439 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 440 (Kap. 7; S. 321–323) ergänzen die bisherigen Ausfüh- Arbeit von Dr. Blischke (im folgenden = Vf.), die seit rungen. Die entsprechenden Darlegungen sind weit weni- September 2007 Vikarin in der Evangelischen Kirche in ger ausführlich als die der Kapitel 3 und 4. Sie be- Mitteldeutschland ist, ihre wissenschaftliche Bedeutung schäftigen sich häufig mit allen in Tell Abu al-Kharaz innerhalb der internationalen Septuaginta-Forschung er- bezeugten Perioden und besitzen teilweise sogar nur weisen. Im deutschen Sprachgebiet wird sie umso größe- Vorberichtscharakter (S. 305). In aller Regel geben sie re Aufmerksamkeit finden, als die Veröffentlichung von nur einen ersten Einblick in die jeweiligen Gegeben- „Septuaginta Deutsch“ durch die Deutsche Bibelgesell- heiten und dienen dem Verfasser wahrscheinlich vorran- schaft in schon seit einiger Zeit angekündigt gig als weitere Grundlage für die im abschließenden und indessen erfolgt ist (2009). Innerhalb der Bibelwis- Kapitel (Kap. 8; S. 325–374) präsentierten sehr weit- senschaft bildet sie einen besonders schroffen Kontrast reichenden Interpretationen des Materials. zur Eschatologie neutestamentlicher Schriften2 und macht Auf insgesamt nur 50 Seiten unternimmt der Verfasser gleichzeitig noch klarer, warum die Rechtfertigung des hier den Versuch, ein umfassendes kulturhistorisches Gottlosen (Röm 4,5) das Zentrum des christlichen Glau- Gesamtbild der lokalen, regionalen und überregionalen bens ist.3 Insofern kann man von Glück sagen, dass „die Verhältnisse in und um Tell Abu al-Kharaz während der Weisheit, die von Freunden Salomos zu dessen Ehre späten Mittelbronze- und der Spätbronzezeit zu ent- geschrieben“ wurde (Canon Muratori, ca. 200 n. Chr.), werfen. Neben Aussagen zur Architektur (S. 337–347), nicht in den (hebräisch-)griechischen Kanon gelangt ist. Keramik (S. 347–350) und zu den Kleinfunden (S. 350– Die ursprünglich griechisch geschriebene „Sophia“ wur- 357) werden Fragen zu den damaligen Umweltbedingun- de zwar von frühen Kirchenvätern4 oft benutzt, übte aber gen, der Besiedlungsdichte, der Administration (S. 325– erst als Teil der lateinischen Vulgata einen besonders 337), den ökonomischen Gegebenheiten und ehemaligen starken Einfluss auf die katholische Theologie und Fröm- Handelsgütern und -wegen (S. 357–358) thematisiert migkeit aus. und von Fischer teilweise beantwortet. Eine modifizierte Die Vf. teilt ihre Arbeit in vier Kapitel ein. Die Einlei- Terminologie für die Chronologie der Spätbronzezeit tung (1. Kap.) beginnt sie mit einem knappen For- (S. 358–364) und ein Vorschlag des Verfassers zur schungsüberblick, der in der Tat „die Notwendigkeit Synchronisation der lokalen, regionalen und überregio- einer umfassenden Untersuchung eschatologischer Aus- nalen Abfolgen (S. 365–374) schließen das Kapitel ab. sagen der Sapientia Salomonis“ zeigt (6). Mit der ins- Fragen, inwieweit die zur Verfügung stehenden Infor- truktiven Klärung der Begriffe Eschatologie und Apoka- mationen und das vorgestellte Material aus Tell Abu al- lyptik sowie der religionswissenschaftlichen Unterschei- Kharaz für derartig weitgespannte und komplexe Aus- dung zwischen Individual- und Universal-Eschatologie führungen ausreichend ist, werden vom Verfasser nicht (7–11) begründet sie die Begriffswahl im Titel ihres gestellt. Eine entsprechende Diskussion der jeweiligen Buches. Auch für solche, die sich in der frühen jüdischen theoretischen Grundlagen findet ebenfalls nicht statt und Geschichte einigermaßen auskennen, sind ihre Ausfüh- es drängt sich abschließend die Frage auf, ob es nicht rungen über das Diasporajudentum in Alexandria erhel- angemessen gewesen wäre, den vorliegenden Band II auf lend und hilfreich (12–24). Ohne Kenntnis der komple- die sehr gute Materialpräsentation und Materialauswer- xen „Einleitungsfragen zur Sapientia Salomonis“ (25– tung zu beschränken und den sehr weitreichenden chro- 49) wäre vieles im kommentarartigen Hauptkapitel (s. u.) nologischen und kulturhistorischen Fragestellungen erst schwerer zu verstehen. Die Vf. kennt sich aus und im Rahmen einer Endpublikation in einem eigenen Band schreibt gut, auch wenn der häufige Gebrauch von „Des nachzugehen. Die eigentliche Bedeutung des Bandes Weiteren“ und „Außerdem“ (33 u. ö.) etwas auf die Ner- liegt vorrangig im ersten Teil der Publikation. Hierfür sei ven geht. Obwohl es „unmöglich“ ist, „die Sapientia dem Verfasser herzlich gedankt. Salomonis als ein einheitliches, auf einen Verfasser zu- rückgehendes Werk zu betrachten“ (44), hält die Vf. mit Recht an der „Gattung des Logos protreptikos“ für die Altes Testament/Judentum ganze, im Zeitraum von 30 v. Chr. bis 40 n. Chr. ge- wachsene Schrift fest. Im Zusammenhang damit macht Blischke, Mareike Verena: Die Eschatologie in der Sapientia sie plausibel, dass das jüdische Buch der Weisheit sich Salomonis. Tübingen: Mohr Siebeck 2007. XI, 309 S. 8° = For- sowohl an Juden als auch an Heiden richtet. schungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 26. Kart. 59,00 €. ISBN

978-3-16-149459-8. – Bespr. von Michael Lattke, Queensland.

Wäre diese von Hermann Spieckermann betreute Göt- tinger Dissertation ein paar Jahre früher erschienen, hätte ich sie in das äußerst knappe Verzeichnis der wichtigsten 2 Vgl. z. B. David Luckensmeyer, The Eschatology of First 1 Literatur zur „Weisheit Salomos“ aufgenommen. Aber Thessalonians. NTOA/StUNT 71. Göttingen 2009. auch ohne solche ausdrückliche Anerkennung wird die 3 Vgl. z. B. Eberhard Jüngel, Das Evangelium von der Rechtfer- tigung des Gottlosen als Zentrum des christlichen Glaubens. Tübingen 52006. 4 Vgl. Hendrik J. W. Drijvers, Art. Salomo III. Sapientia Salo- 1 Vgl. Michael Lattke, Art. Salomoschriften I. Weisheit Salo- monis, Psalmen Salomos und Oden Salomos, TRE 29 (1998) 730–32, mos, RGG4 7 (2004) 805f. bes. 730.

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 441 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 442 Die zunächst kapitelweise (Sap 1–6), dann blockweise orientiert“ sind (202), d. h. an der „Übersetzung der (Sap 7,1–11,1 bzw. 11,2–19,22) vollzogene Exegese LXX“ (29, Anm. 176 u. ö.). (2. Kap.) beginnt jeweils mit einer klaren Strukturanaly- Im 3. Kap., „Das theologische und religiöse Umfeld se. Nach den so knapp wie möglich gehaltenen Einzel- der Sapientia Salomonis“, behandelt die Vf. Philo von exegesen in Auseinandersetzung mit der internationalen Alexandrien (203–23) und jüdische Grabinschriften Forschung werden zahlreiche eschatologische Themen (223–63), also einerseits „ein zeitgenössisches, elabo- behandelt. Diese historisch-systematischen Darstellungen riertes, theologisches und philosophisches Werk“ mit machen den eigentlichen Wert der Arbeit aus und können sehr deutlicher „Offenheit dem Hellenismus und der grie- hier nur stichwortartig zusammengestellt werden. Zu chischen Philosophie gegenüber“ und andererseits „ein Sap 1: „Der Begriff der ‚Seele‘ als Ausdruck eines ganz- Zeugnis des alltäglichen Umgangs mit dem Tod“ (203). heitlichen Menschenbildes“ (60–67) und damit auch als Auf den ersten Blick sieht dieses Material mit seinen „ein Synonym für den verstorbenen Menschen in seiner thematischen Vergleichen und Besonderheiten wie ein Gesamtheit“ (67); „Die unsterbliche Gerechtigkeit“ (68– Nachtrag aus, weil es in die Exegesen hätte eingearbeitet 79) als „ein besonderes Merkmal des theologischen Pro- werden können. Wie es aber jetzt präsentiert wird, hat es fils der Sapientia Salomonis“ (79); „Die Begriffe Tod den Vorteil, Philos Menschenbild und seine Aussagen zu und Hades“ (80–88)5 mit einer ersten auf Sap 1,13–16 Unsterblichkeit, Tod und Gericht konzentriert kennenzu- basierenden „Ätiologie des Todes“ (86–88) und einer Art lernen und kundig eingeführt zu werden in die verschie- Zusammenfassung, nämlich „Sap 1 als eschatologisches denartigen Grabinschriften aus Ägypten und Palästina. Programm“ (88f.). Zu Sap 2: „Die Gegner in Sap 2“, Insofern wäre es angebracht gewesen, dem Buch einen d. h. die sog. „Gottlosen“ (103–107); „Die Begriffe entsprechenden Untertitel zu geben. athanasia und aphtharsia“ (107–10); „Eschatologie und Das 4. Kap. stellt als „Ertrag“ in gebotener Kürze das Menschenbild in Sap 2“ (110–14, bes. zu Sap 2,23; vgl. „Proprium der Eschatologie in der Sapientia Salomonis“ dazu schon 98–102; zum Menschenbild vgl. auch 180– heraus (264–70). Die Eschatologie dieses literarisch 82); eine zweite auf Sap 2,24 basierende „Ätiologie des gewachsenen Logos protreptikos, der insgesamt „den Todes“ (114–16); „Tod [der Gerechten] nur dem An- Charakter einer Selbstvergewisserung im jüdischen schein nach“ (130). Zu Sap 3–4: „Das Gericht in Sap 3 Glauben“ hat (264), „dient der Plausibilisierung des Auf- und 4“ (130–39) mit den beiden besonders wichtigen rufes zur Liebe zur Gerechtigkeit“, die „Unsterblichkeit“ Abschnitten „Schicksal der Gerechten und Gottlosen im bringt. Dieses eschatologische Liebeskonzept muss man Sterben und im Gericht“ (135–38) und „Auferstehung wohl, wie schon oben angedeutet, als Rechtfertigung des der Toten oder Unsterblichkeit der Seele“ (138f.); hier Gerechten bezeichnen. Wenn die Vf. „auch die Brücken- könnte man von der Rechtfertigung der Gerechten spre- funktion der Sapientia Salomonis zum Neuen Testament“ chen, da sie als „Seelen“ (s. o.) überhaupt nicht im end- betont (270), sollte man nicht vergessen, dass sie viel gültigen Sinne sterben. Zu Sap 5: „Der Abschluss des mehr noch eine „Negativfolie“ (107) zur Rechtfertigung Gericht[s]szenarios in Sap 5“ (150–55), wo „jegliche des Gottlosen bildet. Nähe zur Apokalyptik … zu vermeiden“ versucht wird Der Rest der Arbeit enthält ein umfassendes Literaturverzeichnis (152). Zu Sap 6: „Unvergänglichkeit durch das Gesetz“ (271–92), in dem der Beitrag von Samuel Holmes fehlt (APOT 1 (155–70) mit verschiedenen Einzelthemen. Zu Sap 7,1– [1913 u. ö.] 518–68) und ThWNT statt THWNT verwendet werden 11,1: „Die Weisheit“ (173–78) als „Hypostase“, nicht sollte; ein Stellenregister (293–305), in dem „Sprüche“ statt „Prover- nur als „Personifikation“ (177), und ihre „Bedeutung … bia“ verwendet wird (296, vgl. 271), die Unterscheidung zwischen AT für die Eschatologie der Sapientia Salomonis“ (178–80). (293) und LXX (297) eigentlich inkonsequent ist und die Inschriften Zum Rest: „Eschatologische Themen in Sap 11,2–19,22“ leider völlig fehlen; ein Namenregister (306f.), das durch die Auslas- (185–91) wie das „erzieherische Strafhandeln Gottes“ sung von Namen in Fußnoten unzureichend erscheint (das Fehlen von (185–88), „Gott als Herr über Leben und Tod“ sowie 234 bei Horbury geht wohl aufs Konto der automatischen Erstellung, „Vergänglichkeit und Unvergänglichkeit menschlichen bei der „Horbuy“ [sic] nicht gefunden werden konnte); schließlich ein Sachregister (308f.), in dem ich nicht nur „Weltende/Jenseits“ ver- Lebens“ (189f.) mit einer Konkretisierung der „Entspre- misse (so der Querverweis unter „Eschaton“), sondern z. B. auch chungen zwischen Gesetz und Unvergänglichkeit und wichtige Stichwörter wie „Liebe“ und „Menschenbild“. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit“ (189). Am Ende des Hauptteils stellt die Vf. die Frage „Alttestamentliche Hätte sich die Vf. nach ihrer Promotion im Mai 2007 oder hellenistische Einflüsse?“ (191–202) und kommt etwas mehr Zeit gelassen mit der Veröffentlichung, wäre trotz der vorauszusetzenden hellenistischen Bildung der die Zahl der echten Druckfehler (ca. 60), die Versehen Verfasser und ihrer mehr oder weniger großen Offenheit bei griechischen Wörtern (ca. 50, meist Akzente betref- für ihr hellenistisches Umfeld zum begründeten Urteil, fend bzw. verursacht durch unzureichende Kenntnis des dass sie „ganz an den Schriften des Alten Testaments Schriftsatzes), die mangelnde Formatierung von Auto- rennamen in etlichen Fußnoten, komische Trennungen (im Vertrauen aufs automatische Programm), vor allem aber die gravierenden Fehler bei einigen Seitenumbrü-

5 Vgl. auch Michael Lattke, Oden Salomos: Text, Übersetzung, chen (78/79, 198/99, 230/31) verringert bzw. verhindert Kommentar. Teil 3: Oden 29–42. Transkription des Syrischen von worden. Eine vom Verlag beigelegte errata-Liste, die ich Klaus Beyer. NTOA 41/3. Fribourg; Göttingen 2005, S. 264–66 der Vf. direkt mitgeteilt habe, würde ihrem schönen (Exkurs 42: „Hades“ als Totenreich in den Oden Salomos). Buch noch helleren Glanz verleihen.

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 443 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 444 Williamson, H. G. M.: Holy, Holy, Holy: The Story of a Liturgi- Dass eine Studie über die Institution des Asyls in Isra- cal Formula. Mit einer Einführung von Reinhard G. Kratz. , el auf dem Hintergrund der außerisraelitischen Antike New York: Walter de Gruyter 2008. 36 S. 8° = Julius-Wellhausen- ein dringendes Forschungsdesiderat ist, wird niemand Vorlesung, 1. Kart. 14,95 €. ISBN 978-3-11-020716-3. – Bespr. bestreiten. Entsprechend erwartungsvoll greift man zur von Kathrin Liess, Tübingen. Arbeit von Christine Dietrich (= D.), einer von Klaus

Seybold betreuten und in Basel angenommenen Disserta- Die kleine Studie des ausgewiesenen Jesajaforschers tion. In der Tat bekommt man eine umfangreiche Samm- H. G. M. Williamson1 bietet den Abdruck der ersten, lung von Materialien in die Hand. Allerdings muss sofort vom Göttinger Centrum Orbis Orientalis ausgerichteten die Warnung ausgesprochen werden, diese Materialien Julius-Wellhausen-Vorlesung, ergänzt um eine Einfüh- nur nach gründlicher Überprüfung zu verwenden. Beson- rung zu Wellhausen und Williamson von R. G. Kratz. dere Vorsicht ist bei der Übernahme von Schlussfolge- Anhand der Geschichte des Trishagion Jes 6,3, das in die rungen D.s angeraten. jüdische und christliche Liturgie Eingang gefunden hat, Schon die Fußnote 2 lässt stutzen, wenn zum Stich- zeichnet W. exemplarisch die Transformation von Tradi- wort „Naturvölker“ die „Begriffserklärung aus Wikipe- tionen in der prophetischen Überlieferung nach. Die dia“ dargeboten wird (so dann auch noch in Fußnote 71 ursprünglich positiv konnotierten Motive der Heiligkeit die Erklärung von „Talion“). Zwar ist Wikipedia ein und Herrlichkeit Gottes aus der liturgischen Überliefe- auch vom Rezensenten gerne genutztes Mittel für schnel- rung der Jerusalemer Kulttradition werden im Kontext le Orientierung. Wissenschaftlich zitierfähig ist „die freie von Jes 6 so umgedeutet, dass sich Gottes Herrlichkeit Enzyklopädie“ allerdings nicht. Weitere formale Mängel auch gegen sein eigenes Volk wenden kann (diese Deu- verunsichern beim Lesen. So gibt Fußnote 52 den Text tung ergibt sich nach W. auch aus dem Kontext Jes 8,7– von Neh 6,10–13 vollständig in deutscher Übersetzung 8; dabei wird jedoch der literarhistorische Zusammen- wieder. Dieselbe Stelle wird dann auf S. 82 noch einmal hang der beiden Texte nicht hinreichend geklärt).2 Erst in im Haupttext angeführt. Allerdings weicht die Überset- der späteren Rezeption der liturgischen Formel im Jesa- zung nicht unerheblich von der ersten Stelle ab, ohne jabuch gewinnen die Motive erneut eine positive Bedeu- dass es ein Wort der Erklärung gäbe. Manche Sätze sind tung, an die schließlich die jüdische und die christliche schlicht unverständlich („Die Talion ist ein Unterfall der Liturgie anknüpfen konnten. Die Stärke dieser Studie Vergeltung, die auch solche Schädigungen eines Täters besteht in der Verbindung von literarhistorischen und umfasst, die über die Talion hinausgehen, und ist zur Zeit rezeptionsgeschichtlichen Fragestellungen, denn auf der Privatstrafe, also, wo die Bestrafung des Täters dem diese Weise zeigt W., wie der „Graben zwischen dem Opfer zugesprochen wurde, vom Schadensersatz kaum überlieferten Text und unseren Lese- und Verstehensge- zu unterscheiden“, Fußnote 71). Ein großes Ärgernis sind wohnheiten“ (Kratz) überbrückt werden kann. fehlende Belege für die an sich ja nützliche Zusammen- stellung von Materialien. So bietet D. auf S. 97f. eine Tabelle ägyptischer Asylheiligtümer aus der Ptolemäer- zeit. In der zweiten Spalte folgen die dort verehrten Dietrich, Christine: Asyl. Vergleichende Untersuchung zu einer Rechtsinstitution im Alten Israel und seiner Umwelt. Stuttgart: Gottheiten. Die dritte Spalte ist mit „Beleg“ überschrie- W. Kohlhammer 2008. 232 S. m. Abb. 8° = Beiträge zur Wissen- ben und enthält Einträge wie „Zahlreiche Belegstellen“, schaft vom Alten und Neuen Testament. Zehnte Folge, 2. Kart. „Verschiedene Belegstellen“, „Steleninschrift“ oder „In- 29,90 €. ISBN 978-3-17-020523-9. – Bespr. von Rainer Kessler, schriftentexte“. Eine einzige Inschrift wird mit Fundort Marburg. wiedergegeben (98f.). Bei anderen lautet die Fußnote: „Siehe Wilcken, U., Urkunden der Ptolemäerzeit I, Ber- Wie der Titel verrät und die Vf. im Vorwort bestätigt, lin/Leipzig 1922 und Thompson, D. J., Memphis under „bildet Israel den Ausgangspunkt für alle Untersuchun- the Ptolemies, Princeton 1988“ (so identisch Fußnote gen“. Es handelt sich also primär, wie auch der Ort der 200–202). Der fast durchgängige Verzicht auf Seitenan- Veröffentlichung in der Reihe BWANT zeigt, um eine gaben bei den zitierten Büchern kann als Aufforderung alttestamentliche Arbeit, die die mesopotamische, ägypti- aufgefasst werden, gleich diese Bücher statt der Arbeit sche, griechische und römische Antike als Umwelt Isra- von D. zu lesen. Was für die Sekundärliteratur gilt, trifft els einbezieht. Entsprechend umfangreich sind die alttes- teilweise auch auf die Primärquellen zu: „Vgl. Vergil, tamentlichen Abschnitte der Studie. Aeneis, lateinisch-deutsch, Stuttgart 2003“ (Fußnote 218), oder: „Vgl. Homer, Odyssee, Reinbeck bei Ham- 31 1 Vgl. u. a. The Book Called Isaiah. Deutero-Isaiah’s Role in burg, 2003“ (Fußnote 290). Etwas genauer wüsste man Composition and Redaction, Oxford 1994; Variations on a Theme. es schon gerne. King, Messiah and Servant in the Book of Isaiah, Carlisle 1998; A Nun ist prinzipiell nicht auszuschließen, dass eine Ar- Critical and Exegetical Commentary on Isaiah 1–27, vol. 1: Commen- beit trotz bedenklicher formaler Mängel eine inhaltliche tary on Isaiah 1–5 (The International Critical Commentary), London Bereicherung darstellt. Für den Rez. liegt diese, wie 2006. schon gesagt, in der Bereitstellung von Material, auch 2 S. dazu F. Hartenstein, JHWH und der „Schreckensglanz“ Assurs (Jesaja 6–8). Traditions- und religionsgeschichtliche Beobach- wenn dieses in den als Beleg angeführten Werken oft erst tungen zur „Denkschrift“ Jesaja 6–8*, in: F. Hartenstein/J. Krispenz/ noch gesucht werden muss. Aber immerhin! Auch die A. Schart (Hg.), Schriftprophetie (FS J. Jeremias), Neukirchen-Vluyn Anlage der Arbeit und einige methodische Prinzipien 2004, 83–102. sind bedenkenswert. So ist es zu begrüßen, dass D. sich

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 445 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 446 nicht beim „Nachweis konkreter Abhängigkeiten“ auf- cherweise nicht unähnlich war“ (99). Nun ist vieles „gut hält, sondern durch die „Untersuchung auffälliger Ähn- denkbar“. Aber auch wenn es primär um einen Kultur- lichkeiten und Unterschiede“ „ein tieferes Verständnis vergleich und nicht um Abhängigkeiten geht, wäre es der Texte selbst“ gewinnen will (11). Es geht ihr nicht angesichts der alttestamentlichen Belege, die weit über- um genealogische Beziehungen, sondern um einen Kul- wiegend vorptolemäisch sind, schon wichtig zu wissen, turvergleich. Auch ist ihr zuzustimmen, wenn sie als ob es vor der makedonischen Eroberung in Äypten eine Mangel der bisherigen Untersuchungen festhält, dass Asylpraxis gab oder ob die ptolemäisch belegte Praxis zwar „jeweils facheigene Thesen aufgestellt und weiter- von Griechenland beeinflusst wurde. Im Übrigen verwei- verfolgt oder widerlegt“ wurden, über dieser Facharbeit gert sich D. an anderer Stelle der Diskussion von Abhän- innerhalb der einzelnen Kulturen aber die „Vergleichsar- gigkeiten keineswegs, wenn sie für Rom einleuchtend beit“ zu kurz gekommen ist (46). aufzeigt, dass es dort wohl keine eigenständige Asyltra- Zum Beginn der materialen Untersuchung legt D. die dition gab, sondern diese von Griechenland beeinflusst Definition von Asyl vor, mit der sie arbeitet: „Das Hei- war (129–137). ligtumsasyl ist eine Institution, die Schutzsuchenden in Der an die Vorstellung der einzelnen Kulturen an- Not an einem heiligen Ort Zuflucht gewährt – meistens schließende Versuch einer „Darstellung der Geschichte am Altar eines Tempels. Das Asylwesen hat seinen Ur- des Asylwesens im Mittelmeerraum“ (Kap. 4, 138) mit sprung im Heiligtumsasyl“ (50). Nach einer Sammlung abschließender Synopse (150) krankt eben daran, dass von Materialien aus allen ins Auge gefassten Kulturkrei- neben sicheren Beobachtungen auch spekulative Schlüs- sen begibt D. sich sodann in Kap. 3 an die „Analyse der se in die Auswertung eingehen. Quellen“ (63). Am Ende des Durchgangs durch das alt- Kap. 5 und 6 tragen einzelne Aspekte zusammen, wo testamentliche Material entwirft sie ein Bild „von unter- sich in der einen oder anderen Kultur Parallelen zu Phä- schiedlichen Entwicklungsstadien“: „Asylwesen am nomenen aus Israel finden. Allerdings darf die Vorsicht Tempel – Entsakralisierung – Resakralisierung. Je jünger beim Umgang mit D.s Auswertungen nicht nachlassen. die Gesetzestexte zu diesem Thema werden, desto pro- So verweist D. z. B. auf die in Griechenland und dem grammhafter und fiktiver wird ihr Charakter“ (82). Das ptolemäischen Ägypten belegte Praxis, dass Waisenkin- so skizzierte Bild ist durchaus plausibel. Allerdings wird der am Tempel Schutz finden, was sie als Asyl interpre- es nicht aus den Texten abgeleitet. Vielmehr findet es tiert. Dann fährt sie fort: „Auch in Israel gab es Kinder, sich bereits am Ende des anfänglichen Forschungsbe- die am Tempel aufwuchsen“ (157), um als einziges Bei- richts, wo es allerdings auch nicht aus der bisherigen spiel den kleinen Samuel anzuführen (1Sam 1–3). Das Forschung entwickelt wird. Vielmehr formuliert D., sie ist nun aber alles andere als ein Fall von Asyl, sondern es „möchte … von folgenden Arbeitshypothesen ausgehen, handelt sich eindeutig um die Erfüllung eines Gelübdes die ich auf dem gegenwärtigen Stand der Forschung als der Mutter. am einleuchtendsten erachte“ (27) – worauf dann die Das letzte große Kapitel über „Biblische Psalmen als Entwicklung angegeben wird, die auch am Ende der Asyltexte“ (Kap. 7, 169) ist nicht nur in formaler Hin- Textuntersuchung steht. Auf den Versuch, das, was sie sicht ärgerlich. So sind die zahllosen Psalmenüberset- „am einleuchtendsten erachtet“, auch dem Leser ein- zungen mit Septuaginta- und Vulgata-Varianten gespickt, leuchtend zu machen, verzichtet D. weitestgehend. die für das Asylthema völlig irrelevant sind (z. B. die Nachdem die Texte aus dem Alten Testament vorge- Wiedergabe des Tetragramms mit kýrios bzw. Dominus stellt und zu dem beschriebenen Bild zusammengefügt oder die Übersetzung des im Hebräischen unverständ- wurden, wendet sich D. dem Material aus den Nachbar- lichen Sela-Vermerks mit diápsalma). Andere Varianten, kulturen zu. Die hier gebotene Materialfülle ist beacht- die vielleicht relevant sein könnten, werden nicht disku- lich. Sie stellt den eigentlichen Schatz dieses Buches dar. tiert. Vor allem beruht das Kapitel auf einem einzigen Da bei den ausführlich zitierten antiken Quellentexten Zirkelschluss. Es werden sieben Kriterien angegeben und auch die Fundstellen genau angegeben werden, kann man dekretiert: „Ein Psalm kann dann als Asylpsalm gesehen mit diesem Material hervorragend arbeiten. Was die werden, wenn mehrere der folgenden Kriterien erfüllt Auswertung der Beobachtungen angeht, ist allerdings sind“ (169). Zu diesen Kriterien gehören z. B.: Notlage nach wie vor die eingangs empfohlene Vorsicht geboten. des Beters (1.) oder Bedrohung durch Feinde (2.), Hin- Es gibt valide nachgewiesene Schlüsse, so zum Ver- weise auf Rechtschaffenheit des Beters (5.), Dank für gleich zwischen ptolemäischer und seleukidischer Asyl- erfahrene Rettung (7.). Auch zusammen ergeben diese praxis: „Bei den ägyptischen Asylvorkommnissen fällt vier Kriterien mitnichten einen Hinweis auf eine Asylsi- generell auf, dass das Asylrecht stets explizit an die tuation. Nun könnte D. auf ihr Kriterium 3 hinweisen, die Tempel vergeben wird. Bei den seleukidischen Asylstäd- breite Metaphorik für „das Heiligtum als Schutzort“. ten war demgegenüber zu beobachten, dass die besonde- Freilich müsste da in jedem einzelnen Fall geprüft wer- re Heiligkeit der ganzen Stadt und das Asyl dem Tempel den, ob die Metapher auf eine Asylsituation weist oder und der Stadt verliehen wurde“. Auf diese Beobachtung anders zu deuten ist. Ein solcher Nachweis unterbleibt folgt aber sogleich ein Satz, der hoch spekulativ ist und bei D. Es werden nicht einmal Alternativen erwähnt, von D. selbst an keiner Stelle begründet wird: „Es ist gut geschweige denn diskutiert. Ich verweise nur als ein denkbar, dass die Heiligtümer in Memphis, Busiris und Beispiel auf das Bild vom „Schatten deiner Flügel“, das Athribis schon vor den Ptolemäern eine Form der Asyl- D. umstandslos für das Asyl reklamiert. Hier liegen aus- praxis kannten, die der am Tempel in Jerusalem mögli- gearbeitete Interpretationen vor, das Bild von geflü-

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 447 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 448 gelten Schutzgottheiten (S. Schroer) oder von der Audi- Massenware nackter oder nur teilweise bekleideter Frau- enzsituation vor dem König (F. Hartenstein) her zu en mit einer Scheibe in den Händen. Die Belege, die verstehen, die D. nicht erwähnt. So kommt D. zu der ungefähr in die Zeit zwischen dem 11./10. und der beachtlichen Zahl von 31 Asylpsalmen (Tabelle 171– 1. Hälfte des 7. Jh.s datiert werden können, stammen aus 177), ohne auch nur in einem Fall den Asylcharakter in kultischen, häuslich-privaten, öffentlichen und sepulkralen Auseinandersetzung mit alternativen Deutungsvorschlä- Kontexten, fast nur aus dem Gebiet des Nordstaates Israel. gen zu diskutieren. Laut Paz sind solche Figurinen in Juda so gut wie nicht Man darf der Vf. für das zusammengetragene Material belegt, statt dessen aber die bekannten Pfeilerfigurinen. zum Asyl im alten Israel und seiner Umwelt danken. Die Allerdings hat die Vf. Figurinen mit einer Scheibe aus al- Arbeit der Auswertung ist freilich noch nicht getan. ¢īb, Rāmat Rāhēl, Tell an-Nasbe und Jerusalem nicht in ihren Katalog aufgenommen, weil sie in deren Scheiben keine Trommeln erkennen kann (S. 102, Anm. 37). Bei Type B („Drummer Figurines with a Hollow, Co- Paz, Sarit: Drums, Women, and Goddesses. Drumming and Gender nical Body“) handelt es sich um vollständig bekleidete in Iron Age II Israel. Fribourg: Academic Press; Göttingen: Van- Figurinen mit einem konischen, auf der Scheibe gedreh- denhoeck & Ruprecht 2007. XII, 143 S. m. Abb. 8° = Orbis Bibli- ten Hohlkörper. Kopf, Frisur, Arme, Hände und Scheibe cus et Orientalis, 232. Hartbd. 33,90 €. ISBN 978-3-7278-1610-9 sind mit der Hand geformt, das Gesicht könnte mittels (Academic Press); 978-3-525-53031-3 (Vandenhoeck & Ruprecht). eines Models hergestellt sein. Sie stammen überwiegend – Bespr. von Ulrich Hübner, Kiel. aus phönizischen oder phönizisch beeinflussten Fundor- ten (ca. 9.–7. Jh. v. Chr.), vor allem aus Gräbern. Dem Das vorliegende Buch geht auf eine hebräische Magis- Umstand, dass solche Figurinen bis in die hellenistische ter-Arbeit aus dem Jahr 2003 am Department of Ar- Zeit hinein hergestellt worden sind, geht die Vf. aller- chaeology and Ancient Near Eastern Cultures an der dings nicht weiter nach. Universität Tel Aviv zurück, die für den Druck überar- Bei Type C („Women Drummer Figurines of the Hyb- beitet und ins Englische übersetzt wurde. Die Vf. unter- rid Types“) handelt es sich um Figurinen, die eine Mi- sucht darin die eisenzeitlichen Darstellungen von Trom- schung aus Typ A und B darstellen, die aus sepulkralen, mel spielenden Frauen aus Palästina, vornehmlich aus öffentlichen und kultischen Zusammenhängen vor allem dem Nordstaat Israel, in der Gestalt von vollplastischen jordanischer Fundorte des 10.–6. Jh. v. Chr. stammen. Terrakottafigurinen (und Modeln), aber auch von figura- In einem nächsten Schritt (S. 52–71) werden alle we- len Appliken an Kultständern und Naiskoi. Der chrono- sentlichen archäologischen Daten (Datierung, Fundorte, logische Rahmen umfasst die Eisenzeit I–II, konventio- Fundkontexte, Herstellungstechniken u. ä.) zusammenge- nell datiert (1200–1000.1000–586 v. Chr.) und mittels tragen. Dabei wird auch der bekannte Kultständer aus der low chronology relativiert, der geographische Rah- Aschdod Stratum X ausführlich beschrieben (S. 68–71, men „Israel today including the Palestinian territories vgl. schon 50–51) und die dort dargestellten Musiker als (sic), and parts of Transjordan“, auch und ebenso unge- Männer identifiziert. Beim Fundmaterial wurde u. a. über- nau und problematisch „Eretz-Israel“ genannt. sehen Fischer P. M., Tall Abū al-Kharaz. The Swedish Auf der Basis der eruierbaren archäologischen Daten Jordan Expedition 1994, Fifth Season. Preliminary Exca- möchte Paz die Bedeutung und Funktion dieser Objekte vation Report, ADAJ 40 (1996) 103, fig. 2:1. In einigen erhellen. Dazu bedient sie sich auch alttestamentlicher Fällen werden die endgültigen Grabungsberichte nicht Belege (S. 82–85) sowie musikwissenschaftlicher und zitiert: Ben-Tor A./Bonfil R. (ed.), Hazor V., Jerusalem ethnologischer Materialien und Methoden. Ihre Method- 1997, 282; Eshel I./Prag K. (ed.), Excavations by ologie orientiert sie an Olsen D., The Magic Flutes of El K. M. Kenyon in Jerusalem 1961–1967, Vol. IV: The Iron Dorado, in: Hickmann E./Hughes D. E. (ed.), The Ar- Age Cave Deposits on the South-east Hill and Isolated chaeology of Early Music Cultures, 1986, 305–328. Burials and Cemeteries Elsewhere, London 1995, 159ff.; Einen wesentlichen Schwerpunkt bildet dabei die gender Kempinski A. (ed.), Tel Kabri, Tel Aviv 2002, 350.353. archaeology. Bei den altorientalischen und ethnologischen Paralle- Auf eine methodologisch und forschungsgeschichtlich len zu Musikensembles fehlt z. B. die Darstellung vom orientierte Einführung (S. 1–11) folgt das umfangreichs- Tell "alāf, auf der eine Tierkapelle mit einer Katze als te Kapitel der Arbeit (S. 12–51), ein Katalog der ein- Trommelspielerin zu sehen ist (Schuol M., Hethitische schlägigen Terrakotten, der auch bislang unpubliziertes Kultmusik, Rahden/Westfalen 2004, 72) oder Klengel- Material enthält. Dass die Vf. dabei ständig Angaben Brandt E./Cholidis N., Die Terrakotten von Babylon im nach der unpublizierten hebräischen Dissertation von Vorderasiatischen Museum, Teil 1: Die anthropomor- R. Kletter von 1995 anstatt nach deren 1996 publizierter, phen Figuren, Saarwellingen 2006, 62, aber auch Arav ins Englische übersetzter Version macht, ist unakzepta- R., A Mamlūk Drum from Betsaida, IEJ 43 (1993) 241– bel. Viele, aber leider keineswegs alle Objekte werden 245. An wichtiger Literatur fehlen u. a. nahezu sämtliche mittels Photos oder Schwarzzeichnungen abgebildet. einschlägige Artikel aus dem Lexikon der Ägyptologie, Die Terrakotten werden dabei typologisch wie folgt aus Musik in Geschichte und Gegenwart (2. Auflage) aufgeteilt: und aus dem Reallexikon für Assyriologie, weiter Bei Type A („Plaque Figurines of Women Holding a O’Bryhim Sh., The Sphere-bearing Anthropomorphic Round Object“) handelt es sich um in Model geformte Figurines of Amathus, BASOR 306 (1977) 39–45; Nix-

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 449 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 450 dorff H., Zur Typologie und Geschichte der Rahmen- arbeitung zuteil geworden sind. Nicht nur, dass sich eini- trommeln. Kritische Betrachtungen zur traditionellen ge große judaistische Projekte mit der Erschließung des Instrumententerminologie, Berlin 1971 und Wohlenberg zum größeren Teil noch unerschlossenen Textmaterials D., Kultmusik in Israel. Eine forschungsgeschichtliche befasst haben, auch die religionswissenschaftliche Debat- Untersuchung, Diss. theol. unpubl. Hamburg 1967. te über den schillernden Begriff Magie hat wichtige An- Die Scheiben aller in den Katalog aufgenommener Fi- stöße erhalten, so dass sie das gesamte Phänomen in gurinen, die in der Vergangenheit auch als Rundkuchen, einem neuen und ernsthafteren Licht erscheinen lassen. Sonnenscheiben, (Opfer-)Schalen u. ä. interpretiert wor- Die Forderung nach einer umfassenden Untersuchung den sind, interpretiert Paz als kleine handliche Rahmen- des Phänomens ist dabei schon öfter geäußert worden (so trommeln (S. 72–81). Die Frauenfiguren selbst versteht etwa noch 1984 von M. Hengel). Der Versuch, eine Ge- sie nicht als Göttinnen, sondern als Trommel spielende schichte der jüdischen Magie zu schreiben ist daher mehr Frauen bzw. Kultteilnehmerinnen. als berechtigt, auch wenn aufgrund des an vielen Stellen In den nächsten drei Kapiteln (S. 86–124) und zu- bemerkten Fehlens noch ausstehender Publikationen von sammenfassend im Schlusskapitel (S. 125–126) werden Material gleich zu Beginn die Frage erlaubt sei, ob ein so die sozial- und religionsgeschichtlichen Hauptthesen umfassend angelegtes Werk nicht etwas zu früh ge- entwickelt, mittels derer die Vf. die Figurinen in einen schrieben wurde. So lagen dem Vf. noch nicht die mitt- größeren Kontext stellt: Danach war die Trommel in lerweile erschienene Neuedition des Sefer ha-Razim Israel ein typisches Frauen-Musikinstrument. Anlässlich (siehe dazu die Hinweise des Vf. auf S. 170) vor, und von Siegesfeiern spielten traditionell Frauen auf Trom- auch von zahlreichen nichtpublizierten magischen Scha- meln und sangen und tanzten dazu in der Öffentlichkeit len aus Babylonien hatte er nur vom Hörensagen Kennt- (vgl. Ex. 15,20; Ri. 11,34; 1. Sam. 18,62; Jer. 31,4). An- nis (vgl. dazu S. 183, wo darauf verwiesen wird, dass sonsten waren sie nach und nach aus der offiziellen Reli- bislang nur ca. 300 publiziert sind, mehr als 1500 aber gion in den Hauskult abgedrängt worden. Im offiziellen bekannt) – wobei er gleich mehrfach auch auf das spe- Kult und damit in der offiziellen Kultmusik dominierten zielle Problem der zahlreichen und in den letzten Jahr- Männer auch als Musiker, insbesondere in den angeblich zehnten immer häufiger identifizierten Fälschungen die- „kanaanäischen“ Orchestra. Im Hauskult praktizierten ser Artefakte aufmerksam macht (vgl. S. 158 zu einer Frauen einen auf die kanaanäische Kultur zurückgehen- Fälschung aufgrund einer wissenschaftlichen Edition!). den Fruchtbarkeitskult (Aschera). Paz sieht also eine Viele der in Pahlawi beschrifteten Zauberschalen sind grundlegende Dichotomie zwischen den beiden Traditio- bislang noch nicht einmal übersetzt (vgl. S. 185), was nen der Trommlerinnen und der männlich besetzten eine umfassende Erörterung der historischen Entwick- Kultensembles. Die Trommlerinnen-Figurinen setzten lungen etwa im Vergleich mit Mesopotamien erschwert. danach eine popular (folk) gender ideology gegen eine Der Vf. zieht sich allerdings im Hinblick auf die enorme androzentrische Ideologie innerhalb der offiziellen Reli- Menge an Quellen so aus der Affäre, als dass er sich (vor gion, protestierten damit auf ihre Weise gegen den Aus- allem) auf die jüdischen Zeugnisse für Magie, die aus schluss von Frauen aus dem offiziellen Kult und erinner- Palästina stammen oder mit dem Kernland des Juden- ten an frühere Zeiten, in denen Priesterinnen als Tromm- tums eng verbunden werden können, konzentriert und lerinnen im offiziellen Kult auftreten konnten. daher die Belege aus den daran angrenzenden Gebieten Die Thesen des Buches, das mit einer Bibliographie sowie aus der Diaspora des Mittelmeerraums nur zum (S. 128–142), aber leider ohne Register schließt, sind nicht gelegentlichen Vergleich oder zur Abgrenzung heran- unbedingt neu, nur werden sie hier an Hand der Trommle- zieht. Insgesamt geht es ihm mehr um die von ihm so rinnen-Figurinen erstmals in dieser Ausführlichkeit ins genannten „Insider“-Dokumente, wobei er diesen Begriff Feld geführt. Wie weit man dabei Paz folgen will, hängt durchaus weit fassen kann, wenn er z. B. auch das davon ab, ob man ihre impliziten und expliziten Voraus- Testamentum Salomon, eine christlich tradierte Schrift, setzungen teilt und ihr methodisches Vorgehen für akzep- in seine Darstellung mit einbezieht (vgl. S. 181). tabel hält. Vor allem stellt sich die Frage, ob die Thesen Das Werk gliedert sich in sechs Kapitel, die wiederum das archäologische Material angemessen interpretieren in zahlreiche, leider im Inhaltsverzeichnis nicht aufge- oder aber es überfordern. Nichtsdestotrotz ist der Vf. ins- führte Unterabschnitte gegliedert sind. Das erste Kapitel besondere wegen des Katalogs und der archäologischen bietet eine umfassende methodische Erörterung des Phä- Teile des Buches zu danken, die in Zukunft einen besseren nomens und auch der Frage, warum jüdische Magie so und leichteren Überblick über das Material erlauben. lange vernachlässigt wurde. Ausgehend von den bibli- schen Verboten und Beispielen für angewandte Magie werden die Voraussetzungen für die weitere Entwicklung in der Antike erläutert. Neben den Verboten von Magie Bohak, Gideon: Ancient Jewish Magic. A History. Cambridge, finden sich paradoxerweise bereits innerbiblische Berich- New York [u. a.]: Cambridge University Press 2008. IX, 483 S. m. te über Magier und magische Handlungen. Sie bilden 12 Abb. 8° Lw. 114.70 $. ISBN 978-0-521-87457-1. – Bespr. von allerdings nicht den einzigen Ausgangspunkt für die Andreas Lehnardt, Mainz. späteren Entwicklungen im Judentum, sondern belegen nur, dass Magie nicht per se als „unjüdisch“ abgetan Magie gehört zweifellos zu den Forschungsgebieten, werden kann. Monotheistische Magie ist genauso Magie die in den vergangenen Jahren besonders intensiver Be- wie polytheistische. In diesem Zusammenhang wird auch

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 451 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 452 die alte Frage nach Magie in ihrem Verhältnis zu Ratio- sie doch, wie wenig man gelegentlich von den übernom- nalität und Aberglauben behandelt. Judentum, so resü- menen Praktiken verstand, sie aber wie die Namen frem- miert Bohak, ist voller Magie, endemisch und systemin- der Götter und Dämonen dennoch übernahm und im härent. Abgrenzungen anhand moderner Kategorien wie jüdischen Sinne nutzbar machte. Rationalität greifen daher oftmals zu kurz. Interessant wird vor diesem Hintergrund die Frage, Das zweite Kapitel untersucht die Magie in der Zeit wie „jüdisch“ die jüdische Magie war. Dies wird im fünf- des Zweiten Tempels, wobei auch hier anthropologisch ten Kapitel erörtert, wobei die Verwendung von bibli- zwischen emischer und etischer Sicht unterschieden schen Texten und biblischen historiolae als wichtiges wird. Neben Philo und Josephus sowie den Belegen in Kriterium erkannt wird. Da jedoch die Träger von Magie den Pseudepigraphen und Apokryphen der Bibel spielen bzw. magischen Praktiken keiner bestimmten sozialen hier vor allem die Funde aus den Höhlen vom Toten Gruppe zugeordnet werden können, bleibt als vorläufige Meer (Qumran) eine Rolle, wobei sich der Vf. der Ten- Antwort nur, dass sich jüdische Magie dadurch auszeich- denz zur „lacunamancy“ (106) bewusst ist. Insgesamt ist net, dass sie wesentlich weniger synkretistisch war als das zur Verfügung stehende Material aus dieser Zeit die Magie in anderen Kulturen. Zahlreiche Texte lassen bemerkenswert gering, was auf die Bedeutung mündli- immerhin erkennen, dass man sich zwar auf dem religiö- cher Tradierung hindeutet. Sicher ist allerdings nur, dass sen Markt der Möglichkeiten bediente, aber nicht so weit es jüdische Magie und Magiker gab, auch wenn es für ging, das Judentum der Spätantike, das noch nicht unbe- professionelle Magie oder eine autoritative Tradition dingt mit dem rabbinischen Judentum identifiziert wer- keine Belege gibt. den muss, vollkommen zu verlassen. Bohak geht im Das dritte Kapitel des Buches ist das eigentlich Neue Hinblick auf diesen kaum näher zu fassenden Eklekti- der Untersuchung, denn hier wird zum ersten Mal das zismus von einer „hidden hand of the marketplace ideas“ bislang bekannte und ausgewertete jüdische Material (S. 349) aus, die die Rezeption von nicht-jüdischen Ideen zusammengestellt und kritisch beleuchtet. Besonders und Möglichkeiten gesteuert habe. wichtig sind die hebräischen und aramäischen Amulette, Der Unterschied zu bisherigen Versuchen der Rekon- die auf eine Praxis hindeuten, die sich nicht so weit zu- struktion der Stellung der Magie im antiken Judentum rückverfolgen lässt wie bislang angenommen, da es sich wird besonders im sechsten Kapitel des Buches deutlich. bei dem berühmten Amulett vom Ketef Hinnom in Jeru- Hier geht es nicht um eine weitere Zusammenstellung salem um eine Fälschung handelt. Auch hier finden sich der vielen Belege, wie die Rabbinen mit dem Phänomen Belege für aggressive und erotische Magie, wie sie be- umgingen,2 sondern wie sich die „insider“-Quellen, d. h. reits indirekt für die Zeit des Zweiten Tempels belegt ist. die erhaltenen Zeugnisse wie Zauberschalen und Papyri, Daneben werden zahlreiche magische Gemmen, Ringe zu den rabbinischen Stellungnahmen verhalten. Was und sonstige Schmuckstücke vorgestellt, wobei aller- bezeichneten die Rabbinen als Magie? Hatten die - dings auffällt, wie wenig der Vf. das Thema Schmuck/ nen Kenntnis von jüdischen und nicht-jüdischen Magi- Schmücken an sich und Ästhetik im Allgemeinen in kern? Stimmt das, was wir von Magie bei den Rabbinen seine Überlegungen mit einbezieht.1 wissen, mit dem überein, was die archäologischen Funde Zentral ist die Erörterung der aramäischen magischen belegen? Was man in diesem Abschnitt nicht findet, ist Papyri sowie der ersten literarischen Magiebücher wie eine Bestätigung, dass das babylonische Judentum eine des Sefer Razim und Harba de-Moshe, die mittlerweile größere Affinität zur Magie besaß. Dabei bleibt als wich- allerdings Gegenstand eigener Forschungsprojekte ge- tiges Ergebnis, dass wir trotz zahlreicher Funde einige in worden sind. Wichtig sind auch die Ergebnisse der Erfor- der rabbinischen Literatur beschriebene Praktiken noch schung der allerdings nur aus Babylonien bekannten nicht verstehen. Magie war offenbar ein Phänomen, wel- Zauberschalen und -schädel, da sie eindeutiger als die ches im Judentum, und zwar nicht nur am Rande der griechischen Belege aus den Papyri als jüdisch zu defi- Gesellschaft, aber auch nicht nur innerhalb der rabbini- nieren sind. Insbesondere diese Zeugnisse, vornehmlich schen Bewegung allein beachtet und rezipiert wurde. aus Ägypten, lassen die fließenden Grenzen zur nicht- Generell ist zu beobachten, dass sich Bohak stark an jüdischen Magie deutlich werden. den spät-antiken und frühmittelalterlichen Funden aus Das vierte große Kapitel des Buches untersucht die der Kairoer Geniza orientiert. Diese Funde, die von nicht-jüdischen Elemente in der spät-antiken jüdischen G. Shaked und P. Schäfer in den vergangenen Jahren Magie. Ausgehend von sprachlichen Mischprodukten mustergültig erschlossen wurden, haben die Forschung werden hebräische Übersetzungen griechischer Originale tatsächlich auf eine neue Grundlage gestellt. Andere sowie die zahllosen griechischen Wörter und Phrasen in Texte und Zeugnisse scheinen in Bohaks Darstellung jüdischen magischen Texten erörtert. Besonders auf- kürzer zu kommen als es ihnen gerecht wird. Auffällig ist schlussreich im Hinblick auf den kulturellen Austausch in diesem Zusammenhang der Verzicht einer ausführli- sind die Fehlübersetzungen griechischer Wörter, verraten cheren Erörterung von Gebetsriemen (Tefillin) und Tür- pfostenkapseln (Mesusot), die inner- und außerhalb des

rabbinischen Judentums eine offensichtlich magische 1 Vgl. dazu bereits Adolf Rosenzweig, Kleidung und Schmuck im biblischen und rabbinischen Schrifttum, Berlin 1905 (ein vom Vf. unberücksichtigtes Werk, das sicherlich einer Überarbeitung bedürfte, 2 Vgl. zuletzt noch Yuval Harari, The Sages and the Occult, in: aber doch auf einige Aspekte verweist, die im Hinblick auf die Klei- Shmuel Safrai u. a. (Hg.), The Literature of the Sages, Assen 2006, dungs- und Schmuckmagie zu beachten sind). S. 521–564.

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 453 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 454 Deutung erfahren haben. Auf das „Amulett-Hemd“, den Angaben zu Besprechungen der Faszikel 18 (Megilloth) Gebetsmantel (Tallit), kommt Bohak ebenfalls nur am und 20 (Ezra and Nehemia) sind in der Orientalistischen Rande zu sprechen (vgl. S. 122). Dabei verweist der Vf. Literaturzeitung 103 (2008), 60–68, zu finden. Weitere selbst mehrmals auf die Bedeutung des Tetragramma- Besprechungen sind: S. Kreuzer, Theologische Literatur- tons, welches eine ganze Reihe vergleichbarer Rituale zeitung 131 (2006), 722–725 (zu Fas. 18) und Theologi- veranlasst habe (S. 119). Schließlich geht er so weit, den sche Literaturzeitung 133 (2008), 370–373 (zu Fas. 5 Gebrauch magischer Schalen mit dem von Tefillin zu und 20); H. von Siebenthal, Jahrbuch für evangelikale vergleichen (S. 187).3 Bemerkenswert ist in diesem Zu- Theologie 22 (2008), 155–160 (zu Fas. 5, 18, 20); J. F. sammenhang auch, dass der Fluch als nicht-magische Hobbins, „Taking Stock of Biblia Hebraica Quinta“, Praxis gewertet wird (vgl. S. 124), obwohl defixiones des Jahrbuch für evangelikale Theologie 22 (2008), 37–56 Öfteren in die Betrachtung einbezogen werden. Nur am (zu Fas. 5, 18, 20; es ist ein Reviewartikel, der sich mit Rande berücksichtigt sind im Übrigen Gender-Fragen. den Fragen der Methodologie der textkritischen Arbeit Zwar finden sich einzelne Bemerkungen zur Rolle von am Alten Testament generell und der der BHQ befasst); Frauen (vgl. S. 189 und 430), doch bleibt die Geschlech- L.-S. Tiemeyer, The Expository Times 119 (2007), 195– terthematik innerhalb des Tradierungsprozesses ver- 196 (zu Fas. 18 und 20); M. McEntire in Review of Bibli- gleichsweise unberücksichtigt. cal Literature 04/2009 (http://www.bookreviews.org/ Das Buch ist in einem Idiom verfasst, welches zum pdf/6643_7199.pdf, zu Fas. 5); A. Steinmann in Review genaueren Verständnis einen britischen Sprachhorizont of Biblical Literature 05/2009 (http://www.book- erfordert. Häufig finden sich Formulierungen und Ver- reviews.org/pdf/6644_7200.pdf, zum Fas. 20). Eine Ein- gleiche mit Phänomenen der Gegenwartskultur, die Le- führung in die BHQ hat R. D. Weis, einer der Mitarbeiter sern kommender Jahrzehnte vielleicht nicht mehr nach- an der BHQ, unter dem Titel „Biblia Hebraica Quinta vollziehbar seien werden (vgl. z. B. 106, 181, 201). Zwar and the Making of Critical Editions of the “ ist der Verfasser Israeli, doch hat er geraume Zeit im in TC: A Journal of Biblical Textual Criticism 7 (2002) angelsächsischen Ausland geforscht. Auch dies verweist unter http://rosetta.reltech.org/TC/vol07/Weis2002.html auf das methodische und soziologische Problem, das publiziert. facettenreiche Gebiet „Magie“ in den wissenschaftlichen Die Texte der Fas. 18 und 20 sind samt dem kritischen Griff zu bekommen. Doch sind dies keine Mängel, son- Apparat und den Kommentaren in das Computerpro- dern eher Indiz dafür, wie lebendig die Diskussion um gramm Stuttgarter elektronische Studienbibel, Version das neu aufgefundene Material ist und sicher auch blei- 2.0, integriert (SESB, herausgegeben von der Deutschen ben wird, zumal in einem gesellschaftlichen Kontext wie Bibelgesellschaft). Der Text des 5. Fas. ist in der SESB in Israel, in dem praktische Magie eine alltägliche Reali- Update 3.0 aufgenommen. Es wäre zu begrüßen, wenn tät darstellt (vgl. S. 428). auch weitere Faszikel der BHQ schnell in elektronischer Ist Bohaks Darstellung der Geschichte der jüdischen Form vorlägen. Dies würde die Arbeit mit dieser Edition Magie im antiken Palästina zu früh erschienen? Mitnich- enorm bereichern. ten, sondern sein Buch stellt ein wichtiges und umfas- Für den hebräischen Text der vorliegenden Ausgabe sendes Resümee der Forschung dar. Das schwierige und wurden neben dem Kodex Leningradensis der Russi- disparate Phänomen erhält durch sein methodisch wohl schen Nationalbibliothek zu Sankt-Petersburg, Signatur durchdachtes und wegweisendes Buch einen festen Platz EBP. I B 19a, dem Grundtext der BHQ, drei weitere in der Forschung. Galt die magische Literatur von Juden Handschriften kollationiert. Zum einen die Handschrift noch Forschern wie Ludwig Blau (1889) und Joshua der Tora, die als Damascus Pentateuch bekannt ist, aus Trachtenberg (1939, Nachdruck 2004) als volkstümliche der ehemaligen Sammlung von David Solomon Sassoon, Randerscheinung, wird man die Quellen und Texte in Nr. 507 (Siglum MS5 in der BHQ). Diese Handschrift Zukunft ebenso als systeminhärenten kulturellen Aus- wurde am 05. November 1975 bei einer Sotheby- druck des Antiken Judentums in seinen unterschiedlichen Versteigerung von der Jewish National and University Entwicklungsphasen lesen müssen wie die umfangreiche- Library, Jerusalem, für 1.100.000 Schweizer Franken ren rechtlichen, erzählenden und liturgischen Schriften. erworben.1 Sie wurde von D. S. Loewinger und Malachi Beit-Arié 1978 und 1982 als Faksimile herausgegeben: The Damascus Pentateuch. Manuscript from About the Year 1000 Containing Almost the Whole Pentateuch. Biblia Hebraica quinta editione cum apparatu critico novis curis Jewish National and Univ. Library, Jerusalem, Hebr. elaborato. 5. Deuteronomy. Prepared by Carmel McCarthy. Quart. 5702. Part I. Part II. Copenhagen. Diese Hand- Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 2007. XXXII, 104, 190* S. Kart. 49,00 €. ISBN: 978-3-438-05265-0. – Bespr. von Viktor Golinets, Basel. 1 Vgl. den Versteigerungskatalog Thirty-Eight Highly Important Dieses Buch ist der dritte erschienene Faszikel der Hebrew and Samaritan Manuscripts from the Collection Formed by Biblia Hebraica Quinta (BHQ). Die bibliographischen the Late David Solomon Sassoon. The Property of the Family of David Solomon Sassoon which will be sold at auction by Sotheby & Co. Zürich on Wednesday 5th November, 1975, at 09.30, S. 13–17. Die 3 Zur magischen Deutung von Tefillin vgl. nun Yehudah B. Endpreisangabe stammt aus einem in den Katalog eingelegten, von Cohn, Tangled up in Text. Tefillin and the Ancient World, 2008. Sotheby & Co. A. G., 18, Bleicherweg, 8022 Zürich, gedruckten Blatt.

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 455 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 456 schrift ist jetzt in digitalisierter Form zugänglich unter bevorzugt in 2:33; 5:10; 7:9; 8:2; 13:16; 22:15bis, 16, http://jnul.huji.ac.il/dl/mss/heb5702/index_eng.html. 20, 21, 23–29; 29:22; 33:9. Andere Vokalisierung wird Eine weitere Handschrift stammt ebenso wie der Ko- bevorzugt in 2:9; 16:16bis; 20:19; 24:14; 28:22; dex Leningradensis aus der Russischen Nationalbibli- 31:11; 32:43; 33:2. Andere Akzentsetzung wird in othek zu Sankt-Petersburg, Signatur EBP. II B 17 (Siglum 11:24; 32:5 vorgeschlagen. ML17 in der BHQ). Sie trägt das Jahresdatum 929/930 im Kolophon und gilt als die älteste datierte Pentateuch- Anmerkungen zu einzelnen Stellen handschrift. Schließlich wird unter den hebräischen Handschriften Dt 1:31. Im Apparat wird festgehalten, dass im Wort der Kodex von Aleppo angeführt. In seiner jetzigen Ge- im Kodex Leningradensis der Dagesch im Buchsta- stalt fängt sein Text bei Dt 28:17b an. Allerdings ist ein ben Schin fehlt. Ein Blick in die Faksimileausgabe dieser Foto der Seiten mit Dt 4:38b bis 6:3a im Buch von Handschrift (D. N. Freedman et al. (eds.), The Leningrad J. Segall, Travels through Northern Syria (London: Lon- Codex. A Facsimile Edition, 1998, S. 209) zeigt, dass es don Society for Promoting Christianity amongst the Jews zwischen den ersten beiden Buchstaben dieses Wortes 1910), S. 99, abgebildet. Die Auflösung des Bildes ist einen Punkt gibt, der der dazugehörige Dagesch sein sehr niedrig, jedoch kann der Konsonantentext dieses könnte. Vermutlich sah der Schreiber keinen Platz für Abschnittes gelesen werden. Auch einige Anmerkungen den Dagesch im kleinen Raum zwischen den nach oben der Masora parva (Mp) lassen sich entziffern. Der einzi- gehenden Linien des Buchstaben, und so wurde der Da- ge Unterschied im Konsonantentext, den der Aleppo gesch etwas rechts vom Buchstaben gesetzt. Zugegeben, Kodex in diesem Abschnitt im Vergleich zum Kodex diese Dageschsetzung ist äußerst ungewöhnlich, sie Leningradensis aufweist, ist die Defektivschreibung von könnte auch von einem Versehen des Schreibers herrüh- lAmT.mi in 4:42, so wie es auch die Masora des Kodex ren. Vielleicht aber hat dieser Punkt gar keine Bedeutung Leningradensis verlangt (vgl. BHQ, S. 20*; die Lesart für die Textgestalt. Die Verwendung von Fotos, vor al- des Allepokodex wird dort nicht genannt). lem von schwarz-weißen Fotos wie im Fall des genann- Die Bearbeiterin des Buches Deuteronomium in der ten Faksimiles, bringt nicht die erwünschte Sicherheit in BHQ, die einzelne Textprobleme dieses Buches in Auf- Bezug auf den tatsächlichen Zeichenbestand der Hand- sätzen behandelt hat, bietet eine sehr genaue und ausführ- schrift. Denn auf der Pergamentoberfläche gibt es Punk- lich kommentierte Textedition. Der Kommentar zum te, die zur Beschaffenheit des Tierfells gehören und nicht kritischen Apparat (S. 49*–169*) nimmt aufgrund der auf die Aktivität des Schreibers zurückzuführen sind Vollständigkeit der Präsentation und der Diskussion (vgl. die Besprechung von BHQ 18 in der OLZ, Nr. 102, mehr Platz ein als der Textteil (S. 3–104). Den längsten S. 499). Sogar auf farbigen Fotos sind die ersteren Punk- Abschnitt darin machen selbstverständlich die Anmer- te von den letzteren nicht immer zu unterscheiden. kungen zu poetisch verfassten Kapiteln 32 und 33 aus Als Beispiel sollen drei Stellen aus dem 18. Faszikel (S. 139–158). der BHQ dienen. Dort wurden unregelmäßige Dagesch Der beachtliche Umfang des Kommentars rührt her im zweiten Lamed von tAlyLeB; Canticum 3:8 (S. 15) und von der minutiösen Besprechung der Varianten aus Text- im zweiten Heh von aWhh; Qohelet 9:15 (S. 48) ange- traditionen und der Übersetzungstechniken in den Ver- merkt (vgl. die genannte Besprechung, S. 494). Am sionen. Eine Besonderheit des hebräischen Textes des 27. 12. 2008 hatte der Rez. Gelegenheit, in der Russi- Deuteronomiums ist die häufige Schwankung in Nume- schen Nationalbibliothek diese Stellen im Kodex Lenin- rus und Person (2. oder 3.) beim Verbum und beim gradensis nachzuschlagen.3 Er stellte dabei fest, dass die Pronomen. In antiken Übersetzungen werden solche beiden unregelmäßigen Punke braun sind und somit zur Schwankungen nivelliert (vgl. S. 7*, 8*, 9*), was im Beschaffenheit des Pergaments gehören, während die Apparat und im Kommentar dazu angemerkt wird. Im masoretischen Punkte genauso wie alle übrigen Textzei- Aufsatz von D. L. Christensen „The Numeruswechsel in chen mit schwarzer Tinte geschrieben sind. Deuteronomy 12.“ Proceedings of the Ninth World Con- An einer weiteren Stelle, die in dieser Hinsicht interes- gress of Jewish Studies, Jerusalem, August 4–12, 1985. sant ist, steht Qametz anstelle des Patachs in ymir>K' Cant Division A. The Period of the Bible (Jerusalem 1986), 8:12 (BHQ 18, S. 24). Die BHQ 18 druckt in diesem 61–68, finden sich Literaturangaben zu Studien über den Wort den Kametz-Vokal ab, während die Morphologie Numeruswechsel in diesem Buch. der Form Patach erfordert. Dieser Tatbestand wird im Lesarten des Konsonantentextes, die nach McCarthy Textapparat als ein Fehler im Kodex Leningradensis dem masoretischen Text vorzuziehen sind, werden ange- beurteilt. Der Rez. konnte aber am Original der Hand- geben und besprochen bei 1:8, 28, 35, 39ter; 4:21; 7:10; schrift feststellen, dass der Punkt unter der Linie braun 9:3, 10, 16bis, 23, 24; 11:9; 18:5; 19:2, 8; 21:5, 17; ist, während die Linie mit der schwarzen Tinte geschrie- 24:9; 27:4; 28:30, 53; 30:1, 3bis, 6, 16; 32:8, 15, 27, ben wurde.4 35, 43quinquies; 33:8, 12, 21.2 Qere-Formen werden

3 Für ihre Hilfe danke ich den Mitarbeitern der Handschriftenab- 2 Dieselbe Emendation von 33:21 wurde auch von N. H. Tur- teilung der Bibliothek Frau Olga V. Vasilieva und Herrn Boris I. Sinai vorgeschlagen in „By what Methods and to what Extent Can we Zaikovsky. Establish the Original Text of the Hebrew Bible?“ Proceedings of the 4 Hier muss angemerkt werden, dass in Handschriften das Zei- Israel Academy of Sciences and Humanities 1 (1967), S. 6. chen für Kametz aus einer Linie und einem Punkt darunter besteht. So

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 457 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 458 Im Original sehen die Punkte an den drei genannten cially from Cave 4)“. Die einzelnen Fragmente werden Stellen anders aus als die mit der Tinte geschriebenen. aber nicht beschrieben, was angesichts des Umfangs der Die Biblia Hebraica, ed. R. Kittel, 3. Auflage, und die BHQ verständlich ist. Der Benutzer des Apparats sollte Biblia Hebraica Stuttgartensia geben an diesen Stellen allerdings wissen, wie weit er sich auf die angeführten den Text des Kodex Leningradensis richtig wieder. Es ist Textzeugen verlassen darf, oder ob er die entsprechenden zu hoffen, dass unter Berücksichtigung des genannten Texteditionen konsultieren muss, um ein richtiges Bild Tatbestandes die späteren Auflagen der BHQ weniger von der Textbezeugung in Qumran zu gewinnen. Wäh- Fehler im Kodex Leningradensis finden werden. rend manche Lesarten der Qumranhandschriften im Ap- Diese Beispiele zeigen, wie schwierig eine genaue parat als insuf(ficient data for conclusion) charakterisiert Wiedergabe eines Textes ist, auch wenn man wie im (z. B. 3:25; 4:33; 5:3; 9:22) und im Kommentar be- Falle der BHQ mit „films and color transparencies“ ar- sprochen werden (z. B. zu 3:20; 5:3; 6:33; 32:37), kann beitet (BHQ 18, S. 5*, s. auch dort die Allgemeine Ein- der Benutzer der BHQ zusätzliche Information zum führung, S. XXX). Nur eine Auflage einer Textedition Fragment 4QPaleoDeutr nur in Discoveries of Judeaen wird nie ausreichen, den Text der zugrunde liegenden Desert IX:151 finden. Dort wird erklärt, dass der Buch- Handschrift fehlerfrei abzubilden. Für die Erschließung stabe t in 4QPaleoDeutr vielleicht ein [ ist. Man sieht, des Textes des Kodex Leningradensis mit Hilfe der BHQ was für ein unzuverlässiger Textzeuge dieses Fragment bedeutet dies, dass bei jedem angemerkten Fehler der ist. Handschrift, bei dem ein Pünktchen involviert ist, eine Dt 2:33 und 33:9. Die Ketib-Lesart des Kodex Lenin- Überprüfung am Original notwenig ist (auch bei lK'B. Dt gradensis wnb wird im Komm. zum kritischen Apparat 4:7). von 2:33, S. 59*, als Singular aufgefasst, und es wird Dt 1:37. Die Anmerkung der Masora parva (weiter vorgeschlagen, zusammen mit der Qere-Lesart die Plu- Mp) „vier Mal im Buch“ beim ersten Wort des Verses ist ralform wynb zu lesen. Nun handelt es sich bei diesen in der Tat falsch (vgl. BHQ, S. 18*). Die richtige An- zwei Lesarten lediglich um orthographische Varianz in merkung ist nicht nur in Dt 28:61 zu finden (so der der Defektiv- und Pleneschreibung. Beim ersten Wort Kommentar zu Mp), sondern auch in der Handschrift wird das suffigierte Pronomen 3. P. Sg. am pluralischen MS5 bei Dt 1:37, „vier Mal in der Tora“, sowie in der Nomen defektiv geschrieben (so versteht es auch der Handschrift British Library Or. 2626.5 Die BHQ ist nicht Komm. zu 33:9). Es ist die masoretische Markierung, konsequent beim Zitieren der masoretischen Anmerkun- die aus einem orthographisch ambivalenten Text einen gen aus anderen Handschriften. Bei Dt 1:35 wird auf die Fall mit inhaltlicher Relevanz macht. Solange es um eine Handschrift MS5 verwiesen, bei Dt 1:37 nicht. Edition einer einzelnen masoretischen Handschrift han- Dt 1:45. Die Angabe wbXtw im kritischen Apparat delt, mag in solchen Fällen eine Anmerkung sinnvoll sollte als Wbv.Tew:, „und ihr bliebet“, vokalisiert werden. sein. Wenn man aber bedenkt, dass im Kodex Leningra- Sonst ist für den Benutzer der Unterschied zwischen densis diese Varianz in mindestens hundert anderen Fäl- dieser Lesart der Versionen und zwischen WbvuT'w:, „und len (vgl. Dt 7:9; 8:2; in 27:10 aber gibt es keine masore- ihr kehrtet zurück“, der Lesart des masoretischen Textes, tische Anmerkung zu einer defektiven Form) und in einer Qumranhandschrift und des Targums, nicht sofort anderen hebräischen Handschriften sowie in den Versio- ersichtlich. nen6 auch an vielen weiteren Stellen vorkommt, so stellt Die zitierte Qumranhandschrift, 4QPaleoDeutr, Frag- sich die Frage, ob es angemessen ist, alle solche Varian- ment 59, ist ein kleines Stück Pergament, das in zwei ten zu verzeichnen. Der Umgang mit ihnen könnte im Zeilen fünf Buchstaben als Reste von zwei Wörtern ent- Vorwort einer Textedition besprochen werden, um den hält. Der Text wurde „tentatively“ als Dt 1:45 identifi- Textapparat mit unbedeutenden Fällen nicht zu füllen. ziert (vgl. Discoveries of Judeaen Desert IX:151). Es ist Die morphophonologische Genese der beiden Formen zu fragen, ob solche Textreste im kritischen Apparat als wurde in der Forschung unterschiedlich erklärt, und eine Zeugen für eine Lesart angeführt werden dürfen. Einer- neuere Untersuchung ist nötig. Nach der Ansicht des seits scheint die Identifikation des Fragments Rez. sollte der defektiven Schreibung in 2:33 und 33:9 – 4QPaleoDeutr, 59, mit Dt 1:45 die einzige plausible zu aber auch an anderen Stellen – Vorrang geben werden, sein – andere Stellen, an denen die Buchstabenfolge des nach dem Motto in dubio pro defectivo. Die defektive Fragments m … wXtw vorkommt, können ausgeschieden Orthographie wird von McCarthy in 7:10 bevorzugt. werden –, anderseits können die Herkunft und der Text- Dasselbe betrifft das suffigierte Pronomen 2. Sg. am umfang solch kleiner Fragmente generell unterschiedlich pluralischen Nomen. In den Handschriften finden sich rekonstruiert werden. Somit ist ihre Aussagekraft für die Plene- und Defektivschreibungen, die Wiedergabe in den Textkritik begrenzt. Zwar wird in der Besprechung des Versionen schwankt, der Kontext und der Sprach- Textmaterials aus Qumran, S. 6*, festgehalten, „This gebrauch in der Bibel helfen nicht immer weiter, vgl. Dt material is quite divers in content, dating and precise 2:7; 20:1 mit Komm. zur Mp; 29:10; 32:27 (letzter provenance, and […] much of it is fragmentary (espe- Eintrag) in der BHQ. Dem modernen Leser sollte klar sein, dass es nur in seltensten Fällen Gewissheit geben wird er auch in der Biblia Hebraica, ed. R. Kittel, 1.–3. Auflage, dargestellt. 6 In 33:24 weist der masoretische Text die defektive und der 5 Vgl. G. Sed-Rajna (ed.), Lisbon Bible 1482. British Library Or. samaritanische Text die Pleneschreibung auf, in 34:9 verhält es sich 2626, 1988, Fol. 151r. gerade umgekehrt.

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 459 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 460 wird, ob an einer konkreten Stelle ein Nomen „ursprüng- schriften konsultiert wurden, wobei MS5 weder einen lich“ im Singular oder im Plural gemeint wurde. Wie Akzent noch den Maqqef hat, wie es auf dem Faksimile immer bei ursprünglich unvokalisierten Texten ist es der deutlich zu sehen ist, und ML17 an dieser Stelle unlesbar Kontext und schließlich der Leser, der über die Bedeu- ist (so BHQ, S. 79*), muss für den Leser das Fehlen des tung des Textes entscheidet. Die Deutung des Textes soll Akzentes bzw. des Maqqefs ein Rätsel bleiben. Sollten nicht den Masoreten alleine vorbehalten sein. die Herausgeber der BHQ in solchen Fällen nicht weitere Dt 3:11. Dafür, dass die in der Septuaginta, in der Pe- Handschriften konsultieren? schitta und im Targum Jonathan belegte Variante hNEhi Dt 16:11. Im Apparat wird das Pluszeichen bei einem awh ursprünglich ist, kann die Beobachtung sprechen, Qumrantext als Siglum für eine antike Korrektur in je- dass diese Wendung immer gebraucht wird, wenn der nem Text verwendet. Dieser Gebrauch des Pluszeichens Zustand bzw. der Ort angegeben wird, in/an dem sich ein könnte im Verzeichnis von „Symbols used in the appara- Mensch bzw. ein Gegenstand befindet (Gen 20:16; Ex tus“, S. XII, erklärt werden. 4:14; Rut 3:2; 1 Sam 10:22; 21:10; 2 Sam 9:4; Jer Dt 28:60. Das Wort hwEd>m; ist nach dem Kontext plura- 38:5; Hab 2:19). Eine solche Angabe geschieht nicht lisch, auch wenn mit Heh am Ende geschrieben. Zu die- mittels rhetorischer Frage, wie es die Lesart awh hl{h] ser Orthographie vgl. die Besprechung von BHQ 20 in des masoretischen Textes tut. Auch die Schreibung der OLZ 103:65f. und den ersten Eintrag im Apparat zu Verneinungspartikel mit Heh am Ende ist einmalig. Hier Dt 5:10. kann also eine Buchstabenverwechslung von Nun und Dt 30:18. Beim Wort abol' in defektiver Orthographie Lamed vorliegen. liegt insofern ein Fehler des Kodex Leningradensis vor, Dt 4:18. Die Lesart der Septuaginta kann eine Assimi- als dieses Wort im Verzeichnis der defektiven Schrei- lation an die hebräische Wendung von Gen 1:26 sein bungen – z. B. in der Masora magna zu Gen 48:7 – nicht (vgl. Ezekiel 38:20). Dieselbe Wendung kommt auch in erwähnt wird. Gen 7:14, 21; 8:17 vor; sie wird in der Septuaginta lexi- Dt 32:43. Die Vokalisierung von wm[ als „sein Volk“ kalisch anders übersetzt. anstelle von „mit ihm“ könnte durch das unmittelbar Dt 5:12 und 13. Hier fehlt im Kodex Leningradensis vorausgehende ~yIAg „Völker“ inspiriert sein. das Zeichen Sof Pasuq zwischen den beiden Versen. Sein Dt 32:50. Das hebräische Wort wyM'[; „seine Verwand- Fehlen ist nicht vermerkt in der BHQ (bei 9:20 ist sein ten, Vorfahren“ in der Wendung „zu seinen Vorfahren Fehlen vermerkt). versammelt werden“ wird vom Samaritanus und von Dt 9:23. Die Lesart der Septuaginta dwdwmi – ins antiken Übersetzungen als Singular mit der Bedeutung Hebr. als !tenO ynIa] übersetzt – wird der Lesart des hebr. „Volk“ wiedergegeben (vgl. den Komm. der BHQ zur Textes yTit;n" bevorzugt. Dagegen ist einzuwenden, dass Stelle), weil ihnen die (ursprüngliche) Bedeutung dieses im Hebr. Perfekt verwendet wird, wo „Zusammenfall Wortes „Vatersbruder bzw. Vorfahre“ nicht mehr be- (Koinzidenz) zwischen Aussage und Vollzug der Hand- kannt war. Offensichtlich kann ihre Übersetzung nicht lung“ (C. Brockelmann, Hebräische Syntax (1956), auf eine abweichende Vorlage zurückgeführt werden. Es § 41d) gegeben ist, was in Dt 9:23 der Fall ist. Die Sep- ist zu fragen, ob solche Fälle in den kritischen Apparat tuaginta hat dies erkannt und übersetzte sinngemäß mit aufgenommen werden sollen. Präsens. Auch in Gen 23:11; 48:22; Num 27:12 bei S. 25*, Komm. zu Mp von 20:1. Auch die Handschrift Koinzidenzfällen wird yTit;n" in Septuaginta mit Präsens British Library Or. 2626 liest das betreffende Wort de- wiedergegeben, wobei dwdwmi auch als die Übersetzung fektiv und hat eine Mp-Anmerkung wie im Kodex Le- der hebr. Wendung !tenO ynIa] verwendet wird (z. B. Num ningradensis. In der Handschrift Codex Hillely scheint 13:5; Dt 32:49). eine Korrektur des zuerst plene geschrieben Textes statt- Dt 9:27. Die Lesart einer hebr. Handschrift aus Qum- gefunden zu haben. Auch hier ist die Mp wie im Kodex ran, bei der der Anfang des betroffenen Wortes fehlt, Leningradensis. Ginsburg in Masora, Vol. 1 (London wird als insuf charakterisiert. Allerdings geht es bei der 1880), S. 45, zitiert eine masoretische Anmerkung, die kommentierten Stelle um Worte, die in der Septuaginta die defektive Form dieses Wortes absichert. So druckte dem betroffenen Wort folgen. Anscheinend liefert die er dieses Wort in seiner Bibeledition ab. zitierte Handschrift aus Qumran keine Informationen, die S. 26*, Komm. zu Mp von 22:14. Die Handschriften die zu kommentierende Stelle beleuchten könnten. British Library Or. 2626 und Codex Hillely lesen das Dt 10:7. Bei dem vorletzten Wort dieses Verses fehlt Wort aycwhw defektiv (ohne Yod). Nach Ginsburg in ein Akzent bzw. der Maqqef. Die letzten beiden Wörter Masora, Vol. 1, S. 350, wurde die defektive Form dieses des Verses werden in den Handschriften British Library Wortes in einer masoretischen Anmerkung abgesichert. Or. 2626 und Codex Hillely7 sowie in der Ausgabe von So druckte er dieses Wort in seiner Bibeledition ab. Ginsburg8 durch Maqqef verbunden. Da für die vorlie- S. 59*f., Komm. zu 3:12, ynIbeWarUl'. Bei dieser Form gende Edition an dieser Stelle nur drei hebräische Hand- ist der Vokal der zweiten Silbe zweimal markiert: durch Waw und durch den Vokal Qibbutz. Die zweite Variante

der Markierung war möglich, weil das silbenöffnende 7 N. M. Sarna (ed.), The Pentateuch. Early Spanish Manuscript (Codex Hillely) from the Collection of the Jewish Theological Semi- Alef nicht mehr hörbar war. So haben die Masoreten eine nary, New York, Jerusalem 1974. künstliche Form geschaffen, die nur auf Papier bzw. 8 The Pentateuch. Diligently Revised According to the Massorah Pergament existiert und die beiden Vokalisierungsmög- and the Early Editions with the Various Readings, London 1926. lichkeiten verbindet. Sie hat sich nicht überall im Kodex

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 461 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 462 Leningradensis und nicht überall in anderen Handschrif- Die hier besprochenen Punkte beeinträchtigen den ho- ten durchgesetzt, wie die Anmerkung im Kommentar hen Wert der BHQ 5 nicht, die eine hervorragende aktu- zeigt. Auch Ginsburg druckt in seiner Edition bei Num elle Edition des Bibeltextes und der beiden Masoras ist. 26:7; Dt 3:12, 16; 4:43; Josua 12:6 die Form ohne Qib- Frau McCarthy und andere Herausgeber der BHQ ver- butz. Die Handschrift British Library Or. 2626 bietet bei dienen Lob für ihre Editionsarbeit. Dt 3:12, 16; 4:43 die Form ohne Qibbutz. Der Aleppo- kodex hat in Jos 12:6 und 2 Kön 10:33 die Form ohne Qibbutz ab. Nur im Apparat zu 2 Kön 10:33 vermerkt Ginsburg, dass einige Handschriften und Bibeldrucke das Wells, Bruce: The Law of Testimony in the Pentateuchal Codes. Wort mit Qibbutz in der ersten Silbe lesen. Andere Stel- Wiesbaden: Harrassowitz 2004. X, 226 S. 8° = Beihefte zur Zeit- len, an denen im Kodex Leningradensis diese merkwür- schrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte, dige Vokalisierung vorkommt, sind unter anderem txowlu 4. Hartbd. Lw. 64,00 €. ISBN 3-447-05056-X. – Bespr. von Dt 10:1, dwanO Richter 4:19 und ~waun> Jeremia 7:30. Die- A. Graupner, Bonn. se letzten Wörter haben allerdings keinen Punkt im Waw. Der Punkt im Waw bei ynIbeWarUl' wurde gesetzt, wohl weil Bei der anzuzeigenden Arbeit handelt es sich um die Grundform des Namens !beWar> ihn aufweist. die überarbeitete Fassung der von R. E. Averbeck S. 147*, Komm. zu Dt 32:26. Die Lesart der Vulgata angeregten und R. Westbrook betreuten Dissertation und des Aquila geht eher auf die Worttrennung ~he hpoyae des Vf., die 2003 an der Johns Hopkins University, zurück (diese Wendung ist in Gen 37:16 und Jes 49:21 Baltimore/Maryland angenommen wurde. Die Arbeit belegt) als auf die von Masius angenommene aber nicht weist einen klaren Aufbau auf: Kap. I gibt Auskunft belegte Wendung ~hya @a (s. die Quelle für die Lesart über Gegenstand, Ziele und Methodik der Untersuchung. des Aquilas in der BHQ). Vf. möchte die zeugenrechtlichen Bestimmungen des Pentateuch durch einen rechtsgeschichtlichen Vergleich Verbesserungsvorschläge mit neubabylonischem Material erhellen und die Frage klären, „wether and how their provisions might have Dt 5:12. Im Apparat sollte die Reihenfolge der vier actually functioned as part of a real-life legal system“ Wörter der behandelten Lesart verbessert werden. Rich- (S. 3), letzteres vor dem Hintergrund der mittlerweile tig ist: 2-3-4-1. weithin geteilten Einsicht, dass es sich bei den alt- Dt 17:18. Das Wort ~YIwIl.h; hat in der BHQ Dagesch testamentlichen Rechtssammlungen nicht um präskrip- im Lamed. Im Kodex Leningradensis ist der Dagesch tive Gesetzesbücher handelt (S. 11–15). Kap. II nähert nicht vorhanden. Diese Form wird von den Masoreten sich dem Thema durch eine Anaylse des Begriffs cēd durchgehend ohne diesen Dagesch punktiert (vgl. 17:9). „Zeuge“ und seiner Derivate sowie verwandter Aus- S. 71, Mm zu 24:19. Am Anfang der Anmerkung an- drücke an. Ergebnis ist eine Typologie des Zeugen. Vf. stelle von bjb lies [jb, „mit dem Akzent“. unterscheidet zwischen observing (S. 22ff.) und testify- S. 81*, Komm. zu 11:6. Die Anmerkung des Kom- ing witness (S. 25ff.), additional evidence (34ff.) und mentars, die Ergänzung aus Num 16:32 erscheine „not impersonal witnesses (S. 40ff.) und teilt danach die after “and their houses” as in Smr“, widerspricht der einschlägigen Texte ein (S. 42f.). Beim testifying Information zu dieser Stelle im kritischen Apparat, in witness differenziert Vf. weiter zwischen accuser und dem die Position dieser Ergänzung als vor den Wörtern defendant (S. 44ff.), beim observing witness zwischen „and their houses“ beschrieben wird. In der von BHQ eyewitness und hearsay witness (S. 48ff.). Abschließend konsultierten Ausgabe des Samaritanischen Pentateuchs vertritt Vf. die Auffassung, dass potentiell jeder Zeuge von A. Tal stehen diese Worte so wie im Apparat be- sein konnte, auch Frauen und Sklaven/Sklavinnen schrieben. Hier muss der Text des Komm. verbessert (S. 50–53). werden. Kap. III–V rücken dann die pentateuchischen Be- S. 89*, Komm. zu 12:30. Für „may have read Xqby stimmungen zum testifying witness in den Focus. Kap. for Xqny“ lies „may have read Xqbt for Xqnt“, denn die III behandelt unter der Überschrift „Required Testimo- kommentierte Lesart ist 2. Singular und nicht 3. Singular. ny“ (S. 54ff.) den Fall, dass jemand zum Zeugen einer S. 93*, Komm. zu 13:15. Im letzten Wort des Kom- (ungerechtfertigten?) ’ālāh „Verfluchung“ wurde, dies mentars ist der Dagesch im Buchstaben Qof zum Vokal aber nicht zur Anzeige bringt (Lev 5,1), Kap. IV unter Hiriq zu verbessern. der Überschrift „Sufficient Testimony“ (S. 83ff.) die S. 138*, die zweite Zeile des Komm. zu 31:21. Für Zwei-Zeugen-Regel (Num 35,30; Dtn 17,6; 19,15), „jeapordize“ lies „jeopardize“. Kap. V unter der Überschrift „False Testimony“ Der kritische Apparat könnte ein wenig verkürzt und (S. 133ff.) die Texte, die sich mit falscher Anklage und dadurch übersichtlicher werden, wenn bei den Verweisen Zeugenaussage befassen (Ex 20,16 par. Dtn 5,20; Ex auf den Kommentar zu einem anderen Vers auf die heb- 22,6–8; 23,1–3; Lev 5,20–26; Dtn 19,16–21). Dabei räischen Lemmata verzichtet würde, zumindest an den stellt Vf. den alttestamentlichen Texten jeweils einschlä- Stellen, wo es im Kommentar nur einen Eintrag inner- giges neubabylonisches Material vergleichend an die halb eines Verses gibt (s. z. B. den Apparat zu 12:25; Seite, vorzugsweise Urkunden und Prozessberichte, da 13:1; 20:13; 28:8; 29:10 [erster Verweis], 19; 30:10; bei ihnen außer Frage steht, dass sie eine Rechtspraxis 31:26bis; 32:15, 18, 30, 31). widerspiegeln.

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 463 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 464 Kap. VI fasst die Ergebnisse zusammen und zieht Fol- jektes Septuaginta Deutsch in Wuppertal 2006 hervorge- gerungen (S. 158–167): a) Da es neben den herangezo- gangenen Sammelband zur Kenntnis. In diesem Band genen neubabylonischen Texten auch ältere, bis in das sind Beiträge einer langen Reihe namhafter Vertreter 2. Jt. hinaufreichende Parallelen gibt, schließt Vf. es aus, verschiedener Forschungstendenzen zur Alexandrini- dass das alttestamentliche Zeugenrecht vom neubabylo- schen Bibel enthalten, die zweifellos verdienen, durch- nischen abhängig ist. Die Parallelen zeigen aber, dass weg mit Gewinn gelesen zu werden. Gewichtige metho- beide Rechte in einer gemeinsamen, eben altorientali- dische und inhaltliche Einzelaspekte der gegenwärtigen schen Tradition stehen. b) Die im Rechtsvergleich zutage Septuaginta-Forschung werden hierin angesprochen und tretenden Parallelen wertet Vf. als deutliches Indiz dafür, hervorgehoben, die vor allem als Anregungen für künfti- dass die zeugenrechtlichen Bestimmungen im Pentateuch ge weitergreifende Untersuchungen gedacht sind. Bei nicht nur Produkte rechtsgelehrter Arbeit sind, sondern dem zur Verfügung stehenden Raum kann aber nur auf eine Rechtswirklichkeit und -praxis verweisen, mit- knapp auf Grundgedanken, die die Einzelausführungen hin deskriptiver Natur sind. c) Angesichts älterer Paralle- beherrschen, hingewiesen werden. len rechnet Vf. ausdrücklich mit der Möglichkeit, dass einzelne Bestimmungen bis in vorexilische Zeit hinauf- Die Erörterungen gliedern sich wie folgt: 1.) Die Septuaginta als reichen. „The pentateuchcal codes did not arise out of a Textsammlung, ihre Edition und Übersetzung (3–114) mit Beiträgen von R. Hanhart, M. Karrer/W. Kraus, S. Kreuzer, M. Rösel und legal vacuum.“ (S. 167) Ein Appendix (S. 169–187) B. G. Wright; 2.) Umwelt und Kontexte (117–201) m. B. v. W. Ame- bietet eine Edition von zehn der herangezogenen neuba- ling, E. S. Gruen, A. Jördens, T. Kruse, T. Rajak, J. Wilker; 3.) Lexi- bylonischen Urkunden in Umschrift und Übersetzung kographie und Grammatik (205–266) m. B. v. K. Hauspie, J. A. Lee, und erschließt sie durch einen kurzen Kommentar. Ab- T. Muraoka, A. Passoni Dell’Acqua, R. Glenn Wooden, G. Walser; 4.) kürzungsverzeichnis, Bibliographie sowie Autoren- und Schriften und Schriftgruppen in der Septuaginta (269–669) m. B. v. Text-Index beschließen die Arbeit. K. De Troyer, J. Joosten, W. Loader, S. Pfeiffer, M. Meiser, P. Hugo, Rez. hat die Untersuchung gerne gelesen. Sie ist gut J.-H. Kim, E. Tov, E. Eynikel, A. Schenker, R. J. V. Hiebert, E. Bons, geschrieben, methodisch reflektiert und im Urteil um- G. Dorival, A. Pietersma, M. Bauks, E. Zenger, J. Cook, C. Boyd- sichtig-abwägend. Mit ihrer Fokussierung auf das selten Taylor, T. Pola, M.N. van der Meer, A. Van der Kooij, G. Fischer, H.-J. Stipp, J. Lust; 5.) Wirkungen (673–737) m. B. v. F. Wilk, G. J. herangezogene neubabylonische Recht bereichert sie die Steyn, M. Müller, C. Safrai. Ausführliche Register von Internetseiten, Bemühungen um ein angemessenes Verständnis des Stellenangaben, modernen Autoren, Sachen und Personen, griechi- alttestamentlichen Prozessrechts. Dem Plädoyer des Vf., schen und hebräischen Wörtern sind beigegeben (738–772). die Rechtssammlungen des Pentateuch nicht schon des- wegen als Quellen für die Rekonstruktion der Rechtsge- 1) Den Sammelband eröffnet der programmatische schichte Israels auszuscheiden, weil sie keine präskripti- Beitrag des ehrwürdigen, ehemaligen Leiters des Göttin- ven Gesetzestexte sind, schließt sich Rez. an, verbindet ger Septuaginta Unternehmens, Robert Hanhart (S. 3–7). seine Zustimmung aber mit der Frage, ob bei jüngeren Hanhart will nicht bloß die von ihm revidierte und 2006 (exilischen) oder jungen (nachexilischen) Texten nicht erschienene Editio altera der Septuaginta von Alfred auch mit der Möglichkeit zu rechnen ist, dass sie sich Rahlfs präsentieren und begründen, sondern viel mehr nicht mehr auf eine zeitgenössische Rechtspraxis bezie- seine eigene Zukunftsvision von Septuaginta-Forschung hen, sondern sich bereits in einem Gespräch mit der abzeichnen. Er betrachtet den gegenwärtigen For- Überlieferung befinden. Dass Rez. in manchen Punkten, schungsstand als ein Übergangsstadium, das seinen Aus- beispielsweise in der Frage, ob sich Lev 5,1 tatsächlich gang von der ursprünglichen Rahlfs’en Textrekonstrukti- als eigenständiger Rechtssatz von der Fortsetzung V 2–6 on nimmt und auf die Vollendung der Editio major zielt. abheben lässt (S. 63–72; vgl. 160f.), das 9. Gebot des Als drittes und letztes Stadium betrachtet er „die Edition Dekalogs nur auf den Ankläger bzw. Belastungszeugen einer auswertenden Textrekonstruktion“, in der „die Er- zu beziehen ist (S. 135f.) und zwischen den Verbindun- gebnisse der Editio major neu diskutiert und auf eine gen cēd šäqär „lügnerischer Zeuge“ Ex 20,16 und cēd Textrekonstruktion konzentriert werden müssen, die nach šāw’ „nichtiger Zeuge“ kein substantieller Bedeutungs- dem endgültigen Befund der gesamten Überlieferung den unterschied besteht (ebd.), anders urteilt, ist hier nicht zu gesamten Bestand der Rezensionselemente darbietet: der verhandeln. vorchristlich jüdischen, der christlichen und der wert- vollsten Überlieferung, die sich in diese Koordinaten nicht einordnen lässt“ (6f.). – Aufgrund der im Rahmen der LXX.D geleisteten Einzelarbeiten stellen die beiden Herausgeber, Martin Karrer und Wolfgang Kraus (8–63), Karrer, Martin/Kraus, Wolfgang (Hg.): Die Septuaginta – Texte, die Prämissen der LXX.D dar. Angesichts der unter- Kontexte, Lebenswelten. Internationale Fachtagung veranstaltet schiedlichen Auswahl und Anordnung der Septuaginta- von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal 20.–23. Juli 2006, unter Mitarbeit von Martin Meiser. Tübingen: Mohr Siebeck, 2008. Schriften in den verschiedenen kirchlichen Traditionen XIV, 772 S. m. Abb. u. Tab. 8° = Wissenschaftliche Untersuchungen betont W. Kraus (9–39), dass die von LXX.D getroffe- zum Neuen Testament, 219. Lw. 139,00 €. ISBN 978-3-16-149317-1. nen Entscheidungen den vermutlich größtmöglichen – Bespr. von Evangelia G. Dafni, München. Konsens wiederspiegeln, aber keinesfalls den Eindruck eines Kanons für die kirchliche Rezeption der Septuagin- Mit Freude und Dankbarkeit nahmen wir den aus einer ta erwecken dürften. – M. Karrer (40–63) sieht als an- Fachtagung des Übersetzungs- und Kommentierungspro- stehende Aufgabe der Septuaginta-Forschung, die Leben-

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 465 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 466 digkeit und Vielfalt des Schrifttextes (hebräischer Text, die Eingliederung in die antike Staatenwelt als conditio griechischer Text, Varianten) nicht nur in Einzelfragen, sine qua non zu sehen. sondern für die Gesamterörterung des christlichen Ka- 3) Katrin Hauspie (205–213) wendet sich den so ge- nons und die Kriterienbildung in der Theologie über- nannten ‚calques‘ zu, u.zw. dem Gebrauch des Nomina- instrumenti durch ἐν ב haupt fruchtbar zu machen. – Siegfried Kreuzer (64–82) tivs αEτός, der Wiedergabe von bietet wertvolle Bemerkungen buchtechnischer, textge- und dem Genetivus Objektivus des Infinitivs mit τοu. Sie schichtlicher und kanongeschichtlicher Natur aufgrund betont, dass in diesen Fällen der Übersetzer vom Original des traditionellen Abschlusswunsches am Ende des Da- abhängt, auch wenn die grammatischen Regeln des Grie- nielbuches im Papyrus 967. – Martin Rösel (83–102) chischen Sprachsystems anders sind. – John A. L. Lee wirft die Frage nach den Übersetzungskulturen des Ju- (214–220) zeichnet aufgrund des Wortes amphodon dentums, der literatursoziologischen Einordnung der Anwendungsmöglichkeiten einer künftigen lexikographi- LXX und ihrer Theologie auf. Er unterstreicht, dass das schen Datenbank des Griechischen. – Takamitsu Murao- Phänomen fremder Schrift und Sprache und der Not- ka (221–235), dessen vollendetes A Greek-English Lexi- wendigkeit zur Übersetzung stets im Kulturraum Nord- con to the Septuagint 2009 publiziert wurde, wendet sich syrien-Mesopotamien-Ägypten vor Augen gestanden neueren Diskussionen über die Septuaginta-Lexikogra- hat. In den Texten selbst findet sich aber keine Refle- phie zu und zeigt, wie man unter Berücksichtigung des xion über die Tatsache des Übersetzens oder der Sprach- semitischen Originals und mithilfe des interlinearen Mo- verschiedenheit. Dabei nimmt er als selbstverständlich dels Ambiguitätsfälle des griechischen Textes lösen an, dass es vor der Septuaginta keine literarischen Über- kann. – Anna Passoni Dell’Acqua (236–247) geht von setzungen ins Griechische gegeben hat. – Benjamin der Beobachtung aus, dass viele Vokabeln der Septuagin- G. Wright (103–114) macht auf die Marginalisierung ta dem Sprachgebrauch der ptolemäischen Administra- und die ziemlich unkritische Art und Weise des Um- tion entnommen sind. Im Sprachgebrauch zeigt sich gangs der zeitgenössischen Septuaginta-Forschung mit immer eine bestimmte Polemik, wobei sowohl die ver- der LXX/OG aufmerksam und betont, dass nur, wenn schiedenen theologischen Interessen als auch die poli- wir zwischen Absicht des Übersetzers und Rezeptions- tisch-kulturellen Veränderungen, die das 3. und 2. Jh. geschichte der Übersetzung unterscheiden können, wir v. Chr. kennzeichnen, eine wichtige Rolle spielen. – auch effektiv Interpretation von Exegese trennen kön- R. Glenn Wooden (248–257) untersucht das isomorphe nen. Verhältnis von 2Esr zu Esr-Neh und deren Übersetzung 2) Von der epigraphischen Evidenz ausgehend fragt ins Griechische aufgrund der Wiedergabe des hebräi- durch φορολόγος in 2Esr 4,7–24. – Georg נשתון Walter Ameling (117–133) nach der allgemeinen Cha- schen rakteristik der jüdischen Gemeinde von Leontopolis, Walser (258–266) wirft die komplexe Frage nach der ihrer Religion, Gemeindeorganisation, Sprache sowie Wortfolge in der Septuaginta auf und wendet sich fre- nach ihrem sozialen Leben. Der Vf. rechnet damit, dass quenten sprachlichen Erscheinungen wie Konjunktionen wenigstens auf Dokumentationsebene der Tempel von und dem Partizipium coniunctum zu, die jeweils dem Leontopolis und seine möglichen Einflüsse kaum zu LXX-Text einen besonderen Charakter verleihen. finden sind. – Erich S. Gruen (S. 134–156) erörtert die 4) Kristin De Troyer (269–286) stellt die Frage nach Aneignung mythischer und geschichtlicher Motive und der Entstehungsgeschichte des Pentateuchs. Sie ist der Charaktere des Antiken Griechenlands vonseiten jüdi- Auffassung, dass die griechischen Papyri von Josua und scher Intellektueller mit dem Ziel, die biblische Erzäh- Leviticus aus der Schøyen Sammlung ebenso wie die lungen bzw. die Traditionen ihrer Vorväter umzuformen, Qumranfunde nicht genügen, um eine Datierung im 2. Jh. ihre alten Legenden neu zu beleben und einen unter- v. Chr. zu unterstützen oder abzulehnen. Dass die fünf scheidenden Sinn von jüdischem Charakter innerhalb der Bücher Mose in einer Handschrift überliefert wurden, hat hellenistischen Kultur zu bilden. – Andrea Jördens (157– dazu geführt, dass man auch ihre Einheitlichkeit und die 175) will geschichtliche Zusammenhänge verdeutlichen, Idee eines Pentateuchs angenommen hat, was aber nun indem sie das Beispiel des jüdischen Renegaten Dosi- neu befragt werden soll. – Jan Joosten (287–299) analy- theos ins Licht der Papyrusüberlieferung stellt. – Der siert das Thema des Gottschauens im griechischen Penta- Beitrag von Thomas Kruse (166–175) demonstriert den teuch und stellt fest, dass eine Anzahl von Passagen, die privilegierten rechtlichen Status der Juden von Herakleo- im MT eindeutig das Thema zur Sprache bringen, in der polis im hellenistischen Ägypten und erklärt ihn als Indiz LXX weniger aussagekräftig sind. Ferner versucht er zu für die Existenz eines jüdischen politeuma in Alexandria zeigen, wie eine Anzahl von vielfältigen Faktoren zu zu der Zeit der Abfassung des Aristeasbriefes. – Mythos einem Maßsystem der Tendenzen in der Septuaginta- und Geschichte im Aristeasbrief hinsichtlich der Über- Übersetzung zu führen vermögen. setzung der hebräischen Schriften für die Bibliothek des Ptolemäus behandelt Tessa Rajak (176–193), indem sie Auf S. 292f. bespricht der Vf. Ex 33,13f. und vergleichbare Texte und verweist auf den Beitrag von A. Aejmelaeus „Von Sprache zu den Charakter der Interpretationen von Scaliger, Hody, Theologie“ der beim CBL 2004 präsentiert wurde und in BETL 195, Vossius und zuletzt Honigmann kritisch reflektiert. – Leuven 2006 sowie in CBET 50, Leuven 2007, erschienen ist. Aus Julia Wilker (194–201) untersucht das Phänomen der forschungsgeschichtlichen Gründen sei hier erwähnt, dass diesem Integration als Voraussetzung jüdischer Unabhängigkeit Aufsatz vorausgegangen sind unsere im Septuaginta-Unternehmen mit im 2. Jh. v. Chr. Für die Abgrenzung einer jüdischen der Unterstützung der Alexander von Humboldt Stiftung 2000 durch- Identität im politischen Sinne ist nach ihrer Auffassung geführten Studien a) „Theologie der Sprache der Septuaginta“, Eröff-

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 467 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 468 nungsvortrag beim IOSCS-Kongress 2001 in Basel, erschienen in: schreibt. – Robert J. V. Hiebert (439–449) befasst sich ThZ 58 (2002) 315–328, sowie b) Von Angesicht zu Angesicht. mit 4Makk 18,6–19 und zeigt, dass die griechische so- Prolegomena zum Thema „Gottschauen“ im hebräischen und griechi- wie die syrische Evidenz einhellig für die Zugehörigkeit schen Exodusbuch, 1. Exodus 33,11.12–23 übersetzungs- und wir- des Textes zum ursprünglichen Bestand sprechen. Der kungskritisch. Επιστημονικαί Μελέται 2. Athen, 2001 (ISBN 960- lateinische Text hingegen reflektiert einen innerlateini- 7352-20-3), die gerade dieses Beispiel ausführlich behandelte und zu demselben Schluss gekommen ist. Von diesen Studien hatte Frau schen absichtlichen und umfangreichen Prozess der Er- Aejmelaeus Kenntnis genommen. zählungsverkürzung. – Eberhard Bons (450–470) zeigt, dass der Psalter-Übersetzer eher kontextuelle und theolo- William Loader’s Beitrag (300–312) ist der Frage gische, punktuell sehr freie Übersetzungen entwarf. Er nach den Ursprüngen der Sexualität in Gen 1,26–28; bot aber keineswegs eine Exegese in dem Sinn, dass er 2,15–24 und 3,16 sowie im Jubiläenbuch gewidmet. Der die Vorlage systematisch nach bestimmten hermeneuti- Vf. ist auch der Auffassung, dass jede Übersetzung eine schen Regeln paraphrasierte und kommentierte. – Gilles Auslegung ist (so Rösels Diss., BZAW 223, 1994) und Dorival (471–486) fragt nach dem Beitrag der Kirchen- dass Auslegungen selbst ein eigenes literarisches Leben väter zum Verständnis der Psalmenüberschriften aus sowie potenzielle Strömungen entwickeln, welche die philologischer Sicht. Die Kirchenväter geben nur punk- nachfolgenden Generationen beeinflussen. – Stefan Pfei- tuell wichtige Informationen für das Besserverstehen fer (313–322) untersucht hermeneutische Schlüssel auf- unserer eigenen bibelwissenschaftlichen Grenzen. – Al- grund der Rezeption von Gen 39–50 in der griechischen bert Pietersma (485–501) argumentiert aufgrund der Übersetzung und der Gestalt Josephs, der zu einem Para- Unterscheidung zwischen Textproduktion und Textre- digma jüdischer Identität in der griechischen Diaspora zeption. Für programmatisch hält er die Fragen a) was insbesondere im ptolemäischen Alexandria wurde. – ein Text ist, b) wie geht man an den Text heran (Herme- Martin Meiser (323–335) versucht aufgrund der LXX- neutik), c) was ist die Gattung des Textes in Frage (Text- Samuel in Vergleich und Gegenüberstellung zu Targum linguistik) und d) welches sind die exegetische Regeln Jonathan zu zeigen, dass die LXX die Treue zu ihrer der infrage kommenden Gattung, die er am Beispiel von Vorlage hält. Er betont, dass hinter einer immer intensi- Psalm 8,5–7 und ihrer Zitierweise im Hebräerbrief pro- ver werdenden innerbiblischen Entwicklung die Selbst- biert. – Michaela Bauks (502–522) untersucht den Sinn- positionierung Israels gegenüber der jüdischen Umwelt horizont von Ps 36(37) mit Hinblick auf die Wiedergabe sichtbar wird. – Philippe Hugo (336–352) untersucht der Verbalformen, insbesondere die Tempuswahl, sowie methodologische Schritte und Prinzipien der Textge- die semantische Funktion von Leitwörtern und -motiven schichte der Samuelbücher anhand von 2Sam 6,1–3. bezüglich der Landnahmevorstellungen im MT und in Manchmal bewahrt die Vorlage der LXX eine literarisch der LXX. – Erich Zenger (523–542) macht aufgrund alte Textgestalt, während der MT und 4QSama korrigie- eines Vergleichs der LXX und der masoretischen Fas- rende, harmonierende Bearbeitungen sind. – Jong-Hoon sung von Ps 129(130) plausibel, dass dem LXX-Psalter Kim (353–368) geht davon aus, dass die Varianten zwi- der Konsonantenbestand des masoretischen Textes schen Proto-MT und der Ur-LXX in hellenistischer Zeit zugrundeliegt. LXX und MT zeigen aber ein abweichen- entstanden. Der kaige-Rezension von 2Sam 15,1–19,9 des theologisches Gesamtverständnis. Der Vf. schätzt, und dem antiochenischen Text liegt eine gemeinsame dass das sichtbare, psalterspezifische Kolorit mehr für Übersetzung zugrunde, die in den beiden Versionen auf- eine konzeptionell reflektierte Übersetzung als für eine grund von eigenen, erkennbaren Regeln dreifach bearbei- akzentuierende Interpretation spricht. – Johann Cook tet wurde. – Emanuel Tov (369–393) vertritt die Mei- (544–558) wendet sich erneut dem Beispiel des Gerech- nung, dass die griechischen Übersetzungen von 1Kön ten in den Proverbien zu und zeigt, dass der jüdische (3Kön), Esther und Dan 4–6 zahlreiche charakteristische Übersetzer des Proverbienbuches Zugang zur altgriechi- Merkmale mit den erneut geschriebenen Bibelkompositi- schen Literatur hatte, zumal er Schriften des Aristoteles onen aus Qumran, insbesondere 4QRP, teilen, deren verwendete, ohne jedoch griechisch-philosophische Kon- Bedeutung für die LXX-Traditionen, die Qumran Schrif- zepte oder individuelle Ansichten eines Autors zu adap- ten sowie die kanonischen Konzeptionen schwer zu über- tieren. – Cameron Boyd-Taylor (559–571) greift die sehen sind. – Erik Eynikel (394–425) konzentriert sich einst von Bickermann aufgeworfene Frage auf, ob expli- auf 2Kön 23,1–23 und bietet eine revidierte Version zite antidionysianische Kritik in der LXX feststellbar ist. seiner textkritischen Studien zum deuteronomistischen Die herangezogenen Beispielen aus Weish 12–14, 3Reg Charakter dieser Einheit. Die von ihm vorgeschlagenen 15,12f. und Hos 4,4–19 und Deut 23,17 führen ihn aber Emendationen werden nicht als Änderungen, die am Text zu keiner überzeugenden und abschließenden Antwort. – oder in interpretativen Übersetzungen des Textes vorge- Thomas Pola (572–580) analysiert LXX-Sach 14,12–21 nommen wurden, sondern als editorische Eingriffe ver- innerhalb der Septuaginta des Sacharjabuches und findet, standen. – Adrian Schenker (426–438) zeigt am Beispiel dass das aktualisierende griechische Dodekapropheton von 2Chr 1,13, dass die Herausgeber der Chronikbücher eher auf Judas Makkabäus hinweist und im hasmonäi- sich ähnlich wie pseudepigraphische Autoren als ermäch- schen Jerusalem zu verorten ist. – Michaël N. van der tigt ansahen, im Namen Moses einen Bericht der Ver- Meer (581–596) wirft einen flüchtigen Blick auf die gangenheit leicht zu modifizieren, um König Salomos kulturelle Umwelt der Septuaginta, die die Ausdruckssei- erste Regierungshandlung im Einklang mit der Thora te der LXX geformt hat. Im Anschluss an Ziegler und darzustellen, die ein einziges Heiligtum Jahwes vor- unter Heranziehung von papyrologischem Vergleichsma-

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 469 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 470 terial macht er auf das ägyptische Kolorit des Wortschat- Gedächtnis zurückgerufen. – Chana Safrai (728–736) zes in LXX-Jes 3,18–23 aufmerksam. – Arie van der wendet sich dem exklusiven rabbinischen Verständnis zu und zeigt, dass die rabbinische איש Kooij (597–611) zeichnet die charakteristische Herange- des Wortes hensweise des LXX-Übersetzers an Jes 8,9; 9,4 und Literatur und die LXX zwar beides, jüdisch und biblisch, 14,19 im Vergleich zum Targumisten auf. Der Überset- waren, aber ihre Wortwahl repräsentiert zwei verschie- zer betrachtete seine Vorlage sowohl aus philologischer dene Kulturwelten, die nur in Ausnahmefällen entschei- als auch aus hermeneutischer Sicht und erkannte darin den, Frauen, Kinder und Sklaven in der Bedeutung von .mit einzuschließen איש -eine erfüllte Prophetie, die als Quelle der Selbsterkennt nis und der Hoffnung der Menschen in schwierigen Zei- Beim Studium dieses außerordentlich interessanten ten zu dienen vermag. – Georg Fischer SJ (612–629) Sammelbandes hat man allerdings nirgendwo den Ein- betont, dass die Jeremia-Septuaginta die Übersetzung druck, sich bei methodisch und inhaltlich wirklich Neu- einer weitgehend mit dem masoretischen Text überein- artigem aufhalten zu müssen. Möge es der Septuaginta- stimmenden Vorlage ist. Diese Version spiegelt aber Forschung zukünftig gelingen, durch klare Ausarbeitung Interessen und Einstellungen ihrer Zeit und Umgebung die hier besonders vermisste Vertiefung in die Sprache, und entfernt sich deswegen in Vielem vom Original, was die Hermeneutik und die Theologie der Alexandrinischen auch in anderen Büchern der Bibel der Fall ist. Daher rät Bibel in ihrem geistesgeschichtlichen Horizont nachzu- er eher von der Annahme einer Priorität der Jeremia- holen und vorteilhaft wirken zu lassen. Septuaginta als Ausgangspunkt künftiger Untersuchun- gen ab. – Hermann-Josef Stipp (630–653) präsentiert seine gegenwärtige Sicht des Verhältnisses der beiden antiken Textformen des Jeremiabuches, die masoretische Grabner-Haider, Anton/Maier, Johann: Kulturgeschichte des und die alexandrinische, u.zw. in Gegenüberstellung zu frühen Christentums von 100 bis 500 n. Chr. Göttingen: Van- Georg Fischers Verfechtung des masoretischen. Wenn denhoeck & Ruprecht 2008. 232 S. 8°. Hartbd., 39,90 €. ISBN 978- man nach dem Ursprung des Jeremiabuches fragt, dann 3-525-54003-9. – Bespr. von Sebastian Fuhrmann, Müns- dient nicht die Jeremia-Septuaginta, sondern die daraus ter/Westf. erschlossene hebräische Vorlage als Vergleichsgröße. Absicht der ‚Kulturgeschichte des frühen Christen- „Sobald die Jeremiaforschung diachrone Probleme auf- tums‘ des Grazer Religionsphilosophen Anton Grabner- greift, muss sie sich der Tatsache stellen, dass überaus Haider, der nach Auskunft des Verlages einen Großteil solide Gründe für die globale Priorität der alexandrini- des vorliegenden Buches verfasst hat, und des Kölner schen Edition plädieren“. – Johan Lust wirft die Frage Judaisten Johann Maier, von dem ein Kapitel über das nach der Einheitlichkeit und Homogenität der LXX- Judentum stammt, ist „die Entstehung und die Verbrei- Übersetzung des Ezechielbuches auf. Ausgehend von tung der frühen christlichen Religion aus der Sichtweise Muraokas „remarkable variants“ prüft er die Theorie der Kulturgeschichte und der Kulturanthropologie zu McGregors und aufgrund eines Formelvergleichs zwi- 1 sehen und darzustellen“ (7) . schen Ezechiel und Jeremia zeigt er, welche Methodolo- Dieses Anliegen ist zu begrüßen, und, soweit der Rez. gie und Kriterien uns zu unterscheiden erlauben, wie dies übersieht, in deutscher Forschung auch ein Deside- viele Hände an der Übersetzung beteiligt waren und wie rat, würde doch so die Genese des Christentums in einem das Werk eines Revisors davon zu unterscheiden ist. größeren geschichtlichen Horizont dargestellt, dabei die 5) Florian Wilk (673–696) untersucht und wertet die häufig vorgenommene Unterteilung von neutestamentli- auf innerbiblische und antik-jüdische Auslegungstraditi- cher Zeitgeschichte und Kirchengeschichte aufgehoben onen zurückgreifende, typisch paulinische Umgestaltung und somit dem Charakter dieser Zeit als einer relativer des LXX-Wortlauts in 2Kor 6,17–7,1 aus. Diese Umge- soziokultureller Kontinuität entsprochen. Dass die Vf. staltung des LXX-Wortlauts passt weitgehend zu der hierbei ihre Darstellung mit Augustin und somit im Bedeutung der ursprünglichen Kontexte und ist kommu- 5. Jahrhundert beenden, ist nachvollziehbar, folgt aber nikativ angeglichen worden. Als hermeneutische Grund- eher der kirchengeschichtlichen Periodisierung, auch sätze dienen die Überzeugungen vom typologischen Sinn eine Beschränkung auf die Zeit des Prinzipats wäre hier der „Gründungsgeschichte Israels“ im Lichte des escha- eine denkbare Alternative gewesen. tologischen Heilshandelns Gottes. – Gert J. Steyn (697– Eine Kulturgeschichte des Christentums in den ersten 726) macht deutlich, dass die Lage der expliziten Zitate vierhundert Jahren seines Bestehens auf 232 Seiten (in- im Hebräerbrief uns nicht erlaubt, undifferenziert und klusive Register und Anmerkungen) anzubieten, lässt unqualifiziert von der LXX zu reden. Vielmehr ist von einen historischen Parforce-Ritt erwarten, und so räumen einer Theorie der Textpluralität zu sprechen, die auf die die Vf. auch ein, „keinerlei Vollständigkeit angestrebt“ Tatsache der langen Entstehungs- und Überlieferungsge- (7) zu haben. Besonderes Augenmerk soll – so die Ein- schichte der LXX gründet und vergleichende Studien in leitung – auf den sozialen Schichten und der Verbindung Richtung wörtliche Zitate im Hebräerbrief zu initiieren von politischer Entwicklung und der Entwicklung des vermag. – Mogens Müller (708–727) betrachtet die LXX Christentums „[a]us einer kaum tolerierten Religion“ zu als die Brücke zwischen dem Alten und Neuen Testa- ment, die die Frage erneut stellt, ob die jüdischen Schrif- ten im Lichte des neutestamentlichen Glaubens gelesen 1 Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf die Seitenzahlen werden sollen. Somit wird aber Bertrams Anliegen ins des rezensierten Werkes.

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 471 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 472 einer „Religion der alleinigen Herrschaft“ (8) liegen. Der rienkulte beispielsweise werden zwar erwähnt, ein Ver- Klappentext verspricht zudem, dass das Buch eine „neue weis auf das bedeutende Vereinswesen – insbesondere Hermeneutik des Glaubens“ biete. Begräbnisvereine – fehlt gänzlich.3 Aus den anderthalb Wem diese geboten werden soll, wird nirgends expli- Seiten, die der kulturgeschichtliche Überblick der Zivili- zit vermerkt. Stil und Duktus der Darstellung – ein recht sation und Technik (33f.) widmet, erfährt man Einiges schmaler Anmerkungsapparat zitierter und eine recht über Erfindungen und technische Errungenschaften, al- ausführliche Liste weiterführender Literatur sowie ein lein nichts darüber, welche Bevölkerungsgruppen dazu Verzicht auf eine Auseinandersetzung mit älterer und Zugang hatten, mit welchem Personalaufwand sie betrie- neuerer Forschung – legen es nahe, dass in erster Linie ben wurden und wer die Nutznießer dieser Entwicklun- Studienanfänger und interessierte Laien angesprochen gen waren. In Bezug auf Literatur und Kunst (34f.) wer- werden sollen. Die Vf. bedienen sich einer betont neutra- den die römischen Geschichtsschreiber erwähnt sowie len Sprache, die auf geprägte und damit auch häufig Martial, Apuleius und Vitruv, leider fehlt ein Hinweis binnenwissenschaftliche Terminologie verzichtet, was als auf die Rezeption der klassischen Dramen sowie auf eine der großen Stärken dieses Werkes zu werten ist. Rhetorenschulen. Ob man interessierten Laien die Lektüre allerdings Der Abschnitt über ‚Denklinien der Philosophen‘ (41– empfehlen sollte, muss der Rez. bezweifeln. Dies hat 58) beschreibt eben diese, hierbei beschränkt sich der Vf. mehrere Gründe. Zum einen ist dem Werk – die folgen- jedoch auf einen literaturgeschichtlichen Überblick. Fra- den Ausführungen beziehen sich nicht auf das Kapitel gen aber, die gerade im Hinblick auf das Verhältnis zum von Maier – eine gewisse unreflektierte Parteilichkeit entstehenden Christentum auftauchen – nach den Träger- abzuspüren, die sich ab und an in ebensolchen Polemiken kreisen der Philosophenschulen, ihren Zielgruppen und zu entladen scheint. Des Weiteren finden sich stilistische Peers, ihrer Verbreitung, Zugänglichkeit und Bekannt- und inhaltliche Unzulänglichkeiten, die eine Lektüre heit unter der Bevölkerung, aber auch nach der sozio- erschweren, zum Dritten wird das Buch seinem An- ökonomischen Situation (der Stoiker Seneca beispiels- spruch, eine Kulturgeschichte des Christentums zu bie- weise als einer der reichsten Männer des ganzen ten, nicht gerecht, da es sich fast ausschließlich auf Imperiums!) der Philosophen und ihrer Anhänger, wer- dessen Literaturgeschichte bezieht und dabei die sozio- den nicht geklärt.4 kulturellen und -ökonomischen Verhältnisse zu sehr Der ‚Entfaltung des christlichen Glaubens‘, also der vernachlässigt. Auch eine Verortung der zweifellos be- Epoche von der Jesusbewegung bis in vorkonstantinische stehenden Verbindung von (christlicher) Religion und Zeit, sind die Seiten 59–80 gewidmet. Deren erster Teil Politik gelingt nicht. beruft sich z. gr. T. auf Werke von Gerd Theißen5 und Das Buch setzt ein mit einer knappen Darstellung der auf Udo Schnelles Einleitung6 sowie einen Aufsatz Mar- Religionspolitik der Kaiserzeit (13–27), die sich weitge- guerats aus Pietris Geschichte des Christentums.7 Letzt- hend an den Regierungszeiten der jeweiligen Kaiser und genanntes Sammelwerk ist ausweislich des Anmerkungs- deren Stellung zum Kult orientiert. Es wird aufgezeigt, apparats dann auch die Hauptquelle für die weiteren dass die römische und griechische Frömmigkeit stark Darstellungen Grabner-Haiders. abhängig war von ihren jeweiligen Trägern. Man erhält Auch die folgenden Abschnitte, die die Abgrenzung Informationen wie von den Juden, die Wahrnehmung der Christen bei den Römern und die Organisation der christlichen Gemein- Von allen sozialen Schichten [Roms – S. F.] wurde die Liebesgöt- tin (Venus) verehrt, denn sie weckte in beiden Geschlechtern das den verhandeln, verlassen den Rahmen einer neutesta- sinnliche Begehren und schenkte die tiefe erotische Lust. (17) mentlichen und altkirchlichen Zeit- und Literaturge- Die alte Göttin Juno schützte die Frauen und ihre Ehen und Gebur- schichte nicht. Besonders deutlich wird diese Tendenz in ten, sie war in jeder Menschenfrau lebendig da. (17) dem umfangreichen Kapitel zu Glaubenslehren und Le- [Jupiter] war der Größte und Stärkste […] der Götter, [… er] bensformen (81–118), welches sich mit seinem aus- schenkte […] den Kriegsherren die Siege […], sein Kult gab dem schließlichen Rekurs auf literarische Produktionen christ- Imperium [korrigiert – S. F.] unbesiegbare Kraft. (17)

oder 3 Siehe hierzu z. B. U. Egelhaaf-Gaiser (Hg.), Religiöse Vereine Der persische Lichtgott Mithras schützte die Krieger im Kampf in der römischen Antike. Untersuchungen zu Organisation, Ritual und gegen das Böse und schenkte ihnen ein gutes Schicksal nach dem Tod. Raumordnung, Tübingen 2002 oder, mit Berücksichtigung einer Fülle (18) archäologischen Materials, R. MacMullen, The Second Church. Popu- lar Christianity A.D. 200–400, Atlanta 2009. Laut Fußnote stammen diese Angaben aus Gottschalks 4 Eine Darstellung hellenistischer Philosophie, die von den Lexikon der Mythologie2, im Text selbst wird aber nicht Fragen an Wirklichkeit und Lebensvollzug ausgeht und daraus die deutlich, dass es sich hierbei um Glaubensaussagen, nicht Antworten erklärlich macht, findet sich z. B. in M. Hossenfelder, Stoa, Epikureismus und Skepsis, München 1985. um Fakten handelt. 5 Im anschließenden Kapitel – Kultur und Gesellschaft G. Theißen, Die Jesusbewegung. Sozialgeschichte einer Revo- lution der Werte, Gütersloh 2004 und ders., Die Religion der ersten des Imperiums (29–39) – wird zwar auf die unterschied- 3 Christen. Eine Theorie des Urchristentums, Gütersloh 2003. lichen Stände innerhalb des Reiches hingewiesen, nichts 6 U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, Göttingen erfährt der Leser jedoch über deren Relationen; Myste- 2005. 7 D. Marguerat, Juden und Christen, in: L. Pietri (Hg.), Die 2 H. Gottschalk, Lexikon der Mythologie, München 1996. Geschichte des Christentums I, Freiburg 2003, 118–223.

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 473 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 474 lich-altkirchlicher Autoren wie ein gerafftes Lehrbuch setzen ist, und in dem sich nach obiger Lesart die ‚Tole- zur Dogmen- und Theologiegeschichte liest. ranten‘ durchgesetzt haben, äußert sich der Vf. dann fol- Der Versuch, möglichst die Breite der kulturellen Er- gendermaßen: scheinungsformen des frühen Christentums darzustellen, Die Donatisten […] waren davon überzeugt, dass die Gültigkeit der ist lobenswert und z. T. auch sachgerecht (vgl. die Ab- kirchlichen Riten (…) von der moralischen Qualität des Spenders schnitte zu judenchristlichen Bewegungen und zur Gno- abhängig sei. Doch die orthodoxen Bischöfe haben nun mehrheitlich sis, 93–96), andererseits reicht es eben häufig nicht, dieses alte christliche Prinzip aufgegeben, für sie waren die litur- unkommentiert Versatzstücke aus kirchen- und theolo- gischen Handlungen auch von sündigen und unmoralischen Klerikern giegeschichtlicher Literatur zu postieren. gültig. Diese Regelung hat sich in der Reichskirche durchgesetzt, sie hat bis heute ihre volle Gültigkeit behalten. (129) Der zweite Teil des Buches (119–179) liest sich dann beinahe durchweg wie ein dogmengeschichtlicher Über- Der Verweis auf die heutige kirchenrechtliche Lage ist blick, die altkirchlichen Auseinandersetzungen (dona- im Gesamtduktus völlig überflüssig und darf wohl als tistischer, arianischer und pelagianischer Streit) werden antiklerikale Spitze gewertet werden. Dass die reichs- z. gr. T. unter Rekurs auf Pietris Sammelband dargestellt. kirchliche Regelung einen vornehmlich seelsorgerlichen Dieser zweite Teil schließt mit einem Abschnitt: „Denk- Impetus hatte, sich der Gläubige nämlich auf diese Weise linien der Theologen und Lehrer“, einem Überblick über sicher sein konnte, ein gültiges Sakrament empfangen zu die dogmatischen und ethischen Topoi des antiken main- haben, auch wenn der dieses Spendende nur über zwei- line-Christentums. Die Endnoten zu diesem Abschnitt felhafte Eignung dafür verfügte – dies erwähnen die Vf. nennen etliche Kirchenväter; jedoch: Auf gut drei Seiten nicht. Auch hier hätte ein Vergleich mit den moralischen (176–179) die Denklinien von Augustin, Kyrill von Wertmaßstäben der nichtchristlichen Welt – so z. B. in Alexandria, Gregor von Nazianz, Ambrosius von Mai- Hinblick auf die Divinisierung (und Entdivinisierung) land, Basilius, Theodoret, Salvianus, Irenaeus, Johannes offensichtlich unmoralischer Kaiser – möglicherweise Chrysostomos, Tertullian, Gregor von Nyssa, Athanasios kulturgeschichtlichen Erkenntnisgewinn gezeitigt. und Kyrill von Jerusalems darstellen zu wollen, lässt auf Mitunter fällt es auch schwer, in der Darstellung der mangelndes Problembewusstsein schließen. kirchengeschichtlichen Ereignisse zwischen Paraphrase Zu erwähnen ist noch der informative Abschnitt über kirchenväterlicher Positionen und kulturgeschichtlicher die jüdische Kultur der ersten christlichen Jahrhunderte Interpretation zu unterscheiden. An zwei Beispielen soll von Johann Maier (181–200). Er bietet eine differenzier- dies illustriert werden. So werden im Kapitel über die te Darstellung der Entwicklung der jüdischer Glaubens- ‚Kultur des griechischen Christentums‘ (100–108) die richtungen, leider wird das spannungsvolle interreligiöse Bemühungen der christlichen Apologeten geschildert, die Wechselspiel zwischen Christentum und Judentum, zu- antichristlichen Ressentiments der griechisch-römischen mindest in den ersten drei Jahrhunderten unserer Zeit, Umwelt zu entkräften: nur angedeutet. An dieser Stelle sei noch einmal etwas ausführlicher Nun bezogen sich die Anklagen der Griechen und Römer gegen die auf die Darstellungsweise des Autors (Folgendes betrifft Christen auf mehrere Aspekte ihres Glaubens. In moralischer Hinsicht Grabner-Haider) eingegangen. Sein Anliegen, eine Kul- wurden ihnen der Ritualmord von Kindern [etc. …] vorgeworfen. In politischer und religiöser Hinsicht traf sie der Vorwurf, dass sie die turgeschichte des Christentums einer breiteren Leser- Schutzgötter ihrer Städte nicht verehrten … Denn sie übernahmen schaft zugänglich zu machen, ist zweifellos lobenswert, keine Ämter in der Stadt, dienten nicht beim Militär; und einige Chris- doch führt dies bisweilen zu z. T. erheblichen Simplifi- ten lebten asketisch und verweigerten die Zeugung und Erziehung von zierungen und Ungenauigkeiten, die dem mit der Materie Kindern; sie verhielten sich zutiefst unsozial zu den Mitmenschen. nicht erfahrenen Leser Verstehensschwierigkeiten berei- (101) ten müssen. Einige Beispiele seien genannt: Die in der Hier hätte ein konziser Gebrauch des Konjunktivs afrikanischen Kirche insbesondere im Anschluss an die schon etwas Klarheit schaffen können; falls der letzte decischen Verfolgungen aufkeimende Diskussion, ob die Satz jedoch schon Deutung der Vf. darstellt, darf ange- sog. lapsi wieder in die Kirche aufgenommen werden fragt werden, ob beispielsweise die Teilnahme an militä- dürfen, stellt sich in vorliegendem Werk folgendermaßen rischen Aktionen den Schluss auf sozialeres Verhalten dar: „zu den Mitmenschen“ ermöglicht hätte. Tolerante Christen setzten sich für eine schnelle Wiederaufnahme Ein Konjunktiv fehlt auch bei der Beschreibung christ- in die Gemeinde ein, doch die Fanatiker widersetzten sich der licher Gruppierungen unter Bezugnahme auf antihäreti- Wiedereingliederung, denn sie wollten eine Kirche der ‚Reinen‘. (98) sche großkirchliche Literatur:

Ob ‚Toleranz‘ und ‚Fanatismus‘ hier tatsächlich die Diese christlichen Gruppen feierten also kultische Liebesfeste, die zielführenden Kategorisierungen darstellen, darf mit Fug in der Analogie zur Eucharistie gedeutet wurden. Die Frauen empfin- bezweifelt werden; eine kulturgeschichtliche Auseinan- gen den männlichen Samen in ihre Hände… Dann tranken sie den dersetzung zum antiken Wahrheitsverständnis oder zur männlichen Samen und riefen dabei: ‚Dies ist der Leib Christi…‘. fortschreitenden Individualisierung des Subjekts in Hel- Ähnlich tranken die Männer das Menstruationsblut der Frauen, indem sie riefen: ‚Dies ist das Blut Christi‘. Auch der Philosoph Kelsos lenismus und Prinzipat hätte hier vielleicht weiter gehol- berichtete von christlichen Gnostikern, welche die Eucharistie nackt fen. Zu einer der Sache nach ähnlichen kirchenpoliti- feierten. Da die Kunde von diesen Feiern gelegentlich an die Öffent- schen und theologischen Auseinandersetzung, dem sog. lichkeit kam, wurde den Christen generell unterstellt, dass sie verbo- donatistischen Streit, der ungefähr 150 Jahre später anzu- tene Riten feierten. (73f.)

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 475 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 476 Die Darstellung suggeriert, dass es sich bei dem Ge- Ohne das aggressive Potential der christlichen Lehre schilderten um tatsächlich praktizierte Kulthandlungen leugnen zu wollen, welches sich beispielsweise aus dem gehandelt habe. Der Vf. erwägt nirgends, dass diese Be- Wahrheitsanspruch des monotheistischen Glaubens oder schreibungen dazu gedient haben könnten, den religiös- auch aus der Hoffnung auf Kompensation erlittenen Lei- weltanschaulichen Gegner zu diskreditieren, indem man dens im Endgericht gespeist haben könnte, fragt sich der ihm unmoralische, verbotene und geschmacklose Riten Rez. doch, wie oben geschilderter Zusammenhang – als unterstellte. „Transformation von Aggressivität“ (69) bezeichnet – zu Das Hauptanliegen des Vf. besteht darin, den Nach- verstehen sein soll. Wenn der Abschnitt dann jedoch mit weis erbringen zu wollen, dass das frühe Christentum dem Fazit endet: von seinen Anfängen an auch politisch ambitioniert war. Binnensolidarität wurde mit geballter Aggressivität gegen das Dass er für den Nachweis dieser Ambitionen gerade den Fremde verbunden, dies ist die Dynamik des christlichen Glaubens bis Philipperhymnus (Paulus, Philipperbrief, 2,5–11) aus- weit ins 20. Jh. geblieben sucht und diese am Titel kyrios festmachen will („Wir erkennen bereits hier einen starken politischen An- – sagt sich der Rez., dass er eine differenzierte Ant- spruch.“ [63]), ist mindestens gewagt. Zwar steht außer wort wohl kaum erwarten darf. Frage, dass mit dem Glauben an den Auferstandenen als Wenn eine Kulturgeschichte des Urchristentums be- kommenden Richter und Weltherrscher die Herrschaft züglich einer historischen Bewertung des Christentums des Kaisers relativiert wird, doch sehen die frühen Chris- als Reichsreligion dieses im zusammenfassenden Kapitel folgendermaßen skizziert: ten dieser Herrschaft doch vornehmlich wartend entge- gen. Dies übrigens im Unterschied zu manchen messiani- Gleichzeitig gelang es den Bischöfen und Theologen, fast alle schen Bewegungen im Judentum, zu der auch bisweilen Völker und Stämme, die innerhalb des römischen Imperiums siedelten, die Gruppe um den historischen Jesus gerechnet wird. zum christlichen Glauben zu bringen. Dieser Glaube hatte Erkennt- Doch bekanntlich erfüllte Jesus von Nazareth die Erwar- nisse der griechischen Philosophie gespeichert, deswegen brachte er tungen an einen politischen Messias gerade nicht. Der den meisten Völkern und Stämmen einen starken kulturellen Lernpro- Vf. sieht jedoch politischen Anspruch zess. Auch in seiner autoritären und monopolhaften Form trug der Glaube der Christen das reiche Erbe der antiken Kultur und der Kultu- latent und offen bereits in den Anfängen des Christentums; er fin- ren des Alten [korrigiert – S. F.] Orients in sich. Er konnte nun begin- det sich bei Jesus gegenüber dem jüdischen Tempel und bei den frühen nen, die entstehende europäische Kultur zu formen. Dies ist die große Christen gegenüber dem Kaiser. (120) Leistung des Glaubens an Jesus Christus und an die Herrschaft des einen Weltgottes über alle Menschen und Völker. Bei allen Defiziten Eine Begründung dieser Thesen findet leider nicht und Mängeln kann diese Leistung nicht hoch genug eingeschätzt statt, so dass die abschließenden Schlussfolgerungen werden. (204) auch nicht aus der Darstellung hervorgehen. Des Weiteren will der Vf. den Einfluss der Philoso- offenbart sich der nach Meinung des Rezensenten ent- phie auf das junge Christentum aufweisen. Im zweiten scheidende Mangel des gesamten Buches, nämlich ein Hauptteil, der Zeit nach Konstantins gewidmet, äußert Bild einer Kulturgeschichte zu präsentieren, welches den sich der Einfluss der durch das Christentum vermittelten kulturellen Impact des Christentums auf dessen administ- Philosophie dann so: Konstantin untersagte Gladiatoren- rative und lehrmäßig reflektierte kulturellen Produkte kämpfe und die Todesstrafe ad bestias – „[d]amit akzep- reduziert und damit die notwendige Unterscheidung zwi- tierte der Kaiser die Kritik von Philosophenschulen und schen glaubender Existenz und offizieller Glaubensäuße- der Christen“ (125). In der Rechtssprechung misst er der rung völlig vernachlässigt. Dass in der Bewertung des Gerechtigkeit mehr Gewicht als dem Wortlaut der Ge- Christentums auch gewisse Dekadenzvorstellungen mit- setze bei – „hier erkennen wir deutlich den Einfluss der schwingen und diesem allein seine Kultur transferierende philosophischen Lehren auf die Rechtssprechung“ (126). Bedeutung zugestanden wird, sei hier nur am Rande vermerkt. Offen polemisch wird es im Folgenden: Er erließ Gesetze zum Schutz von Kindern, diese „ließen den Einfluss der Philosophen und Christen erkennen“ Jetzt [in der Reichskirche, vorher galt im römischen Reich der Pri- (127). Als aber die Söhne Konstantins unter ihren Ver- mat der Politik mit dem Kaiser als pontifex maximus – S. F.] aber wandten zur Sicherung ihrer Herrschaftsansprüche ein entschieden die sich orthodox nennenden Bischöfe und die Theologen, Blutbad anrichten, schließt der Vf.: was göttliche Wahrheit und göttliches Gesetz sei, welche Lebensfor- men und Glaubensweisen im ganzen Imperium verfolgt und ausge- So hinterließ der erste christliche Kaiser im römischen Imperium löscht werden mussten. (205) viele Blutspuren in der Politik. (128) Nachgerade versöhnlich gibt sich dann der letzte Ab- Eine solche Gegenüberstellung von ‚guter Philoso- satz des Buches, in welchem dem Reichschristentum phie‘ und ‚aggressivem Christentum‘ greift schlicht zu immerhin zugestanden wird „die moralischen Grundwer- kurz. te der Jesusbewegung [die leider kaum dargestellt wur- Ein dritter Topos, der verhandelt wird, ist das Aggressi- den – S. F.] bewahrt“ und diese onspotential des Christentums, welches der Vf. schon früh, aber nun ausgerechnet im Opfertod Jesu begründet sieht: verbreitet und bei vielen Völkern eingewurzelt [zu haben]. Die un- bedingte Herrschaft wurde mit den Zielwerten der Nächstenhilfe, der Durch die Lehre vom Opfertod Jesu erkennen wir eine Verstärkung Solidarität mit den Schwächeren, der Barmherzigkeit, der Versöhnung aggressiver Kräfte, diese sollten in eine gelebte Ethik der Nächsten- der Feinde und der Friedensstiftung verbunden. Darin besteht die hilfe umgeleitet werden. (69) große und kulturelle politische Leistung des Reichschristentums, das

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 477 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 478 heute auch die meisten seiner Kritiker anerkennen. Unpolitisch war der knechts“, der in einigen (in der Regel: vier) Texten Deu- christliche Glaube vermutlich nie, an diese konsequent politische terojesajas eine besondere Rolle spielt: Ist der Knecht Sichtweise der Religion müssen wir uns wohl erst gewöhnen. (206) wie in anderen Texten des Buches einfach mit Israel Nach der Lektüre des Buches scheint es dem Rez. fast, gleichzusetzen, oder ist er ein Teil, das „ideale“ Israel, als bezöge sich das „wir“ vornehmlich auf den Vf. oder ein Einzelner, u. a. der Prophet selbst? Wieder gibt Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Die große Stär- es zahlreiche Varianten, aber das muss hier genügen. ke des Bandes ist zugleich seine große Schwäche. Die Man ist gespannt, welche Antworten ein neuer wissen- Autoren verzichten – ohne dies explizit zu thematisieren schaftlicher Deuterojesaja-Kommentar auf diese und – auf fachwissenschaftliche Beschreibungssprache. Da- viele andere Fragen gibt. durch wirkt das Buch leicht verständlich, bleibt aber auch U. Berges hat sich als Kommentator der „Klagelieder“ – da der forschungsgeschichtliche Diskurs weitgehend (2002) und mit Untersuchungen zur Komposition des ausgeblendet wird – häufig an der Oberfläche. Dies fällt Jesajabuchs (1998) für die Kommentierung Deuterojesa- besonders – und leider auch besonders unangenehm – in jas ausgewiesen und kann beides in der Auslegung zur den Kapiteln auf, welche theologische, z. T. auch philo- Geltung bringen. Die neuere Literatur ist umfassend, die sophische Konzepte darstellen. Hier hätte sich der Rez. ältere, besonders seit B. Duhm, gelegentlich berücksich- gewünscht, dass sich das Buch eher mit den kulturhisto- tigt. Religionsgeschichtliche Parallelen aus dem mesopo- rischen Hintergründen manches sich vordergründig tamischen Raum werden extensiv vorgestellt, z. T. mit nachgerade absurd darstellenden theologischen Konzep- altorientalischem Bildmaterial veranschaulicht. tes auseinandergesetzt hätte, als dieses schlicht zu para- Der vorliegende Band behandelt die ersten neun Kapi- phrasieren. Der gesamte Problemhorizont der Frage nach tel Deuterojesajas, mit denen nach verbreiteter Auffas- der Absicht oder Notwendigkeit, Gotteserfahrung und sung der erste Großabschnitt schließt. Die Einleitung -deutung in mythischer bzw. an philosophische Konzepte (25–73) stellt exegetische und hermeneutische Grund- angelehnter Sprache zu formulieren, fehlt daher auch entscheidungen voran, in denen als „Ausgangs- und gänzlich. Eine Geschichte der Kultur aber muss eine Zielpunkt der Auslegung“ die „Buchgestalt“ angegeben Geschichte der Relationen zwischen Fragen und Antwor- wird, d. h. die Buchgestalt des Jesajabuchs, auch wenn ten sein. Es genügt nicht, nur die Antworten darzustellen. die Kommentierung einem Ausschnitt gilt. Dazu wird der „kollektive Verfassercharakter“ der Prophetenbücher hervorgehoben: Die einer Sammlung den Namen geben- den Propheten seien nicht als Autoren, sondern als „Au- Berges, Ulrich: Jesaja 40–48. Freiburg, Basel, Wien: Herder 2008. toritäten und Begründer theologischer Diskurse und Dis- 559 S. mit Abb. 8° = Herders Theologischer Kommentar zum Alten kursgemeinschaften“ verstanden worden, Autoritäten, Testament (HThK AT). Lw. 90,00 €. ISBN 978-3-451-26836-6. – unter die man sich stellt und deren Äußerungen man Bespr. von Hans-Jürgen Hermisson, Tübingen. weiterführt. Diese Literatur sei nicht für die Öffentlich- keit bestimmt, sondern jeweils Eigentum einer Gruppe Kommentare zu „Deuterojesaja“ (Jes 40–55) sind von Fachgelehrten, die ihre Schriften aufs genaueste nicht gerade selten, aber die Probleme dieser wichtigen kennen, aber ebenso mit der Literatur anderer Diskurs- Textgruppe des Alten Testaments sind damit keinesfalls gemeinschaften im kleinräumigen nachexilischen Juda hinreichend gelöst. Sie beginnen bei der Verfasserfrage: vertraut sind.1 Dies Bild nachexilischer Überlieferung ist Wohl ist die neuzeitliche Auslegung sich fast durchweg die Basis einer Reihe von Annahmen in der Auslegung; darin einig, dass der Prophet Jesaja aus dem 8. Jh. v. Chr. es ist nur festzuhalten, dass es hypothetisch erstellt und den zweiten Teil „seines“ Buchs n i c h t verfasst haben nicht auf antike Nachrichten gestützt ist. kann. Da aber der Textblock anonym überliefert ist, Berges hat einen ungewöhnlich ideenreichen und an- bleibt jede positive Antwort zur Abfassung hypothetisch. regenden Kommentar vorgelegt. Der große Einfallsreich- Terminus a quo ist das Auftreten des Perserkönigs Kyros tum fordert indes auch ungewöhnlich zum Widerspruch seit etwa 550 v. Chr., weil von ihm als einer gegenwärti- heraus. Das kann hier nur mit einigen Anfragen belegt gen Gestalt gesprochen wird, die Israel aus dem babylo- werden. nischen Exil befreien wird, aber man kann die Texte 1. Wenn der Prophet Jesaja aus dem 8. Jh. v. Chr. Jes auch ganz oder teilweise später ansetzen. Hat man es 40–55 n i c h t verfasst haben kann, wer dann? Man dann mit einem oder mehreren Verfassern zu tun, gibt es denkt meist an einen anonymen Propheten im babyloni- einen ursprünglichen prophetischen Textbestand, der wie schen Exil. Berges dagegen plädiert in Anknüpfung an bei anderen Prophetenbüchern sukzessive angereichert einige Vorgänger (W. Caspari 1934, D. Michel 1977, wurde, oder ist das ganze eine dramatische Komposition, J. Werlitz 1999) für ein Verfasserkollektiv, das seine vielleicht gar ein Drama, das zur szenischen Aufführung Arbeit bald nach den ersten Erfolgen Kyros’ I. um 550 in Jerusalem und Babylon im letzten Drittel des 5. Jh.s v. Chr. aufnimmt und nach der Heimkehr um 520 v. Chr. gedichtet wurde (so K. Baltzer)? Exegetischer Einfalls- abschließt. Modell für die kollektive Dichtung sind die reichtum hat solche Modelle in vielen Varianten durch- gespielt; das ist nötig, aber was sich davon bewährt, ist noch nicht ausgemacht. Ein anderes Hauptproblem ist die seit über hundert 1 So S. 31f. mit Berufung auf Arbeiten von O. H. Steck, Jahren strittige Frage nach der Identität des „Gottes- E. Knauf und E. Otto.

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 479 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 480 levitischen Sängergruppen, denen in Psalmenüberschrif- nicht aus Jesajas Unheilsverkündigung ableiten lässt. ten ein bestimmter Bestand an Psalmen zugewiesen wird: Eine prophetische Rolle der LPG wird denn auch zuge- Sind sie danach Besitzer und wahrscheinlich Auffüh- standen, aber ist sie mehr als die literarische Fiktion „Je- rungsberechtigte dieser Texte, dürfte auch die Abfassung saja“? der betreffenden Psalmen auf die jeweilige Gruppe zu- 2. Das „Oratorium“ ist nach Berges ein Drama, es ent- rückgehen. So habe eine zunächst im Exil lebende leviti- hält nicht nur dramatische Einzeltexte (das ist unbestrit- sche Produktionsgenossenschaft (im Folgenden: LPG) ten): Die Texte „ergeben in ihrer Abfolge ein Hand- „Deuterojesaja“ sukzessive als ein „Oratorium der Hoff- lungsgefüge, in dem eine Ausgangsfrage bearbeitet und nung“ hervorgebracht (39). Wegen der kollektiven Ver- durch Schwierigkeiten … zur Beantwortung gebracht fasserschaft sei der Wachstumsprozess nicht nachzu- wird“ (69f.). Mit der These von „Deuterojesaja“ als ein- zeichnen (48), doch seien „Texte mit einer eindeutigen heitlichem Drama schließt sich Berger an W. A. M. Beu- Heimkehr- und Wiederaufbauperspektive, allen voran die ken und H. Leene an; im Unterschied zu J. D. W. Watts Zion-Jerusalem-Ouvertüre in Jes 40,1–11 im Zuge der oder K. Baltzer denkt er nicht an ein „Aufführungsdra- politischen Maßnahmen des Darius entstanden“ (45). ma“, sondern versteht die Kategorie „,dramatisch‘ als Dagegen gehörten die meist für sekundär gehaltenen Beschreibung einer literarischen Eigenschaft“ (69). Das polemischen Texte über die Kultbildherstellung in die Drama gliedert sich in Jes 40–48 nach Berges in zwei babylonische Phase (45; 54ff.). „Ouvertüren“ (40,1–11; 40,12–32) und vier „Akte“ Das Modell der levitischen Sängergruppen leistet in- (41,1–42,12; 42,13–44,23; 44,24–45,25; 46,1–48,22) des weniger für die Textgenese, als es scheint. Für die (72). Nicht deutlich ist, ob das „Oratorium der Hoff- Abfassung einzelner Psalmen ist leichter vorstellbar, dass nung“ nur als l’art pour l’art der LPG gehandelt wurde ein Glied der Gruppe den Text gedichtet hat, als dass alle oder nicht doch in der israelitischen Öffentlichkeit „auf- Mitglieder einen Satz beitragen durften; wahrscheinlich geführt“ werden musste, um seinen tröstenden, mahnen- waren auch nicht alle Glieder Dichter. Die gemeinsame den Zweck zu erfüllen. Immerhin ist ein „Leser/Hörer“ Sprachwelt, aus der der Dichter schöpft, ist nicht grup- vorgesehen, der den „dramatischen Fortgang des Plots“ penspezifisch, sondern großenteils auch anderen Sänger- miterlebt (71), aber wer war das aktuell in exilisch- gruppen eigen. Die Beziehung „Deuterojesajas“ zur frühnachexilischer Zeit? Sprachwelt der Psalmen ist offenkundig, und so liegt es Bereits die vermutete Entstehungsgeschichte weckt nahe, den oder die Urheber der deuterojesajanischen Zweifel an dem einheitlichen dramatischen Konzept: Texte unter den exilierten Leviten zu suchen. Das „nu- Auch Berges geht von einer gewissen Diachronie der merische“ Problem – einer oder viele – ist an sich nicht Textproduktion aus; dabei bleiben Eigenheiten der älte- sehr gewichtig, aber wieder muss man fragen, was leich- ren Texte bestehen (anders wären sie nicht zu identifizie- ter vorstellbar ist.2 Die Argumente g e g e n einen einzel- ren). Nur eine grundlegende Überarbeitung könnte dar- nen Propheten wiegen nicht schwer: Die Namenlosigkeit aus eine dramatische Einheit machen. Die Einleitung mit lässt sich mit der levitischen Herkunft erklären, das pro- gleich zwei „Ouvertüren“ ist in dramatischer Dichtung phetische „Ich“ kann man in den Gottesknechtsliedern ungewöhnlich. Überdies fehlt in der Tradition propheti- finden und mit einem Teil der Textüberlieferung in 40,6 scher Schriften in aller Regel eine durchgehende Überar- wiederherstellen. beitung und Angleichung; man lässt die überlieferten Wichtiger als die Zahl der Autoren ist die Frage nach Texte stehen und fügt Ergänzungen und neue Texte – der Legitimation, solche Texte zu promulgieren. Dafür z. T. aus prophetischem „Material“ erstellt – hinzu. Das reicht der Hinweis auf die Leviten nicht aus. Die Texte dürfte den Befund auch hier besser erklären. Da die verkünden eine aktuelle Botschaft Jahwes: Das ist das Thematik begrenzt ist, kann man mit allerlei Stichwort- Metier von Propheten. Gewiss kann auch ein „Orato- bezügen einen Zusammenhang konstruieren; die Sekun- rium“ eine „Botschaft“ haben, es kann aber nicht mit därschichten suchen z. T. solche Zusammenhänge. Zu- dem Anspruch auftreten, ein von Jahwe empfangenes dem werden die Texte in eine gewisse Ordnung gebracht, Wort auszurichten, wie das die Botenformel „So spricht wie sich z. B. an der Häufung der Ziontexte im zwei- Jahwe“ behauptet. Es geht nicht um den historischen ten Teil (ab 49,14ff.) zeigt. Das reicht aber für ein ziel- Beweis der Legitimation – den kann es nicht geben –, strebig auf ein Ende zu konstruiertes Drama nicht aus. sondern darum, wie ein Autor sich verstanden hat. Wohl Der Textbefund spricht m. E. für eine geordnete, kom- gibt es in Prophetenbüchern Sekundärtexte, die die über- mentierte und ergänzte S a m m l u n g von Texten. – lieferte Botschaft mit ähnlichem Anspruch weiterführen Die angedeutete Differenz ist für die Auslegung von – auch da mit der Botenformel, obwohl man es z. T. mit erheblicher Bedeutung. In der Sammlung behalten die „Schreibtischarbeit“ zu tun hat –, aber derart sind die ursprünglichen Texte ihren je eigenen Sinn, wiewohl sie ursprünglichen Deuterojesaja-Texte nicht: Sie knüpfen sich in eine prophetische Botschaft fügen, die mit Aus- zwar begrenzt an Sprache und Formen des Vorgängers zug aus Babylon und Heimkehr zum Zion ein zielstrebi- an, doch sie verkünden eine neue Botschaft, die sich ges G e s c h e h e n erwartet. Im „Drama“ müssen sie je und je dem konstruierten dramatischen Ablauf entspre- chen. 3. In die späte Phase der Dramenbildung gehören nach 2 Sekundär- und Schülertexte können dafür außer Betracht Berges die eigentlichen Gottesknechtslieder. Die Beson- bleiben. derheit dieser Texte wird anerkannt, doch gehörten sie

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 481 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 482 zur Gesamtanlage des Oratoriums und hätten „keine in einer Streitrede mit Israel „Ich, ich tilge deine Frevel außerhalb der vorliegenden Komposition (liegende) Be- um meinetwillen, und deiner Sünden gedenke ich nicht“ deutung“ (60). „Der namenlose Knecht ist zunächst eine (43,25) gilt unbedingt: Mit der Wendung „um meinetwil- literarische Figur, eine theologische Idee, die sich ge- len“ wird die Sündenvergebung theozentrisch begründet schichtlich in denjenigen konkretisiert, die sich innerhalb und nicht an die Bedingung menschlichen Verhaltens des blinden und tauben Knechts ,Jakob/Israel‘ allein geknüpft. Dass die göttliche Vorgabe menschliche JHWH anvertrauen, Babel verlassen und so zu Boten von F o l g e n haben soll, ist gewiss eingeschlossen, aber das Heil und Befreiung für Zion … werden“ (61). Konkret ist ist ein anderes Modell als das der bedingten Vergebung. das zuerst die LPG, die nach dem Zeugnis der Gottes- Die Bemerkung zu 43,22–28 „Nur wenn sich das Got- knechtslieder mit dem „unbedingte(n) Eintreten“ für tesvolk zu seinen Verfehlungen bekennt, kann die von JHWHs Sache „immer stärker unter gesellschaftlichen Gott angebotene Sündenvergebung greifen“ (316) ver- Druck“ gerät (62f.). kennt, dass Jahwe Israel um seiner durch Israels Unter- Ist der Gottesknecht nach Berges zunächst mit der gang tangierten göttlichen Ehre willen vergibt (vgl. LPG identisch, so ist er doch zugleich eine Werbefigur, 48,9.11) und Vergebung darum ein unverbrüchliches der sich möglichst viele aus dem exilierten Israel an- Fundament hat. Dass Israel das Heil annehmen muss, schließen sollen, indem sie sich von den Götterbildern ist selbstverständlich; dafür wirbt die deuterojesajanische distanzieren und aus Babylon ausziehen, wie das die Verkündigung, aber sie hat das ganze Israel im Sinn Gruppe tut. Wenn die LPG prophetische Züge hat und und nennt keine Bedingungen, sondern erwartet Akzep- die prophetischen Texte verkündet, wäre die Differenz tanz. zur Deutung des Knechts auf „den“ Propheten im Ansatz 5. Zur Einzelauslegung kann jetzt nur mit einer grund- nicht groß – es ginge nur wieder um das numerische sätzlichen Anfrage und Beobachtungen zu Jes 40,1–11 Problem. Doch soll das „Drama“ bereits die Entwicklung Stellung genommen werden. Die Grundsatzfrage betrifft zum idealen Teil Israels zeigen; dafür wird nach Berges die in Mode gekommene „Intra- und Intertextualität“. der erste Gottesknechtstext als Motto vorangestellt (212). Gemeint ist der Bezug eines Textes auf andere, sei es im Das Modell eines Dramas, in dem sich das „wahre Is- gleichen Buch („intra“), sei es im ganzen Kanon („in- rael“ durch eine Scheidung im Volk zum idealen Gottes- ter“). Dagegen ist dann nichts einzuwenden, wenn eini- knecht entwickelt, wird in Kombination mit der These germaßen wahrscheinlich ist, dass der Autor die Bezie- von der LPG als Gottesknecht und Autor des Gesamt- hung beabsichtigte oder sie zumindest in der Textwelt werks zusätzlich kompliziert. So wird das Buch zu einer nahe lag – herkömmlich wird das in der „Traditionsge- Art Autobiographie der Genossenschaft. Es sollte eine schichte“ untersucht. Hier wird der Rahmen viel weiter offene Autobiographie sein, in der sich das „wahre Isra- gespannt: Für „Intertextualität“ genügt es, wenn irgend- el“ mit unterbringen kann. Wie aber kann das gelingen, wo im Alten Testament gleiche (auffällige) Wörter oder wenn die Texte als Eigentum einer geschlossenen Gesell- Wortkombinationen vorkommen. Die Frage, ob ein be- schaft allerlei Raffinessen aufweisen, die nur die gelehrte absichtigter Bezug möglich ist, spielt offenbar keine Diskursgemeinschaft versteht? Rolle, Maßstab ist letzten Endes der Leser des ganzen Darüber hinaus muss man fragen, wo die Scheidung Alten Testaments oder – für Wortkombinationen – die innerhalb Israels im Deuterojesajabuch3 belegt ist. Wenn elektronische Konkordanz. Es geht hier nicht um den der Gottesknecht nach 49,5 Israel zu Jahwe zurückführen Sprachgebrauch, sondern um eine Sinninvestition aus soll, so ist noch immer an das ganze Israel gedacht. Ber- einem fernliegenden Text. Der Rechtfertigung abgelege- ges forciert die These von der Scheidung, indem er wie- ner Zusammenhänge dienen „intratextuell“ die geschlos- derholt betont, „nur diejenigen …“ aus Israel partizipier- senen Diskursgemeinschaften der Textproduzenten und ten am Heil, die sich vom Bilderkult abwenden, aus Ba- -besitzer, „intertextuell“ ihr Dialog mit anderen Diskurs- bylon ausziehen u. dgl., aber das deuteronomistische und Überlieferergenossenschaften, aber man fragt sich, „wenn – dann“ ist den Texten fremd4. Die Zusage Jahwes ob sie mehr sind als ein historisches Feigenblatt. Zwei Beispiele mögen das erläutern. In 43,17 heißt es

von den untergegangenen ägyptischen Verfolgern Israels 3 Abgesehen von späten Elementen wie 48,22, die auch Berges für Zusätze hält. am Schilfmeer: „sie sind verloschen wie ein Docht, erlo- 4 Zu 43,20 wird behauptet, aus allen Belegen für „Erwählung“ schen“. Die Wahl der beiden Verben soll belegen, dass zusammen ergebe sich, „dass sich die Erwählung auf all diejenigen im das „Heer des Pharao … auch als Inbegriff aller Gott- Gottesvolk bezieht, die sich JHWH als dem anvertrauen, der ihre losigkeit und Frevlerei“ gilt (299) und in seinem Unter- Wüste in Segen und Heil verwandelt“ (305) – aber bis auf zwei Belege gang „alle Hybris und Gottlosigkeit besiegt“ ist (300). damit begründet, dass das Verb in der רעך für die besondere Aufgabe des Gottesknechts (42,1; 43,10) beziehen Das wird für sich alle Belege für „Erwählung“ auf das Volk Israel. Zu 47,4 liest Weisheitsliteratur meist in der stehenden Wendung vom man: „Nur diejenigen aus Jakob/Israel, die sich zum Auszug aus Babel „Erlöschen der Leuchte“ der Frevler gebraucht wird (in -gar „intratex כבה entschließen, sind berechtigt, JHWH als … ,unseren Erlöser‘ anzuru- 43,17 „erlöschen“ die Menschen), für fen“ (488) – das steht nicht im Text, sondern ist ein Dekret des Kom- tuell“ mit drei Belegen der Wurzel im Jesajabuch, in mentators. Zu 48,1f. heißt es: „Nur diejenigen in der Gola, … die zum Hören bereit sind, gehören zum Knecht, der am Ende von Jes 48 zum denen das Feuer für Frevler oder für das verhasste Edom Auszug aus Babel aufgerufen ist“ (511; ähnlich 512 u. ö.); auch bei n i c h t erlischt (Jes 1,31; Jes 34,9f.; Jes 66,24) – als 49,13: „Getröstet hat Jahwe sein Volk“ wird „Nur diejenigen“ einge- Beleg für die Frevelhaftigkeit der „erloschenen“ ägypti- tragen (528). schen Verfolger klingt das nach lucus a non lucendo und

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 483 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 484 bleibt jedenfalls dem normalen Leser verborgen (er „neue Exodus“ spielt schon früher (z. B. 43,16–21) eine entscheiden- könnte ebenso Hhld 8,7 assoziieren). – Daraus, dass ein de Rolle.

Lamm für das Brandopfer nur noch in der Erzählung von Bedenklich ist auch die Deutung des Bildworts vom Abrahams Opfer in Gen 22,7f. sowie beim Sündopfer verdorrenden Gras (V. 6b–8a) auf „ethisch-religiöse vorkommt, soll man für Jes 43,23 schließen: „Weder die Kurzlebigkeit“ der Adressaten. Sie kann sich zwar auf ,חֶסֶר Hingabe eines Abraham, noch das Schuldbewusstsein, das in diesem Zusammenhang auffällige Wort das ein Sündopfer voraussetzt, kann Jakob/Israel sich üblicherweise „Treue“, berufen, aber alles andere passt zugute halten.“ (309). nicht: Schon das Bild „so wechselhaft wie eine Feldblu- Solche freien, computergestützten Assoziationen mit me“ wäre misslungen, vor allem aber müsste der Hauch mehr oder meist weniger Plausibilität finden sich häufi- Jahwes selbst den Effekt vergänglicher Treue bewirken. ger im ersten als im zweiten Teil des Kommentars. So- Deshalb ist das Bild wie überall sonst von der Vergäng- lange die hermeneutische Basis und die Regeln des Ver- lichkeit allen Lebens zu verstehen. D. h.: Der Zweifel fahrens nicht dargelegt sind, erscheint „Intertextualität“ bezieht sich sehr wohl auf die Botschaft von der „unmög- nur als Lizenz zum Wildern im Alten Testament. lichen“ Erscheinung der Herrlichkeit Jahwes vor „allem 6. Dass die Einzelauslegung eines neuen Kommentars Fleisch“ (V. 5), nicht auf die Schwierigkeit der Aufgabe. bei den Fachkollegen ebenso auf Konsens wie auf Dis- Ist die Wüstenstraße für Jahwe real, kann mit den Im- sens stoßen wird, ist selbstverständlich und macht ihn perativen in V. 3 ebenso wenig die LPG angesprochen erst interessant und lesenswert. Als Beispiel für den Dis- sein wie ein einzelner Prophet. Die These von der himm- sens ist auf Elemente der Auslegung der ersten „Ouver- lischen Ratsversammlung und dem Auftrag an himm- türe“ hinzuweisen. lische Wesen bleibt die nächstliegende Erklärung. Dass In Jes 40,1ff. wird der (historische) Prophet Jesaja als diese himmlische Versammlung später nicht mehr vor- (fiktiver) Sprecher eingesetzt, er übermittelt den Trost- komme und nur aus Jes 6 gefolgert werde, ist kein zurei- auftrag an die LPG, die sich das Buch Jesaja I zueigen chendes Gegenargument: Auch bei Jesaja kommt sie gemacht und ihr „Oratorium der Hoffnung“ daran an- nach Jes 6 nicht mehr vor, bei Deuterojesaja ist sie in geschlossen hat. Wie eine Levitengruppe Erbe und Ver- 40,13 (und vielleicht an weiteren Stellen) vorausgesetzt; walter eines Prophetenbuchs werden kann, bleibt offen. für die Berufung eines Propheten ist solche Szenerie als Ist aber die LPG Adressat der Imperative in V. 1.3.6, so Gattung vorgegeben (außer Jes 6 in 1Kön 22). Die hat das Folgen für die Auslegung der Kernsätze von V. Straße für Jahwe in V. 3–5 wird im letzten Teil, V. 9– 3f.: „In der Wüste ebnet den Weg Jahwes, macht gerade 11, zur Straße für Jahwe und sein Volk, das er heimführt. in der Steppe eine Straße für unseren Gott“ kann dann Es ist angesichts der Realitäten schwer denkbar, dass die nicht die reale Wüste meinen, denn wie sollte eine exi- 520 v. Chr. bereits heimgekehrte LPG eine solche „Ou- lierte levitische Gruppe das gewaltige Unternehmen ei- vertüre“ nachträglich erfunden hat. nes Straßenbaus durch die Wüste durchführen? Nach Die Beispiele für den Dissens können hier nur holz- Berges ist die Aufgabe der Gruppe deshalb „das Aus- schnittartig vorgestellt werden. Sie sollen durchaus nicht räumen aller ethisch-religiösen Widerstände in der Wüste den Eindruck erwecken, als ob der Kommentar nicht Jerusalems …, die das Kommen der Herrlichkeit JHWHs lesens- und bedenkenswert wäre. Im Streit um die ange- verhindern“, und die Wüste ist „Metapher für den trostlo- messene Auslegung eines bedeutenden Textkorpus hat er sen Zustand Jerusalems und des Gottesvolkes“ (104). In einen wichtigen Beitrag geleistet, und das ist ebenso für V. 6 bezweifle die Gruppe nicht die Trostbotschaft, son- den noch ausstehenden Teil zu erwarten. Vielleicht be- dern ihre Erfolgsaussichten: Das Bild vom verdorrenden kommt man dort auch einen erhellenden Hinweis auf Gras ziele hier nicht auf die allgemeine Vergänglichkeit, Sinn und Grund frei schwebender „Intertextualität“. sondern „auf die ethisch-religiöse Kurzlebigkeit ihrer Adressaten, deren … ,Treue‘ so wechselhaft ist wie eine Feldblume“ (109). Als Argument wird u. a. angeführt, dass der Weg Jahwes „nie einen konkret-räumlichen Weg …, sondern immer den ethisch-religiösen Lebens- Hoffmeier, James K.: The Immigration Crisis. Immigrants, wandel nach Maßgabe göttlicher Weisung“ bezeichne Aliens, and the Bible. Wheaton (Ill.): Crossway Books 2009. 174 S. (104). m. 8 Abb. und 3 Kt. 14,99 $. ISBN 978-1-4335-0607-9. – Bespr. von Markus Zehnder, Kristiansand. Das Argument beruht auf der Mehrdeutigkeit des Genitivs „Weg Jahwes“. Wo M e n s c h e n den „Weg Jahwes“ gehen sollen, trifft The present study by James K. Hoffmeier has two dif- es zu; hier aber will dem Parallelsatz zufolge J a h w e den Weg gehen ferent goals: It aims at assessing the status of foreigners („eine Straße für unseren Gott“). – „Metapher für den trostlosen Zu- in the Hebrew Bible and at highlighting the lessons that stand Jerusalems“ verschleiert, dass von Jerusalems Wüste in 51,3 can be learnt from comparing conditions in the biblical (vgl. 49,19) als realer Gegebenheit die Rede ist: Jerusalem ist verwüs- world with migration issues in the modern Western tet, ein Trümmerhaufen, den die Leviten auch nicht wiederaufbauen world. Six of the nine chapters deal with the problem of können. Überdies ist „Wüste“ nirgends im Alten Testament Metapher für ein geistliches oder moralisches Defizit. Dass der reale Weg durch foreigners in the world of the Hebrew Bible, while two die Wüste a u c h der Heimkehr der Exulanten dient (und sich an directly address current migration issues; in addition, diesem Ereignis Jahwes Herrlichkeit zeigen soll!), wird in diesem there is one chapter dealing with the New Testament Kommentar erst ganz zum Schluss (bei 48,20f.) zugelassen, aber der perspective on the topic.

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 485 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 486 In the preface, two important positions are stated that herds of the family of Jacob as evidence that the Egyp- are characteristic of H.’s approach in general: foreigners tian king did not want a group of immigrants to become are people made in the image of God; and everyone is economically dependent on government resources (see bound to the rule of law (see p. 18). p. 55–56). H.’s investigation of the status of foreigners, espe- A special paragraph within chapter 2 is devoted to an cially migrants, in the world of the Hebrew Bible begins attempt to clarify some terminological issues related to with chapter 2, which is entitled “Immigration and Im- foreigners in the Hebrew Bible (see p. 48–52). H. makes migrants in Abraham’s World”. The first observation a distinction between ger as a ‘sojourner’ or ‘alien’ and adduced by H. is that even in ancient times there were nekār (or zār) as a ‘foreigner’, mentioning the inade- countries with clearly delineated borders (see p. 29). quacy of applying texts referring to the ger to present day Reports abound throughout the whole of the ancient Near illegal immigrants (see p. 49). The term ger is used in the East that organized kingdoms took considerable pains – Hebrew Bible to designate persons who have taken up ultimately with more or less success – to protect their permanent residence in a foreign land with the permis- land from hostile invasion and uncontrolled migrations sion of their host and related to a specific ‘patron’. The (see p. 35). It is in this context that the book of Gene- foreigner, on the other hand, does not seek to make the sis places the story of Abraham who is himself a migrant, land of his sojourning the new home. He just passes moving from Ur in Southern Babylonia to Canaan; through the land or stays there only temporarily, often for there he lives as a sojourner (ger) in an alien land, business purposes. H. stresses that the two categories surrounded by a Canaanite majority. The term ger is should not be confused. They had different standing the same as the one applied to the Israelites living in within the Israelite community, both socially, legally, Egypt and subsequently to permanent residents in Israel. and in matters of religion. Abraham, in his status as a foreigner, realized that he had Chapter 3 discusses the Exodus story, beginning with to accommodate to the customs of the land and to obey a retelling of the situation of Jabob’s descendants in its laws. The stories about negotiations over water rights Egypt as described in Exod 1–2 and 5. H. adduces some in Gen 26 and the purchase of a burial place in Gen 23 textual and pictorial material from Egyptian sources that hint at the fact that aliens were in a weak position and in his judgment broadly support the biblical account. He could therefore easily be victims of exploitation (see also points to the fact that while the sojourn of Moses in p. 47–48). Midian is related to the term ger, the same is not true for The report on Abraham’s journey to Egypt gives rise Israel’s 40 year wilderness experience (see p. 62, 66), for to an extended paragraph on immigrants and foreigners a simple reason: since residence as an alien required in ancient Egypt (p. 38–46). Egyptian evidence of both formal permission, the status of ger was not applicable in textual and pictorial character show that over the millen- this case, because Sinai was not a sovereign country and nia there were numerous persons from the Middle East therefore authorization to dwell there was not required who migrated to Egypt, especially during periods of (see p. 67). Reflecting on the giving of the Law at Sinai, famine and political unrest. Egyptian authorities were H. maintains that Israel’s experience in Egypt helps to careful in the manner they handled the issue and kept understand why laws regarding aliens figure prominently control over the migrations. The prefered place for set- in the Torah and their need to be protected against vic- tling these migrants – who were often viewed as po- timization (see p. 68–69). tentially dangerous barbarians – was the Eastern Nile Chapter 4 constitutes in many ways the central part of Delta. H. sums up the Egyptian migration policy in the the study, scrutinizing the biblical laws dealing with following way: „Clearly the Egyptians were not anti- foreigners. H. repeatedly stresses that while the ger en- immigration or against foreigners per se ..., but they did joyed protection and specific rights under the law, the want their sovereignty respected and their borders pro- same is not true for the foreigner (nekār or zār) (see tected, and they wanted to control who entered their land p. 71–73, 89). and why“ (p. 43). One element contributing to this con- He arranges the laws about aliens in five rubrics: 1. ge- trol was the erection of numerous forts on the Northeast- neral ethical considerations; 2. legal protection; 3. treat- ern border for which there is plenty of archaeological ment of employees; 4. social benefits; 5. religious par- evidence. Many of those who were permitted to enter ticipation. Among the laws of rubric 1 are Exod 22:21; would assimilate within several generations. There are 23:9; Lev 18:26–27; 19:33–4; Deut 10:19. The main some examples of individuals bearing Semitic names thrust of these laws consists in the prohibition to oppress who reached high positions in the Egyptian administra- or mistreat aliens. These laws are ultimately rooted in the tion. concept of the image of God and appeal to the Israelites’ The stories of Isaac and Jacob, according to H., high- own experience of maltreatment in Egypt (see p. 73, 75). light the issue of intermarriage. Among the Patriarchs Protection laws belonging to rubric 2 are found in Exod and the Israelites, there is a tendency to avoid intermar- 12:49; Lev 18:26; 24:22; Num 15:15–16; Deut 1:15– riage, based not on racial bigotry, but on religious con- 17; 27:12. The respective stipulations are summarized siderations (see p. 53). As far as the Joseph story is con- with the phrase “equal justice under the law” (p. 76). At cerned, H. points to the fact that Joseph’s brothers had to the same time, equal protection under the law was bound ask formally to settle as resident aliens in Egypt; he also up with the responsibility on the aliens’ side to respect understands the repeated references to the flocks and and uphold the law (see p. 78). The regulations pertain-

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 487 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 488 ing to the cities of refuge are also mentioned in this para- Dealing with the life of the Jewish exiles in Babylonia, graph (Exod 21:12–14; Num 35:11–30; Josh 20:1–9). the main point of chapter 7 is that the exiles are admon- H. underlines that it was only a person who accidentally ished by Jeremiah (Jer 29) to be constructive and thereby killed another person that could flee to the sanctuary, to promote Shalom in their new place of residence. make sure that he was protected from unwarranted re- Chapter 8 is devoted to the New Testament’s perspec- taliation and instead have his case heard by an impartial tive on the issue of foreigners. The most important point body of elders (see p. 81, 83). “Sanctuary was never is that “the New Testament offers no direct teaching or intended as a place to avoid law but to allow the law to law about aliens and the illegal immigrant to guide a takes [sic!] its proper course” (p. 84). Rubric 3 covers nation” (p. 131). This is related to the fact that the Jews Deut 24:14–15 which prescribes daily payment for hired of this period, as well as the earliest Christians, no longer workers (cf. also Lev 19:13). In rubric 4, H. mentions lived in an independent nation (see p. 135). In the centre the laws on gleaning (Lev 19:9–10; 23:22; Deut of the New Testament’s deliberation on the topic stands 24:19–22) and on tithing (Deut 26:12–13). While glean- the idea that Christians have a dual citizenship, belonging ing was a common practice in the ancient Near East, the simultaneously to the spiritual kingdom of God and to a inclusion of the alien is only found in Israel. H. under- political state (see p. 139). They need to view themselves lines the fact that gleaning was hard work, which shows as aliens in the world (1 Pet 1:1; 2:11) and to find out that those qualifying for this kind of assistance could not how to live out their dual citizenship. H. understands just rely passively on the help extended by others, but both Mark 12:14–17 and Rom 13 to mean that Chris- actually had to work for their food (see p. 87). As far as tians have to submit to the authorities and laws of the the tithe goes, it is the fact that it was handled locally, not state, because these laws are ordained by God (see nationally, which is given special consideration (see p. 140–142); the only exception would be where state p. 88). Rubric 5, dealing with religious participation, law clearly conflicts with the plain teachings of the Bi- mentions the inclusion of the ger in the laws concerning ble. This is, however, the case only where the preserva- Passover (Exod 12:48), the Day of Atonement (Lev tion of life or the freedom to proclaim the Gospel are at 16:29–30), various types of offerings (Lev 22:17–19), stake, not in the case of economically motivated migra- dietary restrictions (Lev 17:8–16), and Sabbath (Exod tion (see p. 147). H. also takes up Matt 25:31–46, con- 20:10; 23:12). cluding that the brothers in need, who are mentioned In Chapter 5, H. addresses the question of whether there, specifically mean disciples and that possible appli- there is any evidence that aliens were in fact included in cations of the text do not relate to federal policy (p. 148– Israelite society in the way the laws would suggest it. By 150). way of answering the question, H. first points to the for- Already in his investigation of the New Testament, H. eign wives of Moses, the “mixed multitude” of Exod makes the point that being subject to a nation’s law im- 12:38, the Midianites and the Kenites joining the Israel- plies being subject to its immigration laws as well, and ites during the wilderness period; then to the presence that “each country has the right to control who enters its of aliens at the gathering at the Feast of Tabernacles borders and who is denied” (p. 144). He also thinks that where the law was to be read publicly according to Deut taking seriously the dignity of each person created in the 31:12–13 (see p. 97–101). He then dwells on the story image of God does not imply looking the other way of the Moabite Ruth who became an alien in Israel with when a crime – such as ignoring immigration laws – is Naomi as her host (see p. 104). With respect to the period committed, but on the contrary leads to the expectation of the first three kings, H. points to the Amalekite ger of responsible behaviour (see p. 145). Not distinguishing who reports Saul’s death to David, suggesting that this legal from illegal immigrants vis-à-vis the responsibility ger was in fact a soldier in Israel’s army (see p. 108). of government means ignoring the difference that biblical Among others, gerim are also involved in the Temple law makes between the legal alien (ger) and the foreigner construction according to 1 Kings 5:13–18 and 1 Chron (nekār) (see p. 150). All these points are formulated as a 22:2–4. Solomon’s prayer of dedication anticipates that direct criticism of Daniel Carroll R., Christians at the foreigners (nåkri) would come from distant lands to pray Border (2008). at the Jerusalem temple (1 Kings 8:41–43). H. com- In the final chapter of his book, which is fully dedi- ments: “People did indeed travel distances in the ancient cated to drawing the line from the historical observations world to go to various cult centers to bring petitions to to the current immigration debate, H. adds some further deities in foreign lands” (p. 110), without, however, giv- points. He supports the view that legal immigrants should ing specific examples. be eligible for social benefits extended by the state, but Chapter 6 hints at the prophetic calls to justice for the that this should be done in a way that reflects the fact that vulnerable segments of society, including aliens. Accord- under the gleaning laws the aliens actually had to work ing to H., “the standard for justice was none other than themselves to get their food (see p. 156). He also firmly the Sinaitic covenant, the Law” (p. 114). He mentions i.a. supports the right of the state to enforce the law and the Jer 7:5–7; 22:1–5; Ezek 22:7, 29; Mal 3:5. Obedience responsibility of each Christian to follow the state’s im- to God’s commandments, also those concerning the fair migration laws. The difference in the treatment of legal treatment of aliens, was understood by the prophets as and illegal immigrants is fully covered by the fact that a condition for remaining in the Promised Land (see aliens had rights within the Israelite society that were p. 116). denied to foreigners (see p. 156–157). Churches should

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 489 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 490 welcome and support foreign guests in lawful ways, but not undermine the rule of law by the practice of giving sanctuary to illegal immigrants (see p. 159). Wagner, Andreas (Hg.): Primäre und sekundäre Religion als Kategorie der Religionsgeschichte des Alten Testaments. Berlin, Overall, H.’s study can be recommended as a concise New York: W. de Gruyter 2006, VI, 330 S. 8° = Beihefte zur introduction to the topic of the foreigner in the Hebrew Zeitschrift für alttestamentliche Wissenschaft, 364. Lw. 98,00 €. Bible and questions about the applicability of the biblical USD 152,00. ISBN-13: 978-3-11-018499-0. – Bespr. von Chris- material to present migration issues. He handles the his- toph Uehlinger, Zürich. torical material in a helpful and largely compelling way and draws sound conclusions as far as the current debate Die Beiträge dieses Bandes gehen zurück auf ein in- on immigration is concerned. It is clear, however, that ternationales Symposium, das am 27.–28. Mai 2005 am the very limited length of the study does not allow him to Internationalen Wissenschaftsforum der Universität Hei- go into further historical, sociological, exegetical, or delberg stattfand. Ihr Gegenstand ist die Frage, ob mit systematic details. Quite often texts are only mentioned, der vom Missionstheologen und Religionswissenschaft- not expounded. ler Theo Sundermeier geprägten Distinktion „primärer“ There are some points in the study where the interpre- und „sekundärer“ Religionserfahrung bzw. deren Adap- tation presented by H. can be questioned. Among them, tation durch den Ägyptologen Jan Assmann als Unter- the present reviewer would like to mention the following: scheidung „primärer“ von „sekundärer“ Religion(en) eine the comment that the laws of Israel were to be applied Kategorie (Singular!) geschaffen sei, die sich sinnvoll equally to Israelite and alien alike (see p. 76) and that auf ausgewählte Texte der Hebräischen Bibel, die „Reli- aliens were equally responsible to respect and uphold the gionsgeschichte des Alten Testaments“ (sic) oder Befun- laws in totality (p. 78), together with similar formulations de der altägyptischen, altorientalischen und griechischen related specifically to offerings and the feasts of Passover Religionsgeschichte anwenden lasse bzw. ob diese damit and the Day of Atonement (see p. 91–92), are too sweep- sachgemäß beschrieben und besser verstanden werden ing. The picture that emerges from the various biblical könnten. law collections is that not only was there a clear differen- Der Band ist sehr sinnvoll gegliedert: Auf eine „Ein- tiation between ger and nåkri – as H. rightly underlines – führung“ durch den Hg. (3–20) und „Grundlagen“, in but that the different types of non-Israelites were treated denen die (unterschiedlichen) Theorien von Sundermeier differently also with respect to different legal domains und Assmann dargestellt werden (23–41), folgen zwei such as cult, judicial procedures, injuries and murder, Hauptteile, die „Das Konzept von primärer und sekundä- social welfare, and so on. As far as the laws regulating rer Religion im Bereich des A. T.“ (10 Beiträge, 45–167) the cultic life are concerned, it is very likely that in the und „Das Konzept von primärer und sekundärer Religion Priestly laws there is a difference between injunctions im Bereich A. O., Griechenland und N. T.“ (5 Beiträge, that open a way for the ger’s participation in Israel’s cult, 171–248) behandeln. Unter der Überschrift „Weitere regulating his participation without prescribing it (such Perspektiven und Einschätzungen“ (251–266) schließen as the laws concerning the ger’s participation at the Pass- kurze, die Debatte überblickende Stellungnahmen des over in Exod 12:48), and laws that prescribe a specific Religionswissenschaftlers A. Grünschloß und des Ägyp- cultic behavior that is compulsory for every ger (such as tologen A. Loprieno an, gefolgt von zwei „Rück- und abstention from work during the Day of Atonement in Ausblicke[n]“ (269–291) von Assmann und Sunder- Lev 16:29; for details see Zehnder, Umgang mit Frem- meier. Am Ende stehen ein Literaturverzeichnis und ein den, 2005, 327–349). Moreover, passages like Exod Stellenregister (leider keine Hinweise zu den Autorinnen 12:49; Lev 24:22; Num 9:14; 15:15–16, 29 that seem und Autoren, was in einem interdisziplinär angelegten to promote the general principle of equal law for both Band immer hilfreich ist). citizen and alien, most probably should not be interpreted in the general way proposed by H. Such formulations Inhalt: A. Wagner, Primäre/sekundäre Religion und Bekenntnis- about “one law for both citizen and alien” do not express a Religion als Thema der Religionsgeschichte (3–20). – Anja A. Diesel, Primäre und sekundäre Religion(serfahrung) – das Konzept von general principle applicable under all circumstances, but Th. Sundermeier und J. Assmann (23–41). – Sigrun Welke-Holtmann, are related to specific cases only. To interpret them as Das Konzept von primärer und sekundärer Religion in der alttesta- general rules would be a case of illegitimate totality trans- mentlichen Wissenschaft – eine Bestandesaufnahme (45–55). – fer (see Zehnder, Umgang mit Fremden, 2005, 340–341). R. Kessler, Differenz und Integration: Reaktionen auf die soziale Krise As far as the practical applications to the current debate des 8. Jahrhunderts (57–67). – P. Bordreuil, Erwiderung auf R. Kess- about immigration are concerned, the present reviewer ler (69–71). – A. Wagner, Ps 91 – Bekenntnis zu Jahwe (73–97). – shares H.’s critical assessment of Carroll’s study. It seems, M. S. Smith, Primary and Secondary Religion in Psalms 91 and 139: A however, that not enough weight is given to the problems Response to Andreas Wagner (99–103). – K. Schmid, Gibt es „Reste that can surface when the laws of a state, or the ways these hebräischen Heidentums“ im Alten Testament? Methodische Überle- laws are handled, are felt to be seriously flawed by a citi- gungen anhand von Dtn 32,8f. und Ps 82 (105–120). – B. Lang, Der Ruf zur Umkehr. Israels Religionsgeschichte aus ethnologischer Sicht zen whose conscience is informed by the Bible. (121–137). – E. Bons, Ist der Monotheismus Israels das Ergebnis These reservations not-withstanding, H.’s study can be eines prophetischen Umkehrprogramms? Überlegungen zum Artikel highly recommended for a broader public interested in Bernhard Langs (139–146). – R. Schmitt, Die nachexilische Religion the migration issues of the biblical (and the present) Israels: Bekenntnisreligion oder kosmotheistische Religion? (147– world. 157). – M. Nissinen, Elemente sekundärer Religionserfahrung im

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 491 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 492 nachexilischen Juda? Erwiderung auf R. Schmitt (159–167). – W. gion“ werden Assmann zufolge so grundlegende Aspekte Sallaberger, Konstanz und Neuerung in der Religion Mesopotamiens wie Heilige Schrift, Wahrheitsanspruch, normative Theo- (171–182). – P. Xella, Altmesopotamische Religion und die Katego- logie, Heil als Sache der Lebensführung Einzelner, unbe- rien Primäre und sekundäre Religion, mit Seitenblicken auf Ugarit dingte Entscheidung, Bekenntnis, Martyrium usw. denk- und Phönizien. Erwiderung auf W. Sallaberger (183–190). – bar. B. U. Schipper, Ma’at und die „gespaltene Welt“. Zur Anwendung der Unterscheidung von primärer und sekundärer Religion auf die Religi- Die für Sundermeier zentrale Dimension der Erfah- on Ägyptens (191–209). – W. Burkert, Griechische Religion als rung spielt bei Assmann keine Rolle; war der erstere an „primäre Religion“? (211–226). – G. Theissen, Theorie der urchristli- den Bedingungen des Dialogs bzw. der Synthesen von chen Religion und Theologie des Neuen Testaments. Ein evolutionärer „primärer“ und „sekundärer“ Religionserfahrung interes- Versuch (227–248). – A. Grünschloß, Jenseits von „primärer“ und siert, so geht es letzterem um die Kontrastierung zweier „sekundärer“ Religion (251–258). – A. Loprieno, Primäre und sekun- „idealtypischer Systeme“ (270). Anja Diesel arbeitet däre Religionserfahrung als dreiteilige Hierarchie (259–266). – J. diesen und andere Unterschiede zwischen den beiden Assmann, Kulte und Religionen. Merkmale primärer und sekundärer Autoren deutlich heraus. A. Wagner neigt eher dazu, sie Religion(serfahrung) im Alten Ägypten (269–280). – Th. Sunder- beide (jeweils selektiv) beerben zu wollen. Sein Hauptin- meier, Schmerz – Akzeptanz und Überwindung. Eine religionsge- teresse gilt zum einen der „sekundären“ als der „Be- schichtliche Perspektive (281–291). kenntnisreligion“, zum andern der eindeutigen Disjunk- Im Rahmen dieser Besprechung kann nur auf einige tion der Religion (Sg.) Israels vom Religionstyp seiner die Hauptfragestellung betreffende Aspekte eingegangen Umwelt: „In der religionsvergleichenden Perspektive werden. Ein bemerkenswertes Ergebnis sei vorausge- lassen sich alle altorientalischen Religionen und die grie- schickt: die von Assmann formulierte „Einsicht, dass chische Religion klar von der des späten Israel abgren- Theo Sundermeier, von dem ich die Unterscheidung von zen, so dass die Unterscheidung, die Sundermeier und primärer und sekundärer Religion(serfahrung) übernom- Assmann [Hervorhebung C. U.] im Sinn hatten, doch men habe, und ich von vollkommen verschiedenen Fra- wohl einen wesentlichen Punkt getroffen hat.“ (10) Nach gen und Problemen ausgehen und daher auch Verschie- Wagner ist „in der Entwicklung der israelitischen Religi- denes darunter verstehehen“ (269). Sundermeiers Aus- on ein archimedischer Punkt zu erkennen, der deutlich gangspunkt war ein missiontheologischer gewesen; ihm ein Vorher und ein Nachher, eine bleibende Veränderung ging es darum, in Afrika aufeinanderprallende Religions- markiert“ (15). Zugespitzt könnte man auch sagen, dass erfahrungen kleinräumiger Stammeskulturen einerseits, die altisraelitische Religion weitgehend in den Bahnen missionierender so genannter „Weltreligionen“ ande- „primärer“ Religion(serfahrung) verlief, wogegen das rerseits zu beschreiben. „Primäre Religionserfahrung“ Alte Testament und seine Theologie eine „sekundäre meinte für ihn eine „Basisreligiosität“, die sich dem Mit- Religion“ repräsentieren. Jedenfalls sei „mit der Über- glied der traditionellen Kleingruppe als kulturelle Evi- nahme des Konzepts primärer/sekundärer Religionser- denz aufdränge und ganz auf das Wohl der Gemeinschaft fahrung für den Bereich der altorientalischen und alttes- ausgerichtet sei; „sekundär“ sei dagegen die in gestifteten tamentlichen Religionsgeschichte (…) ein Vorschlag Religionen beheimatete „spezifische Religiosität“, wel- unterbreitet, diesen Religionswandel präziser zu be- che aufgrund ihres dezidierten Wahrheitsanspruchs nicht schreiben und zu verstehen“ (35). Den Vorschlag im nur auf weltweite Geltung drängte, sondern zugleich Blick auf ihr jeweiliges Forschungsgebiet zu prüfen, war jedem einzelnen Menschen die Zustimmung um seines die den Symposiumsteilnehmern gestellte Aufgabe. Heiles willen abverlangte. Fassen wir erst die Beiträge zusammen, die mit Dass beim Aufeinandertreffen einer Stammes- mit dem Sundermeierschen Begriff der „Religionserfahrung“ einer Weltreligion in einem konkreten Kontext erstere als operieren: R. Kessler fragt nach sozialen Bedingungen „primär“, die andere als „sekundär“ bezeichnet wird, ist des Wandels der israelitischen von einer „primären“ zu nachvollziehbar, aber kein Grund, die beiden weit ausei- einer „sekundären“ Religion. Im Juda des 8. Jh. v. Chr. nanderliegenden Pole eines Spektrums von Möglichkei- sei die „natürliche Einheit der Gesellschaft“ in Groß- ten in eine allgemeine Religionstypologie mit nur gerade grundbesitzer und Verschuldete zerbrochen und eine zwei Klassen zu überführen. Genau dies aber geschah, eigentliche „Klassenspaltung“ eingetreten. Würden Pro- als Assmann die Distinktion von „primärer“ und „sekun- pheten und Sozialgesetzgebung zwar weiterhin ver- därer“ Religion (sic) erst dazu benutzte, im Rahmen der wandtschaftlich argumentieren, so seien doch erste altägyptischen Kultur- und Religionsgeschichte den tra- „Kristallisationskerne für sekundäre Religionserfahrung“ ditionsinternen Unterschied von allgemeiner Ma’at-Vor- (63) erkennbar, welche die Differenzierung der Gesell- stellung und so genannter „persönlicher Frömmigkeit“ zu schaft zunehmend akzentuieren und auf „feste Gruppen- markieren, um in späteren Schriften dann dieselbe Ter- bildung mit religiösen Konnotationen“ (65) abzielten. minologie zur Unterscheidung verschiedener Religionen M. Nissinen, der die „sozialgeschichtlichen Vorausset- (namentlich der altägyptischen und der biblischen) zu zungen“ einer späteren Epoche klären will, betont mit verwenden. Damit bürdet er dem Begriffspaar „primäre Recht, dass es „innerhalb der einen und derselben Reli- vs. sekundäre Religion“ nicht weniger als die von ihm gion (…) gleichzeitig primäre und sekundäre Religions- postulierte „Mosaische Unterscheidung“ überhaupt auf, erfahrungen geben“ könne (159); „die offizielle, d. h. die bei der polytheistische Traditions- und Kultreligion ei- öffentliche und institutionalisierte Religion des nachexi- nerseits, monotheistische Gegenreligion andererseits lischen Juda hatte einen stark konfessionellen Charakter gegeneinander stehen. Erst mit der „sekundären Reli- und (kann) insofern als eine sekundäre Religion bezeich-

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 493 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 494 net werden, übte aber zugleich ausschlaggebende Funkti- re“ noch als „sekundäre“ Religion bestimmen zu können onen der primären Religion aus, vor allem durch Kult („lohnt es sich aus wissenschaftlicher Sicht, alles in zwei und Ritual“ (162). Die Religion, die sich in Jerusalem in Typen einzuschränken?“ [189]). W. Burkert thematisiert der Perserzeit etablierte, könne man „vielleicht als eine die griechische Religion als soziales Rollenspiel und durch einen Integrationsprozess der Religionserfahrun- Kommunikation (mit einem Höheren ebenso wie gleich- gen entstandene Dritte bezeichnen“ (165); erst in helle- zeitig mit sozialen Partnern). „Nahrung, Rettung aus nistischer Zeit habe sich das Judentum in Richtung Krieg, Krankenheilung, dazu die Divination – das sind einer „Bekenntnisreligion“ entwickelt. Eine solche will primäre, elementare Bereiche, in denen sich griechische A. Wagner in Ps 91 repräsentiert sehen, den er in Zu- Religion bewährt. Die Einordnung als primäre Religion sammenhang mit einem „Religionsübertritt“ (91) als lässt sich trotzdem hinterfragen: Was wir fassen, ist nicht „Konversionstext“ interpretiert, wie er „beim Eintritt in in schlichter Weise einfach da und entsteht auch nicht diese Religion gesprochen werden und das Zugehören immer neu aus spontaner Erfahrung. Gegeben sind die zur Jahwe-Religion bewirken“ sollte (96). Dagegen stellt Traditionen.“ (219) B. Schippers Beitrag stellt fest, dass M. Smith ebenso höflich wie deutlich klar, dass Ps 91 innerhalb der Ägyptologie – anders als seitens der alttes- besser in Zusammenhang mit einem Reinigungsritual tamentlichen Wissenschaft – „eine inhaltliche Auseinan- (Lev 14) verstanden werden kann – „a profession affirm- dersetzung mit Jan Assmanns kulturtheoretischen Über- ing the reintegration of the afflicted into the community“ legungen kaum stattfindet“ (191), und situiert die (102) – und von einem wie immer gearteten Religions- Assmannsche Theoriebildung in ihrem disziplinge- übertritt keine Rede sein könne. schichtlichen Kontext: Was frühere Autoren als Magie Eher auf der Ebene von Religion als Vorstellungs- und Religion getrennt hätten, könne von Assmann dank oder Symbolsystem bewegen sich die Beiträge von der Differenzierung von „primärer“ und „sekundärer“ K. Schmid und R. Schmitt. Ersterer macht plausibel, dass Religion als „zwei Formen von Religion“ beschrieben Dtn 32,8f. und Ps 82 keine Restbestände einer po- werden; freilich komme „in der Fokussierung auf das lytheistischen Vorstufe der israelitischen Religion, son- Bekenntnis als zentrales Wesensmerkmal der sekundären dern „polytheisierende monotheistische Texte“ (119) Religion letztlich wieder eine eurozentrische Sichtweise seien. Eine „einfache Zuordnung von primärer Religion ins Spiel“ (198). Im Übrigen habe die Ausbildung „se- und Polytheismus einerseits sowie sekundärer Religion kundärer“ Merkmale in der ägyptischen Religion die mit Monotheismus andererseits“ müsse „von vorneherein „primären“ Aspekte und Sichtweisen nie verdrängt, weil ausscheiden“ (119). Dies bestätigt die auf ganz anderem die alten Texte neben den jüngeren weitertradiert wer- Wege (über die Integration archäologischer Befunde und den“ (205), folglich „eine Transformation älterer Vorstel- biblischer Texte) gewonnene Einsicht von Schmitt, dass lungen ohne Traditionsbruch“ (206) vorliege. A. Loprie- „zahlreiche zentrale Praktiken und Observanzen der fami- no schlägt vor, die drei Ebenen der Theorie des liären Religion durch die Erfahrung des Exils Bekenntnis- Religiösen, der historischen Realität und der individuel- charakter im Rahmen der Identitätsstiftung und Abgren- len Haltung zum Religiösen grundsätzlich zu unterschei- zung von den Völkern angenommen zu haben (scheinen)“ den. Auf der Ebene der Theorie lasse sich das Wortpaar (153f.), ohne deshalb ihre Funktionen primärer Religion „primär/sekundär“ „als eine Polarität (…) verstehen, verloren zu haben. „Bekenntnisreligion“ und „kosmo- welche den historischen Formen des Religiösen bei- theistische Religion“ stünden sich im nachexilischen Juda wohnt, sie gewissermaßen stiftet und ernährt, ohne sich nicht antagonistisch gegenüber, seien vielmehr miteinan- idealtypisch mit einer dieser Formen zu identifizieren. In der verbunden. Schmitt hält deshalb „den heuristischen dieser systemischen Bedeutung hat (es) nichts mit alt vs. Wert der Kategorien primäre und sekundäre Religion (…) neu oder mit gewachsen vs. gestiftet zu tun, sondern für die nachexilische Jahwe-Religion wie für altvorderasi- bezieht sich grundsätzlich auf die Konfrontation zwi- atische Religionen eher für gering“ (157). schen dem enzyklopädischen und dem transformativen Seine Beurteilung konvergiert mit der Einschätzung Moment in der Begegnung mit dem Religiösen“ (260). der meisten Autoren, die im zweiten Hauptteil des Ban- Bemüht sich Loprieno, aus der vorgeschlagenen Distink- des zu Wort kommen. W. Sallaberger thematisiert die tion gleichsam das Beste zu machen, so sieht Grünschloß „integrative Fähigkeit des mesopotamischen Polytheis- in ihr nur die problematische Fortführung von „typischen mus“, der gleichwohl „prinzipielle Wahlfreiheit auf meh- Diskursformationen einer weit zurückliegenden religi- reren Ebenen“ (176) kannte (Männer- oder Frauenrollen, onsphänomenologischen Epoche“, die „zwei künstliche Identifikation nach Funktion, Identitätsstiftung auf loka- Extrempole in einem empirisch weitaus heterogeneren ler und staatlicher Ebene, persönlicher Gott usw.), um Feld“ konstruiere (253). dann das etwa gleichzeitige Auftreten von Neuerungen Abschließend explizieren Assmann und Sundermeier am Ende des 2. Jahrtausends (Kanonisierung der keil- noch einmal ihre, wie erwähnt, sehr unterschiedlichen schriftlichen Literatur, Ausbildung einer exklusiven Mar- Positionen. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit den duk-Theologie, Auftreten persönlicher Religiosität) zu vorausgehenden Beiträgen und ihrem kritischen Potenzi- skizzieren. „Nicht persönliche Frömmigkeit als solche ist al findet nicht statt. Somit dokumentiert der vorliegende das Neue, sondern dass sie ein Thema der Auseinander- Band ein zwar angeregtes, aber letztlich gescheitertes setzung in der Weisheitsliteratur wird“ (180). P. Xella Gespräch. fokussiert nordwestsemitische Religionen und meint, A propos: Lang kommentiert Israels Religionsge- z. B. die phönizisch-punische Religion weder als „primä- schichte aus ethnologischer (besser: sozialanthropologi-

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 495 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 496 scher) Sicht, indem er sein auf Morton Smith (1971) 3. Was weiß man über die Gründe, die in derselben Zeit zurückgehendes Bild von einer Jahwe-allein-Bewegung auch zu den Übersetzungen der biblischen Schriften ins durch aus postkolonialen Diskussionen stammende Kon- Griechische führten? 4. Welche Schlussfolgerungen im zepte wie „Erfindung von Tradition“ und „Nativismus als Hinblick auf die Bedeutung der Bibel lassen sich aus der Krisenphänomen“ anreichert. Die altisraelitische Reli- griechischen Bibelübersetzung ableiten? gion habe zur Bewältigung kurzfristiger Krisen zwei Insgesamt gesehen, führen die einzelnen Beiträge des Institutionen einsetzen können, die „temporäre Mono- Buches in die Forschungslage ein, die sich für die alttes- latrie“ und das „Umkehrritual“. „Unter kolonialem Druck tamentliche Textkritik und Textgeschichte in den letzten von einer nativistischen Bewegung erfasst, gestaltet das ca. 50 Jahren völlig verändert hat, und zwar infolge der werdende Judentum diese Institutionen in einer Zeit im- Entdeckung der biblischen Textzeugen aus Qumran, merwährender Krise um. Durch eine gewaltige Erfindung aufgrund einer methodisch verbesserten Erforschung der von Tradition wird nun die temporäre Monolatrie zum griechischen Bibelübersetzung, der sogenannten Septua- Monotheismus, und der Akt der religiösen und sittlichen ginta (= LXX), schließlich durch eine Neuabgrenzung Umkehr zum Grundakt religiöser Existenz.“ (137) Dage- der Bereiche der Textkritik und Textgeschichte. gen formuliert Bons einige gut begründete Anfragen. Der erste Artikel aus der Feder St. Schorchs ist dem Wer an der Hauptfragestellung des Bandes interessiert Ursprung der Samaritaner gewidmet (La formation de la ist, dem wird auffallen, dass keiner der beiden Kontra- communauté samaritaine au 2e siècle avant J.-Chr. et la henten die Kategorie(n) „primäre und sekundäre Religi- culture de la lecture du Judaïsme, 5–20) und führt medi- on(serfahrung)“ gebraucht. Offenbar lässt sich auch ohne as in res. Die heute nur noch rund 700 Personen zählende sie trefflich, vermutlich sogar besser über die altorientali- und an zwei Orten im heutigen Israel vertretene religiöse sche, altisraelitische oder alttestamentliche Religionsge- Gruppe der Samaritaner geht wohl auf die Israeliten des schichte streiten. Die Begriffe „primäre“ bzw. „sekundä- 722 v. Chr. untergegangenen Nordreichs Israels („Sama- re Religion(serfahrung)“ bringen keine Klärung, sondern ria“) zurück. Im Unterschied zum „offiziellen“ Judentum behindern die religionsgeschichtliche Arbeit durch unan- sahen und sehen die Samaritaner nicht die Stadt Jerusa- gemessene Dichotomisierung und Schematisierung. lem als ihr religiöses Zentrum an, sondern den bei Stünde ein Fragezeichen hinter dem Titel des Sammel- Naplus gelegenen Berg Garizim. Die Bezeichnung der bandes, könnte nach dessen Lektüre die Antwort nur Samaritaner als jüdische Sekte wird freilich den Tatsa- lauten: Nein! chen nicht völlig gerecht; denn diese Gemeinschaft ist offenbar nicht die einzige im antiken Judentum, die die Vorrangstellung des Jerusalemer Tempels ablehnt. Zu fragen bleibt allerdings, ab wann die Samaritaner eine relativ autonome Gruppe darstellen und in welche Zeit J.-C. Himbaza, Innocent/Schenker, Adrian (éds.): Un carrefour dans l’histoire de la Bible. Du texte à la théologie au IIe siècle der Bruch mit der Jerusalemer Gemeinde zu datieren ist. avant Fribourg: Academic Press; Göttingen: Vandenhoeck & Ru- Schorch zufolge ist mit einer länger andauernden Ent- precht 2007. X, 151 S. m. Abb. 8° = Orbis Biblicus et Orientalis, fremdung zu rechnen und nicht mit einem Schisma, das 233. Hartbd. 32,00 €. ISBN 978-3-7278-53033-7 (Academic durch ein konkretes Ereignis ausgelöst worden wäre. Die Press) ; 978-3-525-1614-7 (Vandenhoeck & Ruprecht). – Bespr. Tendenz der neueren Studien geht dahin, dass man die von Eberhard Bons, Strasbourg. endgültige Trennung zwischen den Samaritanern und der Jerusalemer Gemeinde erst gegen Ende des 2. Jh.s Dieser Sammelband geht auf ein Kolloquium zurück, v. Chr. ansetzt. Dafür werden sowohl literarische als das am 4. und 5. November 2004 an der Universität Frei- auch archäologische Daten angeführt, u. a. die Zerstö- burg (Schweiz) stattgefunden hat und vom dortigen De- rung des Heiligtums auf dem Garizim sowie der Stadt partement für Bibelwissenschaften in Zusammenarbeit Sichem in den letzten Jahrzehnten des 2. Jh.s v. Chr. Die mit den Exegeten der französischsprachigen Schweiz Verschiedenheit zwischen den Samaritanern und den organisiert worden ist. Insgesamt umfasst der Band sie- Juden Jerusalemer Tradition zeigt sich auch noch anders- ben Beiträge: fünf überarbeitete, z. T. nachträglich ins wo: in einem abweichenden Text des Pentateuchs, in der Französische übersetzte und auf dem Kolloquium gehal- darin sichtbaren unterschiedlichen Form des Umgangs tene Vorträge sowie zwei weitere Artikel von A. Schen- mit den heiligen Schriften sowie in einem anderen hebrä- ker und I. Himbaza, die grundsätzlich zur Thematik des ischen Dialekt, der sich aus einer Lesetradition der hei- Buches passen. Das Kolloquium selbst war von der Idee ligen Schriften erschließen lässt, die lange Zeit nur geleitet, dass das 2. Jh. v. Chr. eine Art Wendepunkt in mündlich überliefert wurde und erst im Mittelalter in der Geschichte der Bibel bedeute. Um diese Hypothese schriftlichen Zeugnissen fassbar ist. Diese auf das zu begründen, galt es folgenden Fragen nachzugehen 2. Jh. v. Chr. zurückgehende Lesetradition ist zugleich (vgl. S. 2): 1. Lässt sich anhand der Textzeugnisse des Zeichen einer eigenen sozialen und religiösen Identität, 2. Jh.s v. Chr. sowie anhand der erkennbaren Dokumente der sich die Gemeinschaft bewusst wird und durch die sie einer relecture der biblischen Schriften nachweisen, dass sich nach außen – insbesondere gegenüber der Jerusale- diese Zeit für die Entwicklung der Bibel besonders mer Gemeinde – abgrenzt. Damit bahnt sich aber ein fruchtbar gewesen ist? 2. Welche Bewegungen, die im Prozess an, der im 1. Jh. v. Chr. im Judentum voll zur zeitgenössischen Judentum wichtig geworden sind, könn- Entfaltung kommt, und zwar das Einsetzen einer „Lese- ten hinter solchen Entwicklungen gestanden haben? kultur“: Die Torah wird nicht nur durch Handschriften

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 497 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 498 verbreitet, sondern soll von möglichst allen gelesen und det. Der MT, der einige inhaltliche Parallelen mit der gekannt werden und im religiösen Leben präsent sein. biblischen Josefserzählung aufweise (Gen 37; 39–50), Damit einher geht die Ausbildung von Lese- und Ausle- sei vor allem durch zwei Motive gekennzeichnet: 1. Gott gungstraditionen, die sich noch an Phänomenen wie dem werde nicht erwähnt, wiewohl der MT zwischen den sogenannten Schriftbeweis zeigen. Der Übergang vom 2. Zeilen erkennen lasse, dass er in der Geschichte am zum 1. Jh. v. Chr. hat somit eine nicht zu unterschätzen- Werk sei. 2. Der MT unterstreiche die mangelnde Funk- de Bedeutung im Gebrauch der Heiligen Schriften, inso- tionsfähigkeit des Perserreiches, die die Juden zwinge, fern als er einen neuen Umgang mit diesen einleitet und angesichts von Willkür und Widersprüchlichkeit politi- zu neuen Formen der religiösen und sozialen Kommuni- scher Entscheidungen ihr Schicksal selbst in die Hand zu kation führt. nehmen, notfalls mit Waffengewalt. Gerade das zweite I. Himbaza (La finale de Malachie sur Elie [Ml 3,23– Motiv erlaubt es Macchi zufolge, den MT in eine Zeit zu 24]. Son influence sur le livre de Malachie et son impact datieren, die gewalttätige Auseinandersetzungen zwi- sur la littérature postérieure, 21–44) widmet sich den schen Juden und ihren Gegnern kenne, und zwar in den letzten beiden Versen des Buches Maleachi, die im Ma- Kontext des Makkabäerkonflikts. Die LXX ist gegenüber soretentext (= MT) von der Wiederkunft des Propheten dem MT durch sechs umfangreiche Zusätze charak- Elija handeln und nur im Buch Sirach (Sir 48,10) eine terisiert, die neben apokalyptischen Motiven sowie anti- Parallele haben. Da diese Aussagen durch das Buch Ma- judaistischen Topoi das Problem der gesetzeskonformen leachi kaum vorbereitet werden, sieht man in ihnen einen Lebensgestaltung der jüdischen Minderheit im Perser- Zusatz, den man gewöhnlich in die Wende vom 2. zum reich thematisieren. Macchi datiert diese Textform in die 1. Jh. v. Chr. datiert. Himbaza zufolge richtet dieser Zu- hasmonäische Zeit. Der Alpha-Text schließlich gehe auf satz sich gegen die Vorstellung vom Ende der Prophetie, eine hebräische Vorlage zurück, die ganz andere Akzente die – nicht ohne Eigennutz – die Priesterschaft vertrat. setze als die zwei anderen Textformen: Das Zusammen- Mit dem Zusatz Mal 3,23–24 gelesen, soll das Buch leben von Juden und Nichtjuden gilt als weniger proble- Maleachi unterstreichen, dass Priester und Propheten matisch, ja es wird nicht als prinzipiell gefährlich für die Boten Gottes seien. Ebenso verändert sich die Botschaft Juden dargestellt, und schließlich ist das Leben am persi- vom Tag des Herrn, wenn man das Buch ohne oder mit schen Hof weniger von absurden Entscheidungen und Mal 3,23–24 liest. In drei weiteren Abschnitten wird die Maßnahmen bestimmt als im MT und in der LXX. Juden, Figur Elijas in den deuterokanonischen, zwischentesta- die in der Diaspora wohnen, sind mithin nicht von vorn- mentlichen, neutestamentlichen und rabbinischen Schrif- herein einer großen Gefahr ausgesetzt. Der Alpha-Text ten behandelt. spiegelt darum wohl ein Milieu wider, das nicht nur von A. Schenker (Est-ce que le livre de Jérémie fut publiée der hellenistischen Kultur beeinflusst ist, sondern auch dans une édition refondue au 2e siècle? La multiplicité das Zusammenleben von Juden und Nichtjuden nicht als textuelle peut-elle coexister avec l’édition unique d’un prinzipiell problematisch empfindet. Wahrscheinlich ist livre biblique? 58–74) wendet sich den zwei verschiede- diese Textform des Estherbuches in Alexandrien oder in nen Textgestalten des Jeremiabuches zu, wie sie einer- einer der großen Städte Syriens in der 2. Hälfte des 3. Jh. seits in der griechischen Septuaginta und andererseits im v. Chr. entstanden. MT bezeugt sind. Dabei lautet die zentrale Frage, wie A. Cordes (Sans la loi ou contre la loi? Le groupe de man sich das Nebeneinander von zwei beträchtlich von- mots ΠΑΡΑΝΟΜΙΑ, ΠΑΡΑΝΟΜΟΣ et ΠΑΡΑΝΟΜΕΩ einander abweichenden Textgestalten zu erklären hat. dans le Psautier de la Septante, 93–111) analysiert der Schenker stellt die Hypothese auf, dass beide im Sinne Reihe nach die zwölf Belege dieser drei griechischen von Textausgaben zu verstehen seien, die von ihren He- Termini im LXX-Psalter, die – im Gegensatz zu Begrif- rausgebern als authentische Sammlungen der Schriften fen wie Enomwa – ihrer Meinung nach einen konkreten des Propheten Jeremia angesehen wurden. Dabei habe Verstoß gegen das Gesetz bezeichnen, nicht die Gesetz- die Textgestalt, die sich im MT erhalten hat, als die jün- losigkeit als solche. Diese Nuance lässt sich aber in man- gere Ausgabe des Buches zu gelten (67), wie heute von chen Psalter-Stellen, z. B. Ps 5,6; 35,2, kaum erkennen. den meisten Forschern behauptet wird. Diese sei in das Insgesamt gesehen, sind viele der gesammelten Beobach- ausgehende 3. Jh. v. Chr. zu datieren, also in die Zeit, als tungen zwar zutreffend, können aber kaum die Verwen- die ältere Textausgabe ins Griechische übersetzt wurde. dung der zitierten Termini hinreichend erklären. Stilisti- Dass man aber in dieser späten Zeit noch in die Textge- schen Phänomenen wird kaum Beachtung geschenkt, stalt des Prophetenbuches eingegriffen hat, ist nach z. B. der Alliteration in Ps 100,3, die die Verwendung Schenker mit der Theorie zu erklären, dass vermutlich von παράνομον erklären könnte. Außerdem wäre der priesterliche Kreise sich als von Gott autorisiert ansahen, Frage nachzugehen, warum der LXX-Psalter so selten den überlieferten Text der Heiligen Schriften durch eine die Adjektive Uνομος sowie die Partizipialformen von Neuinterpretation verständlich zu machen. Eνομέω gebraucht, um die Gesetzlosen oder Gesetzes- J.-D. Macchi (Les textes d’Esther et les tendances du brecher zu bezeichnen. Judaïsme entre les 3e et le 1er siècles avant J.-Chr., 75– Mit textkritischen und textgeschichtlichen Fragen be- 92) untersucht die drei verschiedenen Textfassungen des schäftigen sich zwei weitere Artikel: I. Himbaza (Texte Buches Esther: den MT, die LXX und den sogenannten massorétique et Septante en Habaquq 1,5a. Réévaluation Alpha-Text, der in griechischer Sprache überliefert ist, des témoins textuels en faveur de l’antériorité de la LXX, sich aber vom MT und der LXX wesentlich unterschei- 45–57) behandelt die Variante der Septuaginta (= LXX)

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 499 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 500 „seht, ihr Verräter, und schaut zu“. Diese Variante setzt die richtige und angemessene Weitergabe der Schrift be- als hebräische Vorlage voraus *r’w b(w)gdym whbyÆw, ziehe. während der MT r’w bgwym whbyÆw „seht auf die Völ- Den Abschluss des Buches bildet eine von I. Himbaza ker und schaut hin“ hat. Gewöhnlich wird die Lesart der und A. Schenker verantwortete Synthese, die auch weite- LXX als sekundär angesehen. Himbaza plädiert jedoch re Perspektiven eröffnen soll (Du texte à la théologie. für die Ursprünglichkeit der LXX, und zwar mit Verweis Synthèse et perspectives, 131–139). Dabei werden u. a. auf die in NaHal Oever (in der Nähe vom Toten Meer) folgende Punkte hervorgehoben: 1. Obwohl ein Text als gefundene Handschrift des griechischen Textes der „heilig“ gelte, könne er verändert werden, wenn er den Zwölf kleinen Propheten. Diese ist zwar an der entspre- Leser schockiere oder einer theologischen Korrektur chenden Stelle äußerst lückenhaft, weist aber ein einzel- bedürfe (134f.). 2. Die Übersetzung der biblischen Texte nes Alpha auf, das nicht zu einer wörtlichen Übersetzung ins Griechische sei auch unter kulturanthropologischen von bgwym passt, sondern nach Himbaza wohl zum Sub- Gesichtspunkten zu betrachten und mit der Übersetzung stantiv καταφρονhταw „(ihr) Verräter“ gehört. Diese Les- der biblischen Texte in die Volkssprachen im 16. Jh. zu art wird auch von einem anderen Dokument aus der vergleichen. 3. Die zahlreichen Abweichungen zwischen Wüste Juda, dem sogenannten Pesher Habakuk, gestützt, den griechischen und hebräischen Versionen desselben der an dieser Stelle – freilich in hebräischer Sprache – biblischen Textes gehen weniger auf das Konto eines breit die Thematik des Verrats entfaltet und dazu dreimal einzelnen Übersetzers, sondern seien durch die religiösen das Partizip bwgdym „Verräter“ verwendet. Die Variante Autoritäten legitimiert, in deren Namen und Auftrag die des MT – so schließt Himbaza – ist offenbar sekundär Übersetzer tätig wurden. und dient dazu, die Position Israels angesichts der Völker Die Herausgeber des Buches sind sich der Tatsache aufzuwerten. A. Schenker (Critique textuelle et littéraire bewusst, dass zahlreiche Varianten in den einzelnen bib- au Ps 110[109],3. Les initiatives de la Septante et de lischen Textzeugen noch einer Erklärung bedürfen. Die l’édition protomassorétique à la fin du 3e ou au 2e siècle, einzelnen Beiträge, die vor neuen Hypothesen oft nicht 112–130) behandelt den für seine textkritischen wie in- zurückschrecken, können daher der zukünftige For- haltlichen Probleme bekannten Psalm 110,3. Schenkers schung neue Wege weisen. Zugleich wird aber auch Ausgangsfrage lautet: Warum weist gerade dieser Vers deutlich, wie wenig wir vom theologischen und gesell- so viele auffällige Unterschiede zwischen MT und LXX schaftlichen Hintergrund der Bibeltexte im 3. und begin- auf? Die Hypothesen, die Schenker aufstellt, lassen sich nenden 2. Jh. v. Chr. wissen (vgl. 131). wie folgt zusammenfassen: 1. Jedes Element der LXX hat eine Entsprechung im MT, was auch generell der Tendenz der Psalter-LXX entspricht, die ihre hebräische Vorlage weitgehend wörtlich wiedergibt. 2. Die hebräi- Barstad, Hans M.: History and the Hebrew Bible. Studies in sche Vorlage der LXX ist wohl in folgendem Sinne zu Ancient Israelite and Ancient Near Eastern Historiography, Tübin- deuten: „Aus dem Mutterschoß, aus der Morgenröte habe gen: Mohr Siebeck 2008 XIV, 223 S., 8° = Forschungen zum Alten ich dich gezeugt.“ Dabei versteht Schenker mšHr als ein Testament, 61. Hartbd. 64,00 €. ISBN 978-3-16-149809-1. – Bespr. aus der Präposition mn und dem Substantiv šHr zusam- von Stefan Timm, Hamburg. mengesetztes Wort: „aus der Morgenröte“. Da die Mor- genröte aber als göttliches Wesen angesehen werden Das Buch des Norwegers H. M. Barstad, der seit 2006 kann, suchen sowohl die LXX als auch der MT entspre- an der Divinity School in Edinburgh lehrt, enthält sieben chende polytheistische Anklänge zu vermeiden. Die Kapitel. Sie sind wie folgt überschrieben: 1. History and LXX formuliert daher eine reine Zeitangabe („aus einem the Hebrew Bible (S. 1–24), 2. Issues in the Narrative [d. h. meinem] Mutterschoß vor der Morgenröte“, vgl. Truth Debate (S. 25–38), 3. „Bibliophobia“ in Ancient 122) und macht damit ferner jede Anspielung auf Jes Israelite Historiography (S. 39–45), 4. The Dating of the 14,12 unmöglich, während der MT mit mišHār ein neues Israelite Tradition (S. 46–69), 5. Is the Hebrew Bible a Wort prägt und dieses zum nomen regens der Construc- Hellenistic Book? (S. 70–89), 6. The Myth of the Empty tus-Verbindung meræHæm mišHār macht („aus dem Mut- Land (S. 90–134) und 7. Judah in the Neo-Babylonian terschoß der Morgenröte“; vgl. 120). 3. Mit der Aussage Period (S. 135–159). Jedes der sieben Kapitel war früher „für dich ist der Tau der Jugend“ (MT) spielt der MT an schon einzeln veröffentlicht. Kap. 1 in: L. L. Grabbe die Geschichte des Richters Gideon an (Ri 6–7) und (Ed.), Can a History of Israel be Written?, JSOT.S 245, entwirft somit das Bild eines göttlichen Ko-Regenten, Sheffield 1997, Kap. 2 in: Ch. Bultmann/W. Dietrich/ der weder eine königliche Würde beansprucht noch Ch. Levin (Hgg.), Vergegenwärtigung des Alten Testa- davidischer Abstammung ist (anders z. B. Ps 2,6; 89,19). ments. Beiträge zur biblischen Hermeneutik. Festschrift Eine solche inhaltliche Neuausrichtung des hebräischen für R. Smend zum 70. Geburtstag, Göttingen 2002, Textes ist nach Schenker am besten in die Hasmonäer- Kap. 3 unter dem Titel „The Strange Fear of the Bible: zeit einzuordnen (125), auf jeden Fall datiert sie nach Some Reflections on the ,Bibliophobia‘ in Recent An- der Fertigstellung der Psalter-LXX. 4. Dass sich be- cient Israelite Historiography“, in: L. L. Grabbe (Ed.), stimmte Tradenten der Heiligen Schrift befugt fühlen Leading Captivite Captive. The „Exil“ as History and konnten, in deren Text noch einzugreifen, ist wohl so Ideology, JSOT.S 278, Sheffield 1998, Kap. 4 unter zu erklären, dass die betreffenden Kreise davon aus- dem Titel „Deuteronomists, Persians, Greeks, and the gingen, dass der prophetische Auftrag sich auch auf Dating of the Israelite Tradition“, in: L. L. Grabbe

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 501 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 502 (Ed.), Did Moses Speak Attic? Jewish Historiography außerhalb des Alten Testaments, die je in ihrer Weise and Scripture in the Hellenistic Period, JSOT.S 317, Schlaglichter auf die Ereignisse dieser Zeit werfen, wie- Sheffield 2001, Kap. 5 unter dem Titel „Is the Hebrew wohl das – leider – immer noch zu wenige sind.1 Aber Bible a Hellenistic Book? Or Niels Peter Lemche, ein radikal-skeptischer Standpunkt, wie ihn einst Ch. Herodotos and the Persians“, in: Transeuphratène 23, Torrey vertrat, ist so nicht mehr möglich. Darüber hinaus 2003, Kap. 6 als Separatum in den Symbolae Osloenses, ist dank archäologischer Arbeiten in den letzten Dezen- Fasc. Suppl. 28, Oslo 1996 und Kap. 7 unter dem Titel nien deutlich geworden, dass in einigen Orten des „ben- „After the Myth of the Empty Land. Major Challenges in jaminitischen“ Bereiches, d. h. nördlich von Jerusalem, the Study of Neo-Babylonian Judah“, in: O. Lipschitz/ etwa in Tell el-Fûl, Tell en-NaËbeh, el-Ğīb, aber auch in J. Blenkinsopp (Edd.), Judah and the Judeans in the En Gedi, zwar hier oder da eine Zerstörungsschicht auf- Neo-Babylonian Period, Winona Lake 2003. Dabei ist zuweisen ist, sich nach der Zerstörung aber die Lebens- das 7. und letzte Kapitel eine auf den neuesten Stand situation der Bevölkerung vor Ort konsolidiert haben gebrachte Erweiterung des 6. Aus den ehemals einzelnen muss und bisweilen sogar über den Stand vor der Zerstö- Studien ist nunmehr ein neues Buch geworden mit einem rung hinausgekommen ist. Judah war also – auch nach Vorwort, einer Bibliographie, einem Autoren- und Quel- den Deportationen – kein menschenleeres Land. Das gilt lenverzeichnis sowie einem allgemeinen Index. Von selbst für das eroberte Jerusalem, wenngleich der archäo- der Genese der Einzelkapitel her sei die Besprechung logische Befund dort umstrittener ist (vgl. immerhin hier mit dem 6. und 7. Kap. begonnen, wird an ihnen Ketef Hinnom, wo die Grablegen weiterhin in Gebrauch doch besonders deutlich, aus welcher Diskurslage he- blieben [G. Barkay]; S. 111–117). Aus ökonomischen raus der Vf. schreibt und wie er seine eigenen Akzente Gründen (und nicht nur aus politischen, als Pufferstaat setzt. gegen Ägypten) sei die neubabylonische Politik grund- Im Unterschied zu früheren Jahrhunderten der syro- sätzlich an einem wirtschaftlichen Wiederaufbau des palästinischen Geschichte, wie der Bronzezeit oder der eroberten Judah interessiert gewesen. So sei es die lang- Eisenzeit, deren Benennung nach Metallen keineswegs fristige Politik Nebukadnezars gewesen, sich die ökono- „objektive“, sondern allein wissenschaftsgeschichtliche mischen Erzeugnisse des eroberten Landes anzueignen, Gründe hat, wird der Zeitraum zwischen 586 bis 539 besonders des Weines und Öles, und zu diesem Zweck – v. Chr. als „babylonische Epoche“ oder als „Exilszeit“ dem keineswegs total entvölkerten – Judah eine eigene, benannt. Damit ist der literarischen Überlieferung für neubabylonische Superstruktur aufzuerlegen (S. 127). – diesen Zeitraum grundsätzlich ein Vorzug gegenüber Diese Linien zieht Barstad in seinem 7. Kapitel noch anderen Zeugnissen eingeräumt, denn nur von ihr her stärker aus, wobei er nun auch die benachbarten Regi- kann man wissen, dass das Staatswesen Judahs damals an onen Syro-Phöniziens und Ägyptens mit den Blick sein Ende gekommen war (ob die „Exilszeit“ mit Kyrus’ nimmt und die neueste Literatur mit heranzieht.2 Das Sieg über das neubabylonische Reich zu Ende war, hängt alles ist klar und so anderswo nicht zu finden. Dass den- davon ab, ob man dem Kyrusedikt in II Chr 36,22f. bzw. noch Fragen offenbleiben, versteht sich von selbst. So Esr 1,1–4 Authentizität und historische Folgen zubilligt). ist – aus der Sicht des Rez. – philologisch aus den Versen Unter den alttestamentlichen Texten suggeriert besonders II Kön 25,12 und 25,21 nicht das herauszulesen, was die Chronik (vgl. II Chr 36,20 „und er [sc. der König der man (und auch Barstad) traditionell aus ihnen heraus- Chaldäer] führte hinweg nach Babel alle, die das Schwert liest,3 und immer noch strittig, wie die Verwaltung des übriggelassen hatte“ bzw. 36,21 „und das Land hatte die eroberten Landes damals organisiert war, ob – anfänglich ganze Zeit über, da es wüst lag, Sabbat“), dass nach der – als ein Annex Samariens (so seinerzeit: A. Alt) oder – ersten und zweiten Einnahme Jerusalems nicht nur die wie schon die Gedalja-Episode auch gedeutet werden restlichen Angehörigen des Königshauses und der mit ihm verbundenen „höchsten Kreise“ nach Babylonien deportiert worden seien, sondern die gesamte Bevölke- 1 rung des Staates, Judah also nach der Eroberung seiner Zu wenig erörtert ist in diesem Zusammenhang ein Text aus Hauptstadt damals ein „leeres Land“, eine „tabula rasa“, der Zeit Nebukadnezars, den E. Unger erstmals veröffentlicht hat: Namen im Hofstaate Nebukadnezars II, ThLZ 50, 1925, Sp. 481–486, geworden sei. Das impliziert, dass es in dem menschen- ders., Der älteste Hof- und Staatskalender der Welt, FuF 3, 1927, leeren Land kein geistiges Leben mehr gegeben haben S. 1–2, ders., Babylon. Die heilige Stadt nach der Beschreibung der kann. Demgegenüber hatte schon Ch. Torrey (1892; Babylonier, Berlin/Leipzig 1931 = Nachdruck Berlin 1970, S. 282– 1910) die alttestamentliche Überlieferung, speziell die 294; ein Auszug in: ANET3, S. 307–308. Aussagen der Bücher Esra und Nehemia, radikal ange- 2 Die neuen Texteditionen konnten Barstad noch nicht bekannt zweifelt und damit gerechnet, dass es nie ein Exil der sein, vgl. dazu H. Schaudig, Die Inschriften Nabonids von Babylon Gesamtbevölkerung gegeben habe, und wenn kein Exil, und Kyros’ des Großen samt den in ihrem Umfeld entstandenen Ten- folglich auch keine Rückkehr aus der babylonischen denzschriften, AOAT 256, Münster 2001, und R. H. Sack, Neriglissar. Gefangenschaft. Hatten Frühere wie Ch. Torrey über die King of Babylon, AOAT 236, Kevelaer/Neukirchen-Vluyn 1994, je- weils mit mancher Korrektur an den älteren Lesungen und Deutungen. alttestamentlichen Texte (und Josephus) hinaus noch 3 Vgl. anders St. Timm, Wird Nebukadnezar entlastet? Zu 2 Kön keine weiteren Überlieferungen für diesen Zeitraum, so 24,18–25,21, in: „Sieben Augen auf einem Stein“ (Sach 3,9). Studien gibt es inzwischen mit der keilschriftlichen babyloni- zur Literatur des zweiten Tempels. Festschrift für Ina Willi-Plein schen Chronik und den Rationslisten für König Jojachin zum 65. Geburtstag (Hg. F. Hartenstein/M. Pietsch), Neukirchen- und seine Söhne in Babylon (E. Weidner) Texte von Vluyn 2007, S. 359–389.

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 503 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 504 kann – von Anfang an als (Sub-)Einheit eines größeren etwas Geduld haben müssen, – nicht um zu klären, ob persischen Verwaltungsgebietes. Mose eine historische Figur gewesen ist, sondern erst Die Kap. 1 und 3 sind der neueren und neuesten me- einmal, warum er in den alttestamentlichen Überliefe- thodologischen Diskussion über Geschichtsschreibung rungen so überaus verschieden dargestellt worden ist. gewidmet. Hier werden alle Facetten der im anglopho- Kap. 4 „The Dating of the Israelite Tradition“ stellt nen Sprachraum überaus hitzigen Debatte erörtert, ange- fest, dass nicht erst seit N. P. Lemche, sondern schon seit fangen von Darlegungen in der Encyclopedia Brittanica, langem viele alttestamentlichen Bücher in die hellenisti- 2. Ed. 1777–1783, zur Entstehung der Welt nach der sche Zeit datiert worden sind, von Daniel angefangen Genesis, weiter über die Frage, ob in narrativen Texten über Jesaja Kap. 24–27 bis hin zu etlichen Psalmen, zwischen „Fact and Fiction“ unterschieden werden kön- Esra-Nehemia, Chronik, Ruth, Kohelet und vielen ande- ne, ob die alttestamentlichen Texte mehr oder weniger ren (S. 46). Daraus sei jedoch keineswegs der Schluss zu „historisch“ seien als z. B. Überlieferungen bei Herodot ziehen, dass alle alttestamentlichen Schriften von grie- bis hin zu der radikalen These, dass Geschichtsschrei- chischen Vorgaben abhängig seien (erst recht nicht He- bung grundsätzlich unmöglich sei, weil „Geschichte“ rodot von der alttestamentlichen, so aber Mandell/ niemals ein Objekt sein könne (nach Meinung des Rez. Freedman, 1993). Die herkömmlich deuteronomistisch kann Zukunft auch kein „Objekt“ sein, auch wenn jeder genannte alttestamentliche Literatur (Jos – II Kön) sei daraufhin – sogar wissenschaftlich – plant). Barstad ist den altorientalischen Vorstellungen viel näher als Hero- zweifellos im Recht, wenn er feststellt, dass die Missach- dot. Das gelte etwa für deren Vorstellungen zum Gesetz, tung dessen, was heutigentags auf philosophischer Seite zum Bund, zum Krieg, zum König und zu Gott bzw. zu erörtert wird, auf Seiten derer, die heute „Geschichten den Göttern (S. 54–63). Diese Vorstellungen teilt die Israels“ versuchen zu schreiben, und derer, die philoso- deuteronomistische Literatur mit der altorientalischen, in phische Fragen erörtern, aber die modernen Versuche der der sie verwurzelt war, als einer Einheitskultur, jedoch Geschichtsschreibung negieren, zu einer Minderung der nicht mit Herodot (S. 63f.). Dem wäre aus der Sicht des Standards führt – auf beiden Seiten! (S. 11). Aus der Rez. noch hinzuzufügen, dass ebenso Übernahmen aus Sicht des Rez. scheint es so, dass im deutschen Sprach- dem ägyptischen Bereich in das Alte Testament aufweis- raum immer noch die Trennung nachwirkt, die Immanuel bar sind, so wahrscheinlich schon für den großen Son- Kant seinerzeit zwischen Geschichtswissenschaft und nenhymnus aus der Zeit Amenophis IV./Echnatons in Ps Geschichtsphilosophie getroffen hatte.4 Kants Trennung 104 und sicher für Auszüge aus der Lehre Amenemopes – ob man sie akzeptiert oder nicht – hatte jedenfalls den in Prov 22–23.5 Nachdem der Vf. so in Kap. 4 argumen- Vorteil, der Geschichtswissenschaft nicht mehr aufzu- tativ zurückgewiesen hat, dass die Entstehung eines alt- bürden als von ihr billigerweise geleistet werden kann. testamentlichen Textes in später Zeit gleichbedeutend Kap. 2 greift indirekt nochmals zurück auf das in Kap. sein müsse mit der Übernahme des Gedankenguts aus der 1 (und 3) schon Gesagte, verweist aber stärker auf den griechischen Welt, namentlich aus Herodot, bietet er in inzwischen eingetretenen „linguistic turn“, den J. Derrida Kap. 5 eine dezidierte Auseinandersetzung mit N. P. ausgelöst hat, obwohl wahrscheinlich nicht jeder seiner Lemche. N. P. Lemche hatte 1993 in einem längeren Rezipienten ihn richtig verstanden habe. Artikel (SJOT 7, S. 163–193, Nachdruck bei L. L. Grab- Wenn Barstad an einer Stelle meint (S. 35), es sei „ein be, Did Moses Speak Attic?, 2001) gefragt: „The Old Unterschied von erheblicher Bedeutung, ob wir fragen Testament – A Hellenistic Book?“ Für ihn war (und ist) ,brannte der Reichstag 1933?‘ oder ,ist Mose eine histori- diese rhetorische Frage mit „Ja“ zu beantworten. Barstad sche Figur?‘“, so wäre – aus der Sicht des deutschen setzt sich mit den vier Gründen auseinander, die Lemche Rez. – die Frage anders und schärfer zu stellen gewesen, für seine steile These beigebracht hatte. Lemches erstes nämlich ob Marinus van der Lubbe der Alleinschuldige Argument, „that from a historian’s point of view we have für den Reichstagsbrand und dessen Folgen gewesen und to consider the historical literature in the Old Testament a dafür rechtens mit dem Tode bestraft worden ist. Deut- poor source of historical information“, – unabhängig sche Gerichte haben bis zum Jahr 2008 gebraucht, um in davon, ob man das für zutreffend erachte oder nicht – dieser Sache zu entscheiden, dass alle früheren Urteile besage nicht, dass das Alte Testament zu seinem größten über M. van der Lubbe rechtswidrig und verbrecherisch Teil in der hellenistischen Zeit entstanden sei. Genau so gewesen sind und ihn, viel zu spät, posthum, freigespro- gut – oder noch besser – könne es in der persischen Zeit chen und rehabilitiert. Wenn deutsche Gerichte für ein entstanden sein. Gleiches gelte für Lemches zweites solches Urteil 75 Jahre gebraucht haben, wird man noch Argument („An extensive part of this literature should be considered the creation of the Jewish diaspora ...“). Wenn nach Lemches drittem Argument die alttestament- 4 Vgl. u. a. A. Seifert, Von der heiligen zur philosophischen lichen Schreiber ihre „Geschichte Israels“ nach einem Geschichte. Die Rationalisierung der universalhistorischen Erkenntnis griechischen Schema modelliert haben sollen, so träfe im Zeitalter der Aufklärung, Archiv für Kulturgeschichte 68, 1986, das nicht zu, weil der Aufbau und die Intention von He- S. 81–117 (S. 108ff.); Pauline Kleingeld, Geschichtsphilosophie bei rodots Werk – das ist der Referenzrahmen, auf den Lem- Kant, Diss. Leiden 1994 bzw. dies., Fortschritt und Vernunft. Zur Geschichtsphilosophie Kants, Würzburg 1995; A. U. Sommer, Kants hypothetische Geschichtsphilosophie in radikaltheologischer Absicht, 5 Vgl. dazu Sirje Reichmann, Bei Übernahme Korrektur? Auf- in: U. Kern (Hg.), Was ist und was sein soll. Natur und Freiheit bei nahme und Wandlung ägyptischer Tradition und das Alte Testament, Immanuel Kant (Berlin/New York 2007), S. 343–371. Diss. Theol. Groningen 2008.

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 505 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 506 che sich bezieht – völlig anders sei als in irgendeiner Methodologie entwickelt an den Königsbüchern“ ihre alttestamentlichen Schrift. J. van Seters sei im übrigen Habilitationsschrift, die im Wintersemester 2007/08 in mit Herodot ganz anders umgegangen, und Lemche beru- Regensburg angenommen wurde. Der Titel wäre ohne fe sich zu unrecht auf ihn.6 – Lemches viertes Argument, den Untertitel etwas irreführend, denn die Arbeit erarbei- dass griechische Autoren während der persischen Zeit im tet nicht flächig am gesamten Text des AT das Verhältnis Orient nicht gelesen worden seien und die alttestamentli- der Prophetie zum Königtum, sondern nimmt die Frage chen Verfasser deswegen in der hellenistischen Zeit ge- nach der Konstellation dieser beiden im AT häufig auf- schrieben haben müssten, sei eine pure Behauptung und tretenden Protagonisten in zwei Texten der Königsbücher entbehre der Belege. Die modernen Autoren, auf die (1 Kön 13 und 1 Kön 22) als Testfeld für einen methodo- N. P. Lemche sich dafür berufe, sagten das nicht, was logischen Zugang zu den Texten, der die Frage nach den Lemche ihnen zuschreibe. So erhebt Barstad hier den Stimmen im Text, der kommunikativen Struktur also, harschen Vorwurf, dass N. P. Lemche für seine These(n) und ihrer Beziehung zur außertextlichen Entstehungs- die Quellen überhaupt erst erfinde (S. 85.) Und er kommt situation des Textes ins Zentrum stellt. zu dem Fazit (S. 89), dass die von Lemche beklagte feh- Das Buch ist in fünf Kapitel gegliedert, wobei ein we- lende Zustimmung der Mehrheit der Alttestamentler zu sentlicher Einschnitt nach dem ersten Kapitel festzustel- seinen Thesen nicht dadurch hervorgerufen sei, weil sie len ist. Während Kapitel I („Der Entwurf einer narratolo- grundsätzlich in Opposition zu neuen Ideen stünden, gisch-historischen Methodologie“) die methodologischen sondern aufgrund ihrer festen Überzeugung, dass N. P. Voraussetzungen und Grundlagen der Arbeit darstellt Lemches Ansichten über die Datierung der gesamten und diskutiert, folgt in den restlichen Kapiteln die Durch- hebräischen Bibel in die hellenistische Zeit äußerst un- führung des im ersten Kapitel dargelegten Programms an wahrscheinlich seien (S. 89). den Texten 1 Kön 13 und 1 Kön 22. Dabei haben das Ob man mit H. M. Barstadt (und N. P. Lemche) der erste Kapitel und die Kapitel zu den beiden Texten („Ka- Meinung ist, dass die Geschichtsschreibung über das alte pitel III. „Auch ich bin ein Prophet wie du!“ (1 Kön Israel und Juda zur Zeit in einer Krise stecke, ist nicht 13,18). Eine Textlektüre von 1 Kön 13“ und „Kapitel IV. gar so wichtig. Wichtiger ist, dass man – sofern man die „Gibt es nicht noch einen Propheten JHWHs?“ (1 Kön Beschreibung einer historischen Epoche unternimmt (in 22,7). Eine Textlektüre von 1 Kön 22“) mit jeweils gut diesem Fall des Zeitraums zwischen 586 und 539 v. Chr.) 100 Seiten annähernd gleiche Länge. Diese drei Kapitel – sich über die Prämissen seines eigenen Tuns klar wird. (I, III und IV) stellen den größten Teil der fast 400 Seiten Das hat H. M. Barstad in dieser Studie hinlänglich unter- langen Untersuchung, die verbleibenden Kapitel bieten nommen, wofür ihm seine Leser und Leserinnen großen eine Einordnung der zu behandelnden Texte in den struk- Dank schulden. turellen Zusammenhang der Königsbücher („Kapitel II. Lektüren in den Königsbüchern“) bzw. eine Zusammen- schau der beiden behandelten Texte auf der Grundlage des in den exegetischen Kapiteln Erarbeiteten („Kapitel Schmitz, Barbara: Prophetie und Königtum. Eine narratologisch- V. Die Funktion von 1 Kön 13 und 1 Kön 22 in der Ge- historische Methodologie entwickelt an den Königsbüchern. Tü- samtstruktur der Königsbücher“). Ein Anhang, der die bingen: Mohr Siebeck 2008. XII, 462 S. 8° = Forschungen zum Segmentierung der beiden untersuchten Texte sowie Alten Testament, 60. Hartbd. 99,00 €. ISBN 978-3-16-149665-3. – deren Übersetzung enthält, ein umfangreiches Literatur- Bespr. von Jutta Krispenz, Dachau. verzeichnis sowie ein Stellenregister und ein knappes Namens- und Sachregister vervollständigen das Buch. Barbara Schmitz veröffentlicht mit dem Band „Pro- S. hat mit diesem Buch eine sehr informative und phetie und Königtum. Eine narratologisch-historische überaus anregende Arbeit vorgelegt, die an dieser Stelle nicht im Detail vorgestellt werden kann. Um der Struktur 6 Das Buch von M. L. West, The East Face of Helicon. West und Argumentationsrichtung dennoch gerecht zu werden, Asiatic Elements in Early Poetry and Myth, Oxford 1997 war offen- sollen zwei Kapitel, nämlich das einleitende erste Kapitel sichtlich weder N. P. Lemche noch H. M. Barstad bekannt. An den sowie das dritte Kapitel mit der Auseinandersetzung zu Belegen, die M. West hier (nach Vorstudien anderer) beigebracht hat, dass der semitische Orient und Kleinasien in vielen Bereichen die 1 Kön 13, näher betrachtet werden. griechische Sprache, Kultur und Religion aufs nachhaltigste beein- Das erste Kapitel des Buches stellt in gewisser Weise flusst hat, kann niemand mehr vorbei. – Ob Herodot seine Informatio- das Herzstück der Arbeit dar, denn in ihm werden die nen über Ägypten und den Vorderen Orient sich nur von unqualifizier- Kernthese und das Anliegen des Buches dargelegt und ten Touristenführern hat aufschwatzen lassen oder ob sie sachlich im Dialog mit narratologischen Denklinien aus den Lite- zutreffend waren, ist seit langem umstritten und wird nicht generell raturwissenschaften ausführlich diskutiert. S. möchte in entschieden werden können. Ein Zeugnis dafür, dass so etwas wie der ihrer Arbeit zeigen, dass die beiden zumeist gegeneinan- bei Herodot beschriebene „hässlichste Brauch der Babylonier“, das, der gesetzten Ansätze in der Exegese, die die Texte ent- was Spätere fälschlich „Kultprostitution“ genannt haben (richtiger weder synchron und mit Mitteln der (strukturalistisch wäre: „vom Tempelpersonal organisierte Prostitution“), inzwischen geprägten) Literaturwissenschaften analysieren oder aber aus Nuzi, aus dem 14. Jh. v. Chr. bezeugt ist, hat G. Wilhelm auf- gewiesen: „Marginalien zu Herodot. Klio 199“, in: Lingering over sie diachron nach den altbewährten Methoden der Lite- Words. Studies in Ancient Near Eastern Literature in Honor of rarkritik und Redaktionsgeschichte zu verstehen versu- William L. Moran (T. Abusch/J. Huehnergard/P. Steinkeller [Edd.]), chen, sehr wohl miteinander zu vereinbaren sind. Ihr Atlanta 1990, S. 505–524. Ausgangspunkt ist dabei ein Kommunikationsmodell,

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 507 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 508 das S. aus einer Diskussion narratologischer Entwürfe Text nahe legt, von dieser an sich synchronen Betrach- (z. B. von Genette, Nünning, Jannidis, Ehlich; entspre- tungsweise aus Bewertungen im Sinn einer literarkriti- chende Arbeiten auf dem Gebiet des AT spart S. aller- schen Unterscheidung von Texten unterschiedlicher Her- dings aus) entwickelt. Innerhalb dieses Kommunikati- kunft machen zu können. Sie führt dies exemplarisch onsmodells hebt S. einige für ihre Bearbeitung der Texte durch an den beiden genannten Texten 1 Kön 13 und besonders wichtige Beschreibungsfelder heraus, die sie 1 Kön 22. Die Vorgehensweise, die S. dabei anwendet, im ersten Kapitel ausführlich darlegt und in ihren unter- ist die des „close reading“, d. h. sie sammelt eine Fülle schiedlichen Ausformungen bei verschiedenen Litera- an Einzelbeobachtungen zu den Texten, die sie dann für turwissenschaftlern diskutiert. Es sind dies zum einen die das argumentative Gesamtziel ihrer Untersuchung aus- „Perspektivstrukturen in erzählenden Texten“. Hierzu wertet. Der Vorteil des „close reading“ besteht in der zählen die Erzählstimme im Text, die innerhalb der Er- Vielzahl der Beobachtungen sowie in der Freiheit der zählung auf ganz unterschiedliche Weise das Erzählte in Exegetin, alle möglichen Beobachtungen zunächst ein- eine bestimmte oder gerade auch unbestimmte Perspek- mal detailliert zu protokollieren. Tatsächlich sammelt S. tive setzen kann. Es zählen weiter dazu unterschiedliche in ihrer Exegese eine üppige Vielfalt an Beobachtungen Möglichkeiten der Fokalisierung – hier orientiert sich die zu den Texten. Auch an diesem Punkt bietet das Buch Darstellung vorwiegend an Mieke Bal und Gérard Ge- dem Leser sehr viel. Allerdings stehen dem Vorteil der nette. Zu diesen Perspektivstrukturen gehört schließlich großen Menge an Einzelbeobachtungen auch Nachteile auch die Figurenperspektive. Als ein zweites Feld der gegenüber: Die Beobachtungen werden bei dieser Vor- Beschreibung greift S. die Frage nach dem „Autor“ he- gehensweise nicht durch ein methodologisches „Sieb“ raus. Auf diesem Gebiet hat es in den jüngsten Strömun- gefiltert und stehen letztlich unverbunden und gleich- gen der literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzung, gültig nebeneinander. Auch kann die „Nahsicht“ den besonders im Poststrukturalismus und in dekonstrukti- Blick auf weitere Perspektiven verhindern und zur Über- vistischen Ansätzen, Diskussionen gegeben, die in Ro- interpretation von Details führen: Die im Text unvermit- land Barthes Postulat vom „Tod des Autors“ gipfelten. S. telte Erwähnung Samarias in 1 Kön 13,33 kann z. B. stellt diese Debatte dar und erarbeitet an ihr ein Konzept auch auf das Weltwissen der Hörer rekurrieren, die die vom „Autor“, das die „Autorfunktion“ von der „Autorfi- geographische Angabe einordnen können (208). Dass der guration“ abhebt und beide als letztlich textinterne Grö- in 1 Kön 13 begegnende Esel den König zum Esel macht ßen identifiziert, über die jedoch die Möglichkeit besteht, (201), darf bezweifelt werden, solange nicht wahrschein- als Leser eine textexterne Größe „Autor“ zu entwerfen. lich gemacht ist, dass unsere Eselsmetaphorik, die dem Diese Größe ist indes so wenig fest wie die Größe „Le- Esel besondere Dummheit unterstellt, auch im AT gilt. ser“ es ist, beide identifiziert S. als historisch plurale, Problematisch wird das Vorgehen dort, wo es aus nicht ganz kor- aber nicht beliebige Größen. rekten Beobachtungen weit reichende Schlüsse zieht. S. legt großes Der letzte Abschnitt dieses inhaltsreichen und sehr lohnenden Ka- Gewicht auf die Feststellung, dass in 1 Kön 13,3 der Altar bereits in pitels nimmt den „... ,auctor‘ Gott und die Rezeptionsgemeinschaft als einem performativem Akt entweiht ist (165): Das Sprechen des Got- theologische Größe“ in den Blick. Dieser Teil des Kapitels erscheint tesmannes fällt mit dem tatsächlichen Geschehen zusammen, es würde der Rez. diskussionsbedürftig: Die Lesegemeinschaft, von der S. hier sich hier also um einen Koinzidenzfall handeln. Das ist allerdings aus ausgeht, ist, ökumenischen Beteuerungen zum Trotz, eine recht ein- syntaktischen Gründen nicht möglich, weil für eine derartige Koinzi- deutig konfessionell geprägte Gemeinschaft, in der die hermeneutische denz zwingend eine qatal-Form nötig wäre; in 1 Kön 13,3 findet sich Kompetenz in besonderer Weise katholischen Theologen wie z. B. ein Partizip in Kombination mit einem hinneh, was S. als Indiz für die Joseph Ratzinger zugebilligt wird, während die doch recht breite Gleichzeitigkeit von Rede und Ereignis deutet (161). Tatsächlich steht die Fügung hinneh + Partizip – besonders in Gottesreden wie hier – für literaturwissenschaftlich geprägte, aber auch spezifisch hermeneuti- 1 sche Diskussion in exegetischen Entwürfen auch hier nicht berücksich- das futurum instans . Das machen auch die in der Umgebung verwen- deten Tempora deutlich. Bereits in 1 Kön 13,2 folgt auf die Fügung tigt wird. Auch inhaltlich hat die (protestantische) Rez. bei diesem e Abschnitt einige Bedenken. Die spezifisch theologische Funktion von hinneh + Partizip ein w qatal, zum Ausdruck der Nachzeitigkeit. Texten wird in einer Weise beschrieben, die eher spirituelles Erleben Analog formuliert Vers 3. Der Gottesmann kündet folglich in einem als rationale Analyse zu spiegeln scheint – konkret bleibt rätselhaft, Gotteswort ein Ereignis als unmittelbar bevorstehend, aber eben doch was im Zusammenhang der „… spannungsvollen Einheit von Glau- zukünftig an. In 1 Kön 13,5 wird allerdings konstatiert, dass eben die- benstext, Lebenstext und Bibeltext“ (106) mit den Begriffen „Glau- ses kurz zuvor angekündigte Ereignis dann auch eingetreten sei. Ob benstext“ und „Lebenstext“ gemeint sein kann, wenn man diese nicht das mit der Kenntnis der Hörer über das (noch lange bestehende) als gewagte Metaphern auffassen soll. Welche besondere Funktion die Heiligtum in Bet–El in Einklang gebracht werden kann, ist eine ganz andere Frage. Gestalt „Gott“ als Autor haben kann, ist nicht Bestandteil der Textana- lyse, sondern der Voraussetzungen, die eine bestimmte Lesegemein- Unbeschadet der kritischen Einwendungen hat S. eine schaft mit dem Text verbindet. Diese Voraussetzung hat innerhalb der große Menge an Beobachtungen zusammengetragen, die Lesegemeinschaft möglicherweise die Funktion, den Lesenden Ge- sie im Anschluss an ihre Textlektüre für eine Darstellung wissheit über den Wahrheitsgehalt der Texte zu geben. der Perspektivstrukturen auf den unterschiedlichen Kom- Ausgehend von den im ersten Kapitel dargelegten nar- munikationsebenen des Textes nutzt. In diesem Stadium ratologischen Grundlagen möchte S. im exegetischen der exegetischen Arbeit wird also ein methodologischer Teil ihrer Arbeit zeigen, dass sich diese von der Erzähl- textanalyse herkommende Betrachtungsweise auch dazu 1 Vgl Bartelmus, Rüdiger, Einführung in das Biblische Hebrä- eignet, in biblischen Texten über unterschiedliche und isch. Mit einem Anhang Biblisches Aramäisch, Zürich2 2009, 64. Eine miteinander „inkompatible“ Autorfigurationen, die der analoge Fügung in prophetischer Literatur z. B. Am 6,14.

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 509 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 510 Filter eingesetzt, der es S. nun ermöglichen soll, die In- finden werden, ist kein ungewöhnlicher Befund. Das tegrität der Perspektivstrukturen auf den verschiedenen Buch stellt eine insgesamt gelungene Verbindung zwi- Ebenen zu überprüfen. Im Fall von 1 Kön 13 kommt sie schen narratologischer Betrachtung und Exegese alttes- zu dem Schluss: „Auswahl und Gestaltung des Textes tamentlicher Texte dar. zeigen, dass 1 Kön 13 eine in sich geschlossene, einheit- liche Erzählung ist, die als solche in ihren narrativen Kontext eingeschrieben wurde“ (223). Die Einschätzung der Erzählung als einheitlich wird von einer ganzen Rei- Humbert, Jean-Baptiste/Gunneweg, Jan (Hg.): Khirbet Qumrân he von Exegeten geteilt. Die von S. beigebrachte Argu- et ‘Aïn Feshkha. Bd. 2: Études d’anthropologie, de physique et de mentation zeigt jedoch eigentlich nur, dass dem „Autor“ chimie/Studies of Anthropology, Physics and Chemistry. Fribourg/ eine hinreichend konsistente Erzählung geglückt ist. Das Göttingen: Academic Press Fribourg/Vandenhoeck & Ruprecht könnte auch einem Redaktor aus verschiedenen Textele- 2003. XXV, 483 S. = NTOA.SA, 3. Lw. 198,00 €. ISBN 3-7278- menten gelungen sein. 1452-7/3-525-53973-8. – Bespr. von Armin Lange, Wien. Noch etwas deutlicher wird, was S. mit ihrer Methode tatsächlich erreicht, durch einen kurzen Blick auf die Dieser Band ist Teil einer Reihe von Sammelbänden, Behandlung des zweiten Textes 1 Kön 22. Dort nämlich die die wissenschaftliche Veröffentlichung der Grabun- kommt S. zu dem Schluss, dass die Erzählung zwei gene- gen von Khirbet Qumran leisten. Nach Auskunft der tisch unterscheidbare Bestandteile aufweist, die unter- Herausgeber ist der vorliegende Band den naturwissen- schiedliche Gestaltungsfunktionen aufweisen. S. hat mit schaftlichen Untersuchungen zu den archäologischen narratologischen Mitteln letztlich „Tendenzkritik“ be- Funden von Qumran gewidmet. Die insgesamt 21 Bei- trieben. Diese Vorgehensweise mit soliden und die struk- träge zerfallen in neun Teile: 1 L’origine des poteries/ turellen Details der Texte beachtenden Mitteln getan zu The Provenance of the Pottery: J. Gunneweg/M. Balla, haben, ist keine geringe Leistung. Gegenüber dem rein Neutron Activation Analysis: Scroll Jars and Common intuitiven Vorgehen, das bei der Tendenzkritik vor- Ware, 3–53; L. Balazs, Supplement: Archaeological herrscht, ist S.’s Vorgehen ein großer und wichtiger Fort- Data Analysis (Data Mining), 55–57; J. Michniewicz/ schritt. Das größte Problem der Tendenzkritik ist jedoch, M. Krzysko, The Provenance of Scroll Jars in Light of dass sie nicht nur abhängig ist von einer Abwägung, ab Archaeometric Investigations, 59–99; K. L. Rasmussen, wann Differenzen zu groß sind, um noch einem „Autor“ On the Provenance and Firing Temperature of the Pot- zugeschrieben werden zu können, sondern dass sie da- tery, 101–104. 2 Les cemitières/The Cemeteries: J. Nor- rüber hinaus Texte heterogener Herkunft als solche nicht ton, Reassesment of Controversial Studies on the Ceme- erkennen kann, wenn die Tendenzen – oder bei S. die tery, 107–127; S. Guise Sheridan/J. Ullinger/J. Ramp, Perspektivstrukturen – sorgfältig integriert sind. Die Anthropological Analysis of the Human Remains: Perspektivstrukturen gehören zu den Gestaltungsmitteln The French Collection, 129–169; C. Clamer, Jewellery eines Textes, die ein „Autor“ wie auch jeder „Redaktor“ Finds from the Cemetery, 171–183; K. L. Rasmussen/ bewusst einsetzen und steuern kann. Dem Gravitations- R. Gwozdz/J. E. Taylor/G. Doudna, Preliminary Data of feld des Textes entkommt man also auch mit den Mitteln Trace Element Concentrations in Human Bone Samples, der Narratologie kaum, die Aussagen, die auf diesem 185–189. 3 Chronologie et datation au carbone 14/Chro- Weg möglich sind, sind im Wesentlichen solche über nology and New Carbon 14 Dates: J. van der Plicht/K. L. textinterne Verhältnisse, der „Autor“ als textexterne Rasmussen/J. Glastrup/J. E. Taylor/G. Doudna, Radio- Größe bleibt eine undeutliche Größe. Das freilich ist carbon Datings of Material from the Excavation, 193– nicht der Autorin des Buches anzulasten, sondern liegt in 196; T. Higham/J. E. Taylor/D. Green, New Radiocarbon der Natur der Sache. Determination, 197–200; J. E. Taylor/G. Doudna, Ar- S. hat ein inhaltsreiches, fundiert darstellendes und chaeological Synthesis of the New Radiocarbon Datings, sorgfältig argumentierendes Buch vorgelegt. Besonders 201–204. 4 Les Textiles/The Textiles: M. Bélis, Des das erste Kapitel möchte man Exegeten des AT gerne zur textiles, catalogues et commentaires, 207–276; M. Mül- Lektüre empfehlen: Dort ist eine breite und oftmals kom- ler/M. Z. Papiz/D. T. Clarke/M. A. Roberts/B. M. Mur- plizierte literaturwissenschaftliche Debatte zusammen- phy/M. Burghammer/C. Riekel/E. Pantos/J. Gunneweg, fassend dargestellt, die in der Exegese des AT zwar stär- Identification of the Textiles Using Microscopy and Syn- kere Beachtung gefunden hat als es bei S. den Anschein chroton Radiation X-ray Fibre Diffraction, 277–286; hat, aber noch nicht zum selbstverständlichen Bestand P. W. Rogers, Annexe: Fibres in Miscellaneous Samples gehört. Der Leser wird auch dort auf seine Kosten kom- from a Site in the Dead Sea Region, 287f. 5 Bains rituels men, wo er oder sie mit S. nicht einer Meinung ist, die et piscines/Ritual Baths and Pools: K. Galor, Plastered pointierten Stellungnahmen, die S. im ersten Kapitel Pools: A New Perspective, 291–320; A.E. Shimron, An bietet, sind in jedem Fall anregend. Archaeometric Study of Plasters from the Water Installa- Aber auch die Exegesen zu 1 Kön 13 und 1 Kön 22 tions, 321–337. 6 Inscriptions et graffiti/Inscriptions and lohnen die Lektüre, weil S. in ihnen zum einen eine gro- Grafitti: A. Lemaire, Inscriptions du khirbeh, des grottes ße Zahl an Details zusammenträgt, zum anderen in der et de ‘Aïn Feshkha, 341–388; J. Gunneweg/M. Balla, Darstellung der Perspektivstrukturen diesen zahlreichen Possible Connections Between the Inscriptions on Pot- Details Ziel und Richtung gibt. Dass nicht alle Beobach- tery, the Ostraca and Scrolls, 389–394. 7 Expertise de tungen, die S. gemacht hat, die Zustimmung des Lesers métaux/Metals Investigation: N. Lacoudre unter Mitar-

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 511 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 512 beit von C. Degrigny/É. de Lavergne/M. Drieux, L’amas were in contact, on condition that the Qumranites wrote métallique KhQ 960, 397–404; J.-P. Humbert, L’agglo- or copied the scrolls“ (J. Gunneweg, S. XVI). Solche mérat métallique KhQ 960 et son contexte, 405. 8 No- Verknüpfung von archäologischen Studien und Textana- menclature des grottes/Revised Cave List: M. Bélis, lysen wurde aber bislang insbesondere von Magen Bro- Révision commentée des différent systèmes de numéra- shi, Hanan Eshel und Jodi Magness vorgelegt. Es ent- tion, 409–415. 9 Reconsidération de l’archéologie/ steht der Eindruck, dass die Auswahl der teilnehmenden Reassessment of the Archeology: J.-B. Humbert, Recon- Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen nicht immer sideration of the Archaeological Interpretation, 419–425; durch ihre Qualifikation, sondern durch ihre Interpretati- J.-B. Humbert, The Chronology During the First Century on der Siedlung von Khirbet Qumran bestimmt wurde, B.C., de Vaux and his Method: a Debate, 425–444; dass also Wissenschaftspolitik und nicht wissenschaftli- A. Chambon, Catalogue des blocs d’architecture local- che Qualifikation die Ergebnisse des vorliegenden Sam- isés ou erratiques, 445–465; J.-B. Humbert, Arguments melbandes prägen. Diese Kritik soll aber die Bedeutung en faveur d’une résidence pré-essénienne, 467–482. der einzelnen im Band gesammelten Beiträge nicht min- Bei der gewollt naturwissenschaftlichen Ausrichtung dern, sondern richtet sich an die Herausgeber. Die engen des Bandes verwundert, dass ein großer Teil der Beiträge räum- anderen Themen gewidmet ist: J. Norton (Reassesment lichen Grenzen einer Rezension erlauben hier nur bei- of Controversial Studies on the Cemetery), C. Clamer spielhaft die Arbeiten von Gunneweg/Balla, Sheridan/ (Jewellery Finds from the Cemetery), M. Bélis (Des Ullinger/Ramp, Galor und Lemaire zu würdigen. textiles, catalogues et commentaires), K. Galor (Plastered J. Gunneweg und J. Balla (3–53) untersuchen mit Pools, A New Perspective), A. Lemaire (Inscriptions du Hilfe von Neutron Activation Analysis die chemische khirbeh, des grottes et de Aïn Feshkha), M. Bélis (Révi- Zusammensetzung der in den Höhlen von Qumran und in sion commentée des different systèmes de numérotation) der Siedlung von Qumran gefundenen Keramiken. Ob- sowie der ganze Teil 9 des Bandes (Reassessment of the wohl die geringe Menge der untersuchten Keramiken Archeology). Hinzu kommt, dass nicht alle naturwissen- statistische Aussagen schwierig macht, fällt dennoch auf, schaftlichen Zugänge und Untersuchungen zum Sied- dass 33 % aller analysierte Töpferprodukte eine „chemi- lungszusammenhang von Qumran berücksichtigt werden: cal relation with the Qumran site itself“ hat. „A relatively Es fehlen z. B. Abhandlungen zur DNA-Analyse der large part of the pottery had connections with Jericho. Lederrollen von Qumran und zu den „Imaging Radar“ Either the pottery was imported from that city or potters Untersuchungen der Siedlung (vgl. D. W. Parry, D. V. used the same clay somewhere around Jericho and sup- Arnold, D. G. Long und S. R. Woodward, New Techno- plied both sites. … However, the cups for example, have logical Advances: DNA, Databases; Imaging Radar, in: too many different styles to have been the work of a P. W. Flint und J. C. VanderKam [Hgg.], The Dead Sea single (group of) potter(s)“ (24). Gunneweg und Balla Scrolls after Fifty Years, Leiden, 1998, Bd. 1, 496–515). schließen von der chemischen Zusammensetzung des Die Analyse der deutschen Sammlung von Skeletten aus Tons einer Keramik auf ihre Herkunft: „Our study den Friedhöfen von Qumran kommt ebenfalls nicht vor. showed that some scroll jars turned out to be locally Ferner fragt man sich, wieso der Band bei dem dispara- made in Qumran, others were imported from Jericho ten Charakter der Beiträge etwa den numistatischen Be- whereas the bulk came from a site connected with the fund von Khirbet Qumran unberücksichtigt lässt oder das Motsa Clay Formation. It is the latter that we have identi- Keramikensemble von Qumran nicht systematisch prä- fied with Beit ‘Ummar near Hebron“ (26). Solche Rück- sentiert. schlüsse sind jedoch schwierig. Es kann keinesfalls aus- Ebenfalls erstaunt die Zusammensetzung der Autoren geschlossen werden, dass in der Antike nicht (nur) des Sammelbandes. Während führende Archäologen, die Keramiken transportiert bzw. gehandelt wurden, sondern sich mit dem Juda der hellenistisch-römischen Zeit im vielmehr der Ton, aus dem sie dann jeweils lokal gefer- allgemeinen und/oder den Grabungen von Qumran im tigt wurden (vgl. z. B. J. Magness, Debating Qumran: besonderen beschäftigen (etwa Magen Broshi, Hanan Collected Essays on Its Archeology, Leuven 2004, 161 Eshel, Jodi Magness, Eric Meyers, Ehud Netzer), nicht Anm. 51). Dies ist im Falle der Siedlung von Qumran teilnehmen, wird z. B. die „Archaeological Synthesis of umso wahrscheinlicher, als Gunneweg und Balla selbst the New Radiocarbon Datings“ mit Gregory Doudna und feststellen: Qumran „lacks good potter’s clay on the Joan E. Taylor von einem Exegeten sowie einer Archäo- spot“ (27). Das wichtigstes Ergebnis der Arbeit von login und Historikerin vorgenommen. Doudna verfügt Gunneweg und Balla ist: „there is no difference in che- über keine archäologische oder naturwissenschaftliche mical composition between the pottery analyzed from the Reputation, und Taylor hat sich vor diesem Sammelband khirbeh and that from the caves … There is, therefore, a in ihren Forschungen nicht zur Geschichte oder Archäo- connection“ (24). Diese Verbindung zwischen den Höh- logie der Gemeinschaft und Siedlung von Qumran aus- len und der Siedlung von Qumran wird auch in der zwei- gewiesen. Dieses Vorgehen verwundert um so mehr, als ten Studie von Gunneweg und Balla bestätigt (389–394), in der Einleitung des Bandes der Anspruch erhoben wird, in der sie die chemische Zusammensetzung des Tons der zum besseren Verständnis der Textfunde von Qumran Ostraka aus den Höhlen von Qumran mit derjenigen der beitragen zu wollen: „In order to help our reading of the Keramiken aus der Siedlung von Qumran vergleichen: various manuscripts, we have to understand who the „Although the written evidence is meager, its consequen- people were who lived at Qumran and with whom they ces should be taken into consideration because some of

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 513 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 514 them may make a link between the Khirbeh and the ca- für Neues Testament an der University of St. Andrews/ ves“ (394). Schottland. Seine monographischen Publikationen be- S. G. Sheridan, J. Ullinger und J. Ramp (129–169) schäftigten sich zuletzt mit Fragen der Christologie und analysieren die demographische Zusammensetzung der der Auslegung des Johannesevangeliums. Die Aufsätze Population von Qumran an Hand der Skelette aus der dieses Bandes hingegen bewegen sich eher an Schnitt- sogenannten „French collection,“ also an Hand jener stellen neutestamentlicher Exegese zu benachbarten Dis- Skelette, die nach den Grabungen von Qumran in der ziplinen (Judaistik, Altertumswissenschaft) und themati- Ecole Biblique von Jerusalem verblieben sind. „Based on sieren leicht vergessene Einzelaspekte übergreifender the current demographic findings, for the French Qumran Themen. In der Einführung betont B. die ihn leitende collection there is one woman (over 50 years of age), one grundlegende Voraussetzung seiner Arbeit, dass alle teenage male (15–16 years old), one elderly man by neutestamentlichen Schriften innerhalb des Judentums Qumran standards (over 60 years old), and numerous des zweiten Tempels zu verorten sind. Daraus folgt: 30–50 year old males” (163). Dieses Ergebnis hat wich- „Only someone who understands early Judaism for its tige Implikationen für die Frage nach dem zölibatären own sake will be able to use Jewish texts appropriately Leben in Qumran. and accurately in the interpretation of the NT“ (1). Das K. Galor (291–320) fragt nach der Funktion der Was- Neue Testament ist überdies neben den Pseudepigraphen serbecken in der Siedlung von Qumran. „Regarding their und Apokryphen des Alten Testaments, den Qumran- use as a ritual pool, from the standpoint of Jewish law, Texten, Josephus, Philo und den Rabbinica seinerseits every single pool at Qumran could have functioned as a gleichfalls Quelle für dieses Judentum des zweiten Tem- miqveh“ (316). Allerdings ist nicht immer eine klare pels. Unterscheidung möglich, ob ein Wasserbecken als rituel- Bis auf wenige Beiträge können die Aufsätze grob be- les Bad oder als Zisterne fungierte. „It is very likely that, stimmten Bereichen zugewiesen werden (mit Über- at the outset, the stepped pools at Qumran were built and schneidungen): a) Apocalyptic (2, 3, 4, 5, 7, 8, 11, 18), planned to fulfill a dual function, to serve as ritual im- b) Jewish Literature (2, 3, 6, 8, 13, 14, 15, 16, 21, 23, mersion pools and also as cisterns. The separation of 24), c) Jewish and Christian Eschatology (5, 13, 16, 18, locus 56 from locus 58 and locus 91 from its stepped 19). Die Collected Essays thematisieren – wie im Titel part, introduced some time after the initial planning and angegeben – die Jewish World around (!) the New Tes- construction stage of the site, can be viewed as an at- tament, also weniger das Neue Testament an sich (vgl. tempt to eliminate certain problems that are associated aber die Anteile in 5, 9, 10, 11, 19, 21, 22). Sehr bald with the multiple uses of the pools“ (316f.). wird der Leser feststellen, dass B. der in der Einführung A. Lemaire (341–388) ediert die hebr., aram., gr. und dargelegten These, das Neue Testament innerhalb des latein. Inschriften von Qumran und Ein Feschkha. Von Judentums des zweiten Tempels zu verorten, innerhalb Ein Feschkha stammen zwei griechische, eine hebräische der vergangenen dreißig Jahre konsequent nachgegangen bzw. aramäische und eine lateinische Inschrift. 71 paläo- ist. hebräische, hebräische, aramäische, samaritanische, grie- Nun wird es wenig Sinn machen, Aufsätze, die teil- chische und lateinische Inschriften und Ritzungen aus weise vor zwei oder drei Jahrzehnten geschrieben wur- Qumran geben Einblick in das Alltagsleben der Siedlung. den, insgesamt nochmals zu rezensieren. Allein zu zwei Besonders interessant sind die Schreiberübungen KhQ 1 Beiträgen hat B. Additional Notes verfasst, allerdings und KhQ 2207, weil sie auf eine Schreiberpraxis und nicht zu 2 und 20 (so allerdings die Introduction), son- evtl. Schreiberschule in Qumran hinweisen, und das dern zu 3 und 20. Diese beziehen sich zum einen auf den Siegel KhQ 439 mit der griechischen Inschrift Iwshpoj. Beitrag ‚Enoch and Elijah in the Coptic Apocalypse of Letzteres könnte zeigen, daß in Qumran auch griechisch- Elijah‘, der erstmals 1985 publiziert wurde. Zwischen- sprachige Juden gelebt haben. zeitlich waren etliche grundlegende Werke zu dieser ursprünglich in griechischer Sprache verfassten, aber in koptischer Sprache überlieferten Schrift erschienen. In der Additional Note druckt B. erneut seine ältere Stel- Bauckham, Richard: The Jewish World around the New Testa- lungnahme zu David T. M. Frankfurter, Elijah in Upper ment. Collected Essays I. Tübingen: Mohr Siebeck 2008. VI, Egypt: The Apocalypse of Elijah and Early Egyptian 548 S. 8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testa- Christianity, 1993, ab, die in dem Journal of Ecclesi- ment, 233. Lw. 149,00 €. ISBN 978-3-16-149614-1. – Bespr. von astical History 46, 1995, S. 488–490, erschienen war. Friedrich Wilhelm Horn, Mainz. Frankfurter hatte in seinem Beitrag erneut bekräftigt, die Abfassung der Apocalypse of Elijah ins ausgehende In dem Band sind 23 Aufsätze, die zwischen 1976 und 3. Jh. n. Chr. im Bereich des ägyptischen Christentums 2008 publiziert wurden, in chronologischer Reihenfolge zu datieren. Hierbei hatte Frankfurter die bislang be- ihrer Ersterscheinung zusammengeführt worden (nicht 24 stimmende Frage nach Quellen, Vorlagen und Traditio- Aufsätze, so der Klappentext und das Inhaltsverzeichnis, nen innerhalb der Apocalypse of Elijah wohl auch ge- die die zweiseitige Einführung des Bandes mitzählen und stellt, das Werk aber konsequent aus seiner Zeit heraus auf S. 485 in der Liste der Erstpublikationen aufführen). interpretiert. B. thematisiert vor allem den vermuteten Der Verfasser Richard Bauckham bekleidete von 1992 mündlichen Anteil der Traditionen. Dass zum anderen bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2007 eine Professur der Beitrag Nr. 20 ‚Paul and Other Jews with Latin Na-

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 515 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 516 mes in the New Testament‘ einer Additional Note be- teilung in drei Ströme: b) christliche Apokalypsen unter durfte, versteht sich mit Blick auf die zwischenzeitlich alt- oder neutestamentlichem Pseudonym aus der Zeit erschienenen drei Bände Inscriptionis Judaicae Orientis 200 n. Chr.–1000 n. Chr.; c) hebräische Merkabah-Texte (Bd. I hg. von David Noy, Alexander Panayotov and von ca. 300 n. Chr. aufwärts und d) weitere hebräische Hanswolf Bloedhorn, 2004; Bd. II hg. von Walter Ame- Apokalypsen. Wesentlich ist wohl die Bemerkung, dass ling, 2004; Bd. III hg. von David Noy and Hanswolf auch die zuletzt genannten drei Bereiche ein entschei- Bloedhorn, 2004) und das Lexicon of Jewish Names in dendes Licht auf die ältere jüdische Apokalyptik werfen Late Antiquity, hg. von Tal Ilan, 2002, von selbst. können. B. wirft der Edition OTP vor, diese Perspektive Im Folgenden soll der spezifische Beitrag B. zu den zu zerstören, da die Textauswahl im Blick auf die vier genannten drei Bereichen unter Bezugnahme auf einzel- Corpora unvollständig und im Einzelfall geradezu eklek- ne Beiträge exemplifiziert werden. Der Aufsatz ‚The tisch sei. Wenn man jedoch eine umfassendere Perspek- Apocalypses in the New Pseudepigrapha‘ (Nr. 8 tive im Blick behalte, erkenne man schnell, dass keines- auf S. 103–121) erschien erstmals 1986 und wurde falls die Eschatologie das einzige oder dominante Thema bereits 1997 in einem Sammelband erneut abgedruckt. B. der Apokalyptik sei. Vielmehr treten Astronomie, Ange- bespricht hier den 1983 erschienenen, von James H. lologie, Schöpfungsgeheimnisse, Meteorologie und litur- Charlesworth herausgegebenen Band I der Old Testa- gische Frage, um nur einiges anzusprechen, in den Blick ment Pseudepigrapha (OTP) ‚Apocalyptic Literature & (S. 120). Testaments‘. Die Publikation sei grundsätzlich sehr zu Der zweite Bereich betrifft die jüdische Literatur, hier begrüßen, da sie die bislang immer noch den allgemeinen vor allem die alttestamentlichen Pseudepigraphen, und Gebrauch bestimmende, von Robert H. Charles verant- natürlich auch deren Verhältnis zum Neuen Testament. wortete Edition The Apocrypha and Pseudepigrapha of Eine Untersuchung von ‚Josephus‘ Account of the the Old Testament (APOT) ersetze und dem neuen For- Temple in Contra Apionem 2.102–109‘ (Nr. 15 auf schungsstand anpasse. So seien gegenüber APOT zu den S. 221–243) zeigt, dass in dieser gegenüber bellum und hier abgedruckten sechs Apokalypsen dreizehn weitere antiquitates zu gering beachteten Beschreibung wertvolle hinzugekommen, und zwei weitere in diesen Bereich Informationen liegen, die in die Zeit der direkten Augen- gehörige Texte seien für Band 2 von OTP angekündigt. zeugenschaft des Autors zurückreichen. Der kleine Bei- Diese seinerzeit vorgenommene Beschränkung auf sechs trag ‚The Relevance of Extra-Canonical Jewish Texts to Apokalypsen habe dazu geführt, dass sich innerhalb der New Testament Study‘ (Nr. 14 auf S. 207–220) betont neutestamentlichen Exegese eine verzerrte Sicht auf das zunächst die grundlegende Abhängigkeit der frühchristli- Phänomen Apokalyptik breit gemacht habe. B. geht in chen Literatur von ihrem jüdischen Untergrund. Dies seinem Beitrag auf siebzehn der neunzehn Apokalypsen gipfelt in der These, dass „Christianity of the New Tes- in OTP ein und übergeht nur ‚Treatise of Shem‘ und tament period must be seen, not as something quite dif- ‚Revelation of Ezra‘, da beide Texte Literatur aus einem ferent from Judaism, but as a distinctive form of Juda- anderen Bereich darstellen. Sein Überblick über diese ism“ (S. 207f.). Auch das Auseinandergehen der Wege siebzehn Texte ist nicht nur eine Rezension der ersten zwischen Judentum und Christentum sei als „dispute ca. 750 Seiten der Ausgabe OTP, sondern gleichzeitig between divergent interpretations of a common religious ein knapper kritischer Kommentar zu diesen Apokalyp- heritage“ (S. 208) zu begreifen. B. rät daher dazu an, die sen. Wesentlich sind die Schlussbemerkungen, da sie jüdische Literatur in ihrem historischen Kontext exakt grundsätzliche Thesen zur apokalyptischen Literatur kennenzulernen, um der häufig angewandten, durch darstellen. Sie betreffen zunächst das Auswahlverfahren. Handbücher vermittelten Methode der Parallelomania OTP bietet Texte vom zweiten vorchristlichen Jh. bis entgegenzutreten. In diesen Kanon jüdischer Literatur zum neunten Jh. n. Chr. Hier liegt eine wesentliche Dif- möchte B. unbedingt auch solche Texte einbeziehen, ferenz zu APOT. Freilich hat Charlesworth spezifisch deren Abfassungszeit deutlich später als diejenige der christliche Apokalypsen wie die Apokalypse des Petrus neutestamentlichen Schriften ist. Es sei erwiesen, dass oder die Apokalypse des Paulus nicht aufgenommen, da die exegetischen Techniken der Midraschim und der diese Apokalypsen nicht in eine Sammlung alttestament- Targumliteratur bereits in neutestamentlicher Zeit be- licher Apokryphen passen. Allerdings gibt B. mit Recht kannt und gebräuchlich gewesen (S. 214) bzw. dass zu bedenken, dass auch diese Apokalypsen reichlich in der Targumliteratur exegetische Techniken der neu- jüdisches Material enthalten. Dies führt zu der von ihm testamentlichen Zeit bewahrt worden seien. Das Jahr vertretenen These, dass die gesamte apokalyptische Tra- 70 n. Chr. sei also weit weniger eine Grenzmarkierung dition als ein kontinuierlicher Strom zu sehen sei, der innerhalb des Judentums und zwischen Judentum und nicht in jüdisch oder christlich aufzuteilen sei. Im Blick Christentum als oftmals angenommen. Freilich arbeitet auf alle Texte rät B. dazu, vier Corpora zu unterscheiden B. in diesem Abschnitt auch mit Vermutungen, die sein (119): a) Apokalypsen, die bis 200 n. Chr. geschrieben Gesamtbild wohl abrunden, aber doch nicht zu belegen wurden und auch danach nicht in größerem Stil edito- sind. Dazu zähle ich die Aussage, dass alle neutestament- risch verändert wurden. In dieser Kategorie befinden lichen Schriftsteller außerkanonische Literatur lasen und sich jüdische und christliche Werke, zumal alle christli- mit diesen Schriften sehr vertraut gewesen seien (S. 212). chen Apokalypsen dieser Zeit in sehr engem Kontakt Dass die meisten neutestamentlichen Schriftsteller Juden mit jüdischer Apokalyptik stehen. Im Anschluss an die- gewesen sind (S. 208), ist so eindeutig auch nicht. Natür- sen Zeitpunkt ca. 200 n. Chr. sieht Bauckham eine Auf- lich wäre auch zu fragen, auf welches Judentum man sich

Brought to you by | Universitaetsbibliothek Basel Authenticated Download Date | 10/23/17 11:36 AM 517 Orientalistische Literaturzeitung 105 (2010) 4–5 518 bezieht. B. jedenfalls tendiert eindeutig zu Sanders’ An- Anordnung der Themen, der Behandlung der Personen- nahme eines ‚common Judaism‘ im Gegensatz zu Neus- namen oder in der Kommentierung des epigraphischen ners These mehrerer ‚Judaisms‘ (S. 212). Der griechisch- Materials. römische Kulturraum wird als gemeinsamer Untergrund Die hier veröffentlichten safaitischen Inschriften stam- von Judentum und Christentum betrachtet, eine spezifi- men aus zwei in der nordjordanischen Basaltsteinwüste sche griechisch-römische Prägung des Christentums im gelegenen Orten, nämlich aus al-Fahdah östlich vom Unterschied zum Judentum wird abgelehnt. Dorf as-Safāwī und aus dem Wādī al-AXīmr im Hawrān- Das Thema Eschatologie hängt natürlich mit den vie- Gebirge (s. die Abb. 1 und 2 auf S. 12 und 13). Die len Studien zur Apokalyptik und zu den Apokalypsen Fundstätten safaitischer Inschriften liegen im südöstli- zusammen, kommt aber doch auch unabhängig davon zur chen Syrien, im nordöstlichen Jordanien, in Südwest-Irak Sprache, sowohl in jüdischer als auch in christlicher und in Nordwest-Saudi-Arabien. Nach neuesten Angaben Literatur. Verhandelte Themen sind Menschensohn, beläuft sich die Zahl der inzwischen bekanntgewordenen Parusie, Leben nach dem Tod, endzeitliche Restauration Texte auf etwa 28.000, wovon die meisten aus Nordost- Israels, aber auch Beiträge zu biblischen Texten und ihrer Jordanien stammen (s. M. C. A. Macdonald, Addenda eschatologischen Relevanz. In dem Beitrag ‚Life, Death, and Corrigenda, S. 2, in Literacy and Identity in Pre- and the Afterlife in Second Temple Judaism‘ (Nr. 16 auf Islamic Arabia. London 2009 = Variorum Collected S. 245–256) spricht sich B. gegen die These einer gro- Studies Series). Sie bestehen vorwiegend aus Personen- ßen Diversität innerhalb der frühjüdischen eschatologi- und Stammesnamen, enthalten jedoch des öfteren auch schen Vorstellungen aus und zieht von hier wiederum kurze Sätze und werden bisweilen von Zeichnungen von eine Linie zum frühen Christentum: „The fact that virtu- Menschen, Tieren und Symbolen begleitet. Übrigens ally all aspects of this view common to most of the Je- bieten die safaitischen Inschriften wesentlich mehr In- wish texts are also found in the New Testament confirms formationen als diejenigen Graffiti anderer schreibkundi- this conclusion. The first Christians did not derive their ger Nomaden aus dem südlichen Jordanien und nördli- understanding of the afterlife from any specific Jewish chen Saudi-Arabien (s. M. C. A. Macdonald, Literacy in group, such as the Pharisees or the Essenes, but shared an Oral Environment, in Writing and Ancient Near East- the views which had become general in the Judaism of ern Society. Papers in Honour of Alan R. Millard, ed. their time“ (S. 256). P. Bienkowski et alii. New York/London 2005, S. 95). B. Aufsätze sind höchst gelehrte Beiträge. Sie bezie- Von den 423 Nummern neuer safaitischer Inschriften hen sich in der Regel auf sehr begrenzte Bereiche und bzw. Zeichnungen, die dem Vf. von denjenigen Perso- suchen nicht das Überblickshafte. In der Summe der nen, welche die Texte aufgenommen haben, zur Ver- Detailbeobachtungen allerdings werden Ergebnisse zu- öffentlichung überlassen wurden, stammen die Nummern sammengetragen, die als Mosaiksteine eines entstehen- 1–129 aus al-Fahdah und die Nummern 130–423 aus al- den Gesamtbildes fungieren. Überdies stellt B. Fragen, AXīmr. Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Publikation die in keiner Weise im mainstream der Forschung liegen, dieser neuentdeckten safaitischen Inschriften und die deren Beantwortung aber höchst interessante Einsichten Untersuchung der darin vorkommenden Personennamen, vermittelt. Als Beispiel nenne ich den zuvor bereits Verben und Nomina unter Berücksichtigung der arabi- zweimal publizierten Beitrag ‚What if Paul had Travelled schen Quellen und unter Heranziehung der zu diesem East rather than West?‘ (Nr. 17 auf S. 257–268). Der Thema gehörenden Sekundärliteratur. Band wird abgeschlossen durch umfangreiche Indices In den Abschnitten 1–3 (S. 14–18) des ersten, Die sa- (S. 487–545), die dazu beitragen, die detailreichen Bei- faitischen Inschriften, betitelten Kapitels wird ein Abriß träge gut zu erschließen. der Geschichte der Entdeckung jener Texte und ihrer Entzifferung gegeben sowie ein Überblick über die in Jordanien gesammelten Inschriften und deren Veröffent-

lichung. Ungewöhnlich, aber sehr begrüßenswert, ist die Semitistik Auflistung von einem Dutzend in den beiden letzten Al-Manaser, Ali Yunes Khalid: Ein Korpus neuer safaitischer Jahrzehnten von jordanischen Studenten und einer Stu- Inschriften aus Jordanien. Aachen: Shaker Verlag 2008. 312 S. dentin auf arabisch verfaßter Magister- und Doktor- m. Abb. 8° = Semitica et Semitohamitica Berolinensia, 10. Kart. arbeiten, welche safaitische Inschriften zum Thema ha- 49,80 €. ISBN 978-3-8322-7595-2. – Bespr. von Walter W. Mül- ben. In Abschnitt 4 und 5 über Zeit und Datierung der ler, Marburg. safaitischen Inschriften (S. 19–43) hat der Vf. viel Mühe darauf verwendet, die Periode der safaitischen Inschriften Nachdem im Jahre 2005 als Band 6 von Semitica et einzugrenzen, indem er aus den Texten die verschiede- Semitohamitica Berolinensia die Dissertation von Mo- nen mit snt, Jahr, eingeleiteten Datierungsangaben zu- hammed I. Ababneh, Neue safaitische Inschriften und sammengetragen hat, die sich auf politische und kriegeri- deren bildliche Darstellungen, erschienen war (s. meine sche Ereignisse, in denen Nachbarvölker oder die Römer Rezension in OLZ 104/2, 2009, Sp. 210–217), wird drei erwähnt werden, auf persönliche Begebenheiten und Jahre später als Band 10 derselben Reihe eine weitere andere Vorkommnisse, wie etwa Naturphänomene, be- Dissertation über safaitische Inschriften vorgelegt. Der ziehen. Er gelangt dabei zu dem vorsichtigen Schluß, daß Verfasser der neueren Studie hat dabei in vielem die die safaitischen Inschriften wahrscheinlich zwischen dem Vorgängerarbeit als Vorbild genommen, etwa bei der 2. Jh. v. Chr. und dem 3. Jh. n. Chr. zu datieren sein dürf-

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