen der „Struth von Bottenborn" und der „Flute von Fredenhausen" (Lahn-Dill-Kreis), Höhenlage: 510 m NN (BECKER & PETRI); ebenfalls erstmals 1 Bp. bei Mengerskirchen, Kreis Limburg-Weilburg, in ca. 480 m NN. (STAHL)

Rohrweihe - Circus aerigonosus Je ein Bp. konnte im NSG „Kelzer Teiche" (REUPERT& SCHUMANN) und NSG „Rothenberg", Kreis Kassel, beobachtet werden. Zwei Jungvögel bzw. ein Jungvogel konnten ausfliegen. (REUBERT)

Im Werra-Meißner-Kreis fanden zwei erfolgreiche Bruten statt. 1 Bp. mit 3 Jungen im „Werra- Altwasser" bei Schwebda und 1 Bp. mit 2 Jungen im „Altwasser" bei Albungen.ln unmittelbarer Grenznähe bei Herleshausen auf einem durch die DDR-Grenze abgetrennten „Werradreieck" (Thüringen) hatte 1 Bp. 2 Junge. Die Rohrweihen wurden wiederholt in der „Aue von Herles- hausen", Werra-Meißner-Kreis, bei der Nahrungssuche beobachtet. (BRAUNEIS, HIDDEMANN, KLAUS, STRAUBING & UNVERFERTH) Kreis Darmstadt-Dieburg: Insgesamt konnten 6 Bp.festgestellt werden; 5 erfolgreiche Bruten wurden registriert. (HEI M ER) Kreis Marburg-Biedenkopf: Im NSG „Schweinsberger Moor" brüteten wieder 2 Paare.(VOLK)

Im Kreis Groß-Gerau, einem der Verbreitungsschwerpunkte in Hessen, hat der Bestand stark abgenommen: 1986 wurden nur noch 4 Bp. beobachtet. (KRUG)

In der Wetterau konnten 8-9 Bp. ermittelt werden. (SEUM &THÖRNER) 169 Wiesenweihe - Circus pygarcus In Südhessen konnte ein Paar beobachtet werden, das einen Brutversuch hatte. (HEIMER)

(Aus Schutzgründen wird auf eine Bekanntgabe des Brutreviers verzichtet.)

Wanderfalke - Fa/co peregrinus 1986 konnten in Hessen 5 Paare festgestellt werden: Je ein Paar bei Kassel, am Hohen Meißner, in Frankfurt am Main, im Main-Kinzig-Kreis und am Neckar. Nur bei zwei Paaren wurde eine erfolgreiche Brut beobachtet: im Main-Kinzig-Kreis flogen 3 Junge aus, und am Neckar waren es 2 Junge. (BRAUNEIS & ROSSBACH) Birkhuhn - Tetrao tetrix Bei einer Bestandserfassung am 3. Mai konnte keine eigenständige hessische Population fest- gestellt werden. Zwei Beobachtungen gelangen: ein Hahn flog aus dem „Roten Moor" kommend, in Richtung Wasserkuppe/Rhön (15. Mai), und 2 balzende Hähne konnten in den Wiesen am „Röhlichsgraben", etwa 500 m von der bayrischen Grenze entfernt, beobachtet werden (27. Mai). (HEIGEL)

Kleinralle - Porzana parva Am 8. und 9. Juni konnte ein Exemplar im NSG „Kirschenwiesen von Marjoß", Main-Kinzig- Kreis, verhört werden. Am 1. September konnte die Kleinralle immer noch verhört werden. (I. SCHULTH EIS) Wachtelkönig - Crex crex Seit Jahren gelang wieder eine Brutzeitbeobachtung bei Leun (Lahn-Dill-Kreis). Die Daten reichen jedoch nicht aus, um einen Brutverdacht daraus abzuleiten. (THEISS) Werra-Meißner-Kreis: An zwei Stellen konnte der Ruf der Wiesenralle vernommen werden. Je ein rufendes Ex. am 20. Mai südlich von Eschwege-Oberdünzebach und am 28.Mai im unteren Vierbachtal. Diese Nachweise könnten möglicherweise auf die in diesem Jahr sehr späte Wiesenmahd (Juni) zurückgeführt werden. (BRAUNEIS & HEIDE) Schwalm-Eder-Kreis: Vom 11. Mai bis 18. Juni wurde ein Exemplar im NSG „Erlen von Loshausen" verhört. (HOLLAND-LETZ, SCHAUB & STÜBING) Von Mitte Mai bis Ende Juni konnten 6 verschiedene Vögel in einem ca. 40 ha großen,feuchten Wiesengelände bei Grasellenbach/Odenwald (420 m N N), Kreis Bergstraße, verhört werden. Die lange Rufaktivität deutet auf Bruten hin. In den Jahren 1984 und 1985 konnte nur 1 rufendes Männchen zur Brutzeit verhört werden. (LANNERT) Kreis Offenbach: SCHLÄFER und SCH ROTH verhörten am 12. Mai ein Männchen bei Heusen- stamm; am 16. Mai rief es immer noch. (SCHLÄFER)

Uferschnepfe - Limosa limosa In der Wetterau konnten 3 Bp. festgestellt werden. (SEUM)

Flußuferläufer - Actitis hypoleucos Werra-Meißner-Kreis: 1 Bp. mit 3 Jungen im NSG „Jestädter Weinberg" und einmal Brut- verdacht in der „Albunger Aue". (BRAUNEIS) Kreis Hersfeld-Rotenburg : 1 Bp. mit 1 Jungvogel wurde im NSG „In den Weiden von Blanken- heim" beobachtet; ein weiteres Paar, das 4 Junge hatte,wurde im geplanten NSG „Im Sand" bei Rotenburg beobachtet. (KAM KE & WERNER)

Zwei weitere Bruten wurden noch bekannt: ein Bp. an der Antriffttalsperre,Vogelsberg (FREY), und 1 Bp. bei Thalheim im Kreis Limburg-Weilburg. (STAHL) 170 UHU - Bubo bubo 1 Bp. mit einem Junguhu im NSG „Jestädter Weinberg", Werra-Meißner-Kreis. (BRAUNEIS & HIDDEMANN)

1 Bp. mit 4 Jungen und einem Brutverdacht im Kreis Waldeck-Frankenberg. (ENDERLEIN, GOTTMANN, SCHAUMBURG & SCHNEIDER)

Im Nördlichen Schwalm-Eder-Kreis wurde 1 Bp. beobachtet (SCHABERICK). In Südhessen wird seit 3 Jahren ein Uhu beobachtet; 1986 gelang erstmals eine Brut: 3 Junguhus flogen aus. (Eine genauere Ortsangabe wird aus Schutzgründen ver- mieden.) (DIEHL& HEIMER) Weitere Feststellungen: in der Wetterau ein Paar (U. SEUM), das keine Brut unternahm; im Vogelsberg zwei Paare, eines war erfolgreich. (FREY) Erstbesiedlung des Lahn-Dill-Kreises: 1 Bp. mit 3-4 Jungen und 1 Bp. mit 1 Jungen, die alle ausflogen, wurden festgestellt. (CH RISTE, Fl PPL, SCH I NDLER, SCH M ITT & VEIT)

Rauhfußkauz - Aegolius funereus 8 Bp. konnte H. LINDNER im Kaufunger Wald und in der Söhre (Kreis Kassel) nachweisen. G. SCHUMANN fand im Reinhardswald 2-3 Paare, für die Brutverdacht angenommen wird. (LUCAN)

Schwalm-Eder-Kreis: Von 1984 bis 1986 wurden im „Riedforst Melsungen" an 3-4 verschie- denen Stellen rufende Vögel festgestellt. Mit dem Fund eines zerstörten Geleges in einem Nist- kasten gelang 0. RANK ein Brutnachweis. (DBV-Melsungen)

Brachpieper - Anthus campestris Der Brachpieper scheint durch Lebensraumzerstörung weitgehend verschwunden zu sein. Eine Kontrolle der bekannten Brutplätze am 31. Mai ergab nur noch 5 Reviere, u. a. 2 Paare im Kreis Offenbach: 1 Paar in den Sendeanlagen Zellhausen und 1 Paar im geplanten NSG Kalk- sandsteinwerke Dudenhofen. (BERCK & DEISS)

Schilfrohrsänger - Acrocephalus schoenobaenus Im Schwalm-Eder-Kreis gelangen folgende Beobachtungen: In den „Auewiesen im Rück- haltebecken zwischen Treysa und Ziegenhain" konnten am 25. Mai drei singende Männchen festgestellt werden (MÖLLER, HORMANN &SCHAUB),1 singendes Männchen regelmäßig bis zum 8.Juni (MÖLLER &SCHAUB). Im NSG „Storchenteich am Schwertzelsgraben" bei Nieder- grenzebach wurde vom 8. bis 20.Juni ein singendes Ex. (SCHAUB) festgestellt, ein weiteres am 7. Juni im NSG „Wieragrund bei Treysa". (MÖLLER)

Weitere Nachweise gelangen in der Wetterau : 1Paar (SEUM) und im Kreis Groß Gerau: 3 Paare. (KRUG)

Drosselrohrsänger - Acrocephalus arundinaceus Nachtrag für 1985: Im Schilfgebiet der „Schiersteiner Wiesen" (Wassergewinnungsgelände der Stadt Wiesbaden) konnten 3 Bp. beobachtet werden. (L. MALLACH)

Weitere Nachweise: 2-3 Bp. im Kreis Groß-Gerau (KRUG) und 1 Bp. im NSG „Schweinsberger Moor", Kreis Marburg-Biedenkopf. (KRAFT) 171 Schwarzkehlchen - Saxicola torquata Ein Brutpaar bei Wetzlar-Garbenheim. (FIPPL& GROH)

Wie im Vorjahr konnten auf einer Windwurffläche im Reinhardswald 3 Bp. beobachtet werden (Kreis Kassel). (SCHUMANN) Im Kreis Offenbach wurden 4 Bp. bekannt: 2 Bp. bei Obertshausen-Hausen; aus 3 Bruten wurden mind. 9 Junge flügge (ERLEMANN).2 Bp. wurden im geplanten NSG „Kalksandstein- werk bei Dudenhofen" beobachtet. (KLEE)

Braunkehleen - Saxicola rubetra Im Kreis Kassel gelang nur eine Brutzeitbeobachtung im NSG „Warmberg-Osterberg" (SITTIG). 1985 waren es noch 2 Bp. und 3 weitere Brutzeitfeststellungen im Kreis Kassel (Natursch. Nordhessen 9 (86): 131-132). Im Lahntal bei Wetzlar wurden von VEIT 4-5 Brutreviere festgestellt.

Blaukehlchen - Luscinia svecica Im NSG „Nachtweid von Dauernheim", Wetteraukreis, konnten zwei Brutpaare festgestellt werden. Ein weiteres Paar brütete bei Karben. (SEUM)

Beutelmeise - Remiz pendulinus Im NSG „Fuldaaue", Kassel,wurde ein Nest gefunden; bis zu 7Exemplare waren in dem Gebiet anwesend. (TEUBERT) Schwalm-Eder-Kreis: In den NSG's „Reiherteiche bei Böddiger" und „Ederauen zwischen Obernnöllrich und Cappel" wurde je eine erfolgreiche Brut festgestellt (3 bzw. 2 Junge wurden flügge). Desweiteren wurden noch 3 komplette Nester gefunden: Je ein Nest im NSG „Reiher- teiche bei Böddiger", Ems in der Nähe des o.g. NSG und an einem Teich südlich Lohre. (DELPHO) M. WILKE teilt mit, daß die Eder von Fritzlar bis Böddiger von der Beutelmeise besiedelt ist. Im Mai konnte er an acht verschiedenen Orten einzelne,oft auch mehrere Exemplare beobachten. (SCHAUB)

In der Wetterau wurden 4 Bruten bekannt. (SEUM) Lahn-Dill-Kreis: 1 Bp. mit 4 Jungen bei Dorlar (HERRMANN &VEIT); mind. 5 Paare werden für das Gebiet zwischen Heuchelheim und Wetzlar angegeben. (BERCK &VEIT) Werra-Meißner-Kreis: 4 Bp. wurden registriert, nur 1 Paar hatte eine erfolgreiche Brut. Der Brutausfall wird auf die naßkalte Regenperiode Ende Mai bis etwa Mitte Juni zurückgeführt. (HERZOG) Kreis Hersfeld-Rotenburg: K. GREBE teilt mit, daß in der Aue von Obersuhl mind. 3 Bp. (7 Nester) anwesend waren. Im NSG „Rohrlache von Heringen" wurden Beutelmeisen beobachtet, D. SIEBOLD fand das Nest. (SCHMIDT) Kreis Groß-Gerau: A. KRUG gibt den Bestand für die Rheinaue mit 8 Bp. a n. Kreis Offenbach: 2 Bp. konnten nachgewiesen werden: eine erfolgreiche Brut in Dreieich- Sprendlingen (A. MALTEN) und eine erfolglose Brut (2 Eier im Nest) in Ma inhausen. (M. SCH ROTH) Aus dem Kreis Marburg-Biedenkopf wurde eine Brut im NSG „Schweinsberg er Moor" bekannt. (KRAFT & VOLK) 172 Birkenzeisig - Carduelis flammea Kreis Kassel: Folgende Gesangsplätze wurden während der Brutzeit registriert: 4 im NSG „Karlsaue" und am Fuldadamm in Kassel (TEUBERT), je ein Gesangsplatz in Kassel-Herles- hausen und Obervellmar (TEUBERT). (LUCAN)

Werra-Meißner-Kreis: J.WAM MESSER gelang Ende Juli im Stadtteil Struht von Eschwege die Beobachtung von 2 Altvögeln mit 2 flüggen Jungen. Der Brutplatz blieb unbekannt. (BRAUNEIS)

Kreis Limburg-Weilburg: D. STAHL konnte insgesamt 5 Bp. nachweisen: je 1 Bp. in Frichhofen, Langendernbach und Eschenau und 2 Bp. bei Villmar.

Für die Stadt Fulda werden von E. HEIDER 2 Bp. gemeldet. Lahn-Dill-Kreis: Eine Reihe von Brutzeitbeobachtungen deuten auf Bruten hin, Nachweise gelangen jedoch nicht. (FIPPL &VEIT) Für Marburg wird der Bestand mit 15-18 Revieren (Paaren) angegeben. (KRAFT)

Kolkrabe - Corvus corax Schwalm-Eder-Kreis: Während 1981-82 im Raum Melsungen Einzelvögel, ab 1983 zwei Raben beobachtet wurden, gelang bereits 1985 ein Brutnachweis: 3 Jungraben flogen aus. In diesem Jahr wurde abermals eine erfolgreiche Brut gemeldet: 4 Junge flogen aus. Im „Nach- barrevier" war ein weiteres Paar anwesend, ein Brutnachweis blieb jedoch aus. (DBV-Melsungen)

Im Kreis Hersfeld-Rotenburg konnte wie im Vorjahr wieder eine erfolgreiche Brut beobachtet werden. (SCHMIDT)M I DT)

Anschrift des Verfassers: KLAUS FIEDLER, Kantstraße 7, 6050 Offenbach am Main

173 In Schweden beringte Streifengänse (Anser indicus) überwintern in Frankfurt/Main

Bei der Internationalen Wasservogelzählung am 15.11.1986 in Frankfurt fielen mir am Main in der Innenstadt in Höhe der „Alten Brücke" zwei Streifengänse auf, die mit Farb- und Aluringen gekennzeichnet waren. Sie trugen die Ringkombination links: gelb/gelb, rechts: grün/alu.

Da die Gänse futterzahm waren, konnte ich die Inschrift derAluringe mit dem Fernglas ablesen. Zu meiner größten Verwunderung waren es keine Ringe eines Zoos oder sonstigen Vogel- halters, sondern die offiziellen Vogelringe des „Museum Stockholm, Schweden" mit den Ring- kombinationen 9.230.833 und 9.230.834. Vom schwedischen Jägerverband (Svenska Jägarförbundet) erhielt ich auf meine Anfrage hin die Mitteilung, daß die Gänse am 7.7.1986 auf einem See in der mittelschwedischen Stadt Hudiksvall beringt worden waren. Sie mauserten dort gemeinsam mit über 100 Graugänsen (Anser anser). Die ursprüngliche Herkunft der Streifengänse ist auch den schwedischen Beringern nicht bekannt. Jedoch überwinterte bereits 1985/86 ein Streifenganspaar an derselben Stelle am Main, so daß die Vermutung naheliegt, daß es sich um dieselben Vögel handelte. In Schweden wurde in den 30er Jahren erfolglos versucht, die Streifengans einzu- bürgern (BEZZEL1985).Freifliegende Vögel werden in den letztenJahren in ganz Mitteleuropa beobachtet; eine freifliegende Population gibt es u. a. in Seewiesen/Bayern. Möglicherweise bahnt sich hier eine ähnliche Entwicklung wie bei Kanadagans (Branta canadensis) und Höckerschwan (Cygnus olor) an, so daß die Einstufung der Streifengans als „Gefangen- schaftsflüchtling" (BEHRENS et al. 1985) fraglich erscheint.

In Schweden wurden schon 1984 Streifengänse farbig beringt.Bitte achten Sie also darauf.Für Mitteilungen bin ich dankbar.

Literatur: BEHRENS,H.,K.FIEDLER,H.KLAMBERG&K.MÖBUS (1985): Verzeichnis derVögel Hessens. Frankfurt am Main. Seite 99.

BEZZEL, E. (1985): Kompendium der Vögel Mitteleuropas. Wiesbaden. Seite 128.

Anschrift des Verfassers: KURT MÖBUS, Wasserweg 27, 6000 Frankfurt 70

174 Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Vogel- schutzwarten zum Problem des Aussetzens von Weißstörchen*

Aufgrund des dramatischen Bestandsrückgangs beim Weißstorch im westlichen Mitteleuropa sind Sofortmaßnahmen zur Erhaltung der Restbestände erforderlich. Die Voraussetzung hierfür ist das Vorhandensein von Lebensräumen. Umgehend muß eine Abstimmung aller Hilfsprogramme innerhalb der Bundesrepublik Deutschland und darüberhinaus mit den Nachbarstaaten erfolgen.

Eine Koordination von Hilfsmaßnahmen ist umso dringlicher, da zwischenzeitlich verschiede- nenorts, so z. B. in Baden-Württemberg, damit begonnen worden ist, Störche zu züchten und auszuwildern. Damit sind Fakten geschaffen, die nicht nur regional wirksam sind, sondern die gesamte Population im westlichen Mitteleuropa betreffen, insbesondere die sog. Westzieher.

Angesichts zunehmender Bestrebungen, mit dem Weißstorch eine weitere gefährdete Vogelart durch Aussetzen zu erhalten, sieht sich die Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Vogelschutz- warten zu einer kritischen Stellungnahme veranlaßt. Die Arbeitsgemeinschaft schließt sich der Resolution der Deutschen Sektion des Internationalen Rates für Vogelschutz von 1982 zur „Wiedereinbürgerung von Vögeln" an und verweist dabei insbesondere auf die dortige Präambel.

Die nachfolgenden Ausführungen sind speziell auf den Weißstorch abgestimmt.

1.Künstliche Ansiedlungen - als zeitlich begrenzte Überbrückungsmaßnahme- sind grund- sätzlich nur bei solchen Arten zulässig, die trotz intensiven Schutzes ihre Restbestände nicht wieder zu lebensfähigen Populationen aufbauen können.

Der Weißstorch ist bei uns umfassend geschützt und wird seit Jahrzehnten intensiv betreut.Ein effektiver Schutz ist jedoch bisher nicht erreicht worden, da gegen die eigentliche Rückgangs- ursache, die Lebensraumzerstörung im heimischen Brutgebiet, wenig oder nichts unter- nommen worden ist. Die in jüngster Zeit in einigen Bundesländern angelaufenen Feuchtwie- senprogramme sind erste Schritte; sie müssen jedoch erheblich ausgeweitet werden, um dem Weißstorch langfristig helfen zu können.

2. Aussetzungen von Weißstörchen kommen nur dann in Betracht, wenn die Ursachen für den Bestandsrückgang nachweislich nicht im jeweiligen Brutgebiet liegen, bzw. wenn sie dort inzwischen beseitigt sind.

Alle relevanten Untersuchungen über den Rückgang des Weißstorches nennen den Verlust bzw.die Zerstörung von Lebensraum im Brutgebiet als die entscheidende Rückgangsursache. Insbesondere die Veränderungen durch wasserwirtschaftliche Maßnahmen (Regulierung der Grundwasserstände und des Abflusses von Oberflächenwasser, Einengung von Über- schwemmungsgebieten) und die Intensivierung der Landnutzung haben vor allem in den vergangenen 30 Jahren den Zusammenbruch der Brutpopulation im westlichen Mitteleuropa bewirkt.

Die von den Befürwortern der künstlichen Ansiedlungsversuche erhobene Behauptung, daß die Westpopulation entscheidend durch die Verfolgung im afrikanischen Winterquartier dezi- miert worden sei, hält einer kritischen Überprüfung nicht stand.

* Aus Bericht 25 (1986), S.161-165, der Deutschen Sektion im Int. Rat für Vogelschutz 175 3. Ansiedlungsvorhaben mittels künstlicher Nachzucht sind grundsätzlich nur innerhalb der gegenwärtigen oder ehemaligen Brutgebiete zulässig und setzen voraus, daß ausreichend Lebensräume für eine Storchenpopulation vorhanden sind.

Die z.Z. laufenden Ansiedlungsversuche (z. B. in Baden-Württemberg) finden zwar in traditio- nellen bzw. ehemaligen Verbreitungsgebieten des Storches statt. In aller Regel fehlt es aber heute im Umfeld der Auswilderungsstationen an geeigneten Lebensräumen. Die bloße Beseiti- gung lokaler Gefährdungsfaktoren (z. B. Drahtleitungen) reicht nicht aus.

Für den Schutz, die Pflege und die Verbesserung von Weißstorchlebensräumen sind umfas- sende Biotopschutzprogramme unter Einbindung einer veränderten, d. h. herkömmlichen extensiven Landnutzung erforderlich. In dieser Hinsicht wird in der Bundesrepublik Deutsch- land und auch im benachbarten Ausland nichts getan, so daß mit einer dauerhaften Ansied- lung einer freilebenden und vom Menschen unabhängigen Population im weiteren Umkreis von Auswilderungsstationen vorerst nicht zu rechnen ist.

4. Eine nach wissenschaftlichen Methoden erstellte Erfolgsprognose für die laufenden Aussetzungsaktionen, wodurch frühzeitig deren Erfolglosigkeit hätte erkannt werden können, liegt bis heute nicht vor.

Bei allen bisher angelaufenen Versuchen fehlt es bereits an einer sorgfältigen Planung auf wissenschaftlicher Grundlage. Vermeintliche Erfolge von Aussetzungen erschienen bei kritischer Betrachtung höchst zweifelhaft.Auf Erfahrungen mit anderen Aussetzungsprojekten kann schon aufgrund des Zugverhaltens des Weißstorchs nicht zurückgegriffen werden. Zudem ist vor Projektbeginn eine Analyse aller möglichen Auswirkungen auf die Wildpopula- tionen des Weißstorchs und die Biozönose allgemein erforderlich. Bereits jetzt erscheint bedenklich, daß der Anteil überwinternder Störche in der Nachbarschaft von Auswilderungs- stationen ständig zunimmt.

5. Maßnahmen zum Schutz des Weißstorchs müssen grundsätzlich auch den übrigen Arten des Storchlebensraumes dienen. Die bisherigen Aussetzungsaktionen zielen allein auf die Erhaltung des Weißstorchs als Indivi- duum ab und entsprechen mehr einer freien Zootierhaltung. Solange diese Versuche auf die Zucht und Aussetzung beschränkt bleiben und damit die natürlichen Nahrungsgrundlagen außer acht lassen, kommen sie keiner anderen Tierart zugute und auch nicht der betreffenden Lebensgemeinschaft insgesamt, für die der Weißstorch eine Indikatorfunktion erfüllt.

Auswilderungsversuche beim Weißstorch sind öffentlichkeitswirksam und finden wegen ihres scheinbaren Funktionierens eine breite Zustimmung in der Bevölkerung. Frei fliegende Störche spiegeln nämlich nur allzu leicht eine intakte Umwelt vor,wo in Wirklichkeit die letzten großflächigen Feuchtlebensräume zerstört werden.

6. Durch die Naturschutzgesetzgebung ist die Haltung von Weißstörchen verboten. Der Handel ist durch das Washingtoner Artenschutzübereinkommen neuerdings auch inter- national untersagt

In einigen Bundesländern bieten die geltenden Gesetze und Verordnungen keine Handhabe gegen das Aussetzen von Störchen. Deshalb lassen sich derartige Aktionen bei der heutigen Rechtslage nur schwer kontrollieren und steuern. Außerdem fehlt es an einer Abstimmung zwischen behördlichem und ehrenamtlichem Naturschutz auf regionaler wie überregionaler Ebene. Dies wäre aber insbesondere deshalb dringend erforderlich, weil von den fortwäh- renden Aussetzungen mittlerweile große Teile der Weißstorchpopulation im westlichen Mittel- europa unmittelbar betroffen sind. 176 7. Aussetzungsversuche mit einiger Aussicht auf Erfolg erfordern aus genetischen und ökologischen Gründen - im Hinblick auf eine optimale Lebensraumanpassung - die Verwendung von heimischen Vögeln.

Bei fast allen Auswilderungsversuchen wird gegen diesen Grundsatz verstoßen. Das Zucht- material für die Projekte in der Schweiz, Frankreich und den Niederlanden stammt aus Nord- afrika und für das Projekt in Baden-Württemberg aus Nordafrika, Bulgarien und Polen. Die Zusammenstellung des Zuchtmaterials aus verschiedenen Weißstorchpopulationen mit unterschiedlichem Zugverhalten zeigt deutlich die wissenschaftlich nicht haltbare Vorgehens- weise bei diesen Projekten. Durch gezielte Manipulationen soll das Zugverhalten der Weiß- störche verändert und sogar deren dauernde Überwinterung angestrebt werden.

8. Die bereits zu geringen Weißstorchbestände im westlichen Mitteleuropa lassen heute den Aufbau einer für Aussetzungszwecke geeigneten Population in Gefangenschaft nicht mehr zu.

Eine Entnahme von Tieren aus der heimischen Population ist angesichts der akuten Gefähr- dung nicht zu verantworten. Die Stützung der Weißstorchrestbestände und ebenso die Wiederbesiedlung ehemaliger Brutgebiete erfolgt auf natürlichem Wege, wenn die Lebens- räume wieder bessere Bedingungen bieten.Auf diesem Weg einergroßflächigen Lebensraum- sicherung und -verbesserung erscheint auch im Südwesten des mitteleuropäischen Verbrei- tungsgebietes der Wiederaufbau einer stabilen Weißstorchpopulation möglich.

9. Die bisherigen Aussetzungsaktionen haben sich vor allem aus den nachfolgend genannten Gründen als Fehlschlag erwiesen: a) Mangelnde Einpassung dieserTiere in den Lebensraum, und zwar in räumlicher,jahreszeit- licher und ökologischer Hinsicht. b) Abweichungen von den natürlichen Verhaltensweisen (z. B. Brutpflegeverhalten,Nahrungs- erwerb) durch haltungs- oder zuchtbedingte Einflüsse. c) Nicht oder nur völlig unzureichend gelungene Einpassung solcher Tiere in die Wildpopula- tion, u. a. infolge einer weitgehenden Aufrechterhaltung der menschlichen Abhängigkeit (z. B. Fütterung) und Änderung des artspezifischen Zugverhaltens bis hin zu dessen völliger Aufgabe.

Aufgrund der biologischen Eigenschaften, insbesondere der ausgeprägten Lernfähigkeit, kann es beim Weißstorch durch Gefangenschaftshaltung leicht zu gravierenden Verhaltens- änderungen und Fehlanpassungen kommen, wodurch auch seine Nachkommen beeinflußt und möglicherweise in ihrer Überlebensfähigkeit geschwächt werden. Außerdem ist lang- fristig - schon allein wegen einer andersartigen Auslese unter Gehegebedingungen - auch eine genetische Fixierung solcher abnormer, an die Freilandsituation schlecht angepaßter Verhaltensweisen nicht auszuschließen. Abnormes Verhalten von Gehegestörchen, z. B. im Zugverhalten, zeigt sich bei unsachgemäßer Aufzucht schon in der ersten Gefangenschafts- generation.

Vermehrt bleiben in den letzten Jahren südwestwärts abziehende Störche aus dem westlichen Mitteleuropa im Bereich der Auswilderungsstationen in der Schweiz,im Elsaß und in Südwest- deutschland „hängen", weil sie von Artgenossen am Boden angezogen werden und sich an künstliches Futter gewöhnen. Beispiele aus Bayern zeigen, daß solche Überwinterer bereits früh im Jahr Nester in Optimalbereichen besetzen und gegen die aus dem Winterquartier heimkehrenden Wildstörche verteidigen. Dieses ist ein weiterer Beweis dafür, daß durch Auswilderungen die Restpopulationen nicht gestützt, sondern zusätzlich geschädigt werden. Hier zeigen sich überregionale Auswirkungen sogenannter Wiederansiedlungsvorhaben. 177 Schlußfolgerung:

Die Zucht- und Auswilderungsaktionen beim Weißstorch haben trotz teilweise schon jahr- zehntelanger Laufzeit den Zusammenbruch oder den Rückgang der Brutpopulationen nirgends verhindern können. Es sind lediglich zahlreiche Weißstörche in eine freie Zootierhal- tung entlassen worden. Damit sind alle bisherigen Versuche als gescheitert anzusehen. Sie haben nur den Beweis erbracht, daß dieser aus biologischer Sicht schon im Ansatz äußerst fragwürdige Weg für den Artenschutz nichts Entscheidendes zu leisten vermag, vielmehr eher schadet. Eine freie, vom Menschen unabhängige und der natürlichen Auslese unterliegende Storchenpopulation kann auf diese Weise nicht geschaffen werden. Darüberhinaus sind die Versuche auch unökonomisch. Die jährlich benötigten Gelder wären besser für den Schutz und die Wiederherstellung geeigneter Lebensräume angelegt.

Die Vogelschutzwarten lehnen daher die Züchtung und künstliche Ansiedlung von Weiß- störchen ab und sehen stattdessen in der konsequenten Erhaltung, Pflege und Entwicklung von Lebensräumen im westlichen Mitteleuropa die einzig sinnvolle Möglichkeit zum Schutz dieser vom Aussterben bedrohten Vogelart.

178 Presseerklärung der Deutschen Sektion des Internatonalen Rates für Vogelschutz e. V. (DS/IRV)

Von allen Seiten erreichen uns empörte Äußerungen,weil Rabenkrähe, Elster und Eichelhäher in der Anfang Januar inkraft getretenen Artenschutzverordnung in der Liste derjenigen Arten erscheinen, die den besonderen Schutz des Gesetzes genießen. Dabei wird stets betont, daß diese drei Arten von Krähenvögeln durch das Ausrauben von Singvogelnestern der Natur schweren Schaden zufügten und durch Rauben von Junghasen und Rebhühnern die Nieder- wildjagd schädigten. Es wird ferner betont, daß alle drei Arten übermäßig zugenommen haben und unbedingt reguliert werden müßten. Dazu ist aus der Sicht der DS/I RV und unter Heranziehung der mir bekannten Fakten zu sagen: 1) Es ist genau richtig, daß viele Singvogelarten im Bestand rückläufig sind; es ist ferner richtig, daß diese drei Krähenvogelarten Singvogelnester plündern; es ist falsch, den Rückgang der Singvögel den Krähenvögeln anzulasten. Ihr Einfluß auf die Bestandsent- wicklung der Kleinvögel ist unmerklich klein; falls der Lebensraum intakt ist,werden Nach- gelege,Zweitgelege usw. produziert, so daß kein nachweisbarer Schaden für die Singvögel entsteht. 2) Von Wildbiologen ist der Schaden von Krähe und Elster am Niederwild in zahlreichen Untersuchungen als bedeutungslos festgestellt worden. In der Nahrung beider Arten lassen sich jagdlich interessante Arten - Hasen, Fasan, Rebhuhn, Kaninchen - in einem Prozentsatz von nur 1,5% nachweisen, und selbst bei diesen wenigen Fällen ließ sich zeigen, daß es durchwegs Verkehrsopfer waren, die von Krähen und Elstern als „Beute" genutzt wurden. Die Jagdschädlichkeit von Krähe und Elster, insbesondere aber vom Eichelhäher ist überwiegend „Jägerlatein".

3) Langjährige Untersuchungen an Rabenkrähen bei Braunschweig zeigen, daß die Krähe, wenn sie nicht bejagt wird, zwar jährlich im Bestand schwankt, langfristig aber nicht zunimmt. Auch im Raum Bonn und dem übrigen Rheinland gibt es langfristig keine Zunahme. Die Elster geht in Teilen ihres Verbreitungsgebietes stark zurück; in den großen Städten und in den Ballungsgebieten dagegen hat sie deutlich zugenommen. Man muß annehmen, daß überreichlich Nahrung im Winter-dieZeit, in der offensichtlich durch Nahrungsknapp- heit die Bestände sich verringern - lokal dieser Art ein verstärktes Überleben ermöglicht. Das Abschießen in der Vergangenheit hat daran nichts ändern können. Mit einem weiteren Anwachsen ist hingegen auch nicht zu rechnen. Das Überangebot an Nahrung im Winter müßte vermindert werden, will man den Bestand wirklich verringern. Beim Eichelhäher war der Abschuß nie ein wirkungsvolles Mittel zur Bestandsminderung.

Nach Ansicht der DS/IRV ist mit einer Herausnahme der Krähenvögel aus der Liste der beson- ders geschützten Arten weder eine Verbesserung der Singvogelbestände noch eine Stärkung des Niederwildbestandes zu erreichen. Die Ornithologen werden aber aufgefordert, die Entwicklung der Bestände der drei Arten sorgfältig zu beobachten.Wir vermuten zwar, daß sie sich durch den Vollschutz nicht ändern werden; uns wäre es dennoch wichtig, dies zuverlässig bestätigt zu bekommen.

Dr. G. RHEINWALD (Vorsitzender der DS/IRV) 179 Richtigstellung zu:

SCHILLING, F& D. ROCKENBAUCH (1985): Festschrift „Der Wanderfalke in Baden-Württem- berg - gerettet!" Beih.Veröff.Naturschutz Landschaftspflege Baden-Württemberg Nr.46,S.75:

Aus Anlaß des 20-jährigen Bestehens der Arbeitsgemeinschaft Wanderfalkenschutz (AGW) im Deutschen Bund für Vogelschutz wurde eine Festschrift herausgebracht. Diese insgesamt sehr lesenswerte Publikation enthält auf Seite 75 eine irreführende Angabe. Dort ist folgendes zu lesen: „Auch bei den Aussetzaktionen aus Zuchtprogrammen der Falkner in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Berlin wurden Mischlinge und fremdrassige Falken (Falco pere- grinus brookei) verwendet (GERRIETS 1984)".

Diese Aussage ist, zumindest was Hessen betrifft, nicht den Tatsachen entsprechend. Die in Hessen vom zuständigen Ministerium genehmigte und von der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland als zuständige Fachdienststelle koordinierte und wissenschaftlich betreute Aktion verwendet ausschließlich Wanderfalken der Nominatform Falco p. peregrinus. Es kommen weder „Mischlinge" noch Tiere der Rasse „brookei"zur Auswil- derung. Die notwendigen Arbeiten „vor Ort" werden gemeinsam von Mitgliedern des Landes- verbandes Hessen im Deutschen Bund fürVogelschutz, der Hessischen Gesellschaft für Orni- thologie und Naturschutz sowie des Deutschen Falkenordens durchgeführt. DR. WERNER KEIL

Berichtigung

In dem Artikel „Das Naturschutzgebiet „Röhrig von Rodenbach" (Main-Kinzig-Kreis)" in Heft 2 (1986), Band 4, Seite 59 ff. befinden sich einige Druckfehler, die zu Mißverständnissen und Widersprüchlichkeiten führen: Seite 75: 56. Eisvogel Alljährlicher (?) Durchzügler... statt Alljährlicher Durchzügler Seite 75: 63. Uferschwalbe 1.Zeile: (3-45 BP) statt (63-45 BP) 2. Zeile: Campingplatzbaues statt Campingplatz. Seite 75: 69. Brachpieper Ein (?) Ex. im August 1964, statt „Ein fragliches Ex. im August 1964". HANS-JOACHIM KRIEG 180 Aktuelle Mitteilung der Redaktion

Birkenzeisig-(Carduelis flammea)-Invasion in Hessen Zur Zeit wird in Mitteleuropa eine starke Invasion von Birkenzeisigen beobachtet. Auch in Hessen werden überall Schwärme von Hunderten von Vögeln festgestellt. Wir bitten alle Feld- beobachter, den Verlauf der Invasion zu verfolgen und die Daten später an den Artbearbeiter, Herrn MARTIN KRAFT einzusenden.

Es kann damit gerechnet werden, daß auch Polarbirkenzeisige (Carduelis hornemanni) im Rahmen dieser Invasion nach Hessen gelangen. Der Polarbirkenzeisig ist im Felde kaum von hellen Rassen des Birkenzeisigs zu unterscheiden: Daher möchten wir alle Beringer bitten, auch im Interesse eines Nachweises dieser Art verstärkt Birkenzeisige zu fangen. Der Birkenzeisig ist seit wenigen Jahren Brutvogel in Hessen (siehe auch S.173). In der Folge dieser Invasion kann mit weiteren Ansiedlungen in Hessen gerechnet werden,so daß wir schon jetzt um verstärkte Beachtung der Art zur kommenden Brutsaison bitten. Als Brutvogel wurde der Birkenzeisig bei uns bisher ausschließlich im Bereich von Siedlungen angetroffen. Gärten, Parks und Friedhöfe mit reichem Vorkommen von Birken sind sein Bruthabitat. Hinweise kann auch hierzu Herr MARTIN KRAFT, Ludwig-Juppe-Weg 5, 3550 Marburg, geben.

Vorankündigung Ende 1986/Anfang 1987 erscheint der

„Atlas der Brutvögel Luxemburgs", herausgegeben von der LNVL Natur- a Vulleschutzliga, Luxemburg. Der „Atlas" enthält für alle 126 in Luxemburg brütenden Vogelarten Verbreitungskarten (Erhebungszeitraum 1976-80) und umfaßt ca. 320 Seiten. Die Texte behandeln nicht nur die Ergebnisse der eigentlichen Er- hebungen, sondern auch alle derzeit für Luxemburg vorhandenen Angaben über Biotop, Brut- biologie, Populationsveränderungen, Vogelzug und Schutzmaßnahmen. Die Texte sind in drei Sprachen verfaßt: Deutsch, Französisch und Englisch. Subskriptionspreis: 780 Luxemburgische oder Belgische Francs. Bestellung durch Über- weisung auf das Postscheckkonto (CCP Luxemburg) Nr. 51 131-12 der „Luxemburger Natur- und Vogelschutzliga (B.P. 709, Luxemburg). Im voraus bestellte Exemplare werden sofort nach Erscheinen des Buches verschickt. Der spätere Verkaufspreis beträgt F 980 plus Versandkosten. 181 Persönliches

Erinnerungen an LUDWIG GEBHARDT

Nun muß also für LUDWIG GEBHARDTgeschrieben werden,was man allgemein einen Nachruf nennt. Man mag es sich kaum zutrauen: Es ist schwer, dies für ihn zu tun, der mit über 1700 Lebensskizzen (er selbst meinte: „Was ich niederschrieb, wage ich nicht, als Biographien zu bezeichnen") Ornithologen nicht nur nachgerufen hat. Er hat sie für jeden, der willens ist, sich mit der Vergangenheit und damit mit der Gegenwart zu beschäftigen, wachgerufen, dem Vergessen entrissen. Wie unsicher er, bislang unübertroffen auf diesem Gebiet, dabei war, schrieb er mir am 8. August 1966: „Über 120 neu erfaßte Namen sind die Frucht meiner Studien seit 1964.Soll ich damit zufrieden sein? Aber mich belastet,durch die Außenwelt nicht erkennbar,vielnnehr die Beschäftigung mit den behandelten Namen. Es geht mir tatsächlich so, wie es schon viel bedeutenderen Köpfen ergangen ist: Sie dachten nach Abschluß eines Werkes immer nur daran,'es das nächste Mal besser zu machen'. Solch quälendes Streben bringt in meinem Fall den Zwang zur Einarbei- tung von Verbesserungen, Ergänzungen und Berichtigungen damit viel mehr Bedrängnis und Zeitaufwand mit sich, als die Erfassung bisher nicht gewürdigter Namen. Das sind so meine Sorgen . . . Schade, daß ich bei derartigen Sorgen so wenig zu faunistisch-ökologischen Beobachtungen unter freiem Himmel komme. Das Bedürfnis bestürmt mein Herz".

Wie sollte man also, ungeübt in dieser Kunst, LUDWIG GEBHARDT mit einem Nachruf gerecht werden! Im Folgenden kann und soll Subjektivität jedenfalls nicht vermieden werden (Daten und Würdigungen von G. BERG-SCHLOSSER s. Vogelring 29: 61; Luscinia 39: 3; Vogel und Umwelt 1: 232; weiterhin „Die Vögel Hessens" 1954: 94).

Er war der Letzte des-wie man zumindest als Zeitgenosse empfinden muß - großen Dreige- stirns hessischer Ornithologen. Ein glücklicher Zufall in einer besonderen Zeit: der intensiven Entwicklung der Vogelkunde, der Ausbreitung des Interesses für sie bei einer Vielzahl ernsthafter Beobachter-und zugleich einer grandiosen, in diesem Ausmaß bisher einmaligen Zerstörung der Natur.Vielleicht hat gerade das Miteinander und Nebeneinander dieser Drei sie gegenseitig angespornt:

WERNER SUNKEL (1893 -1974), begeisterter Beringer und Faunist, der früher als viele andere die Bedeutung ökologischer Fragestellungen erkannte; GEBHARDTs Mitstreiter als Verfasser „Der Vögel Hessens", dem er noch eine abwägend liebevolle Würdigung geschrieben hat (Luscinia 42: 166-168).

SEBASTIAN PFEIFER (1898-1982), der Menschen anziehen und begeistern konnte; sich als einer der ersten, als es noch nicht modern war, für biologische Schädlingsbekämpfung nicht nur einsetzte, sondern auch deren Grundlagen erforschte, und der ein vorzügliches „Volks- buch" zum Bestimmen der Vögel schrieb.

WDWIG GEBHARDT (25.5.1891-2.3.1986), der sich schon durch seine drei Bände „Die Orni- thologen Mitteleuropas" (1964,1970,1974) wohl kaum vergänglichen Ruhm erworben hat, weil man dergleichen vom Thema und der Verarbeitung her sonst wohl vergeblich sucht.-Alle drei haben,jeder für sich,ein Klima geschaffen,das ihnen allen zugleich bei ihrerArbeit zugute kam.

WDWIG G EB HARDT hatte schon lange zurückgezogen gelebt, als wir am grauen und regne- rischen 7. März 1986 auf dem Friedhof in Gießen von ihm Abschied nahmen. Und ich mußte dabei denken, was er wohl zu dieser Beerdigungsfeier gesagt hätte. Eine Handvoll seiner orni- thologischen Freunde war versammelt. Der Fachbereich Biologie der Universität Gießen, der 182 ihm 1966 anläßlich seines 75.Geburtstags die Ehrendoktorwürde verliehen hatte und der stolz auf seine damalige Entscheidung sein kann, war kaum vertreten. Die Deutsche Ornithologen- Gesellschaft ehrte ihn mit einem Kranz.Geprägt war diese Gedenkstunde durch seine „Verbin- dung",der erseit 1909 angehörte und die sie mit ihren Formen umrahmte.LUDWIG GEBHARDT war ihr zu einem Zeitpunkt beigetreten, als solche Institutionen bedeutsam waren. Er hatte ihr die Treue gehalten, obwohl er sehr klar erkannte, welche Veränderungen sich inzwischen in unserer Gesellschaft vollzogen hatten.

Er hatte den Rückzug aus der aktiven Teilnahme an der ornithologischen Forschung bewußt vollzogen, wie er mir am 27.12.1973 schrieb:

„Ich selbst denke mehr und mehr an das otium cum dignitate. Den dritten und letzten Band meiner „Ornithologen Mitteleuropas" habe ich soeben abgeschlossen ... Das Manuskript ist bereits in der Berliner Druckerei, und ich erwarte die ersten Korrekturen. Wenn sie beendet sind, werde ich - so weit ich das kann - die Feder niederlegen, um die Freuden des ,Rentners' und Autodidakten zu genießen".

Und doch muß ihm dieser Verzicht nicht leicht gefallen sein, wenn man den Stellenwert kennt, den er dieser Tätigkeit einräumte; dazu schrieb er am 30.3.1976: „Und der nebenberuflich übernommene Einsatz unter freiem Himmel und am Schreibtisch belohnte mich schließlich nur mit einem immer tiefer werdenden Staunen vor den Wundern der Evolution und den stets wachsenden Einsichten in Wesen und Persönlichkeitswert gleichgesinnter Menschen - mir eine Bereicherung an Lebenserfahrung bringend, die ich nie missen möchte".

Würde, Bescheidenheit (die Selbstkennzeichnung „Autodidakt"taucht immer wieder in seinen Briefen auf- und belegt zugleich seine Ansprüche an die Wissenschaftler), wissenschaftliche Akribie und erlebte Mitmenschlichkeit erscheinen mir treffende Begriffe-wie abgegriffen sie bisweilen sein mögen-um LUDWIG GEBHARDTzu kennzeichnen.Ja, er war gern mit „Gleich- gesinnten" zusammen, fühlte sich unter ihnen wohl; erkannte bei diesen Begegnungen, daß der Wert eines Menschen nicht von Ausbildung und Status abhängt.-Zu meinen besten Erin- nerungen im Umgang mit „Gleichgesinnten" gehört es, mit LUDWIG GEBHARDT und einigen anderen Freunden beobachtend um den Obermooser See zu gehen und diskutierend stehen zu bleiben. Er stellte präzise Fragen, wenn man von einer Arbeit berichtete, brachte wohltuend seine Erfahrung ein; man erlebte einen Menschen, der alle seine Kenntnisse in sein wissen- schaftliches Denken integrieren konnte, gerade nicht an der nicht seltenen intellektuellen Schizophrenie litt.

Wie sehr muß er sich im Vogelsberg,an den Mooser Seen, im dort oft versammelten Kreis seiner Freunde und Bekannten wohlgefühlt haben! Denn selbst im hohen Alter fuhr er von Gießen mit einem Moped dorthin; die Gefährlichkeit dieses Unternehmens konnte man ihm vor Augen halten, aber es selbst lange nicht ausreden, so sehr zog es ihn dorthin.

Was er so selbst lebte, war wohl auch ein Motiv für seine Arbeit. „Gelenkt war ich zugleich von einem Gefühl der Pietät und dem Bestreben, hinter der Sache auch den Menschen zu suchen und zu würdigen"; weiterhin: „Wo die Überlieferung gleichgültig übersehen oder bewußt mißachtet wird, beginnt bei allem Fachwissen die Abkapselung und damit die geistige Veren- gung und Verarmung" (Ornith. Mitteleuropas 1964, Einführung). Er hatte also erkannt und gelebt, was oft vergessen oder zumindest leicht außer acht gelassen wird, daß gerade zur Vogelkunde auch die Beachtung der sozialen Bedürfnisse derer gehört, die sich mit ihr beschäftigen.

Die Ehren, die man ihm antrug, nahm er freundlich und bewußt an; neben der Ehrendoktor- würde der Universität Gießen die Ehrenmitgliedschaft in der Deutschen Ornithologen-Gesell- 183 schaft und der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz; diese hatte er mitgegründet und treu begleitet, manchmal mit kritischen Hinweisen. Er nahm Ehrungen aber auch gelassen an, mit berechtigter Kenntnis seines eigenen Wertes; er überschätzte sie nicht. Die bereichernde Begegnung mit der Sache und mit Menschen waren ihm wichtiger; „der Einsatz.. belohnte mich.. nur mit einem immer tiefer werdenden Staunen ...und den stets wach- senden Einsichten in Wesen und Persönlichkeitswert gleichgesinnter Menschen". Ihm fehlte das Bedürfniss, heroischer Mittelpunkt zu sein. Was er geleistet hatte, führte er zum Teil auf Anregungen in seiner Jugend zurück: „Diese verpflichtende Einstellung war nicht mein Verdienst. Sie war mir vielmehr überkommen durch das bewegende Vorbild eines tierfreundlichen Elternhauses, oder gar eines beispielhaften Großvaters, der mir als einfacher Bauer die ersten Jungkrähen aus dem Felde brachte" (Brief vom 30.3.1976).Zugleich wußte er,daß nur ein Mensch, der sich ständig bemühte, der arbeiten konnte und ein Ziel hatte, letzlich auch etwas zu leisten vermochte. Berechnen wir doch, was diese Tat, über 1700 Lebensskizzen zu schreiben, bedeutete: ein volles, ja ein übermäßiges Arbeitspensum Woche für Woche von mindestens 10 Jahren - ohne Hilfskräfte.,,Nichts drückt den denkenden und strebenden Menschen schwerer als ungetane Taten!" (Ornith. Mittel- europas 2,1970). - Berücksichtigung und positive Anerkennung der Lebensumstände und eigene Tatkraft haben GEBHARDTS Lebensweg bestimmt. Wer weiß, wie wichtig ihm diese beiden Faktoren waren, versteht die „Lebensskizzen" besser, die er geschrieben hat. Wer nur einige davon liest und ein wenig GespürfürFormulierungen hat,erkennt den begabten Stilisten LUDWIG GEBHARDT. Das von ihm bearbeitete Material legte trockene Wiederholung nahe. Er gestaltete es zu lebendigen, lebhaften und abgewogenen Beschreibungen, deren Lektüre Freude macht. Dies gilt auch für „Die Vögel Hessens": Wer einige solche Avifaunen kennt und immer wieder einsieht, spürt wohltuend den Abstand in der Formulierungskunst in GEBHARDTS und SUNKELS Buch im Vergleich zu den meisten anderen. Daß Formulieren für ihn keine Mühe war, erfährt man aus der spontanen Lebendigkeit seiner Briefe. Unter anderem als Beleg für diese Fähigkeit werden sie hier zitiert. Es ist zudem schon eine Besonderheit, daß man LUDWIG GEHARDTS Ideen, Vorstellungen, ja seine Motive mit seinen eigenen Worten darstellen kann. Man wüßte gern, ob seine stilistischen Fähigkeiten für ihn ein zusätzlicher Anreiz zum Schreiben waren. Seine Bescheidenheit hat es vermutlich verhindert, daß er dazu Äußerungen hinterließ.Aberjemand,der nicht auch Freude am Formulieren gehabt hätte,wäre bei der schwierigen Arbeit an den Lebensskizzen wohl frühzeitig auf der Strecke geblieben. Das von ihm gemeinsam mit WERN ER SU N KEL1954 veröffentlichte Werk „Die Vögel Hessens" hat der hessischen Ornithologie nach dem zweiten Weltkrieg erst den richtigen „Biß" gegeben. Ernsthafte Feldornithologen haben sich mit Hilfe dieses Buches Maßstäbe gesetzt, daraus Fragestellungen abgeleitet, die Auswertung ihrer Beobachtungen daran orientiert und das Buch mit Vergnügen immer wieder zu Rat gezogen. Auch garantiert es LUDWIG GEBHARDT, trotz zunehmend kürzer werdender „Überlebensdauer" wissenschaftlicher Publikationen, einen sicheren Platz in der hessischen Ornithologie. Und man wird erst abwarten müssen, ob die nächste Generation, gestützt auf vielfältige Hilfsmittel und das Material einer Vielzahl von Beobachtern, Besseres zu leisten vermag. Dies gilt auch für seine dort und in allen seinen Arbeiten erkennbare Sorgfalt, die erst recht draußen zu spüren war, wenn es eine Beobachtung zu sichern galt.' nn Januar 1976 kletterte ich mit dem 85jährigen über Hecken und Zäune, um am Horloffer See eine Bleßgans auch möglichst genau sehen zu können, damit es ja nicht zu einer Fehlbestimmung käme. Mehr als viele Worte sagt sein Verhalten während derZeit des Nationalsozialismus etwas über LUDWIG GEBHARDT aus. Er diente dem Nationalsozialismus nicht; er entzog sich ihm und distanzierte sich von ihm,gerade weil er seine Heimat mit ihren Menschen Iiebte.Man darf nicht 184 vergessen, daß dies gerade für einen Lehrer ein besonders schweres Unterfangen war. Auch nach 1945 schlug er daraus kein Kapital, was so leicht möglich gewesen wäre. Ja, er sprach darüber kaum oder rühmte sich gar seiner Haltung, während es doch fast das Übliche war, nunmehr „Moralität" herauszustellen. Dies wird man getrost als einen Beweis für seine lautere Gesinnung und einen besonderen Charakter bezeichnen dürfen. Ihre Realisierung zeigt bei ihm keinen Bruch zwischen Leben und Werk. Sie waren bei ihm unaufgetrennt in Leben und Werk.

Diese Haltung legitimierte ihn auch dazu, manchmal dem heutigen Zeitgeist zu mißtrauen und den „Rückzug vornehmer adeliger Gesinnung" zu beklagen. Sein dringenderWunsch war, daß dergleichen nicht auch in „unserer schönen Vogelkunde" Platz greifen möge. Diesen seinen Wunsch brauchen wir nicht nur auf Papier zu schreiben; wir könnten ihn stückweise umsetzen, weil wir Ornithologie vor allem auch als eine Grundlage für die Realisierung ethischer Verpflichtung gegenüber dem Existenzrecht anderer Lebewesen begreifen und als menschen-erfreuende Wissenschaft. LUDWIG GEBHARDTwar ein bedeutender Mann.Wir können uns freuen, daß etwas von dieser Bedeutsamkeit in seinen Schriften erkennbar ist. Wann wird Hessen wieder einen vergleichbaren Ornithologen hervorbringen?

KARL-HEINZ BERCK

In memoriam OTTO VÖLKER (1907-1986)

Nach kurzer Krankheit verstarb am 26.Februar1986 in Gießen Professor Dr.OTTOVÖLKER.Die Vogelwelt war für ihn Forschungsobjekt und Freizeitbeschäftigung zugleich. Geboren am 22. Juni 1907 in Heidelberg, beschäftigte er sich bereits als Schüler mit der Vogelwelt seiner Heimat. Zahlreiche Exkursionen führten ihn in die Altrheinarme zur Beobachtung der Wasser- vogelwelt. Nach seinem Studium der Biologie und Chemie in Heidelberg und München holte ihn der damalige Ordinarius des Zoologischen Institutes der Universität Gießen, Prof. Dr. W. J. SCHMIDT, nach Oberhessen. Mit einer Arbeit über Federfarbstoffe habilitierte er sich dort im Jahre 1944. Die Analysierung von Federfarbstoffen war wesentlicher Bestandteil seiner wissenschaftlichen Arbeiten, von denen eine Reihe im Journal für Ornithologie veröffentlicht wurden. Vielen Generationen Gießener Biologiestudenten brachte er bei Exkursionen die Vogelwelt und ihre Bedeutung für die Umwelt näher. Persönlich erinnere ich mich gerne an die Halbtagsexkursionen in den Gießener Bergwerkswald und zum Bahneinschnitt unterhalb des Gießener Hauptfriedhofes, wo in den heckenbestandenen Bahndämmen zahlreiche Nachti- gallen und verschiedene Grasmückenarten sangen. Neben seiner Arbeit als akademischer Lehrer leitete er fast 3 Jahrzehnte die örtliche Gruppe des Bundes fürVogelschutz.Auch war er einer der Gründungsmitglieder der Hessischen Gesellschaft fürOrnithologie und Naturschutz. Seinen Freunden und Schülern wird er unvergessen bleiben. WERNER KEIL 185 Neue Literatur

GOETHE, F., H. HECKENROTH & H. SCHUMANN (1978): Die Vögel Niedersachsens und des Landes Bremen. - Naturschutz u. Landschaftspflege in Niedersachen, Sonderreihe B, H. 2.1,110 S., Herausg. Nieders. Verwaltungsamt Hannover.

KNOLLE, F. & H. HECKENROTH (1985): Die Vögel Niedersachens und des Landes Bremen. - Naturschutz u. Landschaftspflege in Niedersachsen, Sonderreihe B, H.2.4., 115 S., Herausg. Nieders. Verwaltungsamt Hannover.

Von der Avifauna Niedersachsens (einschließlich Land Bremen) liegen nunmehr 2 Liefe- rungen vor. Im Heft 1 werden die Seetaucher, Lappentaucher, Albatrosse, Sturmvögel, Sturm- schwalben,Tölpel, Kormorane, Pelikane, Reiher, Störche, !bisse und Flamingos vorgestellt. Das Heft 2 bringt die Hühner- und Kranichvögel (Rauhfußhühner, Hühner, Perlhühner, Truthühner, Rallen, Kraniche, Trappen). Die Erstellung einer Avifauna birgt eine Vielfalt an Schwierigkeiten, die vor allem durch fachliche und persönliche Probleme gekennzeichnet sind. Die damit zusammenhängenden Fragen müssen all jene beantworten, die sich bereitgefunden haben, eine solches Werk zu koordinieren und der Öffentlichkeit vorzustellen: keine leichte Aufgabe. Für jede vorgestellte Vogelart zeichnet ein Autor verantwortlich. Behandelt werden: Brutver- breitung, Unterarten, Vorkommen in Niedersachsen und Bremen, Bestand, Biotop, Wande- rungen und offene Fragen. Daneben gibt es eine Verbreitungskarte. Für den in Hessen tätigen Feldornithologen sollte die Avifauna des Nachbarlandes Niedersachsen von besonderem Interesse sein. Der Erwerb des Werkes sei sehr empfohlen. W. KEIL

HOPPE, D. (1986): Kakadus. - 204 S., 60 Farbfotos, 5 Zeichnungen, 20 Verbreitungskarten, Verlag Eugen Ulmer Stuttgart.

Mit den Kakadus setzt der Verlag Eugen Ulmer seine Papageienbuchreihe fort. Wenn auch die Kakadus nur eine recht kleine Gruppe aus der Artenvielfalt der Papageien darstellen, so sind sie seit Jahrhunderten beliebte Hausgenossen. Dem Verlag gelang es, einen Experten als Autor zu gewinnen. Kakadus stammen aus Ostasien, der Südsee und Australien. Ihre Beliebt- heit als Käfigvögel hat u.a. auch dazu geführt, daß einige Arten bereits verschwunden bzw.auf der Liste der vom Aussterben bedrohten Vogelarten zu finden sind. Dies sollte man, bei aller Begeisterung für einen solchen Hausgenossen, nicht vergessen. Das Buch informiert über Lebensräume, Lebensweise und Artenschutz ebenso wie über ihre Haltung und Zucht. Den Abschluß bildet ein Literaturverzeichnis. Dem Vogelhalter bietet das Buch umfassende Infor- mationen über Kakadus. W. KEIL

BRUUN, B., A. SINGER &C. KÖNIG (1986): Der Kosmos -Vogelführer.- 7. Auflage, 320 5.,1973 Farbdarst., 362 einfarb. Darst., 4665 Verbreitungskarten, Franckh - Kosmos Verlags- gruppe Stuttgart.

Nunmehr liegt der Kosmos - Vogelführer in seiner 7. neu bearbeiteten Auflage vor. Wenn sich auch in Aufbau und Gliederung wenig geändert hat, wurden aber der Text und die Verbrei- tungskarten auf den heutigen Stand gebracht. Bei jeder Art wird über Kennzeichen, Stimme, Lebensraum und Wanderbewegungen informiert. Hervorgehoben sei, daß die Artbeschrei- bung mit der jeweiligen Farbtafel kombiniert wurde, auf der die Vogelart abgebildet ist. Dies erspart viel Zeit. Mit seiner flexiblen Klarsicht-Plastikhülle ist das Buch nicht nur äußerlich attraktiv und handlich. Es ist bei der Vogelbestimmung europaweit ein guter Begleiter. W. KEIL 186 SKIRNISSON, K. (1986): Untersuchungen zum Raum-Zeit-System freilebender Steinmarder (Martes foina ERXLEBEN,1777).- 200 S., H.6 der Beiträge zur Wildbiologie, M + K Hansa- Verlag Hamburg.

Die Forschungsstelle Wildbiologie am Institut für Haustierkunde der Universität Kiel legt in Heft 6 der Beiträge zur Wildbiologie eine Untersuchung über den Steinmarder vor. Durchgeführt wurden die Freilanderhebungen in zwei recht unterschiedlichen Gebieten Schleswig- Holsteins. Insgesamt wurden 10 Steinmarder mit Sendern versehen, was die Überwachung und Erfassung ihrer Aktivität wesentlich erleichterte. Die Arbeitsergebnisse konzentrierten sich auf die Ernährung, das „Home-Range" und Sozialsystem, die Fortbewegung, die Habitat- nutzung, die Jungenaufzucht sowie die Aktivität der Tiere. Für den Ornithologen sind beson- ders die ernährungsbiologischen Untersuchungen von Interesse. Der Autor hat sich bei seiner Arbeit im wesentlichen auf Kotanalysen gestützt. Insgesamt wurden über 600 Nahrungs- proben ausgewertet. Es zeigte sich, daß rund 14% der Mardernahrung aus der Vogelwelt stammten. Es konnten Reste von 24 Vogelarten und Eireste von 12 Arten gefunden werden. Der Säugetieranteil lag bei 32 0/0. Bemerkenswert erscheint der Regenwurmanteil (max. 15,8 %) und der Verzehr von Früchten (max. 34,4 %). Unter den Säugetieren bildeten Jungkaninchen eine wesentliche Nahrungsquelle, dagegen war der Beuteanteil des Feldhasen unbedeutend. Eine weitere wichtige Ernährungsbasis bildeten die verschiedenen Mausarten. Während Haushühner äußerst selten erbeutet wurden, hatten Hühnereier einen relativ hohen Stellen- wert. Nach der vorliegenden Studie muß man sich ernsthaft fragen, ob die von derJägerschaft immer wieder geforderte und auch durchgeführte Bejagung von Stein- und Baummarder überhaupt noch gerechtfertigt ist. Nach Aufassung des Rezensenten wäre es an der Zeit, die Verfolgung der Marder durch den Jäger schnellstens zu beenden. Hier wird mehr Schaden angerichtet als „Nutzen" gestiftet. W.KEIL

PINTER, H. (1986): Unsere Amazone. - 72 S., 17 Farbfotos, 20 Schwarzweißzeichnungnen, Franckh - Kosmos Verlagsgruppe Stuttgart. Insgesamt 27 Arten gehören der Gattung Amazona an,von denen jedoch einige dem Washing- toner Artenschutzabkommen unterliegen. Im wesentlichen sind es 6 Arten, die für die Stuben- vogelhaltung infrage kommen. Diese Arten werden (mit ihren Unterarten) zunächst beschrieben (u. a. Vorkommen, Aussehen). Die folgenden Kapitel befassen sich mit Kauf, Unterbringung, Fütterung, Eingewöhnung, Pflege,Verhalten und Zucht.Auch der Gesundheits- fürsorge ist ein Abschnitt gewidmet. Ein Literaturverzeichnis und ein Register beschließen das Bändchen. In sehr gestraffter und verständlicher Form wird der Leser mit den Amazonen vertraut gemacht. Ein guter Ratgeber für den Halter dieser so bunten Großpapageiengattung. W. KEIL 187 HECKEN ROTH, H. (1985): Atlas der Brutvögel Niedersachsens 1980. - 428 S., Naturschutz und Landschaftspflege Niedersachsens H. 14, Herausgeber: Nieders. Landesverwal- tungsamt Hannover. Der Atlas der Brutvögel Niedersachsens und des Landes Bremen dokumentiert den Status des Jahres 1980, ergänzt durch Angaben aus den Jahren 1976 -1979. Es wurde vom Verfasser eine Fülle an Daten zusammengetragen und ausgewertet. Als Grundlage der jeder Art zugeordneten Karte dienten die TK 25-Quadranten. Das vorliegende Werk kann u. a. als Grund- lage für notwendige Artenhilfsprogramme, den speziellen Biotopschutz und andere Projekte des Naturschutzes Verwendung finden. Aus dem ausgewerteten Material läßt sich der Status der Brutvogelarten, der Brutbestand, die Brutbestandsentwicklung, die Bewertung einschließ- lich Indexwert, der Gefährdungsgrad wie der gesetzliche Schutz entnehmen. Das vorliegende Werk besticht durch seine Übersichtlichkeit und die Druckqualität. W. KEIL

DÖRI NG ,V.& R. H ELFRICH (1986): ZurÖkologie einer Rebhu hnpopulation (Perdixperdix Line 1758) im Unteren Nahetal (Rheinland-Pfalz; Bundesrepublik Deutschland).-365 S., H.15 der Schriften des Arbeitskreises für Wildbiologie und Jagdwissenschaft an der Justus- Liebig-Universität Gießen, Ferd. Enke Verlag Stuttgart.

In der Schriftenreihe des AKWJ an der Universität Gießen wurden die von der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland initiierten Untersuchungen zur Ökologie des Rebhuhns veröffenlicht. Finanziert und gefördert wurden die Untersuchungen durch die Oberste Jagdbehörde im Ministerium für Landwirtschaft, Weinbau und Fosten in Rheinland Pfalz. Das Rebhuhn, bis vor zwei Jahrzehnten eine der häufigsten Vogelarten der offenen Feldflur ist zwischenzeitlich recht selten geworden. Es mußte sogar in die Rote Liste der bestandsbedrohten Vogelarten aufgenommen werden. Über die Ursachen des rapiden Populationsrückgangs entflammte in den letzten 10 Jahren eine z.T. sehr leidenschaftlich geführte Diskussion. Die Ausräumung der Feldflur durch die Flurbereinigung,die Verwendung von Pflanzenbehandlungsmitteln, die modernen landwirtschaftlichen Arbeitsmethoden, die Ungunst des Klimas u. ä. Faktoren wurden als mögliche Gründe angeführt. Die Jägerschaft machte sogar die Greifvögel (allen voran der Habicht) und das sogenannte Raubwild wie Fuchs, Marder und Wiesel, für den Rückgang verantwortlich. Die vorliegende Untersuchung wurde bei Bad Kreuznach im Bereich des Unteren Nahetales durchgeführt.Zur Individualnnar- kierung wurden 100 Tiere gefangen davon 70 mit Farbmarken und 9 mit Sendern versehen. Vorliegende Arbeit versucht, durch eine sehr detaillierte Analyse des Ökosystems die Wech- selbeziehungen einer Rebhuhnpopulation mit den einzelnen Gliedern der Biozönose darzu- stellen. So konnte u. a. festgestellt werden, daß Predatoren die Brutpaardichte nicht entschei- dend beeinflussen. Sie können ausschließlich in Konkurrenz zu dem Anteil der möglichen jagd lichen Nutzung treten (S.246, Punkt 22). Angelpunkt für die Erhaltung einer Rebhuhnpo- pulation ist die Biotopbeschaffenheit. Die Untersuchung sollte zur Versachlichung der Rebhuhndiskussion beitragen. Eine sehr lesenswerte und für den im Biotop-und Artenschutz Tätigen wichtige Arbeit. W.KEIL 188 Band 4, Heft 4-5: 189-332 Zeitschrift Wiesbaden, Juli 1987 für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen

ISSN 0173-0266

Herausgeber: Die Hessische Ministerin für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz - Oberste Naturschutzbehörde - Inhaltsverzeichnis

Berichte Seite

BOTANISCHE VEREINIGUNG FÜR NATURSCHUTZ IN HESSEN et al.: Vorschläge und Forderungen zur Naturschutzpolitik in Hessen 191

W. BAUER: Anforderungen an eine integrierte Planung des Naturschutzes und der Abgrabungsindustrie - Erfahrungen in Hessen 211

E. SCHNEIDER & R. SCHULTE: Die Haltung und Zucht von Vögeln und anderen Wildtieren - Artenschutz der Zukunft? 215

K. RADLER: Faunenverfälschung, Artenschutz und Genetik - Konzepte, Fakten und Probleme - 247

J.W. BRAUNEIS &W. BRAUNEIS: Zur Bedeutung von Schutzgebieten für den Brutbestand einiger ans Wasser gebundener Vogelarten im hessischen Werratal (Werra-Meißner-Kreis) 269

I. MOHR: Zur Schutzwürdigkeit einer stillgelegten Bahntrasse im Hintertaunus 281

K.SCHREINER: Ackerrandstreifen- und Wiesenprogramm in Hessen: Durchführung und erste Ergebnisse 303

Kleine Mitteilungen

K. KLIEBE: Steppenkiebitz (Chettusia greagria) bei Kirchhain/Kreis Marburg- Biedenkopf 327

D.& O. DIEN L: Schwalben mit flugunfähigmachendem Gespinst im Gefieder 328

Neue Literatur: 268, 280, 301-302, 326, 330-332

190 Zeitschrift fürVogelkunde und Naturschutz in Hessen • Vogel und Umwelt 4: 191-210 (1987)

Vorschläge und Forderungen zur Naturschutzpolitik in Hessen*

von BOTANISCHE VEREINIGUNG FÜR NATURSCHUTZ IN HESSEN E.V., Lahnau, BUND FÜR UMWELT UND NATURSCHUTZ DEUTSCHLAND— LANDESVERBAND HESSEN E.V., Frankfurt am Main, DEUTSCHER BUND FÜR VOGELSCHUTZ- LANDESVERBAND HESSEN E.V., WETZLAR,

DEUTSCHE GEBIRGS- UND WANDERVEREINE- LANDESVERBAND HESSEN E.V., Hilders,

HESSISCHE GESELLSCHAFT FÜR ORNITHOLOGIE UND NATURSCHUTZ E.V., Frankfurt am Main, LANDESJAGDVERBAND HESSEN E.V., Bad Nauheim,

SCHUTZGEMEINSCHAFT DEUTSCHER WALD - LANDESVERBAND HESSEN E.V., Frankfurt am Main VERBAND HESSISCHER SPORTFISCHER E.V., Wiesbaden

Inhalt

1. Allgemeine Naturschutzarbeit und -politik in Hessen aus der Sicht der § 29er-Verbände 192

II.Waldökologische Konzeption der §29-Verbände 198 III.Naturschutz in der Agrarlandschaft - Naturschutzprogramm mit der Landwirtschaft - 203

"Denkschrift der nach §29 BNatG anerkannten Verbände in Hessen, die am 15.Juni 1987 der Hessischen Ministerin für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz überreicht wurde. Vorschläge zu organisatorischen Fragen und Finanzen wurden separat vorgelegt. Zitiervorschlag: Botan. Vereinigung für Naturschutz in Hessen et al. (1987): Vorschläge und Forderungen zur Naturschutzpolitik in Hessen. Vogel u. Umwelt 4: 191-210.

191

I. Allgemeine Naturschutzarbeit und -politik in Hessen aus der Sicht der § 29er-Verbände

Naturschutztangiert nahezu alle Politikbereiche.Konzeptionen und Maßnahmen zurWahrung der Belange von Natur und Landschaft sind daher in fast allen Ressorts vonnöten.Von dem für den Naturschutz zuständigen Ministerium müssen die Initiativen dafür ausgehen. Beharrlich- keit bei der Durchsetzung von Naturschutzinteressen und Stärkung einer Fa chplanung Naturschutz gegenüber den zahlreichen anderen mit Fachpersonal und Mitteln gut ausgestatteten Fachbehörden ist dringend geboten! Im folgenden sind unter Verzicht auf Vollständigkeit und geordnet nach zeitlichen Prioritäten die nach Ansicht aller § 29er-Verbände Schwerpunkte hessischer Naturschutzarbeit aufge- listet.

1. Kurzfristig zu verfolgende Ziele Sofortige Umsetzung der Ergebnisse der Biotopkartierung.Die einstweilige Sicherstellung der letzten schutzwürdigen Gebiete ist aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre, die eine weiterhin rapide Abnahme von ungeschützten Biotopen bestätigen, dringend geboten. Hier muß der Naturschutz Vorrang erhalten vor anderen Nutzungsansprüchen (siehe Schreiben der Verbände an den HMLF vom 2704.1987„Umsetzung der Biotopkartierung"). In diesem Zusammenhang gehört auch die zügige Verwirklichung eines modernen Land- schaftsschutzes. Hervorzuheben ist dabei der Auenschutz (siehe Schreiben der Verbände an den HMLF vom 27.04.1987 „Auenschutz"). Die Zustimmung der betroffenen Grundstückseigentümer und Pächter ist durch freiwillige Entschädigungsleistungen der öffentlichen Hand zu fördern.

Um die Schutzziele nicht zu gefährden, ist unbedingt mit einer Unterschutzstellung langfristig die Pflege der Flächen bzw. die extensive Bewirtschaftung zu sichern.

2. Mittelfristig sind die Voraussetzungen zu schaffen, die zu einem leistungsfähigen Biotop- verbund führen. Die folgenden Programme sind zu fördern:

2.1 Feldholzinselprogramm

2.2 Waldrandprogramm

2.3 Bach rand programm

2.4 Ackerrandstreifenprogramm

2.5 Schutzheckenprogramm Die Programme 2.1 bis 2.4 sind bereits eingeleitet. Das Programm zu 2.5 muß noch formuliert werden. (Siehe hierzu Resolution des DBVvom 09.12.1986 an H M LF, HMUE und Landtagsfraktionen). 192

Die linienhaften Verbindungselemente sind zu ergänzen durch folgende Sonderaufgaben einer effektiven Naturschutzpolitik:

2.6 Artenschutzprogramme Sie bedürfen einer besonderen Förderung.ln §2 Abs.1 Nr.10 des Bundesnaturschutz- gesetzes, welches erst kürzlich novelliert wurde, ist ein sehr weitgehender Auftrag erteilt: „Die wildlebenden Tiere und Pflanzen und ihre Lebensgemeinschaften sind als Teil des Naturhaushaltes in ihrer natürlichen und historisch gewachsenen Artenvielfalt zu schützen. Ihre Lebensstätten und Lebensräume (Biotope) sowie ihre sonstigen Lebensbedingungen sind zu schützen, zu pflegen, zu entwickeln und wieder- herzustellen." Die Artenschutzprogramme des Landes sehen die Ermittlung der Lebensstätten von Tier- und Pflanzenarten in Hessen vor, um bei Gefährdung einzelner Arten möglichst über größere Räume hinweg geeignete Schutzmaßnahmen einleiten zu können. Als Beispiel - wenn auch noch immer lückenhaft - kann hier das Amphibienprogramm genannt werden, welches von allen Artenschutzprogrammen am weitesten gediehen ist. Im Rahmen dieses Programms wurden nicht nur die regionale Verteilung der einzelnen Arten in Hessen, sondern auch ihre Biotopansprüche nebst ent- sprechenden Hilfsmaßnahmen wie Ablenkzäune, Tunnels unter stark befahrenen Straßen für die saisonalen Wanderungen der Amphibien ermittelt und ausgeführt. Ähnliche Programme laufen zur Zeit für Libellen, Reptilien und Fledermäuse, in der Regel im Rahmen von Werkverträgen mit jungen stellungslosen Biologen, die aber sehr qualifiziert sind. Einige dieser Programme werden zur Zeit von der Stiftung finanziert. Noch in diesem Jahr soll ein Artenschutzprogramm für Tagschmetterlinge anlaufen; weitere sind für Schnecken und Spinnen vorgesehen. Das an Mitarbeitern und auch an Mitteleinsatz größte Projekt ist die floristische Kartierung Hessens, die sich dem Abschluß nähert. Unmittelbar danach muß mit einer pflanzensoziologischen Kartierung Hessens begonnen werden. Erst die Verzahnung beider Programme lassen gezielte Schutz- maßnahmen im botanischen Bereich zu.

Im Rahmen des Artenschutzes sind auch Möglichkeiten zurWiederansied I ung bereits ausgerotteter Arten bzw. solcher, die unmittelbar vor dem Aussterben stehen, durch Nachsetzen zur Stützung dieser Restpopulation zu sehen. Gewisse Erfolge sind auch hier bei Wanderfalke und Weißstorch bereits erkennbar. Ein Programm zur Wieder- ansiedlung des Bibers liegt vor. Die Restpopulationen der drei Rauhfußhühner Auer- huhn, Birkhuhn und Haselhuhn bedürfen dringend einer Biotopuntersuchung, bevor eventuell mit einer Stützung durch Aussetzung von Tieren begonnen werden kann. Zum Artenschutzprogramm zählen auch die Konsequenzen aus den vor einigen Monaten abgeschlossenen Fischarten-Kataster sowie das Herrichten von Nist- möglichkeiten für Arten wie Uferschwalbe, Eisvogel und Regenpfeifer.

2.7 Ökowiesenprogramm

2.8 Gewässerschutz, Programm „Naturnahe Gewässer"

Abgesehen von den Pflichten, die in die Zuständigkeit des Umweltministeriums fallen, hat auch der Naturschutz umfassende Aufgaben im Gewässerschutz. Wir nennen die Erfassung, Gestaltung oder Pflege kleiner Fließ-und Stillgewässer-vor allem auch im Wald - einschließlich der letzten Tümpel, Sümpfe und Moore. Alle pflegebedürftigen 193

Altwässer an mittleren und größeren Fließgewässern sind zu sanieren,dadie moderne Wasserbautechnik in der Regel die Entstehung neuer Altwässer nicht mehr zuläßt. Verfüllte Altarme und Schluten sind wiederauszubaggern und an das jeweilige Fließ- gewässer anzuschließen. Die Uferzonen der Fließgewässer sind in den Besitz der öffentlichen Hand zu bringen, so daß auf jeweils mindestens 10 bis 15 m Breite Maßnahmen des Uferschutzes und zur Verbesserung der Gewässerbiologie vorge- nommen werden können. Das Programm „Naturnahe Fließgewässer", das im Einver- nehmen mit derWasserwirtschaft durchzuführen ist und dessen Federführung zurZeit beim RP Gießen liegt, ist zügig weiterzuführen und nach den neuesten Erkenntnissen ständig zu ergänzen. Die bisher im Landesetat hierfür zur Verfügung stehenden Mittel reichen für diese große Aufgabe nicht aus. Schwierigkeiten bei der Realisierung des Programms ergaben sich auch oft dadurch, daß die unterhaltspflichtigen Gemeinden nicht bereit waren, ihre Anteile von meist 30 % der Gesamtinvestition zu übernehmen. Das Programm muß also flexibler gehandhabt werden, so daß in Sonderfällen im Interesse des Allgemeinwohls auch auf die 30 % Selbstbeteiligung verzichtet werden kann.

2.9 Magerrasen- und Zwergstrauchheiden-Programm

2.10 Streuobstwiesen-Programm

3. Langfristig muß Naturschutz auf der gesamten Fläche gemeinsam mit Forstwirtschaft und Landwirtschaft praktiziert werden.

3.1 Naturschutz mit der Forstwirtschaft (siehe Programm „Naturnaher Wald" der Verbände).

3.2 Naturschutz mit der Landwirtschaft (siehe Programm „Naturschutz in der Agrarlandschaft" der Verbände).

3.3 Als Randgebiete von nicht minderer Bedeutung zählen hierzu auch die Fragen der Stadtökologie, der Dorferneuerung, des ökologisch orientierten Kleingartenwesens und Gartenbaues und einer naturangepaßten Fischereiwirtschaft. Die Programme und Aufgaben zu 2. und 3. sind bereits heute anzugehen und unab- hängig von einer fehlenden Gesamtkonzeption, wie sie z.B. zu 3.2 nur zusammen mit der EG erstellt werden kann, auch in sachlich und örtlich unterschiedlichen Teilbe- reichen zu verwirklichen. Kurz-, mittel- und langfristige Zielsetzungen greifen ineinander. Dies insbesondere dort, wo Flächenumwidmungen in der Landwirtschaft linienhaften Vernetzungsele- menten zugute kommen können. Hier sind im Wege der Flächenbereitstellung neue Wege zu beschreiten (Beispiel: Flurneuordnung zu Zwecken des Naturschutzes und der Landschaftspflege).

Jedes Zielelement ist ständig auf die Berücksichtigung dynamischer Abläufe zu über- prüfen. Der sogenannte konservierende Naturschutz tritt dabei in seiner Bedeutung nicht zurück, er ist vielmehr zunehmend auch bei anderen Zielsetzungen zu berück- sichtigen.

194 4. Begleitend zu diesem zeitlich gestaffelten Zielsystem sind folgende politische Voraus- setzungen zu schaffen. 4.1 Gesetzgebung, Verordnungen, Richtlinien

4.1.1 Einführung der Umweltverträglichkeitsprüfung Eine solche Prüfung erlaubt es, Eingriffe und Schädigungen zu minimieren und Konflikte mit dem ehrenamtlichen Naturschutz weitgehend zu vermeiden. 4.1.2 Richtlinie für die Erhebung von Ausgleichsabgaben

Bisher fehlt in Hessen eine allgemein gültige Regelung für die Erhebung von Aus- gleichsabgaben bei unvermeidbaren Eingriffen, die nicht ausgeglichen werden können (z.B. Bau der Schnellbahnstrecke der DB Würzburg-Hannover mit ihrem Streckenabschnitt in Osthessen). Gleichzeitig müßte erwirkt werden, daß nicht mehr der Finanzminister der Empfänger dieser Ausgleichsabgabe ist, sondern das Natur- schutzministerium. Diese Mittel sind ausschließlich für Naturschutzmaßnahmen zu verwenden und insbesondere dort (etwa im gleichen Naturraum) zu investieren, wo der Eingriff erfolgte.

4.1.3 Richtlinie zur Regelung freiwilliger Entschädigungsleistungen bei Nutzungsein- schränkungen zugunsten des Naturschutzes

4.2 Finanz- und Haushaltspolitik 4.2.1 Erhöhung des Grundkapitals der Stiftung hessischer Naturschutz von 7 Millionen auf 10 Millionen DM. CDU und FDP haben bisher die Naturschutzverbände bei dieser Forderung unter- stützt. Eine Erweiterung des Förderkreises der Stiftung, insbesondere durch die freie Wirtschaft, wäre anzustreben. 4.2.2 Bereitstellung der erforderlichen Investitionsmittel zur Durchführung der o.a. Programme 4.2.3 Bereitstellung ausreichender Mittel zum Ankauf und zur Anpachtung von Grund- stücken Wenn das Land Hessen über ausreichend Fläche verfügt, lassen sich fast alle Programme ohne Schwierigkeiten realisieren. Es gibt genügend Verkaufsangebote. Allein bei der Bezirksdirektion für Forsten und Naturschutz in Darmstadt sind solche Angebote in einem Umfang von über 20 Millionen DM registriert, bei der BFN in Kassel nahezu 10 Millionen DM. Auch muß vom Land Hessen die Bereitschaft erwartet werden, Domänenland für Naturschutzzwecke in großem Umfange zurVerfügung zu stellen. Da ohnehin die land- wirtschaftliche Produktion gedrosselt werden muß, kann hier das Land Hessen mit diesen Flächen seiner Vorbildfunktion genügen. 4.2.4 Vermehrung der Planstellen für Fachkräfte des Natur- und Umweltschutzes auf allen Verwaltungsebenen 4.2.5 Verstärkte finanzielle Förderung des ehrenamtlichen Naturschutzes

4.3 Fachübergreifende Bereiche

4.3.1 Naturschutz und Tourismus Auf die Arbeit „Natur und Tourismus", Heft des Deutschen Gebirgs- und Wandervereins Landesverband Hessen e.V., wird verwiesen. Die Forderungen aus den Bereichen 195 Bereichen Forstwirtschaft und Landwirtschaft sind dabei zu beachten. In enger Zusammenarbeit mit den Ministerien für Soziales und Wirtschaft sind Eckwerte und Grenzdaten für die Belastung der Landschaft durch den Tourismus auszuarbeiten, die für jedermann und alle Gruppen verbindlich sind.

4.3.2 Naturschutz und Sport Hier sind die gleichen Forderungen an die beteiligten Ministerien zu richten. U.a.geht es darum, ungeordnetes Wandern, Orientierungsläufe,Volksläufe, neue Skiabfahrten, Skilifte und das Anlegen immer weiterer Langlaufloipen, vor allem in den Kammlagen der Mittelgebirge zu verhindern. „Freies" Jogging, Reiten, Kutschfahrten, Tauchen, Surfen, Rudern, Segeln, Luftsport in allen Formen (Drachenfliegen, Hängegleiter, Ultra- leichtflugzeuge, Segel- und Motorsportflugzeug), Motorsport ganz allgemein, insbe- sondere jedoch Moto-Cross-Veranstaltungen können in sensiblen Bereichen eben- falls erhebliche Belastungen in der Natur anrichten. Die bereits existierenden Erlasse über die Zulässigkeit von Motorsport-Veranstaltungen in Landschaftsschutzgebieten und in Außenbereichen sind konsequent anzuwenden.

4.3.3 Naturschutz und Siedlung, Planung Durch Siedlungserweiterungen erfolgen seit Jahrzehnten die umfassendsten und einschneidensten Eingriffe in Natur und Landschaft. In Landschaftsrahmen- und Landschaftsplanung müssen Naturschutzinteressen weit stärker verankert werden. Konzeptionen zur Forderung „Grün in die Stadt" sowie zu einer stärkeren Nutzung innerörtlicher Flächen für Bebauung (auch Sportanlagen) und damit Minderung der Ausuferung von Siedlungsflächen sind zu entwickeln.

4.3.4 Umwelt- und Naturschutzerziehung Wie wichtig diese Aufgabe einzuschätzen ist, zeigen die Erfahrungen, daß ein Großteil der Bevölkerung bisher nur verbal interessiert ist oder dem Naturschutz noch gleich- gültig gegenüber steht. Eine breite Umweltbildung in und außerhalb der Schule ist daher zu fördern.

4.3.4.1 Die entstehenden Naturschutzinformationszentren müssen so ausgestattet werden, auch personell, daß sie die Aufgabe einer aktiven Umweltbildung übernehmen können.

4.3.4.2 Naturlehrpfade und Naturlernpfade sind ein geeignetes Mittel, um Erholungs- suchende, Schulklassen usw. auf Tiere und Pflanzen, ihre Biotopansprüche und Verhaltensweisen aufmerksam zu machen und auch auf Störungen des Naturhaus- haltes sowie Schutzmaßnahmen hinzuweisen. Die Einrichtung und Betreuung sollte möglichst in Kooperation von Forstamt, Gemeinde, Schule, Naturschutzgruppe usw. erfolgen. Durch die Mobilisierung und Einbeziehung des ehrenamtlichen Engage- ments könnten die Kosten gering gehalten werden, jedoch sollte für die Unterhaltung ein Etat bereitgestellt werden. Ebenso sollte eine öffentliche Anerkennung der ehren- amtlichen Aktivitäten auf diesem Gebiet erfolgen.

4.3.4.3 Die Schulwald-Idee sollte weiterhin unterstützt werden. Auch hier sind nur geringe finanzielle Aufwendungen notwendig. Unterrichtsort ist ein für die Schule geeignetes Waldstück. Für diese Kooperation und Koordination im Unterrichtsbereich zwischen Forstverwaltung und Schule ist für jede interessierte Schule ein Kontaktlehrer und ein für diese Aufgaben geeigneter Kontaktförster notwendig. 196 4.3.4.4 Auch das Ministerium für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz sollte auf die wich- tigen Funktionen von Naturlehrgebieten, ökologischen Schulgärten und Freiland- laboratorien, Jugendwaldheimen und geeigneten Jugendherbergen hinweisen und ggf. eine Unterstützung nicht verwehren.

4.3.4.5 Durch Wettbewerbe können je nach Ausschreibung besondere Zielgruppen ange- sprochen und motiviert werden. Im Vordergrund steht die Öffentlichkeitswirksamkeit und die Kommunikationsförderung durch den Wettbewerb, z.B. Wettbewerb „Wasser ist Leben", „Jugend schützt Natur", „Natur macht Schule", „Unser Dorf soll schöner werden" und so weiter.

4.3.5 Öffentlichkeitsarbeit Da wir in einer breiten Öffentlichkeitsarbeit eine wichtige Voraussetzung für die Umsetzung von Naturschutzzielen sehen, halten wir eine Verstärkung der hessischen Aktivitäten für dringend geboten. Öffentlichkeitsarbeit für Naturschutz ist bisher zerstreut, unkonzentriert und ohne einheitliche Stoßrichtung erfolgt. Hier müßten Mini- sterium und Verbände zwar durchaus eigenspezifische Wege gehen, denkbar wäre aber z.B. die Herausgabe eines monatlichen Statements von Ministerium und Verbänden zu Schwerpunkten, Objekten sowie Projekten des Naturschutzes. Wir würden eine solche Form gemeinsamer Öffentlichkeitsarbeit sehr begrüßen. Langfristig sollte in jedem Kreis - bzw. ausnahmsweise kreisübergreifend nach besonderen Landschaftseinheiten - unter Verwendung denkmalschutzwürdiger Bausubstanzen ein Naturschutz-Infozentrum eingerichtet werden. Hierzu ist die Zusammenarbeit mit Gemeinden und Verbänden erforderlich.Vorausgesetzt, daß die Baulichkeit kostenfrei und bezugsfähig zur Verfügung gestellt wird, kostet die Einrich- tung eines solchen Infozentrums erfahrungsgemäß etwa 70 - 100.000 DM. Es hat sich eingebürgert, daß die Stiftung pro Jahr Mittel für die Einrichtung eines Infozentrums zur Verfügung stellt. Einen besonderen Bedarf für solche Einrichtungen sehen die Verbände zurZeit im Gebiet der Rheinauen,derWetterau und des Kinzig-Tals sowie im ost- und nordhessischen Raum. Hier kämen solche Zentren gleichzeitig dem Tourismus zugute. Das Naturschutzzentrum kann dabei eine koordinierende Funktion übernehmen und darüber hinaus gemeinsam ein Konzept für die Darstellung von Naturschutz bei hessischen Ausstellungen und Messen, für eine Publikationsreihe „Natur in Hessen" (ähnlich der Landesanstalt für Ökologie in Baden-Württemberg) und für eine stärkere Förderung, auch der regionalen Öffentlichkeitsarbeit der Natur- schutzverbände, erarbeiten.

Die auf allen Verwaltungsebenen eingerichteten Beiräte für Naturschutz sollten auch zu einer intensiveren Öffentlichkeitsarbeit in ihrem Zuständigkeitsbereich angeregt werden.

4.3.6 Forschung und Forschungsanwendung müssen gesamtgesellschaftlichen Fragestel- lungen gegenüber transparent sein. Besonders die Möglichkeiten und Risiken gentechnologischer Veränderungen in bezug auf manipulierte Pflanzen, Tiere, Mikroorganismen u.a. müssen sorgfältig und rechtzeitig diskutiert werden.

197 II. Waldökologische Konzeption der §29-Verbände in Hessen

1. Präambel Dank einer vorausschauenden Forstpolitik und einer nachhaltigen Bewirtschaftung sind in Hessen heute noch 42 % der Landesfläche mit Wald bedeckt. Wälder gelten zu Recht als ökologische Ausgleichsräume in unserer sonst hoch belasteten Landschaft. Diese Funktion wird jedoch mit einer stark ökonomisch ausgerichteten Bewirtschaftung und vor allem durch Umgestaltung zu einförmigen Altersklassenforsten in Frage gestellt. Daher erscheint eine Rückbesinnung auf ökologische Zusammenhänge dringend erforderlich, wozu auch das natürliche Inventar an Pflanzen- und Tierarten in seinen ursprünglichen Gemeinschaften gehört. Diese Forderung entspricht im übrigen auch den Ansätzen des novellierten Bundes- naturschutzgesetzes, in dem der Artenschutzgedanke weit mehr in den Vordergrund gestellt worden ist, als in der ursprünglichen Fassung des Gesetzes. Eine in diesem Sinne verstärkte Berücksichtigung ökologischer Belange kann allerdings nur dann sinnvoll sein, wenn sie sich auf die gesamte Waldfläche bezieht. Nur dann werden sich sowohl die ökologischen als auch die Sozialfunktionen des Waldes voll entfalten können. Als Voraussetzung einer flächendeckenden, in der angedeuteten Richtung wirksamen ökolo- gischen Neuorientierung streben die hessischen Naturschutzverbände eine forstökologische Konzeption an, die gleichermaßen Auswirkung auf die Bewirtschaftung wie auch auf den Schutz der Wälder hat. Da hierbei sowohl waldbauliche Zielsetzungen wie auch Belange des Naturschutzes berührt werden, muß ihre Umsetzung durch eine sorgfältige fachübergreifende Planung vorbereitet werden, deren Ergebnisse schließlich in verbindlicher Form vorzugeben sind.

Diese Konzeption ist längst überfällig und bedarf zu ihrer Verwirklichung einer baldigen Fest- legung durch die politischen Gremien des Landes Hessen.

Gleichzeitig sollte eine Novellierung des Hessischen Forstgesetzes von 1978 eingeleitet werden, um diesem Gedanken auch einen neuen verwaltungsrechtlichen Rahmen geben zu können.

2. Naturnahe Bewirtschaftung Der Schwerpunkt der hessischen Naturschutzpolitik muß nach wie vor in der Erhaltung bzw. Wiederherstellung leistungsfähiger und ökologisch stabiler Kulturlandschaften liegen. Daneben ist jedoch dem Naturschutz im Wald eine wesentlich größere Bedeutung beizu- messen, als dies in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Der einheimischen Forstwirtschaft kommt heute in zunehmendem Maße eine ökologische Bedeutung zu, obwohl der Rohstoff Holz auch weiterhin für eine Vielzahl von Veredelungs- betrieben existenziell notwendig ist.Allerdings decken wir fast die Hälfte unseres Holzbedarfs durch Importe aus anderen Ländern und Kontinenten. Dort gilt es-auch mit unserer Hilfe -die Forstwirtschaft umzukehren, vor allem zum Schutz exotischer Wälder, um somit die einhei- mischen Ressourcen sinnvoll, nachhaltig und ökologisch verantwortlich nutzen zu können. Die Bewirtschaftung heimischer Wälder ist so umzustellen, daß unter Abkehr von Kahlschlag- wirtschaft und Altersklassenwald durch naturnähere Bewirtschaftungsformen auf allen dafür möglichen Standorten ein Dauerwaldzustand erreicht wird, aus dem strukturreiche Bestände mit erhöhten Umtriebszeiten resultieren.Zumindest im Staatswald ist dabei den ökologischen 198 und sozialen Funktionen des Waldes derVorrang vor wirtschaftlichen Zielen und Rentabilitäts- erwägungen zu geben. Die hier vorkommenden Baumarten müssen auch ohne besondere Forstschutzmaßnahmen natürlich nachwachsen können.

Eine solche Waldwirtschaft kann sogar zu einer Erhöhung des Massen- und Wertzuwachses führen, wenn auf den Flächen des öffentlichen Waldes -und mit Förderung und Beratung auch im Nichtstaatswald - Wirtschaftsformen angewandt werden, die sich an den Prinzipien der naturgemäßen Waldwirtschaft orientieren. Dabei kann dies-und das sollte unbestritten sein- auch zurVerwendung von nicht bodenständigen Baumarten führen,die jedoch in jedem Fall im waldbaulichen Sinn standortgerecht sein müssen.

3. Umwandlung von nichtbodenständigen Waldbeständen der Auen

Ein weiterer wichtiger Bestandteil eines die gesamte Landschaft umfassenden Vernetzungs- programms muß den heute an vielen Stellen von nichtbodenständigen Baumarten bestockten Auenstandorten gelten. Diese Bestände sind in natürliche Auenwaldgesellschaften zurückzu- führen oder zu erweitern. Es handelt sich dabei nicht nur um flächige Auenwälder, sondern auch um Bachauen-Saumwaldgesellschaften, die im einzelnen relativ schmal ausgebildet sein können. Solche Auenstandorte sollen künftig nur noch im Rahmen von Pflegehieben einer Nutzung unterzogen werden. Ihre Sicherung und Erhaltung ist über entsprechende Festlegungen bei der Forsteinrichtung zu gewährleisten.

4. Waldrandgestaltung

Zur Stabilisierung der Waldrandbestände gegen Sturmwurf und Aushagerung sowie als erstrangige Vernetzungslinien ist durchgängig ein stufig aufgebauter Saum als Dauerwald in ausreichender Tiefe vorzusehen (vgl. hierzu auch Erlaß der Staatsforstverwaltung vom 04.08.86).DieserAufbau muß seine Fortführung längs derWaldinnenränderfinden.Dabei sind ausschließlich heimische Strauch- und Baumarten zu verwenden bzw. sind diese gezielt zu fördern.

Waldränder entlang stärker befahrener Verkehrswege sollen jedoch nicht ökologisch attraktiv gemacht werden, um eine Besiedlung durch freilebende Tiere zu verhindern, die früher oder später dem Verkehr zum Opfer fallen könnten. Waldaußen- und -innenränder sollten künftig nur noch im Rahmen von Pflegehieben einer Nutzung unterzogen werden. Ihre Sicherung und Erhaltung ist über entsprechende Festle- gungen bei der Forsteinrichtung zu gewährleisten.

5. Altholzinseln

Das bisherige Altholzinselprogramm mit seinen faunistisch-ornithologischen Schwerpunkten in Buchenwäldern wird abgerundet, wobei insbesondere zusätzliche Flächen im Kommunal- und Privatwald vorzusehen sind. Die Einzelflächen können zwischen 2 und 10 ha schwanken, während die Umtriebszeiten bei mind. 250 Jahren liegen sollten. Eventuelle Verluste von Altholzinseln sind auszugleichen. Die Funktionsfähigkeit der bestehenden Altholzinseln ist regelmäßig zu überprüfen. Das Nach- kommen neuer Altholzbestände ist nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit überall vorzu- schreiben.

Um die rechtliche Absicherung beweglich zu gestalten, genügtes, diese Altholzinseln bei der Forsteinrichtung sowie in der Landschaftsplanung der Kommunen einzutragen. Die anzustrebende Flächensumme sollte bei 3.000 ha (z. Zt. 1.700 ha) liegen.

199 6. Naturwaldreservate

Die in den hessischen Wuchsgebieten und Wuchszonen als potentiell-natürliche Waldpflan- zengesellschaften vertretenen Waldtypen müßten im Interesse genetischer Ressourcensiche- rung, aus vegetationskundlicher Sicht und für forstökologische Fragestellungen erhalten, bzw. -wo dies noch möglich ist - langfristig wiederhergestellt werden. Dazu ist eine Bestandsana- lyse notwendig, die den Ausgangsbestand in einer eingehenden Dokumentation festhält. Damit kann Hessen als letztes Bundesland den Anschluß an das bundesweite Programm „Naturwaldreservate" erlangen und muß konsequenterweise mit einer kontinuierlichen wissenschaftlichen Begleitforschung beginnen. Zur Ermittlung der Einflüsse des Schalenwildes sind kleinere Teilbereiche als Vergleichs- flächen durch Gatterung vor Wildverbiß wirksam zu schützen. Die Aufgabe der wissenschaft- lichen Begleitforschung für die hessischen Naturwaldreservate muß einerforstlichen Fakultät übertragen und von der Staatsforstverwaltung koordiniert und finanziert werden, wobei der Einsatz von Wissenschaftlern bzw.wissenschaftlichen Institutionen mit entsprechender Sach- kenntnis und Ausstattung erforderlich ist.

Die Naturwaldreservate müssen einerseits zonale, durch waldbauliche Maßnahmen wenig veränderte Waldgesellschaften umfassen - in Hessen also vornehmlich von Buchen, z.T.auch von Eichen beherrschte Waldbestände - zum anderen aber auch Bestände auf Sonder- standorten, die sich - vor allem in niederschlagsärmeren Gebieten - durch Exposition, Neigung oder Bodenbedingungen bereits an der ökologischen Grenze der für Wald erforder- lichen Netto-Stoffproduktion befinden. Sie sollen weiterhin Waldbestände repräsentieren, die durch extrem hohes Grundwasser und die damit verbundene Luftarmut im Wurzelraum der Feuchtigkeitssättigungsgrenze des Waldbodens nahe sind, so daß dort überhaupt nur noch speziell angepaßte Baumarten standortgemäß vertreten sind. Weitere Waldbestände, die durch Naturwaldreservate repräsentiert sein müssen, sind Blockschutt-Wälder. Das sind teil- weise solche mit reduzierter Wuchsleistung unter trockenwarmen Bedingungen und bei extremer Feinerdearmut; teilweise aber auch unter besonders günstigen, durch Lokalklima und bodenbedingten hydrologischen Standortverhältnissen solche mit recht hoher Produkti- vität auf eutrophem Blockschutt. Die rechtliche Absicherung der Naturwaldreservate soll im Hessischen Forstgesetz mit einem neuen Paragraphen „Naturwaldreservate" erfolgen. Bei einer Größenordnung von durch- schnittlich 20 ha je Naturwaldreservat wird ein Gesamtumfang von etwa 1.000 ha als notwendig und ausreichend angesehen.

7. Großräumige Waldnaturschutzgebiete und Nationalpark Alle bisherigen waldbaulichen Erkenntnisse sind ausschließlich in solchen Wäldern und Forsten gewonnen worden, die vom Menschen mehr oder weniger stark beeinflußt waren. Sie können daher nur teilweise zu einer objektiven Bewertung herangezogen werden. Um dieses Defizit auszugleichen, fordern die Naturschutzverbände - unabhängig von der Notwendigkeit der Ausweisung von Naturwaldreservaten -aus ökologischen,aber auch aus forstbotanischen Gründen größere zusammenhängende Waldflächen auf den unterschiedlichen Ausgangs- gesteinen Hessens (Buntsandstein, Schiefer, Basalt, Kalk, Grauwacke, Granit, Muschelkalk und alluviale Sande) aus der Nutzung zu nehmen und langfristig bis zum Erreichen des Klimaxstadiums sich selbst zu überlassen. Dabei sollten auch diese Bestände in Größen zwischen jeweils 200 und 1.000 ha auf unzerschnittenen Flächen sinnvoll über die Natur- räume und Höhenstufen Hessens verteilt werden und zwar in Anlehnung an die Wuchszonen nach KNAPP und die forstlichen Wuchsbereiche nach ZIMMERMANN. Sie werden im wesent- 200 lichen die für Hessen typischen Klimaxgesellschaften des Buchen- sowie Buchen-Eichen- Mischwaldes umfassen. In derartigen Klimaxbeständen ist dann das für den schlagweisen Hochwald kennzeichnende, ökologisch nicht übliche Nacheinander der waldbaulichen Entwicklungsphasen durchbrochen, und die verschiedensten Entwicklungsstände werden auf mehr oder weniger engem Raum nebeneinander vertreten sein. Damit entfallen hinsichtlich der Pflanzen- und Tierwelt auch die für den Wirtschaftswald charakteristischen, relativ kurzfri- stigen Phasen der Neubesiedlung und Wiederverdrängung. Auf diese Weise werden solche Bestände als Ganzes floristisch und faunistisch wesentlich vielfältiger sein. Darüber hinaus werden sie im Laufe der Zeit auch waldbauliche Erkenntnisse liefern, die für die künftigen, stärker auf Extensivierung hin zielenden naturgemäßen Wirtschaftsweisen von unschätz- barem Nutzen sein werden. Kriterium für das Erreichen des Klimaxstadiums ist ein Totholzanteil von 15 bis 20 0/oder Holz- masse. In solche großräumige Wald-Naturschutzgebiete wird man auch charakteristische, durch spezifische Nutzungsverhältnisse der Vergangenheit geprägte Bestände wie Schäl-, Nieder- oder Mittelwald mit einbeziehen, deren Erhaltung nicht nur aus kultur- und landschaftshisto- rischen Gründen dringend erwünscht ist, sondern wegen ihrer auch oft außerordentlich typischen Tier-und Pflanzenwelt. Letztlich sind größere Schutzgebiete auch als Pufferbereiche um die Naturwaldreservate erforderlich.

Die rechtliche Sicherung dieser Flächen, der wesentliche forstliche Beitrag zur Daseinsvor- sorge in Hessen, sollten in Form der Schutzkategorie „Naturschutzgebiet" erfolgen. Nur auf diese Weise werden sie vor Eingriffen in Folge von zufallsbedingten Tagesüberlegungen sicher sein.

Um den hier aufgeführten Zielen gerecht zu werden, ist die Ausweisung von rd. 25.000 ha Waldfläche als großräumige Wald-Naturschutzgebiete erforderlich.

Der BUND hat zur Abrundung des in sich geschlossenen waldökologischen Konzeptes die Ausweisung eines Nationalparks in Hessen gefordert. Die nördlichen gemäßigten und kalten Zonen sind derTei I der Erde, auf dem in nennenswertem Umfange stehendes und totes Holz als wesentlicher Teil des Ökosystems enthalten ist. Während in den Tropen - bedingt durch den sehr rasch erfolgenden Stoffumsatz - Biomasse schnell umgesetzt wird, trägt bei uns organisches Material und insbesondere totes Holz wesentlich zum Aufbau eines gewaltigen, in Streu und Humus angesammelten Nährstoffkapi- tals und damit auch zur Stabilität des Ökosystems bei. Wir haben daher in Mitteleuropa eine weltweite Verantwortung zur Erhaltung und Sicherung von Totholzbesiedlern mit ihren - weithin unbekannten - ökologischen Funktionen und ihrem genetischen Informationsgehalt. Totholzbesiedler - Pilze, Flechten, Insekten und die ausschließlich von ihnen lebenden Orga- nismen - sind häufig nur an ganz bestimmte, zeitliche, klimatische oder vom Zersetzungsgrad bedingte Phasen gebunden, die sie zum Aufbau lebensfähiger Populationen mosaikförmig verteilt auf großer Fläche benötigen. Dies bedeutet, daß bestimmte Zersetzungsstadien auf großer Fläche immer wieder anzutreffen sein müssen.

Aus dieser populationsbiologischen Notwendigkeit ergibt sich eine Mindestgröße solcher vollständig aus der Nutzung zu nehmenden Flächen, die in Mitteleuropa zwischen 5.000 bis 10.000 ha liegt. Konsequent bedeutet dies, daß nicht nur der Wald, sondern auch all seine sog. „Schädlinge" in das Schutzkonzept aufzunehmen sind, d.h., daß die gesamte Dynamik eines Ökosystems, der natürliche Ablauf von Prozessen, nicht mehr gestört und unterbrochen wird. Dies entspricht dem Systemschutz als der am weitesten ausgereiften Form aller Schutzkate- gorien, die heute bekannt sind. 201 In vielen Ländern der Erde hat man dies seit etwa 100 Jahren in mittlerweile 1.300 Fällen zu realisieren versucht; die UNESCO unterstützt diese Bemühungen mit ihrem Biosphären- Programm. Für uns in Hessen kommt dafür - unabhängig vom Ausgangsgestein, das hierbei nicht die entscheidende Rolle spielt - den Gesellschaften des Fagion-Verbandes, vor allem des Hainsimsen-Buchenwaldes eine besondere Bedeutung zu. Daher muß in Hessen - im zentralen Verbreitungsgebiet der Buche -eine entsprechend große Fläche gefunden und aus der Bewirtschaftung genommen bzw. gezielt wieder zur potentiell-natürlichen Vegetation durch zeitlich begrenzte Pflegemaßnahmen entwickelt werden. Die hierfür erforderliche Flächengröße sollte bei rd. 8.000 ha Buchenwald liegen.

Zur Zeit befindet sich das Konzept zur Umsetzung eines Nationalparks in Hessen beim zustän- digen Bundesministerium für Naturschutz und Reaktorsicherheit zur Beurteilung durch die Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und Landschaftsökologie. Erst nach Vorliegen eines Gutachtens dieser Anstalt sollte über das Projekt Nationalpark endgültig politisch entschieden werden.

8. Zusammenfassung Neben der Schonung der Auewaldbestände und der Schaffung funktionsgerechter Wald- innen- und Waldaußenränder umfaßt das hier vorgelegte „Waldökologische Konzept der Hessischen Naturschutzverbände":

Altholzinseln 3.000 ha Naturwald reservate 1.000 ha Großräumige Wald-Naturschutzgebiete 25.000 ha Wald-Nationalpark 8.000 ha

Summe 37.000 ha

202 III. Naturschutz in der Agrarlandschaft - Naturschutzprogramm mit der Landwirtschaft -

1. Präambel Zu allen Zeiten war der Mensch bestrebt, die Umwelt entsprechend seinen Ansprüchen zu gestalten.Vor allem durch die Landbewirtschaftung zur Nahrungsgewinnung wurde das Land- schaftsbild in Mitteleuropa entscheidend geprägt. Aus der Urlandschaft entwickelte sich über Jahrhunderte die heutige Kulturlandschaft. Diese Kulturlandschaft brachte uns eine Reihe zusätzlicher Lebensräume und durch diese Vielfalt eine große Zahl verschiedenster Lebewesen. Einem großen Teil unserer heimischen Tier- und Pflanzenarten wurde ein Leben in unseren Breiten erst durch die Kultivierung der Landschaft ermöglicht. Die Landbewirtschaftung erfolgte im wesentlichen naturnah, d.h. die natürlichen Regelkreisläufe behielten ihre Wirksamkeit. Infolge wirtschaftlicher Entwicklungen kam es in den letzten Jahrzehnten zu einer zunehmend intensivierten Landnutzung; diese betraf insbesondere auch den landwirtschaftlichen Bereich. Die natürlichen Regelkreisläufe wurden zunehmend durch Fremdstoffe und Fremd- energien ersetzt, die gleichzeitig die finanziellen Aufwendungen in die Höhe schnellen ließen. So wurde aus einerehemals strukturreichen Kulturlandschaft mit ihren mannigfaltigen Land- schaftselementen vielerorts auf großer Fläche die eintönige, maschinengerechte Agrarland- schaft. Wenn heute von Naturschutz gesprochen wird, dann ist damit „die Erhaltung einer mit vielen Lebensraumtypen abwechslungsreich strukturierten Kultur- landschaft" gemeint. Die zunehmende Zerstörung unserer Lebensräume vor Augen, haben wir uns in den vergan- genen Jahren darum bemüht, die letzten noch vorhandenen naturnahen Biotope in Natur- schutzgebieten zu sichern.Trotz allem hat sich die Artenverarmung weiterhin beschleunigt. Naturschutzarbeit, wenn sie erfolgreich sein soll, darf sich somit nicht nur auf Inseln in einer sonst lebensfeindlichen Umwelt beschränken; Naturschutz muß sich auf die gesamte Landesfläche erstrecken. Aus diesen Erkenntnissen wurde der Gedanke der B i o t o pve rn etzu n g als einzig gang- barer Weg für eine auch zukünftig erfolgversprechende Naturschutzarbeit entwickelt. Biotopvernetzung heißt: - Sicherung aller noch vorhandener ökologisch bedeutsamer Lebensräume in ihrer bis- herigen angemessenen Nutzungs-/Pflegeintensität - Gezielte/abgestimmte Entwicklung neuer Biotope - Abgestufte Extensivierung der Bodennutzung in allen Landesteilen. Der Partnerschaft zwischen Landwirten und Naturschützern kommt dabei die entscheidende Bedeutung zu: Nur in dem Miteinander „Natu rsch utz mit der Landwirtschaft" ist der Lebensraum des Menschen und der freilebenden Tier- und Pflanzenarten für die Zukunft zu sichern! Naturschutz ist eine Pflicht der Gesellschaft, Naturschutz darf daher nicht alleine auf dem Rücken der Landwirtschaft ausgetragen werden. Landwirte sind für ihren Beitrag zur Land- schaftspflege und zum Naturschutz zu entschädigen, soweit besondere Auflagen zu erfüllen sind. 203 Die derzeitig diskutierten Möglichkeiten zur Entlastung der EG-Agrarmärkte durch Natu r- sch utzp rogram me mit der Landwirtschaft sind die einmalige Gelegenheit, einer weiteren Verarmung unserer Umwelt entgegenzuwirken.

2. Erwartungen des Naturschutzes an eine zukünftige Agrarpolitik

Naturschutz im Sinne von Erhaltung der Kulturlandschaft kann langfristig nur durch flächendeckende Landbewirtschaftung sichergestellt werden. Die Favorisierung der bäuerlichen Familienbetriebe gegenüber anderen Formen landwirtschaftlicher Bodennutzung mußdeshalb oberstes Ziel der Agrarpo- litik sein. Nur die bäuerliche Landwirtschaft kann gewährleisten, daß Grenzertragslagen nicht der Branche anheim fallen und daß begünstigte Standorte wieder mehr werden, als reine Produktionsflächen für Nahrungsmittel und Rohstoffe. Folgende Erwartungen sind darüber hinaus an „Naturschutzprogramme mit der Landwirt- schaft" zu stellen:

I Extensivierung landwirtschaftlicher Bodennutzung

II Flächen umwidmung zur Entwicklung ökologisch bedeutsamer Lebensräume

Extensivierung und Flächenumwidmung müssen in einerausgewogenen Synthese als Natur- schutzmaßnahmen genutzt werden, wobei der Schwerpunkt auf der Extensivierung liegen muß.

III Landschaftspflege durch Landwirte auf Vorrangflächen für den Naturschutz

IV Entwicklung und Erprobung umweltverträglicher Produktionsmöglich- keiten Die Teilnahme der Landwirte an allen angebotenen Naturschutzprogrammen muß freiwillig erfolgen und über Verträge abgesichert werden. Die Motivation zur Teilnahme sollten insbe- sondere angemessene und attraktive Ausgleichszahlungen sein; sie könnte auch dadurch erfolgen, indem man den Landwirten eine Vielzahl von Programmen anbietet und dadurch eine Anpassung an unterschiedliche Betriebsstrukturen ermöglicht.

2.1 Extensivierung landwirtschaftlicher Bodennutzung

Definition: Extensivierung landwirtschaftlicher Bodennutzung bedeutet Reduzierung der Aufwands- mengen bei den Betriebsmitteln (Dünger, Pflanzenbehandlungsmittel) sowie die Durchfüh- rung einer vielgestaltigen Fruchtfolge. Die Hessische Landesregierung sollte einen Vorstoß im Bundesrat unternehmen, eine Abgabe auf stickstoffhaltige Düngemittel mit einem produktionsneutralen Einkommensausgleich einzuführen.

Anwendungsgebiete: Programme zur Extensivierung landwirtschaftlicher Bodennutzung müssen für die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche Hessens angeboten werden. Um den Landwirten eine Anpas- 204 sung an die unterschiedlichen Betriebsstrukturen zu ermöglichen, könnte eine Vielzahl von Extensivierungsprogrammen zur Wahl gestellt werden. Die Teilnahme von Landwirten an diesen Programmen ist freiwillig.

Programme:

Die bisher in Hessen praktizierten Extensivierungsprogramme sind ein erster entscheidender Schritt, der sowohl einer erheblichen finanziellen als auch einer inhaltlichen Erweiterung bedarf. Ausgleichszahlungen sind an den Ertragsverhältnissen zu orientieren - von einheit- lichen Ausgleichszahlungen ist weitgehend abzusehen. Im einzelnen sollten Verträge zu folgenden Programmen angeboten werden.

1.Ackerrandstreifenprogramm

Bei der Auswahl der Ackerrandstreifen sind zukünftig verstärkt auch faunistische Gesicht- spunkte zu berücksichtigen. Es wird angeregt, zukünftig auch Ackerflächen in das Programm einzubeziehen.

2. Wanderbrache-Programm

Das von den hessischen Naturschutzverbänden über die Naturlandstiftung Hessen e.V. angeregte Wanderbrache-Programm zur Einbindung einer kurzfristigen, in der Regel einjäh- rigen Brache in der Fruchtfolge sollte erstmalig hessischen Landwirten angeboten werden.

3. Uferschonstreifen-Programm

Bei Bau- und Unterhaltungsmaßnahmen entlang der Gewässer ist ein beidseitiger Schutz- streifen von mindestens 10 m Breite im Rahmen der Richtlinien für die Durchführung des Uferschonstreifen-Programmes nur extensiv von der Landwirtschaft zu nutzen. Dafür erhalten die Landwirte eine vertraglich festgelegte Ausgleichszahl ung,zunächst für ein Jahr, wobei eine Verlängerung auf weitere Jahre möglich ist.

4. Programm zur Förderung vielfältiger Kulturarten/Sorten

In einem weiteren Programm sollten der Anbau und der Absatz selten gewordener oder im Anbau rückläufiger Kulturarten/Sorten gefördert werden.

5. Programm zur Förderung der Rückführung von Ackerflächen in Grünland

Durch ein finanzielles Angebot und durch die sinnvolle Umverteilung freiwerdender Milch- quoten sollte ein Anreiz für die Rückführung von Ackerflächen in Grünland, insbesondere in den Auenschutzgebieten, geschaffen werden.

Die Einsaat von polyploiden Futterpflanzen auf derartigen Flächen ist jedoch nicht erwünscht. Wünschenswert wäre die Kopplung dieses Programmes an das Programm zur „Förderung ökologisch wertvollen Grünlandes". Die entsprechenden Honorare sollten nur gezahlt werden für umzuwandelnde Flächen, die vor der Sicherstellung bereits umge- brochen waren.

6. Ausgleich für Auflagen des Umbruchverbotes

Zur Erhaltung der hessischen Auen ist es eine vordringliche Forderung des Naturschutzes, diese Gebiete durch die Ausweisung von Landschaftsschutzgebieten vor einem weiteren Grünlandumbruch zu bewahren. Dieses Schutzkonzept muß zukünftig auch auf Grünland anderer Lagen ausgedehnt werden. 205 Diese Auflagen engen die Möglichkeiten einer selbständigen Betriebsführung der Landwirte erheblich ein. Die Landwirte sind für Auflagen in Härtefällen, z.B.durch die Zuteilung weiterer Milchquoten, zu entlasten.

7.Programm zur Förderung ökologisch wertvollen Grünlandes Das Programm zur Extensivierung der Grünlandnutzung sollte durch finanzielle Aufstok- kung weiter ausgedehnt werden.

8.Erschwernisausgleich für die Landnutzung Dieses Programm sollte in der bisherigen Form fortgeführt werden.

Programme zur Förderung extensiver landwirtschaftlicher Bodennutzung müssen sich auch auf solche Bereiche beziehen, in denen eine Nutzung durch mangelnde Attraktivität in den letzten Jahren weitgehend eingestellt wurde:

9. Magerrasen- und Zwergstrauchheiden-Programm Zur Erhaltung dieser ökologisch bedeutenden Standorte hat derzeit ein solches Programm oberste Priorität (siehe Resolution der 29er-Verbände). Ein derartiges Programm soll die extensive Pflege dieser Standorte mittels Schaf- und Ziegenbeweidung sicherstellen, um die Verbuschung langfristig auszuschließen.

10.Streuobst-Programm Ein Programm zur Pflege, Erhaltung und Neuanlage von Streuobstbeständen sollte, wie vom HMLFN in Zusammenarbeit mit den Verbänden entwickelt, schnellstmöglich ange- boten werden. Die Möglichkeiten der ökologischen Verwertung des Obstes sind vorrangig zu verbessern.

2.2 Flächenumwidmung zur Entwicklung ökologisch bedeutender Lebensräume

Definition: Durch Flächenumwidmung sollen landwirtschaftlich genutzte Grundstücke endgültig dem Naturschutz zugeführt werden; sie erbringen zukünftig kaum noch landwirtschaftliche Erträge. Anwendungsgebiete:

Die Notwendigkeit einer Flächenumwidmung muß sich an der ökologischen Notwendigkeit der Naturräume orientieren. So gibt es Gebiete, in denen eine weitere Flächenumwidmung nicht wünschenswert erscheinen kann (z.B. Vogelsberg), während in der Wetterau oder dem Waberner Becken Flächenumwidnnungsprogramnne verstärkt zur Wirkung kommen müssen.

Programme

Programme zur Flächenumwidmung ermöglichen die Sicherung von Grundstücken für Natur- schutzzwecke durch Ankauf und Anpachtung und deren Entwicklung durch Gestaltungs- und Pflegemaßnahmen. 206 Durch Flächenumwidmungsprogramme besteht die einmalige Möglichkeit, hessische Land- schaften erneut mit ökologisch bedeutenden Lebensräumen auszustatten, soweit diese Biotope durch den Menschen gestaltbar sind:

11. Feldholzinselprogramm

Das Feldholzinselprogramm als ältestes hessisches Biotopschutzprogramm ist fortzu- führen. Eine Ausdehnung auf die Förderung der Anpflanzung von Windschutzhecken und Einzelbäumen ist in Erwägung zu ziehen.

12. Waldrand-Programm

Der Waldrand als Übergang zwischen Wald-und Agrarlandschaft erfüllt als „Ökoton"wert- vollste Vernetzungsfunktionen. Ein Programm zur Anlage von Waldrändern mit ökolo- gischer Bedeutung ist für die hessische Naturschutzarbeit zwingend erforderlich. Das Flächenpotential zu diesem Programm muß sich in erster Linie aus ehemaligen Forst- flächen rekrutieren (siehe Programm „Naturnaher Wald" der Hessischen Naturschutzver- bände). In Ergänzung sind an den Waldrand angrenzende landwirtschaftliche Nutzflächen, wenn möglich, in Extensivierungsprogramme (keine Düngung, keinen Biozideinsatz) einzube- ziehen.

13. Bachrand-Programm Die Ufer von Fließgewässern sind entscheidende Bestandteile eines Biotopverbund- systems. In einem Naturschutzprogramm sollten 5 -10 Meter breite Streifen entlang der Fließgewässer ausschließlich zu Naturschutzzwecken umgewidmet werden. Dies ist bei Planfeststellungsverfahren/Flurbereinigung etc. zu berücksichtigen. Das Programm ermöglicht die Ausbildung naturnaher Ufer und deren Vegetation und schirmt die Gewässer gegen den Eintrag von Schadstoffen ab. (Zur extensiven landwirt- schaftlichen Nutzung am Ufer grenzender Flächen siehe 2.1 - 3)

14. Bereitstellung von Flächen für Artenschutz-Programme

Geeignete landwirtschaftliche Nutzflächen sind in gesonderten Programmen für Maßnahmen des Artenschutzes bereitzustellen.

15.Ankauf/Anpachtung von Grundstücken für Naturschutzzwecke

Neben dem Ankauf von Flächen ist auch die Anpachtung als Möglichkeit der Flächenum- widmung für Naturschutzzwecke zu nutzen. In den Pachtverträgen ist der Pächter von Verpflichtungen nach § 591 BGB zu entbinden.

16.Investitionsprogramm Naturschutz

Zur Durchführung von Gestaltungsmaßnahmen auf umgewidmeten Flächen sind Mittel im „Investitionsprogramm-Naturschutz" des Naturschutz-Haushaltes verstärkt bereitzu- stellen.

2.3 Landschaftspflege durch Landwirte auf Vorrangflächen für den Naturschutz

Um ihren biologischen Wert zu erhalten, bedürfen Naturschutzflächen einer fachgerechten Unterhaltung. Diese Erhaltungsmaßnahmen sind weder durch ehrenamtliches Engagement der Naturschutzverbände noch durch erhebliche staatliche Aufwendungen alleine zu sichern. 207 In den Landwirten stehen geeignete Partner zur Übernahme derartiger Aufgaben zur Verfü- gung. Diese besitzen in der Regel die notwendige Fachkenntnis,die Maschinen und Arbeitska- pazitäten. Die Landwirte sind für ihre Leistungen zur Landschaftspflege zu honorieren. Die Hessische Landesregierung sollte sich für rechtliche/steuerliche Erleichterungen zugunsten landschaftspflegender Landwirte einsetzen. Das von den Naturschutzverbänden in der Naturlandstiftung Hessen e.V. entwickelte Programm „Landwirtschaftliche Pflegegemeinschaften" sollte vordringlich (1987) in einigen bereits begonnenen Pilotprojekten mit der noch notwendigen finanziellen Ausstattung fortge- führt werden. Darüber hinaus sollte dieses Programm baldmöglichst hessenweit ausgedehnt werden.

2.4 Entwicklung und Förderung umweltschonender Produktionsmög- lichkeiten Umweltverträgliche Landwirtschaft als eine wichtige Grundlage und ein zugleich wichtiges Ziel einer jeden Naturschutzpolitik muß sich orientieren an

- einer standortgemäßen und bodengebundenen Produktion

- betriebsinternen Nährstoffkreisläufen - einer Vielgestaltigkeit der Fruchtfolge, der Feldflur etc. -einer Vielfalt der Grünlandnutzung (Mäh- und Weidenutzung, Mähtermine, Düngeintensität, Pflege etc.) - einem möglichst geringen Einsatz von „Agrochemie"

- bodenschonenden Bearbeitungs- und Bewirtschaftungsformen u.a. Neben den Bemühungen des sogenannten integrierten Landbaus sind in diesem Zusammen- hang besonders die Formen des kontrolliert ökologischen Landbaus wichtige Ansätze einer umweltverträglichen Landwirtschaft, die auf „ganzer Fläche" die Naturschutzproblematik wesentlich entschärfen kann, die spezielle Behandlung und Pflege bedürfen, weil sie in den Rahmen einer modernen umweltverträglichen Landwirtschaft nicht mehr zu integrieren sind. Die Förderung umweltgerechter Landbewirtschaftungsformen und der diesbezüglichen Bera- tung sowie wissenschaftlich abgesicherte und betreute Biotopsicherung sind daher die beiden Standbeine einer zukunftsorientierten Naturschutzpolitik. Ergänzt werden sollen diese Bemühungen durch eine Förderung der Verwertungsmöglich- keiten der unter besonderen Bedingungen erzeugten landwirtschaftlichen Produkte (z.B. Gütezeichen für Milch aus Auenschutzgebieten....)

3. Agrarpolitische Vorhaben, die nicht den Vorstellungen des Naturschutzes entsprechen Aus ökologischer Sicht sind einige Maßnahmen zur Entlastung der EG-Agrarmärkte abzu- lehnen:

3.1 Förderung von Ersatzprodukten, die nicht der Ernährung dienen

Es sind hier u.a.Anbau und Gewinnung pflanzlicher Produkte für technische Zwecke (z.B.zur Herstellung von Biosprit, Gewinnung von pflanzlichen Ölen als Treibstoff oder als technische Schmiermittel) zu nennen.

Der Anbau solcher Kulturpflanzen ist nur akzeptabel, wenn er zur Erweiterung der Fruchtfolge führt und nicht mit erhöhtem Betriebsmitteleinsatz verbunden ist. 208 3.2 Uneingeschränkte Neubegründung von Waldflächen Die Neubegründung von Waldflächen ist in diesem Zusammenhang zwar gesondert zu beur- teilen; sie ist gleichwohl aus Naturschutzsicht nicht unproblematisch:

- Die Verringerung der Überproduktion durch Umwandlung von landwirtschaftlichen in forst- wirtschaftliche Flächen löst auf den übrigen landwirtschaftlichen Flächen kaum eine Entla- stung vom Intensivierungsdruck aus.

- Aufforstungsmaßnahmen dürften sich in erster Linie auf Bereiche ungünstigerer Ertragsbe- dingungen konzentrieren. Hier ist, abgesehen von der ohnehin höheren Bewaldungsdichte, meist auch der Anteil naturnaher Biotope höher (i.d.R. Grenzertragsböden), die für Auffor- stungen dann herangezogen werden. Die bisherige Waldentwicklung unterstreicht diese Annahme (Zunahme der Waldflächen in landwirtschaftlichen Problemgebieten bei gleich- zeitiger Abnahme in den übrigen Bereichen). Dies muß zu einem erheblichen Verlust natur- naher, relativ artenreicher Biotope führen, so daß das Problem des Artenrückganges eher noch verschärft würde.

- Waldbegründungen sind zwargrundsätzlich im Sinne des Klima-und Bodenschutzes positiv zu beurteilen; eingeschränkt müssen diese Wirkungen jedoch dann bleiben, wenn sich Aufforstungen auf Gebiete mit relativ hohen Bewaldungsprozenten konzentrieren (vgl.oben). In Intensiv-Agrargebieten kann dagegen die Aufforstung von stillzulegenden Landwirt- schaftsflächen (Acker- und Intensivgrünland) ökologisch durchaus sinnvoll sein.

3.3 Umwidmung von Agrarflächen für Freizeit und Erholung

Kritisch ist in diesem Zusammenhang zu werten, wenn Agrarflächen verstärkt für Freizeit und Erholung genutzt werden. Der Trend zur Zunahme von intensivem Freizeit- und Erholungsbe- trieb läßt erwarten, daß dann anstelle des Problembereiches Landwirtschaft ein anderer Problembereich treten wird, der in seinen ökologischen Auswirkungen noch nicht abschätzbar ist.

4. Umsetzung Die Entwicklung derangeregten Programme sollte in engerZusammenarbeit zwischen Natur- schutzverbänden, Naturschutzverwaltung und Landwirtschaftsverwaltung erfolgen. Bei der landesweiten Umsetzung werden die Behörden gerne von den Verbänden unterstützt.

Flurneuordnung Bei der Umsetzung von Biotopverbundsystemen,vorallem bei der Erarbeitung und Umsetzung von Konzepten zur Umwidmung von Flächen für Naturschutzzwecke bietet sich das Instru- mentarium der Flurneuordnung an.

Grundstücke des Landes Hessen, der Hessischen Landgesellschaft mbH Beispielhaft sollten die hessischen Staatsdomänen an diesen Programmen partizipieren und ihre Stellung als ökologische Musterbetriebe herausstellen. Domänenstreubesitz sollte bei auslaufenden Pachtverträgen weitgehend der Flächenumwidmung zugeführt werden. Darüber hinaus sollte Domänenland in Härtefällen privaten Landwirten als Tauschland zur Verfügung stehen. 209 Naturschutzgebiete

Für Naturschutzgebiete ist eine praktikablere Entschädigungsregelung notwendig. Mit der Pflege von Naturschutzgebieten sollten in der Regel Landwirte beauftragt werden.

5. Ergänzende Literatur Die Naturschutzverbände unterstützen die: Hess. Landesanstalt für Umwelt (1987): Gemeinsame Empfehlungen der Landesanstalten/ -ämter für Umwelt-, Naturschutz und Landschaftspflege zur Berücksichtigung von Zielen des Naturschutzes und der Landschaftspflege bei der Extensivierung und Flächenstillegung im Bereich der Landwirtschaft. Natur und Landschaft, 62. Jahrg., H.2: S. 57- 61.

6. Schlußbemerkung In der notwendigen Neuorientierung der Agrarpolitik sehen die Naturschutzverbände die großartige Möglichkeit zur Erhaltung und nachhaltigen Sicherung einer vielgestaltigen Kultur- landschaft und damit der Sicherung der Lebensgrundlage des Menschen und der zu diesen Biozoenosen gehörenden Tier- und Pflanzenarten.

„Naturschutzprogramme mit der Landwirtschaft" müssen diese Neu- orientierung prägen.

Anschriften der Verfasser: Botanische Vereinigung für Naturschutz in Hessen e.V.,Wetzlarer Straße 16,6335 Lahnau 16

Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - Landesverband Hessen e.V., David-Stempel-Straße 1,6000 Frankfurt/Main Deutscher Bund für Vogelschutz - Landesverband Hessen e.V., Friedenstraße 25, 6330 Wetzlar Deutsche Gebirgs- und Wandervereine - Landesverband Hessen e.V., Oskar-Seifert-Straße 60, 6414 Hilders

Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz e.V., Schneckenhofstraße 35, 6000 Frankfurt/Main 70

Landesjagdverband Hessen e.V., Am Römerkastell 9, 6350 Bad Nauheim Schutzgemeinschaft Deutscher Wald - Landesverband Hessen e.V., Neue Mainzer Straße 54 - 56, 6000 Frankfurt/Main

Verband Hessischer Sportfischer e.V., Kaiser-Friedrich-Ring 52, 6200 Wiesbaden 210 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen • Vogel und Umwelt 4: 211-214 (1987)

Anforderungen an eine integrierte Planung des Naturschutzes und der Abgrabungsindustrie - Erfahrungen in Hessen - * von WILLY BAUER, Frankfurt am Main

Als vor 20, 30 Jahren einige frühe Rufer die Einbindung von Wüsteneien, wie ausgebeutete Lagerstätten mineralischer Rohstoffe, in Naturschutz-Konzepte forderten, wurden sie für verrückt erklärt - mich eingeschlossen. Verfüllung dieser Landschaftsschäden mit allem, was gerade zur Hand war,zur anschließenden Wiedernutzung durch Land-und Forstwirtschaft galt als vorbildlichste Lösung. Wegen Massendefizites entstehende, unvermeidbare Restlöcher wurden zu willkommenen Bade- und Angel-Seen vor allem in den Randlagen der Ballungs- gebiete „rekultiviert"-was immer man damals darunter verstand. Übrig blieben aus dieser Zeit vor allem einige steilwandige Kiesgruben, für die eine „vernünftige" Lösung nicht gefunden werden konnte, vor allem nach oft schnell hintereinander folgenden Pleiten der jeweiligen Betreiber. Heute freuen wir uns gerade über diese „Altschäden", haben sie sich doch längst zu fast schon stabilen Ökosystemen entwickelt, sind häufig letzte Rückzugsgebiete in einer völlig ausge- räumten Kulturlandschaft. Allerorten wird seitens des amtlichen wie privaten Naturschutzes gefordert, einen Flächenanteil von 20 -30 % an den ausgebeuteten Lagerstätten als „Natur aus zweiter Hand" dem Naturschutz zur Verfügung zu stellen. HEYDEMANN mahnt sogar 70 0/0 an - wir sollten ihm folgen. Inzwischen ist eine kaum noch übersehbare Literaturflut zu diesem Thema erschienen, die in der Begründung des heutigen Zugriffs des Naturschutzes z. B. auf Kiesgruben mit einem groben Raster wie folgt zusammengefaßt werden kann:

1. Noch im letzten Jahrhundertformten die zum großen Teil unverbauten Flüsse in ihren breiten Betten eine Vielfalt von verschiedenen Lebensräumen für Tiere und Pflanzen, wie wir sie heute nicht mehr antreffen.

2. In diesem Jahrhundert schufen wir mit wirtschaftlicher Zielsetzung - vielfach neben den kanalisierten Flußläufen in Form von Kiesgruben ein Mosaik vielgestaltiger wasserfüh- render Strukturen mit reichen Rand-Effekten, die allerdings in den letzten 20 -30 Jahren zunehmend durch einförmige Grubenkörper vor allem im Uferbereich ersetzt wurden.

3. Diese Entwicklung aufzuhalten und einen Teil der ausgebeuteten Lagerstätten nach den Bedürfnissen bedrängter Tier- und Pflanzenarten zu renaturieren - wie wir es verstehen - ist das Gebot der Stunde. Dem Braunkohlebergbau gegenüber argumentieren wir ähnlich: Mit der Entwässerung der Talauen in der Wetterau und der Schwalm - im wesentlichen zugunsten der Landwirtschaft, aber auch für den Bergbau - gingen ca. 3000 ha Überschwemmungsflächen verloren.

*Vortrag vor dem Naturschutzzentrum NRW in Aachen am 14. November 1986 211 Entsprechend renaturierte Restlöcher und die Erhaltung der aus dem Tiefbau resultierenden häufig überschwemmten Senkungsgebiete können unter bestimmten Voraussetzungen die Funktion der zuvor vernichteten Lebensräume wenigstens teilweise wieder übernehmen.

Bevor ich zu meinem eigentlichen Thema übergehe, möchte ich kurz das Erreichte in Hessen skizzieren. Unser Land ist mit den im Quartär entstandenen reichen fluviatilen Kies- und Sandlagerstätten in den Stromtälern von Rhein und Main, dem Altneckar, von Lahn, Ohm, Eder, Fulda und Werra sowie am Unterlauf der Kinzig ausgestattet. Die Reserven in ver- kehrsgünstig liegenden Vorkommen-nahe dem Rand der wirtschaftlichen Ballungsgebiete- reichen noch für lange Zeit. Der Braunkohlebergbau in der Wetterau, dem Werra-Bergland und im Schwalm-Eder-Gebiet geht dagegen seinem Ende entgegen und wird das neue Jahrtausend nicht erreichen. Die viel- fach nur kleinflächigen Tongruben spielen für den Naturschutz nur eine untergeordnete Rolle. Um ehemalige Tagebauten auf Kieselgur, Eisen und Bauxit bemühen wir uns am Rande. Z. Zt. sind im Rahmen der Regionalen Raumordnungspläne in Hessen 35.000 ha als Vorrang- gebiete für den Abbau oberflächennaher Lagerstätten festgeschrieben =1,7% der Landes- fläche. Hiervon entfallen 4.500 ha auf Lagerstätten von Kies und Sand in allen Stadien des Abbaus. Das Hessische Naturschutzgesetz sieht vor, daß Abbauflächen zu Naturschutzge- bieten entwickelt werden können. Um dies zu erreichen, sind die abzubauenden Flächen einstweilig sicherzustellen und nach einem von der Oberen Naturschutzbehörde aufzustel- lenden Regenerationsplan herzurichten. Werden hierbei im Vergleich zu herkömmlichen Rekultivierungsverfahren Einsparungen erzielt, sind diese an die staatliche Ausgleichskasse abzuführen. Die Sicherstellungsfrist kann 10 Jahre umfassen.

Mit diesem nicht leicht abzuwehrenden Instrument gelang es uns bisher, 29 Kiesgruben mit 525 ha Gesamtfläche als NSG sichern zu lassen =12 0/oder obengenannten 4.500 ha. Hiervon entfallen neun Gebiete auf Anteile an solchen mit mehrfach - bzw. jahreszeitlich gestaffelter Nutzung. Solche „Jugendsünden" haben sich nicht bewährt. Heute engagieren wir uns nur noch in solchen Projekten, in denen der Naturschutz das Sagen hat. Auch die sogenannte „stille Erholung" (Rundwanderwege und Angelbetrieb) kann in einem echten Regenerations- gebiet nicht geduldet werden. Etwa 1992 wird der Braunkohlebergbau in Hessen auslaufen. Sie alle kennen die Auseinan- dersetzungen um eine vorübergehende Wiederaufnahme des Braunkohlebergbaus Anfang der 80er Jahre auf dem Hohen Meißner. Hier machte der private Naturschutz nicht mit, so daß diese Pläne schließlich fallen gelassen wurden. Trotz dieser harten Auseinandersetzung konnten wir uns schließlich in jahrelangen Verhandlungen mit den Bergämtern und dem einzigen bedeutenden Grubenunternehmen im hessischen Braunkohlebergbau, der Preu- ßen-Elektra (PREAG) über die Verwertung der Restlöcher einigen: Von den insgesamt 10 verbleibenden Restlöchern mit einer Fläche von 520 ha erhält der Natur- schutz drei mit einem Anteil von 40 0/0 (einschließlich dem größten mit 130 ha bei Borken). Nur drei werden der Intensiverholung überlassen, die übrigen bleiben in der Verfügung der PREAG, zur Sicherung der weiteren Nutzung der Kraftwerksstandorte Wölfersheim und Borken. Eine ähnliche Einigung erzielten wir für die Senkungsgebiete, Kippen und kleineren Restlöcher. Ich glaube, daß wir in Hessen allen Anforderungen, die man an eine integrierte Planung des Naturschutzes und der Abgrabungsindustrie stellen kann, bei der Renaturierung der Braun- kohlerestlöcher gerecht wurden. Die Naturschutzbehörden waren so weise, die wesentlichen Verhandlungen uns, einem privaten Naturschutzverband, zu überlassen. Die PREAG wußte, daß hinter uns die Behörden mit notfalls schmerzhaften hoheitlichen Akten standen. 212 Diese reichten von der Sicherstellung bis zu teuren Abschlußbetriebsplanungen. In mühsamer Überzeugungsarbeit vor Ort konnten wir die meisten unserer Wünsche (wie z. B. Belassung möglichst unregelmäßiger Strukturen an Grubenwänden und auf den Grubenböden, die Nutzung von Grubenzufahrten und Aschekippen zur Schaffung von Flachwasserzonen, die Abwehr aus unserer Sicht unerwünschter Bepflanzungen und Einleitungen usw.) durchsetzen. Das Unternehmen sah sich ständig der Gefahr des Vorwurfes ausgesetzt, eine „Mondlandschaft" zu hinterlassen. Geduldig leisteten wir die Öffentlichkeitsarbeit mit der Erklärung, eben dies sei das Ziel des Naturschutzes. Wir überredeten schließlich das Land, eine absolut nicht zu stabilisierende Rutschwand im Tagebau Altenburg IV bei Borken anzu- kaufen, für die PREAG ein Alptraum, für den Naturschutz ein geologisches Bilderbuch mit der Möglichkeit jahrzehntelanger Sukzessionsforschungen. Mit entscheidend war die ebenfalls von uns koordinierte Beteiligung der Flurbereinigungsbehörden, die zugunsten von Land- wirten mit erheblichen Flächenverlusten drei Verfahren nach § 87 Flurbereinigungsgesetz abwickeln und dabei das Kunststück fertig bringen mußten, nochmals rd. 60 ha Land um die endgültige Uferlinie herum zu legen, damit der Gestaltung der Ufer nach den Belangen des Naturschutzes genügend Bewegungsfreiheit verblieb. Eine solche Partnerschaft, die uns jetzt seit über 10 Jahren mit diesem Unternehmen verbindet, läßt sich in Form einer integrierten Planung auf eine Vielzahl miteinander konkurrierender meist mittelständischer und kleiner Firmen, wie sie die hessischen Kiesunternehmen darstellen, nicht übertragen. Als Verband versuchten wir dies erst garnicht, sondern bemühten uns hier um eine integrierte Planung durch die Behörden. Dies erwies sich jedoch als unmög- lich; wir hätten es eigentlich voraussehen müssen. Außer den bereits angedeuteten „Vorrang- gebieten" kam nichts heraus. Es gelang den Naturschutzbehörden nicht:

1. einen mittelfristigen Bedarfsüberblick in den Abbauregionen zu gewinnen, noch rechtzeitig bei erkennbaren Bedarfkonzentrationen (Autobahnbau etc.) koordinierend mit Blickrich- tung Nachnutzung auf neuentstehende Gruben einzugreifen;

2. den Genehmigungsbehörden Untere Naturschutzbehörden (bei uns Organ des Kreisaus- schusses) sowie den Bergämtern (bis Mitte 1985 im Zuständigkeitsbereich des Wirt- schaftsministeriums) nennenswerte Auflagen zur Nachnutzung aufzuerlegen;

3. die Planungshoheit derGemeinden im Sinne einer Bündelung des Abbaus zu beeinflussen ; 4. die Wünsche der Gemeinden und Kiesunternehmer-oft im Verbund -im Hinblick auf lukra- tive Nachnutzung - ich erspare mir die Aufzählung des üblichen Katalogs - im Sinne des Naturschutzes nennenswert zu begrenzen.

Dieser unbefriedigenden Ausgangsposition etwa Mitte der 70er Jahre haben wir einige der erwähnten „Kompromißgeburten" zu verdanken, an deren Entflechtung wir z. Zt. arbeiten. Eine Besserung für den Naturschutz trat erst ein, als sich auch hier die Naturschutzverbände in jeden Einzelfall nach eigenen Planungsüberlegungen zur Gewinnung eines vernetzten Systems einschalteten.

Kenntnisse der lokalen Infrastruktur, der „Strömung im Dorr, der Kommunalpolitik, der Geschäftsgebaren und der wirtschaftlichen Situation der einzelnen Kiesunternehmer, vor allem seiner Rohstoffbasis, bilden zusammen eine Verhandlungsposition, die sich eine Behörde niemals verschaffen kann. Wenn es dann noch gelingt, dem Unternehmer zu vermitteln, seine Belange bei den Behörden zu unterstützen, wenn er den Wünschen des Naturschutzes maximal entgegen kommt, steht meist einem Kiesgrubenprojekt, das auch der Naturschutz mittragen kann, nichts mehr im Wege. 213 Als Beispiel sei eine 20 ha große Kiesgrube der Firma Oppermann bei Albungen im Werra- Meißner-Kreis erwähnt, die von Beginn der Förderung an unter einstweiliger Sicherstellung steht. Der Regenerationsplan schreibt punktgenau vor, wie der Grubenboden, die Flach- wasserzonen mit Böschungswinkeln von 1: 5 bis 1:10 angelegt werden müssen, die Gestal- tung der Ufer mit Bermen, sterilstem Oberboden usw. zu erfolgen hat.

Eine Gewinnmaximierung ist unter diesen Umständen natürlich nicht möglich. Dies werden auch Kies- ebenso wie andere Unternehmer- zuvor lernen müssen.

Ich bedauere, Ihnen kein Patentrezept zur integrierten Planung aus Hessen liefern zu können. Dieses müßte m. E. umfassen:

1. Bindung der Gemeinden im Rahmen der Regionalen Raumordnungspläne an Förder- schwerpunkte nach Gesichtspunkten der voraussichtlichen Bedarfsentwicklung - quanti- tativ wie regional.

2. Erteilung der Abbaugenehmigungen nur auf Nachweis (oder Festlegung auf späteren Erwerb) von ausreichenden, unverritzten Flächen zur Ufergestaltung des Restlochs. 3. Festlegung der Nachnutzung schon bei Erteilung der Abbaulizenzen; keine Doppelnut- zungen.

4. Dementsprechende, abschnittsweise Renaturierung nach bewährten, dem Umfeld der Lagerstätte entsprechenden Modellen. 5. Sicherung der renaturierten Gruben als Naturschutzgebiete, ggf. durch vorausgegangene einstweilige Sicherstellung.

Ganz allgemein möchte ich Ihnen noch einmal dringend die Einschaltung der §29-Verbände mit entsprechendem Sachverstand empfehlen. Hierdurch gelang in Hessen ein,wie ich meine, erster Durchbruch. Auch bei uns gilt es noch vieles zu verbessern. Die Zusammenarbeit der Behörden untereinander wird sich in Zukunft hoffentlich leichter koordinieren lassen, nachdem jetzt Oberbergannt, Oberste Wasserbehörden und die Oberste Naturschutzbehörde unter einem Dach, dem Umweltministerium, sitzen. Den Unternehmen gilt es klar zu machen, daß der Naturschutz nicht jede künftige Neuprojektion von Kiesgruben verhindern, sondern lediglich seinen Anteil haben will. Dafür kann den Unternehmen Unterstützung vor mancher sinnlosen Rekultivierungsauflage gewährt werden, die ihre Rechnung in der Vergangenheit belasteten. Es gilt auch den Normenperfektionismus der Behörden zu bekämpfen, die die Verwendung hochwertiger Quarzsande oder Qualitätskiese vorschreiben,wenn es auch Hart- steinsplitter tun, die man vor Ort gewinnen kann. Hier neue Wege zu suchen, wäre ein echter Beitrag zur Schonung unserer Rohstoffresourcen. Sei es, wie dem sei: es ist müßig darüber zu spekulieren, ob wir künftig 3000 ha Land jährlich in der Bundesrepublik zur Kiesgewinnung anschneiden müssen, oder gar 5000 - 7000 ha- ich glaube, sehrviel weniger. Irgendwann um 2000 - 2100 herum, werden wir Kiesgruben -ausgekiest oder im Betrieb -von der dreifachen Größe des Bodensees in der BRD haben. Der Naturschutz muß jedes einzelne Objekt auf seine Eignung als „Natur aus zweiter Hand" prüfen. Aus wissenschaftlicher Sicht verfügen wir über genügend Grundkenntnisse, um dies bewerkstelligen zu können. Danach gilt es, diesen Anspruch global im politischen Raum ebenso wie jeder anderen denkbaren Interessen- gruppierung gegenüber durchzusetzen.

Anschrift des Verfassers: WILLY BAUER, Schneckenhofstraße 35, 6000 Frankfurt am Main 70 214 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen • Vogel und Umwelt 4: 215-246 (1987)

Die Haltung und Zucht von Vögeln und anderen Wildtieren - Arten- schutz der Zukunft? von EBERHARD SCHNEIDER, Göttingen und RALF SCHULTE, Hameln

Inhalt Seite

1. Einleitung 216 1.1 Einheimische Vogelarten 217 1.2 Gegenstand dieses Beitrages 217 1.3 Eine Tierart sei definiert 217

2. Wildtiere und Haustiere 218 2.1 Coevolution 218

3. Zur Ökologie des Gefangenschaftshabitats 219

4. Anpassungen an den Gefangenschaftslebensraum 221 4.1 Veränderungen des Zentralen Nervensystems 221 4.2 Das Verhalten von Tieren 222 4.3 Morphologische Veränderungen 224 4.4 Physiologische Vorgänge 224 4.5 Zellbiologische Arbeiten 225

5. Mißbildungen und Gefangenschaftszucht 228

6. Populationsgenetische Aspekte 229 6.1 Inzuchtbedingte Homozygotie 230 6.2 Die Selektion 231 6.3 Die Evolution 232 6.4 Im Hausstand 232 6.5 Weitere Gefahren 234 6.6 Tritt in der Wildbahn eine Rückentwicklung ein? 235

7. Von Rothirschen und Waldvögeln 235

7.1 Der aktuelle Disput 237

8. Fazit 238

9. Zusammenfassung 239

10. Literatur 240 215 1. Einleitung

Die sich weltweit krisenhaft zuspitzenden Umweltveränderungen bringen vielfach freile- benden Arten an den Rand derAusrottung oder bewirken deren Aussterben. Dem versucht der Artenschutz entgegenzutreten.

Die herkömmlichen Methoden des Artenschutzes versuchen, gefährdete Tierarten durch Abwenden der negativeinwirkenden Umweltfaktoren zu sichern. Die Tierarten in ihren Lebens- räumen zu erhalten, ist das über die Konservierung von Arten hinausgehende Ziel des Biotop- schutzes. Derartige Biotopschutzmaßnahmen erweisen sich in der Regel als sehr langfristige Unternehmungen und müssen deshalb häufig versagen. Die Hilfe kommt meist zu spät, da bis zum Zeitpunkt des Starts eines Biotopschutzprogrammes die Zerstörungen und Beeinträchti- gungen der gesamten schutzbedürftigen Lebensgemeinschaft oftmals schon zuweit fortge- schritten sind. Die davon betroffenen Tierarten erlöschen lokal oder großflächig, sie sterben aus.

Um die Vielfalt der Lebewesen,die in ihrem natürlichen Lebensraum keine Überlebenschance finden, der Nachwelt zu konservieren, kann man Einzelexemplare museumstechnisch erhalten. Unstrittig liegt darin jedoch eine nur unbefriedigende Konservierungsmethode. Denn ein ausgestopftes Seeadlerexemplar vermag die majestätische Erscheinung eines wild- lebenden Artgenossen nicht zu ersetzen. Eine ausgestopfte Feldlerche wird niemals so herr- lich singen wie eine lebende, es sei denn, ihr Gesang ist auf einem Tonträger konserviert.Aber selbst dann vermag sich beim Betrachter des Museumspräparates nicht das richtige Natur- erlebnis einzustellen.

Eine auf den ersten Blick gut geeignet erscheinende und einleuchtende Methode ist die Erhal- tung lebender Exemplare der Arten in geeigneten Tierhaltungen. Die Erkenntnisse und Methoden derTierzucht haben sich auch in den vergangenen Jahrzehnten derartig verbessert, daß die Haltung von Wildtieren in Zoologischen Gärten,Wildparks, Falkenhöfen und Zuchtsta- tionen derzeitig ungeahnte Dimensionen erreicht und eine Vielzahl neuer Möglichkeiten zur ZuchtvonWildtierenbietet.Währenddieöffentlich zugänglichen Institutionen die Tierhaltung primär mitnaturkundlichen und pädagogischen Zielsetzungen rechtfertigen (s.DITTRICH1985) und Tierarten „begreifbar" machen wollen,führen neuerdings private Hobby- Tierhaltungen die naturschutzorientierte Vermehrungs- zucht zwecks Arterhaltung als Begründung ihrer Liebhaberei an. Empfehlungen von Naturschutzbehörden (z. B. Landesamt für Umwelt- und Naturschutz in Schleswig-Holstein) sowie zahlreiche zum Teil spektakuläre Wiederansiedlungsversuche (Uhu,Wanderfalke,Wild- katze, Luchs) wirken ebenfalls in dieser Richtung ermutigend. In der Bundesrepublik Deutschland dürften mehrere zehntausend Privatpersonen der hobby- mäßigen Zucht von sonst freilebenden Tieren nachgehen. Die Zahl der Volierenbesitzer (= Vogelzüchter) wird mit ca. 25.000 beziffert. Der BUNDESVERBAND FÜR FACHGE- RECHTEN NATUR- und ARTENSCHUTZ e. V. hat ca. 65.000 Mitglieder (Tier- u n d Pflanzen- züchter). Das Spektrum der gehaltenen Tierarten umfaßt Vertreter aus allen Wirbeltierklassen, vom Lachs bis zum Fischotter.

Von der zahlenmäßig stark vertretenen Gruppe der Vogelzüchter werden nach Angaben behördlicherTierartenschützer etwa 500 bis1.000 verschiedene Arten (einschließlich Exoten) gehalten und „bedingt" gezüchtet. Darunter befinden sich auch Vogelarten, die den beson- deren Schutzvorschriften der Bundesartenschutzverordnung,des WashingtonerAbkommens und der EG- Vogelschutzrichtlinien unterliegen. 216 1.1 Einheimische Vogelarten werden u.a.von den sogenannten Waldvogelpflegern gehalten. Unter der Bezeichnung „Wald- vögel" werden einheimische Vogelarten zusammengefaßt, deren freier Fang gemäß der Reichsnaturschutzverordnung erlaubt war. Zu den häufig gehaltenen und - den Verlaut- barungen zufolge - regelmäßig gezüchteten heimischen Vögeln gehören: Grünfink, Erlen- und Birkenzeisig, Stieglitz und Dompfaff. Buchfinken, Bergfinken, Girlitze und Bluthänflinge sind nur selten zu finden, sie werden aber - angeblich - mehr oder weniger regelmäßig gezüchtet. Andere Arten, wie beispielsweise Grasmücken, Rotkehlchen und Blaukehlchen, sind nur selten in Volieren zu finden, die angegebenen Nachzuchtergebnisse sind zudem so bescheiden, daß sie gerade zur Aufrechterhaltung des Volierenbestandes ausreichen (vgl.z. B. AZN 1986). Die Aufstellung zeigt,daß die in Gefangenschaft züchtbaren „Waldvogelarten"vornehmlich der Gruppe der Körner-, bedingt auch den Weichfressern zuzuordnen sind.

1.2 Gegenstand dieses Beitrages ist die Beurteilung der Möglichkeiten und Resultate der Haltung und Fortpflanzung von Wild- tieren in menschlicher Obhut. Es gilt die Frage zu prüfen,ob durch diese Maßnahme ein Beitrag zur Arterhaltung geleistet werden kann bzw.wird oder ob durch die Haltung und Vermehrung von Wildtieren im Hausstand die Domestikation, das heißt deren Entwicklung zum Haustier, eingeleitet wird.

1.3 Eine Tierart sei definiert als „natürliche Fortpflanzungsgemeinschaft, die durch Fortpflanzungsschranken (z. B. anato- mische Unterschiede der Kopulationsorgane, unterschied liches Paarungsverhalten) von Indi- viduen anderer Arten isoliert ist" (THENIUS 1979). Tierarten lassen sich definitionsgemäß somit nicht durch Individuen, sondern nur durch Populationen (=Fortpflan- zungsgemeinschaften) darstellen. Jedes Individuum einer Spezies ist biologisch einzigartig ausgestattet. In jedem Artkollektiv existiert somit ein unerschöpfliches Reservoir kleiner und großer Unterschiede. Eine Tierart ist folglich die Summe ihrer einzigartigen Individuen. Sie ist charakterisiert durch eine breite Variabilität der Einzelmerkmale, einen Polymorphismus der Anpassungsgenauigkeit hinsichtlich der äußeren Erscheinung (Eidologie), der inneren Orga- nisation (Morphologie), der Rhythmik (Phänologie),des Verhaltens (Ethologie), des Stoffwech- sels (Physiologie) und der Entwicklung (Ontogenie).

Im Verlaufe der Phylogenese (=stammesgeschichtlichen Entwicklung) wurden und werden die meisten Merkmale in den Erbanlagen festgeschrieben, so daß deren relative Stabilität gewährleistet ist.

Zusammenfassend ist also festzuhalten, daß nicht jedes Individium einer Art über genau die gleiche genetische Information verfügt. Die Individuen sind also genetisch nicht einheitlich, selbst wenn sich statistisch ein „Normal"- oder„Standardtypus" errechnen läßt.Das „Normale" ist die Variabilität (s. HARTL 1985, MAYR 1967, WILLMANN 1985), ein selbst für Biologen häufig nur schwierig zu begreifendes Faktum, das aber für das Verständnis der Evolution (also auch der Domestikation) unabdingbare Voraussetzung ist. Die Lebensbedingun- 217 gen, unter denen die verschiedenen Vertreter einer Art existieren, sind ebenso wenig einheit- lich. Als Ausdruck von ungleicher bzw. ungleichbleibender Umwelt in verschiedenen geogra- phischen Gebieten bilden sich Untera rte n aus (HERRE 1961). Die VertreterderSubspezies können durch Strukturbesonderheiten, die als Antwort auf veränderte ökologische Bedin- gungen zu werten sind,von ihrerStammart oder Individuen anderer Unterarten unterscheidbar werden. Dieser Formung (Modifikation) der Artvertreter durch deren persönliche Umwelt ist in der Regel reversibel und findet keinen Eingang in die Erbinformation. Die Vertreter verschie- dener Subspezies sind -von Ausnahmen abgesehen -nach wie vor miteinanderfortpflanzbar.

2. Wildtiere und Haustiere

Angesichts der zum Teil erheblichen Unterschiede von Haustierformen gegenüber ihrem Wildtyp erscheint die Differenzierung in Wild-und Haustiere notwendig.Aus der Definition des Artbegriffes lassen sich aber keine Unterschiede zwischen wild- und in Gefangenschaft lebenden Vertretern bzw. Haustierindividuen herleiten. Die Ergebnisse der Domestikationsforschung (s.H ERRE&RÖH RS 1973) zeigen auch,daß eine derartige Differenzierung unzulässig ist. Alle Haustiere sind Vertreter wildlebender bezie- hungsweise ehemals wildlebenderTierarten.Beispielsweise sind unsere Haushunde bei allen Verschiedenheiten der Haushundrassen nach wie vor der Art Wolf (Canis lupus) zugehörig. Es müssen daherzusätzliche Kriterien für die Definition des Wildtier-Status gefunden werden, um die Frage nach der Realisierbarkeit des Artenschutzes durch Zucht in Gefangenschaft zu beantworten. Der § 960 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) unterscheidet: - zahme Tiere (= Haustiere, Nutztiere, Vieh und Schlachtiere), - wilde Tiere (=Wildtiere in Freiheit, Wildtiere in Gefangenschaft und gezähmte Wildtiere). Diese Definition ist ebenso untauglich wie die des Bundesjagdgesetzes (BJG), das Wildtiere als jagbare Tiere im Sinne des Gesetzes definiert.

Beide Definitionen sind Ausdruck unseres Rechtsbewußtseins, sind aber nicht geeignet, biologische Verhältnisse zu charakterisieren. Wildtiere können besser mit HEDIGER (1942, 1954) als Mitglieder jener Tierarten definiert werden, die ohne Dazutun des Menschen entstanden sind und über viele Generationen in freier Natur leben,sich in ihr unbegrenzt fortbewegen und ernähren sowiesich frei fortpflanzen.IhreEntwicklung und Entfaltung istdemvielseitigen Einfluß natürlicher Kräfte unterworfen (vgl.HERRE1975). Wildtiere sind das Ergebnis eines langfristigen Anpassungsprozesses an ihre Umwelt, sie sind Bestandteil eines sich dynamisch und fortwährend verändernden natürlichen Wirkungsge- füges. Die Existenz eines Wildtieres beinhaltet einen ständigen Dialog mit einer Vielzahl von Umweltfaktoren. Im Rahmen dieses fortlaufenden Dialoges,

2.1 der Coevolution, müssen sich die wildlebenden Tierarten den sich ändernden Lebensbedingungen anpassen. Andernfalls sterben sie aus.

Zur Verdeutlichung des vorangehend Gesagten sollen folgende Beispiele gegeben werden:

- Der Kiebitz brütet auf dem Boden nasser Grünlandflächen sowie in Sümpfen. Durch Melio- rationsmaßnahmen sind die natürlichen Lebensräume der Vogelart in den vergangenen 218 Jahrzehnten drastisch verändert worden. Der Kiebitz scheint sich dieser Entwicklung anzu- passen und zum Bodenbrüter auf Trockenstandorten zu werden. Die Spezies wird sich somit vermutlich neuartige Lebensräume erschließen und expandieren, anstatt das Los anderer an Feuchtland gebundener Arten (Bekassine, Kranich, Birkhuhn etc.) zu teilen: auszusterben. - Ein eindrucksvolles Beispiel für coevolutive Entwicklungen zeigen auch der afrikanische Honigdachs, der Honiganzeiger und wilde Bienen. Die Honiganzeiger sind Spechtvögel, die sich von Insekten, vorzugsweise von Bienenlarven ernähren. Da sie aus eigenen Kräften gewöhnlich nicht in der Lage sind, ihre präferierte Nahrung zu erlangen, suchen sie die Gesellschaft eines Honigdachses, machen ihn durch beständiges Rufen auf sich aufmerksam und führen ihn zu dem wilden Bienennest. Der Dachs, ein Allesfresser mit Vorliebe für Honig, zerstört den Bienenstock, frißt den Honig und überläßt dem wartenden Honiganzeiger die Bienenlarven.

Damit ist die Wechselbeziehnung jedoch nur unvollständig beschrieben, denn der Honig- anzeiger ist, ähnlich dem Kuckuck, ein Brutparasit. Er brütet seine Eier nicht selber aus, sondern überläßt diese Aufgabe anderen Vogelarten. Es sind also mindestens vier verschiedene Tierarten an dieser Wechselbeziehung beteiligt. Die Weiterentwicklung oder Ausfall einer Tierart würde Veränderungen bei den verblei- benden Spezies induzieren. Bei den Haustieren sind die Verhältnisse andersartig gelagert. Zwar stammen alle von Wildarten ab, aber der Mensch gestaltete für sie im allmählichen Übergang eine neue Umwelt, den Hausstand. Jene Gruppen von Wildtieren, die unter die ökologischen Bedin- gungen des Hausstandes kamen, wurden an der freien Vermischung mit Vertretern ihrer Wildform gehindert und nach menschlichen Erfordernissen (Nutztier, Hobbytier o.ä.) gezüchtet. Daß dabei die Stallhaltung nicht zwangsläufig gegeben sein muß, zeigen die Rentiere der Lappen sowie das Lama und das Alpaka in Südamerika -freilebende Tiere, die vom Menschen genutzt werden und nach HERRE & RÖHRS (1973) sowie HERRE (1975) alle Charakteristika für Haustiere aufweisen. Die Definitionen zeigen, daß scharfe Abgrenzungen zwischen Wildtieren, Wildtieren in Gefangenschaft, freilebenden Haustieren und Haustieren nicht existieren. Die Übergänge scheinen fließend zu sein (vgl. u.a. HAASE 1985). Diese Feststellung trifft den Kern des Problems: die Entwicklung vom Wildtier zum Haustier erfolgt fließend, es handelt sich um einen Evolutionsprozeß (s. HERRE & RÖHRS 1973). Im folgenden soll nun geprüft werden, ob durch die Übernahme von Wildtieren in den Haus- stand, in die Obhut des Menschen, ein Veränderungsprozeß eingeleitet wird; wenn ja, soll dargestellt werden, in welcher Form sich die Veränderungen manifestieren.

3. Zur Ökologie des Gefangenschaftshabitats

Aus den verschiedensten Gründen (Liebhaberei, Zurschaustellung, Forschung, neuerdings Arterhaltung etc.) gelangen kleine Gruppen oder Individuen von Wildtieren in die Obhut des Menschen. Damit verändern sich die ökologischen Bedingungen ihres Lebensraumes.

Für einen Teil der gefangenen Tiere hat diese Veränderung offensichtlich die Qualität einer „Umweltkatastrophe" - sie sind nicht zur Anpassung fähig und sterben. So berichtet HAASE 219 (1980), daß von den auf Gran Canaria gefangenen Kanarienvögeln in den ersten Tagen etwa 70 bis 90 0/0 sterben. Bei einigen Walarten treten sogar Totalverluste auf, das heißt: alle gefan- genen Individuen dieser ausgesprochen sensibel reagierenden Tiergruppe verenden inner- halb der ersten Gefangenschaftstage (DEIMER mdl.). Vertreter anderer Tierarten können sich den veränderten Bedingungen offensichtlich mehr oder weniger gut anpassen, so daß nur geringe Abgänge zu verzeichnen sind. Die überlebenden Individuen erwartet ein von ihrem bisherigen Lebensraum stark abwei- chende und nach menschlichem Ermessen gestaltete Kunsthabitat (Gehege, Voliere, Stall o. ä.). In diesem Lebensraum übernimmt der Mensch die Bereitstellung der Nahrung. Die Abgrenzung echter Territorien, die unter natürlichen Bedingungen der Minderung innerart- licher Aggressionen dienen, ist aus Raumgründen meist nicht möglich. Echte Kämpfe, die der Verteidigung gegen konkurrierende Artgenossen dienen und unter natürlichen Bedingungen nur selten Verletzung zur Folge haben, können sich unter Gefangenschaftsbedingungen wegen der begrenzten Ausweichmöglichkeiten dagegen sehr negativ auswirken (s. IMMEL- MANN 1978). Verletzungen und Erkrankungen (z. B. durch Parasiten) werden vom Menschen behandelt, die natürlicher Sterblichkeitsrate ist vermindert (vgl. DITTRICH 1985). Konfronta- tionen mit natürlichen Feinden finden nicht statt beziehungsweise werden gar ins Gegenteil verkehrt (Mensch als Feind - Mensch als Pfleger). Damit ergibt sich aus ethologischer Sicht eine völlig veränderte Situation: gegenüber dem Wildtierstatus, unter dem „Nahrung und Deckung" die beiden wesentlichen Habitatelemente darstellen (LEOPOLD 1933), verlieren beim Gefangenschaftstier die Funktionskreise „Feindvermeidung" und „Nahrungserwerb" völlig ihre Bedeutung. Ziel der Gefangenschaftshaltung von Wildtieren ist - von wenigen Ausnahmen wie Pflegesta- tionen oder ähnlichem abgesehen - die Vermehrung oder Nachzucht über die zweite Filialge- neration hinaus. Ungebändigte oder sehr scheue Vertreter einer Art vermehren sich im Haus- stand aber nur schwer oder überhaupt nicht, nur die vornehmlich ruhigen Vertreter pflanzen sich bestenfalls fort (HERRE 1975). (Ein Aspekt, der an späterer Stelle noch zu berücksich- tigen sein wird.)

Definitionsgemäß halten Tierarten beziehungsweise Tierindividuen nicht ihren Status quo bei, sondern entwickeln sich in ihrer Umwelt weiter. Eine Fortentwicklung findet auch in der reizär- meren Umwelt des Gefangenschaftstieres (IMMELMANN 1962) statt, also auch unter den ökologischen Bedingungen des Hausstandes (HERRE & RÖHRS 1973).

Zum besseren Verständnis dessen seien die wichtigsten Unterschiede zwischen den ökolo- gischen Bedingungen der Wildbahn und des Hausstandes zusammenfassend dargestellt (s. Tabelle 1).

220 Tabelle 1: Die wichtigsten Unterschiede zwischen den ökologischen Bedingungen bei in der Wildbahn und im Hausstand lebenden Wildtierarten (nach IMMELMANN 1978, SCHERZINGER 1979, DITTRICH 1985).

Wildbahn Hausstand saisonaler Wechsel von Mast- und Hungerzeiten gleichmäßiges Futterangebot jahreszeitlich unterschiedliche relativ gleichförmiges Nahrungsqualität hochwertiges Futter saisonaler Einstandswechsel saisonaler Einstandswechsel nicht möglich (z. B. Zugvögel, Strichvögel, Wild im Gebirge) Raum - Zeit - System eng gegliedert Zusammenfallen aller Revierfunktionen auf wenige Punkte natürliches Geschlechterverhältnis gelenktes Geschlechterverhältnis natürlicher Altersaufbau gelenkter Altersaufbau biotopbedingte Siedlungsdichte hohe Siedlungsdichte, u. U. crowding-effect freie Partnerwahl gelenkte Partnerwahl gewählter Partnerkontakt dauernder/sporadischer Partnerkontakt natürliche Selektionsbedingungen verminderte/geänderte Selektionsbedingungen Verletzungen und Erkrankungen medikamentöse Behandlung von Erkrankungen und Verletzungen vielfältige Lernsituationen Entzug von Lernsituationen vielfältige Umweltreize monotones Angebot an Umweltreizen natürliche Feinde Elimination oder Vermeidung von Feinden

4. Anpassungen an den Gefangenschaftslebensraum Es erscheint naheliegend, daß die in Gefangenschaft befindlichen Wildtiere die Verände- rungen in ihrem Lebensraum über ihre Sinnesorgane sowie daszentrale Nervensystem (ZNS) wahrnehmen. Das ZNS (Gehirn) bietet sich daher als Forschungsobjekt in idealer Weise an. Zudem handelt es sich bei dem Gehirn um ein recht konservatives Organ.

4.1 Mit Veränderungen des Zentralen Nervensystems

bei Gefangenschaftstieren beschäftigen sich die Arbeiten von KLATT (1932,1952) und STEPHAN (1954). Beide Autoren weisen eine Abnahme des Hirngewichts nach. Auch kurz nach der Geburt in Gefangenschaft geratene Jungfüchse zeigen als erwachsene Tiere Reduktionen des Hirngewichts von bis zu 25 %.Untersuchungen im Kielerinstitut für Haustierkunde stützen die vorangehend zitierten Befunde (s. HERRE & RÖHRS 1973).

An Wölfen in zoologischen Gärten stellte KLATT (1912) ebenfalls eine Abnahme der Hirn- schädelkapazität fest. STOCKHAUS (1965) berichtet, daß Wölfe in Gefangenschafts- 221 haltung etwas kleiner seien als ihre wildlebenden Artgenossen, eine Reduktion der Hirn- schädelkapazität von bis zu 10 0/0 konnte von ihm gleichermaßen nachgewiesen werden.

Neuere vergleichende Untersuchungen zur Hirn-Körpergewichtsbeziehung bei Wild- und Hausvogelarten liegen für Tauben (LÖHMER & EBINGER 1980, 1984), Gänse (SCHUDNAGIS 1974; LÖHMER & EBINGER 1982, 1983) sowie für Enten (HERRE & RÖHRS 1973; FRITZ 1976; EBINGER & LÖHMER 1985) vor. EBINGER & LÖHMER (1985) verglichen die Hirn- und Körpergewichte von 137 Stock- enten aus freilebenden Populationen sowie 29 Literaturwerte mit denen von 62 Hausenten und 30 wildfarbenen „kulturfolgenden" Stockenten, die aus dem Tierhandel bezogen worden waren. Sie stellten bei den Hausenten die geringste Hirngröße aller untersuchten Gruppen fest. Das Hirngewicht war im Vergleich zu den wilden Artgenossen um bis zu 20 0/0 reduziert. Auch die kulturfolgenden Stockenten zeigten eine Reduktion des Hirngewichts von bis zu 15% gegenüber den Wildenten.

Die Gehirne von Hausenten im Vergleich zu wilden Stockenten waren nach Untersu- chungen von SENGLAUB (1959) um 15% reduziert. Zwischen Graugänsen und Haus- gänsen betrugen die Differenzen bis zu 16% (LÖHMER & EBINGER 1983). Das Hirnge- wicht von Haus- und Stadttauben wich um etwa 7 0/0 von dem untersuchter Felsentauben ab (EBINGER & LÖHMER 1984). Die Ergebnisse hirnanatomischer Untersuchungen zeigen, daß nicht alle Hirnteile glei- chermaßen stark reduziert werden (s. u.a. HERRE & RÖHRS 1973; EBINGER & LÖHMER 1984).Übereinstimmend ergeben die Arbeiten an Säugern und Vögeln,daß insbesondere die otischen Felder des Großhirns Reduktionserscheinungen aufweisen. Es folgen die den anderen Sinnesorganen (Ohr und Nase) zugeordneten zentralen Gebiete des Gehirns. Es deutet einiges daraufhin, daß auch die betroffenen Sinnesorgane Verände- rungen gegenüber denen der wildlebenden Vertreter aufweisen.

HERRE (1953) verglich die Bullae tympanicae (Paukenblase, Mittelohrbereich) von Guanacos als Wildform mit denen von Lamas und Alpakas (freilebende südamerika- nische Haustiere) sowie die Bullae von Hausschafen und Wildschafen. Die bei den dome- stizierten Formen gefundenen Abweichungen im mesotympanalen Bereich (Mittelohrbe- reich) der Paukenblase lassen auf deren verminderte Leistungsfähigkeit schließen. FLEISCHER (1970), zitiert bei HERRE & RÖHRS (1973) analysierte Domestikationsein- flüsse bei Wölfen und Hunden sowie Guanaco und Lama/Alpaka und stellte bei den Hausformen beider Arten kleinere Trommelfelle fest.

4.2 Das Verhalten von Tieren, insbesondere von höheren Wirbeltieren, steht in engem Zusammenhang mit der Leistungsfähigkeit des Gehirns. Als Folge der Hirnveränderungen sind daher auch Verhaltensabweichungen zu erwarten. Obwohl ein Nachweis kausaler Zusammenhänge noch aussteht, liegen zahlreiche Untersuchungen über Verhaltensänderungen im Rahmen der Domestikation vor. Übereinstimmend gilt, daß die feststellbaren Abwei- chungen vornehmlich quantitativer Natur sind, das heißt, daß bei Tieren im Hausstand die Intensität und Frequenz von Verhaltensweisen geändert sind, nicht aber deren Qualtität (s. LORENZ 1959). Die Folgen sind einerseits erhebliche Hypertrophien, auf der anderen Seite aber auch die Abnahme und gegebenenfalls der vollständige Verlust bestimmten Verhaltens. 222 Eine deutliche erkennbare Änderung betrifft das Fluchtverhalten. Vertreter von Tierarten, die in ihrer natürlichen Umwelt ausgesprochen scheu sind und große Fluchtdistanzen haben, lassen dieses unter Gefangenschaftsbedingungen kaum noch erkennen. So berichtet RÖH RS (1957) von Abweichungen im Warn- und Fluchtverhalten wilder und in Gefangenschaft lebender Guanakos. Entsprechendes gilt sicherlich auch für eine Viel- zahl anderer Tierarten und ist aus haltungstechnischen Gründen sogar erwünscht (z. B. Feldhase, Auerwild, Birkwild, Fasanen, Graugänse).

Unterschiede im Verhalten gefangener und wildlebender Wölfe ergeben sich aus den Arbeiten von SCHENKEL (1947) und MURIE (1944).

Verhaltensänderungen bei Zebrafinken wurden von IMMELMANN (1962 a,b) und SOSSINKA (1970) untersucht. IMMELMANN stand eine lückenlose Folge von Wildfängen aus verschiedenen Teilen Australiens bis zur vierten Gefangenschaftsgeneration sowie Einzeltiere der siebten Generation zur Verfügung. Die Ergebnisse seien kurz zusammen- gefaßt:

1. Bei den Gefangenschaftsnachzuchten ist eine vergrößerte Variationsbreite im Aussehen und im Verhalten feststellbar. Es kommt zu einer gewissen Verjugendlichung der Tiere.

2.Störungen im arteigenen Verhalten betreffen in erster Linie die endogene Reizproduk- tion verschiedenerTriebhandlungen. Die stärkste Hypertrophie zeigt der Sexualtrieb bei gleichzeitiger Verringerung des Bruttriebes.

3.Die Verbindung zwischen funktionell zusammengehörigen Verhaltensweisen kann sich lösen. Den häufigsten Auseinanderfall zeigen Ehe und Begattung sowie Ehe und soziale Gefiederpflege.

4. Alle Verhaltensabweichungen sind quantitativer Natur und betreffen niemals den Ablauf der Handlungen selbst.

In frühen Phasen der ontogenetischen Entwicklung werden viele Tiere (insbesondere nesthockende und nestflüchtende Vögel und Säuger) auf bestimmte Umwelteindrücke (z. B. belebte und unbelebte Objekte, Laute, Düfte) ihres Lebensraumes „geprägt'. Die Prägung stellt einen sehr frühen und raschen Lernprozeß mit sehr stabilem Ergebnis dar (IMMELMANN 1976) und ist weitgehend irreversibel. Da die geprägten Individuen eine lebenslange Assoziation zum Artgenossen, zu fremden Arten oderzum arteigenen Biotop herstellen, kann dem Vorgang ein arterhaltender Wert beigemessen werden.

Wächst ein Individium in völliger Isolation von Artgenossen (z.B. bei der Handaufzucht) oder außerhalb des arteigenen Lebensraumes (z. B. in einem Stall, Gehege oder in einer Voliere) auf, so kann dies zu mehr oder weniger tiefgreifenden verhaltensphysiologischen und psychischen Defekten führen (MEYER 1976) und/oder eine ökologische Fehlorien- tierung bewirken.

Bei der Sozialprägung, der am besten untersuchten Form der Prägung, schließt sich das Tier der Art an, mit der es während der sensiblen Phase den ersten Kontakt hatte (in Gefangenschaft und bei Inkubatorbruten gewöhnlich der Mensch). Es kommt zur Fremd- prägung (SAMBRAUS 1978), mit der Folge, daß jede Form des sozialen Kontaktes, sei es das Sexualgeschehen, die soziale Körperpflege oder einfach die soziale Attraktion nie an Artgenossen, sondern stets an Mitglieder der fremden Spezies gerichtet wird (LORENZ 1935; HESS 1973, 1975; SAMBRAUS 1973, 1978; IMMELMANN 1976). Jedes, nach der Prägung beziehungsweise Fremdprägung auf die eigene (beziehungsweise die 223 vermeintlich eigene) Art auftretende, Wesen wird als potentioneller Feind angesehen und löst entsprechende Verhaltensweisen aus. Die Folge können (oberflächlig betrachtet) recht kuriose Verhaltensweisen sein. So berichtet SAMBRAUS (1978) von männlichen Rothirschen und Kaffernbüffeln, die vor ihren erheblich schwächeren weiblichen Artge- nossen flohen, da sie menschgeprägt waren. Auch das Aufreiten von Hunden am Bein ihrer „menschlichen Geschlechtskumpane" ist das Ergebnis einer Fremdprägung. Im Harz ausgewilderte Auerhühner balzen ebenfalls Menschen als Geschlechtskumpanen an (WÖHLER mdl.).

Andere Prägungs- oder „prägungsähnliche" Vorgänge sind zum Beispiel die Futter- und die Wirtsprägung. Futtergeprägte Tiere fressen bei Wahlmöglichkeit erheblich mehr von der Nahrung, mit der sie während der Aufzucht gefüttert worden sind. Dies gilt auch dann, wenn später vorübergehend ausschließlich etwas anderes gefüttert wird. Gut untersucht ist auch die sogenannte Wirtsprägung bei afrikanischen Witwenvögeln (NICOLAI 1964) und die motorische Prägung (das Gesangslernen mancher Vögel).

Auch der Ortsbindung (Ortstreue, Habitatbindung) liegen vielfach Prägungsmecha- nismen zugrunde. Ein Jungtier erhält somit schon sehr früh eine lebenslange Kenntnis vom arteigenen Lebensraum, den es zukünftig stets bevorzugen wird. So haben die einheimischen Weißstörche (ähnliches gilt auch für andere Zugvogelarten) eine sehr genaue „Vorstellung" von ihrer Lebensstätte (ihrem Horststandort) und finden alljährlich über eine Entfernung von mehreren tausend Kilometern zu „ihrem" Nest beziehungs- weise dem ihrer Eltern zurück. Bei in Gefangenschaft aufgewachsenen Tieren muß zwangsläufig eine Prägung auf den Gefangenschaftslebensraum erfolgen. Gefangen- schaftsbedingte Veränderungen beschränken sich jedoch nicht nur auf das zentrale Nervensystem und das Verhalten der Tiere.

4.3 Morphologische Veränderungen an im Gehege lebenden und mit Pellets gefütterten schottischen Moorschneehühnern untersuchte MOSS (1972). Die aus den Eiern wildlebender Exemplare ausgebrüteten Hühnervögel wurden mit Pellets ernährt, denen ein kleiner Teil Heidekraut beigemischt war. Innerhalb weniger Generationen ergab sich eine kontinuierliche Reduktion der Dick- und Blinddarmlängen auf bis zu 72 bzw. 52% der Länge wildlebender Artvertreter. Als Ursache müssen die andersartigen Ernährungsbedingungen im Gehege angesehen werden.

4.4 Physiologische Vorgänge werden allgemein in Abhängigkeit von der Dauer der Licht - Dunkelperiode innerhalb eines 24-Stundentages ausgelöst bzw. gehemmt, das heißt: photoperiodisch gesteuert. Da ein bestimmtes Licht-Dunkelverhältnis nurzweimal im Jahresverlauf (1. und 2.Jahres- hälfte) zu messen ist, ergeben sich photoperiodisch gesteuerte Jahresrhythmen. Die Entwicklung der Gonaden und der sekundären Geschlechtsmerkmale vieler Vögel ist ebenso einer Jahresperiodik unterworfen wie die Mauser. Es ist daher zu erwarten, daß die Haltung eines Tieres in Gefangenschaft auch dessen „innere Uhr" beeinflussen wird (s. HAASE 1985). Als Beispiel seien hier Untersuchungen zur veränderten Fortpflanzungsperiodik ange- führt. Die Abweichungen betreffen sowohl den Beginn der Geschlechtsreife als auch die Fortpflanzungsrate, beides „klassische" Domestikationserscheinungen und bei einer Vielzahl von Tierarten nachgewiesen (Näheres siehe bei HERRE & RÖHRS 1983). 224 Von besonderem Interesse ist jedoch auch hierwiederum der Zeitfaktor. BATT& PRINCE (1978) stellten bei einer Studie an wild lebenden Stockenten und deren in Gefangenschaft geschlüpften Nachkommen eine Phasenverschiebung in der Fortpflanzungsperiodik fest. Japanische Wachteln der 10. Gefangenschaftsgeneration erreichten die Geschlechtsreife im Alter von etwa 60 Tagen, während die Tiere der ersten Generation noch etwa 110 Tage benötigten. Mit der Herabsetzung der Geschlechtsreife korrelierte die Steigerung der Eiproduktionsrate um 35% (von 44 auf 79%) (TANABE 1980).

Im Zusammenhang mit dem veränderten Fortpflanzungsgeschehen steht die Einwirkung von Hormonen, insbesondere der hormonalen Rhythmik (HERBE & RÖH RS 1973, HAASE 1985) sowie Veränderungen an den hormonproduzierenden Organen. Dies zeigen die Arbeiten an Spießenten (PH I LI PPS &VANTI EN HOVEN 1960) und an Weißkronenammern (KING et al. 1966; HAASE & FARN ER 1972; YOKOYAMA & FARNER 1976). BERRY (zitiert bei H ERRE &RÖH RS 1973) untersuchte Wanderratten in einem Gefangenschaftsversuch und ermittelte, daß sich die Hypophyse im Laufe der Gefangenschaftshaltung vergrö- ßerte, während Schilddrüse und Nebenniere eine Reduktion erfuhren.

Da die biologischen Leistungen eines Tieres das Ergebnis des Zusammenspiels der Funktionen verschiedener Körperzellen sind, ist zu erwarten, daß die beschriebenen Veränderungen während der Gefangenschaftshaltung auch Eingang in die Biochemie und Morphologie der Körperzellen finden. Während

4.5 zellbiologische Arbeiten an Haustieren bereits recht zahlreich vorliegen, fehlen derartige Untersuchungen bei Wildtieren noch vielfach.

MÜLLER & HERZOG (1985) führten morphometrische und morphologische Untersu- chungen an den Herzmuskelmitochondrien von Wild- und Hausschwein (Drei-Rassen- Kreuzungstiere und Reinzuchttiere) durch. Sie ermitteln eine Abnahme bezüglich der Mitochondrienzahl pro 100 [im'. Sie lag beim Wildschwein um 28,6% unter der der Hybridschweine und beim Reinzuchtschwein um 24.4 0/0 über dem Wert der Hybridab- kömmlinge. Feststellbar war auch ein vermehrtes Auftreten sogenannter Transforma- tions- bzw. Deformationsstadien bei den Hausschweinen im Vergleich zu den Wild- schweinen.

MAST (1985) beschreibt eine ansteigende Tendenz zur Thrombosegefährdung und vermehrten Blutgerinnungsneigung vom Wildschwein zum Hausschwein. Bemerkens- wert ist dabei, daß sich bei Wildschweinen, die unter Intensivhaltungsbedingungen wie Hausschweine gehalten wurden, bereits innerhalb von 6 Monaten diese Tendenz einstellte.

Nun reichen die bisherigen zellbiologischen Befunde sicherlich nicht aus, um bereits allgemeingültige Aussagen über cytologische Veränderungen im Rahmen der Domesti- kation machen zu können, sie zeigen aber dennoch eine gewisse Tendenz auf.

MAJEWSKA et al. (1979) führten an 190 Fasanen vergleichbare morphologische und biochemische Untersuchungen durch. Verwendet wurden 80 „Zucht"-Fasane, aus den Eiern von seit zehn Jahren in Volieren gezüchteten Elterntieren erbrütet, und 90 „Wild"- Fasane aus der Brut wi Idlebener Tiere, sowie 20 erlegte erwachsene „wildlebende"Tiere.

Die untersuchten biochemischen Parameter umfaßten u. a. den Glykogengehalt der Skelettmuskulatur und der Leber sowie den Lipidgehalt des Blutplasmas. Zwecks morphologischer Untersuchungen wurden desweiteren Vermessungen am Bewegungs- 225 Abbildungslegende

Genetische Grundlagen für das Unvermögen, Artenschutz durch Gefangenschaftszuchten zu verwirklichen.

1. Eine hohe genetische Variation kennzeichnet die Art mit ihren lokalen Anpassungstypen (= Unterarten, Rassen, Ökotypen, Populationen). Diese kommunizieren im natürlichen System und es besteht großräumig die Möglichkeit zu einem ständigen Austausch derart- typischen genetischen Informationen (Genfluß).

2. Anthropogene Eingriffe führen zur Isolation der Populationen; der Genfluß erfährt erste Einschränkungen.

3. Eingriffe in die Population oder anderweitige Bestandsverminderungen infolge Habitatver- änderung oder -zerstörung bewirken einen Schwund des genetischen Potentials.

4. Natur- und Artenschutz vermögen, in der bisher geübten Praxis des zu späten Eingreifens, meist nur Restbestände zu sichern, die bereits eine geringere genetische Variation aufweisen als die Ahnenpopulationen. 5. Die Entnahme von Individuen zu Zuchtzwecken kann nur einen geringen Teil des urspüng- lichen genetischen Potentials herausgreifen; die Isolation und die genetische Verarmung erfahren eine Intensivierung.

6. Gefangenschaftszuchten vermögen wohl den Gesamtbestand zu vergrößern. Genetische Neukombinationen, Inzuchteffekte und Mutationen können in der Folge auch zu einer Erhö- hung der genetischen Variation führen. Gleichermaßen wird aber auch die genetische Last der „Population unter Draht" zunehmen, weil keine natürliche Selektion erfolgt und auch „schädliche Gene" zunehmend erhalten bleiben.

7. Neu begründete, isolierte Populationen, nach eventueller Wiederherstellung von Lebens- räumen in ferner Zukunft, enthalten ein verändertes gentisches Potential im Vergleich zur Ahnenpopulation. Der Genotyp entspricht nicht mehr dem der zu schützenden Art; diese stirbt durch die Gefangenschaftszucht aus. Der sich neu entwickelnde Genotyp erfährt darüber hinaus eine Anpassung an die Bedingungen der Gefangenschaft, nicht aber an die eines natürlichen Lebensraumes.

Grafik: W. TAMBOUR; nach einem Entwurf von R. SCHULTE & E. SCHNEIDER

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454~2900000000F 000000600000, 00000000,_, DOOL 00000000Mee00 apparat (Brustmuskeln, Becken- und Ober-/Unterschenkelnnuskulatur etc.) und einigen inneren Organen (Muskelmagen, Leber, Bauchspeicheldrüse, Herz und Milz) vorge- nommen. Es wurde festgestellt, daß die verschiedenen Indices der biochemischen Gewebeunter- suchungen bei Fasanen unterschiedlicher Herkunft signifikant unterscheidbar waren. Entsprechendes galt auch für morphologische Eigenschaften, insbesondere den Verdauungskanal, der bei Gefangenschaftshaltung vor allem eine signifikante Längenab- nahme der Blinddärme der Vögel aufwies (vgl. auch MOSS 1972). Die bislang darge- stellten Abweichungen bei Gefangenschafts- und Haustieren gegenüber ihren wildle- benden Artgenossen werfen die Frage nach dem Zeitraum, in dem Veränderungen eintreten, sowie nach deren Dauerhaftigkeit auf. Eine allgemeingültige Aussage kann aus dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Kennt- nisstand nicht gegeben werden. Es muß jedoch als gesichert angesehen werden, daß die Abweichungen sich bereits nach evolutionsbiologisch relativ kurzen Zeiträumen einstellen. Ferner gilt, daß zumindest die regressive Entwicklung des Gehirns keine Rückentwicklung erfährt, wenn die Tiere ausgewildert werden (siehe HERBE & RÖHRS 1973, KRUSKA & RÖHRS 1974). Es steht auch außerZweifel,daß die Gefangenschaftsbedingungen Veränderungen,seien sie nun modifikativ oder mutativ, einen Vitalitätsverlust bewirken und die Überlebens- chancen bei der Auswilderung deutlich vermindern (s. MAJEWSKA et al. 1979, PIELOWSKI 1981). Ein in einer reizärmeren Umwelt aufgewachsenes Individuum wird ein - gegenüber dem wildlebenden Artgenossen - vermindertes Verhaltensrepertoire aufweisen. Mangels Erfahrungen sowie durch Fremdprägung und Habituation an das monotone Reizangebot des Geheges werden sie sich ihren Lebensraum nur schlecht erschließen können. Unter Umständen werden sie sogar andere ökologische Nischen besetzen als ihre von jeher freilebenden Artgenossen. An dieser Stelle einen Vergleich mit der besonderen verhal- tensbiologischen Problematik von Heimkindern (s. HASSENSTEIN 1979, EIBL-EIBES- FELD 1984) zu ziehen, mag gewagt oder gar unzulässig erscheinen; bei objektiver Betrachtung sind jedoch Gemeinsamkeiten feststellbar, die gleichartige oder sogar noch gravierende Störungen und Schädigungen bei Gefangenschaftstieren wahrscheinlich machen.

5. Mißbildungen und Gefangenschaftszucht In jeder Population weist ein gewisser Prozentsatz an Tieren Schädigungen auf, die bei Gefan- genschaftstieren häufig als Inzuchterscheinung interpretiert werden, tatsächlich aber auf Fehler in der Physiologie zurückzuführen sind (SACHSSE 1981). Betreffen die Mißbildungen nur den Phänotyp, so werden sie als Phänopathien bezeichnet; die Erbanlagen selbst bleiben davon unberührt. Besonders bekannt sind zahlreiche Embryopathien beim Menschen. Es sei hier nur an die Folgen des Schlafmittels Contergan erinnert. Ein Teil der auftretenden Mißbil- dungen sind Mutationen,Schäden,die bereits ererbt oder neu entstanden sind.Siewerden,da sie die Erbanlagen betreffen, als Genopathien bezeichnet. Derartige erbliche oder nicht erbliche Syndrome sind kein ausschließlich humangenetisches Problem. Sie treten auch bei Tieren auf. Embryopathien verursachen bei Säugetieren, insbesondere bei schwerzüchtbaren Arten, etwa 95% aller Mißbildungen (SACHSSE 1981). V. BRAUNSCHWEIG (1979) erwähnt fehlerhaftes Erbgut, Vitamin-, Mineralstoff- und Eiweißmangel des Muttertieres oder Fetus während der Trächtigkeit sowie Chemikalieneinflüsse (Medikamente, Gifte, Hormone etc.) 228 als Ursache für Organmißbildungen. Bei Rotwild tritt beispielsweise als rezessiv vererbbare Genopathie die Kleinäugigkeit auf. Auch melanistische Farbabweichungen sowie Albinofär- bung sind Mißbildungen, die bei zahlreichen Arten (z. B. Hase, Reh) auftreten. BERN ISCHKE (1977 zitiert bei SACHSSE 1981) gibt weitere Beipsiele, von der pränatalen/conatalen Salmo- nelleninfektion bei Vögeln bis hin zur Spaltbildung im Gesicht. Nach SACHSSE sollen beispielsweise auch die „negativen Folgen der Zucht" von Bengaltigern keine Inzuchterschei- nungen sein, sondern auf zuchtbedingten, genetisch manifestierten Anomalien beruhen. Natürlich zeigen auch Wildtiere (z. B. Gebißanomalie beim Rehwild, MEYER 1975) organische und genetische Mißbildungen, sie sind daher nicht die unausweichliche Folge der Gefangen- schaftshaltung. Die Gefahr für die Gehegehaltung und -zucht besteht aber darin, daß die Phäno- oder Genopathien meist nicht oder nur schwer nachweisbar und deshalb häufig uner- kannt bleiben. Sie breiten sich aber gegebenenfalls unbemerkt über große Teile der Zucht- population aus. Die Folge kann einerseits, bei Auftreten von Letalfaktoren oder erworbener beziehungsweise mutationsbedingter Unfruchtbarkeit, derZusarnmenbruch der Gruppe sein. Andererseits können sich aber auch weniger auffällige Defekte manifestieren. Während der- artige Schädigungen in großen Populationen bedeutungslos sind und den Fortbestand der Fortpflanzungsgemeinschaft nicht gefährden, fällt in kleinen Kollektiven ein Nachwuchsdefizit beziehungsweise das Ausscheiden fortpflanzungsfähiger Exemplare stark ins Gewicht.

6. Populationsgenetische Aspekte Die Haltung von Wildtieren unter Gefangenschaftsbedingungen erscheint nur sinnvoll, wenn sich die Tiere auch vermehren. Das Ziel ist der Aufbau definierter Zuchtgruppen und nicht der ständige Neuanfang. Damit werden genetische und populationsgenetische Fragestellungen angeschnitten.

Alle bisher beschriebenen Veränderungen ließen sich noch sehr gut an Individuen darstellen. Die geschlechtliche Fortpflanzung setzt aber das Vorhandensein mehrerer Individuen voraus, die eine Fortpflanzungsgemeinschaft bilden. Für die folgenden zu behandelnden Fragestel- lungen ist daher die Betrachtung von Individuen wenig hilfreich. Erst das Denken in Popula- tionen läßt den schrittweisen Veränderungsprozeß (sei es nun Evolution oder Domestikation) plausibel erscheinen (s. MAYR 1967).

Die in menschlicher Obhut lebenden Individuen bilden eine Population (=Fortpflanzungsge- meinschaft).Da sich meist nicht alle Individuen in der Hand einesZüchters befinden,entstehen mehrere Teilpopulationen, die einerseits von ihren wildlebenden Artgenossen isoliert sind, andererseits aber auch untereinander weitestgehend getrennt sind. Die Isolation erfolgt sowohl hinsichtlich der ökologischen Bedingungen (die in den Gehegen herrschenden Umweltbedingungen sind nicht gleich) als auch sexuell.

Ein weiteres Charakteristikum für in menschlicher Obhut lebende Wildtiergruppen ist die Tatsache, daß sie nur aus sehr wenigen Individuen bestehen. Die einzelnen Teilpopulationen erfüllen damit alle Voraussetzungen, um sie als Gründerpopulationen (s.MAYR 1967) zu klassi- fizieren. Sie erweisen sich als „Kolon i sato re n" neuer Lebensräume. Oder wie es KI RK (1969) ausdrückt: sie „v erinseln", das heißt: die verinselten Gründerpopulationen bilden den Ausgangspunkt für eigenständige evolutive Entwicklungen in Richtung auf das Ender- gebnis neuer Unterarten oder Arten, wie dieses bereits von DARWIN für die verschiedenen Finken und Schildkröten der Galapagos Inseln beschrieben wurde. Durch Gefangenschafts- haltung verinselte Tiergruppen stellen somit den Initialpunkt für beziehungsweise in Richtung der Ausformung eines neuen Tax o n s dar; die Erhaltung ist hingegen nicht gewähr- leistet. 229 Bevor wir die Erfolgsaussichten und Entwicklungsgrenzen der Gründerpolulation diskutieren, seien die Verhältnisse in individuenstarken wildlebenden Populationen kurz skizziert. Eine Population ist eine Gendurchmischungseinheit, in welcher die Individuen aus dem Gesamt- genbestand, dem Gen-Pool, ihre Gene beziehen, aber selbst nicht über alle im „pool" vorhan- denen Gene verfügen. Das bedeutet, daß in einer Population nicht alle Individuen die gleiche genetische Information besitzen.Trotz einer Vielzahl von Gemeinsamkeiten existiert ein schier unerschöpfliches Potential großer und kleiner Unterschiede. Nehmen wir an, daß in einer Population nur 1000 verschiedene Gene vorhanden sind, so ergeben sich 21000 Kombinations- möglichkeiten. Die geschlechtliche Fortpflanzung bei freier Partnerwahl (Panmixie) garantiert die ständige Neukombination der Gene (Rekombination) und gewährleistet in hohem Maße die genetische Variation innerhalb der Fortpflanzungsgemeinschaft. Die Abtrennung kleiner Populationsteile (z. B. auf Inseln oder durch Tierfang) oder natürliche zyklische Bestandsre- duktion (z. 8. Lemming) können zu sehr hohen Verlusten genetischer Variabilität führen (vgl. NEI et al. 1975). Die Verinselung der mitteleuropäischen Rothirschvorkommen hat ähnliche Effekte gezeigt (KLEYMANN 1976 a,b; BERGMANN 1976; RADLER & HATTEMER 1982). Der verbliebene Populationsrest enthält unvermeidlich nur einen Bruchteil der Gesamtvariation der elterlichen Art. Jedes nachfolgende Populationswachstum muß von dieser „Flaschen- hals"-Ausstattung ausgehen. Die neue Gründer- oder Gehegepopulation führt nur einen geringen Vorrat genetischer Unterschiedlichkeit mit sich, so daß die durch sie begründete Population höchst empfindlich gegen die Gefahren der Inzucht ist. Schädliche rezessive Allele, die bei Heterozygoten durch dominante Allele „verdeckt"werden, können sich im Falle inzucht- bedingter Homozygotie manifestieren. Die Folgen sind Fitness-Verluste, ernstliche Verluste von Lebensfähigkeit („Inzuchtdepressionen"), in Form von:

- verminderter Fortpflanzungsrate, - erhöhter Mortalität, - verzögertem Eintritt der Pubertät sowie - vermindertem Körperwachstum (Zwergwuchs) und - vermehrtem Auftreten erblicher Defekte (WRIGHT 1922,1977; zitiert bei RADLER (1986). Das häufige Erlöschen von Inselpopulationen kann weithin auf diese Ursachen zurückgeführt werden. 95 0/0 aller Bruder-Schwester-Inzuchtlinien gehen zugrunde (FALCON ER 1964; zitiert bei SACHSSE 1981) und zwar meist innerhalb von drei bis 25 Generationen (KURT 1983).

6.1 Inzuchtbedingte Homozygotie war die Ursache für das Aussterben unzähliger Labortierpopulationen (s. MAYR 1967). Da Inzuchtdepressionen immer erst in der Retrospektive beurteilt werden können (BÖER 1985), verwundert es nicht, daß inzuchtbedingte Schäden in Zoopopulationen erst neuerdings gemeldet wurden. So breiten sich in den Zoo-Beständen des Defassa-Wasserbocks, des Impala und des Wolfes zunehmend Schadgene aus (vgl. BÖER 1985). In den zoologischen Gärten der USA sollen von 44 Zuchtpopulationen bereits 41 inzuchtbedingte Beeinträchti- gungen aufweisen (RALLS &BALLOU 1983).Auf die Gefahrvon Inzuchtdepressionen beim Uhu wird von RADLER (1986) hingewiesen. Im Schriftum finden sich aber-scheinbar im Gegensatz zu obigen Ausführungen -etliche Belege für phänomenal erfolgreiche Gründerpopulationen (z. B. europäische Säuger in der Australregion, Haustiere auf den Galapagos Inseln). Auch die Millionen von Goldhamstern in den Laboratorien der ganzen Welt sollen Abkömmlinge eines einzigen trächtigen Weibchens sein (MAYR 1967). Der Aufbau hocherfolgreicher Kolonien 230 durch einzelne Gründer ist nicht die Ausnahme,sondern scheint die Regel bei derAusbreitung vieler Tier- und Pflanzenarten zu sein (vgl. MAYR 1967). Das Problem bei Gefangenschaftszuchten ist daher primär nicht in den auftretenden Inzucht- depressionen, sondern vielmehr in der veränderten evolutiven Entwicklung zu sehen, wobei natürlich auch die Inzucht eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Wir haben bislang heraus- gearbeitet, daß die Gründer- beziehungsweise die Gehegepopulation nur einen Bruchteil der Variabilität der Art besitzt und daß infolge Inzuchtkreuzungen weitere Variabilitätsverluste eintreten. In kleinen, isolierten Populationen treten zudem Fluktuationen der Genhäufigkeiten auf, die in extremen Fällen zur Degeneration und zum Aussterben führen und darin begründet sind, daß einzelne Gene erhalten bleiben (fixiert werden) und andere verlorengehen (Elimination). In den Isolaten treten desweiteren unterschiedliche Mutationen auf. Mutationen sind zufällige und ungerichtete genetische Veränderungen. Während in großen Populationen die „Überle- benschance" für eine Mutante sehr gering ist, kann sie in kleinen Gründergruppen (vor allem durch die Hilfe der Selektion) im Gen-Pool verbleiben und sich gegebenenfalls sogar vermehren. Die Mutationen bewirken in einer Vielzahl kleiner nur schwer erfaßbarer Schritte Variationen, die nur geringe oder sogar garkeine sichtbare Wirkung auf den Phänotyp (MAYR 1967). Die Wahrscheinlichkeit, daß in zwei Teilpopulationen die gleichen Mutationen in der gleichen Reihenfolge auftreten, ist nahezu gleich Null. Jede Population ist in Richtung auf Anpassung an ihre spezifische Umwelt selektiert. Die natürliche Auslese begünstigt Phäno- typen oder richtet sich gegen sie. Wo genetische Unterschiede nicht Phänotyp in Erscheinung treten (also im Genotyp „verborgen" bleiben) sind sie für die Selektion unangreifbar. HERRE (1975) verweist darauf, daß mit der Überführung von Wildtieren in den Hausstand ein Selek- tionswandel eintritt: statt natürlicher Auslese wirkt die menschliche Zuchtwahl. Eine Verände- rung,die nur dann in i hrervollen Tragweite bereifbarwird,wenn man sich die natürlichen Ausle- sefaktoren näher verdeutlicht.

6.2 Die Selektion wird häufig dargestellt, als sei sie ein zu allen Orten gleichmäßiger Zustand oder Vorgang (MAYR 1967).Tatsächlich aber verändern sich die wirksamen Auslesefaktoren sowie der von ihnen ausgehende Selektionsdruck fortwährend. Krisen und Katastrophen, wie Dürrepe- rioden, harte Winter, Nahrungsknappheit sowie das Auftreten neuer Räuber und Krankheiten lassen den auf einer Population liegenden Auslesedruck ständig schwanken. Genotypen, die unter durchschnittlichen Bedingungen „durchrutschen", werden in Krisensituationen ausge- merzt (s. TAYLOR 1934; zitiert bei MAYR 1967), während nur die Krisen-„manager" erhalten bleiben. Auch die sich in Gefangenschaft fortpflanzenden Wildtiere der Elterngeneration sind Krisenmangager, die es „verstanden haben", sich den neuen Umweltbedingungen anzu- passen. Ihre weitere Entwicklung sowie die ihrer Nachkommen ist jedoch durch einen statischen Selektionsdruck gekennzeichnet. Krisen und Katastrophen gehören nicht zum „Trainingsprogramm" von Gefangenschaftstieren. Die Mehrzahl der Individuen wird zu „Durchrutschern", die sich unter natürlichen Ausleseverhältnissen als nicht überlebensfähig erweisen würden. Die Tatsache, daß bei Gefangenschaftspopulationen die Jungtierverluste nur einige wenige Prozente betragen (s. DITTRICH 1985, HORN 1985), während in wild- lebenden Beständen um ein Vielfaches höhere Abgangsraten (beim Feldhasen bis über 80 0/0 eines Jungtierjahrganges (SCHNEIDER 1984), beim Reh bis zu 50 0/0 der Kitze (STUBBE 1985)), verdeutlicht die Problematik. Selbst wenn wir unterstellen, daß bei der Gehegenach- zucht keine menschliche Zuchtwahl hinsichtlich besonderer Standards (Fortpflanzungsrate, 231 Körpergröße, Gewicht, Färbung etc.) erfolgt, so zeigt die vorangegangene Diskussion doch die veränderten evolutiven Bedingungen auf. Aufgrund:

- des reduzierten Gen-Pools, - der eingeschränkten und/oder gelenkten Partnerwahl, - der Inzuchtpaarung, - der auftretenden Fluktuationen der Genhäufigkeiten, - der unterschiedlichen Mutationen, - der veränderten Selektionsbedingungen nimmt/nehmen die Gründer-/Gehegepopulation(en) eine andersartige evolutive Entwicklung als in der freien Wildbahn.

6.3 Die Evolution erweist sich als rücksichtslos opportunistisch: sie fördert jede Variation, die einem Orga- nismus gegenüber den Artgenossen einen Überlebensvorteil bietet (MAYR 1967). In derObhut des Menschen erweisen sich andere Variationen als vorteilhaft als unter Freilandverhält- nissen. Eine von der Gehegepopulation neugewonnene Adaption oder eine generelle physio- logische Verbesserung trägt zur Divergenz und Spezialisierung bei. Über kurz oder lang werden sich auch äußerlich sichtbare Unterschiede herausbilden. Die Untersuchungen an Inselpopulationen zeigen, daß durch die Überführung von einzelnen Artvertretern in andere Umweltbedingungen der „Grundstein" für deren Entwicklung zu neuen Formen gelegt wird. DARWIN erkannte bei seiner Reise auf den Galapagos-Inseln, daß jede Insel ihre eigenen Schildkröten-, Spottdrosseln- und Finkenarten beherbergte. Die Formen sind eng miteinander verwandt und doch deutlich voneinander verschieden. Aus einer kleinen Gründerpopulation europäischer Igel auf Neuseeland gingen innerhalb von weniger als 70 Jahren signifikant klei- nere Tiere hervor, deren Zahnzahl sich zudem durch eine erhöhte Variabilität auszeichnete (NIETHAMMER 1969). Bemerkenswerte Eigenarten bildeten auch die 1903 bei Prag angesie- delten nordamerikanischen Bisame aus. Sie lassen die europäische Population als neue „Unterart" erscheinen (PIETSCH 1976).

DARWINS (1860) Interpretation für derartige Unterschiede lautet: 1.Die Welt verhält sich nicht statisch, sondern ist in ständiger Entwicklung begriffen. 2. Die Arten verändern sich unaufhörlich, neue Arten entstehen, andere sterben aus. Im allgemeinen haben wir nur eine sehr vage Vorstellung von der Geschwindigkeit, mit der sich die Veränderungen einstellen.Die beiden vorangehend genannten Beispiele des Igels und des Bisam ließen erkennen, daß sich derartige Entwicklungen nicht zwangsläufig nur innerhalb von Jahrtausenden vollziehen, insbesondere dann, wenn die Gründer optimale Lebensbedin-• gungen bei geringem Selektionsdruck vorfinden. Bei allen bisher genannten Beispielen ist zu beachten, daß sich die Entwicklung unter veränderten, aber durchaus natürlichen Selektions- bedi ngungen vollzog.

6.4 Im Hausstand herrschen jedoch andersartige Auswahlkriterien, und „überschüssige" oder genetisch defekte Genotypen werden in der Praxis nicht ausgemerzt. Die Entwicklung auf neue Formen kann somit „reibungsloser" ablaufen als unter natürlichen Bedingungen. Die Gründerpopula- tionen im Hausstand werden sich ziemlich schnell an ihre neuen Lebensbedingungen und ihre neue Umwelt anpassen und das nicht nur modifikatorisch. Sie werden diejenigen Eigen- 232 schaffen verlieren,die für das Überleben in der freien Wildbahn wichtig sind.Oder,wie HERRE (1975) es ausdrückt: „Ihnen fehlt die artgemäße Wildheit".

Welchen Sinn hätte auch ein ausgeprägtes Fluchtverhalten, das in derWildbahn der Feindver- meidung (z. B. Mensch als Feind) dienen kann, in einer Voliere, die baulich gar keine Flucht möglich erscheinen läßt und in der vielmehr jeder Fluchversuch die Gefahr der unter Umständen tödlichen Verletzung in sich birgt? Individuen mit vermindertem Fluchtverhalten werden sich deshalb als besser adaptiert erweisen. Eine Auslese, die häufig auch nicht uner- wünscht ist, denn „es hat sich gezeigt, daß solche Vögel (Anm.: in Gefangenschaft gezüchtete Auer- und Birkhühner) dann zwar ausreichend Fluchtdistanz zu Menschen einhalten, aber bei ihrem Anblick nicht gleich in Panik geraten" (Geflügel-Börse 2/86: 13). Über halbzahme Grau- gänse und die sich daraus ergebenden Probleme (Futterbetteln, mangelnde Brutfürsorge, abnorme Färbungen, Verdrängung anderer seltener Arten etc.) bei niedersächsischen Wiederansiedlungsversuchen berichten BRUNS &VAUK (1986). Die neu entstandenen Feld- hasenzuchten in Frankreich haben innerhalb weniger Generationen bei einer Zuchtwahl auf weniger scheue, deshalb besser zu haltende Tiere zu einem neuen Typus des durch ausge- prägtes natürliches Fluchtverhalten gekennzeichneten Feld hasen geführt. Diese Zuchthasen zeigen so geringe Fluchttendenzen,daß sie nach ihrer Freilassung leicht von Menschen wieder gefangen werden können (FI ECHTER mdl.). Ein weiteres Beispiel fürVeränderungen während der Gehegezucht bieten die vermehrungsfreudigen Löwen, bei denen HOLLISTER (1917) bereits Hirnreduktionen feststellte. Die berühmt gewordene Leipziger Löwenzucht ist durch zahlreiche Abnormitäten charakterisiert. Ein gewisses Aufsehen erregen auch die beiden weißen Junglöwen des Johannisburger Zoos, deren Weißfärbung durch Genelimination hervorgerufen worden sein soll (Heute-Nachrichten v.19.02.1986). Übereinstimmend gilt für alle sich während der Gefangenschaftszucht einstellende Merkmalsdivergenzen, daß sie die Folge veränderter evolutiver Entwicklungsvorgänge sind. Es sind Domestikationserschei- nungen, wie sie auch beim „Paradeobjekt der Arterhaltung in Gefangenschaft", dem Wisent, nicht ausgeblieben sind (vgl. PIELOWSKI 1986). Die im Gehege gezüchtete Wildtierpopulation wird zum Zerrbild der wildlebenden Art. In besonders krasser Form tritt die Problematik der veränderten Selektionsbedingungen bei der Gefangenschaftszucht von Weißstörchen (vor allem in Baden-Württemberg, der Schweiz und dem Elsaß) zu Tage. Unter Einkreuzung norda- frikanischer Tiere wird auf das Merkmal „nicht ziehend" selektiert, um den jährlich hohen Zugverlusten zu begegnen (LÖH M ER mdl.). Nach GANG LOFF & GANG LOFF (1986) ist es das erklärte Ziel, „die Vögel am Abziehen zu hindern" und sie an einen Lebensraum anzupassen, „der nicht gerade ideal für Störche ist". Dazu müssen den gezüchteten Jungstörchen „die Flug- federn beschnitten werden, denn der Jungstorch - sich selbst überlassen - fliegt problemlos und tritt sonst möglicherweise bereits Mitte August seine Reise in den Süden an". Es wird der Versuch unternommen, „Störche genau dort anzusiedeln, wo man sie haben möchte". Aller- dings müssen die Störche „im Winter gefüttert werden". Desweiteren verdrängen die überwin- ternden Vertreter die ziehenden von den optimalen Brutplätzen, welche sie bereits besetzt halten,wenn ihre „Artgenossen" aus den Überwinterungsgebieten an den heimischen Horsten eintreffen. Auf diese Weise findet eine langsame Verdrängung der ziehenden einheimischen Tiere durch vom Menschen genetisch manipulierte nicht ziehende Individuen statt. Selbst wenn angenommen werden könnte, daß die in Gefangenschaft überführte Teilpopula- tion ein repräsentatives Abbild der Wildpopulation darstellt, würde sich die Gefangenschafts- population divergierend zurWildpopulation entwickeln. Die Wahrscheinlichkeit, daß in beiden Fortpflanzungsgemeinschaften dieselben Rekombinationen und Mutationen sowie dieselben Auslesefaktoren und Selektionsdrücke in derselben Aufeinanderfolge vorkämen, ist gleich Null. Die auftretenden Abweichungen sind aber häufig nur wenig auffällig und betreffen „ledig- lich" einzelne Organe oder physiologische, phänologische und genetische Eigenschaften.Zur 233 Verdeutlichung derartig subtiler und äußerlich nicht erkennbarer Divergenzen sei hier der Biber angeführt, der in zwei nur genetisch unterscheidbaren Arten, dem Europäischen und dem Kanadischen Biber, auftritt (s. DJOSHKIN & SAFONOW 1972). Einen Eindruck von der Subtilität der möglichen Unterschiede gibt auch die Arbeit von MAJEWSKA et al. (1979). Die Autoren ermittelten bei bis zu 90 Tagen alten Wild- und Zuchtfasanen signifikante Abwei- chungen des Längenindex der Handschwingen zum Körpergewicht. Die Zuchttiere wiesen ein höheres Körpergewicht bei gleichzeitig verringertem Federwachstum auf. Die Folge: die gefangenschaftsgezüchteten Tiere sind weniger flugtüchtig als ihre wild lebenden Artge- nossen.

6.5 Weitere Gefahren die sich aus der Fortentwicklung von nur kleinen, vereinzelten Populationen ergeben, werden durch Experimente von DOBZHANY& PAVLOVSKY (1957, zit. bei MAYR 1967) aufgezeigt. Zehn experimentelle Drosophila-Populationen, deren jede aus nur 20 Individuen bestand, wichen weit mehr voneinander ab als 10 andere, von denen jede durch 4000 Individuen begründet worden war. Alle 20 Populationen leiteten sich von derselben Elternpopulation ab. Eine völlig neue Dimension der Frage nach den möglichen Gefahren aus der Zucht und der damit verbundenen Isolation ergibt sich aus den gerade veröffentlichten Forschungsergeb- nissen von O'BRIEN et al. (1986). Wenn die heutigen Bestandsrückgänge des Geparden Acinonyx jubatus mit ihren artinternen Ursachen und der festgestellten „genetischen Verar- mung" in einer früheren „Katastrophe" begründet sind, die ehedem eine dramatische Abun- danzverringerung des Geparden bewirkt hat, so verbietet sich wohl generell jede weitere isolierte Haltung und Zucht von Wildtieren.Zunnindest für Arten mit hoher Mobilität der Indivi- duen und weiten Siedlungsarealen muß, solange nicht für jede Spezies eindeutig gegenteilige Befunde zu ihren genetischen Potenzen vorliegen,Ähnliches angenommen werden wie für den Gepard. Wenn für diesen sehr mobilen und ehedem weit verbreiteten Säuger aus der vorma- ligen Bestandsverringerung und Isolation sich eine genetische Verarmung infolge Inzuchter- scheinungen ergeben hat, so dürfte dieses in gleichem, wenn nicht sogar höherem Maße für die noch mobileren und weiter verbreiteten Vögel gelten. In bezug auf die Maßnahmen der „Zucht zur Arterhaltung" bedeutet dieses unbestreitbar, daß mit der Isolation derZuchtstämme und der unvermeidlichen Inzestzucht infolge von praktisch unumgänglichen Verwandten- Paarungen die späteren artauslöschenden Komplikationen vorgezeichnet sind. Das Beispiel des Geparden widerlegt, daß Tierzuchten mit der Verwendung relativ kleiner Zuchstämme in der Isolation der Arterhaltung dienen. Sie führen allenfalls zu einerzeitlichen Verschiebung der endgültigen „Katastrophe". Daß es durchaus zulässig ist, die oben zitierten Forschungsergeb- nisse an einem großen Säuger auf Vögel zu übertragen, wird durch eine zur gleichen Zeit erschienene Publikation von BLANC et. al. (1986) belegt. Diese beschreiben eine signifikant geringere populationsgenetische Diversität bei einer Zuchtgruppe von Rebhühnern Perdix perdix im Vergleich zu anderen freilebenden Populationen. Selbst das isoliert liegende Vorkommen des Rebhuhnes in der Region der Pyrenäen zeigt eine höhere Diversität gegen- über den Zuchten, die sogar noch größer ist als die eines freilebenden „gehegten" Bestandes. Auch auf Grund dieser Ergebnisse muß von schwerwiegenden genetischen Einengungen als Folge der Zuchthaltung ausgegangen werden. Deshalb kann, angesichts dieser experimen- tellen Befunde, keineswegs von einer Chance der Arterhaltung durch langjährige Gefangen- schaftszuchten, wie es die Vogelhaltung betreibt, respektive verstärkt betreiben will, aus- gegangen werden. Geradezu unerheblich nimmt sich vor diesem Hintergrund der schwer- wiegenden genetischen Folgen die Mitteilung von VAUK-HENTZELT (1986) aus. Danach erfahren gezüchtete Rauhfußhühner (Auerhuhn Tetrao urogallus, Birkhuhn Lyrurus tetrix) 234 Degenerationen des Herzmuskels. Aus dieser Organschwäche, über deren etwaige gene- tische Manifestierung die Autoren keine Angaben machten, ergeben sich für diese Tiere stark verringerte Überlebenschancen bei Aussetzung in die freie Wildbahn. Damit weist auch dieses Phänomen, die Abweichung vom artspezifischen Überlebenserfolg auf Grund der Zuchtein- wirkungen, den Fehlschlag züchterischer Arterhaltung einmal mehr aus. Soweit den bishe- rigen Feststellungen des züchterischen Unvermögens zum Artenschutz und zur Arterhaltung auch der geringste Zweifel anhaften sollte, daß nach einer eventuellen Auswilderung in weiter Zukunft -d. h. nach der Wiederherstellung zuvor verloren gegangener Habitate (s. RU EM PLER unp.1986, HORN unp.1986) -sich derartige Mängel selbst beheben würden, gilt es abschlie- ßend die Frage zu prüfen:

6.6 Tritt in der Wildbahn eine Rückentwicklung der Domestikations- erscheinungen ein?

Eine Frage, die nach allen bisherigen Erkenntnissen der Domestikationsforschung (s. u.a. HERRE & RÖHRS 1973) mit einem klaren „Nein" beantwortet werden muß. MAYR (1967) verweist darauf, daß die Evolution (somit auch die Evolution im Hausstand) ein progressiver und kein retrogressiver Vorgang ist. Die bisherigen Erfahrungen mit verwilderten volldomesti- zierten Haustieren (für die Galapagos-Inseln: HERRE&RÖHRS 1973,KRUSKA&RÖHRS 1974) und semidomestizierten Wildtieren (ZUM SANDE & SPITTLER 1975; MAJEWSKA et al. 1979; PIELOWSKI 1981; HAASE 1985; BRUNS &VAUK 1986 u. a.) sind sicherlich noch nicht ausrei- chend Beleg, bislang aber unwiderlegt. Selbst gesetzt den Fall, daß nach der Auswilderung eine Weiterentwicklung in Richtung auf ein Wildtier erfolgen würde (es wurde bereits erwähnt, daß es Rückentwicklungen in der Evolution nicht gibt),so hätten die Arten dann nur noch wenig mit denen genneinsam, d ie man ehemals zwecks Vermehrungszucht in die menschliche Obhut übernommen hatte.So wird etwa das -fälschlich -als Wildtier erachtete Mufflon, das aus einer primitiven Hausschafrasse des vorderasiatischen Raumes hervorgegangen ist (s. B ERRENS et al. 1985), weder seiner ursprünglichen Wildform entsprechen, noch repräsentiert es den ehemaligen Haustiervorfahren. Ähnliches ergibt sich aus den Befunden von v.d. LOO (unpubl.) am „Wildkaninchen", dessen ubiquitäre und zu Millionen zählende Bestände nahezu voll- ständig domestizierten Vorfahren entstammen.

7. Von Rothirschen und Waldvögeln

Vorangehend sind die generellen Probleme der Haltung und Vermehrung von Wildtieren in Gefangenschaft dargelegt worden. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die spezielle Problematik der Waldvogelhaltung und -zucht?

Befunde zur evolutiven und populationsbiologischen Entwicklung einheimischer Waldvögel bei der Gefangenschaftshaltung liegen unseres Wissens bislang nicht vor. Ein Mangel, der verwundert; denn berücksichtigt man, daß von nach zehntausenden zählenden Amteurzoo- logen (HORN 1985) mit Waldvögeln „gearbeitet" wird, wäre eher eine Fülle von Erkenntnissen zu erwarten. Zwar hat es sich der BUNDESVERBAND FÜR FACHGERECHTEN NATUR- UND ARTENSCHUTZ e. V. als Dachorganisation der Waldvogelpfleger (u. a. Tier- und Pflanzen- züchter) zur satzungsgemäßen Aufgabe gemacht, wissenschaftliche Arbeiten anzuregen und zu veröffentlichen, die wissenschaftliche Effizienz der waldvogelzüchtenden Amateure muß jedoch angesichts dieses Mangels als sehr gering eingeschätzt werden. Wir wollen daher die spezielle Problematik anhand eines Beispiels verdeutlichen. Die Bedingungen der volierenle- benden Waldvögel sind mit der infrastrukturellen Situation zahlreicher heimischer Wildarten vergleichbar. Eingehender untersucht sind die Verhältnisse beim Rotwild. Sie sollen daher zur 235 Interpretation herangezogen werden. Das einheimische Rotwildvorkommen ist von einem ehemals fast flächendeckenden Verbreitungsareal auf etwas über 80 Einzelgebiete reduziert worden (s. KLEYMANN 1976 a). Die Einzelvorkommen sind nach populationsbiologischen Gesichtspunkten ausgesprochen individuenarm, weisen aber lokal überhöhte Wilddichten auf. Migrationen, die gleichbedeutend sind mit genetischer Durchmischung, sind nur einge- schränkt oder überhaupt nicht möglich.Wildschutzzäune oder andere wirksame Maßnahmen wirken sexuell und geographisch, also auch genetisch, isolierend. Die Situation der in menschlicher Obhut lebenden Waldvogelarten ist der oben beschriebenen ähnlich. Kleine Gruppen werden aus dem natürlichen Vorkommen der jeweiligen Art abgetrennt und bei zum Teil geringem Raumangebot und unnatürlich hohen Dichten wirkungsvoll von ihren wildle- benden Artgenossen isoliert. Ein- und Auswanderungen sind im künstlichen Lebensraum nicht möglich. „Blutauffrischungen" sind in das Belieben des Vogelhalters gestellt. Als jagd- barer Tierart wird dem Rotwild eine besondere Hege zuteil. Da winterliche Einstandswechsel nicht mehr möglich sind, sollen Zufütterungen den Verlust an natürlicher Nahrungsvielfalt ausgleichen. Gleichzeitig sollen sie gleichbleibend große Stückzahlen garantieren, wie sich in den Zeiten natürlicher Nahrungsengpässe erhalten können (vgl. HEBRE 1975). Die selektive Wirkung des ökologischen Flaschenhalses „Herbst/Winter" wird gedämpft. Desweiteren werden die externen Selektionsbedingungen durch direkte und indirekte anthropogene Einwirkungen verändert. Jagdliche Bewirtschaftungsmethoden sowie der Wunsch nach besonders starken Trophäenträgern bedingen Zuchtziele, die in genetischer Sicht von normalen Genhäufigkeiten der Bestände differieren (s.SAVAGE 1971). Ein Vergleich der Situa- tion der mitteleuropäischen Rothirschbestände mit der gefangengehaltener Vögel erscheint zulässig. Auch der Rothirsch konnte und mußte in geschichtlicher Zeit zwischen saisonalen Einstandsgebieten migrieren. Auf Grund seiner Körpergröße wurden dabei große Entfer- nungen überwunden. Dem Rothirsch wurden unter anthropogener Landschaftszerschnei- dung diese Möglichkeiten genommen. Bewahrt wurden die Migrationsmöglichkeiten den Vögeln. Genommen werden sie auch diesen bei einer„Haltung unter Draht".Betrachten wir nun wieder die Verhältnisse der Waldvogelzucht, so müssen wir abermals Übereinstimmungen feststellen. Jahresperiodische Einstandswechsel als Folge des genetisch fixierten Zugverhal- tens sind in Volieren undurchführbar. Aus Zugvögeln oder Teilziehern werden Haus-Stand- vögel. Die Fütterungen beschränken sich auch nicht,wie bei den kulturfolgenden Standvögeln, auf ein winterliches Zufüttern. Sie sind tagtägliche Notwendigkeit. Bedarfsweise erfolgt die Beigabe von Zusatzstoffen oder Pharmaka zur Gewährleistung eines gleichbleibenden Gesundheitszustandes und zurVermeidung von Verlusten, die dem Züchter stets unerwünscht sind. Die Selektionsbedingungen und der Selektionsdruck weichen nicht nur von den natür- lichen Verhältnissen ab.Sie sind gänzlich verändert. Nach eigenem Gutdünken selektieren die Kleinvogelzüchter auf Merkmale, die ihrem subjektiven Zuchtziel beziehungsweise ihrem „Wunsch"—Phänotypen entsprechen. Individuen mit einem ansprechenden äußeren Erschei- nungsbild (Farbmutanten, groß- und zwergwüchsige Exemplare) oder besonders entwik- kelten Verhaltensweisen (gute Sänger,Tiere mit hoher Reproduktionsleistung) erhalten einen Zuchtvorteil gegenüber weniger ansprechenden Artgenossen. Die Beispiele sollen ausreichen, um die der Zucht zugrundeliegende Problematik zu skizzieren.

Die Untersuchungen zur gegenwärtigen Situation des heimischen Rotwildes (KLEYMANN 1976 a), seiner genetischen Struktur (BERGMANN 1976, KLEYMANN 1976 b) sowie des Körpergewichts (RADLER &HATEEM ER 1982) belegen die verschiedenen Entwick- lungen in den einzelnen „Insel" Lebensräumen, die eine erblich gefestigte orts- und umweltty- pische Ausprägung der einzelnen Bestände bewirken. Diese genetische Differenzierung ist die Folge „gering erscheinende Eingriffe des Menschen" (HERRE 1975) in freilebende Bestände. Die Hege des Rothirschs erinnert an primitve Haustierzuchten (vgl. HERRE 1975). 236 Im Vergleich zur Waldvogelzucht ergeben sich jedoch Unterschiede, die die Waldvogelzucht nicht mehr nur als primitive Haustierzucht erscheinen lassen. Die angewandten Methoden entsprechen denen der Nutz- und Heimtierzucht. Die zuchtbedingte Degeneration von Zier- geflügel, Tauben und exotischen Vogelarten sollte ein mahnendes Beispiel sein. Das vom Präsidenten des BNA e.V. Prof. HORN (1985) in apodiktischer Weise geäußerte Fazit, daß „die Zucht von Wildtieren als Teil des Natur- und Artenschutzes in gar keiner Weise zu attackieren" sei, entbehrt jeglicher Grundlage. Es mögen sich daraus Situationen ergeben, die die vorüber- gehende Haltung und Vermehrung von Wildtieren in menschlicher Obhut notwendig erscheinen lassen. Dann ist das Übel der Domestikation in Kauf zu nehmen, um wenigstens Arten oder Gattungen zu erhalten. Derartige Ausnahmefälle setzen aber ein wissenschaft- liches Programm voraus. Sie dürfen keinesfalls in eine unkontrollierte und von jedermann zu betreibende Zucht ausarten. Den Zuchtgedanken generell, wie von HORN (1985) gefordert, in einem Naturschutzgesetz festzuschreiben, hieße, die Ausnahme zur nicht kontrollierbaren Regel zu machen. Die „Gentechnologie des kleinen Mannes", wie sie sich in der Züchtung neuer Vogelrassen und zahlreicher Hybride manifestiert, weist nicht die geringste Gemein- samkeit mit dem derzeit modernen Naturschutzgedanken auf. Sie ist vielmehrAusdruck abso- luter ökologischer Unkenntnis und blasphemischer Gedankenlosigkeit. Sie verstößt gegen geltendes Naturschutzrecht, wenn die Tiere außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes ausgesetzt werden oder aus der Gehegehaltung entweichen. So finden sich in Niedersachen nach Angaben von HECKENROTH (1985) freilebend: - 26 ausgesetzte oder aus Haltung entwichene nicht heimische Brutvogelarten (Glanzstare, Sittiche, Papageien etc.), - 19 ausgesetzte oder aus Haltung entwichene Gastvogelarten (Kuhreiher, Fuchsammer, Kappenammer, Braunkopfammer etc.). Die daraus resultierenden Folgen sind nicht kalkulierbar. Die bisherigen Befunde, wie: - die Verdrängung wilder Stockenten durch Hochbrutflugenten (s. BEZZEL 1980), - die Mischlingsbildung bei Park- und Wildpopulationen der Stockente und zum Beispiel der Fleckenschnabelente (s. BOBACK 1970, ECK 1970, WEBER 1977), - und die Mischgelege verschiedener Arten (Höckerschwäne und Graugänse) (s. DITTBERNER 1976, KRUMMHOLZ 1980) lassen katastrophale Folgen erwarten.

7.1 Der aktuelle Disput

zum Thema Wildtier-/Waldvogelzucht ist auch Gegenstand eines vom KOMITEE GEGEN DEN VOGELMORD e. V. bei H. OELKE (1985) in Auftrag gegebenen Gutachtens (einschl. einer in lit. vorliegenden Richtigstellung v.22.1.1986) sowie einer Stellungnahme zu dem oben genannten Gutachten von K. I M M ELMAN N, H. LÖHRL &J. NICOLAI (1985). Aussagen zur Domestikation von gefangenschaftslebenden und gezüchteten Wildtieren finden sich dabei lediglich bei OELKE (1985, in lit. v. 22.1.86). IMMELMANN, LÖHRL& NICOLAI (1985) äußern sich hingegen vornehmlich zu OELKES Feststellung,daß sich Wildtiere in Gefangenschaft nur gelegentlich in mehreren aufeinanderfolgenden Generationen fortpflanzen würden, gehen aber auf Domesti- kationserscheinungen nicht ein.Angesichts der sonstigen wissenschaftlichen Reputation der Mitglieder des Autorenkollektivs kann dieses - unseres Erachtens - nur als bewußtes Verschweigen ihnen wohlbekannter Fakten gewertet werden. Da wir uns in diesem Beitrag nicht eingehend mit der Züchtbarkeit einzelner Wildtierarten zu beschäftigen haben, sie auch generell nicht zu bestreiten ist, sehen wir keinen Anlaß zu einer näheren Behandlung dieser Thematik. Unumstritten ist aber, daß Wildarten aller Wirbeltierklassen unter menschlicher Obhut gezüchtet werden und daß sich bei den Zuchtpopulationen über kurz oder lang Dome- stikationserscheinungen einstellen. 237 Dieses stellt eine Tatsache dar, auf die OELKE erst in seiner Richtigstellung näher eingeht und die von I MM ELMAN N, LÖHRL& NICOLAI überhaupt nicht berücksichtigt wird. Verwunderlich ist die diesbezügliche Zurückhaltung des Autorenkollektivs, da NICOLAI (1959, 1976) am Beispiel von Girlitzen und IMMELMANN (1962 a, 1962 b) an australischen Zebrafinken die Auswirkungen der Domestikation nachgewiesen haben. Ergebnisse, die von den Autoren unseres Wissens auch bislang nicht widerrufen worden sind. Wir gehen daher davon aus, daß hinsichtlich der Auffassung über auftretende Domestikationserscheinungen allgemeine Übereinstimmung besteht. Umstritten ist aber die Bewertung der Domestikation unter dem Gesichtspunkt des Tierartenschutzes. IMMELMANN, LÖHRL& NICOLAI sehen in der Wildtier- zucht einen positiven Beitrag zur Erhaltung von im Freiland bedrohten Tierarten und stehen damit im krassen Gegensatz zur Auffassung OELKES. Die Tatsache,daß I M M ELMAN N, LÖH RL & NICOLAI um die Domestikation wissen, sie aber offensichtlich für wenig bedeutsam halten, scheint Ausdruck der ausschließlich morphologischen und nicht-dimensionalen Artdefintion (Morphospezies) zu sein. Eine Vorstellung vom Artbegriff, die seit den vierziger Jahren immer stärker an Bedeutung verloren hat und heute durch das allgemein anerkannte Biospezies- Konzept ersetzt worden ist (s. WI LLMAN N 1985), bei dem u.a. auch notwendigerweise ökolo- gische und genetische Faktoren berücksichtigt werden. Die nicht-dimensionale Vorstellung von Morphosspezies vermag die aus der Domestikation ableitbaren Veränderungen erst dann zu berücksichtigen, wenn sie sich auch gestaltlich manifestieren. Morphologische Verände- rungen sind aber nicht die zwangsläufige primäre Folge der Gefangenschaftszucht, sie sind zumindest nicht immer phänotypisch sichtbar. Äußerlich nicht erkennbare Veränderungen zu ignorieren, läßt jedoch jeden ökologischen und evolutionsbiologischen Sachverstand vermissen und ist fachlich antiquiert. Gerade bei der Beurteilung der Erhaltungszucht von Wildtierarten sind aber alle eine Tierart charaktierisierenden Faktoren, seien sie genetisch, morphologisch, physiologisch, ökologisch oder ähnlich determiniert, zu berücksichtigen.

8. Fazit Die dargestellten Ergebnisse verdeutlichen: die Erhaltungszucht von Wildtierarten ist keine geeignete Maßnahme eines evolutionsbiologisch und ökologisch orientierten Artenschutzes. Wildtiere auf Dauer sind nur in und mit einer ihnen gemäßen Umwelt zu erhalten. Ausgehend vom gegenwärtigen Erkenntnisstand der Evolutions- und Domestikationsforschung wird durch die Gefangenschaftshaltung und -zucht die Domestikation von Wildtieren eingeleitet. Mit der Domestikation einhergehend ist derVerlust der artgemäßen Wildheit (vgl. HERBE 1975). Die retrogressive Entwicklung (Rückentwicklung) der Domestikationserscheinungen nach der Auswilderung gezüchteter Tierarten tritt nicht ein (vgl. KRUSKA &RÖHRS 1974). Die Dome- stikation von Wildtieren ist ein genetisches Experiment mit nicht kalkulierbarem Ausgang. Es ist widersinnig, von wissenschaftlich qualifizierten Tierexperimentatoren einen Qualifikations- nachweis und die Anmeldung der Versuche zu verlangen, gleichzeitig aber Amateuren die unkontrollierte und unqualifizierte Durchführung genetischer Experimente zu gestatten. Es ist bersorgniserregend, welch mangelnder ökologischer Sachverstand von den Befürwortern der Arterhaltungszucht offenbart wird. Die Arterhaltungszucht ist die praktische Realisierung der häufig zu vernehmenden Forderung nach „umweltgerechten" Tierarten. Arten, die sich nicht selbständig den anthropogenen Umweltveränderungen anpassen, werden durch die Erhal- tungszucht zu zwangsangepaßten technophilen oder technolabilen Arten manipuliert. Es ist zynisch, die eigentliche Aufgabe des Biotopschutzes in der Erhaltung von Mikro- organismen sehen zu wollen und aus der Feststellung, daß das Verschwinden einiger Säuger-, Vögel-, Reptilien-, Amphibien-, Fische- oder Insekten-Arten relativ bedeutungslos sei (vgl. HORN 1985), die Rechtfertigung für deren Manipulation abzuleiten. Frei nach der Devise: 238 „wenn sie schon nichts nützen, dann wollen wir sie wenigstens durch Zucht nach unseren Vorstellungen gestalten, damit ihre Existenz zumindest einen geringen Sinn erhält”.

Es ist widersinnig, den Lebensraum von Mikroorganismen durch Schutz- und Pflegemaß- nahmen erhalten zu wollen, die in einer co-evolutiven Beziehung zu ihnen stehenden Tiere (und Pflanzen) aber in den Hausstand zu überführen, um sie dort durch Zucht zu erhalten.

Es ist bedauerlich, daß uns Gesetze nur vor medizinischen „Quacksalbern" schützen, daß uns aber im ökologischen Bereich kein derartiger Schutz gewährt wird.

Zur Rechtfertigung dieser bewußt emotionalen Beurteilung bemühen wir zwei Zitate:

„Noch spüren wir an vielen Stellen und bei manchen Arten das Bemühen, ursprüngliche Verhältnisse im Auge zu behalten, aber in anderen Fällen machen immer stärker werdende Bestrebungen, Wildbestände menschlichen Vorstellungen gemäß zu manipulieren, eindeutig, daß wir uns in einer Gefahrenzone befinden.... Es gilt, die Anfänge rechtzeitig zu erkennen" (HERRE 1975).

„Gute Tierpfleger und -züchter machen noch keinen Naturschützer, und solange auf der Welt noch freilebende Tiere durch einheimischen Tierhandel und entsprechende Abnehmer in Gefahr sind, schließe ich Zweifel an der Aufrichtigkeit der Naturschutzbestrebungen mancher Menageriebesitzer nicht aus" (AMBERG 1980).

9. Zusammenfassung

1. In der Bundesrepublik Deutschland werden von Liebhabern Tiere aus allen Wirbeltier- klassen gehalten und bedingt gezüchtet. Mit der Haltung von nahezu 6 bis 7 Millionen Vögeln in etwa 500 bis 1000 Arten ist die Gruppe der Vogelhalter besonders starkvertreten. In Gefan- genschaft befinden sich auch besonders geschützte einheimische Vogelarten, vornehmlich sogenannte Waldvögel.

2. Als Rechtfertigungsgrund für die Vogelhaltung und -zucht wird zunehmend der Tierarten- schutz angeführt. 3. In dieser Abhandlung soll überprüft werden, ob die Haltung und Zucht von Wildtieren, insbesondere Vögeln, einen Beitrag zum Erhalt gefährdeter oder vom Aussterben bedrohter Tierarten leisten kann. 4. Einleitend werden Tierarten im Sinne des Biospezies-Konzept definiert sowie die biolo- gischen Unterscheidungskriterien für Wild- und Haustiere dargestellt.

5. Die aus der Überprüfung von wildlebenden Tierarten in den Hausstand resultierenden Veränderungen in der individuellen Umwelt eines Tieres werden beschrieben. Sie können für die entsprechenden Arten als „Umweltkatastrophe" bezeichnet werden. 6. Die in menschlicher Obhut überlebenden Artvertreter passen sich den neuen Lebensraum- bedingungen an und bilden als Ausdruck dieser Anpassung in relativ kurzer Zeit Ab- weichungen (Hirnreduktionen, physiologische Veränderungen etc.) gegenüber ihren wildle- benden Artgenossen aus.

7. Auftretende Mißbildungen (Phäno- und Genopathien) sind häufig nur schwer nachweisbar oder bleiben vielfach vorerst unerkannt. Derartige, auch in natürlichen Populationen auftre- tende, aber der Selektion unterliegende, Defekte werden in Gefangenschaft nicht kompen- siert und können zum Zusammenbruch der gesamten Gehegepopulation führen.

239 8. Die in Gefangenschaft überlebenden Artvertreter erweisen sich als Gründerpopulationen. Inzucht, Mutationen und veränderte Selektionsbedingungen (Zuchtwahl statt natürlicher Auslese) lassen die Gründerpopulation eine andere Entwicklung als ihre Elternpopulation nehmen. Da diese Entwicklung im Hausstand stattfindet, muß sie als Domestikation, die Entwicklung zum Haustier, bezeichnet werden.

9. Eine retrogressive Entwicklung zum Wildtier ist für Haustiere nicht möglich. 10. Am zulässigen Beispiel der infrastrukturellen Situation des einheimischen Rothirsches wird die Problematik hinsichtlich der Waldvogelzucht verdeutlicht. 11. Die Veröffentlichungen belegen, daß mit der Übernahme von Wildtieren in die Obhut des Menschen unweigerlich die Domestikation eingeleitet wird. Die „Arterhaltungszucht" kann nicht als geeignete Maßnahme eines evolutionsbiologisch und ökologisch orientierten Arten- schutzes angesehen werden. 12. Unter Berücksichtigung dieses Ergebnisse wird eine Bewertung der von OELKE sowie von IMMELMANN, LÖHRL & NICOLAI abgegebenen Stellungnahmen vorgenommen. Sie besagt, daß die Darstellung OELKEs gerechtfertigt ist, das Autorenkollektiv hingegen unseres Erachtens eine fachlich nicht haltbare Position vertritt.

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Anschriften der Verfasser: Dr. EBERHARD SCHNEIDER, Auf der Lieth 4, 3400 Göttingen RALF SCHULTE, Wanne 1, 3250 Hameln 8

246 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen • Vogel und Umwelt 4: 247-267 (1987)

Faunenverfälschung, Artenschutz und Genetik - Konzepte, Fakten und Probleme — von KARL RADLER, Göttingen

Inhaltsverzeichnis Seite

1. Einleitung 248

2. Relevante Begriffe und Prinzipien der Populationsgenetik 249

3. Zum Konzept der Anpassung 250

4. Die Bedeutung der Populationsgröße 252

5. Die effektive Populationsgröße 255

6. Konsequenzen für den Artenschutz 256

6.1. Das Problem der Hybridisierung 256

6.2. Bestandsstützungen und Wiederansiedlungen 257

6.3. Biotopschutz 259

6.4. Der Beitrag Zoologischer Gärten 260

6.5. Häufige Einwände 261

7. Schlußfolgerungen 262

8. Dankeswort 264

9. Literaturverzeichnis 264

247 1. Einleitung

Auf der Ebene der Art wird von „Faunenverfälschung" gesprochen, wenn in einer Lebensge- meinschaft (Biozönose) eine neue Art auftaucht. Besonders wegen berühmter Beispiele wie dem Kaninchen in Australien oder dem Bisam in Mitteleuropa, die beide zu einer ökono- mischen Belastung wurden, gilt dies allgemein als nicht erwünscht. Von Faunisten und prak- tischen Naturschützern wird daraus (gelegentlich etwas voreilig) der Schluß gezogen, „daß eine (jede?) neue Art nicht hierher gehört". Die ökologische Beurteilung dieser Problematik fällt in das Arbeitsgebiet der Synökologie (Communityecology) und wurde von REICH HOLF (1976) skizziert. Die hierbei relevanten Konzepte zur Bedeutung der Artenvielfalt sind z. B. bei PIAN KA (1978) sehr gut allgemein beschrieben und wurden mit engerem Bezug zum Natur- und Arten- schutz von WASNER (1983) dargestellt. Mehr das Arbeitsgebiet der Populationsbiologie und -genetik wird berührt, wenn das Auftauchen bzw. Einbürgern von gebietsfremden Individuen in eine Lebensgemeinschaft als „Faunenverfälschung" angesehen wird, wie es im Bundesnaturschutzgesetz (§ 20d, Abs. 2) anklingt. Denn wegen fehlender Paarungsbarrieren kann es dabei zu einer Vermischung von Unterarten (Rassen, Herkünften) kommen. In den vergangenen Jahrzehnten ist diese Frage zunehmend in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, seit im praktischen Natur- und Artenschutz immer häufiger versucht wird, Tierarten durch Bestandesstützung und/oder Wiedereinbürgerung davor zu bewahren, daß sie aus der Fauna weiter Gebiete endgültig verschwinden. Vor nunmehr fünf Jahren fand zu dieser The- matik eine wissenschaftliche Tagung statt (NOWAK & SCHREINER 1981), die mit „Empfeh- lungen für die Wiedereinbürgerung gefährdeter Tiere" beendet wurden (ANONYMUS 1982); Punkt 9 lautet dort: „Zur Aussetzung sollen nur Tiere gelangen, die taxonomisch und ökolo- gisch zur ehemaligen Population identisch oder möglichst ähnlich sind". Durch den Abdruck in verschiedenen (Verbands-) Zeitschriften fand diese Empfehlung sehr breite Zustimmung im praktischen Naturschutz. Dort wird diese Empfehlung als Gebot angesehen, welches z. B. die Freilassung eines helleren und etwas kleineren Uhus als Vergehen betrachtet, „da er nicht der Nominatform zuzurechnen ist"; ähnliche Einwände bestehen gegen die Freilassung von Wanderfalken etwa aus der Nachkommenschaft von spanischen und norwegischen Eltern. Gelegentliche Verstöße führten daher immer wieder zu Diskussionen, Leserbriefen und Un- sicherheiten unter Artenschützern. Dies rührt vermutlich nicht zuletzt daher, daß sowohl im Tagungsbericht (NOWAK&SCHREIN ER 1981) sowie in einer etwas jüngeren Übersichtsarbeit (NOWAK 1982) keine überzeugende Begründung für diese Empfehlung gegeben wurde. NOWAK (1982) spricht in diesem Zusammenhang von einer für den „Naturschutz neuen Arten- schutzaufgabe", nämlich der „Erhaltung der genetischen und geographischen Identität". Er nennt dafür drei Gründe:

1. Eine Mischung des fremden Gen-Potentials mit dem einer einheimischen entzieht sich jeglicher Kontrolle. 2. Eine solche Mischpopulation kann u. U. über eine nur begrenzte Vermehrungsfähigkeit ver- fügen. 3. Mischpopulationen destabilisieren (wie Fremdeinbürgerungen) die Lebensgemeinschaft. Dieser Betrachtungsweise liegen vermutlich folgende allgemeine Annahmen zugrunde, die man gelegentlich in Diskussionen hört bzw. liest (vgl. z. B. OELKE 1986): (1) eine Rasse ist an ihren Biotop angepaßt („Ökotyp"), und (2) jede andere Rasse sowie hybride Nachkommen zwischen Unterarten sind in diesem Biotop weniger gut angepaßt. Diese „puristische" Position des Artenschutzes wurde in einer umfangreichen Übersichts- arbeit von GREIG (1979) dargestellt (vgl. auch WIRTH 1985): Der Autor versucht anhand 248 zahlreicher Beispiele zu belegen, daß (fast) jede Vermischung von geographischen Rassen (ja sogar Populationen) etwa bei Bestandesstützungen mit Tieren fremder Herkunft für die lokale Population abträglich ist. Er stützt sich dabei vor allem auf Publikationen von Syste- matikern. Die wenigen Arbeiten aus der Genetik (z. B. LEWONTIN oder FRAN KEL, vgl. dort) wurden nur soweit berücksichtigt, als sie die eigene Argumentation stützen. Besonders auffal- lend ist, daß das Schlüsselwort für den wichtigsten genetischen Aspekt dieser Problematik, nämlich „genetische Drift" von GREIG, kein einziges Mal genannt wird. Mit der vorliegenden Arbeit sollen die Aspekte dieser Art der „Faunenverfälschung" beim Artenschutz in der Betrachtungsweise der ökologischen Populationsgenetik dargestellt werden. Im Sinne dervon ERZ (1986) gegebenen Aufgabengliederung des wissenschaftlichen Naturschutzes sollen damit für ein aktuelles und kontrovers diskutiertes Problem im Natur- und Artenschutz wissenschaftliche Grundlagen aus dem (v. a. konzeptionell bzw. theoretisch heftig expandierenden) Wissen der Populationsgenetik zusammengestellt werden. Im Einzelnen wird dabei beabsichtigt, (1) die relevanten genetischen Begriffe und Prinzipien kurz zu erläutern, (2) deren Bedeutung für die Dynamik von Populationen anzudeuten, (3) die wichtigsten (v. a. englischsprachigen) Quellen hierzu kritisch zusammenzustellen, (4) die Komplexität des Problems und lückenhafte Kenntnis der Wissenschaft zu diesem Thema deutlich zu machen sowie (5) mögliche Konsequenzen für den Natur- und Artenschutz zu begründen. Um möglichst anschaulich und nahe an der hierzulande aktuellen Diskussion zu bleiben, wurden vorwiegend Beispiele von Säugetieren und Vögeln berücksichtigt, da der Autor damit am besten vertraut ist. Wenn auch die Akzente bei anderen Arten-Gruppen etwas anders zu setzen wären, so dürfte das meiste des hier Diskutierten allgemein gültig und anwendbar sein. Für Bäume etwa liegen bereits ähnliche Übersichtsarbeiten zu einer aus genetischer Sicht analogen Problematik vor (HATTEMER u. a.1982, GREGORIUS u. a. 1979 und 1985).

2. Relevante Begriffe und Prinzipien der Populationsgenetik

Die wichtigsten Konzepte der Populationsgenetik sollen kurz skizziert werden, soweit sie für die Begründung der unten diskutierten Konsequenzen für den Artenschutz erforderlich sind. Die primäre Quelle für genetische Variation ist die spontane Entstehung von (meist kleinen) Veränderungen an der DNS, was allgemein als Mutation bezeichnet wird. Über ihre Rate in natürlichen Populationen ist sehr wenig Konkretes bekannt; sie liegt vermutlich im Bereich 1 :1000 000. Bei höheren Wirbeltieren kann die so entstandene Variation durch Reko nn bination bei der Weitergabe der genetischen Information über die Generationen erheblich vergrößert werden: Die genetische Information liegt in Form von chemischen Strukturen vor, die man Gene nennt und die sich vor allem auf den Chromosomen befinden. Jedes Gen nimmt darauf einen ganz bestimmten Ort ein, der als Genort bezeichnet wird. Bei einem diploiden Organismus (wie die meisten Vertebraten) kann jeder Genort mit zwei gleichen oder zwei verschiedenen Genen besetzt sein. Solche homologen Gene eines Genorts nennt man auch Allele, und wir sprechen von homo zyg oten oder hete rozygoten Genorten.Phänotypische Merk- male können von den beiden Genen eines einzigen (bei manchen Erbkrankheiten), weniger (bei Farbvarianten) oder gar mehrerer Dutzend Genorte kontrolliert werden, die dann nicht immer unabhängig voneinander vererbt werden. Kommen in einer Population mehrere Allele vor, so bezeichnen wir diesen Genort als polymorph. Der Anteil solcher polymorpher Genorte beeinflußt u.a.den mittleren Heterozyg otieg rad -ein häufig benutztes Maß zur Quantifizierung der genetischen Variation - einer Population. 249 Ein zentraler Begriff in der Populationsgenetik und Evolutionsbiologie ist die (Darwinsche) Fitness: Ganz im Gegenteil zur „sportlichen" Fitness im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet hier die Fitness eines Individuums seinen reproduktiven Beitrag zur nächsten Generation. Für eine Population betrachtet man die Summe oder das Mittel dieser Beiträge. Besonders bei Wirbeltieren wird diese Größe von der jährlichen Fruchtbarkeits- (Fertilität) u n d der Überlebensrate (Viabilität) beeinflußt. Von Selektion oder Auslese spricht man in der Genetik, wenn sich die genetischen Strukturen als Folge von indivduel len Unterschieden der Fitness ändern.Sie wurde von Darwin mit dem Zusatz „natürlich" versehen, um auf die Analogie und Verschiedenheit zur züchte- rischen Auslese hinzuweisen. Heute unterscheidet man eine ganze Reihe von „Selektions- komponenten" wie Viabi litäts- oder Fertilitätsselektion, aber auch sexuelle Selektion, wodurch bei der Weitergabe der erblichen Information die genetischen Strukturen in einer Population beeinflußt werden. Genfluß bezeichnet den Kontakt zwischen Populationen einer Art, wenn ein Austausch von Genen stattfindet. Besonders hervorzuheben ist dabei, daß Migration bzw. Dispersion (im Sprachgebrauch der Ökologie) nicht gleichbedeutend mit Genfluß ist. Letzerer wird leider in der populationsgenetischen Literatur wiederum oft als Migration bezeichnet. Die enormen Migrationsleistungen vieler Vögel etwa bewirken wegen verbreiteter Brutplatztreue (Philo- patrie) kaum einen geographisch wirksamen Genfluß.Sogar die bei vielen Arten beobachtete Dispersion (besonders von Jungtieren) führt nicht zwangsläufig zu einem erheblichen Genfluß. So zeigten Untersuchungen an kleinen Säugetieren, daß abwandernde Tiere meist geringeren Reproduktionserfolg haben, etwa wegen sozialer Ächtung, mangelnder Kenntnis des Habitats sowie geringerer Umwelttoleranz. Genfluß kann also trotz hoher Dispersion bzw. Migrationsrate und -entfernung sehr gering sein. Von natürlichen Populationen liegen hierzu nur sehr spärliche und für höhere Wirbeltiere überhaupt keine Informationen vor (vgl. ENDLER 1977). Das Konzept der Genetischen Drift wurde von WRIGHT (1931) eingeführt. Man bezeichnet damit ungerichtete Änderungen der Häufigkeiten einzelner Gene in einer Popula- tion, die daher rühren, daß die Gene einer Folgegeneration nur eine zufallsmäßige Stichprobe aus denen der Elterngeneration sind. Die Ursache hierfür liegt (1) in der zufallsmäßigen Weiter- gabe eines von zwei homologen Chromosomen der Eltern an die Nachkommen bei der Meiose und (2) an der „Endlichkeit" von natürlichen Populationen. Dadurch können die Allele eines polymorphen Genorts in stark veränderten Häufigkeiten in einer Folgegeneration auftreten. Im ungünstigsten Fall können von einer Generation zur nächsten manche sogar völlig aus der Population verschwinden. Dadurch werden die Rekombinationsmöglichkeiten in künftigen Generationen eingeschränkt und damit ihre genetische Vielfalt gemindert.Auch sprungartige phänotypische Änderungen können durch genetische Drift verursacht werden. Dieser- unter populationsgenetischen Laien am wenigsten bekannte - Prozeß kann unter gewissen Umständen die genetische Vielfalt massiv einschränken (vgl. unten). Das Prinzip der (M i kro-)Evo I u ti o n läßt sich damit auf einen Prozess derVeränderung von genetischen Strukturen reduzieren, wobei Mutation, Genfluß und sexuelle Rekombination das Rohmaterial liefern, welches durch natürliche Selektion und genetische Drift verändert wird (DOBZHANSKY u. a. 1977).

3. Zum Konzept der Anpassung

Der Begriff Anpassung ist ein zentrales Schlüsselwort in der modernen Biologie. Da er letztlich auf Charles Darwin zurückgeht, sei kurz an die drei Prinzipien erinnert, mit denen DARWIN 250 (1859) seine Evolutionstheorie ableitete: (1) das Variationsprinzip (innerhalb jeder Population gibt es individuelle Variationen bezüglich Morphologie, Physiologie und Ethologie), (2) das Vererbungsprinzip (verwandte Individuen sind sich ähnlicher als nicht verwandte) und (3) das Ausleseprinzip (in einer gegebenen Umwelt gibt es formen- spezifische, d. h. genetisch kontrollierte Unterschiede bezüglich Überlebensfähigkeit und Reproduktionserfolg). Mit diesen drei Annahmen erklärte Darwin die Entstehung der Arten- vielfalt. Sein Konzept wurde von der modernen Molekulargenetik und Evolutionsbiologie in überzeugender Weise bestätigt und erweitert, so daß heute kein „kompetenter Biologe mehr zweifelt, daß natürliche Selektion ein wichtiger richtungsweisender und kontrollierender Faktor in der Evolution ist" (DOBZHANZKY u.a.1977). Diskutiert wird jedoch immer noch heftig der Anteil dieses Faktors am evolutionären Prozeß (LEWONTIN 1974a).

Revolutionär an Darwins Theorie war, daß die Evolution im Prinzip keine Sprünge macht, sondern daß jede Art nur das derzeitige Ergebnis von vielen (meist kleinen) individuellen Änderungen ist, die vom Prozeß der „natürlichen Selektion" in Populationen gesteuert werden; kein Wunder, daß Darwin jede Definition der Art für willkürlich hielt. Diese Ansicht wurde zwar von Taxonomen heftig angegriffen, jedoch ohne überzeugende Gegenargumente (vgl. z. B. MAYR 1967). Auch das heute in der Biologie allgemein anerkannte Artkonzept, in dem die Fortpflanzungsgemeinschaft als entscheidendes Kriterium dient, ist keinesfalls „objektiv" (MAYR 1975) definiert; zumindest nicht im Sinne von eindeutig (vgl. Kap. 6.1). Die Populationsgenetik hat Darwins verbal formulierte Prinzipien (im Gegensatz zu Darwin auf die Erkenntnisse Gergor Mendels aufbauend) in eine präzise genetische Form gebracht und weiterentwickelt. Erst damit wurden gezielte evolutionsbiologische Experimente mög- lich. In einer jüngeren Übersichtsarbeit zum Prozeß der Artbildung (TEMPLETON 1981) wird deutlich, daß die Populationsgenetik eine ganze Reihe von Prozessen kennt, die eine kontinuierliche Artbildung aus einer oder mehreren „Elternarten" ermöglichen. Als bedeu- tendste Erkenntnis erscheint dabei, daß verschiedene Prozesse zum selben Ergebnis führen können. Zusammenfassend gilt es deshalb festzuhalten, daß die systematische Unterteilung in Arten, und ganz besonders Unterarten, den eigentlich kontinuierlichen Prozeß der Differen- zierung zu einem konkreten System definiert, dessen Struktur sehr stark von den ange- wandten Kriterien abhängt. Damit ist keineswegs gesagt,daß Systematik nicht sinnvoll ist; aber eben nur für entsprechende Fragestellungen. Es erscheint sehr wichtig, sich dieses Sach- verhalts bewußt zu bleiben, wenn man systematische Ergebnisse im Naturschutz anwendet (vgl. unten).

Daraus sollte erkennbar werden, daß die (systematischen) Einheiten der Population, Rasse bzw. Unterart oder sogar Art nur der gegenwärtige Zustand eines (bei teilungsfähiger Materie) nie endenden Prozesses der Evolution sind.Als „angepaßt" kann eine solche Einheit nur dann gelten, wenn ihre Dymanik über Generationen hinweg keine ständige Abnahme der Indivi- duenstärke zeigt. Was theoretisch sehr leicht einleuchtet, wird methodisch zu einem erheb- lichen Problem, wenn man die Dynamik von Arten beurteilen soll, deren Generationsintervall nicht sehr viel kleiner als die Lebensdauer eines Menschen ist. Kein Wunder also, daß die „Angepaßtheit einer Population oder Rasse" zwar oft behauptet wird, aber nur außerordentlich selten der Versuch unternommen wurde, dies auch zu belegen. Jeder Mensch kann heute beobachten, daß sich die Umwelt laufend verändert. Genetisch bedeutet dies für jede Population meist eine Änderung von Intensität und/oder Richtung der Selektion. Besonders für bedrohte Arten bzw. Populationen ist deshalb vielmehr das Ausmaß ihrer Anpassungsfähigkeit wichtig. Diese jedoch ist direkt proportional ihrer genoty- pischen Variabilität. Aber methodisch bereitet es noch größere Schwierigkeiten, sie konkret oder gar quantitativ zu beurteilen. 251 Die „Anpassungsfähigkeit" einzelner Individuen einer Population sollte davon sorgfältig unter- schieden und besser als individuelle To le ran z bezeichnet werden, auf Veränderungen der Umwelt so zu reagieren, daß ein Überleben bis zur Fortpflanzung möglich bleibt. Eine gute und ausführliche Beschreibung dieses Konzepts findet sich z. B. bei PIANKA (1978). Für den praktischen Artenschutz ist diese Art der Toleranz wichtig, als sie den Bereich möglicher Hilfs- maßnahmen absteckt, z. B. müssen sich die für eine Wiedereinbürgerung in Gefangenschaft gehaltenen Paare in dieser „unnatürlichen" Umwelt paaren und Nachkommen produzieren. Größeren Veränderungen der Umwelt kann sich dagegen nur eine Population anpassen. Sie benötigt dazu allerdings genügend Variation der Toleranzen ihrer Individuen, so daß (im Extremfall) wenigstens ein Individuum überlebt und reproduziert. In der Populationsbilologie konzentriert sich deshalb das Interesse auf genetische Strukturen, d. h. Häufigkeitsvertei- lungen von erblichen Eigenschaften,weil diese bei gegebener Umwelt (-veränderung) letztlich die phänotypische Zusammensetzung und damit die Reaktionsmöglichkeiten jeder Popula- tion bestimmen.

4. Die Bedeutung der Populationsgröße

Für den Artenschutz ist folgende Erkenntnis der Populationsgenetik von besonderer Bedeu- tung: Die Einflüsse von Mutation, Selektion, Genfluß und Drift auf den Prozeß der Mikroevolu- tion sind in ihrer anteiligen Wirksamkeit von der Populationsgröße abhängig.

Ganz besonders ausgeprägt ist diese Abhängigkeit bei dergenetischen Drift: Während in sehr großen Populationen (Tausende) die genetische Drift praktisch keinen Einfluß auf die Dynamik genetischer Strukturen ausübt, wird sie bei abnehmenden Populationsgrößen zunehmend zum entscheidenden Faktor. Häufigkeiten einzelner Allele eines Genorts variieren dann von Generation zu Generation immer mehr (d. h. sie „driften"), was mit zunehmender Wahrschein- lichkeit zu irreversiblen Veränderungen führt, wenn ein Allel beim Generationswechsel völlig verlorengeht, d. h. wenn es nicht in wenigstens eine erfolgreiche Zygote gelangte. Infolge ein- geschränkter Rekombinationsmöglichkeit bedeutet dies für die Folgegeneration einen Verlust an genetischer Variation und damit eine Verringerung der Anpassungsfähigkeit, wenn adaptive Genorte betroffen sind. Mit der Zeit führt dies schließlich an immer mehr Genorten zu Homozygotie und damit zu denselben Konsequenzen,wie sie etwa von RADLER (1986) im Zusammenhang mit Inzucht bei Wiedereinbürgerungen diskutiert wurden. Phänotypisch tauchen dabei auch Depressionser- scheinungen (z. B. verminderter Reproduktionserfolg) auf. Die von RADLER (1986) beschrie- benen Inzuchtprozesse in Pionierpopulationen beruhen eigentlich auf Driftprozessen, die jedoch in Termini der Inzucht dargestellt werden können und in dieser Form intuitiv leichter einsichtig werden: Beschreibt man nämlich die genetische Variation mit Hilfe des Heterozygo- tiegrades einer Population, so kann man näherungsweise unter vereinfachenden Annahmen ihren Verlust infolge genetischer Drift mit dem Komplement zur Zunahme des Inzuchtgrades darstellen (vgl. RADLER 1986, Abb. 2). In Abb. 1 ist diese Beziehung graphisch dargestellt. Die sich hier aufdrängende Frage nach der minimalen Populationsgröße (NM) ist von der Populationsgenetik nicht direkt zu beantworten: Abgesehen von konzeptionellen Schwierigkeiten, hängt NM von einer ganzen Reihe von Informationen ab, die für die meisten Populationen nicht vorliegen. Die wichtigsten darunter sind (1) die genetische Variation und deren Struktur, (2) die adaptive Bedeutung der vorhandenen Variation sowie (3) die evolu- tionär wirksamen Schwankungen bzw. Veränderungen der Umwelt. 252 Heterozygotiegrad (%)

10C

80

60

40

20

N= 2 0 I I I r I i I 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 Generation

Abb. 1: Die Abnahme des Heterozygotiegrades einer idealisierten Population im Laufe der Zeit (in Generationen) in Abhängigkeit von der Populationsgröße (N).

253 Im angewandten Naturschutz werden Zahlenangaben diskutiert (MADER 1985), die erstmalig von FRAN KLIN (1980) publiziert und begründet wurden: Danach sollte eine Populationsgröße von 50 auch kurzfristig nicht unterschritten werden,während längerfristig 500 als Untergrenze erforderlich ist. Erstere beruht auf gezielten Inzuchtexperimenten sowie auf allgemeinen Erfahrungen (einer Art „Daumenregel") der Haustierzüchter. Einer konstanten Populations- größe von 50 entspricht nämlich eine Zunahme der mittleren Inzucht bzw. Abnahme der Hete- rozygotie von einem Prozent je Generation. Liegt diese Zunahme höher, so kommt es häufig zu dramatischen Depressionserscheinungen. FRANKLIN schließt daraus zu Recht, daß unter dieser Populationsgröße auch bei natürlichen Populationen mit einer heftigen Reduktion der Populationsfitness zu rechnen ist.

Die Zahl 500 stützt sich auf weniger gesicherte Ergebnisse an Drosophila: Danach sollen sich ab dieser Populationsgröße Verlust an genetischer Variation und Gewinn durch Mutation ausgleichen. Es blieb völlig unbegründet, inwieweit dieses Ergebnis allgemein gültig ist, da bisher von natürlichen Populationen keine analogen Untersuchungen vorliegen. FRANKLIN war sich der Unsicherheit seiner Empfehlung völlig bewußt; denn er schreibt: „The number I have chosen is based an extremly meager evidence, and I stress that much more research is needed before we can answer such questions with confidence." Da aber die Theorie eine ähnliche Größenordnung nahelegt (SOULE 1980), sollte der Naturschutz zunächst diese Größe als konzeptionelle Orientierung verwenden (vgl. unten).

In seinen Schlußfolgerungen betont FRAN KLI N, daß er seine Empfehlung von Methoden und Ergebnissen der sog. quantitativen Genetik ableitet, die sich an der varianzanalytischen Vor- gehensweise sowie der Theorie linearer Modelle orientiert. Man betrachtet dort meistens phäno ty pische Merkmale, deren Variation auf genetische und Umweltfaktoren mit Methoden aus der Versuchsplanung verteilt werden. Diese Methoden haben sich in der Züchtung bewährt; sicher nicht zuletzt wegen der dort sehr spezifischen Anwendung sowie der vergleichsweisen guten Möglichkeit, „Störfaktoren" experimentell zu kontrollieren. Da aber beide Aspekte im Artenschutz etwas anders geartet sind, dürften die bekannten Nach- teile dieser Methoden (vgl. LEWONTIN 1974b) hier ein wesentlich größeres Hindernis bilden.

Eine etwas andere Vorgehensweise wählt daher die Ökologische Genetik: Theoretische Über- legungen der Populationsgenetik legen nahe, daß die Fitness von Individuen mit dem Grad der Heterozygotie seiner Genorte positiv korreliert ist. Eine ökologische Betrachtung der publi- zierten Daten aus weltweiten experimentellen Untersuchungen an 1111 Arten ließ ebenfalls auf einen derartigen Zusammenhang schließen (NEVO u. a.1984).Von SOULE (1980) und beson- ders in einer Übersicht jüngster Arbeiten (ALLENDORF & LEARY 1986) wird für eine ganze Reihe v. a. mariner Arten die theoretische Erwartung erhärtet, daß höhere genotypische Varia- tion-meist gemessen mit dem Heterozygotiegrad -mit höherer Fitness korreliert ist.Vorläufige Auswertungen bzgl. dieser Fragestellung beim Uhu bestätigen ebenfalls diesen Trend (RADLER unveröffentl.). Keine gezielten Untersuchungen gibt es hierzu bisher von bedrohten Arten, etwa um die genetische Variabilität anhand von Genmarkern oder den adaptiven Wert einzelner Genotypen oder Allele statistisch zu schätzen. Dies zu realisieren, stößt nämlich auf erhebliche methodische Schwierigkeiten, u. a. weil große Stichproben erforderlich sind (vgl. LEWONTIN 1974a). Aber nur damit erscheint es z. Zt. aussichtsreich, etwas direktere Informa- tionen über den genetischen Einfluß auf die Populationsdynamik zu bekommen. Eine differen- ziertere Beurteilung der Risiken für den Verlust an genetischer Vielfalt in kleinen Populationen erlauben die von G REGORI US (1980) abgeleiteten und z. B.von HATTEM ER u. a. (1982) ange- wandten Wahrscheinlichkeitssätze, mit denen die Wahrscheinlichkeit für den Verlust eines Allels je Genort in Abhängigkeit von Populationsgröße und Merkmalen der genetischen Struktur berechnet werden kann. Diese allgemeinen Gesetze könnten nutzbringend für den 254 Naturschutz eingesetzt werden, wenn man (besonders in bedrohten Arten) etwas mehr über die realisierte genetische Variation und deren phänotypische Bedeutung wüßte.Vorerst bleibt dazu nur festzuhalten, daß die wissenschaftliche Erkenntnis zum Prozeß des Artensterbens noch außerordentlich gering ist, wie eine jüngere amerikanische Übersichtsarbeit resümiert (SOULE 1983).

5. Die effektive Populationsgröße

Die oben diskutierten Zahlen für die minimale Populationsgröße gelten nur für eine ideali- s i e rt e Population, die folgende Eigenschaften erfüllen muß: (1) die Populationsgröße bleibt konstant, (2) ihre Individuen sind einhäusig, (3) die Paarung erfolgt zufallsmäßig (4), d ie Gene- rationen sind reproduktiv getrennt und (5) die Verteilung der Anzahl Nachkommen je Familie wird nur vorn Zufall bestimmt. In der Populationsgenetik dient sie als eine theoretische Bezugs- oder Standardpopulation, welche die formale Beschreibung von dynamischen Prozessen erleichtert.

Da wohl jede natürliche Population von diesem Idealfall mehr oder weniger abweicht, hat WRIGHT (1931 u.1948) das Konzept der effektiven Populationsgröße NE eingeführt: Damit werden bezüglich Drift bzw. lnzuchtprozessen die verschiedensten Populationen vergleichbar gemacht. Eine ganze Reihe von populations- bzw. artenspezifischen Faktoren wie Paarungs- präferenzen oder vermehrte Verwandtenpaarung, die Verschiebung des Geschlechterverhält- nisses etwa durch Haremsbildung (Pälygamie), die häufig extrem schiefe Verteilung der Anzahl Nachkommen je Familie sowie die Überlappung der Generationen können eine (zum Teil erhebliche) Abweichung der effektiven NE von der „Zählpopulation" NZ bewirken.

Da dieses Konzept dem populationsgenetischen Laien mit wenigen Sätzen kaum näher zu bringen ist, mag diese kurze Aufzählung von Beispielen genügen. Eine leicht verständliche Einführung findet sich bei KIMURA und OHTA (1971) sowie (zusammen mit Beispielen) bei CRAWFORD (1984). Besonders bei Wirbeltieren fehlen zur Berechnung dieser Größe meistens noch die notwendigen Daten bzw. sind notorisch schwierig zu erheben. Die besten Informationen dürften für den Menschen vorliegen, wo FELSENSTEIN (1971) für die amerika- nische Bevölkerung eine effektive Populationsgröße errechnet hat, d ie nur 31 Prozent derZähl- population beträgt. Weniger zuverlässige, aber doch für den Artenschutz wertvolle Größen- ordnungen wurden für nur sehr wenige andere Arten publiziert. Für unsere beiden Richtzahlen (N = 50 bzw. 500) der minimalen Populationsgröße NM gilt damit NM=(50 bzw.500) x (NZ/N E), was teilweise erheblich höhere Werte als 50 bzw. 500 ergibt (vgl. Tab. 1).

Tabelle 1: Publizierte Daten zu effektiven Populationsgrößen, dargestellt als Anteil an der Zählpopulation in Prozent [NE/NZ(%)] zusammen mit den der „Richtzahl 50" entsprechenden minimalen Populationsgrößen [RZ(50)] (Einzelheiten im Text).

Art/Population NE/NZ (Wo) RZ (50) Quelle Mensch 31 161 Felsenstein 1971 Grauhörnchen (Sciurus carolinensis) 59 85 **Charlesworth 1980 *Elch (Alces alces) 20- 40 250 **Ryman u. a.1981 "Weißwedelhirsch (Odocoileus virginianus) 30 - 95 167 **Ryman u. a.1981 Wolf (Canis lupus) 20 - 25 250 Boitani 1984 Dachsammer (Zonotrichia leucophrys) 36 138 Baker 1981 * mittels Computersimulation **nach CRAWFORD (1984) 255 6. Konsequenzen für den Artenschutz

6.1. Das Problem der Hybridisierung

Nach der modernen Evolutionstheorie ist das wichtigste systematische Kriterium der Art ihre reproduktive Isolation (DOBZHANZKY u. a. 1977, vgl. auch MAYR 1975); d. h. ihre Individuen paaren sich unter „ungestörten" Bedingungen nicht mit Mitgliedern einer anderen Art, auch wenn sie denselben Habitat bewohnen (Sympatrie). Viele Ausnahmen hierzu beweisen, daß auch diese Definition dem prozeßhaften Charakter der Art(bildung) nicht völlig gerecht werden kann.So zeigen immer mehrArbeiten (z. B.GILL1980,ALATALO u. a.1982),daß Hybridisierung zwischen Arten kein unmöglicher oder „unnatürlicher" Prozeß ist, d. h. er kann ohne direkten Einfluß des Menschen beobachtet werden (vgl.auch MAYR 1967, MOORE 1977und CADE 1983 für Beispiele und Diskussion). Bei Unterarten bzw. Rassen jedoch kann eine Hybridisierung fast immer nur durch geographische Isolation verhindert werden; dies findet sich auch als wesentlicher Unterschied in den Definitionen von „Art" und „Unterart" (vgl. MAYR 1975). Unter- arten werden darüber hinaus häufig durch morphologische Unterschiede wie Größe und Farbe definiert, die sich in vielen Fällen geographisch nicht sprunghaft,sondern kontinuierlich in den Berührungszonen ändern. Ihre phänotypischen Unterschiede werden meistens nicht durch Isolation, sondern (trotz Genfluß!) durch anhaltend unterschiedliche Selektion auf- recht erhalten (vgl. ENDLER 1977). Beispiele für solche „polytypische" Arten mit klinalerVaria- tion finden sich bei MAYR (1967). Bei anhaltend sinkender Populationsdichte einer weit verbreiteten Art kommt es schließlich zu einer Verinselung des Verbreitungsgebietes wie z. B. beim Uhu und Wanderfalken. Ihre heutigen Verbreitungslücken sind sehr wahrscheinlich nur eine Folge der menschlichen Verfolgung bzw.Verdrängung (BLOTZHEIM &BAUER 1980). Populationsgenetisch ist vorallem wichtig,daß die dabei entstehenden „Inselpopulationen" oft mit ihrer Individuenstärke in jenen Bereich geraten, in dem die Entwicklung der genetischen Strukturen entscheidend durch genetische Drift bestimmt wird. Mit anhaltender Isolation verringert sich von Generation zu Generation unausweichlich die genetische Vielfalt derTeilpopulationen,was infolge des damit verbundenen Verlusts an Anpassungsfähigkeit zu einer zunehmenden Gefahr des Ausster- bens bei Umweltveränderungen (z. B.durch die moderne Zivilisation) führt.Dieser Prozeß kann nur durch Genfluß zwischen den Teilpopulationen verzögert werden (z. B. ENDLER 1977). Greift in einer solchen Lage der Artenschutz zu Bestandsstützungen mittels Freilassung von Tieren fremder Herkunft, so bedeutet dies populationsgenetisch prinzipiell nichts anderes als den vor der Isolation „natürlich" stattfindenden Genaustausch über das gesamte Verbrei- tungsgebiet „künstlich" aufrecht zu erhalten. Selbstverständlich ist diese Art des Genflusses anders; denn früher fand dieser an den ehemaligen Verbreitungsgrenzen derTeilpopulationen und Unterarten statt. Deshalb wird vermutlich auch die Dynamik der genetischen Strukturen etwas anders verlaufen.Aber ohne diesen (bewußten) menschlichen Eingriff verliefe sie-nach der Verinselung - auch nicht mehr „natürlich"; denn bei Aufsplitterung einer kontinuierlich verbreiteten Population von NE =1000 z. B. in Teilpopulationen von weniger als 100 wird gene- tische Drift plötzlich zum bestimmenden Faktorderweiteren Entwicklung. Mit sehr hoher Wahr- scheinlichkeit nimmt damit die Dynamik ihrer genetischen Strukturen auch ohne weitere menschliche Beeinflussung einen anderen Verlauf. Das heißt aber, die von NOWAK (1982) geforderte „neue Artenschutzaufgabe", nämlich die „Erhaltung der genetischen und geogra- phischen Identität" ist in keinem Falle mögl ich. Jedenfalls dann nicht, wenn diese Identität auf einer Populationsgröße von nur ein paar Hundert beruht. Für eine isolierte schwedische Population des Mittelspechts versuchte PETTERSSON (1985) die Ursachen des Aussterbens zu ergründen. Er prüfte verschiedene mögliche Faktoren wie 256 Biotopveränderungen, extreme Witterung, menschliche Störung, zwischenartliche Konkur- renz sowie ihre Dynamik. Da alle diese Einflüsse auszuschließen waren,diskutiert der Autord ie oben dargestellten genetischen Ursachen und kommt zum Schluß, daß der drastische Rück- gang des Reproduktionserfolgs entscheidend durch genetische Driftprozesse verursacht wurde. Auch biogeographische Vergleiche von Festland- und Inselpopulationen liefern recht gute Hinweise (z. B. DIAMOND 1984) dafür, daß der schnellere Verlust an genetischer Vielfalt in isolierten und kleinen Populationen für deren Schicksal entscheidend ist. Der Artenschutz steht also vor dem Dilemma, daß viele Populationen (oder gar Unterarten/ Rassen) nur durch künstliche Migration zwecks Genfluß gerettet werden können. Dabei ist es nur sehr begrenzt vorhersehbar, ob nicht auch phänotypische Merkmale (die „geographische Identität"?) der lokalen Population oder Rasse verloren gehen. Im Gegensatz etwa zu vielen Avifaunisten würde ein Evolutionsbiologe dies erst dann für sehr bedenklich halten, wenn durch Kreuzung von Individuen aus genetisch allzu verschiedenen Populationen/Rassen auch die Fitness abnehmen würde. In der englischsprachigen Literatur wird dafür meist der Begriff „outbreeding depression" verwendet. Aus Laborexperimenten an Drosophila (dem klassischen Modell der Populationsgenetik) wurde geschlossen (vgl. TEMPLETON 1986), daß dabei „koadaptierte Genkomplexe", d. h. mehrere Genorte bzw. größere Abschnitte der DNS, als Einheit selektiert werden. Der Autor betont, daß solche Genkomplexe (1) vermutlich nur in wenigen Arten so häufig wie etwa bei Drosophila und (2) doch nur relativ wenige Genorte beteiligt sind. Widerlegt sieht er jedoch eine Behauptung von MAYR (1967), wonach fast das gesamte Genom koadaptiert sein soll. Negative Folgen nach „outbreeding" würde man v. a. in solchen Arten erwarten, die in inge- züchteten Einheiten leben, z. B. harennbildende Schalenwildarten oder an Feuchtbiotope gebundene Amphibien. Für freilebende Wirbeltiere ist es sicher wiederum sehr schwer, dies überzeugend zu demonstrieren. Bei ethologischen Experimenten aber mit Japanischen Wachteln wurden Präferenzen für eine Paarung zwischen Vetter und Base gegenüber Ge- schwistern einerseits sowie nicht verwandten Partnern andererseits beobachtet (BATESON 1982). Die natürliche Selektion, in diesem Fall in Form von sexueller Selektion, favorisiert also möglicherweise Paarungen mit mittlerer genetischer Ähnlichkeit. Das Optimum scheint damit irgendwo zwischen „inbreeding" und „outbreeding" zu liegen, was BATESON (1978) „optimal outbreeding" genannt hat. Um alle diese Erkenntnisse für konkrete Entscheidungen im Artenschutz nutzbar zu machen, fehlen jedoch entsprechende Untersuchungen. Allgemein kann nur vor einer allzu unkri- tischen Anwendung einer Regel gewarnt werden, wonach mit zunehmender geographischer Entfernung die genetische Ähnlichkeit von Populationen abnimmt; diese Korrelation ist keineswegs so eng, wie viele Autoren annehmen.

6.2. Bestandsstützungen und Wiederansiedlungen

In einer grundsätzlichen Arbeit zur Wiedereinbürgerung von Tieren betont NOWAK (1981) bereits die Größe der Start- oder Pionierpopulation sowie die Erhaltung der „Genreserve" in bedrohten (Unter-)Arten und Populationen. Populationsgenetisch ist von Bedeutung, daß die Population dabei durch einen Flaschenhals („bottleneck") zu gehen hat, was meist zu sog. Gründereffekten („founder effect") führt. Prinzipiell handelt es sich hier um ein statistisches Phänomen; denn die Gründer- oder Startpopulation ist in der Regel nur eine (sehr) kleine Stichprobe aus der Herkunftspopulation. Die Gefahr des Verlusts von Allelen hängt dabei wiederum von deren Häufigkeiten ab: Sind diese für alle Allele eines polymorphen Genorts 257 gleich, so genügen sechs Individuen, um mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit alle Allele in der Gründerpopulation zu haben. Ist ein Allel jedoch nur mit 5 Prozent vertreten, so benötigt man bereits 117 Individuen für dieselbe Sicherheit (vgl. G REGORI US 1980).Vorhandene Daten von natürlichen Populationen zeigen (NEVEO u. a.1984), daß der letzte Fall wesentlich reali- stischer ist. Das praktische Ziel kann also nur eine Startpopulation „so groß wie möglich" sein.

Theoretische Berechnungen zeigten weiter (z. B. N EI u. a.1975), daß die Wachstumsrate einer Gründerpopulation wesentlich wichtiger ist; denn das Risiko für Allelverluste durch gene- tische Drift liegt bei anhaltend kleinen Populationen bereits nach wenigen Generationen sehr hoch. Eine der wichtigsten Fragen muß daher lauten: Wie groß ist die effektive Größe der Grün- derpopulation? Für das Artenschutzprojekt der „Aktion zur Wiedereinbürgerung des Uhus (AZWU)" wird erstmals versucht, diese Größe zu bestimmen, was jedoch durch zahlreiche praktische Hindernisse erschwert wird (RADLER in Vorb.); denn diese ist ein entscheidendes Kriterium, um den seit ein paarJahren zunehmenden „Erfolg" (im Sinne steigender Brutnach- weise) der AZWU populationsbiologisch kompetent beurteilen zu können. Bestehen bei einer bedrohten Art wie dem Uhu Hinweise für Inzuchtdepression (RADLER 1986),so kann von einer Erweiterung der Gründerpopulation um Tiere entfernter Herkünfte Positives erwartet werden. Der AZWU wurde daher ennpfohlen,Zuchtuhus etwa aus Schweden und Finnland in die Popu- lation in Gefangenschaft aufzunehmen und deren Nachkommen freizulassen. Auch die von manchen Ornithologen verurteilte Freilassung von helleren Uhus kann aus der Sicht der Popu- lationsgenetik nicht a priori negativ gesehen werden. Unglücklich war daran, daß die Chance vergeben wurde, durch gezielte Beobachtungen die Fitness verschiedener geographischer Rassen bzw. Unterarten im Freilassungshabitat zu vergleichen. Eine Begründung wie „diese Tiere gehören nicht hierher, weil sie einer anderen Unterart angehören" kann jedenfalls allein nicht überzeugen: Da die geographische Herkunft auch als ein systematisches Kriterium zur Beschreibung der Unterart dient, beruht eine derartige Begründung ganz offensichtlich auf einem Ringschluß. Diskutieren läßt sich allenfalls überemotionale,ästhetische,finanzielle oder politische Gründe, wennn man z. B. lieber auf den Uhu verzichten möchte als unter den „normalen" Phänotypen gelegentlich auch einen helleren zu sehen.

Ernster zu nehmende Einwände sind eine nicht völlig auszuschließende Minderung der Fitness sowie chromosomale Unverträglichkeit, was allerdings besonders bei Unterarten mit klinaler Variation nicht sehr wahrscheinlich ist. Beides wäre vermutlich jedoch bereits bei den Nachkommen in Gefangenschaft offensichtlich geworden. Befinden sich geographische Rassen bereits in einem Prozeß der Artbildung in Form von reproduktiver Isolation, so würde dies natürlich durch ein derartiges Management verhindert oder zumindest verzögert. Daher rührt vermutlich die gefühlsmäßige Abneigung vieler Faunisten gegen ein solches Vorgehen. Populationsgenetische Erkenntnisse lehren jedoch, daß eine solche Chance bei den meisten gefährdeten Wirbeltieren verschwindend gering ist. Auf jeden Fall dürfte sie nicht die relativ große Gefahr des Aussterbens von Unterarten bzw. Populationen als Folge von rapide abnehmender Anpassungsfähigkeit durch genetische Drift rechtfertigen. Untersuchungen an Drosophila (TEMPLETON 1986) zeigten außerdem, daß Depressionseffekte nach „out- breeding" durch die natürliche Selektion relativ schnell eliminiert werden, wenn die Pionier- population nicht zu klein ist.

Dem steht positiv die Chance gegenüber, die genetische Vielfalt, d. h. etwa den Heterozygo- tiegrad der bedrohten Population, durch die mögliche Einkreuzung bereits verlorengegan- gener Allele wieder zu erhöhen. Der populationsgenetische Vorteil von Bestandsstützungen liegt also weniger in ihrem quantitativen Beitrag (vgl. z. B. BEZZEL und SCHOEPF 1986), sondern ist vielmehr qualitativer Natur. An der Populationsdynamik des Wanderfalken könnte dies vielleicht gezeigt werden, wenn das vorhandene Datenmaterial in entsprechender Weise 258 analysiert würde. Denn die dokumentierte Populationsabnahme scheint bereits lange vor der Biozidbelastung zu beginnen und war durch Pestizide nicht erklärbar (SCHILLING & KÖNIG 1980). Bei der von vielen Autoren akzeptierten Erklärung als „Pestizide Syndrom" (RATCLI FFE 1967 und andere) fällt auf, daß alle Symptome (verminderte Gelegegröße und Eischalendicke, gestörtes Brutverhalten sowie erhöhte Sterblichkeit von Embryonen und Nestlingen) typische Depressionserscheinungen als Folge von Inzucht bzw. Drift sind. Zu prüfen wäre daher die (populationsbiologisch naheliegende) Hypothese, daß sich die Wanderfalken-Restpopula- tion Baden-Württembergs u. a. wegen eines Genflusses aus den Wiederansiedlungen im Norden Deutschlands wieder erholt. Im Falle des Wanderfalken (sowie möglicherweise auch beim Uhu) würde man eher von einer Bestandsstützung sprechen (vgl. NOWAK 1981). Eine solche Artenschutzmaßnahme sollte etwas bessere Erfolgschancen besitzen, weil sich in dieser Restpopulation vermutlich auch noch Genotypen mit hoher Fitness befinden,die nurwegen einer effektiv kleinen Population vor den Folgen der genetischen Drift oder Inzucht zu bewahren wären. Bei einem Wiederansiedlungsprojekt werden Tiere dagegen nur nach menschlichen Kriterien (z. B. organisatorischen Zweckmäßigkeiten) ausgewählt und der Selektion durch die Umwelt des Freilassungsbiotops angeboten.Zu erwarten sind daher zunächst einmal höhere Verluste, und zwar auch bei optimaler Vorgehensweise unter Verwendung aller ökologischen und etho- logischen Kenntnisse. Angesichts fehlender empirischer Informationen würde der Genetiker eine Vorgehensweise bevorzugen, bei der ein höherer Anteil polymorpher Genorte in der Pionierpopulation erwartet werden kann. Das hieße eine Startpopulation (in Gefangenschaft!) mit Individuen verschie- dener Herkünfte. Wie verschieden diese sein sollen bzw. können, ließe sich durch Untersu- chungen der Fitness empirisch begleitend ermitteln. Mit den freigelassenen Nachkommen stünde damit der natürlichen Selektion ein größeres Angebot zur Verfügung. Dieser Vorteil kann allerdings nur wirksam werden, wenn relativ schnell die minimale „effektive" (vgl. oben) Populationsgröße erreicht werden kann. Nach aller bisherigen Erfahrung hat dies ohne enormen zeitlichen und finanziellen Aufwand sowie eine planmäßige und gut koordinierte Organisation kaum Aussicht auf Erfolg (BERGERHAUSEN 1981).

6.3. Biotopschutz

Die in den letzten Jahren im Naturschutz häufig in den Mittelpunkt gerückte Formel „Allein Biotopschutz ist Artenschutz!" kann ausfolgendem Grund zu Fehlentwicklungen führen: Ohne jeden Zweifel gilt, daß der Biotop einer bedrohten Art so erhalten werden muß, daß diese aufgrund ihres genetisch festgelegten Verhaltensrepertoires überleben und reproduzieren kann. Infolge biologisch ebenso festgelegter Gegebenheiten wie der genetischen Drift nützt ein noch so gut erhaltener Biotop jedoch längerfristig wenig, wenn er für Hunderte von Indivi- duen einer Art zu klein ist und diese Population infolge von Umweltzerstörungen isoliert wurde. Die Wirkung der Isolation wird jedoch nicht nur vom Ausmaß der Biotopverluste bestimmt, sondern auch von der artspezifisichen Mobilität. Deshalb muß in der Regel Biotopschutz für jede Art spezifisch konzipiert werden, wenn er auch effektiver Artenschutz sein soll.Aus popu- lationsgenetischer Sicht wird Biotopschutz nur dann seiner Artenschutzaufgabe gerecht, wenn er genug Lebensraum erfaßt, um eine Population von mehreren hundert (reproduzie- renden) Individuen tragen zu können. So hätte es z. B. wenig Sinn, wenn der Nationalpark „Bayrischer Wald" einen geeigneten Biotop für Auerhuhn, Fischotter, Kolkrabe oder Luchs sicherstellen bzw. „renaturieren" würde, falls für diese Arten zum nächsten geeigneten Biotop auch längerfristig keine Migration zwecks Paarungskontakt, d. h. Genfluß möglich ist. 259 Konzepte für Schutzgebiete (z. B.H EYDEMAN N 1981) müssen also den hier diskutierten Krite- rien der effektiven minimalen Populationsgröße genügen, um der Erhaltung auch der größeren Wirbeltiere zu dienen. In wenigen Generationen sollte demnach ein Verbreitungsgebiet zustandekommen, daß durch Kontakte zwischen einzelnen „Biotopinseln" eine zusammen- hängende Population von mehreren hundert Individuen bestehen kann. Ist dies auf lange Sicht unmöglich, so nutzt Biotopschutz allein jedenfalls diesen Arten wenig; ihnen kann nur durch („unnatürliche") menschliche Eingriffe wie z. B. künstliche Migration geholfen werden. Für einige Arten findet diese Option - als wohl letzte Chance, wie z. B. beim Wolf - immer mehr Beachtung (BOITANI 1984). Etwas überspitzt aber deutlich hat SOULE (1980) die Optionen derVerantwortlichen im Natur- schutz formuliert: „(1) They can ignore the genetic and evolutionary criteria (business as usual); (2) They can accept and attempt to implement the criteria; and (3) They can decide that it is hopeless and change professions. The latter choice is understandable, especially when one considers the economic and political barriers confronting conservation planners." Entscheidet man sich (hoffentlich) für die zweite Alternative, so stellt z. B. eine Bestandes- stützung der bedrohten Populationen eine ernstzunehmende Vorgehensweise dar. Durch Hinzuziehung von sachkundigen Wissenschaftlern nicht nur aus Ökologie und Ethologie, sondern auch Ökologischer Genetik könnten dabei viele Fehler vermieden werden. Denn leicht anwendbare Rezepte dürften gegen die relativ neuartigen Probleme des galoppie- renden Aussterbens von Arten kaum zu finden sein.So sind eine ganze Reihe von arttypischen Parametern nötig (aber selten vorhanden), um zuverlässigere Prognosen abgeben zu können. Für die genetischen Aspekte handelt es sich dabei um notorisch schwer zu gewinnende Infor- mationen, die vermutlich nur bei einer aktiven Zusammenarbeit verschiedener Wissen- schaftler und Naturschützer erfolgreich zusammengetragen werden können (vgl.z. B.BEZZEL 1986). Besonders zwingend erscheint dies angesichts der auch hierzulande noch immer verschwindend geringen finanziellen Förderung des Naturschutzes (in Wissenschaft und Praxis) durch die öffentliche Hand.

6.4. Der Beitrag Zoologischer Gärten

Die Haltung von Tieren in Gefangenschaft wird aus vier verschiedenen Motiven betrieben: (1) Domestikation, d. h. v. a. wirtschaftlicher Nutzen, (2) Ausstellung und Erziehung, (3) Forschung sowie (4) Arterhaltung (evtl. zum Zwecke einer Wiedereinbürgerung). Besonders die letzte Zielsetzung wurde in jüngster Zeit immer mehr in den Vordergrund gerückt (HORN 1986) und ist Gegenstand von öffentlich geführten Debatten (vgl. IMMELMANN u. a. 1986, OELKE 1986). Unter Geneti kern ist unbestritten, daß jede Gefangenschaftshaltung eine Tendenz zur Dome- stikation mit sich bringt, sobald sie über mehrere Generationen andauert. Denn die Entwick- lung der genetischen Strukturen wird in der Regel anders verlaufen als in der Natur, da Selek- tionseffekte etwa in Richtung (1) maximaler Reproduktivität, (2) „perfektem" Gefangen- schaftstyp, (3) problemloserer Haltung oder (4) „fehlender Selektion" der natürlichen Umwelt kaum zu vermeiden sind. Einige dieser Faktoren sind durch die Art der Haltung minimierbar, wohl aber nie völlig auszuschalten. Vom Management noch weniger zu beeinflussen sind jedoch die Gefahren des Verlusts an genetischer Vielfalt durch Drift. Besonders offensichtlich und drängend sind diese Probleme bei Arten geworden, die nur noch in wenigen Exemplaren in Zoologischen Gärten existieren, wie an einer ganzen Reihe von populationsgenetischen Untersuchungen an Zoopopula- tionen (z. B. RALLS & BALLOU 1983) deutlich wurde. Amerikanische Zoo-Manager und 260 -Biologen trugen dem Rechnung durch die intensive Konsultation kompetenter Wissen- schaftler (SCHONEWALD-COX u. a. 1983). Dabei wurde besonders deutlich, daß es eine außerordentlich schwierige Aufgabe wird, das zu retten, was noch zu retten ist. Für unerläßlich wird dabei u.a. auch eine Änderung der Personalpolitik der beteiligten Institutionen ange- sehen (RALLS & BALLOU 1986).

Einige populationsgenetische Fragen sind für Gefangenschaftspopulationen vergleichsweise leicht zu entscheiden, weil man (1) wichtige Parameter (z. B. Reproduktionsleistung, Alters- klassenstruktur) der betreffenden Populationen bereits kennt bzw.leichter ermitteln kann, und (2) durch verschiedene Nebenbedingungen (Individuenzahl, Platz, Zeit, Geld) nur relativ wenige der überhaupt sinnvollen Alternativen möglich sind.

Festzuhalten ist dabei wiederum, daß bei effektiven Populationsgrößen unter 50 ein Verlust an genetischer Vielfalt nicht zu verhindern ist. Durch geschicktes Management kann dieser Prozeß jedoch verzögert werden, wenn man die Gestaltung der Populationsgröße wissen- schaftlich fundiert. Nur dann könnte man aus genetischer Sicht von einer „Arterhaltung durch Zucht" (HORN 1986) sprechen. Von HORN (1986) und PETZOLD (1982) z. B. wird der Begriff „Erhaltungszucht" jedoch nur im Sinne von „Noch-Existieren einiger Individuen der Art" gebraucht. Von Genetik und Erhaltung der innerartlichen, d. h. genotypischen Vielfalt ist dort überhaupt nicht die Rede. Diese ist aber unabdingbar für eine längerfristige Überlebens- chance einer Population bzw. Art.

6.5. Häufige Einwände

Vor allem von Vertretern der„puristischen" Richtung im Artenschutz (vgl.NOWAK1981) werden gelegentlich Beispiele angeführt, welche die Bedeutung der hier diskutierten Faktoren wider- legen sollen; GREIG (1979) z. B. spricht sogar von „irrational fear of inbreeding depression". Solche Einwände lassen sich im Prinzip auf folgende zwei Argumente zurückführen: 1. Es gibt eine ganze Reihe von Arten, bei denen regelmäßig Inzucht vorkommt, wie z. B. verschiedene Hühnervögel und Hirschartige.

2. Es gibt „zahlreiche" Populationen, die mit nur (sehr) wenigen Individuen gegründet wurden und zu riesigen Populationen angewachsen sind; z. B. die verschiedenen Steinbock- kolonien, Hirsche in Neuseeland, der Wisent in Bialowiza/Polen, bis zum Extrem mancher Hamsterkolonien, die nur von einem trächtigen Weibchen abstammen (sollen). Weitere Beispiele finden sich bei MAYR (1967) und GREIG (1979).

Warum widerlegt keines dieser Beispiele die Bedeutung der dargestellten Gesetzmäßig- keiten?

Zu (1): Von vielen Autoren wird übersehen, daß dabei eigentlich zwei voneinander unab- hängige Phänomene im Spiel sind: zunächst einmal die gerichtete Anreicherung von homozygoten Genorten infolge Verwandten- paarung oder genetischer Drift in über Generationen anhaltend kleinen Populationen; zum zweiten die genetische Zusammensetzung der jeweiligen Populationen: Besitzt diese viele Genorte,die bei Heterozygotie die Fitness erhöhen, so führt Inzucht oder Drift zu einerVerringe- rung der mittleren Fitness. Besonders drastisch sind solche Folgen, wenn es allelspezifische Effekte gibt und zwischen den beteiligten Allelen vollständige Dominanz besteht. In großen Populationen kann dagegen die natürliche Selektion wirken, so daß viele (nicht alle!) nach- teiligen Al lele adaptiver Genorte wieder aus der Population verschwinden. Eine durch Mutation 261 entstandene genetische Bürde oder Last („genetic load") wird so durch Selektion vermindert. Damit erklären sich relativ geringe Depressionserscheinungen bei Arten mit obligatorischer Inzucht (vgl. aber RALLS & BALLOU 1983). Auch der Unterschied zwischen wilden und unter- schiedlich lange domestizierten Arten mit ähnlicher Vermehrungsbiologie dürfte so zustande kommen (vgl. Tab. 2).

Tabelle 2: Effekt der Inzucht (F=.25) auf Fitnessmaße von vier hühnerartigen Vogelarten in Prozent der Fitness von nicht verwandten Paarungen.

Merkmal Haushuhn Truthahn Japan. Wachtel Steinhuhn Schlupfrate: Embryo ingezüchtet 90.0 83.4 72.2 71.3 Henne ingezüchtet 97.0 92.1 89.3 89.1 Fruchtbarkeitsrate 99.1 98.8 79.2 71.1 Überlebensrate 94.3 90.7 81.5 92.1 Legeleistung 90.4 89.5 83.9 84.1 Gesamte Reproduktion 74.4 61.6 35.9 34.1 Inzuchtdepression 1.18 1.93 4.09 4.30 Nach APLANALP (1974) aus FRAN KEL und SOULE (1981)

Bei den meist kleinen Rest- und Pionierpopulationen jedoch wird die Dynamik der gene- tischen Strukturen fast ausschließlich vom Zufall bestimmt. Dies bedeutet, daß nachteilige Gene auch zufällig verloren werden bzw. in der Startpopulation gar nicht enthalten waren. Damit erklärt sich, daß viele aus Ansiedlung weniger Individuen begründete Pionierpopula- tionen wieder aussterben, während manche lange weiterbestehen oder sogar wachsen. Die unterschiedlichen Erfolge der zahlreichen Steinbockkolonien etwa,die alle aus einer größeren Restpopulation in Gran Paradiso stammen, lassen sich mit derartigen Driftprozessen erklären. Sehr überzeugend läßt sich dies an kontrollierten Inzuchtexperimenten der Haustiergenetik beobachten: Bei der Erzeugung von sog. reinen Linien überleben meist nur sehr wenige die über Generationen fortgesetzte Inzucht (vgl. Abb. 2). Die überlebenden Linien oder Popula- tionen können eine hohe Fitness besitzen. Aber ihre genetische Vielfalt ist bei diesem Prozeß zwangsläufig ebenfalls verloren gegangen. Durch die verringerte Anpassungsfähigkeit würde jede Änderung der Umwelt (z. B. bei einer Freilassung) für solche Populationen zur Gefahr. Auch fast alle der überlebenden und kleinen Inselpopulationen haben eine drastische Umweltveränderung noch nicht erlebt (z. B. Galapagos) oder sind bereits ausgestorben. Zu Argument (2) kommt darüberhinaus, daß es sich bei vielen dieser Beispiele um Arten mit einer (potentiell) hohen Reproduktionsrate handelt; in der Populationsbiologie spricht man von (fakultativen) r-Strategen. Ihre Populationsgröße kann in wenigen Generationen wieder in den Bereich von Tausenden wachsen, wozu bei kurzen Generationsintervallen nicht einmal eine lange Zeit erforderlich ist. Damit verringert sich die Gefahr eines höheren Selektions- drucks infolge Umweltveränderungen ebenfalls.

7. Schlußfolgerungen

Vorrangige Ziele dieser Arbeit waren, bekannte populationsgenetische Prinzipien vorzustellen und deren Bedeutung für die Dynamik von natürlichen Populationen sowie den praktischen Natur- und Artenschutz zu erläutern. 262 P F1 F2 F3 F4 F5 1 2

5

6 7

a) 9

10

12

c, 13

14 0 0

15

16 0

Familien 16 13 10 6 3 Paare 16 28 18 14 11 Nachkommen 114 166 113 69 18

Abb. 2: Entwicklung von Inzuchtlinien (F, bis F5 ) mittels Geschwisterpaarung aus 16 zufalls- mäßig zusammengestellten Paaren. • ausgestorbene Linie (nach MAEDA und HASHIGUCHI 1981). 263 Zur aktuellen Diskussion im Artenschutz drängt sich außerdem folgende Frage auf: Ist Punkt 9 der „Empfehlungen für die Wiedereinbürgerung von gefährdeten Tieren" (ANONYMUS 1982) sowie § 20 d (2) des Bundesnaturschutz-Gesetzes glücklich formuliert, wenn seine unkri- tische Befolgung der guten Absicht des Artenschutzes, nämlich der Erhaltung von Arten und Populationen, entgegenwirken oder sie gar vereiteln kann? Im Rahmen einer grundsätzlichen Diskussion wäre hierzu aus der Sicht der ökologischen Genetik und Evolutionsbiologie zu fragen, ob eine Strategie, jede systematisch beschriebene Art konservieren zu wollen, noch erfolgversprechend ist. Denn vielleicht ist es für die Erhaltung von Lebensgemeinschaften oder Ökosystemen wesentlich wichtiger, sich auf den Schutz von evolutionären Pfaden, d. h. in erster Linie die Erhaltung ihrer Anpassungsfähigkeit, zu konzentrieren. Der Prozeß des Aussterbens von Populationen und Arten hat sich in den letzten Jahrzehnten derartig beschleunigt, daß heute bereits täglich eine Art verschwindet. Die möglichen Alterna- tiven von rettenden Gegenmaßnahmen werden von Tag zu Tag weniger.Von gezielten und gut koordinierten Untersuchungen unter Beteiligung mehrerer Arbeitsgebiete sind jedoch noch Erfolge zu erwarten, um trotz einer Vielzahl von administrativen und politischen Hindernissen optimale Schutzkonzepte zu entwickeln. Oder wie GREIG (1979) formulierte: „One is tennpted too to suggest that the degree of specialization now is such,that . decisions can only be taken by a group of people in a committee and not by an individual". Möge diese Arbeit der Ver- breitung dieser Erkenntnis dienen!

8. Dankeswort

Für wertvolle Kommentare zu einer früheren Version dieser Arbeit habe ich E. Bezzel, H. R. Gregorius, A. Harbodt, H. H. Hattemer und ganz besonders M. Ziehe zu danken. Für verbliebene Mängel bleibt selbstverständlich der Autor verantwortlich.

9. Literaturverzeichnis

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Anschrift des Verfassers: KARL RADLER, Universitat Gottingen, Abt. fur Forstgenetik und Forstpflanzenzuchtung, Busgenweg 2,3400 Gottingen 267 Neue Literatur

DATH E, H. (1986): Handbuch des Vogelliebhabers.-Band 2,344 S.,81 Farb- und 123 Schwarz- Weiß Fotos, Aula-Verlag Wiesbaden.

Das von Professor Dr. Dathe, dem Direktor des Ostberliner Zoos, herausgegebene 3-bändige Werk ist ein praktischer Ratgeber und Leitfaden für den Vogelzüchter und Vogelfreund. Während der 1. Band neben einem allgemeinen Teil (Grundsätzliches zur Haltung und Pflege, Fütterung, Hygiene und Krankheiten),die Papageien und Tauben behandelt, ist dervorliegende 2. Band den Sperlingsastrilden, den Webervögeln, Witwenvögeln, Ammern und Ammertan- garen gewidmet. Es werden all jene Arten vorgestellt, die von den einzelnen Familien bisher in Gefangenschaft gezüchtet wurden. Neben der Beschreibung der Art u. a. biologischer Daten wird besonderer Wert auf den Abschnitt Haltung und Zucht gelegt. Hier kann sich der Vogel- liebhaber hinreichend über die einzelnen Arten unterrichten. Eine Anzahl Farb- und Schwarz- Weiß Fotos illustrieren den Text. Ein Literaturverzeichnis und ein Register beschließen den Band. Für den Vogelliebhaber und den Vogelzüchter ein Standardwerk,das viel Wissenswertes übermittelt. W. KEIL

SCHMID, 0. & S. H ENGGELEN (1984): Biologischer Pflanzenschutz im Garten. - 6. Auflage, 207 S., 90 Farbfotos, 65 Zeichnungen, Verlag Eugen Ulmer Stuttgart. Während man vor 20 oder 30 Jahren noch mehr oder weniger bedenkenlos chemische Pflan- zenschutzmittel in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Gartenbau eingesetzt hat, geht man jetzt vielerorts andere Wege. Eine ganze Reihe chemischer Mittel dürfen heute-Gott sei Dank- bei uns überhaupt nicht mehr oder nur mit Auflagen verwendet werden. Die einschlägige Industrie versucht, durch gezielte Forschung ebenfalls Gesundheits- und Umweltschäden zu mindern. Dessen ungeachtet findet der biologische Pflanzenschutz, der im wesentlichen auf dem Einsatz der natürlichen Gegenspieler der Kulturschädlinge beruht, immer mehr Anhänger. Darüber hinaus gibt es auch noch den integrierten Pflanzenschutz, der aus einer sinnvollen Mischung beider Abwehrmaßnahmen besteht. Oberstes Ziel des biologischen Pflanzenschutzes ist es, durch eine größtmögliche Erhaltung aller Lebewesen Lebensmittel zu erzeugen, die weitgehend von chemischen Mitteln frei sind. Besonders der Haus- und Klein- gartenbesitzer wird hier angesprochen. In seinem eigenen Garten hat er es in der Hand, seine Produkte ohne den Einsatz chemischer Mittel zu erzeugen. Das vorliegende Buch zeichnet entsprechende Wege auf. Nach einführenden Betrachtungen zur anstehenden Problematik, wird auf die Biologie von „Nützlingen" und „Schädlingen" eingegangen,wobei den wichtigsten Nützlingen breiter Raum gegeben wird. Weitere Kapitel befassen sich mit Schädlingen und Krankheiten, mit Mitteln und Maßnahmen sowie mit der Herstellung und Anwendung von Mitteln. Den Abschluß bilden Farbbilder von Nützlingen, Schädlingen und Krankheiten an verschiedenen Gartenpflanzen sowie Literaturhinweise und eine Übersicht von Institutionen in Österreich, Deutschland und der Schweiz, die sich mit biologischem Pflanzenschutz befassen. Von kleinen Schönheitsfehlern abgesehen (so nehmen z. B. Spechte nur im Aus- nahmefall Nistkästen als Nisthilfe an, Schäden durch Haussperling - der in seiner Population rückläufig ist - und Rabenkrähe sind heute so gut wie bedeutungslos etc.), ist das Buch eine hervorragende Hilfe. Welch großes Interesse an einer solchen Publikation besteht, demon- striert, daß dieses Buch bereits in der 6. Auflage erscheint. W. KEIL

268 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen • Vogel und Umwelt 4: 269-279 (1987)

Zur Bedeutung von Schutzgebieten für den Brutbestand einiger ans Wasser gebundener Vogelarten im hessischen Werratal (Werra-Meißner-Kreis) von JÖRG W. BRAUNEIS, Göttingen und WOLFRAM BRAUNEIS, Eschwege

1. Einleitung

Der Naturschutz ist in der Werraaue mit drei wesentlichen Grundtatsachen konfrontiert:

- Die Werra selbst ist durch die Abwässer des hessisch-thüringischen Kalireviers und durch ihre Bewirtschaftung als Bundeswasserstraße sehr stark belastet. - Die Lebensgemeinschaften der Flußaue sind auf winzige Reststandorte (z.B. die drei Werraaltarme) zurückgedrängt oder existieren in stark anthropogen bestimmter Ausprä- gung auf Sekundärstandorten (Kiesteiche). - In den letzten Jahrzehnten sind ca. 300 Hektar Kiesteiche in der Werraaue entstanden.

Trotz dieser ungünstigen Voraussetzungen ist es gelungen, eine Reihe von Schutzgebieten in der Werraaue auszuweisen, die eine weitgehend ungestörte Sukzession der Auenbiozönose gewährleisten sollen oder dem Schutz artenreicher Kulturlandschaften dienen:

- NSG Ermschwerder Heegen (Größe: 37,37 Hektar) mit einem drei Hektar großen Sumpf- gebiet, dem Franzosenried (Beschreibung bei TAMM 1985,J. BRAUNEIS 1986).

- NSG Freudenthal bei Witzenhausen (Größe: 72 Hektar) mit ca. 20 Hektar Kiesteichen bei noch laufendem Kiesabbau (Beschreibung bei (ÄTSCH & MAURER 1982). - NSG Jestädter Weinberg (Größe: 61 Hektar) davon ca. 9 Hektar Kiesteich (Beschreibung bei SAUER 1977).

- NSG Albunger Altarm und Regenerationsgebiet Albunger Aue (sichergestellt) ca.10 Hektar eines Werraaltarms und einige Hektar Kiesteiche. Kiesabbau wird noch betrieben (Beschreibung bei W. BRAUNEIS 1986 a).

- NSG Schwebdaer Altarm. Reste eines sehr stark verlandeten Werraaltarms. - NSG Kiesteich unter der Aue'schen Kugel (Größe: 9.31 Hektar). Zwei Kiesteiche mit einer Gesamtgröße von ca. 8 Hektar.

- LSG Werraaue zwischen Herleshausen und Wommen (sichergestellt) Größe: 403 Hektar, davon ca. 110 Hektar Auewiesen.

Außerdem stehen einige kleinere Gewässer und Feuchtgebiete ohne rechtlichen Schutzstatus unter der Pachtobhut der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Natur- schutz (HGON); z. B. - Schloßteichanlage in Wommen (ca. 0,8 Hektar) - Feuchtgebiet bei Grebendorf (ca. 3 Hektar).

Zielsetzung der hier vorgelegten Untersuchung war es, zu überprüfen, welche Bedeutung diese Schutzgebiete für die Reproduktion von 15 an Feuchtgebiete angepaßte Vogelarten haben. Es konnte dabei auf das umfangreiche Datenmaterial der Artenkartei des Arbeits- 269 NIEDERSACHSEN

DDR

WERRA- MEISSNER- KREIS

Abb. 1: Verlauf der Werra im Kreisgebiet mit den Schutzgebieten:

1 = LSG Werra-Aue zwischen Herleshausen und Wommen 2 = NSG Kiesteich unter der Aue'schen Kugel 3 = NSG Schwebdaer Werra-Altarm 4 = NSG Jestädter Weinberg 5 = NSG Albunger Aue mit Werra-Altarm 6 = NSG Ermschwerder Heegen 7 = NSG Freudenthal bei Witzenhausen

270 kreises Werra-Meißner der HGON sowie auf die Avifauna dieses Landkreises (W. BRAUNEIS 1985) zurückgegriffen werden. Ferner wurde im Frühjahr und Sommer 1986 versucht, in ganz- tägigen Exkursionen um die Mitte der Monate April bis August den Brutbestand der ausge- wählten Vogelarten quantitativ zu erfassen.

Das dabei erfaßte Areal umfaßt das gesamte Werratal des Werra-Meißner-Kreises einschließ- lich des linksseitigen Werraufers zwischen Herleshausen und Wommen. Einbezogen wurden ferner die Unterläufe der Nebenflüsse und Bäche. Das Beobachtungsgebiet ist in etwa mit der Haupteinheit „Unteres Werraland" identisch.

2. Ergebnisse

Haubentaucher (Podiceps cristatus) Erst im Jahre 1966 tauchte der Haubentaucher wieder als Brutvogel im Raum Eschwege auf (BRAUNEIS 1985). Nach einer deutlichen Bestandszunahme sind etwa seit 1978 keine wesentlichen Veränderungen des Brutbestandes mehrfestzustel len. Die Anzahl der Brutpaare schwankt zwischen mindestens 9 (1985) und höchstens 17 (1986). Dabei spielt die Anzahl der Bruten in Schutzgebieten quantitativ nur eine geringe Rolle (1986:3 Brutpaare von 17=17,6 0/0), der ungefähr dem Anteil der geschützten Gewässer (ca. 16 %) an der Gesamtfläche der stehenden Gewässer im Untersuchungsgebiet entspricht (s. Abb. 2). Die größte Brutpaar- dichte erreicht der Haubentaucher auf den Bruchteichen bei Bad Sooden-Allendorf (1986: 7 Brutpaare/ 15 Hektar). Hier ist der Taucher durch ausgedehnte Schwimmblatt- und Röhricht- gesellschaften in seinem Neststandort von den durch Angelei und Kurbetrieb stark beun- ruhigten Ufern unabhängig.

Die Vielzahl der kleineren, für Angel- und Wassersport genutzten Kiesteiche im Eschweger Werrabecken werden vom Haubentaucher nur dann als Brutrevier angenommen, wenn sie Inseln oder breite Ufervegetation aufweisen und frei von wasserseitigen Störungen (Wind- surfen usw.) sind. Andernfalls scheitern Brutversuche meist schon in der Nestbauphase. Auf dem großen Werratalsee (ca. 80 Hektar) hat noch nie ein Haubentaucher gebrütet (der Teich ist Übungsrevier eines Segelvereins), und auf den Teichen des Freizeitzentrums bei Jestädt (ca. 35 Hektar) ist der Brutbestand von ehemals 5 Brutpaaren (1978) auf derzeit 2 (1986) zurückgegangen, was zeitlich mit dem Aufkommen des Windsurfens zusammenfällt. Die Sportfischerei mit ihren unnatürlich hohen Fischbesätzen, die stets auch eine genügende Anzahl kleiner und kranker Asche garantieren,scheint den Haubentaucherbestand zu fördern, sofern die Vögel von direkter Verfolgung und Störung verschont bleiben.

Der Fortbestand der Art scheint im Beobachtungsgebiet nicht von Schutzgebieten abhängig zu sein.

Zwergtaucher (Podiceps ruficollis)

Im Jahre 1975 gelangen für diese Art noch 4 Brutnachweise im Werra-Meißner-Kreis (BRAUNEIS 1985),davon aber nur zwei in derWerraaue (NSGJestädterWeinberg und eine als Bauschuttdeponie genutzte Kiesgrube).1985 und 1986 konnte der Zwergtaucher nicht mehr zur Brutzeit nachgewiesen werden, wobei bei dieser versteckt lebenden Art nicht ausge- schlossen werden kann, daß evtl. Vögel übersehen wurden.

Die Bestandsentwicklung dieses kleinsten einheimischen Lappentauchers ist damit - trotz verstärkter Schutzgebietsausweisung - eindeutig negativ. Über die Rückgangsursachen 271 17 16 15 14 14 13 13

1978 79 80 81 82 83 84 85 86

Abb.2: Anzahl der Brutpaare des Haubentauchers im Beobachtungsgebiet von 1978 bis 1986. Schraffierter Teil: Anzahl der Bruten in Schutzgebieten.

272 besteht keine Klarheit. Es ist zu hoffen, daß neben den Flußauen durch die Neuanlage von fischfreien, an Kleinlebewesen reichen Gewässern (Amphibienteiche) in den Tälern der Mittel- gebirgsbäche neue Brutbiotope für den Zwergtaucher geschaffen werden.

Graureiher (Ardea cinerea) Bis zum Jahr 1973 waren im Gebiet des heutigen Werra-Meißner-Kreises alle vier ehemaligen Brutkolonien erloschen (BRAUNEIS 1985).Am längsten bestand die bereits 1849 in der Lite- ratur (LANDAU 1849) erwähnte Ansiedlung bei Waldkappel-Bischhausen am Mittellauf der Wehre (letzte Brut 1972 nach W. BRAUNEIS 1985). Als Ursache des Bestandrückganges lassen sich meist direkte menschliche Verfolgungen (Abschuß von Alt- und Jungvögeln am Horst) oder Störungen während der Brutzeit ermitteln. Erst das Verbot derJagd auf Graureiher in Hessen 1972 und die Ausweisung des NSG Freudenthal bei Witzenhausen (1980) schafften die Voraussetzung zur Neugründung einer Graureiherkolonie nördlich Witzenhausen, die von 1980 bis 1986 auf 12-15 Brutpaare angewachsen ist. Nur das sofortige Einschreiten des Natur- schutzes, der nachdrückliche und ständige Hinweis auf gesetzliche Artenschutzbestim- mungen und das Angebot, forstliche Ausfälle finanziell auszugleichen, sicherten die Existenz dieser Reiheransiedlung bis heute. Leider erfolgte die Ansiedlung im Privatwald, was den Schutz durch Rechtsstatus erschwert, allerdings bietet der Staatsforst mit seinem ausge- bauten Forststraßennetz kaum einen ruhigen Koloniestandort. Die Naturschutzgebiete der Werraaue sind - obwohl sie mangels Auwaldgebieten geeignete Horstbäume nicht aufweisen - eine unersetzliche Voraussetzung für die Existenz der jungen Reiherkolonie. Nur in Naturschutzgebieten finden die Graureiher während der Brutzeit, der Jungenaufzucht und der Phase nach dem Flüggewerden der Jungreiher ein störungsfreies Nahrungsareal. So ist nach dem Ausfliegen der Jungen häufig die gesamte Kolonie im NSG Freudenthal bei Witzenhausen versammelt. In den Naturschutzgebieten kommt es dabei gele- gentlich zu erheblichen Graureiher-Konzentrationen, was die Bedeutung dieser Areale für die Art unterstreicht: am 27.10.1980 standen z. B. 61 Graureiher am 9 Hektar großen Kiesteich im NSG Jestädter Weinberg. Neben dem Schutz der Tiere vor direkter Verfolgung und der Verhinderung von Störungen an der Brutkolonie ist damit die weitere Ausweisung von störungsfreien Nahrungs- und Ruhe- zonen für den Fortbestand der Brutpopulation der Art im Beobachtungsgebiet, der derzeit noch nicht als gesichert gelten kann, unverzichtbar.

Zwergdommel (Ixobrychus minutus) Seit 1977 muß die Art im Untersuchungsgebiet als ausgestorben gelten. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß am 14. 06. 1986 der Ruf eines Exemplars aus dem Schilf des Albunger Altwassers wieder vernommen wurde. Auch das übrige Hessen nördlich der Mainlinie ist von der Zwergdommel nahezu geräumt (BEHRENS et al. 1985). Die eingeleiteten Schutzmaß- nahmen (z. B. Sicherstellung des Albunger Altarms nach § 18 H ENatG vom 25.10.1984 und damit Beendigung der Störungen durch Angelei zur Brutzeit; seit 20.12.1985 völliges Verbot der Fischerei) scheinen zu spät gekommen zu sein.Ob eine Wiederbesiedlung der-jetzt beru- higten - Lebensräume möglich ist, muß abgewartet werden. Der Rufnachweis im Frühjahr 1986 gibt Anlaß zur Hoffnung.

Weißstorch (Ciconia ciconia) Seit 1945 brütet die Art im hier beschriebenen Teil des Werratals nicht mehr. Aber 1983 hat sich wieder ein Storchenbrutpaar in dem am Prallhang der Werra gelegenen hessisch- 273 thüringischen Grenzdorf Lauchröden (DDR) angesiedelt und brütet seitdem jährlich erfolg- reich (1986 wurden drei Jungstörche flügge). Da die Vögel zur Nahrungssuche nahezu ausschließlich auf die Werrawiesen zwischen Herles- hausen und Wommen angewiesen sind (auf der DDR-Seite bilden meist waldbedeckte Steil- hänge das Werraufer), ist der hessische Naturschutz hier gefordert. Um dem fortschreitenden Wiesenumbruch Einhalt zu gebieten, wurden 400 Hektar der Werraaue mit ca. 28 % Wiesen und Weiden in diesem Bereich in einem Landschaftsschutzgebiet (LSG) mit Umbruchverbot sichergestellt. Ferner betreiben die HGON und befreundete Verbände den Ankauf geeigneter Wiesenflächen. Ob es gelingt, den Weißstorch im hessisch-thüringischen Grenzgebiet als Brutvogel zu erhalten, muß dennoch nach den entmutigenden Erfahrungen aus dem übrigen Hessen und angesichts der sich ständig verschlechternden Bedingungen auf den Zugstraßen und in den Winterquartieren als fraglich gelten.

Höckerschwan (Cygnus olor) Diese Art brütet im Werra-Meißner-Kreis jährlich mit ca.4 - 5 Brutpaaren (1986 fünf Brutpaare, von denen drei Jungschwäne - zwei, vier und fünf Jungvögel - erbrüteten; zwei Bruten schei- terten). Gelegentlich brütet der Schwan auch außerhalb des Werratals, so z. B.1985 und 1986 erfolgreich auf dem Dorfteich von Ringgau-Grandenborn, ca. 400 m über NN. Der Höckerschwan profitiert von den Schutzgebieten im Beobachtungsgebiet vor allem durch die Tatsache, daß die hier brütenden Paare meist erfolgreich Junge aufziehen, während der wehr- hafte Vogel außerhalb der NSGs häufig aus falsch verstandenem, sportlichen Ehrgeiz stark beunruhigt, gelegentlich sogar verletzt oder getötet wird, was zum Ausfall der Bruten führt.

Krickente (Anas crecca) Seit 1963 wurde im Beobachtungsgebiet für diese Entenart kein Brutnachweis mehr erbracht (W. BRAUN EIS 1985). Auch 1986 konnten zwar wieder übersommernde Vögel auf den Kiesteichen außerhalb der Schutzgebiete festgestellt werden. Hinweise für einen Brutversuch gab es jedoch nicht. Es scheint nicht gelungen zu sein, in die NSGs zum derzeitigen Zeitpunkt Gebiete einzubeziehen, die den Ansprüchen der Art gerecht werden.

Stockente (Anas platyrhynchos) Diese anpassungsfähigste aller heimischen Entenarten besiedelt alle Gewässertypen ohne Höhenbegrenzung (seit 1981 auch alljährlich am Kalbe-See auf dem Meißner 650m über NN). Dabei sind Gelege häufig fernab vom Wasser zu finden (siehe auch W. BRAUNEIS 1985), was die Art möglicherweise gegen Beunruhigungen der Gewässer und ihrer Ufer unempfindlicher macht. Auch kleine und kleinste Teiche in den Mittelgebirgstälchen werden häufig mit menschlicher Hilfe (Entennistkästen) besiedelt. 1986 brüteten nachweislich 26 Stockenten (durchschnittlich 5,7 Jungenten/Schoof). Davon wurden 12 Bruten (= 46,2 0/0) in Schutzge- bieten gefunden. Da aber nur ca.16 0/0 aller stehenden Gewässer einen Schutzstatus aufweisen, zeigt sich, daß sich die Stockentenbruten in Schutzgebieten konzentrieren. Dies gilt zumindest für die die Flußaue bewohnende Teilpopulation. Bei Einbeziehung der Fließgewässer (Werra, Unterlauf der Wehre), an denen auch Stockenten brüten, würde sich dieser Konzentrations- effekt rechnerisch noch verdeutlichen. Damit ist es für das Untersuchungsgebiet gesichert, daß die Stockente Gewässer mit Schutz- status als Brutgebiet bevorzugt, oder doch zumindest hier wesentlich erfolgreicher brütet. 274 Die Art scheint aber zum derzeitigen Zeitpunkt für ihr Überleben nicht auf Schutzgebiete angewiesen zu sein.

Knäkente (Anas querquedula) Brutnachweise erfolgten im Beobachtungsgebiet 1975 (Albunger Altwasser) und 1983 (Unter- lauf des Vierbachs) (W. BRAUNEIS 1985). Seitdem sind, wie auch 1986, alljährlich über- sommernde Exemplare festzustellen. Es ist zu hoffen, daß im Zuge der Unterschutzstellung der Altwasserarme und der Neuanlage von Kleingewässern (Amphibienteiche) die Art in Zukunft regelmäßig zur Brut schreiten wird.

Reiherente (Aythya fuligula) Der erste Brutnachweis dieser in Hessen allgemein in Ausbreitung befindlichen Entenart erfolgte im Beobachtungsgebiet 1983 mit einer bis 1986 deutlich steigenden Tendenz: 1983: 2 Brutpaare (davon 1 in Schutzgebieten) 1984: 2 Brutpaare (davon 2 in Schutzgebieten) 1985: 8 Brutpaare (davon 4 in Schutzgebieten) 1986: 12 Brutpaare (davon 9 in Schutzgebieten); durchschnittlich 5,3 Junge/Schoof) Der Anteil der in Schutzgebieten brütenden Paare betrug damit 1986 75 %,wobei allein sieben Brutpaare im NSG Jestädter Weinberg ihre Schoofe führten. Diese Zahlen unterstreichen die Bedeutung der geschützten Areale für den Brutbestand der Reiherente. Sie besiedelt dabei unterschiedliche Gewässertypen, vom Amphibienteich bis zu den großen Kiesteichen und den Altarmen, wobei die bevorzugten Brutgewässer stets hocheutroph und sehr flach sind. Diese Beobachtung steht in einem gewissen Gegensatz zu dervon BEZZEL(1985) gegebenen Biotopbeschreibung. Zweimal wurden 1986 aus Reiher- und Stockentenküken gemischte Schoofe beobachtet, die von einer Reiherente geführt wurden. Ob diese Schoofe interspezi- fischen Mischgelegen entstammen (BEZZEL 1985), oder ob die Vermischung erst nach dem Schlüpfen aus ungemischten Gelegen entstand, kann ebensowenig wie die Dauerhaftigkeit dieser Mischschoofe beurteilt werden.

Rohrweihe (Circus aeruginosus) Bis zum Jahre 1980 war dieser Greifvogel in dem hier beschriebenen Teil der Werraaue als Brutvogel unbekannt. Erst in diesem Jahr erbrütete ein Paar zwei Jungvögel im dichten Schilf des Werraaltarms bei Schwebda.1981 scheiterte eine Getreidebrut in der Albunger Aue durch Ausmähen. 1982 gab es keine erfolgreiche Brut. 1983: 1 Brutpaar im NSG Ermschwerder Heegen (2 Jungvögel) 1 Brutpaar im Grenzstreifen zur DDR bei Herleshausen 1984: 1 Brutpaar im NSG Ermschwerder Heegen (1 Jungvogel) 1 Brutpaar im NSG Schwebdaer Altarm 1986: 1 Brutpaar im NSG Albunger Altarm (3 Jungvögel) 1 Brutpaar im NSG Schwebdaer Altarm (2 Jungvögel) 1 Brutpaar LSG Werrawiesen bei Herleshausen (Grenzstreifen zur DDR) Die Auflistung macht deutlich, daß Bruten der Rohrweihe im Beobachtungsgebiet noch nie außerhalb von Schutzgebieten stattgefunden haben. Die Diskussion über die Bedeutung dieser Gebiete für die Reproduktion der Art erübrigt sich damit, es muß aber betont werden, daß durch geringe Flächengröße der geschützten Bereiche eine erhebliche Störungsanfällig- keit für den Horstbereich gegeben ist, was zum Totalausfall der Bruten führen kann. 275 Wasserralle (Rallus aquaticus) Der Nachweis dieser Art zur Brutzeit erfolgt nahezu ausschließlich durch das Verhören der charakteristischen Rufrei hen. Sichtbeobachtungen sind sehr selten (W. BRAUN EIS 1985). Im Beobachtungsgebiet wurden Wasserrallenrufe an folgenden Orten gehört:

NSG Jestädter Weinberg (1981), NSG Albunger Altwasser (1977, 1979, 1980, 1982), NSG Schwebdaer Altwasser (1977, 1978, 1982, 1983, 1986) und NSG Ermschwerder Heegen (1982, 1983).

Ein weiteres Vorkommen an den Kiesteichen zwischen Grebendorf und Jestädt (1975-1977) ist durch Freizeitbetrieb erloschen (Angaben nach BRAUNEIS 1985, BRAUNEIS 1986 b,TAMM 1985). Damit liegen alle Wasserrallen-Nachweise im Beobachtungsgebiet an Gewässern mit Schutzstatus. Seit 1978 sind alle Vorkommen in anderen Biotopen erloschen.

Teichralle (Gallinula chloropus) Bis Ende der siebziger Jahre besiedelte die Teichralle flächendeckend alle fließenden und stehenden Gewässer des Beobachtungsgebiets. Seitdem ist ein ständiger und nicht völlig erklärter Rückgang zu verzeichnen. Bei der Bestandserhebung 1986 wurde die Art nur noch auf drei Gewässern angetroffen:

- NSG Ermschwerder Heegen, - NSG Freudenthal bei Witzenhausen und - Schloßteichanlage in Wommen (nur hier Jungvögel).

Dieser erstaunlich geringe Bestand kann spekulativ mit Bekämpfungsmaßnahmen gegen die Bisamratte sowie mit der allgemeinen Erschließung der Ufer durch Wege und der damit verbundenen Zerstörung der Ufervegetation in Verbindung gebracht werden.

Bleßralle (Fulica atra)

Die Bleßralle kommt an allen Kiesteichen und Altarmen des Untersuchungsgebiets vor. Der Hauptfluß der Werra scheint aufgrund der vorangeschrittenen Zerstörung der Ufervegetation nicht mehr als Brutbiotop genutzt zu werden.

Die Erfassung 1986 ergab insgesamt 27 Brutpaare (mit durchschnittlich je drei Jungvögeln). 13 Bruten (48 %) fanden in Schutzgebieten statt.Dies entspricht-ähnlich wie bei der Stockente - wegen des geringen Anteils der Schutzgebiete an der Gesamtwasserfläche einer relativen Konzentration der Art in den geschützten Bereichen. Die Bleßralle bildet aber auch außerhalb lebensfähige Teilpopulationen (z. B. Bruchteiche bei Bad Sooden-Allendorf: 1986 7 Brut- paare/15 Hektar).

Flußregenpfeifer (Charadrius dubius) Diese Limikolenart besiedelt hauptsächlich anthropogene Schotterflächen und ist deshalb auf aktiven Kiesabbau oder Steinbruchbetrieb angewiesen. Nach dem Ende des Kiesabbaus verschwindet sie mit der raschen Begrünung des Betriebsgeländes. Außer im Werratal brütet der Flußregenpfeifer im Werra-Meißner-Kreis - außerhalb des Untersuchungsgebietes - regelmäßig auf der Hochfläche bei Hessisch Lichtenau (1986 hier 3 Brutpaare). 276 Die Bestandserfassung 1986 ergab für das Werratal folgende Zahlen:

1 - 2 Brutpaare Kiesabbaugebiet zwischen Eschwege und Schwebda 2 Brutpaare Kiesabbaugebiete im NSG Freudenthal bei Witzenhausen 1 Brutpaar Kiesabbaugebiet im NSG Albunger Aue 1 Brutpaar Großbaustelle im Werratal bei Bad Sooden-Allendorf

In Schutzgebieten ohne derzeit noch aktiven Kiesabbau kommt die Art nicht vor, d.h. mit dem absehbaren Ende des Kiesabbaus wird der Flußregenpfeifer ausschließlich auf aktive Mana- gementmaßnahmen des Naturschutzes, die eine natürliche Flußauendynamik simulieren, angewiesen sein.

Flußuferläufer (Actitis hypoleucos) Brutzeitbeobachtungen dieser Art sind an der Werra und ihren Nebenflüssen im gesamten Werra-Meißner-Kreis seit ca.1972 regelmäßig möglich (W. BRAUNEIS 1985). Eindeutige Brut- nachweise (Jungenbeobachtungen) liegen nur für 1983 aus dem NSG Aue'sche Kugel und 1986 aus dem NSG Jestädter Weinberg vor. Beide Bruten erfolgten auf künstlichen, im Rahmen von Naturschutzmaßnahmen angelegten Inseln.

3. Zusammenfassende Bewertung und Ausblick

Die quantitative Ermittlung des Brutbestandes von 15 ans Wasser gebundene Vogelarten (Nonpasseriformes) im hessischen Werratal (Werra-Meißner-Kreis) im Jahre 1986 ermöglicht unter Berücksichtigung älterer avifaunistischer Daten folgende zusammenfassende Aus- sagen über die Bedeutung von Schutzgebieten für die Reproduktion dieser Arten:

- Zwergtaucher und Zwergdommel kommen als Brutvögel wahrscheinlich nicht mehr vor.

- Rohrweihe, Wasserralle und Flußuferläufer brüten ausschließlich in Schutzgebieten.

- Der Graureiher scheint auf geschützte Ruhezonen zur Zeit der Jungenaufzucht auch als Nahrungsrevier unbedingt angewiesen zu sein.

- Knäk- und Krickente konnten keine stabilen Brutpopulationen aufbauen.

- Auch häufige Arten wie Stockente, Bleßralle und Höckerschwan konzentrieren ihren Brut- bestand in Schutzgebieten weit über deren Anteil an der Gesamtwasserfläche hinaus.

- Die Reiherente breitet sich seit einigen Jahren hauptsächlich in geschützten Arealen aus.

- Beim Haubentaucher sind der Anteil der Bruten in Schutzgebieten und deren quantitativer Anteil an der Gesamtwasserfläche etwa deckungsgleich.

- Der Flußregenpfeifer ist auf aktiven Kiesabbau oder Naturschutzmanagement angewiesen.

- Bei der Teichralle bleibt der erschreckende Rückgang unerklärlich und scheint im Wider- spruch zu der Entwicklung in anderen Teilen Hessens zu stehen.

Damit sind 13 der untersuchten 15 Arten auf dem „Rückzug in die Reservate", und nur drei Arten (Haubentaucher, Bleßralle und Stockente) bilden außerhalb ausreichend große Brut- populationen, so daß ihre Existenz dort in naher Zukunft nicht als akut gefährdet betrachtet werden muß. 277 Für den Naturschutz ergeben sich -trotz sicher vorhandener methodischer Schwächen - aus der hier vorgelegten Untersuchung folgende Erkenntnisse und Forderungen:

Die Schaffung von Schutzgebieten hat im Bewußtsein der Bevölkerung, aber auch bei den politisch Verantwortlichen, den Eindruck entstehen lassen, alle Gebiete ohne Schutzstatus seien „vogelfrei", d. h. hier könnten sich alle Formen der aggressiven und naturzerstörenden Nutzung ungehemmt austoben. So werden Angelei (und die damit verbundene Zerstörung der Ufervegetation), Badebetrieb, Camping, Windsurfing, Segeln, Modellbootfahren rücksichtslos und häufig parallel betrieben. Rücksicht auf Artenschutzbestimmungen und die Vorschriften des Fünften Abschnitts des Hessichen Naturschutzgesetzes (Schutz und Pflege wild- wachsender Pflanzen und wildlebender Tiere) wird nicht genommen. Die Kommunalverwal- tungen fordern und fördern die Verstärkung dieser Tendenz durch Ausbau einer entspre- chenden Infrastruktur (z. B. Uferwege). Jeder noch so kleine Teich wird fremdenverkehrs- wirksam vermarktet, erhält zumindest „gepflegte" (d. h. sterile) Ufer und einen geteerten Rundweg. Der Naturschutz muß aus dieser ungebrochenen Entwicklung folgende Konse- quenzen ziehen:

- Naturschutzgebiete müssen absoluten Reservatcharakter erhalten. Menschliche Eingriffe haben sich auf Managementmaßnahmen zu beschränken. Jagd auf Wasserwild (wie im NSG Jestädter Weinberg), Sportangelei (auch mit Zeit- und Zonenregelung wie im NSG Freudenthal), Gewässerrundwege (wie im NSG Aue'sche Kugel) sind unerträglich und müssen beseitigt werden. Schutzgebiete sind unersätzliche Überlebenszellen für viele Arten, und hinter dieser Bedeutung hat auch das Recht der Bevölkerung auf Naturerleben zurückzustehen.

- Außerhalb der streng geschützten Reservate (ca. 20 % aller stehenden und fließenden Gewässer) muß der Großteil der Feuchtgebiete einem milderen Schutz unterworfen werden (ca. 60 %). Dabei muß deutlich gesagt werden, daß das Landschaftsschutzgebiet alter Prägung diesen Ansprüchen nicht genügt hat. Gewässernutzung muß in diesem Bereich zeitlich und räumlich entzerrt werden:

- Angelverbot während der Brut- und Setzzeiten. - Verbot des Befahrens der Uferstreifen. - Wirksamer Schutz der Uferregion vor wasserseitigen Störungen - Betretungsverbot der Ufer zur Brutzeit.

- Keine Wegeerschließung der bisher unerschlossenen Uferbereiche (z. B. unter dem Vorwand des Radwegebaues), sondern Aufhebung bestehender Uferwege, die in einem größerem Abstand zum Ufer (ca. 100 m) zu halten sind.

- Einrichtungen zur Naturbeobachtung und zum Naturerleben.

- Einschränkung derJagd auf Wasserwild (Stockente und Bleßralle sind kein Ersatzwild für andere, verlorengegangene Niederwildarten).

- Der Rest, insbesondere ortsnahe Gewässer (ca. 20 0/0), kann einer intensiven Freizeit- nutzung zur Verfügung gestellt werden.

Nur die Beachtung dieser Vorschläge kann verhindern, daß Schutzgebiete Oasen in einer Wüste sind, die keinen Lebensraum für wild lebende Wasservögel mehr bietet.Vielmehr sollen Reservate die Juwelen eines Kronschatzes an naturnaher Umwelt sein. 278 4. Literatur:

BEHRENS, H., K. FIEDLER, H. KLAMBERG & K. MÖBUS (1985): Verzeichnis der Vögel Hessens; S. 32. Frankfurt am Main. BEZZEL, E (1985): Kompendium der Vögel Mitteleuropas. - Nonpasseriformes; S. 180. Wiesbaden. BRAUNEIS, J., W. BRAUNEIS & G. LÄTSCH (1984): Naturschutz in der Werraaue des Werra- Meißner-Kreises. Vogel und Umwelt 3: 143-150. BRAUNEIS, W. (1985): Die Vogelwelt des Werra-Meißner-Kreises. Schriften des Werratal- vereins Witzenhausen. Heft 14. BRAUNEIS, J. (1986): Das Naturschutzgebiet „Ermschwerder Heegen". Fliegende Blätter, Heft 1: 17-19. BRAUNEIS, W. (1986a): Der Werra-Altarm bei Albungen - ein Schutzkonzept. Fliegende Blätter, Heft 1: 19-21. BRAUNE1S,W.(1986b): Bemerkenswerte ornithologische Beobachtungen aus dem Gebiet an Werra und Meißner. Fliegende Blätter, Heft 1: 29-35. LÄTSCH, G. & J. MAURER (1982): Das Naturschutzgebiet „Freudenthal bei Witzenhausen" - Eine erste Beschreibung und Bestandsaufnahme. Schriften des Werratalvereins Witzen- hausen. Heft 5: (Sonderheft). LANDAU, G. (1849): Die Geschichte der Jagd und Falknerei in beiden Hessen. Kassel.

SAUER, H. (1977): Werraaue und Talhänge am Jestädter Weinberg und Fürstenstein bei Eschwege (Nordhessen). Philipia 111/3: 224-238. TAMM, J. (1985): Zur Fauna eines Sumpfes im Werratal („Franzosenried" bei Witzenhausen). Decheniana 138: 104-117.

Anschriften der Verfasser: Dr. JÖRG W. BRAUNEIS, Friedrich-Jenner-Straße 21, 3400 Göttingen WOLFRAM BRAUNEIS, Brückenstraße 21-23, 3440 Eschwege 279 Neue Literatur

SINGER, D. (1987): Singvögel. 128 S., 111 Farbfotos, 77 teils Farb-oder Schwarzweißzeich- nungen, Reihe: Kosmos Naturführer, Frankh-Kosmos Verlagsgruppe, Stuttgart.

Von den 110 in der Bundesrepublik brütenden Singvogelarten sind 42 % als bestands- gefährdet anzusehen. Eine erschreckende Bilanz. Eine Reihe derzeit als nicht bedroht einge- stuften Arten sind in ihrem Bestand rückläufig. Hierher gehört z. B. der früher wohl häufigste Singvogel, der Haussperling. Der Kosmos Naturführer Singvögel (kartoniert in Klarsicht- Plastikhülle) gibt im zentralen Kapitel einen Überblick über alle mitteleuropäischen Singvogel- arten. So werden neben dem deutschen und wissenschaftlichen Namen auch englische und französische Bezeichnungen genannt. Zur Artenbeschreibung erfährt man: Merkmale, Stimme, Vorkommen, Nahrung und Brutbiologie. Einführend wird eine Anleitung zur Vogel- bestimmung ebenso gegeben wie die Frage beantwortet. „Wie Singen die Vögel?" Das Kapitel „Vogelschutz im eigenen Garten" gibt Hinweise zu Vogelschutzmaßnahmen vor der Haustüre. Ein Adressenverzeichnis offizieller und privater Institutionen (leider ist die Liste nicht auf dem Stand von 1987!) ergänzt den Inhalt. Die beigefügten Illustrationen (Farbfotos und Zeich- nungen) sind von besonderer Qualität. Der Naturführer „Singvögel" des Kosmos bietet viel Wissenswertes für einen akzeptablen Preis. W. KEIL

MEBS, Th. (1987): Eulen und Käuze. -128 S., 67 Farbfotos, 39 Farb- und Schwarzweißzeich- nungen, 6. neu bearbeitete Auflage, Reihe: Kosmos Naturführer, Frankh-Kosmos Verlags- gruppe Stuttgart.

Insgesamt 13 Eulen- und Kauzarten brüten in Europa,von denen wiederum 8 zu den deutschen Brutvogelarten zählen. Erschreckend ist es festzustellen, daß von diesen 8 Arten 6 auf der Roten Liste der bestandsgefährdeten Brutvogelarten der Bundesrepublik zu finden sind. - Uhu, Sumpfohreule, Steinkauz sind stark gefährdet, Schleiereule, Sperlingskauz sind gefährdet, Rauhfußkauz ist potentiell gefährdet. Nur Waldkauz und Waldohreule sind derzeit nicht in ihrem Brutbestand bedroht. Der vorliegende völlig neu überarbeitete Naturführer des Kosmos-Verlages bietet eine umfassende Information über diese Vogelgruppe. So wird im allgemein gehaltenen ersten Buchabschnitt über das Leben der Eulen berichtet, sowie über Bestandsgefährdung und Möglichkeiten der Eulenbeobachtung. Im nachfolgenden speziellen Teil werden die 13 Arten in Wort und Bild vorgestellt (Kennzeichen, Verhalten, Stimme, Verbreitung, Lebensraum, Reviergröße und Siedlungsdichte, Jagdweise und Ernäh- rung, Gewölle, Fortpflanzung, Wanderungen, Sterblichkeit, Bestandsgefährdung). Besonders hingewiesen sei auf den jeweiligen Abschnitt „Hilfsmaßnahmen". Hier wird aufgezeigt in welcher Weise der betreffenden Art geholfen werden kann. Ein Literaturverzeichnis, Angaben von Adressen staatlicher und privater Stellen, die weitere Auskünfte erteilen können, sowie ein Register beschließen das Buch. Die neue Auflage von „Eulen und Käuze" ist eine rundum gelungene Publikation. Niemand,der sich mit diesen Vögeln beschäftigt,wird an diesem Natur- führer vorbei können. Er wird sein Publikum finden. W. KEIL

280 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen • Vogel und Umwelt 4: 281-301 (1987)

Zur Schutzwürdigkeit einer stillgelegten Bahntrasse im Hintertaunus von IRMGARD MOHR, Frankfurt am Main

1. Einleitung

Im östlichen Hintertaunus wurde 1909 die sogenannte „Weiltalbahn" von Usingen nach Weil- burg in Betrieb genommen. Nur 60 Jahre später, im September 1969, hatte sie bereits weitge- hend ausgedient. Die Bundesbahn stellte den Personenverkehr zwischen Grävenwiesbach und Weilburg ein, ebenso den Güterverkehr zwischen Grävenwiesbach und Weilmünster. Damit war der letztgenannte Abschnitt völlig stillgelegt. Im Winter 1969/70 wurden dort die Schienen und Schwellen entfernt. Auch das 23 m hohe Eisenfachwerk-Viadukt über das Steinkerztal - ehemals die größte Eisenbahnbrücke im Taunus - wurde abgebaut. Anschlie- ßend bot die Bundesbahn das Gelände zum Verkauf an. Im Bereich des Hochtaunuskreises erwarb die Gemeinde Grävenwiesbach einen ca. 1 km langen Abschnitt ab dem Bahnhof und bezog ihn z.T. in ihre Mülldeponie ein. Der Rest der Strecke bis zur Kreisgrenze blieb sich selbst überlassen - abgesehen von gelegentlichen Schotterentnahmen zur Befestigung der benachbarten Wirtschaftswege. 1983 begann die „Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz" (HGON) sich für diesen Abschnitt zu interessieren, da sich mittlerweile auf der ehemaligen Bahntrasse eine bunte Vielfalt an Pflanzen und Tieren eingestellt hatte. Nun entdeckte Grävenwiesbach ebenfalls sein Interesse an diesem Teilstück und erwarb es schließlich Anfang 1984 aufgrund des Vorkaufsrechts der öffentlichen Hand. Daraufhin beantragte die HGON die Ausweisung als Geschützten Land- schaftsbestandteil. Um die Schutzwürdigkeit zu belegen, wurden genauere Beobachtungen der Pflanzen- und Vogelwelt an der Bahnstrecke unternommen, deren Ergebnisse im folgenden dargestellt seien.

2. Allgemeine Beschreibung der ehemaligen Bahntrasse und ihre Umgebung

Das ca. 4 km lange Teilstück von der Mülldeponie bis zur Kreisgrenze verläuft zunächst an den Nordhängen von Bodenberg,Brühlberg, Hoheforst und Köpfchen nach Westen und biegt dann hinter dem einsam gelegenen, ehemaligen Bahnhof Heinzenberg nach Norden ab. Dabei folgt die Trasse dem Wiesbachtal. Sie besteht aus dem ca. 3 m breiten Schotterbett und den beid- seitigen Geländestreifen, bei denen es sich um mehr oder minder hohe Böschungen der Dämme oder Einschnitte handelt.Während die Vegetation an den Böschungen schon älter und z. T. auch von der Bahnverwaltung angepflanzt sein dürfte (Weißdornhecken), hat sich der größte Teil der Pflanzen auf dem Gleisbett erst nach der Stillegung eingefunden. Aufgrund der geringen Breite des Bahnkörpers ist die Vegetation der Umgebung für die Wiederbesiedlung von großer Bedeutung gewesen. Deshalb folgen zunächst einige Anmer- kungen über die naturräumlichen Verhältnisse der Gegend.

2.1 Geologie

Die Bahntrasse durchläuft ein Gebiet, in dem die Singhofener Schichten der Unteren Ems- Stufe aus dem Unterdevon anstehen. Dabei handelt es sich vorwiegend um Ton- und Grau- wackenschiefer, z.T. mit Kieselgallen. Stellenweise eingelagert sind Porphyroide (geschie- 281 ferter Keratophyrtuff) sowie Quarzit, Grauwacken und meist geringmächtige Lagen von plat- tigen Sandsteinen. Die Tonschiefer sind in frischem Zustand bläulichschwarz, in verwittertem schmutzigbräunlich. Manchmal kommen so reine Lagen vor, daß sie als Dachschiefer bezeichnet werden können. Sie verwittern zu einem schluffigtonigen Zersetzungsmaterial. Die Sandsteinbeimengungen können gelegentlich mehrere Meter Mächtigkeit erlangen, so daß sie z.T. in Steinbrüchen abgebaut werden. Die Porphyroide sind die Produkte submariner vulkanischer Ausbrüche. Bei Eruptionen wurden Tuffmassen im Meer ausgestreut und sanken wie die anderen Sedimente zu Boden. Sie wurden rein oder mit mehr oder weniger Sedimentmaterial vermischt den anderen Sedi- menten zwischengeschaltet.

2.2 Böden Die Bodenbildung fand nicht direkt auf den eben geschilderten Gesteinen statt,sondern in den sie überlagernden Schuttdecken. Diese entstanden im periglazialen Klima durch Frostverwit- terung und Verlagerung am Hang. Aufgrund der unterschiedlichen Beimengung von Lößlehm und Laacher Bimstuff (vulkanischem Material aus der Eifel) können verschiedene Schutt- decken unterschieden werden, die als Basis-, Mittel- und Deckschutt (oder Decksediment) bezeichnet werden. Auf den Hängen fehlen gewöhnlich der Basis- und der Mittelschutt. Das Decksediment liegt dann auf Schiefermaterial ohne chemische Verwitterungsanzeichen. Normalerweise sind darin Braunerden entwickelt (Ah-B,-II C-Profil). An Stellen stärkerer Erosion treten Ranker (Ah-II C-Profil) anstelle von Braunerden auf. Nach Angaben von SCHLOSSMACHER (1983) waren keine sichtbaren Podsolierungsmerkmale beobachtet worden. Karbonathaltiger Löß wurde im Bereich des Kartenblatts Grävenwiesbach ebenfalls nicht angetroffen. In den Bachtälern und schmalen Auen von Weil und Wiesbach kommen grundwasserbeein- flußte Böden vor. Die Böden der Wiesbachaue bestehen im wesentlichen aus dem von den Hängen erodierten Lößlehm. In der gesamten Gegend dürften hauptsächlich mesotrophe, stellenweise auch oligotrophe Nährstoffverhältnisse auftreten.

2.3 Klima Das Untersuchungsgebiet liegt in einer Höhe zwischen 200 und 300 m NN. Die nächstgele- genen Klimastationen sind Weilrod-Gemünden (258 m), knapp 3 km südlich des Bahnhofes Heinzenberg und Weilmünster (ca. 200 m), ca. 5 km nordwestlich des nördlichen Endes des Untersuchungsgebietes. Bei beiden Stationen wird aber nur der Niederschlag gemessen. Deshalb seien hier die Daten des ca.15 km nordwestlich gelegenen Weilburg (187m) ange- geben. Es handelt sich um 30jährige Mittelwerte der Periode Januar 1951 bis Dezember1980:

Jahresdurchschnittstemperatur: 8,7 °C

Jahresniederschlag: 755,3 mm

Dauer der Vegetationszeit: 30. 4.- 10.10. (=Tage mit Temperatur > 10 °C) Durchschnittstemperatur der Vegetationszeit: 14,9 °C

Niederschlag in der Vegetationszeit: ca. 344 mm

Anhand des Verhältnisses von Niederschlag zu Temperatur während der Vegetationszeit läßt mm Niederschlag in der Veg. Zeit sich nach der Formel mittl. Temp. in der Veg. Zeit + 10 die Klimafeuchte bestimmen. Es 282 Abb. 1: Das Wiesbachtal unterhalb von Grävenwiesbach: Die aufgelassene Bahntrasse zieht aus der Bildmitte kommend vor den Gebäuden des ehemaligen Bahnhofs Heinzen- berg vorbei zum rechten Bildrand, biegt dann zum linken Bildrand hin ab und verläuft hinter dem Sturzacker durch die Gebüschreihe.

ergibt sich danach der Index 13,8, der ei ne schwach subkontinentale Klimafeuchte bezeichnet. Bei diesen Daten ist zu beachten, daß der Niederschlags- und Temperaturverlauf in einzelnen Jahren von solchen langjährigen Mitteln stark abweichen kann. Während Holzgewächse darauf mit veränderten Zuwachsraten reagieren, können krautige Pflanzenarten u. U. ganz verschwinden bzw. neu auftreten.

2.4 Potentielle natürliche und reale Vegetation Nach KNAPP (1954) gehört das Gebiet zur unteren Buchenmischwaldzone. Aufgrund der Klimafeuchte und der meist mesotrophen Standortsverhältnisse handelt es sich bei der potentiellen natürlichen Waldgesellschaft um einen Hainsimsen-Buchen-Eichenwald. Bei oligotrophen Verhältnissen tritt der Heidelbeer-Drahtschmielen-Buchen-Eichenwald auf. In den Talauen der Bäche wäre ein Bacherlenwald zu erwarten. Die natürlichen Waldgesellschaften sind zum größten Teil ersetzt durch land- und forstwirt- schaftlich bedingte Pflanzengesellschaften sowie bebaute Flächen (Siedlungen, Verkehr usw.). In der näheren Umgebung der Bahntrasse sind großflächig mehr oder minder naturnahe Eichenmisch- und Hainbuchenwälder und Nadelholzforste (Fichten, Kiefern, z.T.auch Dougla- sien) verbreitet, dazu Äcker (Raps, Getreide) in den trockeneren Lagen und Grünland in den feuchteren Lagen der landwirtschaftlich genutzten Fläche. Außerdem kommen kleinflächig bzw. linienhaft Schlagfluren und Vorwaldgesellschaften, Gebüsche und Hecken, Wald- und Heckensäume, Ruderalgesellschaften und, soweit überhaupt vorhanden, die bachbeglei- tende Vegetation an Wies-, Steinkerz- und Welschbach vor. 283 3. Bedingungen am Bahndamm „Hinsichtlich der Lebensbedingungen für die Pflanzen ist das Schotterbett einer Gleisanlage inmitten der umgebenden Landschaft ein völliger Sonderfall im Extrem -es ist sozusagen eine schmale künstliche „Steinwüste" mit hoher Evaporation, hohen Bodentemperaturen durch die Sonnenerhitzung des Schotters und ganz extremem Wassermangel infolge der raschen Versickerung des Niederschlagswassers" (REPP 1958, S. 92). Dieses Zitat dürfte die Ausgangssituation 1969 widerspiegeln, als die Strecke stillgelegt und die Unkrautbekämpfung (Spritzung mit Herbiziden) eingestellt wurde,die auf allen befahrenen Strecken durchgeführt wird. Aber auch heute sind die Standortverhältnisse auf dem Schotter noch mehr oder weniger verschieden von denen der Umgebung (vgl.hierzu BRAN DES1983).Als Substrat liegt hier kein Boden im üblichen Sinne vor, sondern -soweit sie nicht entfernt wurde -eine mindestens 30 cm mächtige Schicht aus Basaltschotter, unter der die sogenannte Packlage folgt, hier als Schiefergestück ausgeführt. Erst darunter folgt feineres Material. Entsprechend der Aufgabe des Schotters, eine federnde und trockene Unterlage für die Schwellen zu bilden, läßt er ankommendes Wasser rasch abfließen.Auch wenn er mittlerweile auf Teilstrecken beträchtliche Feinerde- und Humusanteile enthalten dürfte, so ist der Bahn- körper aufgrund dieser Schotterschicht im Vergleich zur Umgebung doch ein trockener Standort mit geringem Feinerdegehalt. Diese beiden Faktoren haben wiederum eine niedrige Wärmeleitfähigkeit und extreme Temperaturschwankungen zur Folge. Der dunkle Schotter erwärmt sich rascher als die Umgebung. Der Nährstoffgehalt ist auf großen Strecken wahrscheinlich recht gering. Der Lichteinfall ist zumindest anfangs im Vergleich mit der Umgebung höher, sofern keine Gebüsche die Strecke begleiten. Möglicherweise ist auch die „Boden"-reaktion, also der pH-Wert, anders als in der Umgebung, da der Schotter aus gebietsfremdem Material besteht.Zusätzlich sind die Verhält- nisse direkt auf dem Bahndamm von denen an den Böschungen verschieden, und hier können wiederum je nach Exposition erhebliche Unterschiede auftreten.

4. Heutiger Zustand der Bahntrasse aus botanischer Sicht Der Schotterkörper ist im untersuchten Abschnitt nur teilweise erhalten.An etlichen Stellen ist vor mehr oder weniger langer Zeit Schotter entnommen worden, z. T. bis auf das darunter folgende Schiefergestück hinunter. Ein Teil der Strecke verläuft im Wald, als Damm oder Hanganschnitt, ein anderer wird von Wiesen, Weiden und Feldern begleitet. Manche Abschnitte sind von Gebüschstreifen gesäumt, andere gehen offen in die angrenzenden Flächen über. Aufgrund dieser kleinräumig wechselnden Bedingungen ergibt sich kein einheitliches Bild der Vegetation, sondern ein mosaikartig zusammengesetztes Muster. Die deutlichsten Unter- schiede sind nach unseren Beobachtungen zwischen den Abschnitten im Wald und denen durch landwirtschaftlich genutzte Flächen zu bemerken.

4.1 Zur Bahnstrecke im Wald (vom „Bierholz" bis zum ehemaligen Bahnhof Heinzenberg) In diesem Abschnitt ist der Schotter zum größten Teil noch vorhanden. Auf den kurzen Teil- strecken, wo er entfernt wurde, geschah dies vor so kurzer Zeit, daß sich hier noch keine nennenswerte Vegetation entwickeln konnte. An Stellen, die seit der Stillegung ungestört sind, hat sich vielfach die Hainbuche (Carpinus betulus) angesiedelt. Das hat vermutlich mehrere Gründe. Zumächst einmal kommt sie in direkter Nachbarschaft reichlich vor, da die Bahn- strecke einen Hainbuchen-Niederwald durchquert. Darüber hinaus ist sie als bodenaufschlie- ßenderTiefwurzler und Gehölz der Hecken und Waldrändersowohl den Substrat-als auch den 284 Lichtverhältnissen (etwas heller als im Wald) gut angepaßt. Sehr zustatten kommt ihr wohl ihre hohe Ausschlagsfähigkeit, da die vorkommenden Exemplare teilweise vom Wild sehr stark verbissen sind und nur kniehohe, dichte Bestände bilden.

Weitere Gehölze wie Salweide (Salix caprea) und Birke (Betula pendula) haben an manchen Stellen ansehnlichere Höhen (ca. 3 m) erreicht. Dazu kommen auf oder direkt neben dem Schotter noch folgende Gehölze vor: Himbeere (Rubus idaeus), Brombeere (Rubus fruticosus agg.), Stachelbeere (Ribes uva- crispa), Heckenrose (Rosa canina), Weißdorn (Crataegus spec.), Schlehe (Prunus spinosa), Hasel (Corylus avellana), Besenginster (Sarothamnus scoparius), Rotbuche (Fagus sylvatica), Bergahorn (Acer pseudoplatanus), Stieleiche (Quercus robur), Espe (Populus tremula), Fichte (Picea abies), Kiefer (Pinus sylvestris) und Lärche (Larix decidua). Dazwischen ist die Krautschicht oft nur spärlich entwickelt. Wo noch keine Gehölze Fuß gefaßt haben, bedecken Sauerklee (Oxalis acetosella), Walderd- beere (Fragaria vesca), Ruprechtskraut (Geranium robertianum),Wald- und Hainveilchen (Viola reichenbachiana und riviniana), Zaunwicke (Vicia sepium), Echte Sternmiere (Stellaria holostea), Hainrispengras (Poa nemoralis),Glatthafer (Arrhenatherum elatius) und viele weitere Kräuter den Schotter. Die meisten von ihnen stammen aus dem Wald bzw. von Waldwegen, Waldverlichtungen und den Krautsäumen der Waldränder. Dazu kommen einige (auch) rude- rale Arten wie Löwenzahn (Taraxacum officinale), Brennessel (Urtica dioica) und Rainfarn (Tanacetum vulgare). Die beiden ersteren sind Pionierpflanzen, die bis zu 2 m bzw. 70 cm tief wurzeln. Auch der Glatthafer ist ein Tiefwurzler und Rohbodenpionier. Er kommt bezeichnen- derweise in diesem Waldabschnitt nur an recht offenen, also hellen Stellen vor, während an beschatteteren Stellen Waldgräser wie das Hainrispengras anzutreffen sind.

In botanischer Hinsicht am interessantesten erscheint die Stelle, an der oberhalb der Kläran- lage, kurz vor dem Steinkerztal, hangseitig der Schiefer ansteht und eine recht steile Felswand bildet. Hierauf siedeln ausgedehnte Moospolster der verschiedensten Arten. Dazwischen finden sich Gemeiner Wurmfarn (Dryopteris filix-mas), Drahtsch iele (Deschampsia flexuosa), Salbei-Gamander (Teucrium scorodonia), Heidekraut (Calluna vulgaris) sowie vereinzelt Sträucher (Rote Johannisbeere (Ribes rubrum), Brombeere, Besenginster) und Jungpflanzen verschiedener Bäume (Eiche, Buche, Kirsche, Fichte). Allein an dieser Felswand und auf dem Schotterkörper davor wurden 22 Laub- und 4 Lebermoosarten festgestellt, unter den letzteren die nach Auskunft der Hessischen Landesanstalt für Umwelt artenschutzrechtlich relevante Art Lophozia ventricosa. Auch wenn die restliche Strecke im Wald aus botanischer Sicht nicht außergewöhnlich zu sein scheint, sollte doch ihre Bedeutung in zoologischer Hinsicht nicht unterschätzt werden. Vor allem die durch den Wildverbiß niedrig gehaltenen Gebüsche bieten vielen Vögeln Nist-und Nahrungsmöglichkeiten (s. S. 299-301). Der Damm staut zudem das den Hang oberflächlich abließende Wasser. Wenn die Durchlaß- gräben verschlossen würden, könnten hier mit diesem einfachen Mittel temporäre Kleinge- wässer geschaffen werden, wie sie z. B. Berg-, Teich- und Fadenmolch brauchen.

4.2 Strecken durch Felder, Wiesen und Weiden

Der Abschnitt von der Mülldeponie Grävenwiesbach bis zum Eintritt in den Wald (Bierholz) erstreckt sich mehr oder minder ostwestlich und ist zum größten Teil beidseitig von Gebüsch gesäumt. Nur das letzte Stück vor Beginn des Waldes, auf relativ hohem Damm verlaufend, weist keine Gebüschbegleitung auf. Hangaufwärts und direkt unterhalb derTrasse wird haupt- sächlich Ackerbau betrieben, weiter unten im Tal kommen Wiesen und Weiden dazu. 285 Abb. 2: Eine der inzwischen zahlreichen Stellen mit frischer Schotterentnahme auf der Trasse. Das Schiefergestück (Packlage) ist teilweise freigelegt. (Foto: I. Mohr)

Der Abschnitt zwischen dem ehemaligen Bahnhof Heinzenberg und der Kreisgrenze verläuft von Süden nach Norden und ist noch stärker untergliedert: Zunächst begleiten Felder, bald aber Wiesen die Strecke, die allerdings auf manchen Abschnitten durch dichte Hecken abge- schirmt ist.Teilweise bilden größere Bäume einen lockeren Saum. Später ist die Hangseite mit Mischwald bewachsen, während die Talseite weiterhin von Wiesen beherrscht wird.

Wo von Osten her das Welschbachtal auf das Wiesbachtal stößt, verläuft die Trasse noch einmal auf einem kleinen Damm quer durch eine Wiese. Anschließend verengt sich die Talaue. Hangseitig kommt wieder Wald heran, während die Aue zunächst weiterhin von Wiesen, einem Wildacker und erst später auch von Gehölzen eingenommen wird.

Auf diesen beiden Abschnitten hat sich auf dem nur noch an wenigen Stellen vollständig vorhandenen Schotterbett eine farbenfrohe Vielzahl von Pflanzen eingefunden. Die aspektbil- denden Vertreter der angrenzenden Wiesen wie Wiesenschaumkraut (Cardamine pratensis), Löwenzahn (Taraxacum officinale) und Scharfer Hahnenfuß (Ranunculus acris) treten ebenso auf wie Pflanzen, die einen von der Umgebung völlig verschiedenen Eindruck vermitteln.So hat sich an einer Stelle ein mehr als mannshoher Königskerzen-Bestand entwickelt. Auf immer noch offenen Schotterflächen wagen neben dem dominierenden Glatthafer das Gemeine Leinkraut (Linaria vulgaris) und der Schmalblättrige Hohlzahn (Galeopsis angustifolia) erste Besiedlungsversuche. Zwischen mehr oder weniger wiesenartigen und ganz offenen Stellen gibt es alle Übergangsstadien. Dabei haben sich, wie auch bei älteren Brachestadien von Ackerland, keine pflanzensoziologisch einheitlichen Gesellschaften herausgebildet, sondern es vermischen sich Elemente aus Unkraut-, Ruderal-, Saum-, Schlag- und Grünlandgesell- schaften (vgl. MEISEL& HÜBSCHMANN 1973). 286 Abb. 3: Von den Böschungen her beginnen Gehölze, den ehemaligen Gleiskörper zu besie- deln, der hier einen ausgedehnten Glatthafer-Bestand aufweist. Auch an dieser Stelle eine erst kürzlich erfolgte inzwischen weiter fortgesetzte Schotterentnahme. (Foto: (.MOHR)

Als typische „Eisenbahnpflanzen " (die auch an befahrenen Strecken vorkommen) haben sich Ackerschachtelhalm (Equisetum arvense), das Gemeine Leinkraut und die Acker- winde (Convolvulus arvensis) gehalten, ersterer dank seines kräftig ausgebildeten unterir- dischen Rhizomsystems auch an mittlerweile dicht zugewachsenen Stellen, die beiden letz- teren an noch relativ offenen Stellen.

Dort treten auch Pflanzen auf, die ursprünglich in Stein sch uttfl u ren beheimatet sind, so der Schmalblättrige Hohlzahn und der Kleine Orant (Chaenarrhinum minus). In den Teilstrecken außerhalb des Waldes sind nur wenige Arten der Sch I ag f I u re n und Wälder vorhanden. Ab und zu gedeiht ein Schmalblättriges Weidenröschen (Epilobium angustifolium), das allerdings ohnehin nicht auf die Waldschläge und -wege beschränkt ist, sondern auch an Schuttplätzen und in Staudenfluren vorkommen kann. Öfters ist das Berg- Weidenröschen (Epilobium montanum) anzutreffen. Hier ist auch das Echte Tausengülden- kraut (Centaurium erythraea) zu nennen, das sonst in sonnigen Waldverlichtungen auftritt,aber auch in Halbtrockenrasen übergreifen kann.

AlsVertreterderAckerunkraut-Gesellschaften sind u.a.derWindhalm (Apere spica- venti), das Hirtentäschel (Capsella bursa-pastoris), die Acker-Schmalwand (Arabidopsis thaliana), das Acker-Vergißmeinnicht (Myosotis arvensis) und die Acker-Kratzdistel (Cirsium arvense) zu nennen. Auch wenn der Bahndamm einen verhältnismäßig trockenen Standort darstellt, so strahlen dochVertreterderangrenzendenfeuchteren Grünlandgesellschaften ein,z.B.das Wiesenschaumkraut, die Kuckucks-Lichtnelke (Lychnis flos-cuculi), der Scharfe Hahnenfuß, 287 die Wald-Engelwurz (Angelica sylvestris), die Rasenschmiele (Deschampsia cespitosa) und das Wollige Honiggras (Holcus lanatus). Allerdings treten sie meist mit relativ wenigen Exem- plaren auf— bis auf die Engelwurz, die besonders in schattigeren Abschnitten zwischen beid- seitigem Gebüsch häufiger anzutreffen ist. Im Unterschied zum umgebenden Grünland, das vom Wolligen Honiggras beherrscht wird, ist das vorherrschende Gras auf dem Bahndamm der Glatthafer, was auf den trockenere n Charakter des Dammes hinweist. Dazu tritt als Trockenheitszeiger auch der Knollige Hahnenfuß (Ranunculus bulbosus) auf. Dagegen fehlt der Wiesensalbei (Salvia pratensis), vermutlich weil er auch in der Umgebung nicht vorkommt, obwohl ihm die Standortsbedin- gungen am Bahndammm wohl zusagen würden. Vertreter der Mager- und Halbtrocken rasen stellen u.a. die Rundblättrige Glocken- blume (Campanula rotundifolia), die Moschus-Malve (Malva moschata) und der Knöllchen- Steinbrech (Saxifraga granulata) dar. Auch das Jakobs-Greiskraut (Senecio jacobaea) kann hier genannt werden. Es dient übrigens als Futterpflanze für die auffallenden, schwarz-gelb geringelten Raupen des grellrot-schwarzen, wärmeliebenden Karminbärs (Thyria jacobaea). Weitere Arten wie Rapunzel-Glockenblume (Campanula rapunculus) und der Gemeine Dost (Origanum vulgare) leiten zu den wärmebedürftigen, trockenheitsertragenden Saumgesellschaften über, denen auch der Hügel-Baldrian (Valeriana wallrothii), der Kleine Odermennig (Agrimonia eupatoria), das Tüpfel-Johanniskraut (Hypericum perforatum), die Wald-Platterbse (Lathyrus sylvestris) und der Gemeine Hornklee (Lotus corniculatus) angehören. Arten der stickstoff- und luftfeuchtebedürftigen Säume wie Knoblauchsrauke (Alliaria petiolata), Giersch (Aegopodium podagraria) und Gundermann (Glechoma hede- racea) treten vor allem in beidseitig von Gebüsch gesäumten Abschnitten auf. Auffällige R u d e ra la rte n sind der Rainfarn, der Weiße und der Echte Steinklee (Melilotus alba und officinale), die Dunkle und die Kleinblütige Königskerze (Verbascum nigrum und thapsus), die Wilde Möhre (Daucus carota), der Rainkohl (Lapsana communis) und das Bitter- kraut (Picris hieracioides). Auf dem Schotter selbst haben sich bislang relativwenige Gehölze angesiedelt. Verhältnis- mäßig einfach haben es die Brombeeren, die auf den Böschungen wachsen und ihre Ausläufer auf das unwirtliche Schotterbett schicken. Vereinzelt steht ein Besenginster-Busch, ein Hartriegel (Corpus sanguinea) oder ein Gemeiner Schneeball (Viburnum opulus) mitten auf dem Damm. Ansonsten sind es auch in diesem Abschnitt wieder hauptsächlich Hainbuchen, ebenfalls teilweise stark verbissen,sowie Jungpflanzen von Salweide und Birke. Kurz bevordie Bahnlinie das erste Mal den Wiesbach kreuzt, sind die Hainbuchen bereits mehr als manns- hoch. Dazwischen finden sich Weiden, Birken, Rotbuchen, Hasel und Eichen. Eine größere Rolle spielen die Gehölze als randliche Begleitung.Als z.T. recht stattliche Bäume treten außerhalb des Waldes Salweide, Stieleiche, Apfel (Malus domestica), Süß- und Sauer- kirsche (Prunus avium und cerasus), Espe und wiederum Hainbuche auf, teils als einzeln stehende Exemplare, teils in Baumhecken.Vor allem sind hier aber die Gebüsche zu nennen. Sie werden hauptsächlich von Weißdorn und Schlehe gebildet, enthalten aber noch eine Viel- zahl weiterer Arten wie Hasel, Heckenrose, Liguster (Ligustrum vulgare), Schneeball, Pfaffen- hütchen (Euonymus europaea), Schwarzen Holunder (Sambucus nigra), Heckenkirsche (Loni- cera xylosteum) und Hartriegel. Für die Tierwelt ist durch die kleinräumige Kombination unterschiedlicher Licht-,Temperatur- und Boden- sowie Luftfeuchtigkeits-Verhältnisse in den Gebüschen ein reich strukturierter Lebensraum gegeben, der in Mitteleuropa zu den artenreichsten Ökosystemen gehört. Er bietet „Stützpunkte für das Wild (Reh, Hase, Rebhuhn), Spähplätze für Lauerer (Würger, Greif- 288 vögel), Dickichte für Fallensteller (Spinnen), Nistplätze für Busch- und Bodenbrüter (Sing- vögel), schattige Verstecke und Schlafplätze für Dämmerungstiere (Igel, Erdkröten, Eulen), Licht und Wärme für sonnenliebende Arten (Schmetterlinge und andere Insekten, Reptilien), vielseitige Nahrungsquellen für Wild, Vögel und Insekten sowie günstige Winterquartiere für insekten, Gehäuseschnecken und winterschlafende Kleinsauger" (WI LDERM UTH 1980 S. 202). Über die besondere Bedeutung von Hecken -- nicht nur für die Tierwelt, sondern auch als mikroklimatischer Faktor und als landschaftsgliederndes und -prägendes Element - gibt es bereits zahlreiche Untersuchungen. Deswegen sei hier nicht weiter darauf eingegangen. 5. Über die Bedeutung der Bahntrasse für die Vogelwelt Das reichliche und vielseitige Angebot an Nahrungs- und Brutmöglichkeiten im Bereich der ehemaligen Bahnlinie ist die Ursache für die Vielfalt der dort anzutreffenden Vogelwelt. Eine Zusammenstellung der bisher nachgewiesenen Arten ist im Anhang III zu finden. Der Charaktervogel der Hecken ist die Goldammer, der sich an den verkrauteten Böschungen überall Nistgelegenheiten bieten. Aber auch Neuntöter und Turteltaube stellen sich in den Gebüschreihen und niederen Bäumen alljährlich als Brutvögel ein. In Mauerlücken der Brücken und in Nistkästen an den Bachdurch- lässen ziehen Wasseramseln, Gebirgsstelzen und Hausrotschwänze regelmäßig ihre Jungen auf. Ob der Wendehals in einem der vereinzelt entlang derTrasse hängenden Nistkästen brütet, ist nicht sicher. Die besonders auf den sonnenexponierten Teilen der Trasse vorkommenden Ameisenarten nutzt er ebenso wie der Schwarzspecht als Nahrungsquelle, wobei letzterer wohl die größeren Arten vorzieht. In den durch Wildverbiß sehr niedrig gehaltenen und dicht verzweigten Hainbuchen brüten gerne Grasmücken und Laubsänger. Nebenan findet der Zaunkönig in den Felslücken der durch die Geländeeinschnitte entstandenen Steilhänge zahlreiche Gelegenheiten, seine Nester anzulegen. Besonders im Herbst, wenn die Samenreife der reichhaltigen Pflanzenwelt ihren Höhepunkt erreicht hat,stellen sich viele Vögel zur Nahrungssuche ein.Hänfling,Stieglitz, Gimpel, Erlen- und Birkenzeisig zählen zu den an solchen Stellen zu erwartenden Vögeln. Vermutlich aus den beiden nächstgelegenen Dörfern Heinzenberg und Mönstadt, beide zur Großgemeinde Grävenwiesbach gehörend, kommen Haussperlinge und Türkentauben. Uner- wartet sind die Hohltauben, die in den angrenzenden Wäldern brüten, ebenso die Stockenten, die vom nahen Wiesbach her zur Trasse kommen, und einzelne zur Zugzeit anzutreffende Rohrammern. Das reiche, von Insektiziden weitgehend unbeeinflußte Insektenleben läßt neben anderen Arten auch durchziehende Braunkehlchen und Steinschrnätzer verweilen; es veranlaßt Schwalben und Mauersegler, ihre Jagdflüge in den Luftraum über der Trasse zu verlegen. Ihnen wiederum stellt der Baumfalke nach,während Sperber und Habicht ihre Beute vor allem unter den Hecken- und Bodenvögeln suchen. Turmfalke, Rotmilan, Mäuse- und Wespenbussard jagen erfolgreich nach Bodentieren wie Heuschrecken, Grasfröschen, Eidechsen und Mäusen. Ihnen stellen vermutlich auch die Graureiher nach, die gelegentlich auf der Trasse statt am benachbarten Wiesbach zu beobachten sind. Der Rückgang in den Bestandszahlen einigerVogelarten ist auch in diesem Beobachtungsge- biet zu bemerken. Seit einigen Jahren konnte kein Fasan mehr festgestellt werden, der früher recht regelmäßig zur Futtersuche erschien und vermutlich auch auf der Trasse gebrütet hat. Schon im Verlauf der siebzigerJahre endeten die Begegnungen mit einzelnen Dohlen, die zum Insektenfang aus den benachbarten Wäldern erschienen. Der Gartenrotschwanz war als Brut- vogel zwar nie zahlreich anzutreffen, seit einer Reihe von Jahren fehlen aber die Sommerbeob- achtungen völlig. Der Kuckuck, früher eine regelmäßige Erscheinung, ist nur noch ausnahms- 289 weise einmal zu hören oder zu sehen.Bei allen diesen Arten ist das Verschwinden nicht auf den Bereich der Trasse beschränkt. Ihr Vorkommen ist im weiten Umkreis katastrophal zurückge- gangen oder völlig erloschen. Auch diese Entwicklung unterstreicht die Bedeutung derTrasse für andere bedrohte Arten nicht nur der Vogelwelt, die hier noch ihnen zusagende, anderwärts schon weitgehend fehlende Lebensbedingungen finden.

6. Schlußfolgerungen

Der erste Eindruck einer „bunten Vielfalt" an Pflanzen hat sich durch die genauere Untersu- chung bestätigt: insgesamt wurden über 220 Arten von Gefäßpflanzen und allein an einem kurzen Abschnitt im Wald 26 Moosarten angetroffen. Dabei spiegelt die absolute Artenzahl allein noch nicht die volle Bedeutung dieses Standorts wider. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist mit dem kleinräumigen Wechsel der Standortsbedingungen gegeben: Verlauf der Strecke im Wald oder durch Wiesen und Felder, beidseitig oder nur einseitig oder gar nicht von Gebüsch begleitet, verschiedener Schottergehalt,Verlauf als Einschnitt oder Damm, verschiedene Nähe zum Bach. Dadurch kommt ein in sich vielfältig strukturiertes, mosaikartiges Muster der Vege- tation zustande, das wiederum vielen Tieren Lebensmöglichkeiten bietet. So wurden 87Vogel- arten an der ehemaligen Bahntrasse nachgewiesen, darunter 21 der Roten Liste Hessen.

Weitere Tiergruppen sind noch nicht untersucht, obwohl gerade bei den schotterbewoh- nenden Ameisen und Spinnen und bei Schmetterlingen interessante Ergebnisse zu erwarten wären.

Anders als in der Umgebung sind auf der Bahnlinie praktisch die gesamte Vegetationsperiode über blühende Pflanzen anzutreffen. Besonders die Arten der trockenwarmen Saum- und der Ruderalgesellschaften blühen oft erst im Hoch- und Spätsommer und ziehen dann zahlreiche Insekten an, unter denen die Vielfalt an Tagschmetterlingen besonders auffällt. Darüber hinaus bleiben die trockenen Überreste hochwüchsiger Stauden wie Rainfarn und Johanniskraut den ganzen Winter über stehen und bieten so vielen Insekten Überwinterungsmöglichkeiten. Aber auch größere Tiere finden Unterschlupf und Versteckmöglichkeiten zwischen Pflanzenresten und im Gebüsch. Daher spielt die ehemalige Bahntrasse als linienhaftes Element auch eine Rolle bei der Ver- netzung ansonsten voneinander isolierter Biotope, z. B. der verschiedenen Waldabschnitte. Von herausragender Bedeutung für die Pflanzen und Insekten und damit auch für die Tiere, denen sie als Nahrung dienen, ist die Pestizid- und Abgasfreiheit dieses Standorts. Darin besitzt er gegenüber Feldrainen und Straßenrändern einen nicht zu unterschätzenden Vorteil. Aus all diesen Gründen ist die Erhaltung der Bahnstrecke als Sekundärbiotop dringend zu wünschen. Da sich mit der Zeit die Gehölze stärker durchsetzen werden, wären einfache Pfle- gemaßnahmen angebracht, um diese Entwicklung zumindest teilweise aufzuhalten. Soll der jetzige Zustand erhalten bleiben, so wäre eine abschnittsweise Mahd (mit Abfuhr des Mähguts!) alle zwei bis drei Jahre zu empfehlen. Als Alternative könnte aber auch die weitere Verbuschung heute noch offener Stellen insbesondere mit Dorn- und Beerensträuchern (und damit die Entwicklung zu einer mächtigeren Hecke) zugelassen werden. Dies würde bedeuten, daß lediglich Jungwuchs der Bäume, also v.a. junge Salweiden, Birken und Hainbuchen, gele- gentlich vorsichtig entfernt werden müßte.

Um den Schutz der Bahntrasse vor zerstörerischen Eingriffen wie Abfalldeponierung oder gar Umwandlung in einen Radwanderweg zu sichern, erscheint die Ausweisung mindestens als „Geschützter Landschaftsbestandteil" dringend erforderlich. Dies würde auch zur Verwirk- lichung der Ziele des hessischen Naturschutzprogramms beitragen. Darin werden als schutz- würdige Biotope u. a. „Ausgleichsflächen zu Nutz-Ökosystemen — Feldraine, Wegeränder, 290 Hecken, Bachsäume, Auen, Feldholzinseln, Nachfolgeflächen früherer Landschaftsverände- rungen wie Abgrabungen, Tümpel, alte Bergwerksstollen, Hohlwege, Straßen- und Bahn- dämme, Schutzwälle -" genannt (S.23) und auf die Bedeutung linienhafter Strukturen für den Aufbau eines Biotop-Verbundnetzes hingewiesen. Es wird gefordert, die dafür erforderlichen Flächen und Strukturen als Geschützte Landschaftsbestandteile auszuweisen (S. 28-30).

Darüber hinaus stellt der räumliche Zusammenhang mit der Umgebung auch in anderer Hinsicht einen weiteren Schutzgrund dar. In dem Abschnitt nördlich vom Bahnhof Heinzen- berg ist die bachbegleitende Gehölzvegetation am Wiesbach auf weiten Strecken vorhanden; die Bahnlinie verläuft dazu in einem Abstand von höchstens 250 m,teilweise auch unmittelbar oberhalb. So verzahnen sich hier auf engstem Raum unterschiedliche Lebensräume. Diese strukturelle Vielfalt kommt nicht nur der Tier- und Pflanzenwelt zugute, sondern erhöht auch den landschaftlichen Reiz der Gegend. Im Gegensatz zu den heutigen Großbauwerken der Bundesbahn, durch die ganze Landschaftsteile in ihrem Charakter verändert werden,fügt sich die mit -aus heutiger Sicht-geringem technischen Aufwand erbaute Nebenbahnlinie hervor- ragend in die Umgebung ein. Es ist deshalb zu überlegen, ob nicht der gesamte nördliche Teil des Wiesbachtals als „Geschützter Landschaftsbestandteil" ausgewiesen werden sollte, zumal die eben angesprochenen Elemente - einerseits der Wiesbach mit seiner Begleitvege- tation, andererseits die die Bahntrasse begleitenden Hecken und Baumhecken - bereits als „schutzwürdige Biotope" durch den Hochtaunuskreis kartiert wurden.

7. Literatur

BRANDES, D. (1983): Flora und Vegetation der Bahnhöfe Mitteleuropas.- Phytocoenologia 11: 31-115. ECKERT, K. (1978): Klein- und Nebenbahnen im Taunus. - Augsburg. ELLENBERG, H. (1978): Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen in ökologischer Sicht.- Stuttgart.

HESSISCHE FORSTEINRICHTUNGSANSTALT (o. J.): Die Gliederung der hessischen Wald- standorte nach dem Leitfaden zur Standortserkundung.- Gießen. KNAPP, R. (1954): Natürliche und wirtschaftlich bedingte Pflanzengesellschaften und Wuchs- räume (in Hessen). In: SCHÖN HALS, E. (1954): Die Böden Hessens und ihre Nutzung. - Hessisches Landesamt für Bodenforschung, Wiesbaden. KNAPP, R. (1961): Vegetationseinheiten der Wegränder und Eisenbahnanlagen in Hessen und im Bereich des unteren Neckar.- Ber. d. Oberhess. Ges. f. Natur- u. Heilkde. z. Gießen, N. F. Naturwiss. Abt. 31: 122-154. KNAPP, R. (1970): Beiträge zurVegetationskunde von Hessen.- Ber.d.Oberhess.Ges.f.Natur- u. Heilkde. z. Gießen. N. F. Naturwiss. Abt. 37: 119-130. MEISEL, K. & A. v. HÜBSCH MANN (1973): Grundzüge der Vegetationsentwicklung auf Brach- flächen. - Natur und Landschaft 48: 70-74. MÖHL (1980): Perfekte Unkrautbekämpfung durch Herbizide.- Eisenbahntechnische Rundschau 29: 724-726.

NATUR IN HESSEN - NATURSCHUTZPROGRAMM. Hrsg.: Hessischer Minister für Landwirt- schaft, Forsten und Naturschutz in Zusammenarbeit mit der Abteilung Forsten und Natur- schutz, 1985. 291 OBERDORFER, E. (1983): Pflanzenscziologische Exkursionsflora.- Stuttgart.

REPP, G. (1958): Die Unkrautvegetation auf Bahnkörpern im Hinblick auf die Bekämpfung mit herbiziden Wuchsstoffen.- Angew. Bot. 32: 91-104.

SCHLOSSMACHER, K. (Hrsg.) (1983): Erläuterungen zur geologischen Karte,1 : 25 000, Blatt 5616 Grävenwiesbach. - Hessisches Landesamt für Bodenforschung, Wiesbaden.

SCHUTZWÜRDIGE BIOTOPE DES HOCHTAUNUSKREISES. Hrsg.: Kreisausschuß des Hochtaunuskreises. WILDERMUTH, H. (1980): Natur als Aufgabe. Leitfaden für die Naturschutzpraxis in der Gemeinde.- Basel.

(Der Abschnitt „5. Über die Bedeutung der Bahntrasse für die Vogelwelt" und der Anhang Ill wurden von RICHARD MOHR, Kastanienweg 14, 6370 Oberursel beigesteuert.)

Anschrift der Verfasserin: IRMGARD MOHR, Marburger Straße 13, 6000 Frankfurt/Main

292 Anhang 1 Artenliste Gefäßpflanzen

Acer campestre L. Feldahorn Acer pseudoplatanus L. Bergahorn Achillea millefolium L. Gemeine Schafgarbe Achillea ptarmica L. Sumpf-Schafgarbe Aegopodium podagraria L. Giersch, Geißfuß Agrimonia eupatoria L. Kleiner Odermennig Agrostis gigantea ROTH Riesen-Straußgras, Fioringras Agrostis tenuis SIBTH. Rotes Straußgras Ajuga reptans L. Kriechender Günsel Alchemilla vulgaris L. agg. Gemeiner Frauenmantel (= Alchemilla monticola OPIZ?) (= Bergwiesen-E?) Alliaria petiolata (MB.) CAVARA et GRANDE Knoblauchsrauke Alnus glutinosa (L.) GAERTN. Schwarzerle Alopecurus pratensis L. Wiesen-Fuchsschwanz Anemone nemorosa L Buschwindröschen Angelica sylvestris L. Wald-Engelwurz Anthoxanthum odoratum L. Wohlriechendes Ruchgras Anthriscus sylvestris (L.) HOFFM. Wiesenkerbel Apera spica-venti (L.) P. B. Gemeiner Windhalm Arabidopsis thaliana (L.) HEYNH. Acker-Schmalwand Arabis spec. Gänsekresse Arrhenatherum elatius (L.) J. et C. PRESL. Glatthafer Artemisia vulgaris L. Gemeiner Beifuß Arum maculatum L. Aronstab Athyrium filix-femina (L.) ROTH Gemeiner Frauenfarn

Barbarea vulgaris R. BR. Echte Winterkresse, Echtes Barbarakraut Bellis perennis L. Gänseblümchen Betonica officinalis L Gemeine Betonie Betula pendula ROTH Hängebirke

Calluna vulgaris (L.) NULL. Heidekraut Calystegia sepium (L.) R. BR. Echte Zaunwinde Campanula rapunculus L. Rapunzel-Glockenblume Campanula rotundifolia L. s. str. Rundblättrige Glockenblume Capsella bursa-pastoris (L.) MED. Hirtentäschel Cardamine hirsuta L. Viermänniges Schaumkraut Cardamine impatiens L. Spring-Schaumkraut Cardamine pratensis L. Wiesen-Schaumkraut Carex echinata MURRAY Stern-, Igelsegge Carex hirta L. Behaarte Segge Carex leporina L. Hasenfuß-Segge Carpinus betulus L. Hainbuche Carum carvi L. Echter Kümmel Centaurea jacea L. Gemeine Flockenblume Centaurium etythraea RAFN. Echtes Tausendgüldenkraut Cerastium glomeratum THUILL Knäuel-Hornkraut 293 Cerastium holosteoides FRIES em. HYL. Gemeines Hornkraut Chaenarrhinum minus (L) LANGE Klaffmund, Kleiner Orant Cirsium arvense (L.) SCOP. Acker-Kratzdistel Cirsium palustre (L.) SCOP. Sumpf-Kratzdistel Cirsium vulgare (SAVI) TEN. Lanzett-Kratzdistel, Speerdistel Clematis vitalba L Gemeine Waldrebe Convolvulus arvensis L Ackerwinde Corpus sanguinea L Roter Hartriegel Corylus avellana L. Hasel Crataegus monogyna JACQ. agg. Eingriffliger WeiBdorn Crepis biennis L. Wiesen-Pippau

Dactylis glomerata L Wiesen-Knäulgras Daucus carota L Wilde Möhre Deschampsia cespitosa (L) P.B. Rasenschmiele Deschampsia flexuosa (L.) TRIN. Drahtschmiele Dianthus deltoides L. Heidenelke Dryopteris filix-mas (L.) SCHUIT Gemeiner Wurmfarn

Echium vulgare L. Gemeiner Natternkopf Epilobium adenocaulon HAUSSKN. DrOsiges Weidenröschen Epilobium angustifolium L. Schmalblättriges Weidenröschen Epilobium montanum L. Berg-Weidenröschen Equisetum arvense L. Acker-Schachtelhalm Equisetum palustre L. Sumpf-Schachtelhalm Erophila verna (L) CHEVALL. FrQhlings-HungerblQmchen Erysimum spec. Schotendotter Euonymus europaea L. PfaffenhQtchen Euphorbia cyparissias L Zypressen-Wolfsmilch Euphrasia stricta D. WOLFF ex J. F. LEHM Steifer Augentrost

Fagus sylvatica L Rotbuche Festuca ovina L. Schafschwingel Festuca rubra L. Rotschwingel Filipendula ulmaria (L.) MAXIM. Echtes MädesQB, GroBe Spierstaude Fragaria vesca L. Walderdbeere Frangula alnus MILL. Faulbaum Fraxinus excelsior L. Gemeine Esche

Galeopsis angustifolia (EHRH.) HOFFM. Schmalblättriger Hohlzahn Galeopsis tetrahit L Stechender Hohlzahn Galium aparine L Klebkraut Galium album MILL. WeiBes Labkraut Geranium robertianum L Ruprechtskraut Geum urbanum L Echte Nelkenwurz Glechoma hederacea L Gundermann

Heracleum sphondylium L Wiesen-Bärenklau Hieracium laevigatum WI LLD. Glattes Habichtskraut Hieracium pilosella L Kleines Habichtskraut 294 Hieracium sabaudum L Savoyer Habichtskraut Hieracium sylvaticum (L.) GRUFB. Wald-Habichtskraut Holcus lanatus L Wolliges Honiggras Holcus mollis L Weiches Honiggras Humulus lupulus L. Hopfen Hypericum hirsutum L. Rauhhaariges Johanniskraut Hypericum maculatum CRANTZ Kanten-Johanniskraut Hypericum perforatum L Tüpfel-Johanniskraut

Impatiens parviflora D.C. Kleinblütiges Springkraut

Juncus conglomeratus L Knäuelbinse

Knautia arvensis (L.) COULT Acker-Witwenblume

Lactuca serriola L. Kompaßlattich Lamium album L. Weiße Taubnessel Lamium maculatum L. Gefleckte Taubnessel Lamium purpureum L Rote Taubnessel Lapsana communis L Rainkohl Larix decidua MILL. Europäische Lärche Lathyrus linifolius (REICHARD) BÄSSL. Berg-Platterbse Lathyrus pratensis L. Wiesen-Platterbse Lathyrus sylvestris L. Wald-Platterbse Leontodon hispidus L. Rauher Löwenzahn Leucanthemum vulgare LAM. Wiesen-Margerite Ligustrum vulgare L. Liguster Linaria vulgaris MILL. Gemeines Leinkraut Lonicera periclymenum L. Wald-Geißblatt Lonicera xylosteum L. Rote Heckenkirsche Lotus corniculatus L. Gemeiner Hornklee Luzula campestris (L) D. C. Feld-Hainsimse Luzula luzuloides (LAM.) DANDY et WILM. Schmalblättrige Hainsimse Luzula multiflora (RETZ) LEJ. Vielblütige Hainsimse Lychnis flos-cuculi L. Kuckucks-Lichtnelke Lythrum salicaria L. Gemeiner Blutweiderich

Malus domestica BORKH. Kulturapfel Malva moschata L. Moschusmalve Matricaria chamomilla L. Echte Kamille Medicago lupulina L. Hopfenklee Melilotus alba MED. Weißer Steinklee Melilotus officinalis (L.) PALLAS Echter Steinklee Mentha spec. Minze Milium effusum L Flattergras Moehringia trinervia (L.) CLAIRV. Dreinervige Nabelmiere Mycelis muralis (L.) DUM. Mauerlattich Myosotis arvensis (L.) HILL Acker-Vergißmeinnicht Myosotis sylvatica (ERH.) HOFFM. Wald-Vergißmeinnicht 295 Origanum vulgare L. Dost Oxalis acetosella L. Wald-Sauerklee

Papaver dubium L. Saatmohn Papaver rhoeas L. Klatschmohn Petrorhagia prolifera (L.) Ball et HEYW. Sprossendes Nelkenköpfchen Phalaris arundinacea L. Rohr-Glanzgras Phyteuma nigrum F. W. SCHMIDT Schwarze Teufelskralle Picea abies (L) KARST. Fichte Picris hieracioides L Gemeines Bitterkraut Pimpinella saxifraga L. Kleine Pimpernelle Pinus sylvestris L Waldkiefer Plantago lanceolata L. Spitzwegerich Plantago major L. Breitwegerich Plantago media L. Mittlerer Wegerich Poa angustifolia L. Schmalblättriges Rispengras Poa compressa L Platthalm-Rispengras Poa nemoralis L. Hain-Rispengras Poa pratensis L. Wiesen-Rispengras Polygala vulgaris L. Gemeines Kreuzblümchen Populus tremula L. Zitterpappel, Espe Potentilla argentea L. Silber-Fingerkraut Potentilla erecta (L.) RAEUSCH Blutwurz Potentilla sterilis (L) GARCKE Erdbeer-Fingerkraut Prunella vulgaris L. Gemeine Braunelle Prunus avium L Süßkirsche Prunus cerasus L. Sauerkirsche Prunus spinosa L. Schlehe

Quercus robur L. Stieleiche

Ranunculus acris L Scharfer Hahnenfuß Ranunculus auricomus L. agg. Goldschopf-Hahnenfuß Ranunculus bulbosus L. Knolliger Hahnenfuß Ranunculus ficaria L Scharbockskraut Ranunculus repens L. Kriechender Hahnenfuß Ribes rubrum L Rote Johannisbeere Ribes uva-crispa L Stachelbeere Rosa canina L. Hundsrose Rosa obtusifolia/corymbifera Stumpfblättrige/Hecken-Rose Rubus idaeus L Himbeere Rubus fruticosus L agg. Echte Brombeere Rumex acetosa L. Großer Ampfer Rumex crispus L Krauser Ampfer

Salix caprea L Salweide Salix fragilis L. Bruchweide Sambucus nigra L. Schwarzer Holunder Sambucus racemosa L. Roter Holunder Sanguisorba minor SCOP. Kleiner Wiesenknopf 296 Sanguisorba officinalis L. Grofier Wiesenknopf Sarothamnus scoparius (L) KOCH Besenginster Saxifraga granulata L. Knallchen-Steinbrech Scrophularia nodosa L. Knotige Braunwurz Selinum carvifolia (L) L. Kummel-Silge Silene nutans L Nickendes Leimkraut Senecio erucifolius L. Raukenblattriges Greiskraut Senecio jacobaea L. Jakobs-Greiskraut Senecio sylvaticus L Wald-Greiskraut Solidago virgaurea L. Gemeine Goldrute Sonchus arvensis L. Acker-Gansedistel Sorbus aucuparia L. Vogelbeere, Eberesche Stachys palustris L. Sumpfziest Stellaria graminea L. Gras-Sternmiere Stellaria holostea L GroBe Sternmiere Symphoricarpos albus (L.) BLAKE Gemeine Schneebeere

Tanacetum vulgare L. Rainfarn Taraxacum officinale WEB. Gemeiner Lawenzahn Teucrium scorodonia L. Salbei-Gamander Thlaspi arvense L. Acker-Hellerkraut Torilis japonica (HOUTT.) D.C. Gemeiner Klettenkerbel Tragopogon pratensis L. Wiesen-Bocksbart Trifolium arvense L. Hasenklee Trifolium aureum POLUCH Goldklee Trifolium campestre SCHREBER Feldklee Trifolium medium L. Zickzackklee Trifolium pratense L. Wiesenklee, Rotklee Trifolium repens L. WeiBklee Tussilago farfara L Huflattich

Urtica dioica L. GroBe Brennessel

Valeriana wallrothii KREYER Hilgel-Baldrian Valerianella locusta (L) LATERRADE Gemeines Raplinzchen Verbascum nigrum L. Schwarze Kiinigskerze Verbascum thapsus L. Kleinblutige Kanigskerze Veronica chamaedrys L. Gamander-Ehrenpreis Veronica officinalis L. Wald-Ehrenpreis Viburnum opulus L. Gemeiner Schneeball Vicia angustifolia L. Schmalblattrige Wicke Vicia cracca L. Vogelwicke Vicia hirsuta (L.) S. F. GRAY Zitterlinse, Rauhhaarige Wicke Vicia sepium L. Zaunwicke Vicia tetrasperma (L.) SCHREB. Viersamige Wicke Viola reichenbachiana JORD. ex. BOREAU Waldveilchen Viola riviniana RCHB. Hainveilchen

297 Anhang II Artenliste Moose

Artrichum undulatum (HEDW.) P. BEAU V. Welliges Katharinenmoos

Bartramia pomiformis HEDW. ein Apfelmoos Brachythecium albicans (HEDW.) B.S.G. ein Kegelmoos Brachythecium rutabulum (HEDW.) B.S.G. Krücken-Kegelmoos Bryum capillare H EDW. s. str. Haar-Birnmoos

Dicranum scoparium HEDW. Besen-Gabelzahnmoos Diplophyllum albicans (L.) DUM. Weißliches Doppelblattmoos

Eurhynchium spec. (hians?) ein Schnabelmoos

Fissidens bryoides HEDW. ein Spaltzahnmoos

Grimmia pulvinata (HEDW.) SM. Polster-Kissenmoos

Hylocomium splendens (HEDW.) B.S.G. Etagenmoos Hypnum cupressiforme HEDW. s. str. Zypressen-Schlafmoos

Lophocolea bidentata (L.) DUM. Lophozia ventricosa (DICKS.) DUM.

Mnium homum HEDW. ein Sternmoos

Plagomnium affine (FUNCK) KOP. s. str. ein Sternmoos Plagomnium undulatum (HEDW.) KOP. Welliges Sternmoos Plagiothecium denticulatum (H EDW.) B.S.G. Zahn-Plattmoos Pleurozium schreberi (BRID.) MITT. Rotstengelmoos Polytrichum formosum HEDW. Schönes Widertonmoos Polytrichum piliferum SCHREB. ex HEDW. Glashaar-Widertonmoos

Rhacomitrium canescens (HEDW.) BRID. Graues Zackenmützenmoos Rhacomitrium heterostichum (HEDW.) BRID. ein Zackenmützenmoos Rhytidiadelphus squarrosus (H EDW.) WARNST. Sparriges Kranzmoos

Scapania nemorea (L.) GROLLE Hain-Spatenmoos

Thuidium tamariscinum (HEDW.) B.S.G. Tamarisken-Thujamoos

298 Anhang III

Liste der von 1972-1986 auf der stillgelegten Bahntrasse Grävenwiesbach-Weilburg im Bereich der Großgemeinde Grävenwiesbach nachgewiesenen Vogelarten

Die im angegebenen Bereich beobachteten Vögel sind hier nur in einer sehr knapp gefaßten Aufzählung verzeichnet, deren wichtigster Zweck die Unterstützung des Schutzantrages für die Bahntrasse ist. Erklärung der Zeichen und Abkürzungen:

(B): Brut nachgewiesen oder sehr wahrscheinlich (N): zur Nahrungssuche auf dem Boden oder in der Vegetation der Trasse beobachtet (L): nutzt den Luftraum über der Trasse zur Nahrungssuche (Zur Erläuterung: auf und über der Trasse sind Insekten zahl-und artenreicher vertreten als im angrenzenden Bereich land- wirtschaftlich genutzter Flächen; daher werden insektenjagende Vögel angezogen, die ihrerseits von Greifvögeln gejagt werden.)

Arten der Roten Liste Hessens (Artnahme in Klammern): Beobachtungsmitteilung Dritter, eigene Feststellung liegt nicht vor.

Accipiter gentilis Habicht (N,L) Accipiter nisus Sperber (N,L) Acrocephalus palustris Sumpfrohrsänger (B) Aegithalos caudatus Schwanzmeise (B?, N) Anas platyrhynchos Stockente (B?, N) Anthus trivialis Baumpieper (B) Apus apus Mauersegler (L) Ardea cinerea Graureiher (N) (Asio otus Waldohreule (N))

(Bombycilla garrulus Seidenschwanz (N)) Buteo buteo Mäusebussard (N)

(Caprimulgus europaeus Ziegenmelker (L)) Carduelis cannabina Hänfling (N) Carduelis carduelis Stieglitz (N) Carduelis chloris Grünfink (B) Carduelis flammea Birkenzeisig (N) Carduelis spinus Erlenzeisig (N) Certhia brachydactyla Gartenbaumläufer (N) Certhia familiaris Waldbaumläufer (N) Cinclus cinclus Wasseramsel (B) Coccothraustes coccothraustes Kernbeißer (B?, N) Columba oenas Hohltaube (N) Columba palumbus Ringeltaube (B?, N) Corvus corone corone Rabenkrähe (N) Corvus monedula Dohle (N), Vorkommen erloschen? Cuculus canorus Kuckuck (N und Nestsuche) 299 Delichon urbica Mehlschwalbe (L) Dendrocopos major Buntspecht (N) (Dendrocopos medius Mittelspecht (N)) Dryocopus martius Schwarzspecht (N)

Emberiza citrinella Goldammer (B) Emberiza schoeniclus Rohrammer (N) Erithacus rubecula Rotkehlchen (B)

Falco subbuteo Baumfalke (L) Falco tinnunculus Turmfalke (N) Ficedula hypoleuca Trauerschnäpper (B?, N) Fringilla coelebs Buchfink (B) Fringilla montifringilla Bergfink (N)

Garrulus glandarius Eichelhäher (B?, N)

Hippolais icterina Gelbspötter (B?, N) Hirundo rustica Rauchschwalbe (L)

Jynx torquilla Wendehals (B?, N)

Lanius collurio Neuntöter (B) Lanius excubitor Raubwürger (N), früheres Brutvor- kommen? Loxia curvirostra Fichten kreuzschnabel (Mineralien aufnehmend?)

Motacilla alba Bachstelze (N) Motacilla cinerea Gebirgsstelze (B) Milvus milvus Rotmilan (N) (Nucifraga caryocatactes macrorhynchos Tannenhäher (N))

(Oenanthe oenanthe Steinschmätzer (N)) (Oriolus oriolus Pirol (früher B?, N))

Parus ater Tannenmeise (B?, N) Parus caeruleus Blaumeise (B) Parus cristatus Haubenmeise (N) Parus major Kohlmeise (B) Parus montanus Weidenmeise (B?, N) Parus palustris Sumpfmeise (B?, N) Passer domesticus Haussperling (N) Passer montanus Feldsperling (B) (Pernis apivorus Wespenbussard (N)) Phasianus colchicus Fasan (B?, N), Vorkommen erloschen? Phoenicurus ochruros Hausrotschwanz (B) Phoenicurus phoenicurus Gartenrotschwanz (B) Vorkommen erloschen Phylloscopus collybita Zilpzalp (B) 300 Phylloscopus sibilatrix Waldlaubsänger (B) Phylloscopus trochilus Fitis (B) Pica pica Elster (N) Picus canus Grauspecht (N) Prunella modularis Heckenbraunelle (B) Pyrrhula pyrrhula Gimpel (B?, N)

Regulus ignicapillus Sommergoldhähnchen (B?, N) Regulus regulus Wintergoldhähnchen (B?, N)

(Saxicola rubetra Braunkehlchen (N)) Sitta europaea Kleiber (N) (Streptopelia decaocto Türkentaube (N)) Streptopelia turtur Turteltaube (B) (Strix aluco Waldkauz (N)) Sturnus vulgaris Star (N) Sylvia atricapilla Mönchsgrasmücke (B) Sylvia borin Gartengrasmücke (B) Sylvia communis Dorngrasmücke (B) Sylvia curruca Klappergrasmücke (B)

Troglodytes troglodytes Zaunkönig (B) (Turdus iliacus Rotdrossel (N)) Turdus merula Amsel (B) Turdus philomelos Singdrossel (B?, N) Turdus viscivorus Misteldrossel (N)

Neue Literatur

KNORRE, D. von, G. GRÜN, R. GÜNTHER & K. SCHMIDT (1986): Die Vogelwelt Thüringens. Avifauna der Deutschen Demokratischen Republik. Band 3. 339 Seiten, 53 Schwarz- weiß-Abb., je 24 Verbreitungskarten und Diagramme, eine Folie. VEB Gustav Fischer Verlag, Jena. „Lernet erst die Vögel genau kennen, wenn Ihr sie mit rechtem Erfolg schützen wollt." Dieses Wort des thüringischen Ornithologen Karl Theodor Liebe (1828-1894) könnte als Wahlspruch „Der Vogelwelt Thüringens" gelten. Die Herausgeber D. v. Knorre, G. Grün, R. Günther und K. Schmidt legten mit diesem Buch unter Mitarbeit vieler Freizeitornithologen im Jahr 1986 den dritten Band der „Avifauna der Deutschen Demokratischen Republik" vor und beschreiben die Vogelwelt der Bezirke Erfurt, Gera und Suhl. Nach dem ersten (Die Vogelwelt Mecklenburgs) und dem zweiten Band (Die Vogelwelt Brandenburgs) des auf insgesamt fünf Bände angelegten Gesamtwerks ist damit eine Gebietsavifauna verfügbar, auf die besonders hessische Ornithologen und Naturfreunde lange gewartet haben. Sind es doch avifaunistische Daten aus unseren östlichen Nachbar- landschaften, die noch bis vorwenigen Jahrzehnten beliebtes Exkursionsziel auch hessischer Ornithologen waren und deshalb den älteren Naturkundlern Hessens aus eigenem Erleben bekannt sind. Wenn auch heute eine vogelkundliche Studienfahrt ins Rhone-Delta unkomplizierter ist als eine Reise an den Oberlauf der Werra, so respektieren unsere gefie- derten Studienobjekte die angeblich unüberwindlichen Grenzen nicht, was das Studium der thüringischen Avifauna gerade für einen hessischen Naturfreund so unverzichtbar macht. 301 Die Autoren geben in einem kurzgefaßten allgemeinen Teil einen Überblick über die Geschichte der avifaunistischen Forschung in Thüringen, über die Landschaftsgliederung,die Lebensräume und den Vogelschutz. Der Leser, der mit den thüringischen Verhältnissen nicht genau vertraut ist, hätte Details in der Beschreibung der Landschaft und derwichtigsten Natur- schutzgebiete als angenehm empfunden. Eine Karte mit den wichtigsten Natuschutzgebieten, Beobachtungsorten und Landschaftsnamen wird aber schmerzlich vermißt. Sie hätte es ermöglicht, die zahlreichen Abbildungen typischer Landschaftselemente im Bildteil noch besser einzuordnen. Die Aussagen zu Vogel- und Naturschutzproblemen sind leider wenig konkret, und drama- tische Probleme der Umweltzerstörung (z. B. Waldsterben und Werraversalzung) bleiben unerwähnt und ungewichtet. Dies ist deshalb so unbefriedigend,weilThüringens Ornithologen und Naturschützer Verantwortung tragen für bedeutende Populationen zahlreicher in den hessischen Nachbargebieten selten gewordener oder ausgestorbener Vogelarten. Der Weiß- storch sei hier stellvertretend genannt. Die Gliederung der Artkapitel im speziellen Teil der Avifauna ist übersichtlich und folgt dem bewährten Prinzip der mecklenburger und brandenburger Vorgängerinnen. Unter dem Artname wird eine orientierende Häufigkeitsziffer genannt. Nach Beschreibung von Verbrei- tung und Vorkommen wird der Lebensraum unter strenger Berücksichtigung der lokalen Verhältnisse charakterisiert. Es folgen Angaben zur Bestandesveränderung, Fortpflanzung und Wanderung. Dieses straffe Schema gewährleistet, daß trotz der großen Anzahl der Bear- beiter die Artkapitel einheitlich, geschlossen und vergleichbar bleiben. Bedauerlicherweise haben die Autoren aber-wie sie im Vorwort betonen - „bewußt darauf verzichtet, offene Probleme zu nennen und mögliche Deutungen der Beobachtungen zu disku- tieren". Die Einordnung der mitgeteilten Ergebnisse in einen größeren Zusammenhang bleibt dem Leser überlassen, was zu intensiverer Beschäftigung mit dem Buch zwingt, aber auch erhebliche Vorkenntnisse der ornithologischen Fachliteratur voraussetzt. Das Buch ist eine mit großer Sorgfalt und Mühe zusammengestellte, umfassende Dokumenta- tion aller wesentlichen bis zum Stichtag (Redaktionsschluß: 31.08.1981) bekannt gewordenen avifaunistischen Daten aus Thüringen. Bei einigen Arten mit dramatischen Bestandesverände- rungen wären aktuelle Nachrichten aus den fünf Jahren zwischen Redaktionsschluß und Erscheinen des Werks dringend wünschenswert gewesen. Ein etwas umfangreicherer als der vorhandene Nachtrag hätte dieses Manko teilweise vergessen machen können. Ungeachtet dieser Schwächen ist „Die Vogelwelt Thüringens" ein solider Grundsockel für weiterführende avifaunistische Arbeit in Thüringen und seinen Nachbargebieten. Sie ist auch Ansporn, Mahnung und über weite Strecken ein mögliches Vorbild für die immer noch unge- schriebene neue „Hessenavifauna". Wer in Nord- und Osthessen Feldornithologie mit wissenschaftlichem Anspruch betreiben will, der muß dieses Buch gelesen und verfügbar haben. Wer sich für Naturkunde und Naturschutz im allgemeinen interessiert, der sollte auf die Anre- gungen und Informationen, die das Werk bietet keinesfalls verzichten. W. BRAUNEIS

302 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen • Vogel und Umwelt 4: 303-325 (1987)

Ackerrandstreifen- und Wiesenprogramm in Hessen: Durchführung und erste Ergebnisse von KARIN SCHREINER, Lahnau

1. Einleitung

Die zunehmende Intensivierung der Landbewirtschaftung in den letzten Jahrzehnten führte zu einer starken Veränderung unserer Kulturlandschaft (MEISEL 1972, MEISEL 1983, MEISEL 1984, SUKOPP et al.1978). Die „Roten Listen" ausgestorbener bzw. gefährdeter Pflanzen- und Tierarten werden immer umfangreicher. Zahlreiche Biozönosen haben ihren früheren Charakter verloren, sind zu Fragmenten zusammengeschrumpft.

Gleichzeitig treten agrarökonomische Probleme wie unbezahlbare Überschüsse, hohe Subventionen und Lagerkosten sowie die Not vieler landwirtschaftlicher Betriebe offen zutage.

Die Zeit für Reformen in der Agrarpolitik und Maßnahmen gegen weitere Natur- und Umwelt- zerstörung drängt. Verschiedene Naturschutz- und Landwirtschaftsprogramme sollen zur Konfliktlösung in beiden Bereichen beitragen.

Acker- und Grünlandbiozönosen zählen zu den am stärksten gefährdeten Lebensgemein- schaften. In vielen Bundesländern sind deshalb Ackerrandstreifen- und Wiesenprojekte angelaufen (MINISTER FÜR UMWELT, RAUMORDNUNG UND LANDWIRTSCHAFT NRW 1985, OESAU 1986, OESAU & SCH IETINGER 1986).

Auch in Hessen wurde im Sommer 1984 ein „Programm zur Erhaltung und Förderung ökolo- gisch wertvoller Pflanzengesellschaften in Wirtschaftsgrünland und Ackerbau" vom Ministe- rium für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz ins Leben gerufen, das in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Bund für Vogelschutz Landesverband Hessen e.V. (DBV) seit 1986 durch- geführt wird.

2. Grundlagen und Zielsetzung

Die Grundlagen des Programms wurden von einer vom Ministerium eingesetzten Arbeits- gruppe aus Vertretern der Hessischen Lehr- und Forschungsanstalt für Gründlandwirtschaft und Futterbau Eichhof, der Naturschutzverbände, der Naturschutzbehörden und des Hessischen Bauernverbandes aufgestellt.

Das Projekt gliedert sich in zwei Teile: - Ackerrandstreifen- und - Wiesenprogramm.

Zielsetzung ist die Erhaltung und Regeneration der gebietstypischen Ackerwildkraut- und Wiesengesellschaften als ein Schritt zum Aufbau vielfältiger Lebensraumverbundsysteme. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern strebt die Maßnahme einen umfassenden Biotop- schutz und nicht nur Artenschutz an. Die Acker- und Wiesenbiozönosen sollen in möglichst allen Gemarkungen Hessens repräsentativ mit einem größeren Flächenanteil erfaßt werden. 303 Gleichzeitig soll die „Einbindung der Landwirtschaft in die Verantwortung zur langfristigen Sicherung der ökologischen Stabilität entscheidend gefördert werden" (HESSISCHER MINISTER FÜR LANDWIRTSCHAFT, FORSTEN UND NATURSCHUTZ 1985).

3. Ackerrandstreifenprogramm

3.1 Ökologie und Gefährdung von Ackerwildkräutern

Bereits vor mehr als 5000 Jahren begann der Mensch, Ackerbau zu betreiben. Neben ursprünglich einheimischen Arten fanden dadurch viele Pflanzen, die aus Vorderasien und dem Mediterrangebiet stammen, einen neuen Lebensraum in Mitteleuropa (WILMANNS 1984). Die überwiegend einjährigen Ackerbegleitpflanzen benötigen für ihre Entwicklung neben weiteren Faktoren vor allem Licht und vegetationsfreien Boden. Sie sind auf eine regelmäßige Bodenbearbeitung angewiesen. Durch die Bewirtschaftung des Ackers werden immer wieder Samen aus tieferen Bodenschichten an die Bodenoberfläche gebracht, wo sie ihren Entwik- klungszyklus von der Keimung bis zur Samenreife durchlaufen können. Die Samen sind meist jahre-, zum Teil jahrzehntelang keimfähig. Wird auf einem Feld kein Ackerbau mehr betrieben, verschwinden die Begleitpflanzen inner- halb weniger Jahre (SCHUMACHER 1980). Konkurrenzstärkere ausdauernde Pflanzenarten verdrängen die Therophyten (ELLENBERG 1982). Schutzmaßnahmen müssen deshalb eine Weiterführung der Bewirtschaftung, Beackerung und Anbau von Kulturpflanzen, beinhalten. Viele ehemals häufige wildwachsende Ackerpflanzen sind heute in ihrem Bestand bedroht.ln Mitteleuropa gibt es etwa 280 Blütenpflanzenarten, die in Äckern, Gärten und Weinbergen vorkommen (SCHUMACHER 1984). Die „Rote Liste" der Bundesrepublik (BLAB et al.1984) weist bereits 14 Ackerwildkrautarten als verschollen und mehr als ein Viertel der Spezies (89 Arten) als vom Aussterben bedroht oder gefährdet auf. In Hessen ist die Situation ebenso fatal (Tab. 1). Eine der Hauptgefährdungsursachen ist die in den letzten Jahrzehnten verstärkte Anwendung von Herbiziden. Weitere Faktoren sind Saatgutreinigung, verstärkte Bodenbearbeitung, intensive Düngung und die Aufgabe des Anbaus alter Kulturpflanzen (SCHUMACHER 1984). Die wildwachsenden Ackerpflanzen sind seit Jahrtausenden Bestandteil unseres Naturhaus- haltes. Der Rückgang dieser Pflanzengruppe, die in die Nahrungsketten und Nahrungsnetze eingebunden ist, führt zu einer Einschränkung der Lebensgrundlage für eine Reihe von Tierarten, insbesondere Insekten, Vögel und Säuger.

Eine praktikable Methode zur Erhaltung der Segetalflora in unserer heutigen Kulturlandschaft hat SCHUMACHER (1980, 1984) in Nordrhein-Westfalen entwickelt und erprobt: unge- spritzte Ackerränder.

3.2. Durchführung und Organisation

Der Landesverband des Deutschen Bundes für Vogelschutz Hessen initiierte Ende 1984 eine „Aktion Kornblume" zur Rettung der Ackerlebensgemeinschaften.Zur gleichen Zeit wurde vom Hessischen Ministerium für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz ein entsprechendes Landesprogramm vorbereitet (s. Kap. 1). 304 Tabelle 1: Rote Liste der in der Bundesrepublik Deutschland bzw. der in Hessen ausgestor- benen und gefährdeten Blütenpflanzen der Äcker und Weinberge

BRD Hessen

Adonis aestivalis (Sommer-Adonisröschen) 3 2 Adonis flammea (Flammen-Adonisröschen) 1 0 Agrostemma githago (Kornrade) 1 1 Ajuga chamaepitys (Gelber Günsel) 3 2 Allium rotundum (Runder Lauch) 3 3 Althaea hirsuta (Rauhhaariger Eibisch) 3 2 Androsace maxima (Großer Mannsschild) 0 0 Arnoseris minima (Lämmersalat) 2 1 Asperula arvensis (Ackermeier) 0 0

Bromus arvensis (Acker-Trespe) 3 Bromus commutatus (Verwechselte Trespe) 3 Bromus grossus (Spelz-Trespe) 0 0 Bromus japonicus (Japanische Trespe) 3 Bromus secalinus (Roggen-Trespe) 2 0 Bunium bulbocastanum (Knollenkümmel)) 3 Bupleurum rotundifolium (Rundblättriges Hasenohr) 2 1

Calendula arvensis (Acker-Ringelblume) 2 0 Calepina irregularis (Wendich) 2 Camelina alyssum (Gezähnter Leindotter) 0 O Caucalis platycarpos (Kletten-Haftdolde) 3 2 Centunculus minimus (Acker-Kleinling) 3 3 Ceratocephalus falcatus (Sichelfrüchtiges Hornköpfchen) 0 Chrysanthemum segetum (Saat-Wucherblume) O Conringia orientalis (Ackerkohl) 2 2 Consolida regalis (Acker-Rittersporn) 2 Corrigiola litoralis (Hirschsprung) 3 Crepis pulchra (Schöner Pippau) 2 Cuscuta epilinum (Lein-Seide) 0 O

Diplotaxis muralis (Mauersenf) 3 Diplotaxis viminea (Ruten-Doppelsame) 0 0

Eragrostis megastachya (Großes Liebesgras) 0 Erysimum repandum (Sperriger Schöterich) 2 0 Euphorbia falcata (Sichel-Wolfsmilch) 1 1 Euphorbia platyphyllos (Breitblättrige Wolfsmilch) 4

Filago arvensis (Acker-Filzkraut) 2 Filago gallica (Französisches Filzkraut) 0 0 Fumaria parviflora (Kleinblütiger Ehrenpreis) 1 2 Fumaria schleicheri (Schleichers Erdrauch) 2 Fumaria vaillantii (Vaillants Erdrauch) 3

305 BRD Hessen

Gagea pratensis (Wiesen-Gelbstern) 3 Gagea villosa (Acker-Gelbstern) 3 3 Galium parisiene (Pariser Labkraut) 0 0 Galium tricornutum (Dreihörniges Labkraut) 3 3 Gypsophila muralis (Mauer-Gipskraut) 3

Heliotropium europaeum (Sonnenwende) 2 3 Herniaria hirsuta (Rauhes Bruchkraut) 2 Hypochoeris glabra (Kahles Ferkelkraut) 2 2

Iberis amara (Bittere Schleifenblume) 1 0 Iberis intermedia (Mittlere Schleifenblume) 1 O Illecebrum verticillatum (Knorpelblume) 3

Lathyrus aphaca (Ranken-Platterbse) 3 1 Lathyrus hirsutus (Rauhhaarige Platterbse) 2 1 Lathyrus nissiola (Gras-Platterbse) 2 1 Legouisa hybrida (Kleiner Frauenspiegel) 2 2 Legouisa speculum-veneris (Großer Frauenspiegel) 3 2 Linaria arvensis (Acker-Leinkraut) 1 0 Lolium remotum (Lein-Lolch) 0 Lolium temulentum (Taumel-Lolch) 0 0

Malva pusilla (Kleine Malve) 0 3 Mibora minima (Sand-Zwerggras) 1 1 Minuartia hybrida (Zarte Miere) 3 3 Minuartia viscosa (Klebrige Miere) 1 0 Misopates orontium (Feld-Löwenmäulchen) 3 3 Montia arvensis (Acker-Quellkraut) 3 3 Muscari comosum (Schopfige Traubenhyazinthe) 2 1 Muscari neglectum (Übersehene Traubenhyazinthe) 3 0 Muscari racemosum (Traubenhyazinthe) 2 Myagrum perfoliatum (Hohldotter) 1 Myosotis discolor (Buntes Vergißmeinnicht) 3 Myosurus minimus (Mäuseschwanz) O

Neslia paniculata (Finkensame) 3 2 Nigella arvensis (Acker-Schwarzkümmel) 2 2

Orlaya grandiflora (Strahlen-Breitsame) 1 0 Orobanche ramosa (Ästige Sommerwurz) 3 0 Orobanche reticulata ssp. pallidiflora (Netz-Sommerwurz) 2 0

Papaver hybridum (Bastard-Mohn) 2 0 Papaver lecoquii (Gelbmilchiger Mohn) 3 O Phleum paniculatum (Rispen-Lieschgras) 1 0 Polycnemum arvensis (Acker-Knorpelkraut) 2 Polycnemum majus (Großes Knorpelkraut) 2 O

306 BRD Hessen

Ranunculus arvensis (Acker-Hahnenfuß) 2 3 Ranunculus sardous (Sardinischer Hahnenfuß) 3

Sagina ciliata (Wimper-Mastkraut) 3 Sagina micropetala (Kronloses Mastkraut) 3 3 Scandix pecten-veneris (Venuskamm) 2 Sedum rubens (Rötliche Fetthenne) 1 Silene gallica (Französisches Leinkraut) O Silene linicola (Flachs-Leinkraut) 0 Spergularia segetalis (Saat-Schuppenmiere) 1 O Stachys annua (Einjähriger Ziest) 3 2 Stachys arvensis (Acker-Ziest) 3

Teesdalia nudicaulis (Bauernsenf) 3 Thlaspi alliaceum (Lauch-Hellerkraut) 0 Thymelaea passerina (Acker-Spatzenzunge) 2 O Torilis arvensis (Feld-Klettenkerbel) 3 Tulipa sylvestris (Wildtulpe) 3 3 Turgenia latifolia (Breitblättrige Haftdolde) 1 0

Vaccaria hispanica (Saat-Kuhnelke) 1 0 Valerianella dentata (Gezähnter Feldsalat) 3 Valerianella rimosa (Gefurchtes Rapünzchen) 3 Veronica acinifolia (Drüsiger Ehrenpreis) 0 0 Veronica opaca (Glanzloser Ehrenpreis) 3 2 Veronica praecox (Früher Ehrenpreis) 3 3

+ kommt im Gebiet vor, in der betreffenden Roten Liste nicht aufgeführt 0 kommt im Gebiet nicht vor 0 ausgestorben oder verschollen 1 vom Aussterben bedroht 2 stark gefährdet 3 gefährdet 4 potentiell gefährdet

BLAB, J. et al. (1984) KALHEBER, H. et al. (1979) KORNECK, D. (1980)

307 Im Bewirtschaftungsjahr 1985 lief die „Aktion Kornblume" unter der Regie des DBV bereits auf einigen hessischen Ackerschlägen im Rheingau-Taunus-Kreis an. Erste Erfahrungen konnten gesammelt werden. Das Echo der Landwirte war durchweg positiv. Seit Anfang 1986, nach Bereitstellung von Landesmitteln, wird das Ackerrandstreifenpro- gramm landesweit in Zusammenarbeit zwischen der Landwirtschaftsverwaltung und dem DBV durchgeführt.

Anlage von Ackerrandstreifen

Die Ackerrandstreifen besitzen in der Regel eine Breite von zwei bis fünf Metern (SCHREINER 1986 a). Meistens verlaufen sie aus technischen Gründen parallel zur Bearbeitungsrichtung. Selten befinden sie sich im Bereich des Vorgewendes. In vielen Fällen ist der Randstreifen rund um einen Schlag angelegt. Zum Teil besitzen die vereinbarten Flächen nicht die Form von Streifen, sondern es handelt sich um arbeitstechnisch ungünstig zu bewirtschaftende Zipfel oder Keile. Flächenform und -größe orientieren sich an einer auf den jeweiligen Betrieb abge- stimmten praxisgerechten Durchführung. Interessierte Landwirte können Ackerflächen für das Programm vorschlagen. Zusätzlich wird versucht, bereits bekannte schutzwürdige Felder mit seltenen oder gefährdeten Arten bzw. gut ausgebildeten Gesellschaften einzubeziehen. Es werden aktuell schutzwürdige und sich zu entwickelnde Streifen in das Programm aufgenommen. Standortunterschiede und biologische Qualität sollen bei der Flächenauswahl in den einzelnen Gemarkungen berücksichtigt werden. Zur Schonung der Saumbiotope und zur Berücksichtigung von Aspekten eines Lebensraumverbunds grenzen die Ackerrandstreifen möglichst an Wege, Gräben, Böschungen, Raine, Feldgehölze, Grünland oder Waldränder an.

Bewirtschaftungseinschränkung

Der Randstreifen wird ähnlich der restlichen Ackerfläche in der üblichen Weise bewirtschaftet, bleibt aber frei von Pflanzenbehandlungsmitteln: Herbizide dürfen nicht angewandt werden, Insektizide nur nach vorheriger Rücksprache mit dem Pflanzenschutzberater. Von Seiten der Naturschutzverbände wird ein Verzicht auf jegliche Pflanzenbehandlungsmittel im Schon- streifen angestrebt. Mechanische Unkrautbekämpfung ist im allgemeinen erlaubt, Unkraut- flammen nicht. Die Düngung wird derzeit nicht eingeschränkt. Bei Vorhandensein von Pflanzengesellschaften, die auf nährstoffarme Standorte angewiesen sind, sollte künftig die Düngung reduziert werden (s. Kap. 3.4). Fruchtwahl und Fruchtfolge bleiben dem Landwirt überlassen. Das Programm soll möglichst auf allen Kulturen, sowohl im Getreide, als auch in Hackfrüchten und Raps durchgeführt werden, damit viele Ackerlebensgemeinschaften (Getreide- und Hackfruchtgesellschaften) durch die Schutzmaßnahme erfaßt werden. Evtl. kann der Landwirt im „Hackfruchtjahr" seinen Acker aus dem Programm nehmen (SCHREINER 1986 b).

Beim Anbau von Mais in der Fruchtfolge ergeben sich während der Durchführung des Programms Probleme. Aufgrund geringer Konkurrenzkraft des Mais gegenüber Unkräutern werden Maisäcker zur Erzielung einer guten Ertragsleistung intensiv mit Herbiziden behandelt. Unterbleibt die Unkrautbekämpfung kann - wie Untersuchungen der Hessischen Lehr- und 308 Forschungsanstalt Eichof zur Ertragsminderung in den einzelnen Fruchtarten zeigen - bei Silomais totaler Ertragsausfall auftreten. Die mechanische Unkrautbekämpfung ist zwar erlaubt, wird aber, da sie sehr arbeitsintensiv ist, in vielen Betrieben nicht mehr durchgeführt.

Am Ackerrandstreifenprojekt interessierten Landwirten können verschiedene Möglichkeiten empfohlen werden:

- Einbeziehung von Schlägen, auf denen kein oder nur selten Mais angebaut wird oder - Anpflanzung von Getreide auf dem Schonstreifen. Dieses Verfahren wurde im Ackerrand- streifenprogramm bereits mit Erfolg durchgeführt. Vorteile bei der Maisernte durch Anlage eines Getreidestreifens und die Bereitschaft von Seiten der Landwirte, die Maßnahme lang- fristig mitzutragen, bewirken, daß einige Landwirte sich damit einverstanden erklärten. - Außerdem besteht die Möglichkeit, die Maßnahme, wie beim Hackfruchtanbau auch, für ein Jahr auszusetzen.

Ausgleich von Minderertrag und Ernteerschwernis

Die Aktion baut auf eine freiwillige Mitarbeit der Landwirte auf.Zwischen dem Land Hessen und interessierten Bauern werden Bewirtschaftungsverträge abgeschlossen, die zumindest in der Anlaufphase nur ein Jahr gültig sind und anschließend verlängert werden sollen. Ein Vorteil dieser kurzen Vertragsdauer liegt darin, daß viele Landwirte dadurch eher bereit sind, sich am Programm zu beteiligen. Sie wollen verständlicherweise die Entwicklung der vereinbarten Flächen zuerst beobachten, bevor sie sich auf Jahre hinaus festlegen. Der Landwirt erhält bei Einhaltung der Vertragsbedingungen vom Land einen Ausgleich für Minderertrag und Ernteerschwernisse von DM 0,09 pro m2 und Jahr. Die Auszahlung erfolgt zum 15. November eines jeden Jahres durch die Ämter für Landwirtschaft und Landentwick- lung.

3.3. Ergebnisse

3.3.1 Umfang

Ungefähr 420 km Ackerrandstreifen mit einer Fläche von knapp 190 ha konnten 1986 durch das Programm erfaßt werden (Tab. 2). Die regionale Verteilung der Schonstreifen in den einzelnen Zuständigkeitsbereichen der Ämter für Landwirtschaft und Landentwicklung läßt sich aus den beiden Übersichten entnehmen (Abb. 1 und Abb. 2). Die meisten Randstreifen befinden sich in folgenden Kreisen: Werra-Meißner, Lahn-Dill und Gießen, Main-Kinzig und Wetterau. Ein Großteil der Verträge geht auf die Aktivitäten des DBV zurück.

3.3.2. Bereitschaft der Landwirte

Mehr als 500 Verträge wurden mit interessierten Landwirten abgeschlossen. Die Bereitschaft der Bauern, das Programm mitzutragen, ist vorhanden und kann in den nächsten Jahren gesteigert werden. Die Struktur der mitarbeitenden landwirtschaftlichen Betriebe ist vielfältig. Sowohl große Betriebe, als auch kleinere und Nebenerwerbsbetriebe beteiligen sich an der Umsetzung des Programmes. Die Anzahl der Randstreifen pro Betrieb variiert zwischen einem und mehr als zehn. 309 Zuständigkeitsbereiche der Ämter für Landwirtschaft und Landentwicklung

HESSEN

0 10 20 30 ap 50 km

Abb. 1: Regionale Verteilung der Ackerrandstreifen; Flächen in ha 310 Zuständigkeitsbereiche der Ämter für Landwirtschaft und Landentwicklung

HESSEN

0 1,0 20 3,0 4,0 m 1

Abb. 2: Regionale Verteilung der Ackerrandstreifen; Längen in km

311 Tabelle 2: Ackerrandstreifenprogramm 1986

Amt für Landwirtschaft Landkreise, Verträge Fläche Länge und Landentwicklung Kreisfreie Städte (ha) (km)

Eschwege Werra-Meißer (ESW) 16 26,1 72,5

Gießen Lahn-Dill (L), Gießen (GI) 74 21,3 49,9

Hanau Main-Kinzig (HU) 79 19,2 41,0 Friedberg Wetterau (FB) 56 15,6 32,1

Fulda Fulda (FD) 47 14,0 30,0 Fritzlar Schwalm-Eder (HR) 29 12,6 23,0

Alsfeld Vogelsberg (VB) 18 12,2 23,2 Korbach Waldeck-Frankenberg (KB) 38 11,7 29,0 Wiesbaden Rheingau-Taunus (RÜD), 43 11,4 29,0 Wiesbaden (WI)

Kassel Kassel (KS) 26 10,4 21,6

Marburg Marburg-Biedenkopf (MR) 20 9,0 18,0 Usingen Hochtaunus (HG), 19 6,0 13,1 Main-Taunus (MTK), Frankfurt (F), Offenbach (OF)

Bad Hersfeld Hersfeld-Rotenburg (HEF) 23 5,6 12,3 Heppenheim Bergstraße (HP) 18 5,1 9,4 Limburg Limburg-Weilburg (LM) 15 4,7 9,3

Darmstadt Darmstadt-Dieburg (DA), 17 4,1 7,9 Darmstadt (DA), Groß-Gerau (GG)

Reichelsheim Odenwald (ERB) 1 0,06 0,1

Summe Hessen 539 189 421

312 3.3.3. Vegetation, Flora

Pflanzengesellschaften

Durch Verzicht auf Pflanzenbehandlungsmittel entwickelten sich in vielen vereinbarten Flächen recht artenreiche, z.T. gut ausgebildete Ackerwildkrautgesel Ischaften. Eine Übersicht der Pflanzengesellschaften in den untersuchten Flächen gibt die Tabelle 3. Alle aufgeführten Gesellschaften müssen, auch wenn es zur Zeit noch keine „Rote Liste" der Pflanzengesellschaften Hessens gibt, als vom Aussterben bedroht oder gefährdet bzw. in ihrer Artenausstattung als stark beeinträchtigt gelten. Früher weitverbreitete Gesellschaften wie z. B. die Ackerfrauenmantel-Kamillen-Wildkrautflur sind durch die derzeit übliche Bewirt- schaftung, insbesondere durch den Einsatz von Herbiziden, oft stark an Arten verarmt. Rumpf- gesellschaften mit wenig spezialisierten Arten bleiben übrig. Auf den unbehandelten Ackerrandstreifen erhalten die Pflanzen-und Tiergemeinschaften eine Chance, sich zu regenerieren. Die mittlere Artenzahl an Blütenpflanzen liegt in den unter- suchten Flächen bei etwa 25 Spezies pro Streifen. In manchen Schonstreifen betrug die Maxi- malzahl mehr als 50 Arten. Ein sehr geringer Teil der Flächen wies einen niedrigen Arten- bestand (weniger als 10 Arten) auf. Das im Boden noch vorhandene Samenpotential der einzelnen Pflanzenarten bildet den Ausgangspunkt für das Artenspektrum, das sich im unbehandelten Ackerrand entwickeln kann. Welche Pflanzen keimen und wachsen, wird von einer Vielzahl ökologischer Faktoren (z. B. Größe des Samenpotentials, Keimfähigkeit, Lichtverhältnisse, Temperatur, Bodenfak- toren, Konkurrenz der Kulturpflanze) bestimmt. Erst mehrjährige Untersuchungen und eine längere Entwicklungszeit der Schonstreifen können Aufschluß über den gesamten Arten- bestand liefern. In Intensivackerbaugebieten kann nicht ausgeschlossen werden, daß ein Teil der Pflanzen- arten durch den jahrzehntelangen Einfluß moderner Bewirtschaftungsverfahren bereits verschollen ist. Trotzdem sollte das Ackerrandstreifenprogramm auch in diesen Gebieten durchgeführt werden, um Erkenntnisse über die Regenerationsfähigkeit zu gewinnen. Gerade in solchen Regionen ist eine Erhöhung der Biotopqualität und Diversität von größter Wichtig- keit, auch wenn manche Arten bereits verschwunden sein sollten. Im Wetteraukreis, der als Paradebeispiel für Intensivackerbau gilt, wurden 1986 15,6 ha Rand- streifen unter Vertrag genommen. Die Bereitschaft der Landwirte, sich an Naturschutzpro- grammen zu beteiligen, ist demnach auch in diesen Gebieten vorhanden.

Arteninventar

Insgesamt wurden in den untersuchten Flächen rund 160 Arten von Blütenpflanzen be- obachtet, deren Verbreitungsschwerpunkt im Lebensraum Acker liegt. Dazu kommen noch einige Arten, die von angrenzenden Flächen (Raine, Grünland etc.) in den Randstreifen einstrahlen. Nicht nur häufigere Pflanzenarten traten auf, sondern auch seltenere oder gefährdete Spezies (Tab. 4). Einige der Randstreifen, in denen bedrohte Arten gedeihen, wurden gezielt in das Programm integriert. Der Großteil der Flächen jedoch wurde von den Landwirten direkt für das Programm angeboten. Es zeigte sich, daß auch auf diesen Äckern ein hoherArtenreichtum, z.T. gefährdete Pflanzen, auftreten kann. Oft wählen die Landwirte solche Flächen für das Projekt aus, die schwer zu bearbeiten sind oder einen geringen Ertrag erbringen. Das Artenpotential 313 Abb. 3: Randstreifen in einem Roggenacker: Geruchlose Kamille (Tripleurospermum inodorum) und Klatschmohn (Papaver rhoeas). (Foto: K. SCHREINER)

314 r

Abb. 4: Ackerrandstreifen (Sommergerste) mit Saat-Wucherblume (Chrysanthemum segetum) (FOTO: K. SCHREINER) Tabelle 3: Pflanzengesellschaften der Ackerrandstreifen 1986 (Untersuchungsgebiete: Kreise Lahn-Dill, Gießen, Marburg-Biedenkopf,Waldeck- Frankenberg, Kassel)

Wintergetreide (z. T. auch Sommergetreide) Sommergetreide und Hackfrucht

Ackerfrauemantel-Kamillen-Gesellschaft Hellerkraut-Erdrauch-Gesellschaft Alchemillo-Matricarietum chamomillae Tx. 37 Thlaspio-Fumarietum officinalis Görs in Oberd. et al. 67 ex Pass. et Jurko 75 Sand mohn-Gesellschaft Papaveretum argemone Gänsefuß-Sauerklee-Gesellschaft (Libb. 32) Krus. et Vlieg. 39 Chenopodio-Oxalidetum fontanae Siss. 50 n. inv. Müll. et Oberd. Gelber Hohlzahn-Gesellschaft Galeopsis segetum-Gesellschaft Saatwucherblumen-Gesellschaft Spergulo-Chrysanthemetum segeti Tx. 37 Lämmersalat-Gesellschaft Sclerantho-Arnoseridetum minimae Tx. 37 Ackerziest-Gesellschaft Setario-Stachyetum arvensis Oberd. 57 Haftdolden-Adonisröschen-Gesellschaft Caucalido-Adonidetum Tx. 50 Nachtlichtnelken-Gesellschaft Papaveri-Melandrietum noctiflori Wassch. 41

Echtes Tännelkraut-Gesellschaft Kickxia elatine-Gesellschaft

in feuchten Ackerrinnen

Ackerkleinlings-Gesellschaft Centunculo-Anthocerotetum W. Koch 26

316 Tabelle 4: Beobachtete Pflanzenarten der Roten Liste in den Ackerrandstreifen 1986 (Kreise Lahn-Dill, Gießen, Marburg-Biedenkopf, Waldeck-Frankenberg, Kassel)

BRD Hessen

Adonis aestivalis (Sommer-Adonisröschen) 3 2 Agrostemma githago (Kornrade) 1 1 Arnoseris minima (Lämmersalat) 2 1

Bromus secalinus (Roggen-Trespe) 2 0 Bunium bulbocastanum (Knollenkümmel)) 3 Caucalis platycarpos (Kletten-Haftdolde) 3 2 Centunculus minimus (Acker-Kleinling) 3 3 Chrysanthemum segetum (Saat-Wucherblume) 3 Consolida regalis (Acker-Rittersporn) 2

Fumaria vaillantii (Vaillants Erdrauch) 3

Gypsophila muralis (Mauer-Gipskraut) 3 Hypochoeris glabra (Kahles Ferkelkraut) 2 2

Legouisa hybrida (Kleiner Frauenspiegel) 2 2 Linaria arvensis (Acker-Leinkraut) 1 0 Misopates orontium (Feld-Löwenmäulchen) 3 4 Myosurus minimus (Mäuseschwanz) 3 Ranunculus arvensis (Acker-Hahnenfuß) 2 3 Ranunculus sardous (Sardinischer Hahnenfuß) 3

Stachys annua (Einjähriger Ziest) 3 2 Stachys arvensis (Ackerziest) 3

Vallerianella dentata (Gezähnter Feldsalat) 3

+ in der betreffenden Roten Liste nicht aufgeführt O ausgestorben oder verschollen 1 vom Aussterben bedroht 2 stark gefährdet 3 gefährdet 4 potentiell gefährdet

BLAB, J. et al. (1984) KALHEBER, H. et al. (1979)

317 in diesen Schlägen ist meist noch groß. Daneben spielen Gründe wie Lage und Größe des Ackers, Fruchtart, Vorkommen von Problemunkräutern bei der Entscheidung des Landwirts eine Rolle. Eine Reihe weiterer heute selten gewordener Ackerwildkräuter, die nicht oder noch nicht auf der „Roten Liste" stehen, z. B. Gelber Hohlzahn (Galeopsis segetum), Acker-Steinsame (Litho- spermum arvense), Roter Zahntrost (Odontites verna), Nachtlichtnelke (Silene noctiflora) und Ackerkrummhals (Anchusa arvensis) waren in den ungespritzten Ackerrändern zu finden. Kalamitäten durch massenhaftes Auftreten von Problemunkräutern sind in dem von Verfasser betreuten Schonstreifen nicht aufgetreten.

3.3.4. Fauna

Durch den Reichtum an wildwachsenden Ackerpflanzen konnte auch eine vielfältige Fauna, insbesondere blütenbesuchende und von Wildkräutern lebende Insekten, beobachtet werden. In einigen Schonstreifen hielten sich Rebhühner auf. Ein positiver Einfluß auf unsere Fauna durch unbehandelte Randstreifen ist zu erwarten.Zoolo- gische Untersuchungen in Randstreifen werden derzeit in einigen Bundesländern durchge- führt. Ein deutlich größeres Nahrungsangebot kommt neben zahlreichen Insekten- und sonstigen Wirbellosenarten auch den Vögeln (Feldlerche, Wachtel, Rebhuhn) und Säugern (Feldhase, Kleinsäuger) zu gute (BLAB 1986).

3.4. Langfristige Durchführung

Die gewonnenen, vielversprechenden Ergebnisse und positiven Erfahrungen sollten in zukünftige Planungen einbezogen werden, damit eine erfolgreiche langfristige Durchführung des Schutzprogrammes erzielt wird. Die Mehrzahl der Landwirte wird in diesem Jahr (1987) wieder mitarbeiten.Zusätzlich sollten neue Randstreifen in das Programm aufgenommen werden. Eine jährliche Aufstockung des Umfangs wäre äußerst wünschenswert. Verstärkt sollte das Projekt auch in Gebieten umgesetzt werden, die bisher noch unterreprä- sentiert sind. Durch entsprechende Öffentlichkeitsarbeit und Beratung von Landwirten könnte das Ackerrandstreifenprogramm in den kommenden Jahren beträchtlich erweitert werden. Voraussetzung dafür sind rechtzeitig (vor Aussaat des Wintergetreides!) zur Verfügung stehende Mittel und Vertragsabschlüsse, eine gute Zusammenarbeit aller Beteiligten und eine Betreuung sämtlicher Flächen. Eine Betreuung darf nicht nur Kontrolle bedeuten, sondern sollte möglichst umfassend sein. Besonders wichtige Punkte sind: 1. ein ständiger Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen Landwirten, Naturschutz- gruppen und Mitarbeitern der Behörden. Ein persönlicher Kontakt zum Landwirt ist unbe- dingt erforderlich. 2. Die wissenschaftliche Betreuung ist zur Beurteilung des Erfolgs der Aktion von großer Bedeutung und sollte in allen Landkreisen durchgeführt werden. Regelmäßige pflanzen- soziologische Untersuchungen könnten Aufschluß über Pflanzengesellschaften und ihre Entwicklung im Laufe der Jahre geben (s. dazu SCHREINER 1986 c). 318 Weitergehende Bewirtschaftungsvereinbarungen sollten möglich werden: - Auf nährstoffarmen, bodensauren Standorten mit Vorkommen entsprechender Gesell- schaften sollte eine Kalkung unterbleiben und die Stickstoffdüngung auf max. 50 kg Gesamt-N pro ha reduziert werden. Dafür wäre ein höherer Ausgleich,der nach Meinung der Arbeitsgruppe bei ca. DM 0,15 pro m2 und Jahr liegen sollte, nötig. - Schmale Äcker (bis etwa 30 m Breite) und schutzwürdige Schläge sollten in ihrer Gesamt- größe in das Programm einbezogen werden können. - Zur Erhaltung der letzten einigermaßen noch intakten Weinbergsgesellschaften Hessens sollte schnellstmöglich gezielt mit dem Schutzprogramm begonnen werden. Die Grund- lagen dafür sind bereits von der Arbeitsgruppe erstellt (Bodenbearbeitung mit der Hand- hacke, keine Herbizide und Teilzeitbegrünung, dem hohen Arbeitsaufwand entsprechende Ausgleichvergütung). ZurVergrößerung der ökologischen Effizienz sollten künftig noch mehrAckerschläge integriert werden, die als Fundorte (auch historische) seltener oder gefährdeter Arten bzw. Gesell- schaften bereits bekannt sind. Dies bedeutet zwar einen stärkeren Arbeits- und Zeitaufwand und setzt eine größere Überzeugungsarbeit voraus, aber dadurch wäre es möglich, mehr Bestände von selteneren Lebensgemeinschaften in die Maßnahme einzubeziehen und lang- fristig zu erhalten. Parallel dazu sollten auch weiterhin alle für das Projekt geeignete Schläge, die die Landwirte von sich aus anbieten, in die Maßnahme einbezogen werden. Auch häufigere Gesellschaften sollen repräsentativ vertreten sein und die Chance erhalten, sich zu regenerieren. Beide Vor- gehensweisen ermöglichen am ehesten die Erfassung eines breiten Spektrums an Acker- biozönosen auf einer größeren Fläche in allen Gemarkungen Hessens. Es wird angestrebt, 0,5 0/0 der hessischen Ackerfläche in das Ackerrandstreifenprogramm einzubeziehen.

4. Wiesenprogramm

4.1. Ökologie und Gefährdung von Wiesengesellschaften

Wiesen und Weiden werden meist als Grünland zusammengefaßt. In Hessen sind sie fast ausschließlich durch menschliche Tätigkeit entstanden und können nur durch einen ständig wiederkehrenden Eingriff erhalten werden. Unter Wiesen werden regelmäßig oder unregel- mäßig gemähte Grünlandflächen verstanden.Je nach Standort und Futterwert werden Wiesen ein- oder mehrschürig genutzt (s. KLAPP 1965). Wiesen gehören ursprünglich zu den artenreichsten Pflanzengesellschaften.Auf einer Fläche von 25 m2 können mehr als 50 höhere Pflanzenarten vorkommen. Grünland bietet einer Viel- zahl von Tierarten Lebensmöglichkeiten. Bei faunistischen Untersuchungen in Grünland- Ökosystemen wurden insgesamt 1.940 höhere Tierarten registriert (BLAB 1986). Einen Groß- teil davon nehmen Insekten (Fliegen, Käfer, Hautflügler, Schmetterlinge) ein, aber auch Vogel- arten wie Braunkehlchen, Schafstelze, Wiesenpieper, Bekassine und Großer Brachvogel gehören zu den Grünlandbiozönosen. Fast alle Pflanzengesellschaften des Grünlandes: Feucht- bzw. Naßwiesen, Rasen trockener Standorte und Frischwiesen müssen heute als bedroht bzw. degradiert gelten (s. NOWAK 1984). Durch Bewirtschaftungsintensivierung in den letzten Jahrzehnten sind die Wiesen stark an Arten verarmt und nivelliert. Bereits vor 10 Jahren sprach MEISEL (1977) von einer Unifor- mierung der Grünlandvegetation in vielen Gebieten. 319 Im einzelnen sind vor allem folgende Gefährdungsursachen der Wiesengesellschaften rele- vant:

- Melioration der Standorte und Intensivierung der Bewirtschaftung a) Entwässerung b) Verfüllen von Senken c) Düngung d) Erhöhung der Schnittzahl, Silagenutzung auf Kosten der Heuwirtschaft e) Einsaat bestimmter Pflanzenarten (Weidelgräser, Klee) f) Einsatz von Pflanzenbehandlungsmitteln (Herbizide) - Nutzungsänderung a) Nutzung als intensive Koppelweide b) Umbruch mit anschließender Ackernutzung c) periodischer Umbruch mit anschließender Einsaat von Futtergrassorten d) Aufforstung von Wiesen auf Grenzertragsstandorten - Nutzungsaufgabe (Brachfallen) landwirtschaftlich ungünstiger Wiesen

4.2. Durchführung und Organisation

Das Wiesenprogramm wird wie das Ackerrandstreifenprojekt in Zusammenarbeit zwischen der Landwirtschaftsverwaltung und den Naturschutzverbänden seit Frühjahr 1986 durchge- führt. Das Programm dient dem Schutz und der Förderung extensiv genutzter Wiesen. Die gesamte Standortpalette mit den zahlreichen verschiedenen Wiesengesellschaften in allen Gemarkungen Hessens sollte durch die Maßnahme erfaßt werden. Auch das Wiesenprogramm basiert auf einer freiwilligen Mitarbeit der Landwirte. Interessierte Bauern können Grünlandflächen für das Projekt vorschlagen. Zusätzlich sollen bereits bekannte schutzwürdige Wiesenparzellen einbezogen werden.

Bewirtschaftungsvereinbarung

Es ist eine „reine" Mähnutzung für die vereinbarten Flächen vorgesehen. Die erste Mahd darf nicht vor der Blüte der Hauptbestandsbildner, nicht vor dem 15.Juni eines jeden Jahres, durch- geführt werden. Eine Beweidung,auch eine Nachweide, ist nicht erlaubt.Stickstoffdüngung (mineralischer und organischer N, also auch Stallmist, Gülle oder Jauche) muß unterbleiben. Grunddüngung mit Phosphat, Kali und Kalk darf nur „nach Maßgabe der Empfehlungen des Amtes für Landwirt- schaft und Landentwicklung" (HESSISCHER MINISTER FÜR LANDWIRTSCHAFT UND FORSTEN 1986) unter Hinzuziehung von Ergebnissen einer Bodenuntersuchung vorge- nommen werden. Eine Nutzung ohne jegliche Düngung wäre aus Naturschutzsicht zu bevor- zugen.

Anwendung von Pflanzenbehandlungsmitteln,Veränderungen des Wasserhaushaltes und der Bodenoberfläche sind auf den vereinbarten Grünlandflächen untersagt. Dies gilt auch für eine Einsaat von Pflanzen.

Pflegemaßnahmen (z. B.Anwalzen,Abschleppen) sollen möglichst früh vorVegetationsbeginn durchgeführt werden. Die Mindestgröße einer Fläche liegt im allgemeinen bei 0,25 ha. 320 Wiesenbrachen können in das Programm einbezogen werden, wenn die Nutzung mit den entsprechenden Auflagen durch einen Landwirt gewährleistet ist. Streuobstwiesen (Streuobstprogramm derzeit vom Land in Vorbereitung) und bis fünf Jahre alte Grünlandan- saaten sollen nicht in das Wiesenprojekt integriert werden.

Die Bewirtschaftungsverträge gelten ein Jahr und sollen anschließend verlängert werden. Der Landwirt erhält am Ende des Bewirtschaftungsjahres einen Ausgleich von DM 300,— pro ha und Jahr.

4.3. Ergebnisse

1986 konnten hessenweit insgesamt 1.554 ha Wiesen unter Vertrag genommen werden (Tab. 5).Abbildung 5 zeigt, daß in den Mittelgebirgsräumen (Vogelsberg, Knüll, Rhön) entsprechend dem höheren Gründlandanteil die meisten Vertragsflächen vorhanden sind.

Mit rund 1000 Landwirten wurden Bewirtschaftungsvereinbarungen abgeschlossen. Die Bereitschaft zur Mitarbeit seitens der Landwirte ist in Anbetracht derschwierigen Situation der Agrarwirtschaft groß. Aufgrund der hohen Anzahl von Flächenvorschlägen für das Programm konnten in vielen Amtsbezirken nicht alle Parzellen berücksichtigt werden.

Im Konzept des Wiesenprogrammes ist vorgesehen, daß einerseits bisher wenig gedüngte oder ungedüngte Wiesen und andererseits auch intensiver bewirtschaftete Parzellen, die sich im Laufe der Jahre (Jahrzehnte) entwickeln sollen, in das Projekt aufgenommen werden.

Floristische oder vegetationskundliche Untersuchungen wurden nur in einem geringen Teil der vereinbarten Flächen durchgeführt. Die Wiesen, die vom Verfasser pflanzensoziologisch erfaßt wurden, sind in ihrer biologischen Qualität unterschiedlich.

Erste Beobachtungen deuten darauf hin, daß ein großerTei I derWiesenflächen bezüglich ihrer biologischen Wertigkeit als mittelmäßig mit Degradationserscheinungen einzustufen ist. Nur wenige Flächen sind als noch intakte, gut ausgebildete Wiesen anzusehen.

Fazit: Höchste Zeit für ein langfristiges, umfangreiches Wiesenschutzprogramm mit entspre- chenden Bewirtschaftungsauflagen und Ausgleichszahlung, da die biologische Degradie- rung unserer Wiesen bereits sehr weit fortgeschritten ist.

4.4. Langfristige Durchführung

Voraussetzung zur Regeneration der Wiesenlebensgemeinschaften ist, daß die Maßnahme langfristig und auf großer Fläche, möglichst in allen Gemarkungen Hessens,durchgeführt wird. Angestrebt werden 5 0/0 der hessischen Grünlandfläche.

Eine zweite Bewirtschaftungsvariante sollte schnellstmöglich in die Verträge aufgenommen werden. Diese Variante, die bereits in der Konzeption des Wiesenprogrammes von derArbeits- gruppe aufgeführt wird, sieht einen Verzicht auf jegliche Düngung (auch Grunddüngung!) bei einem Ausgleich von DM 400,— pro ha und Jahr vor. Der Schwerpunkt sollte zukünftig auf diesem Bewirtschaftungsmodus liegen.

Wie beim Ackerrandstreifenprogramm sollte die Betreuung und wissenschaftliche Begleitung (vegetationskundliche Untersuchungen) der vereinbarten Wiesen gegeben sein, um den Erfolg der Maßnahme und die Entwicklung der Flächen ermessen und beurteilen zu können. 321 Tabelle 5: Wiesenprogramm 1986

Amt für Landwirtschaft Landkreise, Verträge Fläche und Landentwicklung Kreisfreie Städte (ha)

Alsfeld Vogelsberg (VB) 138 205,5

Fritzlar Schwalm-Eder (HR) 110 172,4

Fulda Fulda (FD) 111 170,0 Hanau Main-Kinzig (HU) 97 124,5 Gießen Lahn-Dill (L), Gießen (GI) 73 123,7

Usingen Hochtaunus (HG), 48 112,2 Main-Taunus (MTK), Frankfurt (F), Offenbach (OF)

Friedberg Wetterau (FB) 52 106,6

Limburg Limburg-Weilburg (LM) 63 90,6 Wiesbaden Rheingau-Taunus (RÜD), 68 88,3 Wiesbaden (WI)

Marburg Marburg-Biedenkopf (MR) 55 74,8

Heppenheim Bergstraße (HP) 77 60,1 Eschwege Werra-Meißner (ESW) 21 54,4

Bad Hersfeld Hersfeld-Rotenburg (HEF) 48 54,2 Darmstadt Darmstadt-Dieburg (DA) 23 44,0 Darmstadt (DA), Groß-Gerau (GG)

Korbach Waldeck-Frankenberg (KB) 37 41,3 Kassel Kassel (KS) 34 32,0 Reichelsheim Odenwald (ERB) — —

Summe Hessen 1055 1554

322 Zuständigkeitsbereiche der Ämter für Landwirtschaft und Landentwicklung

HESSEN

0 10 20 30 40 50 km

Abb. 5: Regionale Verteilung der Wiesen; Flächen in ha 323 5. Ausblick

Sollte es in den nächsten Jahren gelingen, 0,5 % der hessischen Ackerfläche und 5 0/0 der Grünlandfläche in ein langfristiges Schutzprogramm zu integrieren,wäre ein wichtiger Beitrag zur Erhaltung und Förderung dieser Lebensgemeinschaften und zur Sicherung unserer Kulturlandschaft mit ihrer hohen Arten- und Standortdiversität geleistet.

6. Danksagung

Dem Botanischen Arbeitskreis des DBV-Kreisverbandes Waldeck-Frankenberg, insbeson- dere Herrn W. BECKER und Herrn V. LUCAN vom DBV-Kreisverband Kassel danke ich für die Übersendung von Ergebnissen. Beim Ministerium für Landwirtschaft und Forsten bedanke ich mich für die Bereitstellung der Daten zum Umfang des Programmes. Besonderer Dank gebührt den Herren E. BERGMEIER, A. KÖNIG, B. NOWACK, U. RAABE und W. SCHNEDLER für wich- tige Hinweise, Anregungen und Vorschläge von schutzwürdigen Acker- und Wiesenflächen.

Herrn W. KIRCHNER danke ich für die kritische Durchsicht des Manuskriptes. Nicht zuletzt möchte ich allen, die mich bei der Durchführung der Programme hessenweit unterstützten, meinen herzlichen Dank aussprechen.

7. Literatur

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Anschrift der Verfasserin: KARIN SCHREINER, Klingelgärten la, 6335 Lahnau-Atzbach 325 Neue Literatur

ZIMMER, U. E. (1987): Wasservögel.-63 S., 56 Farbfotos, Dreipunkt-Buchreihe, B LV Verlags- gesellschaft München. In der Dreipunkt-Buchreihe des BLV-Verlages werden mit vorliegendem Bändchen die einhei- mischen Vogelarten am und auf dem Wasser vorgestellt (Taucher, Enten, Gänse, Watvögel, Möwen, Seeschwalben u. a.). Von jeder Art werden Angaben zu den Merkmalen, zum Vorkommen, zur Lebensweise und zur Brutbiologie gemacht. Eine kurze Einführung, ein Register sowie zu jeder beschriebenen Art ein Farbfoto vervollständigen das Bändchen. Es läßt sich, Dank seines Formates, in jeder Jackentasche unterbringen und ist bei jedem Spaziergang zur Hand. Die Dreipunkt-Buchreihe ist eine gute Idee der BLV Verlagsgesell- schaft. Besonders dem Jugendlichen kann man, auch wegen des geringen Preises, diese Buchreihe empfehlen. W. KEIL

MÜLLER, F. (1986): Wildbiologische Information für den Jäger: Jagd + Hege Ausbildungsbuch IX. Jagdbuch-Verlags-AG, FL-9496 Balzers. 198 Seiten, zahlreiche Abbildungen.

Mit zuverlässiger Regelmäßigkeit ist nunmehr als IX. Band der Gesamtreihe die fünfte Folge der Art-Monographien über freibleibende, nur z. T. dem Jagdrecht unterliegende Säuger- und Vogelarten erschienen, die Schwarzwild, Luchs, Biber, Hamster - Eiderente, Graugans, Höckerschwan, Wanderfalke, Rohrweihe, Austernfischer, Brachvogel, Silbermöwe, Hohltaube, Waldkauz und Kolkrabe behandelt. Mit insgesamt 75 Arten (23 Säuger und 52 Vögel) liegt jetzt die Hälfte des geplanten Werkes vor; noch einmal 75 Arten (19 Säuger und 56 Vögel) kündigt eine Übersicht für weitere fünf Folgen an. Neben den bereits in früheren Besprechungen in dieser Zeitschrift (Bd.3 H .2,S.88 und Bd.4, H.1, S.1 0) hervorgehobenen anschaulichen, dabei gründlichen Texten und lebendigen Zeichnungen von Dr. Franz Müller seien bei dieser Gelegenheit die - artenbezogenen - Beiträge zur „Jägersprache" von Dr. Dr. Sigrid Schwenk erwähnt, die im vorliegenden Band durch ein erläuterndes Essay„Warum Jägersprache?" aus sprachkundlicher Sicht eine allgemeine Ergänzung erfahren. Es ist jedoch keineswegs so,daß sich das Werk allein an Jäger wendet, vielmehr dürfte jeder darin Anregung finden, der gerne Tiere beobachtet sowie Gesehenes einzuordnen und zu deuten wünscht. - Ein abschlie- ßender Hinweis: Die neue Bezugsquelle lautet „Jagdbuch-Verlags-AG, PF 44.946, FL-9496 Balzers". H.-J. BÖHR

326 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen • Vogel und Umwelt : 327-329 (1987)

Kleine Mitteilungen

Steppenkiebitz (Chettusia gregaria) bei Kirchhain/Kreis Marburg- Biedenkopf Am 28.09.1985 überflog gegen 16.00 Uhr ein Trupp von etwa 15 Kiebitzen (Vanellus vanellus), aus E anfliegend, in niedriger Höhe den Erlensee bei Kirchhain. Zwischen diesen fiel mir sofort ein merklich kleinerer Vogel mit Kiebitz-Habitus auf. Aus einem günstigeren Sichtwinkel erkannte ich bei dem Fremdling farbliche Merkmale, welche zunächst den Verdacht auf Weiß- schwanzkiebitz (Chettusia leucura) aufkommen ließen. Am gesamten Flugverhalten war unschwer zu erkennen, daß der Trupp in der Nähe landen wollte. Meine sofortige Nachsuche in der vermuteten Einfallrichtung war schnell erfolgreich. Zwischen nunmehr 113 Kiebitzen, welche auf einem Acker mit jungen Futterkohlpflanzen zwischen der neuen Kirchhainer Umgehungsstraße und der Main/Weserbahn standen, entdeckte ich den mir noch unbekannten Gast und bestimmte ihn nach folgenden Merkmalen als Steppenkiebitz: Kopfplatte bräunlich, vor und hinter den Augen je ein zügelförmiger dunkler Fleck. Auffällig war ein den Kopf völlig umfassender hellbräunlicher bis rahmfarbener Ring, horizontal verlaufend und etwas (nicht so tief wie bei Ch.morinellus) zum Nacken heruntergezogen (von hinten V- förmig wirkend). Der Schnabel war schwarz. Oberseite fahl graubraun, ziemlich uniform, und nur durch die helleren Ränder der Flügel-und Rückendecken unterbrochen. Das Schwarz der Handschwingen war selbst bei geschlossenem Flügel noch sichtbar. Die Brust aus seitlicher Sicht verwaschen hellbraun. Beim stehenden Vogel war der unter den Flügelspitzen herausragende distale Teil der Steuer- federn gut zu sehen. Die auffällig schwarze Subterminalbinde erstreckte sich vor allem auf das Zentrum der Schwanzfederenden, bezog aber auch die benachbarten Paare noch mit ein. Lediglich die äußeren waren bis zur Spitze rein weiß. Die Beinfarbe war dunkel bis schwarz. Beim fliegenden Vogel waren von oben gesehen die breiten, leuchtend reinweißen Binden in den Armschwingen und die schwarzen Handschwingen weithin zu sehen.

Der Vogel glich in der Färbung ziemlich genau dem in CRAMP et al. (1983) auf Tafel 21 abgebil- deten Altvogel im Winterkleid. Alle Autoren, welche im mir zur Verfügung stehenden Schrifttum über die Beobachtungen am Steppenkiebitz berichten (siehe Lit.), bezeugen eine auffällige Bindung an Kiebitze. Dies traf auch im vorliegenden Fall zu. Deshalb hier noch einmal die Anregung, Kiebitzschwärme aufmerksam auf Fremdarten zu überprüfen.

Meines Wissens handelt es sich hier um die zweite Feststellung in Hessen. Der erste (wohl unpublizierte) Nachweis dieses in den mittelasiatischen Steppen beheimateten Vogels erfolgte durch W. Kürschneram 12.04.1976 in der Gegend von Bruchköbel (Main-Kinzig-Kreis).

Die vorliegende Beobachtung wurde sowohl vom Hessischen als auch vom Bundesdeutschen Seltenheiten-Ausschuß anerkannt.

327 Literatur CRAMP, St. & K.E.L SIMMONS (1983): Handbook of the Birds of Europe the Middle East and North Africa. Volume Ill, Waders to Gulls. Oxford; S. 240-246.

HENNINGS, H. (1961): Steppenkiebitz (Chettusia gregaria) in der Pfalz. Orn. Mitt.13: 77. MERLI NG, K. (1975): Steppenkiebitz in der Niederlausitz. Der Falke 22: 210.

PEITZMEIER, J. (1969): Avifauna von Westfalen; Münster; S. 240. SENDLER, A. (1969): Steppenkiebitz (Chettusia gregaria) am Niederrhein. J.f.Orn. 110: 327-328.

WÜST, W. (1979): Avifauna Bavaria. Band I. München; S. 529. ZINGEL, G. (1963): Steppenkiebitz (Chettusia gregaria) an der Ruhr. Orn. Mitt.15: 253.

Anschrift des Verfassers: KARL KLIEBE, Eichgarten 1, 3550 Marburg-Moischt

Schwalben mit flugunfähig-machendem Gespinst im Gefieder

Unter den kranken und verletzten Tieren, die uns zur Pflege ins Haus gebracht wurden, befanden sich zwischen 1980 und 1982 auch einige Mehlschwalben sowie eine Rauch- schwalbe und ein Mauersegler, die ein feines Gespinst in den Flügeln hatten, das die Federn miteinander verband und die völlige Flugunfähigkeit bewirkte. Befreite man die Tiere von den leicht klebrig wirkenden Fäden, so flogen sie davon, als sei nichts gewesen.

Unsere damalige Rundfrage ergab einige Meldungen aus dem Mitarbeiterkreis, die auf die gleiche Erscheinung hinwiesen. Wir hatten sodann, neben Einzelfällen in den vergangenen Jahren, im Sommer 1986 wiederum eine Mehlschwalbe und eine Rauchschwalbe. In beiden Fällen waren Steuerfedern mit den äußeren Handschwingen eines Flügels so fest verbunden, daß dem Vogel mit nur einem freien Flügel jegliche Flug- und Steuerungsmöglichkeit genommen war. Da wir inzwischen für Dr. D. KOCK, vom Forschungsinstitut Senckenberg, Parasiten sammeln, haben wir ihm unsere Beobachtungen mitgeteilt und Teile des Gespinstes sowie im Gefieder gefundene Parasiten übergeben. Nach Meinung von Dr. KOCK handelt es sich um Spinn- milben, und er ist dabei, die Bestimmung durchzuführen und der Sache auf den Grund zu gehen. In diesem Zusammenhang wäre es wichtig zu wissen, ob an anderer Stelle gleiche Beobachtungen gemacht wurden. Diese Frage richten wir hiermit an alle Leser von „Vogel und Umwelt". 328 Abb. 1 „Bürzelpartie" einer Mehlschwalbe (Delichon urbica). Die erste Handschwinge des rechten Flügels ist durch ein Gespinst mit den Steuerfedern verbunden. (Aufnahme: OTTO DIEHL)

Zur Veranschaulichung ist ein Foto beigefügt, das die „Bürzel-Partie" einer Mehlschwalbe (Delichon urbica) zeigt. Die äußere Handschwinge des rechten Flügels ist durch mehrere Fäden ohne Spielraum ganz eng mit Steuerfedern verbunden. Ein so gefesselter Vogel flattert hilflos am Boden, er ermattet und geht ein,wenn er nicht rechtzeitig berfreit wird. Offensichtlich kann er sich nicht selbst des zähen Gespinstes entledigen. Unsere Rauchschwalbe aus dem Jahr 1986 war so stark abgekommen, daß sie erst nach Rotlichtbehandlung und Mehlwurm- fütterung normal abflog.

Mitteilungen erbitten wir an unsere Anschrift oder direkt an Dr. D. KOCK, Forschungsinstitut Senckenberg, Senckenberganlage 25, 6000 Frankfurt a. M. 1

Anschrift der Verfasser: DIRK und OTTO DIEHL, Dr. Diehl-Straße 9, 6113 Babenhausen-Langstadt 329 Neue Literatur

LORENZEN, H. (1987): Unser Dorfgrün -gestern und heute -.115 S.,120 Farb- u. 43 Schwarz- weißbilder, Verlag Busse u. Seewald, Herford.

Der tägliche Verlust an Elementen des alten Dorfgrüns wie Hausbaum, Dorflinde, Baumgarten, Obstbaumwiesen, Ruderalvegetation bedeutet Verlust von lebenden Kulturgütern, Verlust an Lebensraum für viele Pflanzen und Tiere sowie Verlust dorftypischen, individuellen, unver- wechselbaren Lebensraumes für uns Menschen. Das Buch soll dazu beitragen, das alte Dorfgrün erkennen, es wertschätzen, schützen und im Rahmen von Dorfplanungen weiter zu entwickeln. Allen, die mit Themen wie Dorfbiotopkartierung, Dorferneuerungsprogrammen und Arten- und Biotopschutzmaßnahmen im Siedlungsbereich befaßt sind, wird von Halke Lorenzen (Land- schaftsarchitekt) eine anschauliche Orientierungs- und Argumentationshilfe gegeben. A. HARBODT

FERGUSON-LEES, J. & I. WILLIS (1987): Vögel Mitteleuropas. - 352 S., 2130 farb. Zeichn., 285 Verbreitungskarten, BLV Verlagsgesellschaft München.

Das von E. BEZZEL übersetzte und bearbeitete sowie von J. REICHHOLF konzipierte neue Vogelbestimmungsbuch konzentriert sich auf Mitteleuropa, wobei Ausstrahlungen nach dem Südeuropäischen Raum als gegeben angesehen werden. Aufgenommen wurden 540 Brut- vögel, Durchzügler, Wintergäste und gelegentliche Gäste. Wesentlich ist, - und hier unter- scheidet sich dieses Bestimmungsbuch von anderen - daß die einzelnen Kleider der jewei- ligen Art farblich dargestellt werden. So können bis zu 14 Einzeldarstellungen zurVeranschau- lichung der Gefiederunterschiede einer Art herangezogen werden. Auch das Flugbild fehlt nicht. Diese detaillierte Behandlung der einzelnen Arten wird den Forderungen vieler Feldorni- thologen gerecht, die über die eigentliche Artbestimmung hinaus, auch mögliche Geschlechtssunterschiede, Altersstad ien und bestimmte Gefiederzustände festhalten wollen. Auch die den Arten beigefügte Verbreitungskarte konzentriert sich auf Mitteleuropa. Der jewei- lige Text gibt Auskunft über Gefieder, Stimme, Lebensraum (Habitat), Nest, Nahrung und Vorkommen. Die von IAN WILLIS angefertigten Bilder unterstreichen seinen internationalen Ruf als Tierillustrator, Text und Abbildung sind gut aufeinander abgestimmt. Die hier vorge- stellte „neue" Art der Vogelbestimmung wird bestimmt ihren Weg machen. W. KEIL

HOPPE, D. (1987): Sittiche und Papageien.-127 S., 49 Farbfotos, 21 Zeichn., (Ulmer Taschen- buch 25) Verlag Eugen Ulmer Stuttgart.

Papageien sind neben dem Kanarienvogel die häufigsten gefiederten Hausgenossen. Allen voran der Wellensittich. Daneben werden aber auch andere Arten wie der Graupapagei, die Kakaduarten und die Amazonen gerne gehalten. Es ist wichtig, daß der Vogelbesitzer ausrei- chende Kenntnisse über seinen Pflegling besitzt. Das vorliegende Büchlein will diesem Umstand Rechnung tragen. Der Autor beantwortet eine Vielzahl von Fragen. Nach einer Einfüh- rung in die Systematik der Papageien wird ausführlich unter der Überschrift „Papageien in Menschenhand" über Artenschutz, Kauf, Käfig, Futter, Eingewöhnung, Verhaltensweisen und vieles andere berichtet. Ein weiteres Kapitel behandelt die häufigsten Papageienarten. Vergessen sind auch nicht Hinweise auf Vereine, Zeitschriften und einschlägige Literatur. Ein Register beschließt den Band. Die beigefügten Farbfotos stellen die einzelnen Arten in all ihrer Pracht vor. Ein lesenswerter Ratgeber. W. KEIL 330 BERGMANN, H. H. (1987): Die Biologie des Vogels.-356 S.,171 Abb.,2 Farbtafeln, Aula Verlag Wiesbaden.

Das im Aula Verlag erschienene Buch versteht sich als eine „exemplarische Einführung in Bau, Funktion und Lebensweise" der Vögel. In 19 Kapiteln wird der Leser u. a. über Stammes- geschichte, Vogelfeder, Skelett, Flugapparat, Organe, Thermoregulation, Hormone, Vogelzug, innere Uhr, Sinnesorgane,Verhalten, akustische Signale, Nahrungserwerb, Öko-Ethologie und Polulationsbiologie unterrichtet.16 Seiten Literatur und ein Sachverzeichnis beschließen den Band. Das Buch vermittelt sowohl dem Anfänger wie dem Fortgeschrittenen eine Fülle von ornithologischem Grundwissen (didaktisch gut aufbereitet). Letztlich ist auch der Preis als sehr akzeptabel anzusehen. Ein rundum gelungenes Werk. W. KEIL

WAWRZYNIAK, H. & G. SOHNS (1986): Die Bartmeise, - Die Neue Brehm-Bücherei Nr. 553, 168 S., 79 Abb., 38 Tab., A. Ziemsen-Verlag Wittenberg-Lutherstadt, - Vertrieb in der Bundesrepublik, Österreich und der Schweiz: ESKABE GmbH Schönwitz & Co. KG 8222 Ruhpolding.

Die Bartmeise - bis vor 20 Jahren waren Sichtnachweise eine Seltenheit-gehört heute zu den regelmäßig nistenden aber nur sporadisch verbreiteten Vogelarten in Mitteleuropa. Eine Grundlage für die vorliegende Monographie erarbeiteten die Autoren im wesentlichen im Naturschutzgebiet „Rietzer See" im Bezirk Potsdam. In den dort vorhandenen großen Schilf- rohrfeldern hielten sie über viele Jahre eine Bartmeisenpopulation unter Kontrolle. Das Verbreitungsgebiet dieser Art zieht sich von Südengland und Frankreich im Westen bis über Südrußland und Zentralasien bis Ostasien. Die sehr detaillierte Darstellung, über Lebensraum, Morphologie, Brutbiologie, Verhalten, Nahrung, Mortalität, Schwarmbildung, Wanderungen, Alter, Beringung, Mauser und mögliche Schutzmaßnahmen vermittelt einen ausgezeichneten Einblick in das Leben dieser Vogelart. Die zusammengetragene und mitverwendete Literatur umfaßt 10 Druckseiten. Die gute Illustrierung durch Fotos, Zeichnungen und Grafiken runden den Band ab. Die Diskussion der Untersuchungsbefunde macht auch die Lücken deutlich und zeichnet so die Richtung zur weiteren Forschung der Bartmeise ab. W. KEIL

KLAUS, S,. H. H. BERGMANN u. a. (1986): Die Auerhühner.- Die Neue Brehm-Bücherei Nr.86, 276 S., 163 Abb., A. Ziemsen-Verlag Wittenberg-Lutherstadt. - Vertrieb in der Bundes- republik, Österreich und der Schweiz: ESKABE GmbH Schönwitz &Co. Kg 8222 Ruhpol- ding.

Das Auerhuhn gehört - wie auch die beiden anderen Rauhfußhuhnarten - zu den in ihrem Bestand alamierend rückläufigen Vögeln. Sie sind Sorgenkinder des Naturschutzes.An vielen Stellen ist das Auerhuhn bereits verschwunden oder aber durch die Verinselung der Rest- populationen vom Aussterben bedroht. Die Lebensräume sind durch anthropogene Eingriffe so stark geschrumpft oder verändert worden, daß Überlebenschancen in Mitteleuropa kaum noch gegeben sind. Die derzeit mit z.T.großem Aufwand und viel Idealismus in verschiedenen Mittelgebirgsregionen laufenden Bemühungen, das Auerhuhn durch Wiedereinbürgerungs- maßnahmen zu erhalten, werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht ausreichen, einen autochtonen Restbestand zu erhalten. Hierzu fehlen die notwendigen groß- flächig durchzuführenden Maßnahmen zur Biotoppflege und deren Verbesserung. Das von einem ganzen Team von Spezialisten gestaltete Brehm-Buch,welches einen ausgezeichneten Einblick in das Leben dieser Rauhfußhuhnarten gibt, macht die Probleme deutlich, die zur Erhaltung dieser Vögel in Angriff genommen und gelöst werden müssen. Jeder, der sich mit dem Auerhuhn befaßt (oder befassen will), sollte den vorliegenden Band eingehend studieren. W. KEIL 331 AECKERLEIN,W. (1986): Die Ernährung des Vogels.-130 S.,17Abb.,2Tab.,Verlag Eugen Ulmer Stuttgart. Der oft frühe Tod von Käfig- und Volierenvögeln wird in den meisten Fällen durch Fehler in der Ernährung verursacht. Oft ist es viel zu spät, bis sich der Halter entschließt,einen Tierarzt aufzu- suchen, um dem kranken Hausgenossen zu helfen. In jedem Falle ist vorbeugen besser als heilen. Es bedarf jedoch einiger Kenntnisse, um dem gekäftigten Vogel die richtige Diät zu geben. Diese ist von Vogelart zu Vogelart verschieden, ja selbst jahreszeitliche Varianten sind die Regel. Der Autor will mit vorliegendem Buch dem Vogelhalter helfen, Fehler bei der Ernäh- rung seinergefiederten Freunde zu vermeiden. Nach Darlegung von Anatomie und Physiologie werden die einzelnen Futterstoffe vorgestellt; es folgen der Stoffwechsel, die Ernährung in freier Natur und in Gefangenschaft, Anmerkungen zu den Futtermitteln und die Ernährung der am häufigsten gehaltenen Vogelarten. Im Anhang wird noch einmal das wesentlichste in Tabel- lenform zusammengestellt. Ein mehrseitiges Literaturverzeichnis und ein Register beschließen das Buch. Neben dem Vogelhalter und -züchter kann sich auch der Tierarzt den einen oder anderen Rat holen. W. KEIL

FEIGE, K. D. (1986): Der Pirol. - Die Neue Brehm-Bücherei Nr. 578, 216 S., 92 Abb., 24 Tab., A. Ziemsen-Verlag Wittenberg-Lutherstadt, -Vertrieb in der Bundesrepublik, Österreich und der Schweiz: ESKABE GmbH Schönwitz & Co.KG 8222 Ruhpolding.

Sein gelbschwarzes Gefieder und sein melodisches Rufen haben sicherzur Popularität dieser Vogelart viel beigetragen. Ihn zu beobachten bedarf dagegen einiger Erfahrung. Sein Lebens- raum - der Baumkronenbereich alter Laubbaumbestände, Streuobstanlagen, Parks und Ufer- gehölze - machen seine versteckte Lebensweise deutlich. Er war der Charaktervogel unserer Auwälder. Leider ist sein Bestand stark rückläufig, so daß der Pirolruf heute nicht mehr die Gesangesvielfalt unserer Talauen wesentlich bereichert. Die jetzt in der Neuen-Brehm- Bücherei erschienene Monographie gibt einen ausgezeichneten Einblick in die Lebensweise dieser Vogelart. Ein 120 km2 großes Gebiet Mecklenburgs bildet der Grundstock für die vorlie- genden Ausführungen. So wird der Leser über Systematik, Beschreibung,Verbreitung, Namen, Lebensraum, Ökologie, Lautäußerungen, Fortpflanzung, Dispersion, Verhalten, Zug, Mauser, Fang und Beringung unterrichtet. Ein 15 seitiges Literaturverzeichnis, ein Register sowie eine Anzahl Fotos,Grafiken und Tabellen ergänzen den Text. Dererschreckende Bestandsrückgang der Pirolpopulation zwingt dazu, mehr über die ökologischen Ansprüche zu erfahren, damit nach Möglichkeiten Ausschau gehalten werden kann, wie der Populationsschwund zu stoppen und zu stabilisieren ist. W. KEIL

332 Band 4, Heft 6: 333-376 Zeitschrift Wiesbaden, Dezember 1987 fürVogelkunde und Naturschutz in Hessen

ISSN 0173-0266

Herausgeber: Die Hessische Ministerin für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz - Oberste Naturschutzbehörde - Inhaltsverzeichnis

Berichte: Seite

STAATLICHE VOGELSCHUTZWARTE FÜR HESSEN, RHEINLAND-PFALZ UND SAARLAND & HESSISCHE GESELLSCHAFT FÜR ORNITHOLOGIE UND NATUR- SCHUTZ EM: Rote Liste der bestandsgefährdeten Vogelarten in Hessen.-7. Fassung, Stand 1. Januar 1988 335

J. H. REICH HOLF: Vogelschutz: die Bringschuld der Wissenschaft 345

Kleine Mitteilungen:

K. FIEDLER & K. MÖBUS: Bemerkenswerte Brutzeitbeobachtungen in Hessen 1987 353

0. JOST: Brutökologische Besonderheiten bei Baumfalke (Falco subbuteo), Eichel- häher (Garrulus glandarius) und Kuckuck (Cuculus canorus) 1986 im Land- kreis Fulda 361

Aus der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland:

R. ROSSBACH: 50Jahre Vogelschutzwarte Frankfurt-Bericht überdieJubiläumsfeier im Römer zu Frankfurt am Main 363

W. KEIL: Zur Bejagung von Krähenvogelarten -Stellungnahme der StaatI.Vogelschutz- warte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland anläßlich der Anhörung im Landtag von Rheinland-Pfalz am 26. November 1987 367

Neue Literatur: 362, 371-376

Pressemitteilung: Naturschutzverbände klagen gegen die Freigabe von Rabenvögeln zum Abschuß 370

334 Zeitschrift fürVogelkunde und Naturschutz in Hessen • Vogel und Umwelt 4: 335-344 (1987)

Rote Liste der bestandsgefährdeten Vogelarten in Hessen - 7. Fassung, Stand 1. Januar 1988 herausgegeben von: STAATLICHE VOGELSCHUTZWARTE FÜR HESSEN, RHEINLAND- PFALZ UND SAARLAND & HESSISCHE GESELLSCHAFT FÜR ORNITHOLOGIE UND NATURSCHUTZ E.V., Frankfurt am Main

Vorwort der Herausgeber Seit die International Union for Conservation of Nature (IUCN) erstmals 1966 ein „Bird Red Data Book" für besonders gefährdete Vogelarten veröffentlichte, versuchen nationale Institute und Organisationen gleicher Arbeitsrichtung die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf den Artenschwund im Tier- und Pflanzenreich zu lenken, ausschließlich verursacht durch menschliche Eingriffe vor allem in die Lebensstätten. Der Erfolg war bisher gering. Die „Roten Listen" erscheinen in immer kürzeren Abständen und werden länger. Wir müssen daher erneut und lautstark fordern: - mehr Naturschutzgebiete zum Überleben des Artengefüges; - mehr extensiv bewirtschaftetes Umfeld zur Vernetzung dieser Rückzugsareale. Dank der Agrarkrise der EG besteht z.Zt. erstmals die Möglichkeit, im Konsens mit der Land- wirtschaft mittelfristig auf großer Fläche Naturschutz zu betreiben. Einzige Voraussetzung ist, daß der Staat einen bescheidenen Teil der seitherigen Agrarsubventionen an die Landwirte als Entgelt für eine naturschutzgerechte Landespflege umleitet.

1. Hinweise zum Gebrauch der Roten Liste Die Rote Liste berücksichtigt nur Vogelarten, die nach dem Jahr 1900 als Wildtiere in unserem Land gebrütet haben. Eingebürgerte Arten oder Gefangenschaftsflüchtlinge werden nicht berücksichtigt, ebensowenig Durchzügler und Gäste. Aus Gründen der Vergleichbarkeit orientiert sich diese hessische Rote Liste im Aufbau und in den Definitionen der Gefährdungskategorien an der „Roten Liste der in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) gefährdeten Vogelarten" (6. Fassung, DDA und DS/IRV 1987). Wo es notwendig erschien, wurden die Kriterien der einzelnen Gefährdungskategorien auf die hessischen Verhältnisse zugeschnitten. Gefährdungskategorien: 0 Ausgestorbene oder ausgerottete Arten 1 Vom Aussterben oder von der Ausrottung bedrohte Arten 2 Stark bedrohte Arten 3 Bedrohte Arten 4 Potentiell bedrohte Arten 5 Vermehrungsgäste Bestandszahlen, Orts- und Jahresangaben geben den letzten Stand unseres Wissens wieder. Die Reihenfolge der Arten und die Nomenklatur entsprechen dem „Verzeichnis der Vögel Hessens -Kommentierte Artenliste als Prodromus einer Avifauna von Hessen"von BEHRENS, FIEDLER, KLAMBERG & MÖBUS (1985). 335 2. Rote Liste der bestandsgefährdeten Vogelarten in Hessen

Kategorie 0: Ausgestorbene oder ausgerottete Arten

Kriterium: Arten, die nach dem Jahr1900 in Hessen Brutvögel waren, aber seit mindestens10 Jahren nicht mehr hier brüten bzw. verschollen sind.

Bei einem möglichen Wiederauftreten muß diesen Arten größtmöglicher Schutz gewährt werden.

Fünf Arten sind seit 1900 in Hessen ausgestorben oder wurden ausgerottet:

Art letztes Brutjahr Ort

Fischadler ca. 1910 Unteres Edertal Kornweihe 1935 Griesheim (Kreis Darmstadt-Dieburg) Sumpfohreule 1971 Heppenheim (Kreis Bergstraße)

Blauracke 1918 Vogelsbergkreis

Schwarzstirnwürger 1973 Heppenheim (Kreis Bergstraße)

Kategorie 1: Vom Aussterben oder von der Ausrottung bedrohte Arten

Kriterien: (mindestens eines der folgenden Kriterien muß erfüllt sein)

(1) Arten, die nachhaltig auf einen kleinen Bestand zurückgegangen sind oder deren Abnahme im größten Teil Hessens extrem hoch ist. (2) Arten mit sehr wenigen Brutplätzen in rückläufiger Tendenz.

(3) Arten, die in Hessen ausgestorben oder ausgerottet waren und nach konsequentem Schutz Hessen wiederbesiedelt haben.

Vom Aussterben oder von der Ausrottung bedrohten Arten muß ebenfalls größtmöglicher Schutz gewährt werden. Ihr Überleben in Hessen ist akut gefährdet, wenn die verursachenden Faktoren weiterhin einwirken bzw. wenn keine Schutzmaßnahmen unternommen werden.

336 37 Arten sind in Hessen vom Aussterben oder von der Ausrottung bedroht:

Art Zahl der Brutpaare Erfüllte Kriterien

Schwarzhalstaucher 1 - 5 Kormoran ca. 20 (1987) 3 Zwergdommel nicht mehr alljährlicher Brutvogel 1, 2 Weißstorch 1 -3 1, 2 Schwarzstorch ca. 5 (1987) 3 Schnatterente nicht alljährlicher Randbrüter 2 Krickente 5-10 2 Spießente 1-2 3 Knäkente 5-10 1, 2 Löffelente 5-10 1, 2 Tafelente ca. 5 2 Rohrweihe 20-30 1, 2 Wiesenweihe 1 - 3 2, 3 Wanderfalke 4-6 1, 2 Haselhuhn 10-30 Individuen 1, 2 Birkhuhn nicht mehr alljährlicher Brutvogel 1, 2 Auerhuhn 5 -10 Individuen 1, 2 Tüpfelralle 20- 50 1, 2 Kleinralle nicht mehr alljährlicher Brutvogel 2 Wachtelkönig 10 - 20 1 Uferschnepfe 1 - 4 2 Großer Brachvogel 40- 45 2 Flußuferläufer 5-10 1 Uhu ca. 8 (1987) 3 Wiedehopf 1-3 1, 2 Brachpieper 5-30 1, 2 (starke jahrweise Schwankungen) Rotkopfwürger nicht mehr alljährlicher Brutvogel 1, 2 Raubwürger 50- 80 1 Schilfrohrsänger 3 - 5 1, 2 Drosselrohrsänger 5-10 1, 2 Halsbandschnäpper nicht alljährlicher Randbrüter 2 Schwarzkehlchen 40- 60 1 Blaukehlchen ca. 50 1, 2 Zaunammer nicht mehr alljährlicher Brutvogel 2, 3 Ortolan nicht mehr alljährlicher Brutvogel 2 Zippammer ca. 40 (1987) 2 Kolkrabe ca. 5 (1987)

337 Kategorie 2: Stark bedrohte Arten

Kriterien: (mindestens eines der folgenden Kriterien muß erfüllt sein) (1) Arten, die nahezu im gesamten einheimischen Verbreitungsgebiet deutlich zurück- gehen. (2) Arten, die regional bereits ausgestorben sind. (3) Arten, die nur noch regional konzentriert vorkommen.

20 Arten sind in Hessen stark bedroht:

Art Zahl der Brutpaare Erfüllte Kriterien

Zwergtaucher 50 - 100 1, 2 Baumfalke 50 - 100 1 Rebhuhn *** 1 Wachtel 200 -1000 1 (starke jahrweise Schwankungen) Wasserralle ca. 50 (1987) 1, 2 Bekassine 200-300 1, 2 Steinkauz 300 - 320 2, 3 Ziegenmelker 50-100 1, 2, 3 Eisvogel 20 - 80 1 (starke jahrweise Schwankungen) Wendehals *** 1 Grünspecht ca. 200 1 Mittelspecht 300 - 500 1, 2 Heidelerche 100-200 1 Haubenlerche 200 - 300 1, 2, 3 Schafstelze 200- 400 1 Braunkehlchen 500 - 800 1, 3 Steinschmätzer ca. 150 1, 2 Grauammer 100 - 200 1, 2, 3 Dohle ca. 300 1 Saatkrähe ca. 300 2, 3

***= Bestandserhebungen noch nicht abgeschlossen.

338 Kategorie 3: Bedrohte Arten

Kriterien: (mindestens eines der folgenden Kriterien muß erfüllt sein) (1) Arten, die in mehreren Teilen ihres einheimischen Verbreitungsgebietes zurückgehen. (2) Arten mit großen Lebensraumverlusten und erkennbarem Rückgang, dessen Ausmaß aber aufgrund schwieriger Erfassung noch nicht genau festgestellt werden konnte. (3) Arten, die in der Bundesrepublik Deutschland bedroht sind; in Hessen brütet die Art noch recht verbreitet, so daß das Land Hessen dafür eine besondere Verantwortung trägt.

21 Arten sind in Hessen bedroht:

Art Zahl der Brutpaare Erfüllte Kriterien

Wespenbussard 200 - 500 1, 2 (starke jahrweise Schwankungen) Schwarzmilan 180 - 200 3 Rotmilan 400 - 600 3 Habicht 600 -800 3 Flußregenpfeifer ca. 160 2 Schleiereule 100 -300 1, 2 (starke jahrweise Schwankungen) Kiebitz 1500 - 2000 1, 2 Waldschnepfe 500 -1000 2 Hohltaube ca. 1000 3 Kuckuck *** 1 Grauspecht *** 1 Kleinspecht ca. 1000 1 Uferschwalbe ca. 3000 1 Wiesenpieper ca. 1000 1, 2 Neuntöter ca. 2500 1, 3 Wasseramsel ca. 1000 3 Teichrohrsänger *** 1, 2 Gelbspötter *** 1 Grauschnäpper *** 1, 2 Gartenrotschwanz *** 1, 2 Pirol 1000 - 1500 1

***= Bestandserhebungen noch nicht abgeschlossen.

339 Kategorie 4: Potentiell bedrohte Arten

Kriterien: (mindestens eines der folgenden Kriterien muß erfüllt sein) (1) Arten mit kleinen Populationen oder Randbrüter, sofern sie nicht aufgrund ihrer akuten Bedrohung zu den Kategorien 1 bis 3 zählen. (2) Arten, die akut bedroht waren und dank konsequenter Schutzmaßnahmen wieder deutlich zugenommen haben.

14 Arten sind in Hessen potentiell bedroht:

Art Zahl der Brutpaare Erfüllte Kriterien

Haubentaucher 130 - 150 2 Graureiher 410 - 490 2 Purpurreiher nicht alljährlich 1-3 1 Nachtreiher nicht alljährlich 1-5 1 Reiherente ca. 60 (1987) 1, 2 Sperber ca. 500 2 Rauhfußkauz 150 -200 1 Sperlingskauz Bestandsgröße noch unbekannt 1 Rohrschwirl nicht alljährlich 1-2 1 Schlagschwirl nicht alljährlich 1- 5 1 Ringdrossel nicht alljährlich 1-2 1 Beutelmeise ca. 50 (1987) 1, 2 Birkenzeisig 50 -100 1 Tannenhäher 100 -200 1

Kategorie 5: Vermehrungsgäste

Kriterium: Arten, deren geschlossenes Brutgebiet Hessen nicht berührt, die aber ausnahmsweise hier brüten.

Fünf Arten sind in Hessen Vermehrungsgäste:

Art letztes Brutjahr Ort

Schellente 1985 Twistesee (Kreis Waldeck-Frankenberg)

Stelzenläufer 1975 Waberner Senke (Schwalm-Eder-Kreis)

Lachmöwe 1987 Groß-Gerau Bienenfresser 1973 Dutenhofen (Lahn-Dill-Kreis)

Wasserpieper 1983 Hoher Meißner (Werra-Meißner-Kreis)

340 3. Erläuterungen zur 7. Fassung der Roten Liste der bestandsgefährdeten Vogelarten in Hessen

Die letzte Rote Liste der bestandsgefährdeten Vogelarten in Hessen wurde am 15. Mai 1980 veröffentlicht. Sie enthielt 84 Brutvogelarten. Seither ist vieles geschehen: unser Wissen über Gefährdungsgrad und Gefährdungsursachen hat sich erheblich erweitert. Dafür ist u.a. die Grundlagenarbeit „Gefährdete Brutvogelarten in der Bundesrepublik Deutschland und im Land Berlin" von S. BAUER und G. THIELCKE (1982) maßgebend. Auf Basis dieser Arbeit entstand die 6. Fassung der „Roten Liste der in der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin (West) gefährdeten Vogelarten", die uns in vielen Punkten als Vorbild diente. So wird beispiels- weise der Status etlicher Arten mit kleinen Vorkommen am Rande ihres Verbreitungsgebietes auch in Hessen kritischer eingestuft als noch vor sieben Jahren. Entscheidend für die Neufassung der Roten Liste der bestandgefährdeten Vogelarten in Hessen ist jedoch die Tatsache, daß sich die Situation vieler Vogelarten inzwischen drama- tisch verschlechtert hat. Die neue Rote Liste enthält 102 Vogelarten - das entspricht einem Zuwachs von über 20%. Damit sind heute knapp 60 0/0 aller Vogelarten, die nach 1900 in unserem Land gebrütet haben, bestandsgefährdet oder ausgestorben!

Schlüsselt man die negative Bilanz - einen Zuwachs von 18 Arten gegenüber der letzten Fassung der Roten Liste - einmal auf, so ergibt sich, daß u. a.: - 12 Arten neu aufgenommen werden mußten, weil sich ihre Bestandssituation in den letzten Jahren drastisch verschlechtert hat (Rebhuhn, Kiebitz, Kuckuck, Grünspecht, Grauspecht, Haubenlerche, Teichrohrsänger, Gelbspötter, Grauschnäpper, Gartenrotschwanz, Pirol, Dohle); - vier Arten neu aufgenommen wurden, weil sie erst nach 1980 als Brutvögel in Hessen entdeckt wurden (Spießente, Schellente, Sperlingskauz, Wasserpieper); - zwei Arten neu aufgenommen wurden, weil sie in kleinen Populationen in Hessen leben und ihre Gefährdung früher nicht genügend bekannt war (Halsbandschnäpper, Tannenhäher). Dem stehen nur zwei Arten gegenüber, die aus der Roten Liste gestrichen wurden, weil sie aufgrund neueren Wissens nicht mehr als gefährdet gelten (Turteltaube und Gebirgsstelze). Wie kritisch sich die Situation der hessischen Brutvögel seit 1980 entwickelt hat, wird u. a. an der Tatsache deutlich, daß 37 Arten - knapp 22 % aller hessischen Brutvögel - in der höchsten Gefährdungskategorie „vom Aussterben oder von der Ausrottung bedroht" stehen! Einige dieser Arten sind de facto bereits ausgestorben; allen voran ist hier das Birkhuhn zu nennen, das letztmals 1979 in Hessen gebrütet hat. Lediglich die selbstauferlegte Wartefrist von 10 Jahren nach dem letzten Brutvorkommen hindert uns daran, diese Arten in der Kategorie 0 „Ausgestorbene oder ausgerottete Arten" zu führen.

Die 102 bestandsgefährdeten Vogelarten verteilen sich auf folgende Haupt-Lebensraum- typen: - 35 Arten bewohnen offenes Kulturland (Wiesen, Felder, Streuobstgebiete, Weinberge); - 32 Arten leben an Gewässern, in Sümpfen und in Mooren; - 20 Arten sind an Wälder gebunden, davon allein 18 Arten an Laubwald bzw. Laubmischwald; - 6 Arten bewohnen Brach- und Ödland sowie Abbaugebiete; - 5 Arten leben in Gärten und menschlichen Siedlungen; - 4 Arten sind Bewohner von Felsen und feuchten Bergmatten. 341 Während 1980 noch die Bewohner von Gewässern, Sümpfen und Mooren überwogen, sind es also heute jene Vogelarten, die eigentlich als klassische „Kulturfolger" gelten. Doch die inten- sive Landwirtschaft, insbesondere der Umbruch von Wiesen in Ackerland, wirkt sich verhee- rend auf ihren Bestand aus. So muß schon jetzt befürchtet werden, daß diese 7. Fassung der Roten Liste einer baldigen Neubearbeitung bedarf. Die hessischen Ornithologen stellen bei weiteren Arten Bestandsrückgänge fest, die bei Andauern eine Einstufung als „bestandsge- fährdete Arten" notwendig machen. Darunter befinden sich etliche, die man gemeinhin zu den „Allerweltsarten" rechnet - beispielsweise Feldlerche und Feldsperling. Andere Arten sind extrem von menschlichen Entscheidungen abhängig - beispielsweise der Schwarzspecht, der sofort akut gefährdet würde, wenn die Umtriebszeit der Buche verkürzt werden sollte. Dieser negativen Bilanz stehen nur wenige positive Veränderungen gegenüber. Sie verdeut- lichen jedoch, daß sich konsequenter Schutz der Lebensräume, Neuschaffung von Biotopen und Verbot der Bejagung auszahlen. So können wir heute feststellen, daß vier Arten, die noch 1980 als ausgestorben galten, in kleinen Beständen wieder in Hessen brüten (Schwarzhals- taucher, Kormoran, Schwarzstorch und Kolkrabe). Weitere vier Arten haben sich seit 1980 so weit erholt, daß sie heute nicht mehr akut bestandsgefährdet sind (Haubentaucher, Grau- reiher, Sperber und Hohltaube). Von fünf Arten der Roten Liste können wir sagen, daß ihre Bestandssituation in Hessen weniger kritisch als im größten Teil des Bundesgebietes ist (Habicht, Schwarzmilan, Rotmilan, Neuntöter und Wasseramsel). Die drei erstgenannten sind Waldbrüter, die in erster Linie aufgrund des hohen Waldanteils in Hessen noch über relativ stabile Bestände verfügen. Dem Neuntöter kommt der Heckenschutz zugute, während der Wasseramsel der Bau von Kläranlagen und das überwiegend von privaten Vogelschutz- gruppen durchgeführte Anbringen von Nisthilfen genützt hat. Für sechs Arten wird daher erstmals in der Roten Liste als Kriterium die Verantwortung genannt, die das Land Hessen für den Bestand von bundesweit, teilweise europaweit gefähr- deten Vogelarten besitzt.

4. Bearbeiter Die 7. Fassung der Roten Liste der bestandsgefährdeten Vogelarten in Hessen wurde von H.-J. KRIEG, K. FIEDLER und K. MÖBUS im Auftrag der STAATLICHEN VOGELSCHUTZ- WARTE FÜR HESSEN, RHEINLAND-PFALZ UND SAARLAND und der HESSISCHEN GESELLSCHAFT FÜR ORNITHOLOGIE UND NATURSCHUTZ E.V. bearbeitet. Das zugrunde- liegende Datenmaterial stellten die Arbeitsgruppe „Avifauna Hessen", die Artbearbeiter der neuen „Avifauna von Hessen" und die Arbeitskreise der Hessischen Gesellschaft für Ornitho- logie und Naturschutz zur Verfügung.

5. Literatur BAUER, SAG.TH IELCKE (1982): Gefährdete Brutvogelarten in der Bundesrepublik Deutsch- land und im Lande Berlin. Die Vogelwarte 31: 183 - 391. BEHRENS, H., K. FIEDLER, H. KLAMBERG & K. MÖBUS (1985): Verzeichnis der Vögel Hessens. Frankfurt am Main. DACHVERBAND DEUTSCHER AVIFAUNISTEN und DEUTSCHE SEKTION DES INTER- NATIONALEN RATES FÜR VOGELSCHUTZ (1987): Rote Liste der in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) gefährdeten Vogel- arten (6. Fassung) Ber. Dtsch. Sekt. Int. Rat Vogelschutz 26: 17- 26. STAATLICHE VOGELSCHUTZWARTE FÜR HESSEN, RHEINLAND-PFALZ UND SAARLAND (1980): Rote Liste der bestandsgefährdeten Vögel in Hessen (6. Fassung). Frankfurt am Main. 342 6. Bezugsadressen

Die 7. Fassung der Roten Liste der bestandsgefährdeten Vogelarten in Hessen kann bezogen werden durch: Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz e.V., Schneckenhofstraße 35, 6000 Frankfurt am Main 70 Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland, Steinauer Straße 44, 6000 Frankfurt am Main 61

343 7. Inhaltsverzeichnis (alphabetisch) Bestandsgefährdete Vogelarten in Hessen: Art Gefährdungskategorie Art Gefährdungskategorie Auerhuhn 1 Rebhuhn 2 Baumfalke 2 Reiherente 4 Bekassine 2 Ringdrossel 4 Beutelmeise 4 Rohrschwirl 4 Bienenfresser 5 Rohrweihe 1 Birkenzeisig 4 Rotkopfwürger 1 Birkhuhn 1 Rotmilan 3 Blaukehlchen 1 Saatkrähe 2 Blauracke 0 Schafstelze 2 Brachpieper 1 Schellente 5 Braunkehlchen 2 Schilfrohrsänger 1 Dohle 2 Schlagschwirl 4 Drosselrohrsänger 1 Schleiereule 3 Eisvogel 2 Schnatterente 1 Fischadler 0 Schwarzhalstaucher 1 Flußregenpfeifer 3 Schwarzkehlchen 1 Flußuferläufer 1 Schwarzmilan 3 Gartenrotschwanz 3 Schwarzstirnwürger 0 Gelbspötter 3 Schwarzstorch 1 Grauammer 2 Sperber 3 Graureiher 4 Sperlingskauz 4 Grauschnäpper 3 Spießente 1 Grauspecht 3 Steinkauz 2 Großer Brachvogel 1 Steinschmätzer 2 Grünspecht 2 Stelzenläufer 5 Habicht 3 Sumpfohreule 0 Halsbandschnäpper 1 Tafelente 1 Haselhuhn 1 Tannenhäher 4 Haubenlerche 2 Teichrohrsänger 3 Haubentaucher 4 Tüpfelralle 1 Heidelerche 2 Uferschnepfe 1 Hohltaube 3 Uferschwalbe 3 Kiebitz 3 Uhu 1 Kleinralle 1 Wachtel 2 Kleinspecht 3 Wachtelkönig 1 Knäkente 1 Waldschnepfe 3 Kolkrabe 1 Wanderfalke 1 Kormoran 1 Wasseramsel 3 Kornweihe 0 Wasserpieper 5 Krickente 1 Wasserralle 2 Kuckuck 3 Weißstorch 1 Lachmöwe 5 Wendehals 2 Löffelente 1 Wespenbussard 3 Mittelspecht 2 Wiedehopf 1 Nachtreiher 4 Wiesenpieper 3 Neuntöter 3 Wiesenweihe 1 Ortolan 1 Zaunammer 1 Pirol 3 Ziegenmelker 2 Purpurreiher 4 Zippammer 1 Raubwürger 1 Zwergdommel 1 Rauhfußkauz 4 Zwergtaucher 2 344 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen • Vogel und Umwelt 4: 345-352 (1987)

Vogelschutz: die Bringschuld der Wissenschaft von JOSEF H. REICHHOLF, Munchen')

1. Vorbemerkung

Würde es nicht bedeuten, Eulen nach Athen zu tragen oder „Vögel an die Vogelschutzwarte", wenn ich den Versuch machte, zur 50-Jahrfeier eine Leistungsbilanz der Staatlichen Vogel- schutzwarte zu ziehen? Zum hervorragenden fachlichen Ruf, den diese Institution im In- und Ausland längst genießt, könnte ich damit wohl kaum etwas beisteuern. Denn in richtungswei- sender Art und Weise hat die Staatliche Vogelschutzwarte im vergangenen halben Jahrhun- dert die Entwicklung des Vogelschutzes in Mitteleuropa beeinflußt und mitbestimmt! Der moderne Vogelschutz im deutschsprachigen Raum nahm ja von hier aus seinen eigentlichen Anfang, und er blieb an vorderster Front in der Entwicklung des Naturschutzes mit ungebro- chenem Elan und imponierender Dynamik. Die Leistungsbilanz fällt natürlich sehr gut aus, welcher Maßstab auch herangezogen werden mag. Das gibt An laß zu Freude, insbesondere wenn es gilt, das „halbe Jahrhundert" zu feiern, aber das ist nicht das Problem.

Die eigentliche Problematik liegt in den Anforderungen, die unsere Zeit an die Vogelschutz- warten richtet. Und diese Anforderungen haben sich im Gefolge der Entwicklungen in der modernen Kulturlandschaft ganz entschieden und nachhaltig im Vergleich zu den vergan- genen Jahrzehnten gewandelt. Heute geht es längst nicht mehr darum, das Anliegen des Vogelschutzes in die Bevölkerung zu tragen -auch wenn, wie in derjüngsten „Diskussion" um den Schutz der Rabenvögel, atavistisch anmutende Rückschläge gelegentlich einmal vorkommen -, sondern um Probleme und Phänomene ganz anderer Größenordnungen.

Wir stehen als Vogelschützer und Naturfreundevordem geradezu paradoxen Befund, da13 trotz des großen Interesses der Bevölkerung, trotz der massiven Bemühungen des Vogelschutzes und trotz der ungleich besseren gesetzlichen Grundlagen und Möglichkeiten die Gefährdung der Vogelwelt nicht zurückgeht, sondern zunimmt. Oder, noch deutlicher: Die Zahl der Natur- schutzgebiete ist seit den 30er Jahren fast exponentiell angestiegen, aber auch, fast parallel dazu, die Zahl der Vogelarten, die auf die „Rote Liste" gesetzt werden mußten.

Sind also all die Bemühungen, all die Arbeit für den Vogelschutz umsonst gewesen? Woran liegt es, daß entgegen der Erfolgsbilanz, die der Vogelschutz intern aufweist, nach außen für die Vögel selbst so wenig herausgekommen ist? Damit bin ich beim Kernproblem angelangt, beim Problem der „kritischen Größen", der „kritischen Eckwerte" für den Vogelschutz und, untrennbar damit verbunden, bei der „Bringschuld der Wissenschaft".

*) Festvortrag anläßlich der Feier „50 Jahre Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland- Pfalz und Saarland" am 24. September 1987 im Kaisersaal des Römers in Frankfurt am Main 345 2. Kritische Größen von Vogelschutzgebieten

Betrachtet man die Brutvögel Mitteleuropas (Abb. 1), so steigt die Artenzahl mit zunehmender Flächengröße in erstaunlich präziser Weise an. Der Anstieg läßt sich mit der „Arten-Areal- Beziehung" recht genau beschreiben:

S = 42 • g14

Dabei bedeuten S die Zahl der Brutvogelarten und A die Flächengröße in km2. Der Anstieg wird ab etwa 10 km2 Flächengröße linear (bei doppelt-logarithmischer Darstellung). Was bedeutet dieser Formalismus? Er gibt an, daß (1) auf dem mitteleuropäischen Durchschnittsquadratkilometer 42 Vogelarten brüten und daß (2) für jede beliebige Flächengröße (A) ein Erwartungswert an Brutvögeln errechnet werden kann, der sich mit dem tatsächlichen Befund für dieses Gebiet vergleichen läßt. Ist der Befund deutlich größer als die Erwartung, handelt es sich um ein artenreiches (und damit unter Umständen besonders schützenswertes) Gebiet - und umgekehrt. Die Kurve zeigt aber auch, daß ab einer kritischen Grenzgröße, die bei 80 Hektar liegt, die tatsächliche Mittelwertskurve stark abzufallen beginnt und sehrviel schneller gegen Null geht, als die Fortsetzung der Geraden, die erheblich höhere Werte für kleine Flächen bedeuten würde. Dies heißt, daß in (zu) kleinen Gebieten der Artenbestand überproportional stark abfällt. Schutzgebiete, die diese kritische Grenze unterschreiten, sind zu klein, um einen reprä- sentativen Artenbestand halten zu können, zumal wenn sie entsprechend isoliert liegen.

Je nach Art des Lebensraumes, ob Wald, Hochmoor oder Gewässer, gibt es also im Bereich zwischen etwa 80 Hektar und 10 Quadratkilometer eine kritische Größengrenze, bei der ein starker Artenverlust auch dann eintritt, wenn die Fläche wirkungsvoll geschützt ist.

103-

S = 42,8 A014 2 10 -

1 0 -

A 0,1 3 5 10 10 10 km2 Abb. 1 Die Arten-Areal-Beziehung für Brutvögel in Mitteleuropa (aus REICHHOLF 1980). S =Artenzahl; A= Flächengröße. G = Kritische Grenzflächengröße mit Beginn des starken Abfalles der Artenzahlen. Ü = Übergang in ein neues Faunengebiet.

346 3. Kritische Distanzen

Dieser Artenverlust bei Verminderung der Biotopflächengröße verläuft umso rapider,je stärker isoliert die Fläche von Lebensräumen ähnlicher oder gleicher Art ist. Das Phänomen ist aus der Biogeographie der Inseln bekannt und vor 20 Jahren entdeckt worden. Man bezeichnet es als die „Verinselung", und sie wird insbesondere in der modernen Kulturlandschaft immer stärker wirksam, weil die Intensivnutzung die noch vorhandenen naturnahen Lebensräume immer massiver voneinander trennt.

Spielt diese Verinselung, das ist eine der Kernfragen, auch bei den Vögeln eine Rolle? Eigent- lich sollte ihr Einfluß gering sein, so möchte man annehmen, weil doch die Vögel so gut fliegen können und problemlos von einem passenden Biotop zum anderen wechseln können.

BP 60 -

Wasservögel 50 -

40 -

30 -

20 -

10 -

bis 10 100 1000 km Distanz

Abb. 2 Beziehung zwischen Größe des Brutvorkommens (BP) und Entfernung zu den nächsten Brutvorkommen der betreffenden Arten in Mitteleuropa. Bezug: Wasser- vogelbrutgebiet Unterer Inn. Säulen mit Standardabweichungen (aus REICHHOLF 1984). 347 Die Untersuchung der mit am besten flugfähigen Vogelgruppe, nämlich der Wasservögel, zeigt aber, daß tatsächlich solche „Inseleffekte" bei uns an mitteleuropäischen Binnengewässern eine wichtige Rolle spielen. Denn sowohl die mittlere Größe des Brutbestandes der einzelnen Arten (Abb. 2) hängt von der Entfernung zu den nächsten Brutvorkommen ab, als auch die Konstanz des Brütens im Verlauf einer längeren Zeitspanne (Abb.3). Die kritische Distanz liegt ungefähr bei 100 km; was eine für die so gut flugfähigen Wasservögel vergleichsweise über- raschend geringe Entfernung darstellt. Wenn nun aber schon bei den Wasservögeln kritische Distanzen auftreten, um wieviel stärker müßten sie dann bei den weniger gut flugfähigen Arten sich bemerkbar machen?

Einzelbruten

% Konstanz

100 - 10

80 - - 8

60 - - 6

40 - - 4 20 - . r • 2 10 100 1000 km Distanz Abb. 3 Abhängigkeit der Konstanz der Brutvorkommen der Wasservogelarten am unteren Inn von der Entfernung zu den nächstliegenden Brutvorkommen der betreffenden Arten (leere Säulen: Konstanz in Prozent jährlicher Brutvorkommen in einer 10-Jahres- Periode). Die schwarzen Säulen zeigen die Zunahme der Anzahl von Arten mit Einzel- brutvorkommen im Untersuchungszeitraum (10 Jahre) (aus REICHHOLF 1984).

348 4. Fragmentierung und Vernetzung

Erste Hinweise auf diese Problematik ergaben sich für unseren mitteleuropäischen Raum aus Untersuchungen in den Auwäldern am unteren Inn, an denen auch ein hessischer Ornithologe, KARL-HEINZ SCHAACK, beteiligt war. Zwei Auwälder gleicher Flächengröße am Wasser- vogelschutzgebiet und Europareservat Unterer Inn wurden miteinander verglichen: der eine Auwald geschlossen, der andere stark fragmentiert. Obwohl beide unmittelbar an- einander grenzen, ergab sich für den fragmentierten Auwald ein Artenverlust von 140/0 (Abb. 4) und nahezu eine Verdoppelung der Fluktuationsrate der häufigen und typischen Singvogel- arten. Das bedeutet, daß der fragmentierte Auwald nicht nur direkt Arten verloren hat, sondern daß wegen der verstärkten Schwankungen die noch vorhandenen Arten erheblich anfälliger geworden sind, obwohl es sich um allgemein häufige oder im weiteren Gebiet in großen Beständen vorkommende handelt.

A

1 Km

Abb. 4 Geschlossen erhalten gebliebener (A) und fragmentierter Auwald (W) am unteren Inn (aus REICH HOLF im Druck).

Umgekehrt betrachtet läßt sich dieser Befund auch so interpretieren, daß eine praktisch voll- ständige Vernetzung nicht ausreicht, um den vollen Artenbestand wiederherzustellen, daß sie aber doch zur Erhaltung eines hohen Prozentsatzes, in unserem Beispiel 860/0, beitragen kann. Bei weitergehender Verinselung hingegen wird der Artenverlust schnell größer (Abb. 4).

Die starken Bestandsschwankungen legen die Annahme nahe, daß es in kleinräumigem Maßstab immer wieder zum Aussterben von Arten kommt, deren örtliche Bestände zu klein sind, um die durch Witterung oder sonstige Einflüsse bedingten Fluktuationen abfangen zu können. Daß es in der Folge wieder zu raschen Ansiedlungen kommen kann, setzt voraus, daß ein entsprechendes Reservoir vorhanden ist, das bei Bedarf den Nachschub liefert. Bislang scheint dies bei der großen Mehrzahl der mitteleuropäischen Vogelarten noch der Fall zu sein, weil sich die Zu- und Abgänge, also der Artenumsatz oder, wie man heute zu sagen pflegt, der Artenturnover, ausgleichen. Den Verlusten stehen Gewinne gegenüber, d. h. Arten, die neu einwandern oder die ihre Häufigkeit wieder steigern. 349 Wenden wir die Arten-Areal-Beziehung auf die Brutvögel der gesamten Bundesrepublik an und berechnen wir daraus, wie groß die Fläche eigentlich sein müßte, um wenigstens 90 des Artenspektrums langfristig zu sichern, so kommt man auf ungefähr ein Drittel der Landes- fläche. Das ist eine immense Größe! Sie zeigt, daß ein ganz wesentlicher Beitrag zur Erhaltung der Artenvielfalt der heimischen Vogelwelt von Biotoptypen geleistet wird, die nicht in die Kategorie der Naturschutzgebiete fallen (oder was „naturschutzwürdig" erachtbar er- schiene!). Die 30 % Waldfläche in unserem Land gehören dazu, aber auch Biotope im menschlichen Siedlungsbereich, die von vielen Vogelarten angenommen werden. So besitzt etwa das Stadt- gebiet von München mit 99 Brutvogelarten auf einer Fläche von 300 km2 sogar einige Arten mehr, als der Erwartung (nämlich 92 Arten) entsprechen würde. Ganz Ähnliches dürfte für den Frankfurter Raum oderfür andere Großstädte der Bundesrepublik gelten. Es wäre daher sicher falsch, davon auszugehen, daß nur wirklich naturnahe Lebensräume einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung des heimischen Artenspektrums leisten könnten.

5. Seltenheit und Gefährdung

Vogelarten können aus verschiedenen Gründen selten sein. Nehmen sie, wie viele Greifvögel oder manche Wasservögel, Spitzenpositionen in Nahrungsketten ein, ist ihre Seltenheit ökolo- gisch bedingt. Leben sie am Rande ihres geographischen Vorkommens, ihres Areals, so sind sie wegen dieser Grenzlage selten. Sind sie selten vorkommenden ökologischen Nischen angepaßt, so sind sie ebenfalls aus ökologischen Gründen selten. Nur wenn sie aufgrund direkter menschlicher Nachstellungen oder indirekter Auswirkungen menschlicher Land- schaftsveränderungen durch Biotopverlust selten geworden sind, zählen sie nicht zur Kate- gorie der natürlicherweise seltenen Arten. Sie sind deswegen in der Regel gefährdet oder gefährdeter als die natürlicherweise seltenen, weil sie zumeist nicht über jene Mechanismen verfügen, die bei den natürlicherweise seltenen dafür sorgen, daß die Nachteile der Seltenheit nicht zum tragen kommen. Solche Nachteile sind die Zersplitterung der Vorkommen in mehr oder minder viele Klein- und Kleinstpopulationen oder die Tatsache, daß Verluste einzelner Individuen umso stärker zählen, je seltener die betreffende Art ist.

Dennoch wird das intensive Bemühen,die Bestände zu steigern, wenig Erfolg bringen, wenn es sich um natürlicherweise seltene Arten handelt. Wo liegen hierbei aber die kritischen Grenzen? Was sind die Mindestgrößen von Vogelpopulationen seltener Arten? Die Fragen häufen sich, je mehr man in die ökologischen Grundlagen von Vorkommen und Häufigkeit bzw. Seltenheit der Arten eindringt; Fragen, die nicht oder nur in höchst unzureichendem Maße beantwortet sind. Dahinter verbirgt sich die „Bringschuld der Wissenschaft", das Forschungs- defizit, das zu beklagen ist.

6. Die Bringschuld

Zentrales Ziel des modernen Vogelschutzes ist es, alle heimischen Arten in selbständig über- lebensfähigen Beständen im Bereich ihrer natürlichen, selbstgewählten Vorkommen zu erhalten. Die Zeiten, in denen die Singvögel „gut" und ihre natürlichen Feinde, wie Sperber und Baumfalke, „schlecht" gewesen sind, diese Zeiten gehören der Vergangenheit an. Sie sind ein abgeschlossenes Kapitel der Geschichte des Vogelschutzes. 350 Wäre es nicht an der Zeit, auch unsere Vorurteile über „gute" und „schlechte" Biotope fallen zu lassen? Sollten nicht besser die Vögel selbst mit ihrem Vorkommen und ihrer Häufigkeit das Urteil über die „Qualität" der Biotope fällen und wir uns danach richten?

Dieser Ansatz setzt allerdings eine flexiblere Haltung, eine offenere Betrachtungsweise voraus, und sie bedarf umfangreicher Vorgaben über die Ansprüche der einzelnen Arten seitens der Wissenschaft.

Hier liegt das große Defizit; hier mangelt es an Daten und Befunden. Die wenigen Beispiele können eigentlich nur die Richtung der Fragen andeuten, die von der Ornithologie und Ökologie im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen aufgegriffen werden sollten. Wir wissen zwar, daß es starke Zusammenhänge der Artenzahlen mit der Flächengröße gibt und wie sich dieser Zusammenhang allgemein mathematisch beschreiben läßt. Aber wo liegen die kritischen Grenzgrößen wirklich? Wo liegen sie für Laub-oder Nadelwälder, für Feuchtgebiete oder Steppenheiden? Wie groß sind die kritischen Entfernungen zwischen den einzelnen Biotopen und/oder Schutzgebieten? Welche Bestandsgrößen sind nötig, um die verschie- denen Arten aus der Gefahrenzone herauszuhalten? Und nicht zuletzt, wie dynamisch müssen die Artengemeinschaften sein und bleiben? Genauso, wie das örtliche Aussterben einer Art ein normaler Vorgang ist und als solcher betrachtet werden sollte, genau so bedarf es aber auf

Naturschutzgebiete: Entwicklungstendenz Anzahl von Anzahl und durchschnittlicher Flächengröße

Durchschnittliche Flächengröße

738_

/ / 233 ha 125 ha

Jahre: 1936 1961 1986

Abb. 5 Zunahme der Zahl der Naturschutzgebiete und Entwicklung ihrer durchschnittlichen Flächengröße seit 1936. Die mittlere Größe hat inzwischen den kritischen Bereich für starke Artenverluste erreicht. Quelle: Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und Landschaftsökologie (W. ERZ: Geographische Rundschau 39 (6): 310, 1987; mit freundlicher Genehmigung des Verfassers). 351 der anderen Seite der Bilanz der Wiederansiedlungsmöglichkeit, also des Reservoirs, das die Arten „bei Bedarf liefert". Das sind in aller Regel die großflächigen (Schutz)Gebiete, in denen tatsächlich eine Überschußproduktion von Nachwuchs möglich ist. Der Blick auf die Bilanz der Naturschutzgebiete in der Bundesrepublik Deutschland (Abb. 5) klärt dabei manches, was eingangs unverständlich erschien: Die eindrucksvolle Steigerung der Zahl der Schutz- gebiete geht nicht konform mit einem entsprechenden Anstieg der insgesamt geschützten Fläche. Hier steckt ein wesentlicher Teil der Antwort auf die Frage, warum die „Roten Listen" länger geworden sind, obwohl doch der Naturschutz eine so ins Auge springende „Gewinn- bilanz" bei der Zahl der Naturschutzgebiete zu verzeichnen hat. Das magere eine Prozent der Landesfläche wird nie ausreichen - auch dann nicht, wenn auf den NSG-Flächen tatsächlich ein vollständiger Naturschutz erreicht werden könnte, um den Artenbestand in unserem Lande zu sichern. Die dafür notwendigen Flächen sind soviel größer, daß es nicht einmal ein Wunsch- traum werden könnte, all diese notwendigen Flächen unter Naturschutz zu stellen. Der Vogel- schutz braucht offensichtlich andere Ansätze, andere Wege, um das Ziel der Erhaltung aller Arten zu erreichen. Die Grundlagen und Möglichkeiten hierzu hat die Wissenschaft zu ent- wickeln. Die Schnitt- und Umsetzungsstellen zwischen dieser wissenschaftlichen Arbeit und ihrer Umsetzung in die Praxis des Vogelschutzes sind die Vogelschutzwarten. Sie müssen die Kontinuität garantieren, ohne die manche wissenschaftliche Vogelschutzarbeit Stückwerk bliebe und ihre Umsetzung in die Praxis in zweifelhafte Richtungen laufen könnte. Für die neuen Aufgaben sind die Vogelschutzwarten nötiger denn je. Ob sie diesen Aufgaben gerecht werden können, hängt auch davon ab, ob die Wissenschaft bereit ist, ihre Bringschuld ein- zulösen.

7. Literaturhinweise

BEZZEL, E. (1982): Vögel in der Kulturlanschaft. Ulmer, Stuttgart

REICHHOLF, J. (1980): Die Arten-Areal-Kurve bei Vögeln in Mitteleuropa. Anz. Orn. Ges. Bayern 19: 13 - 26. (1984): Inselökologische Aspekte der Ausweisung von Naturschutzgebieten für die Vogelwelt. Laufener Seminarbeiträge 7/84: 57-61.

(1987): Indikatoren für Biotopqualitäten, notwendige Mindestflächengrößen und Ver- netzungsdistanzen. Forschungs- und Sitzungsber. Akad. Raumforschung u. Landes- planung (Hannover) 165: 291 - 309. (im Druck): Quantitative Faunistik und Naturschutz: die Bedeutung von Flächengröße, Distanz und Zeit. Spixiana Suppl. (München). (im Druck): Ist der Biotop-Verbund eine Lösung des Problems kritischer Flächengrößen? Akademie für Naturschutz, Laufen.

& K.-H. SCHAACK (1986): Linientaxierung von Sommervögeln im Auwald. Anz. Orn. Ges. Bayern 25: 175 -187.

Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. J. H. REICHHOLF, Zoologische Staatssammlung - Abt. Faunistik und Ökologie - Münchhausenstraße 21, 8000 München 60 352 Kleine Mitteilungen

Bemerkenswerte Brutzeitbeobachtungen in Hessen 1987 zusammengestellt von KLAUS FIEDLER, Offenbach am Main und KURT MÖBUS, Frankfurt am Main

Anmerkung: Die meisten „bemerkenswerten Brutzeitbeobachtungen" werden uns von den Leitern der HGON*-Arbeitskreise (AK) mitgeteilt. In vielen Fällen erscheint daher als Gewährsperson in der Veröffentlichung nicht der Name des tatsächlichen Beobachters, sondern derjenigen Person, die uns die betreffende Beobachtung mitgeteilt hat. Das führte mehrfach zur Unzufriedenheit sowohl von Beobachtern als auch von Meldern. Leider läßt sich dieses Problem kaum vermeiden, denn wir möchten in das letzte Heft jedes Jahrgangs den aktuellen und möglichst vollständigen Überblick über die vergangene Brutperiode bringen. Der dafür erforderliche schnelle Daten flu ß macht oft Sammelmeldungen der Arbeitskreise notwendig, in denen die Namen der einzelnen Beobachter nicht auftauchen. Wir bitten um Ihr Verständnis. Um jedoch für unsere Leser deutlich zu machen, wer „Beobachter" und wer „Melder" ist, haben wir uns folgen- dermaßen entschieden: die Namen der tatsächlichen Beobachter erscheinen in Klammern nach der Beobachtung bzw. ohne Klammern im fortlaufenden Text. Können wir die Beobachter nicht nennen, erscheint der Name des Melders ohne Klammern rechtsbündig am Ende eines Absatzes.

Folgende Damen und Herren haben uns bemerkenswerte Brutzeitbeobachtungen 1987 mit- geteilt: AK Kassel, V. LUCAN, Ahornstraße 36, 3549 Wolfhagen AK Lahn-Dill, Mainbachstraße 9, 6336 Solms W. SCHINDLER AK Limburg-Weilburg, Weinbergstraße 9, 6251 Runkel 4 D. STAHL AK Marburg-Biedenkopf, In den Erlengärten 2, 3571 Wohratal 3 G. WAGNER AK Rheingau-Taunus, Köhlstraße 26, 6200 Wiesbaden-Erbenheim B. FLEHMIG AK Rodgau u. Dreieich, Kantstraße 7, 6050 Offenbach am Main K. FIEDLER AK Waldeck-Frankenberg, Am Griesfeld 2, 3590 Bad Wildungen-Wega K. SPERNER H. BECKER, Bodenstraße 2, 5365 Breidenbach H. BEHRENS, Wormser Straße 122, 6840 Lampertheim W. BRAUNEIS, Brückenstraße 21/23, 3440 Eschwege K. FREY, Hofwiesenweg 15, 6320 Alsfeld E. HEIDER, Petersberger Straße 82, 6400 Fulda

*HGON: Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz 353 Dr. W. HEIMER, Dieburger Straße 1, 6114 Groß-Umstadt/Semd A. KRUG, Unterdorf 32, 6087 Worfelden LILO MALLACH, Rheingaustraße 111 a, 6200 Wiesbaden W. PETER, Hahnenkammstraße 12, 6463 Freigericht-Somborn Dr. R. ROSSBACH, c/o Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saar- land, Steinauer Straße 44, 6000 Frankfurt am Main 61 H. SCHAUB, W.-Zeller-Straße 4, 3579 Willingshausen 2 H. J. SCHMIDT, Mühlberg 7, 6441 Weißenhasel G. SCHUMANN, Kalter Hof 7, 3512 Reinhardshagen U. SEUM, Eichenstraße 1, 6363 Echzell 2 H. SIEGEL, Rehbachstraße 42, 6701 Neuhofen E. THÖRN ER, Obergasse 15, 6301 Langsdorf 0. VOLK, Fichtenweg 6, 3550 Marburg A. WERNER, Auestraße 11, 6440 Bebra H. WOLF, Pommernstraße 13, 6100 Darmstadt-Eberstadt H. ZETTL, Wolfskehler Straße 28, 6086 Riedstadt-Erfelden

Haubentaucher - Podiceps cristatus Im Kreis Waldeck-Frankenberg wurden 18 Brutpaare (BP) festgestellt. Im NSG „Ederseeufer bei Herzhausen" waren ursprünglich 25 BP anwesend, nach einem Sturm Anfang Juni ver- blieben jedoch nur noch 11 BP, die ca. 30 Jungvögel aufzogen. AK WALDECK-FRANKENBERG In den NSGs „Kühkopf-Knoblochsaue" und „Lampertheimer Altrhein" brüteten trotz des an- dauernden Hochwassers jeweils ca. 40 Paare. ZETTL, SIEGEL

Schwarzhalstaucher - Podiceps nigricollis Im Vogelsberg brüteten 4 Paare: 3 auf dem Obermooser und 1 auf dem Reichloser Teich (HEIDER, JÄGER & JÖCKEL); 2, 3 und 4 Junge wurden auf dem Obermooser Teich beob- achtet (JÄGER). Auf dem Kiessee des Kalksandsteinwerks Dudenhofen (Kreis Offenbach) brütete erstmals nach 1983 wieder ein Paar erfolgreich (1 Jungvogel) (KLEE).

Zwergtaucher - Podiceps ruficollis Im Kreis Gießen wurden 12 BP festgestellt. THÖRNER 13-16 BP brüteten im Kreis Offenbach, davon allein 9 -11 im Kalksandsteinwerk Dudenhofen. AK RODGAU & DREIEICH In der Wetterau brüteten fünf Paare. SEUM In den weitaus meisten Kreisen geht der Zwergtaucherbestand weiter stark zurück oder ist, wie in den Kreisen Lahn-Dill und Werra-Meißner, erloschen. Weitere Daten zur Bestandssituation, zum Rückgang oder zur Aufgabe von Brutplätzen werden dringend erbeten. 354 Kormoran - Phalacrocorax carbo

Die Kolonie im NSG „Lampertheimer Altrhein" (Kreis Bergstraße) ist von 11 auf 20 - 25 Paare angewachsen; mindestens 30 Jungvögel wurden flügge. SIEGEL

Graureiher - Ardea cinerea In diesem Jahr kam es zu verschiedenen Neuansiedlungen: Im oberen Edertal (Kreis Waldeck-Frankenberg) eine Kolonie mit 5 besetzten Horsten (DBV FRANKENBERG). Eine Einzelbrut wurde im Schwalm-Eder-Kreis festgestellt (ESSER).

An einer Stelle, an der schon im Vorjahr Brutverdacht bestand, brüteten in diesem Jahr im Kreis Marburg-Biedenkopf 4 Paare erfolgreich. VOLK Bei Hanau/Klein-Auheim siedelten sich 2 Paare an (SCHROTH, SCHWAB).

In den Schiersteiner Wiesen (Wiesbaden) brütete ein Einzelpaar (MALLACH). Zu einer Neuansiedlung kam es auf der Rheininsel „Rüdesheimer Aue" (Rheingau-Taunus- Kreis) mit gleich 19 Paaren (FLEHMIG).

Weitere Daten: Die Kolonie im NSG „Thorengrund" (Kreis Kassel) vergrößerte sich von 23 auf 27 Paare (SCHUMANN). Im Werra-Meißner-Kreis wurden wie im Vorjahr 12-15 besetzte Horste gezählt. BRAUNEIS

Die Kolonie im mittleren Fuldatal (Kreis Hersfeld-Rotenburg) vergrößerte sich von 8 auf 14 Paare; etwa 40 Jungvögel flogen aus. WERNER

Mit den oben erwähnten 5 BP betrug der Bestand des Kreises Waldeck-Frankenberg 41 Paare in 3 Kolonien; die im Vorjahr entstandene Kolonie im Twistesee-Gebiet war wegen mensch- licher Störungen in diesem Jahr wieder aufgegeben. AK WALDECK-FRANKENBERG

Der Bestand der drei Kolonien im Lahn-Dill-Kreis stieg von 16 auf 23 Paare.

Anmerkung:

Der im Vorjahr bereits erwähnte Brutplatz bei Weinbach-Elkershaus liegt nicht im Lahn-Dill- Kreis, sondern im Kreis Limburg-Weilburg; hier brüteten 1987 drei Paare. AK LAHN-DILL

Im Vogelsberg bestand eine Kolonie mit ca. 9 BP. FREY

In den beiden Kolonien der Wetterau lag der Brutbestand in diesem Jahr bei 67 BP. SEUM

Im NSG „Kühkopf-Knoblochsaue" (Kreis Groß-Gerau) brüteten 121 Paare. ZETTL

Die Kolonie im NSG „Lampertheimer Altrhein" (Kreis Bergstraße) schrumpft weiter zugunsten der Kormoran-Kolonie; ca. 100 BP wurden registriert. SIEGEL 355 Weißstorch - Ciconia ciconia In Hessen waren 1987-wie schon im Vorjahr- nur noch zwei Weißstorch-Brutpaare vorhanden. Nur eines davon, im NSG „Rhäden von Obersuhl" (Kreis Hersfeld-Rotenburg), brütete erfolg- reich (4 Junge) (SCH M I DT). Die Brut des zweiten Paares in Erlensee-Rückingen (Main-Kinzig- Kreis) blieb wegen der naßkalten Witterung erfolglos (KRIEG). Im NSG „Rhäden von Obersuhl"wurden nach dem Ausfliegen der dortigen Wildstörche insge- samt 26 in Gefangenschaft gezüchtete Jungstörche ausgewildert (SCHMIDT). Im grenznahen DDR-Gebiet (Thüringen) brüteten im Werratal vier Paare, von denen 9 Junge ausflogen. SCHMIDT

Schwarzstorch - Ciconia nigra Im Kreis Hersfeld-Rotenburg wurden drei besetzte Horste gefunden. Zwei weitere Horstfunde wurden aus dem grenznahen Thüringen (DDR) bekannt. Außerdem bestand an vier Stellen der Kreise Werra-Meißner, Schwalm-Eder, Fulda und Vogelsberg Brutverdacht. SCHMIDT Ein erfolgreiches Brutpaar mit 3 Jungen wurde im Kreis Waldeck-Frankenberg festgestellt. AK WALDECK-FRANKENBERG Graugans - Anser anser Je ein erfolgreiches Brutpaar mit zwei Jungen konnte im oberen Edertal (Kreis Waldeck- Frankenberg; BUBACH, HIRT & SEUMER) und im Kreis Limburg-Weilburg (STAHL) festge- stellt werden.

Krickente - Anas crecca Werra-Meißner-Kreis: In zwei Naturschutzgebieten bestand Brutverdacht. BRAUNEIS Im NSG „Bingenheimer Ried" (Wetteraukreis) brüteten zwei Paare. SEUM

Spießente - Anas acuta Im NSG „Bingenheimer Ried" (Wetteraukreis) fand erneut eine Brut statt; fünf Junge wurden beobachtet. SEUM

Knäkente - Anas querquedula Ein Brutpaar konnte im NSG „Schwebdaer Altarm" (Werra-Meißner-Kreis) festgestellt werden. BRAUNEIS In der Wetterau wurden insgesamt 5 -7 BP ermittelt. SEUM

Löffelente - Anas clypeata Im NSG „Bingenheimer Ried" (Wetteraukreis) brüteten 5-6 Paare; 35-40 Jungvögel konnten ermittelt werden. Zwei BP mit insgesamt 9 Jungvögeln wurden im nahegelegenen Reichels- heim festgestellt. SEUM

Reiherente - Aythya fuligula Der Brutbestand steigt weiterhin an. Nach bisher vorliegenden Ergebnissen, die noch unvoll- ständig sind, dürften landesweit mindestens 60 Paare gebrütet haben. Eine Aufzählung der Einzelnachweise würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Es sei nur darauf hingewiesen, daß im NSG „Bingenheimer Ried" (Wetteraukreis) erstmals in Hessen eine Reiherentenbrut in einer überschwemmten Wiese festgestellt wurde. SEUM 356 Rohrweihe - Circus aeroginosus In der Wetterau wurden 10 BP mit insgesamt 25 Jungvögeln festgestellt. SEUM Im Werra-Meißner Kreis gelangen zwei Brutnachweise, an zwei weiteren Stellen bestand Brutverdacht. BRAUNEIS Drei Brutpaare wurden im Kreis Kassel festgestellt. AK KASSEL Im Schwalm-Eder-Kreis wurden zwei Paare ermittelt (SCHAUB, STÜBING, RHEINWALD). Wie in den letzten Jahren brüteten wieder zwei Paare im NSG „Schweinsberger Moor" (Kreis Marburg-Biedenkopf). VOLK Ebenfalls zwei Paare wurden im NSG „Röhrig von Rodenbach" (Main-Kinzig-Kreis) festgestellt (MÖBUS, PETER). 5 - 6 Paare wurden im Kreis Darmstadt-Dieburg ermittelt. HEIMER, WOLF Im Kreis Groß-Gerau brüteten fünf Paare. KRUG

Wiesenweihe - Circus pygarcus Während der Brutplatz in Südhessen nicht besetzt war (HEIMER), bestand in der Wetterau erstmals seit Jahren wieder Brutverdacht (SEUM).

Wanderfalke - Falco peregrinus Der geringe Brutbestand zeigt weiterhin eine leicht steigende Tendenz: in diesem Jahr waren 6 Brutpaare anwesend. Davon war jedoch nur ein Paar erfolgreich; es flogen drei Junge aus. Die Paare verteilen sich auf die Kreise wie folgt: Werra-Meißner 2, Kassel 1, Main-Kinzig 1 (er- folgreich), Frankfurt 1 und Odenwald 1. ROSSBACH

Haselhuhn - Bonasa bonasia Aus dem letzten hessischen Verbreitungsgebiet im Lahn-Dill-Kreis wurden nur noch zwei Brutvorkommen gemeldet. Die Art gehe stetig zurück, obwohl noch hinreichend Lebensräume vorhanden sind. Das Haselhuhn wird „wohl aussterben" (BECKER).

Tüpfelralle - Porzana porzana Wohl aufgrund des nassen Frühsommers kam es in der Wetterau zu einer „Massierung", wie sie in Hessen vorher nicht bekannt geworden ist: 53 rufende d'o', davon allein bis zu 40 im NSG „Bingenheimer Ried", wurden festgestellt. SEUM

Wachtelkönig - Crex crex Der hohe Grundwasserstand im Frühsommer begünstigte offenbar auch diese Art, denn es liegen deutlich mehr Meldungen vor als in den Vorjahren. So wurden im Werra-Meißner-Kreis drei, im Kreis Hersfeld-Rotenburg eins, Lahn-Dill-Kreis vier, Schwalm-Eder-Kreis eins, Kreis Marburg-Biedenkopf zwei, Kreis Gießen drei und in der Wetterau ebenfalls drei rufende 071c?' festgestellt. BRAUNEIS, WERNER, SCHINDLER, SCHAUB, VOLK, THÖRNER, SEUM

Uferschnepfe - Limosa limosa Ein BP mit zwei Jungen wurde in der Wetterau festgestellt. SEUM 357 Flußuferläufer — Actitis hypoleucos Am Vorjahresbrutplatz bei Rotenburg (Kreis Hersfeld-Rotenburg) konnte auch dieses Jahr wieder ein Brutnachweis geführt werden: 1 BP mit 2 Jungen (KAMKE). Das 3-jährige Brutvor- kommen im NSG „In den Weiden von Blankenheim" ist jedoch erloschen (WERNER). Brutver- dacht bestand im NSG „Forbachsee" (Kreis Hersfeld-Rotenburg) (SCHMIDT, WACKER). Brutverdacht wird aus den NSGs „Freudenthal bei Witzenhausen" und „Jestädter Weinberg" (Werra-Meißner-Kreis) gemeldet. BRAUNEIS Bei Alsfeld-Angenrod und bei Romrod-Niederbreidenbach (Vogelsbergkreis) bestand eben- falls Brutverdacht (FREY, SCHWÄRTZEL, SIMON). Eine erfolgreiche Brut mit zwei Jungvögeln konnte erneut im NSG „Rumpenheimer und Bürgeler Kiesgruben" (Offenbach am Main) festgestellt werden (HERRMANN).

An einem Gewässer im Kreis Darmstadt-Dieburg gelang der Fund eines Dreiergeleges; für ein weiteres Paar bestand am gleichen Ort Brutverdacht (SCHUPP).

Uhu — Bubo bubo Ein Paar mit zwei Jungen konnte in einem Steinbruch im Kreis Kassel ermittelt werden (WILKE, WOLF, SCHUMANN, KRÜGER). Am bereits traditionellen Brutplatz im NSG „Jestädter Weinberg" (Werra-Meißner-Kreis) fand auch in diesem Jahr wieder eine Brut statt (BRAUNEIS, SCHWENGER, VOSS). Im Kreis Waldeck-Frankenberg gelang ein Brutnachweis (ENDERLEIN, HANNOVER), und an anderer Stelle bestand Brutverdacht (SCHNEIDER). Aus dem Schwalm-Eder-Kreis wird eine Brut mit zwei Jungvögeln gemeldet (RANK u. a.).

Im Lahn-Dill-Kreis wurde ein Brutpaar festgestellt; die vier Jungen wurden aber tot aufge- funden (MOHR, VEIT). Im Wetteraukreis hatte ein Paar ein geeignetes Revier besetzt, die Brut wurde jedoch durch laufenden Abbaubetrieb im Steinbruch verhindert. SEUM An zwei Orten im Vogelsbergkreis bestand Brutverdacht (FREY, GREGOR).

Sperlingskauz — Glaucidium passerinum Beobachtungen aus dem Fulda-Werra-Bergland deuten darauf hin, daß der Sperlingskauz hessischer Brutvogel ist. Bereits im vorigen Jahr und auch in diesem Jahr gelangen mehrere Nachweise rufender Sperlingskäuze. Darüberhinaus liegen Hinweise von Waldarbeitern und anderen Personen vor, die den Sperlingskauz beobachtet und verhört haben. (Beobachtungs- orte und Gewährspersonen werden aus Schutzgründen nicht genannt.)

Rauhfußkauz — Aegolius funereus

Im Kreis Offenbach konnte KLEE erneut eine Rauhfußkauzbrut in einem Hohltaubennist- kasten nachweisen. 358 Brachpieper - Anthus campestris 2 BP werden aus dem Kreis Groß-Gerau gemeldet (KRUG).

Im Kreis Offenbach wurde an zwei Orten jeweils ein Paar festgestellt (KLEE, KRAUSE).

Bei einer Exkursion in die Viernheimer Heide (Kreis Bergstraße) im Juni fanden BEHRENS u. a. zwei besetzte Reviere. Im Kreis Darmstadt-Dieburg brüteten mindestens 3 - 4 Paare (SCHUPP).

Rohrschwirl - Locustella luscinioides Ein singendes d' konnte mehrere Wochen lang Ende Mai bis Mitte Juni im NSG „Röhrig von Rodenbach" (Main-Kinzig-Kreis) verhört werden (MÖBUS, SCHROTH).

Schlagschwirl - Locustella fluviatilis Neben verschiedenen Beobachtungen zur Zugzeit gelangen in diesem Jahr auch wieder Brut- zeitnachweise: im NSG „Rhäden von Obersuhl" (Kreis Hersfeld-Rotenburg) wurden zwei singende o festgestellt (SCHMIDT), ebenso zwei singende e im NSG „Schweinsberger Moor" (Kreis Marburg-Biedenkopf) (ECKSTEIN).

Schilfrohrsänger - Acrocephalus schoenobaenus Im Schwalm-Eder-Kreis wurde an zwei Orten je ein singendes c? festgestellt. SCHAUB

Ein singendes e wurde im NSG „Röhrig von Rodenbach" (Main-Kinzig-Kreis) beobachtet (MÖBUS). Aus dem Kreis Groß-Gerau werden zwei BP gemeldet. KRUG

Drosselrohrsänger - Acrocephalus arundinacaeus Im Hüsbachtal (Wetteraukreis) bestand Brutverdacht. SEUM Zwei singende o wurden während der gesamten Brutzeit im NSG „Röhrig von Rodenbach" (Main-Kinzig-Kreis) festgestellt (MÖBUS, PETER, SCH ROTH). Im NSG „Rumpenheimer und Bürgeler Kiesgruben" (Offenbach am Main) bestand erstmals Brutverdacht (FIEDLER, HERRMANN).

Blaukehlchen - Luscinia svecica Im Dyckerhoffbruch (Wiesbaden) stieg der Brutbestand von 5 auf auf ca. 10 Paare. Das Gelände wird in wenigen Jahren leider mit Müll verfüllt! AK RHEINGAU-TAUNUS

Beutelmeise - Remiz pendulinus Die Beutelmeise ist inzwischen so weit in Hessen verbreitet, daß die Angabe von Einzelnach- weisen den Rahmen dieserVeröffentlichung sprengen würde. Aus allen hessischen Flußtälern werden Bruten gemeldet, wobei eine Tendenz deutlich wird, daß die Art allmählich flußaufwärts vordringt. 359 Ortolan - Emberiza hortulana Ein BP wird aus dem Kreis Darmstadt-Dieburg gemeldet (HOFFMANN).

Birkenzeisig - Carduelis flammea

Auch der Birkenzeisig breitet sich weiter in Hessen aus. Lediglich das südliche Mittel- und Südhessen scheinen noch nicht besiedelt zu sein. Beispielhaft sei hier nurangeführt, daß nach Meinung von W. SCHINDLER die Art „im Lahn-Dill-Kreis schon beinahe flächendeckend als Brutvogel" vorkommt.

Da die Art vornehmlich Biotope im bebauten Bereich besiedelt (Gärten, Parks, Friedhöfe), die ornithologisch wenig untersucht werden, dürfte sie häufig übersehen werden.

Kolkrabe - Corvus corax

Die Art dringt jetzt offensichtlich rasch nach Hessen vor. Im Rheinhardswald (Kreis Kassel) brüteten 1 - 3 Paare (SCHUMANN). An zwei Stellen des Werra-Meißner-Kreises bestand Brutverdacht, an einer dritten gelang LINDNER ein Brutnachweis. BRAUNEIS Eine erfolglose Brut fand im Kreis Hersfeld-Rotenburg statt. SCHMIDT Aus dem Schwalm-Eder-Kreis werden zwei Paare, davon eines mit drei Jungen, gemeldet; an einer weiteren Stelle bestand Brutverdacht. SCHAUB Im Kreis Marburg-Biedenkopf erbaute ein Kolkrabenpaar unmittelbar am Ortsrand eines Dorfes in einem kleinen Park einen Horst; es konnte jedoch kein Bruterfolg festgestellt werden (WAG N ER).

(Anmerkung der Schriftleitung: Bemerkenswerte Brutzeitbeobachtungen werden bis zum 15. September eines jeden Jahres erbeten.)

Anschriften der Verfasser: KLAUS FIEDLER, Kantstraße 7, 6050 Offenbach am Main KURT MÖBUS, Wasserweg 27, 6000 Frankfurt am Main

360 Brutökologische Besonderheiten bei Baumfalke (Falco subbuteo), Eichelhäher (Garrulus glandarius) und Kuckuck (Cuculus canorus) 1986 im Landkreis Fulda.

Baumfalke - Falco subbuteo

Im Sommer und Herbst 1985 wurde trotz des Widerspruchs der Naturschützer eine 110 KV- Leitung von Ziegel am Rande des Gieseler Forstes entlang zum Industriepark Fulda-West errichtet. Sie war aber im folgenden Jahr Anlaß eines freudigen Ereignisses. Ein Baumfalken- paar, wahrscheinlich dasselbe, welches im nahen Kiefernmischbestand des Gieseler Forstes 1985 (und zuvor) sein Brutrevier hatte, brütete in einem Nest auf dem Ausleger eines dieser Hochspannungsmaste in etwa 23 m Höhe. Leider hat niemand beobachtet, wer den Horst gebaut hat (W. KRÖNUNG mdl.).Wir vermuten als Baumeister Rabenkrähen, die zeitig im Früh- jahr den Horst errichtet, ihn aber dann aufgegeben haben oder dem Baumfalkenpaar über- lassen mußten. Viel weniger wahrscheinlich ist, daß die Baumfalken selbst den Horst auf dem Mast errichtet haben, weil bisher noch nie einwandfrei der Nestbau dieser Art nachgewiesen worden ist und Baumfalken im allgemeinen alte bzw. im gleichen Jahr benutzte Horste von Krähen, Ringeltauben, Elstern u. a. zum Brutgeschäft übernehmen (GLUTZ u.a.1971). Videoaufnahmen vom 12. 7. 1986 zeigen, daß sich außer zwei schon recht großen, stehenden Jungvögeln ein deutlich kleinerer Nestling, ein Nesthäkchen, das noch die weißen Daunen auf dem Kopf trug, im Horst befand (H. MITTERMEIER und 0. JOST). Dieser Nachkömmling ist nach dem Ausfliegen der beiden älteren Geschwister weiterhin von den Altvögeln im Horst versorgt worden und hielt sich später noch einige Zeit in der Nähe des Mastes auf. Er besaß nur einen Fuß und wurde noch in der ersten Septemberwoche am Horstplatz gesehen (W. u. R. GROSS). Baumfalkennester auf Hochspannungsmasten sind in Mitteleuropa Ausnahmen (GLUTZ u. a. 1971).

Eichelhäher - Garrulus glandarius

Eichelhähernester und -bruten wurden bisher vereinzelt in den Friedhöfen und Parkanlagen der Stadt Fulda festgestellt (E. HEIDER mdl.). Ungewöhnlich war der Nistplatz eines Eichel- häherpaares, das mehrmals, zuletzt 1985, im Hof des Museumsbaues in einem der hier vor mehreren Jahren angepflanzten, aber sehr isoliert stehenden drei Laubbäumen gebrütet und regelmäßig vier oder fünf Jungvögel großgezogen hat (DORSCH EL mdl.). Der Museumsbau (ehemalige Volksschule Fuldas und früher Kaserne) ist ein stattlicher 19 m hoher Gebäude- komplex im Zentrum von Fulda, der aus vier Flügeln besteht, die im Viereck miteinander verbunden um einen etwa 60 m x 30 m großen befestigten Innenhof stehen. Zu unserer Überraschung brüteten am 21.5.1986 wiederum Eichelhäher in diesem Innenhof, vermutlich dasselbe Paar wie im vergangenen Jahre, diesmal aber in einem Nest an der Haus- wand. Es befand sich auf einem Sims der hohen Wand im Südwesteck des Gebäudekom- plexes hinter dem Abflußrohr der Dachrinne in ca.12 m Höhe. Die Häher hatten die früher hier nächtigenden Turmfalken vertrieben. Am 6. Juni verließen die vier Jungvögel das Nest und hielten sich mehrere Tage im Innenhof des hohen Gebäudekomplexes in den Bäumen, auf dem Boden, unter und auf parkenden Autos auf. Zwei der Jungvögel gingen zugrunde. Gebäudebruten dieser Art sind bisher nur wenige bekannt geworden, in Hessen noch keine (F. NÜRNBERGER briefl.). 361 Kuckuck - Cuculus canorus

In Steinbach an der Milseburg (Rhön) hatte im Juni 1986 ein Bachstelzenpaar in einem Blumenkasten sein Nest gebaut. Dieser war mit rotblühenden Geranienpflanzen besetzt und am Treppengeländer unmittelbar vor der Haustüre eines Einfamilienhauses befestigt. Die Häuser dieser parkartigen Siedlung stehen in größeren Abständen inmitten eines lichten Kiefern-Mischwaldes. Wenig befahrene Straßen und Wege sowie die Rasenflächen, verschie- dene Obstbäume und Gartenbeete wie auch die Vorgärten mit unterschiedlichen Klein- gehölzen bereichern die ökologische Vielfalt dieser Waldsiedlung (R. WIEGAND mdl.). Das Bachstelzenpaar hatte am 13.6.1986 mit dem Nestbau begonnen und am 17. 6. das erste Ei in das fertige Nest gelegt. Bis zum 22. 6.wurde jeden Tag ein Ei, insgesamt sechs Eiergelegt.Am 3.7. schlüpften die Jungvögel. Während aber am 5.7. ein Nestling verschwunden war, befanden sich am 6.7. noch zwei Nestlinge und am 7.7. nur noch einer im Nest! Der Besitzer des Hauses, Herbert Klein, vermutete nun richtig, daß es sich bei dem zurückgebliebenen Nestling um einen Jungkuckuck handelt, der die Bachstelzenjungen aus dem Nest geworfen hat. Dieser Kuckuck entwickelte sich gut, zeigte keine Scheu vor Menschen und verließ am 23.7. das Nest zwischen den roten Geranien vor der Haustüre.Zusammen mit den Pflegeeltern wurde er noch fünf Tage danach in den Nachbargärten beobachtet.

Literatur

GLUTZ von BLOTZHEIM, U. N., K. BAUER & E. BEZZEL (1971): Handbuch der Vögel Mittel- europas. Band 4: 813 - 815; Frankfurt am Main.

Anschrift des Verfassers: Dr. OTTO JOST, Ederstraße 6, 6400 Fulda

Neue Literatur

Nachtrag zur Buchbesprechung (Band 4, Hefte 4-5: S.301, 1987):

KNORRE, D. von, G. GRÜN, R. GÜNTHER & K. SCHMIDT (1986): Die Vogelwelt Thüringens, Avifauna der Deutschen Demokratischen Republik.

Das Buch wird in der Bundesrepublik vom Aula-Verlag in Wiesbaden in Lizenz gedruckt. Es ist zum Preis von DM 49,80 im Buchhandel zu haben. W. KEIL

362 Zeitschrift für Vogelkunde und Naturschutz in Hessen • Vogel und Umwelt 4: 363-369 (1987)

Aus der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland

50 Jahre Vogelschutzwarte Frankfurt - Bericht über die Jubiläumsfeier im Römer zu Frankfurt am Main von RUDOLF ROSSBACH, Frankfurt am Main

Anläßlich des 50-jährigen Bestehens der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rhein- land-Pfalz und Saarland hatte die Stadt Frankfurt (als viertes Träger-Mitglied) am 24. September 1987 zu einer Jubiläumsfeier in ihr Rathaus, den Römer, eingeladen. Die Feier- stunde begann um 11 Uhr im Kaisersaal des Römers mit einer Darbietung des Karolyi-Quar- tetts, das die Veranstaltung mit drei Sätzen aus dem „Lerchen-Quartett" von Joseph Haydn musikalisch umrahmte.

Die Begrüßung der Gäste und der Vertreter der beteiligten Behörden erfolgte durch Herrn Stadtrat Heinz DAUM, der zunächst einen Überblick gab über die geschichtliche Entwicklung der Vogelschutzwarte von ihrer Gründung am 7. Oktober 1937 im Frankfurter Römer bis zu ihrer Verstaatlichung ab 1. Januar 1973 sowie über die Zeit danach, wobei die von Anfang an enge Verbundenheit der Stadt mit der Vogelschutzwarte als Institut für angewandte Vogel- kunde zum Ausdruck kam. Erwies auch auf die gerade vorgelegte umfassende „Konzeption für den Vogelschutz in der Stadt Frankfurt am Main" hin, die in Zusammenarbeit mit der Staat- lichen Vogelschutzwarte entstanden ist und gleichsam als Geburtstagsgeschenk rechtzeitig fertiggestellt werden konnte.

Die Grüße und Glückwünsche der Landesregierung überbrachte Herr Leitender Ministerialrat Dr. FAUST vom Hessischen Ministerium für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz. Er sprach zugleich auch im Namen der Vertreter der Landesregierung von Rheinland-Pfalz und des Saarlandes, Ministerialrat G LAN DIN und Forstdirektor Dr. A. KLEIN. In seiner Ansprache stellte er die traditionelle Bedeutung der Vogelkunde und des Vogelschutzes für den ge- samten Naturschutz heraus. Er würdigte die fachliche Beratung als unentbehrliche Entschei- dungshilfe für die Behörden und dankte allen Mitarbeitern und den vielen ehrenamtlichen Mithelfern, den Beauftragten der Vogelschutzwarte in den Kreisen und Gemeinden. Für den anschließenden Festvortrag konnte Herr Prof. Dr. J. REICHHOLF aus München gewonnen werden. Das von ihm gewählte Thema „Vogelschutz: die Bringschuld der Wissen- schaft" erwies sich als besonders geeignet, einerseits die seitherigen Erfahrungen aus der Artenschutz- und Naturschutz-Praxis kritisch zu beleuchten - speziell im Hinblick auf die Erhaltung der Artenvielfalt - und andererseits Anregungen und Denkanstöße für zukünftige Schutzmaßnahmen und Forschungsarbeiten zu geben. Wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung für die zukünftige Naturschutz-Konzeption wird der Vortrag im Wortlaut in der vorliegenden Ausgabe der Zeitschrift „Vogel und Umwelt" abgedruckt (Bd.4 S. 345 bis 352).

Im Anschluß an den Festvortrag bedankte sich der Leiter der Staatlichen Vogelschutzwarte, Herr Regierungsdirektor Dr. W. KEIL, für die entgegengebrachten Glückwünsche und gab mit den folgenden Worten nochmals einen kurzgefaßten Überblick über die heutigen Aufgaben des Instituts: 363 „50 Jahre Vogelschutzwarte ist auch für diejenigen, die an diesem Institut arbeiten, ein Augen- blick der Besinnung. Man kann Bilanz ziehen über das bisher Erreichte und eine Vorschau geben auf das, was zukünftig zu tun ist.

Viele können mit dem Wort „Vogelschutzwarte” nicht viel anfangen oder haben völlig falsche Vorstellungen. Nicht wenige meinen, wir sind ein Tierschutzverein fürVögel und betreiben eine Vogelpflegestation. Andere glauben, wir suchen entflogene Kanarienvögel oderWellensittiche. Wieder andere sind der Auffassung, wir beobachten die Vögel in der Brutzeit und auf dem herbstlichen Zug. Es bedarf meist einer Aufklärung, sei es per Telefon oder am Hoftor des Insti- tutes. Lassen sie mich daherzunächst noch ein paar Worte zurTätigkeit derVogelschutzwarte sagen. Unser Zuständigkeitsbereich umfaßt, im Gegensatz zu allen anderen Vogelschutzwarten im Bundesgebiet, die Fläche von drei Bundesländern, nämlich Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland, rund 44.000 km' mit 10,5 Millionen Einwohnern. Der vierte Partner ist die Stadt Frankfurt am Main. An den Arbeitsaufgaben hat sich seit der Gründung grundsätzlich wenig geändert. Der erste Institutsleiter, Dr. WALTER BANZHAF, stellte 1938 im 1. Jahresbericht ausführlich das Arbeits- programm vor.

Er schrieb damals: Das Arbeitsgebiet wird teils von kulturellen, teils von wirtschaftlichen Forderungen bestimmt:

- Erhaltung einer bodenständigen, artenreichen Vogelwelt (Heute würde man sagen autochtonen Vogelwelt) - Betreuung bedrohter und im Verschwinden begriffener Arten - Wiedereinbürgerung von bereits aus dem Landschaftsbild verdrängten Arten, soweit dies angängig ist.

Übersetzen wir diese Aussage in die Gegenwart, so formuliert BANZHAF nichts anderes als Biotop- und Artenschutz für bestandsbedrohte Vogelarten, der heute im Mittelpunkt unserer Arbeit steht. BANZHAF nennt ferner unter dem Gesichtspunkt „Wirtschaft" den Einsatz der Vogelwelt im Dienste der biologischen Schädlingsbekämpfung einen Arbeitsbereich, in dem wir auch heute noch tätig sind. Weitere Programmpunkte waren damals: Öffentlichkeitsarbeit, Zusammenarbeit mit den Naturschutzorganisationen, die Durchführung von Lehrgängen und Seminaren u. ä.

Da man sich von Anfang an darüber im klaren war, daß die Vogelschutzwarte nur über einen begrenzten hauptamtlichen Mitarbeiterstab verfügen konnte, wurde bereits damals der Grundstein für ein ehrenamtliches Mitarbeiternetz gelegt. Die ersten Vertrauensmänner für Vogelschutz wurden ernannt. Heute nennen sich diese Mitarbeiter „Beauftragte der Vogel- schutzwarte". Sie arbeiten auf Kreis- und Gemeindeebene. Ihre Aufgabe: „Beratung auf dem Gebiet des Vogelschutzes" ist in Hessen im Naturschutzgesetz verankert. Auch damals war das Problem der Abwehr von Schäden, die durch häufige Vogelarten entstehen können, bereits aktuell. Dank besserer Erkenntnisse über die Biologie und Ökologie solcher Vogelarten ist es uns heute möglich, verbesserte Methoden zur Reduzierung oder Vermeidung von Vogelschäden anzubieten; Methoden, die die damalige Anwendung von Schußwaffen, Gift oder Fallen heute ausschließen. 364 Abb. 1: Jubiläumsfeier im Römer zu Frankfurt am Main -Ansprache von Stadtrat DAUM

Abb. 2: Prof. Dr. REICHHOLF im Gespräch mit Dr. KEIL 365 Wie wirkt sich nun die Tätigkeit auf der Ebene dreier Bundesländer auf die Effektivität der Arbeitsweise aus? Diese Frage kann ich aufgrund meiner 35-jährigen Erfahrung nur positiv beantworten. Denn ähnliche naturräumliche Gegebenheiten in den drei Ländern erlauben es, die anstehenden Probleme auf gleiche Weise und ohne Reibungsverluste oder Koordinie- rungsschwierigkeiten zu lösen.

Als Beispiel seien die „Roten Listen der bestandsbedrohten Vogelarten" genannt. Auch das z.Z. laufende Haselhuhnprogramm ist ein gutes Beispiel für eine länderübergreifende Maßnahme. Hier wird deutlich, wie günstig sich diese Konstellation auf unsere Arbeit und deren Umsetzung auswirkt. Jedes der drei Länder und selbstverständlich auch die Stadt Frankfurt am Main profitieren von dieser besonderen Situation. Es wäre sicher nicht sinnvoll und für die Beteiligten auch sehr unrationell, am heutigen Status etwas zu ändern.

Eine besondere Anmerkung sei zur Zusammenarbeit mit den ornithologisch ausgerichteten Naturschutzverbänden gemacht. Wie viele Stellen im öffentlichen Dienst, sind wir auf die Mitar- beit der Verbände angewiesen. So wäre es z. B. kaum möglich, ohne deren Mitwirkung die erwähnten „Roten Listen" zu erstellen. Dort werden die Mosaiksteinchen zusammengetragen, die dann zu einem Bild zusammengefügt werden. Für die konstruktive Zusammenarbeit sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Es sei auch betont, daß die Vogelschutzwarte wesentlichen Anteil am Zustandekommen der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz und der Gesellschaft für Naturschutz und Ornithologie in Rheinland-Pfalz bzw. deren Vorläufer hat. Gleiches gilt auch für den Deutschen Ausschuß zur Verhütung von Vogelschäden im Luft- verkehr, dessen Gründung, wie auch die der genannten Verbände, Mitte der 60iger Jahre erfolgte. Unser Mitarbeiternetz, die Beauftragten, wurde, um einen technischen Ausdruck zu gebrauchen, „modernisiert". Wir verfügen heute über ein gut organisiertes Netz von ehren- amtlichen Mitarbeitern. Es sei den Beauftragten sehr herzlich für ihre stete selbstlose Mit- arbeit gedankt. Letztlich noch ein paar Worte zur künftigen Arbeit. Auch in den kommenden Jahren wird, wie seither, der Biotop- und Artenschutz im Vordergrund stehen. Auch auf dem Sektor biologische Schädlingsbekämpfung bedarf es weiterer Untersuchungen, wie auf dem Gebiet der Abwehr von Vogelschäden. Wir werden auch in Zukunft auf die Mitarbeit Dritter (ehrenamtliche Mitar- beiter, Naturschutzverbände) sowie auf die Zusammenarbeit mit den Universitäten nicht verzichten können. Mögen sich die Arbeitsthemen verändern, Schwerpunkte sich verschieben - eines darf sich nicht ändern: das Engagement der Mitarbeiter und ihre stete Bereitschaft zur Kooperation. Nur gemeinsam wird es möglich sein, die freilebende Vogelwelt zu erhalten, nicht zuletzt auch als Indikator einer intakten Umwelt. Last not least sei heute der Stadt Frankfurt und ganz besonders Ihnen, Herr Stadtrat DAU M, für die Ausrichtung dieser Feierstunde und die gute Zusammenarbeit gedankt, Ihnen allen dafür, daß Sie gekommen sind und insbesondere Herrn Kollegen Professor REICH HOLF für seinen Festvortrag." Im Anschluß an die Feierstunde hatte die Stadt in die Wandelhalle des Römers zu einem „Frankfurter Buffet" eingeladen, bei dem den Gästen dann noch Gelegenheit zu persönlichen Gesprächen untereinander gegeben war. Für die gute Organisation und würdige Ausgestaltung derJubiläumsfeier sei hiermit nochmals allen Beteiligten herzlich gedankt.

Anläßlich ihres 50-jährigen Bestehens hat die Vogelschutzwarte (mit finanzieller Unterstüt- zung des Landes Hessen) eine umfangreiche Festschrift veröffentlicht. Mit den darin enthal- 366 tenen Beiträgen wird die Vielfältigkeit der heutigen Aufgabenbereiche exemplarisch darge- legt. Aus dem gleichen Anlaß wurde außerdem ein Faltblatt herausgegeben, mit dem sich die Vogelschutzwarte selbst vorstellt. Damit konnte einem lange gehegten Wunsch vieler vogel- kundlich interessierter Bürger nach einer kurzgefaßten Information über die Aufgaben des Instituts nachgekommen werden.

Anschrift des Verfassers: Dr. RUDOLF ROSSBACH, Steinauer Straße 44, 6000 Frankfurt am Main 61

Zur „Bejagung" von Krähenvogelarten - Stellungnahme der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland anläßlich der Anhörung im Landtag von Rheinland-Pfalz am 26. November 1987 -

Die nach dem Inkrafttreten der novellierten Bundesartenschutzverordnung einsetzende Diskussion über einen möglichen negativen Einfluß der Singvogelarten Elster, Eichelhäher und Rabenkrähe auf die Bestände anderer Singvögel und als Ursache für landwirtschaftliche Schäden drehte sich im wesentlichen um folgende Punkte:

1. Räuber-Beute-Beziehung Als biologischer Grundsatz ist festzuhalten, daß die Nahrungsgrundlage, d.h. die Beute im weitesten Sinne, die Räuberpopulation reguliert und nicht umgekehrt. Dies gilt besonders für Arten, die sich auf eine ganz bestimmte Beute spezialisiert haben. Ihre Populationsdynamik folgt der Dynamik des Beutetiers.

Die hier zur Diskussion stehenden Krähenvogelarten sind keine Nahrungsspezialisten. Sie sind Allesfresser. Sie können sich an das vorhandene Nahrungsangebot anpassen. Dies bedeutet aber nicht, daß sie in ihrer Dynamik vom Nahrungsangebot unabhängig sind. Untersuchungen über die Ernährungsbiologie von Elster, Eichelhäher und Rabenkrähe haben gezeigt, daß im Jahresdurchschnitt Würmer, Schnecken, Insekten, Reptilien, Amphibien und Kleinsäuger (besonders Mäuse) die Hauptnahrungsquelle bilden. Aber auch Aas und Müll- abfälle gehören zur Speisekarte ebenso wie pflanzliche Bestandteile, letztere besonders im Herbst. Während der Brutzeit kommt es auch zu Verlusten von Gelegen und Jungen anderer Vogelarten und von Artgenossen. Dieser Beuteanteil liegt weit unter 10 Wo, bezogen auf die Gesamtnahrung.

2. Einfluß auf andere Vogelarten Aufgrund eingehender Sichtung und Auswertung der Literatur muß gesagt werden, daß es keine wissenschaftlich fundierten Untersuchungen gibt, die beweisen können, daß durch die drei Krähenvogelarten andere Arten in ihrem Bestand bedroht werden. Es kann davon aus- gegangen werden, daß diese Arten auch in Zukunft keine anderen Vögel im Bestand gefähr- den oder zum Aussterben bringen. 367 Ursachen für die lange Liste der bestandsbedrohten Vogelarten sind Veränderungen des Lebensraumes durch menschliche Eingriffe. Eine Vogelpopulation in einem intakten Lebens- raum ist in der Lage, die Mortalitätsrate durch eine entsprechend große Natalität auszu- gleichen. Sie wird dort durch ihre natürlichen Gegenspieler niemals ernsthaft gefährdet werden können. Eine Population, die auf Grund pessimaler Umweltverhältnisse so ge- schwächt ist, daß die normalen Regelmechanismen nicht mehrfunktionsfähig sind,wird durch jeden Eingriff (z. B. Straßenverkehr, Tod durch Räuber, Umweltgifte, Abschuß u. ä.) näher an ihr Erlöschen gebracht. Hier kann - wenn überhaupt - nur durch gezielte Maßnahmen, durch Biotopverbesserung und Biotoperhaltung, eine Stabilisierung erzielt werden.

Zur Problematik des Einflusses der drei Krähenarten auf das Rebhuhn muß gesagt werden, daß mehrjährige wissenschaftliche Untersuchungen im unteren Nahetal bei Bad Kreuznach (1979 -1983) deutlich gemacht haben, daß diese Krähenvögel auf die Dynamik dieser jagd- baren Vogelart keinen Einfluß ausüben.

3. Bestandsentwicklung der Krähenvögel

Zur Bestandsentwicklung der drei Krähenarten muß gesagt werden, daß keine wissenschaft- lich belegbaren Ergebnisse vorliegen, die den Schluß zulassen, daß diese Arten in ihrer Popu- lation nachhaltig angestiegen sind. Es hat sich lediglich bei der Elster eine Bestandsverlage- rung ergeben. Sie ist, einmal bedingt durch eine Biotopverschlechterung in der freien Land- schaft und andererseits durch ein maximales Nahrungsangebot, in den menschlichen Sied- lungsraum vorgedrungen (z. B. Kleingärten, Park- und Friedhofsanlagen, aufgelockerte Stadt- randsiedlungen u. ä.). Hier ergaben sich Klagen der Bevölkerung über Elsterschäden z. B. an Amsel, Grünfink oder anderen häufigen Kleinvogelarten. Weder streunende Hauskatzen noch Elstern sind in der Lage, die in solchen optimalen Lebensräumen brütenden Singvogelarten zu gefährden oder auszurotten. Eine weitere Konzentration der Elster ergibt sich an starkfrequen- tierten Verkehrswegen (Fraß von Verkehrsopfern), zumal auch dort durch die Begleitpflan- zungen gute Brutmöglichkeiten gegeben sind, die in der landwirtschaftlich genutzten Land- schaft weitgehend fehlen.

4. Landwirtschaftliche Schäden

Die Staatliche Vogelschutzwarte befaßt sich nicht nur mit Fragen des Biotop- und Arten- schutzes, sondern auch mit der Problematik von Vogelschäden jeglicher Art. Die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BBA) in Braunschweig führte vor rund 10 Jahren eine bundesweite Erhebung über die von Säugetieren und Vögeln an Kulturpflanzen verur- sachten Schäden durch. Die Auswertung durch eine Expertengruppe wurde in Heft 186 der Mitteilungen aus der BBA veröffentlicht. Elster und Eichelhäher sind dort als Schadensverur- sacher nicht festgestellt worden. Lediglich die Rabenkrähe fand Berücksichtigung. Es zeigte sich bei der Auswertung, daß häufig Schäden dieser Krähenart zugerechnet wurden, die in Wirklichkeit auf das Konto der Saatkrähe gehen. Dabei handelt es sich um Vögel, die aus Osteuropa kommend bei uns durchziehen oder überwintern. Aufgrund unserer Erfahrungen wissen wir, daß Laien beide Arten nicht unterscheiden können. Dies ist bei Jungvögeln bis zum 2. Lebensjahr fast unmöglich.

Untersuchungen von uns an Mülldeponien im Rhein-Main-Gebiet (z. B. Deponie Dyckerhoff der Stadt Wiesbaden, Budenheim der Stadt Mainz, Flörsheim/Wicker u. a.) haben deutlich gemacht, daß dort der Anteil der Rabenkrähe nur rund 1 0/0 des Saatkrähenanteils darstellt. Grundsätzlich muß gesagt werden, daß eine wie immer geartete Verringerung keine Lösung 368 evtl. landwirtschaftlicher Schäden darstellt. Krähen werden so lange an einen solchen Platz zurückkehren, so lange dieser eine Attraktion für sie darstellt. Durch den Abschuß einiger Rabenkrähen ist dem Landwirt nicht geholfen.

5. Zusammenfassung

Abschließend sei das Gesagte wie folgt zusammengefaßt:

- Die sogenannte „Nesträuberei" der drei Krähenvogelarten führt zu keiner Bestandsge- fährdung anderer Vogelarten.

- Eine „Bejagung" in den Jagdbezirken wird vielmehr bei der Elster zu einer weiteren Verlage- rung von Populationsschwerpunkten in befriedete Bezirke (Stadtrandgebiete u. ä.) führen. Es ist bekannt, daß durch jagdliche Eingriffe Vögel (und Säugetiere) nicht wirksam in ihrem Bestand reduziert werden können (Beispiele: Ringeltaube, Silbermöwe). - Landwirtschaftliche Schäden werden -falls überhaupt -in wirtschaftlich nicht zumutbarem Umfang nurvon derSaatkrähe verursacht. Lediglich lokal kann es zu Schäden durch Raben- krähen kommen, die aber niemals erheblich sind. - Ein Töten von Individuen dieser drei Krähenvogelarten wird weder die Dynamik anderer Vogelarten beeinflussen noch dazu beitragen, evtl. landwirtschaftliche Schäden zu ver- meiden.

6. Empfehlungen

Die Vogelschutzwarte regt an:

- Wir empfehlen, gezielte, wissenschaftlich fundierte Untersuchungen zur Ökologie der genannten Vogelarten auf Probeflächen durchzuführen. Im Vordergrund sollten dabei stehen: Bestandsentwicklung, Verhalten, Brutplatzwahl, Ernährung.

- Die Frage einer „Bejagung" ist bis zum Abschluß und der Auswertung solcher Untersu- chungen zurückzustellen.

- Es sei auch daran erinnert, daß von der Bundesrepublik Deutschland erhebliche Aktivitäten gegen den Singvogelfang in den Mittelmeerländern ausgegangen sind, die durch eine „Bejagung" von Singvogelarten bei uns ihre Glaubwürdigkeit einbüßen werden.

Dr. WERNER KEIL

369 Pressenotiz

Deutscher Bund für Vogelschutz Hessische Gesellschaft Naturschutzverband für Ornithologie und Naturschutz e.V. Landesverband Hessen

Landesverband Niedersachsen

Frankfurt, Wetzlar, Hannover, den 10. Dezember 1987

Naturschutzverbände klagen gegen die Freigabe von Rabenvögeln zum Abschuß

In Hessen und Niedersachsen werden die umstrittenen Rechtsverordnungen, mit denen in diesen Bundesländern der gesetzliche Schutz von Rabenvögeln formell wieder aufgehoben wurde, nun einer gerichtlichen Prüfung unterzogen.

Die Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON) sowie die Landesver- bände des Deutschen Bundes für Vogelschutz (DBV) in Hessen und Niedersachsen haben jetzt durch das Freiburger Rechtsanwaltsbüro de Witt, Wurster und Schäf bei dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof bzw. dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg Normenkontrollver- fahren eingeleitet. Die Naturschutzverbände legen in ihren Klagen ausführlich dar, daß eine Bestandsregulierung der Rabenvogelarten Rabenkrähe, Elster und Eichelhäher durch die Jagd ökologisch nicht zu rechtfertigen ist. Diese drei Arten zählten im deutschen Jagdrecht nie zu den „jagdbaren Arten", wurden aber bis zu ihrer Unterschutzstellung am 1. Januar 1987 zu Unrecht als „Raubzeug" verfolgt und getötet. Nach Auffassung der Verbände verstoßen beide Rechtsverordnungen gegen zwingende Vorschriften des EG-Rechts und des Bundesnaturschutzgesetzes über den Schutz der euro- päischen Vogelwelt. Aus diesem Grund habe man sich offensichtlich gescheut, die Natur- schutzverbände ordnungsgemäß an den Rechtssetzungsverfahren zu beteiligen. Das Bundesnaturschutzgesetz schreibt vor, daß die anerkannten Naturschutzverbände bei der Vorbereitung von Rechtsverordnungen anzuhören und zu beteiligen sind. Das Niedersäch- sische Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat dem Deutschen Bund für Vogelschutz die Einsicht in die Sachverständigengutachten verweigert. In Hessen hat man sich damit begnügt, die Jagdberechtigten anzuhören. Den Naturschutzverbänden wurde nicht einmal ein Entwurf der geplanten Verordnung zugesandt, ebensowenig die Möglichkeit einer Anhörung eingeräumt.

Die Hessische Landesregierung hat, wie in der Normenkontrollklage dargestellt wird, hierbei nicht selbst geprüft, ob die Voraussetzungen für Ausnahmen vom Schutz der Rabenvögel gegeben sind. Sie hat diese Prüfungskompetenz auf die Bezirksdirektionen übertragen. Diese haben den Auftrag sogar an die Landratsämter nach unten weitergegeben. So seien Befugnisse, die nach dem Bundesnaturschutzgesetz nur der Landesregierung und den obersten Landesbehörden zustehen, auf die unterste Verwaltungsebene delegiert worden, beanstanden die klagenden Naturschutzverbände.

Mit dieser Flucht aus „Kompetenz und Form" seien alle rechtsstaatlichen Sicherungen umgangen, die vom Gesetzgeber zum Schutz wildlebender Vogelarten geschaffen wurden. Zwangsläufige Folge dieser eklatanten Verstöße gegen höherrangiges Recht ist nach Auf- fassung der Verbände die absolute Nichtigkeit beider Rechtsverordnungen. 370 Dessen ungeachtet bereitet die baden-württembergische Landesregierung mittlerweile eine Rechtsverordnung nach hessischem Modell vor. Offensichtlich wiege man sich dort mit dem Gedanken in Sicherheit, daß Baden-Württemberg das Recht der Verbandsklage nicht kennt, nach dem Motto: „Wo kein Kläger, da kein Richter", kritisiert der dortige Landesverband des Deutschen Bundes für Vogelschutz. Dem einzelnen Jagdausübungsberechtigten sei mit derartigen, „offensichtlich rechtswidrigen" Verordnungen kein guter Dienst erwiesen. Denn das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung wegen eines Vergehens nach § 17 Tierschutz- gesetz (Tötung eines Wirbeltieres ohne vernünftigen Grund) bis hin zum drohenden Entzug des Jagdscheins laste trotz solcher Verordnungen immer noch auf demjenigen, der die weiterhin besonders geschützten Rabenvögel töte.

Verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes: Willy Bauer, HGON; Schneckenhofstraße 35, 6000 Frankfurt am Main 70 Dr. W. Heimer, DBV-Hessen; Dieburger Straße 1, 6114 Groß-Umstadt-Semd Dr. F. Strahl, DBV-Niedersachsen; Friesenstraße 21, 3000 Hannover 1 und Rechtsanwälte de Witt, Wurster und Schäf; Kaiser-Joseph-Straße 247, 7800 Freiburg

Neue Literatur

BEZZEL, E., H. W. HELB & K. WITT (1987): Ornithologen-Kalender '88 - Jahrbuch für Vogel- kunde und Vogelschutz -. 280 S., 28 Abb., Aula-Verlag Wiesbaden. Das vom Aula-Verlag vorgestellte „Jahrbuch für Vogelkunde und Vogelschutz", wie der Orni- thologen-Kalender im Untertitel heißt, schließt sicherlich eine Lücke im vielseitigen Angebot vogelkundlicher Literatur. Das handliche Buch (Taschenformat 10,5 x 14,5 cm) enthält neben einem Kalendarium (mit viel Platz für tägliche Notierungen), einer Liste der beweglichen Feste und der Ferienordnung in den Bundesländern viel Wissenswertes über eine Reihe ornitholo- gischer Themen. So werden z. B. abgehandelt: die Monate im Vogeljahr, Zugvogelkalender, Vogel des Jahres 1988, Artenschutzrecht, Grundregeln für den Vogelbeobachter, aus der Praxis für die Praxis. Eine Übersicht über Fachzeitschriften, Adressen von Institutionen, die sich mit Vogelkunde und Vogelschutz befassen, sowie eine Beobachtungsliste der meisten in Europa vorkommenden Vogelarten beschließen den Kalender. Hier wird zu einem günstigen Preis ein gutes Angebot gemacht, das man nutzen sollte. W. KEIL

371 Neue Literatur

LÜBCKE, W.& R. FURRER (1985): Die Wacholderdrossel.-Die Neue Brehm-Bücherei Nr. 569, 198 S., 97 Abb., 30 Tab., A. Ziemsen Verlag Wittenberg-Lutherstadt. - Vertrieb in der Bundesrepublik, Österreich und der Schweiz: ESKABE GmbH Schönitz & Co. KG, 8222 Ruhpolding.

Die Wacholderdrossel gehört zu den Vogelarten, die in den letzten 100 Jahren ihr Brutgebiet in Mitteleuropa in Westrichtung ständig erweitert haben und heute als regelmäßiger Brutvogel anzusehen sind. So nimmt auch die Geschichte der Ausbreitung in der Wacholderdrossel- Monographie einen weiten Raum ein. Wie bei allen Bänden der Brehm-Bücherei üblich, wird der Leser u. a. eingehend über Systematik, Morphologie, Lebensweise, Biologie, Nahrung, Lautäußerungen, Mauser, Mortalität und Parasiten unterrichtet. Ein elf-seitiges Literaturver- zeichnis und ein Register beschließen den Band. Aus hessischer Sicht sei vermerkt, daß der Mitautor W. LÜBCKE im Edertal zuhause ist und viele in die Monographie eingebrachten Erkenntnisse aus diesem Raum stammen. W. KEIL

CREUTZ, G. (1985): Der Weiß-Storch. - 216 S., 94 Abb., Die Neue Brehm-Bücherei Nr. 375, A. Ziemsen-Verlag Wittenberg-Lutherstadt. -Vertrieb in der Bundesrepublik, Österreich und der Schweiz: ESKABE GmbH Schönitz & Co. KG, 8222 Ruhpolding.

Der Weißstorch gehört in Mitteleuropa zu den Vogelarten, die vom Aussterben bedroht sind. In Hessen brüten derzeit nur noch 1 -3 Paare jährlich. Eine Situation, die fast ausweglos erscheint. Man muß sich dabei vergegenwärtigen, daß die wesentliche Ursache bei anthropro- genen Eingriffen zu suchen ist. Daher ist die Schaffung geeigneter Lebensräume die Haupt- voraussetzung für den Fortbestand der mitteleuropäischen Weißstorchpopulation. Die neue Ausgabe der Weißstorch-Monographie kann hierfür wichtige Hinweise geben. Durch die Popularität dieser Vogelart in Verbindung mit ihrer auffallenden Erscheinung sind wir z. B. über Biologie, Ansprüche an den Lebensraum, den Zug, das Verhalten und viele andere Para- meter gut unterrichtet. In vorliegendem Band wurde alles Wissenswerte zusammengetragen und entsprechend dargestellt. Ein neuneinhalbseitiges Literaturverzeichnis und ein Register beschließen den Band. Für alle, die sich mit dem Weißstorch befassen, ist dieses Buch der Brehm-Bücherei eine wichtige Informationsquelle. W. KEIL

SAUER, F. (1985): Afrikanische Vögel nach Farbfotos erkannt. - 215 S., 400 Farbfotos, Fauna-Verlag 8047 Karlsfeld.

Zu den vielfältigen Lebensräumen Afrikas gehört eine artenreiche Avifauna. Afri ka ist nicht nur Brutheimat, sondern auch Winterquartier einer ganzen Reihe europäischer Arten. Der Afrika- besucher wird daher neben den einheimischen Vögeln auch ihm bekannte Arten aus Europa treffen. Das vorliegende Buch stellt solche Vögel vor, die man bei Safaris beobachten kann. Jede Vogelart wird durch einen kurzen Steckbrief und ein Farbfoto vorgestellt, so daß eine Bestimmung vorgenommen werden kann. Darüber hinaus vermitteln die Fotos einen Eindruck von der Farbenpracht vieler Arten. Den vogelkundlich Interessierten dürfte das Buch ein guter Ratgeber sein. W. KEIL 372 PERRI NS, CHR. (1987): Pareys Naturführer Plus: Vögel, - 320 S., 2050 farb. Abb., 433 farb. Verbreitungskarten, Verlag Paul Parey, Hamburg und Berlin.

Das neue Vogelbuch des Paul Parey Verlages will sowohl über Biologie und Ökologie unter- richten als auch die Funktion eines Bestimmungsbuches erfüllen. So wird im ersten Teil über Evolution und Bau der Vögel informiert. Ihm folgt der Teil, der der Vogelbestimmung gewidmet ist. Im Telegrammstil wird der Leser über Status, Größe, Gewicht, Merkmale, Stimme, Lebens- raum, Nest, Brut, Junge und Nahrung informiert. Farbige Abbildungen unterschiedlicher Kleider und eine Verbreitungskarte ergänzen den Text. Die beiden restlichen Kapitel berichten über Leben und Ökologie der Vögel. Es ist erstaunlich, welche Fülle an Information auf 320 Seiten zusammengefaßt werden kann. Wenn man sich mit dem Aufbau des Buches vertraut gemacht hat, ist es ein leichtes, sich zurecht zu finden. Gelungen ist auch die Art der Stoffauf- bereitung. Das vorgestellte Material ist so aufbereitet, daß selbst der Anfänger kaum Schwie- rigkeiten bei der Buchbenutzung haben wird. Insgesamt eine sehrgelungene Kombination von allgemeiner Information über unsere Vogelwelt wie auch eine ausgezeichnete Möglichkeit, die europäischen Vögel zu bestimmen. Es ergänzt das im gleichen Verlag erschienene Buch „Die Vögel Europas". Der Naturführer Plus „Vögel" kann sehr empfohlen werden. W. KEIL

BARTH, W.-E. (1987): Praktischer Umwelt- und Naturschutz. - 310 S., 33 farb. u. 35 schwarz- weiß Abb., 82 Zeichn., 27 Tab., Verlag Paul Parey Hamburg und Berlin. Die Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis ist ein schweres Unterfangen. Oft klafft eine tiefe Kluft zwischen Forschungsergebnissen und deren praktischerAnwendung. Es kann weder der Fachwissenschaftler auf dereinen, noch der Praktikerauf der anderen Seite für sich arbeiten. Diese Erkenntnis gilt besonders für Umwelt- und Naturschutz.Viele Praktiker glauben, ohne wissenschaftlichen Unterbau arbeiten zu können, weil sie eben „viele Jahre praktische Arbeit" geleistet haben. Ebenso gibt es auch Fachleute, die der Auffassung sind, daß nur sie allein das Richtige vertreten. Das vorliegende Buch möchte Mittler spielen zwischen beiden Seiten. So werden, wie der Untertitel heißt, „Anregungen für Jäger und Forst- leute, Landwirte, Städte- und Wasserbauer sowie alle anderen, die helfen wollen" gegeben und an vielen Beispielen erläutert. Ausgehend von unseren Umweltproblemen, wird nach der Vorstellung ökologischer Grundlagen („Erst verstehen, dann handeln"), auf einzelne Arbeits- schwerpunkte eingegangen (Fließgewässer, Stillgewässer, Naturschutz durch Angler?, Moore, grüne Wiederbelebung der Wohnsiedlungen, Straßenbau, Landwirtschaft, Forstwirt- schaft, Jagd, Fremdenverkehr). Ein 11-seitiges Literaturverzeichnis und ein Sachregister beschließen das Buch. Die Publikation setzt sich auch sehr kritisch mit einer Reihe von Biotop- und Artenschutzmaßnahmen auseinander. Sie macht deutlich, daß viele alte Zöpfe (z. B. bei derJagd) abgeschnitten sind und manche Wunschvorstellung nicht realisierbar ist, wei I ihrdie wissenschaftliche Basis fehlt. Schlagworte alleine bewältigen nicht die vielschichtige Proble- matik der Umwelt. Der Autor macht deutlich, daß jeder gefordert ist, mitzuarbeiten. So schreibt er im Vorwort „Es ist eine weitverbreitete, aber gefährliche Illusion, zu glauben, daß der Staat oder die Industrie allein in der Lage wären, unsere Umweltprobleme zu lösen". Dies zu verdeut- lichen, ist im vollen Umfang gelungen. W. KEIL

FITTER, A. (1987): Pareys Naturführer Plus: Blumen.-320 S.,1515 farb. Abb.,7Tab.,Verlag Paul Parey Hamburg und Berlin.

Neben dem neuen Naturführer „Vögel" publiziert der Parey Verlag einen botanischen Band seiner neuen naturkundlichen Schriftenreihe. Der Untertitel „Biologie + Bestimmen + Ökologie" macht deutlich, welche Bereiche abgehandelt werden. Im ersten Teil des Buches 373 geht es um die Evolution der Blütenpflanzen (das Pflanzenreich, der Lebenszyklus, die Blüten, Verlauf der Blütenentwicklung, Insektenbestäubung). Es folgt der Bestimmungsschlüssel mit dem Verzeichnis der Arten. Der dritte Teil des Buches befaßt sich mit der Naturgeschichte der wildlebenden Blütenpflanzen (Samen, Sprosse, Blätter, Wurzeln, Wechselwirkungen,Vermeh- rung, Wachstum und vegetative Vermehrung). Den Abschluß bilden Erklärungen botanischer Ausdrücke, wichtige Pflanzengesellschaften, ein Register der deutschen und wissenschaft- lichen Namen sowie eine Übersicht über weiterführende Literatur. Der Naturführer Plus „Blumen" wird den in ihn gesetzten Erwartungen gerecht. Gerade heute, wo Aktionen wie Ackerrandstreifen-oder Ökowiesenprogramme durchgeführt werden, ist ein solches Buch ein unentbehrlicher Ratgeber. Dies nicht nur für den Botaniker, sondern auch für die im Natur- und Umweltschutz Tätigen. W. KEIL

ZANG, H. & H. HECKEN ROTH (1986): Die Vögel Niedersachsens und des Landes Bremen. - Sonderreihe B, H. 2.7,186 S., Herausg. Nieders. Verwaltungsamt Hannover.

Mit Heft 2.7 stellen die Ornithologen Niedersachsens eine weitere Lieferung ihrer Avifauna vor.. Abgehandelt werden Flughühner, Tauben, Kuckucke, Schleiereulen, Eulen, Ziegenmelker, Segler, Bienenfresser, Eisvögel, Racken, Wiedehopfe und Spechte (insgesamt 42 Arten). Die Darstellung der einzelnen Arten erfolgt nach dem gleichen Grundkonzept wie in den bereits erschienenen Heften (Vorkommen in Niedersachsen, Bestand, Siedlungsdichte, Lebensraum, Wanderungen, Ringfunde, Gefährdung, Schutzmaßnahmen, offene Fragen). Besonders instruktiv sind die beigefügten Verbreitungskarten. Das Studium vorliegenden Heftes ist auch für die Feldornithologen der Nachbarländer von besonderem Interesse. W. KEIL

CHINERY, M. (1987): Pareys Buch der Insekten.- 328 S., 2390 farb. Abb., 135 einfarb. Zeichn., Verlag Paul Parey Hamburg und Berlin.

Weltweit sind rund eine Million Insektenarten bekannt.Von diesen leben rund 100.000 in Euro- pa.Es war daher keine leichte Aufgabe, aus dieser Vielzahl eine Auswahl zu treffen. Ausgewählt wurden solche Arten, die durch Größe, Farbe, Gestalt, Lebensgewohnheiten, Häufigkeit oder ihren Beziehungen zum Menschen als auffällig gelten können. Über 2.000 Insekten sind abge- bildet. Die Qualität dieser Abbildungen ist sowohl von der Darstellung wie der drucktech- nischen Wiedergabe als optimal zu bezeichnen. Der Band bringt, nach kurzen allgemeinen Hinweisen (einschließlich eines groben Bestimmungsschlüssels), die Darstellung der Arten. Wenn auch der Untertitel des Buches „Ein Feldführer der europäischen Insekten" lautet, so konzentriert man sich auf den Bereich Finnland bis Nordspanien und die Adria. Im Tele- grammstil werden die wesentlichen Erkennungsmerkmale, Lebensraum, Nahrung, Verbrei- tung, jahreszeitliches Auftreten und Verhaltensweisen beschrieben. Ein Kapitel ist anderen Gliederfüßlern (Tausendfüßler, Asseln, Spinnen u. a.) gewidmet. Besonders erfreulich ist der Aufruf an Entomologen, mit dem Insektenfang sehrvorsichtig umzugehen und in jedem Fall die Vorschriften der Naturschutzgesetzgebung zu befolgen. Das neue Insektenbestimmungs- buch ist nicht nur für die Entomologen eine sehr empfehlenswerte Lektüre. Auch für den Orni- thologen ist es ein äußerst nützliches Hilfsmittel bei der Bestimmung von Vogelnahrung. W. KEIL ROBILLER, F. (1987): Tiere der Nacht. - 240 S., 200 Farbfotos, 100 Strichzeichnungen, Verlag Ulmer Stuttgart.

Nachtaktive Tiere sind vielen Menschen unheimlich. Sie sind mit allerhand Geschichten umwoben, und vielen von ihnen, wie etwa Eulen und Fledermäusen, wird im Volksmund Böses, ja Dämonisches nachgesagt. Befaßt man sich näher mit diesen Tierarten, z. B. mit ihrem 374 Verhalten oder ihrer Anpassung an die speziellen Gegebenheiten dieser Tageszeit, so ist man schnell fasziniert, wie gut sich diese Tiere an die Nacht angepaßt haben. Das vorliegende Buch gibt einen Einblick in das nächtliche Treiben. Der Leser erfährt, welche Anpassung notwendig ist, um sich in der tiefen Dämmerung und im Dunkel der Nacht zurechtzufinden, welche Möglichkeiten entwickelt wurden, um sich zu orientieren und Beute zu fangen. So werden u. a. Schleiereule, Steinkauz, Uhu, Iltis, Elbbiber und Fledermäuse in ihren Revieren vorgestellt. Ausgezeichnetes Bildmaterial ergänzt und illustriert den Text. Ein Buch, das man vor allem jenen empfehlen kann, die sich über diese Tiere informieren wollen. W. KEIL

KNYSTAUTAS, H.J.V. (1987): Die Vogelwelt Ussuriens.-188 S., 207 Farbfotos,Verlag Paul Parey Hamburg und Berlin.

Ein ornithologisch sehr interessantes Gebiet der Erde ist Ussurien; zum sibirischen Teil Rußlands gehörend (Grenze: japanisches Meer im Osten, Wladiwostok im Süden, Ussuri und Amur im Westen und Norden). Es hat im wesentlichen Gebirgscharakter (bis um 2000 m NN) mit eingelagerten Hochebenen. Nach Westen fällt es in die größeren Flußebenen von Ussuri und Amur ab. In Ussurien wurden bisher 262 Brutvogelarten festgestellt. Einige davon konnten erst in den letzten Jahren nachgewiesen werden. Insgesamt wurden rund 400 Arten gezählt. Diese Fülle an Arten macht deutlich, daß eine noch recht unberührte Umwelt dem Ussuri- Gebiet das Gepräge gibt. Die ausgezeichneten Farbfotos der vielgestaltigen Vogelwelt und die der urwüchsigen Landschaft lassen die Einmaligkeit dieses Teils der Erde erkennen. Ein beeindruckender Bildband über die Vogelwelt einer noch intakten Region. W. KEIL

CARTER, D.J.& B. HARGREAVES (1987): Raupen und Schmetterlinge Europas und ihre Futter- pflanzen. - 295 S., 875 farb. und 30 einfarb. Abb., Verlag Paul Parey Hamburg und Berlin.

Der jetzt vom Paul Parey Verlag vorgestellte Feldführer behandelt mehr als 500 europäische Schmetterlingsarten und deren Futterpflanzen. Die Abbildung der Imagines und ihrer Raupen erfolgt mit der jeweiligen Wirtspflanze. Nach einer Einführung (Anatomie der Raupen, Lebens- zyklus, Feinde, Auffinden der Raupen u. a.) werden im systematischen Teil die einzelnen Arten vorgestellt (Verbreitung, Beschreibung, Habitat, Futterpflanzen, Biologie). Im 2. Tei I werden die Raupen auf ihren Futterpflanzen und die dazugehörenden Imagines abgebildet. Ein Literatur- verzeichnis, eine Liste der Futterpflanzen und ein allgemeiner Index runden den Inhalt ab. In vielen Bundesländern laufen seit einigen Jahren z. B. Ackerschonstreifen-, Ökowiesen- und Streuobstflächenprogramme, die der Erhaltung dieser in den letzten Jahrzehnten immer mehr in Bedrängnis geratenen Lebensräume (und deren Bewohner) dienen sollen. Denn nur wenn die Nahrungsgrundlage gesichert wird, können die jeweiligen Tierarten in ihrer Existenz erhalten werden. Das vorliegende Buch ist hier eine ausgezeichnete Hilfe. Es ist sicher all denen ein wichtiger Begleiter, die sich um den Schutz unserer Fauna und Flora bemühen. W. KEIL

SINGER, D. (1987): Vogeltreffpunkt Futterhaus. -123 Farbfotos,13 Farbzeichnungen, Kosmos Naturführer, Frankh'sche Verlagshandlung W. Keller & Co., Stuttgart.

Ein Futterhaus am Küchenfenster, auf dem Balkon oder im Hausgarten ist für den naturverbun- denen Beobachter eine ideale Möglichkeit, die im Winter bei uns lebende Kleinvogelwelt kennenzulernen. Der Kosmos Naturführer „Vogeltreffpunkt Futterhaus" bietet dabei seine Hilfe an. Nach einer kurzen Einführung in die Thematik Winterfütterung (u. a. Ist Winterfütterung sinnvoll? Winterfütterung ja, aber mit Sachverstand) werden die einzelnen Vogelarten in Wort 375 und Bild vorgestellt, die an eine Futterstelle kommen können. Neben einem Kurzsteckbrief (Aussehen, Stimme, Vorkommen, Verhalten) wird auch versucht, die Futtermischung vorzu- stellen, welche die betreffende Vogelart am Futterhaus bevorzugt. Weitere Kapitel behandeln die selteneren Futterhausgäste, die Fütterung der Wasservögel, Hilfe für Greifvögel und Eulen sowie Fütterung in Wald und Feld. Unter der Rubrik „Hilfreiche Adressen" sollten mindestens alle Staatlichen Vogelschutzwarten als Fachdienststellen aufgeführt sein. Auch über die Auswahl der vorgestellten Literatur läßt sich streiten.Trotz dieser kleinen Schönheitsfehler, die ohne Probleme auszumerzen sind, ist dieser Naturführer eine gelungene Sache und kann sehr empfohlen werden W. KEIL

SPEICHER, K. (1987): Unser Kanarienvogel. - 72 S., 13 Farbfotos, 42 Schwarzweißzeich- nungen, Frankh'-Kosmos-Verlagsgruppe Stuttgart. Der Kanarienvogel gehört seit eh und je zu den beliebtesten Hausgenossen. Man ist heute - dank der züchterischen Selektionsmöglichkeit - in der Lage, Kanarienvögel „für jeden Geschmack" zum Kauf anzubieten. Hier sei die Frage gestellt, ob diese Manipulationen in der Zwischenzeit nicht Formen angenommen haben (z. B. „Pilzkopffrisuren-Kanarienvögel" u. ä.), die als Geschmacklosigkeit bezeichnet werden müssen. Es wäre an der Zeit, daß diesem Treiben Einhalt geboten wird. Das von KLAUS SPEICHER verfaßte Buch informiert sach- und fachgerecht über Anschaffung, Pflege, Fütterung, Unterbringung, Gesang, Zucht, Krankheiten, Kanarienrassen, Literatur und Futterpflanzen. Für denjenigen, der sich einen Kanarienvogel zulegen will oder einen solchen besitzt, ist das Buch ein guter Ratgeber. W. KEIL

376 Aus postalischen Gründen können die Preise für die besprochenen Bücher nicht bei den Besprechungen aufgeführt werden. Aus diesem Grunde werden die Preise an dieser Stelle nachgetragen:

BARTH, W.-E. (1987): Praktischer Umwelt- und Naturschutz DM 48,-

BEZZEL, E., H. W. HELB & K. WITT (1987): Ornithologen - Kalender '88 DM 14,90

CARTER, D.J.& B. HARGREAVES (1987): Raupen und Schmetterlinge Europas DM 48,- CHINERY, M. (1987): Pareys Buch der Insekten DM 38,- CREUTZ, G. (1985): Der Weißstorch DM 25,20 FITTER, A. (1987): Pareys Naturführer Plus: Blumen DM 34,-

KNORRE, D. u.a. (1986): Die Vogelwelt Thüringens DM 49,80

KNYSTAUSTAS, H. J.V. (1987): Die Vogelwelt Ussuriens DM 69,-

LÜBCKE, W. & R. FURRER (1985): Die Wacholderdrossel DM 22,- PERRINS, CHR. (1987): Pareys Naturführer Plus: Vögel DM 34,- ROBILLER, F. (1987): Tiere der Nacht DM 58,- SAUER, F. (1985): Afrikanische Vögel nach Farbfotos erkannt DM 28,-

Bezugsbedingungen:

Die Beauftragten der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saar- land erhalten diese Zeitschrift über ihre Kreis- bzw. Gemeindeverwaltungen.

Mitglieder des Landesverbandes Hessen e.V. im Deutschen Bund für Vogelschutz richten bitte ihre Bestellung an Frau H. Ey, Scharfensteiner Straße 17 6200 Wiesbaden, die Mitglieder der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz e.V. an Herrn K. H. Schaack, Groß-Hasenbach-Straße 6, 6050 Offenbach am Main.

Der Schriftentausch erfolgt durch die Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland Pfalz und Saarland, Steinauer Straße 44, 6000 Frankfurt am Main-Fechenheim. Der Bezugspreis beläuft sich z.Z. bei drei Heften jährlich auf DM 25,- inkl.Versandkosten. Nach Erhalt der Rechnung bitten wir den Gegenwert prompt auf das angegebene Postscheckkonto zu überweisen.