Informationsbroschüre

Steuern und Entwicklung

Wie die Steuerflucht die Entwicklung behindert – und was die Schweiz daran ändern kann

Mark Herkenrath, Olivier Longchamp und Andreas Missbach

Eine Informationsbroschüre von Alliance Sud und der Erklärung von Bern Steuern und Entwicklung © EvB_Alliance Sud_ Ju ni 2012 // 2

Inhalt

Übersicht – Was die Schweiz tun kann 3

1. Einleitung – Steuern und Entwicklung 4

2. Internationale Steuerflucht: Die Rolle der Schweiz 5

3. Doppelbesteuerungsabkommen 7

4. Einfache Steuerinformationsabkommen (TIEA) 9

5. Quellenbesteuerung – mit oder ohne Abgeltung 11

6. Automatischer Informationsaustausch 13

7. Steuervermeidung von Unternehmen 14

8. Steuern und Entwicklung: Die internationale Agenda 16

9. Fazit: Umsteuern! 18

Achtung Factsheets! Weiterführende Informationen und ein ausführliches Literaturverzeichnis zu den Themen dieser Broschüre finden Sie in unseren Online-Factsheets unter www.alliancesud.ch/de/ep/steuerpolitik oder www.evb.ch/factsheet­steuern.

Impressum Autoren: Mark Herkenrath, Olivier Longchamp und Andreas Missbach Herausgebende: Alliance Sud und Erklärung von Bern Zitation: Alliance Sud/Erklärung von Bern. 2012. Steuern und Entwicklung: Wie die Steuerflucht die Entwicklung behindert – und was die Schweiz daran ändern kann. Bern: Alliance Sud/Zürich: Erklärung von Bern. Juli 2012 Fotos: panos pictures Gestaltung: Clerici Partner Design, Zürich Steuern und Entwicklung © EvB_Alliance Sud_ Ju ni 2012 // 3

Übersicht – Was die Schweiz tun kann

Durch die Steuerhinterziehung von Privatpersonen und die Steuervermei- dungspraktiken multinationaler Unternehmen fliessen jedes Jahr Milliarden- beträge aus den Entwicklungsländern ins Ausland ab. OECD-Schätzungen, auf die sich inzwischen auch der Bundesrat abstützt, beziffern diesen jährlichen Verlust auf rund 850 Milliarden Dollar. Das ist fast das 7-Fache der weltweiten öffentlichen Entwicklungshilfe.­ Die vorliegende Broschüre zeigt auf, wie die Schweiz die Entwicklungsländer in ihrem wichtigen Kampf gegen die inter­nationale Steuerflucht unterstützen kann und sollte.

Automatischer Informationsaustausch: BürgerInnen seit 2005 einen Steuerrückbehalt. Damit Mittelfristig wird auch die Schweiz nicht umhin kom- fliessen sogar dann Steuereinnahmen an die betroffe- men, den automatischen Informationsaustausch zwi- nen Staaten zurück, wenn undeklarierte Vermögen in schen Steuerbehörden einzuführen. Sie sollte diesen der Schweiz trotz der erweiterten Amtshilfe unentdeckt Schritt allerdings nicht auf politisch einflussreiche bleiben. Eine vorsorgliche Quellenbesteuerung von Länder beschränken. Mit dem automatischen Infor­ Zinseinnahmen und anderen Kapitalerträgen sollte des- mationsaustausch würden auch Steuersünder aus Ent- halb dringend auch den Entwicklungsländern angebo- wicklungsländern effektiv von ihrem Tun abgeschreckt. ten werden. In Ländern mit hoher Korruption oder un- Das Bankgeheimnis gegenüber neugierigen Nachbarn demokratischer Regierungsführung müssten die Erträge und Arbeitgebern hingegen bliebe genauso geschützt allenfalls in Entwicklungsfonds statt in die allgemeine wie in anderen Ländern. Staatskasse fliessen.

Einfache Steuerinformationsabkommen (TIEA): Rückwirkende Besteuerung undeklarierter Vermögen: Auf dem Weg zum automatischen Informationsaus- Aus entwicklungspolitischer Sicht gibt es keinen ver- tausch sollte die Schweiz mit den Entwicklungsländern nünftigen Grund dafür, eine Quellensteuer auf zukünf- rasch die erweiterte Steueramtshilfe vereinbaren. Im tige Kapitalerträge mit einer Abgeltungsklausel zu ver- April 2012 hat sich der Bundesrat erfreulicherweise sehen. Das gilt auch für Länder mit korrupten oder ­bereit erklärt, dies zukünftig nicht nur über komplexe diktatorischen Regimes. Hier würde die Anonymität, Doppelbesteuerungsabkommen zu tun, sondern auch welche die Schweizer Abgeltungssteuer vorsieht, vor über einfache Steuerinformationsabkommen (TIEA: allem Elitezirkel schützen, die mit diesen Regimes Information Exchange Agreements). Diese Bereitschaft unter einer Decke stecken. Sinnvoll wäre allerdings sollte er nun zügig in die Praxis umsetzen. eine rückwirkende Besteuerung undeklarierter Vermö- gen aus der Vergangenheit. Eine solche rückwirkende Grosszügige Quellensteuersätze Besteuerung wird auch von der deutschen Opposition in Doppelbesteuerungsabkommen (DBA): gegen das Abgeltungssteuerabkommen unterstützt. Sie Die Schweiz sollte einfache TIEA entgegen der aktuel- sollte den Entwicklungsländern nicht vorenthalten len Praxis des Bundesrates auch jenen Entwicklungs- werden. ländern anbieten, mit denen bereits Doppelbesteue- rungsabkommen bestehen. Ausserdem sollte sie bei der Länderweise aufgeschlüsselte Konzernbilanzen Neuverhandlung von DBA darauf verzichten, auf eine (Country-by-Country Reporting): Senkung der Quellensteuersätze für firmeninterne Li- Multinationale Konzerne sollten ihre Gewinne dort ver- zenz- und Zinszahlungen der Schweizer Konzerne zu steuern, wo die Wertschöpfung tatsächlich stattfindet drängen. Solche Quellensteuern bringen den Entwick- und sie für ihre Produktion staatlich finanzierte Infra- lungsländern dringend benötigte öffentliche Einnah- struktur und Bildung in Anspruch nehmen. Um zu ver- men. Gleichzeitig bieten sie einen gewissen Schutz hindern, dass Konzerne ihre Gewinne stattdessen in die ­davor, dass multinationale Unternehmen überhöhte steuergünstigsten Schweizer Kantone verlagern, sollte konzerninterne Lizenz- und Zinszahlungen nutzen, um sich die Schweiz für eine länderweise Aufschlüsselung Gewinne ihrer Tochtergesellschaften in die steuergüns- der Konzernbilanzen einsetzen. Dies gilt insbesondere tigere Schweiz zu verlagern. gegenüber Unternehmen, die von besonderen staatli- chen Leistungen (z.B. Investitionsschutzabkommen oder Quellenbesteuerung undeklarierter Kapitalerträge: DBA) profitieren. Die steuerlichen Sonderregeln für Im Rahmen des Zinsbesteuerungsabkommens mit der Holding-, Domizil- und gemischte Gesellschaften soll- EU erhebt die Schweiz auf die Zinseinkünfte von EU- ten abgeschafft oder stark eingeschränkt werden. Steuern und Entwicklung © EvB_Alliance Sud_ Ju ni 2012 // 4

1. einleitung – Steuern und Entwicklung

Effektive internationale Entwicklungszusammenarbeit Jahren stagniert haben. Sie liegen heute im Durch- ist für die globale Armutsbekämpfung unabdingbar. Sie schnitt weiterhin bei rund 17 % (gegenüber durch- genügt aber nicht. Die Entwicklungsländer brauchen schnittlich 35 % bei den OECD-Ländern). In den meis- zusätzlich zur Hilfe aus dem Ausland auch dringend ten Ländern mit einem sehr tiefen Einkommen machen höhere eigene Steuereinnahmen. Nur so können sie die die Steuererträge sogar weniger als 15 % des BIP aus. nötigen einheimischen Mittel aufbringen, um die Fol- Das ist gemäss dem internationalen Währungsfonds zu gen des Klimawandels zu bewältigen und darüber hin- wenig, um auch nur die allernötigsten Staatsaufgaben aus nachhaltige soziale und wirtschaftliche Fortschrit- zu finanzieren.2 Während Industrieländer wie Deutsch- te zu erzielen. Das ist auch die Grundaussage des land fast 90 % der Staatseinnahmen aus Steuern bezie- Monterrey-Konsens der Vereinten Nationen, den die hen, sind es bei Uganda lediglich knapp 30 %. Schweiz im Jahr 2002 mitunterzeichnet hat. Der Hauptgrund, dass die Entwicklungsländer ihre Wie wichtig die Mobilisierung einheimischer Res- Staatseinnahmen über das letzte Vierteljahrhundert sourcen für die Entwicklungsfinanzierung ist, zeigt kaum steigern konnten, ist die Handelsliberalisierung. der African Economic Outlook 2010. Er kommt zum Sie hat zu massiven Einbussen bei den Importzöllen ge- Schluss, dass die Länder des südlichen Afrika innert führt. Öl exportierenden Ländern ist es inzwischen weniger Jahre rund vier Millionen zusätzliche Lehr- knapp gelungen, diesen Ausfall wichtiger Einnahmen kräfte einstellen müssten, um allen Kindern der Region durch zusätzliche Rohstoffsteuern wettzumachen, aber eine Grundausbildung zu gewährleisten. Solche wichti- eine nachhaltige Steigerung der Steuereinnahmen hat gen Staatsaufgaben lassen sich weder durch Privatin- auch hier nicht stattgefunden. Rohstoffarme Länder vestitionen noch alleine durch ausländische Entwick- hingegen haben den Ausfall nur bedingt kompensieren lungshilfe finanzieren. Forschungen des UN Millennium können, trotz der Einführung von Konsumsteuern, die Project haben ergeben, dass die Millenniumsentwick- tendenziell zu grösserer Einkommensungleichheit ge- lungsziele eine Verdoppelung der Ausgaben für Ar- führt haben. mutsbekämpfung, Bildung und Gesundheitswesen vor- Sollen die Steuereinnahmen der ärmeren Länder aussetzen. In den ärmsten Ländern wäre dafür eine weiter gesteigert werden, kommen dafür vor allem di- Erhöhung der Staatsausgaben (gemessen an der gesam- rekte Steuern in Frage: Einkommenssteuern für Privat- ten Wirtschaftsleistung) um mindestens 4 Prozentpunk- personen und Gewinnsteuern für inländische und aus- te notwendig.1 ländische Unternehmen. Häufig fehlen den lokalen Steuern sind also ein wichtiges Mittel zur autono- Behörden allerdings die nötigen finanziellen und perso- men Finanzierung von Entwicklung. Langfristig wer- nellen Kapazitäten, um wirksame Steuersysteme aufzu- den höhere Steuereinnahmen die Entwicklungsländer bauen und zu unterhalten. Entwicklungshilfe, die den dazu befähigen, sich aus der Abhängigkeit von der Aus- Ausbau der Steuerbehörden in ärmeren Ländern be- landhilfe und vom politischen Diktat einzelner Geber- zweckt, ist darum durchaus sinnvoll. Eine Studie der länder zu befreien. Ausserdem sind Steuern ein wichti- Oxford University berechnet, dass den Entwicklungs- ger Teil des Gesellschaftsvertrages zwischen dem Staat ländern durch administrative Schwächen der Steuerbe- und seinen BürgerInnen. Wer Steuern zahlt, will in der hörden und den hohen Anteil des informellen Sektors Politik mitbestimmen können. Das heisst: Steuern tra- am Wirtschaftsgeschehen jedes Jahr insgesamt 285 Mil- gen in Entwicklungsländern zur Staatsbildung und De- liarden Dollar mögliche Steuereinnahmen entgehen.3 mokratisierung bei. Das ist ein weiterer wesentlicher Das ist ein beträchtlicher Betrag, den es rasch zu redu- Grund, weshalb das Thema Steuern in der Entwick- zieren gilt. lungspolitik eine immer wichtigere Rolle spielt. Einen ebenso grossen jährlichen Betrag verlie-­ Umso bedenklicher ist es, dass die Steuerquoten ren die Entwicklungsländer aber zusätzlich durch der Entwicklungsländer (die Steuereinnahmen in Pro- die Steuerflucht von Privatpersonen in ausländische zent des Bruttoinlandprodukts, BIP) seit den 1980er- Steueroasen und durch die aggressive Steuervermei-

1 UN Millennium Project, Investing in Developing Countries, 8. März 2010. 4 Bericht des Bundesrates, Vor- und Development, 2005. 3 Alex Cobham, , tax avoid­ Nachteile von Informationsabkommen 2 IMF, Revenue Mobilization in ance and development finance, 2005. mit Entwicklungsländern, 4. April 2012. Steuern und Entwicklung © EvB_Alliance Sud_ Ju ni 2012 // 5

dung multinationaler Konzerne. Die OECD hat festge- Ausland5 und 160 Mia. durch aggressive Steuervermei- stellt, dass jährlich 850 Milliarden Dollar unversteuer- dung multinationaler Konzerne6). Das ist mehr als das te Unternehmensgewinne, undeklarierte Privatvermögen Doppelte der rund 125 Milliarden, welche die Geber- und illegal erworbene Gelder aus den Entwicklungslän- länder der OECD im Jahr 2011 in die internationale Ent- dern in ausländische Steueroasen abfliessen.4 Das re- wicklungszusammenarbeit investierten. nommierte Forschungsinstitut Global Financial Integri- Gegen Einnahmenverluste durch die Steuerflucht ty kommt hier für das Jahr 2008 sogar auf den deutlich von Privatpersonen und die Steuervermeidungsprakti- höheren Betrag von 1300 Milliarden. Schätzungen, wie ken ausländischer Unternehmen kann aber auch die viele mögliche Steuereinnahmen den Entwicklungslän- beste Entwicklungshilfe nichts unternehmen. Sogar rei- dern durch diese Abflüsse entgangen sein könnten, fin- che Industrieländer, die über gut ausgebaute Steuerbe- den sich bei der OECD und Global Financial Integrity hörden und ausgefeilte Gesetze in diesem Bereich ver- keine. fügen, leiden unter diesen Problemen. Hier sind darum Diese Lücke schliessen Berechnungen von Ent- Gegenmassnahmen in denjenigen Ländern gefordert, wicklungsorganisationen: Sie zeigen, dass die Entwick- die ausländischen Steuerhinterziehern Geheimhaltung lungsländer durch die Steuerflucht ins Ausland5 jedes bieten und Unternehmen, die vor allem im Ausland tä- Jahr 284 Milliarden Dollar mögliche Steuereinkünfte tig sind, besondere Steuerregime anbieten. Gefordert ist verlieren (124 Mia. durch die private Steuerflucht ins auch die Schweiz.

2. internationale Steuerflucht: die Rolle der Schweiz

Das internationale Netzwerk Steuergerechtigkeit zählt überschreitende Vermögensverwaltung.7 Laut der Be­ über 70 Staaten und Rechtsräume, die aufgrund ihrer ratungsfirma Boston Consulting Group wurden in der Gesetzgebung in einzelnen Bereichen als Steueroase be- Schweiz 2011 ausländische Vermögen in der Höhe von zeichnet werden können. Dies zeigt, dass das Problem 2100 Milliarden Dollar verwaltet.8 Hier kommen die weit über die klassischen Offshore-Finanzplätze, also Steuergesetze des Herkunftslandes des Kunden nicht etwa die karibischen Inseln oder die Kanalinseln, hin- zur Anwendung. Die Steuervermeidung ist deshalb tra- ausgeht. Auch die Schweiz trägt wesentlich zur interna- ditionell der wichtigste Grund dafür, dass jemand sein tionalen Steuerflucht bei: Geld ausserhalb seines Herkunftslandes anlegt. Die «Neue Zürcher Zeitung» bezeichnete kürzlich den un- – Sie ist der weltweit wichtigste Finanzplatz des «Off- versteuerten Schwarzgeldanteil der grenzüberschrei- shore Private Bankings», d.h. der grenzüberschreiten- tend in der Schweiz betreuten Vermögen für die Zeit vor den Vermögensverwaltung mit grösstenteils nicht 2009 auf «über 50 %».9 versteuerten Geldern. Die Schweiz ist also nicht deswegen unter inter­ – Sie bietet Unternehmen, deren Einkommen ganz oder nationalen Druck geraten, weil ihr Bankgeheimnis die mehrheitlich aus dem Ausland stammt, steuerliche Privatsphäre der KundInnen schützt. Dass neugierige Sonderregeln an (siehe dazu Kapitel 7), was von der Nachbarn, JournalistInnen oder Geschäftspartner kei- OECD als unfairer Steuerwettbewerb eingestuft wird. nen Einblick in die finanzielle Privatsphäre haben dür- fen, ist unbestritten. Weil die Schweiz aber den Her- Die Schweiz ist nach Angaben des Staatsekretariats für kunftsländern systematisch alle Informationen für die internationale Finanzfragen (SIF) mit einem Marktan- korrekte Besteuerung ihrer BürgerInnen vorenthalten teil von 27 % der wichtigste Finanzplatz für die grenz- hat, leistete sie Beihilfe zur Steuerhinterziehung.

5 Oxfam, crackdown could Finanz- und Steuerfragen 2012, S. 11. starke Präsenz im Onshore-Private deliver 120 bn a year to reduce , 8 Boston Consulting Group, Global Banking aufgebaut, d.h., sie betreuen 13. März 2009. Wealth 2011, S. 13. Zusätzlich haben vor die KundInnen mit eigenen Nieder­ 6 Christian Aid, Death and : allem die Schweizer Grossbanken lassungen in deren Herkunftsland. the true toll of tax dodging, 2008. UBS und Credit Suisse in den letzten 9 NZZ, 12.3.2012, S. 29. 7 Bericht des Bundesrates Internationale Jahren in den USA und in Europa eine Steuern und Entwicklung © EvB_Alliance Sud_ Ju ni 2012 // 6

Steuerverluste für Entwicklungsländer «zum Erhalt der Reputation des Finanzplatzes Schweiz» In der Schweiz gibt es keine umfassenden Statistiken nötig ist, den steuerlichen Informationsaustausch auch über die Herkunft der ausländischen Vermögen. Die «Entwicklungsländern aller Entwicklungsstufen» zu Zahlen der Nationalbank sind hier unvollständig. Die gewähren.14 Erklärung von Bern berechnete 2008 die Höhe der Steu- erfluchtgelder aus Entwicklungs- und Schwellenländern in der Schweiz auf zwischen 360 und 1460 Milliarden «Oder beschränken wir die Weissgeld­ Franken10 Unbestritten ist, dass in den vergangenen strategie nur auf die Deutschen und die Jahren der prozentuelle Anteil der Gelder im Offshore- USA? Für Leute aus Afrika oder Asien Private Banking von ausserhalb der USA und Europas würde das dann nicht gelten? Das geht rasch zugenommen hat. Laut der Boston Consulting nicht.» Group stammten 2011 bereits 980 Milliarden Dollar aus Oswald Grübel, früherer CEO der CS und der UBS Asien, Lateinamerika, dem Nahen Osten und Afrika, al- so beinahe die Hälfte aller ausländischen Gelder in der Schweiz. Bei einem Schwarzgeldanteil von ebenfalls Im selben Bericht betont der Bundesrat aber, dass für 50 %, der für diese Länder eher zu tief sein dürfte, ergä- ihn Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) klar den Vor- be das 490 Milliarden Dollar Steuerfluchtgelder aus rang vor den für Entwicklungsländer geeigneteren Infor- Entwicklungs- und Schwellenländern. Allein auf den mationsabkommen (Tax Information Exchange Agree- Erträgen dieser Vermögen entgehen den Entwicklungs- ment, TIEA) haben (siehe Kapitel 4). Priorität soll und Schwellenländern damit mindestens 7,35 Milliar- zudem die Anpassung bestehender DBA haben. Die den Dollar 11, mehr als das Doppelte der Schweizer Ent- Schweiz muss jetzt rasch dafür sorgen, dass der fakti- wicklungshilfe (2011: 3,114 Mia. Dollar). Würde man sche Doppelstandard zwischen den OECD-Ländern und auch die bei der Entstehung dieser Vermögen hinter­ der grossen Mehrheit der Entwicklungs- und Schwel- zogenen Einkommenssteuern und allfällige Vermögens- lenländer in der Gewährung von steuerlich relevanten steuern berücksichtigen, wäre der Verlust noch viel Informationen aufgehoben wird. Sonst droht statt der grösser. Weissgeld- eine Zebra-Strategie: Weissgeld aus den OECD-Ländern und weiterhin Schwarzgeld vom Rest Die Zebra-Strategie hat keine Zukunft der Welt. Mit der Übernahme von Artikel 26 des OECD-Musterab- kommens über den Informationsaustausch auf Anfrage und mit den bilateralen Zugeständnissen an die USA ist die Schweiz von der absoluten Verweigerung der Amts- und Rechtshilfe bei Steuerhinterziehung abgerückt. In der Finanzmarktstrategie des Bundesrates von 200912 fehlen allerdings jegliche Überlegungen über die entwicklungspolitische Bedeutung der Steuereinnah- men, ja Entwicklungsländer kommen überhaupt nicht vor. Und auch im Weissgeld-Diskussionspapier wird le- diglich auf die Existenz einer Uno-Expertenkommissi- on verwiesen, die versuche, einen «Interessenausgleich zwischen den Industriestaaten sowie den Schwellen- und Entwicklungsländern zu erreichen»13. Erst mit der Beantwortung des Postulats 10.3880 der nationalrätli- chen Wirtschaftskommission anerkannte der Bundes- rat, dass es aus «entwicklungspolitischer Logik» und

10 EvB, Ein Elefant im Wohnzimmer, 2008, gingen, nahmen sie 2009 um 18,9 % politik der Schweiz, 2009. S. 17 – 20. und 2010 um 9,7 % zu. Trotzdem 13 Diskussionspapier des Bundesrates, 11 Für die Berechnung siehe EvB, Ein Ele­ ist denkbar, dass die durchschnittlichen Strategie für einen steuerlich konfor­ fant im Wohnzimmer, 2008, S. 22. Renditen auf undeklarierten Vermögen men und wettbewerbsfähigen Finanz­ Während die Vermögen der «High Net im Lauf der globalen Finanzkrise etwas platz, 2012, S. 21. Worth Individuals», also des typischen zurückgegangen sind. 14 Bericht des Bundesrates, Vor- und Kundensegmentes im Schweizer 12 Bericht des Bundesrates, Strategische Nachteile von Informationsabkommen Private Banking, im Jahr 2008 zurück­ Stossrichtungen für die Finanzmarkt­ mit Entwicklungsländern, 2012, S. 6. Steuern und Entwicklung © EvB_Alliance Sud_ Ju ni 2012 // 7

3. Doppelbesteuerungsabkommen

Seitdem sich die Schweiz am 13. März 2009 zu grösse- Der Bundesrat lehnte die Motion jedoch ab – und rer Steuertransparenz verpflichtete, hat sie 34 neue oder zwar mit der Begründung, selbstverständlich könnten revidierte Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) unter- auch die Entwicklungsländer von der Schweiz Doppel- zeichnet. Davon entsprechen 32 in Sachen Informati- besteuerungsabkommen mit erweiterter Amtshilfe ver- onsaustausch dem OECD-Mindeststandard.15 Das heisst: langen. Unerwähnt blieb in der bundesrätlichen Ant- Bei einem begründeten Verdacht auf Steuerhinterzie- wort allerdings, dass DBA für diese Länder ein hung sehen die Abkommen die internationale Amtshil- ausgesprochen unattraktives Mittel sind, um zur Steu- fe vor. Einfache Steuerinformationsabkommen (TIEA), eramtshilfe zu gelangen. die einen solchen Informationsaustausch auf Anfrage Das Problem von Doppelbesteuerungsabkommen ebenfalls regeln könnten, hat die Schweiz hingegen besteht darin, dass sie nicht in erster Linie die Amtshil- noch keine (siehe Kapitel 4). Der Grund dafür ist, dass fe regeln. Stattdessen beschränken sie vor allem die Hö- der Bundesrat 2009 festlegte, über die erweiterte Steu- he der Quellensteuern, welche die Partnerländer er­ eramtshilfe werde zunächst einmal nur im Rahmen von heben dürfen, wenn Schweizer Konzerne von ihren DBA verhandelt. dortigen Tochtergesellschaften Lizenzgebühren, Zins- Unter den 32 Ländern, mit denen die Schweiz bis zahlungen auf konzerninterne Kredite oder Dividenden jetzt OECD-konforme DBA unterzeichnet hat, finden erhalten. Für die Entwicklungsländer bringen solche sich inzwischen auch fünf Länder, die gemäss dem Ent- Steuern jedoch wichtige öffentliche Einnahmen, auf die wicklungskomitee der OECD als Entwicklungsländer sie kaum verzichten können. gelten. Die konkrete Auswahl ist allerdings bezeich- Ausserdem stellt der Internationale Währungs- nend, denn alle fünf Länder gehören zu den Schwellen- fonds fest, dass Quellensteuern auf Zinsen und Lizenz- ländern (den Upper-Middle Income Countries) und sind gebühren einen wichtigen Schutzwall gegen miss- für die Schweiz aussenwirtschaftlich bedeutend. Na- bräuchliche Gewinnverschiebung bilden: Sie mindern mentlich geht es um Indien, Kasachstan und Uruguay so- den Anreiz für multinationale Konzerne, ihre Gewinne wie um die beiden OECD-Mitglieder Mexiko und Türkei. über künstlich aufgeblähte interne Lizenzzahlungen Länder mit tiefem Einkommen sucht man auf der und Zinsen ins steuergünstigere Ausland zu verlagern Liste der Schweizer DBA mit erweiterter Amtshilfe hin- und so in den Entwicklungsländern die Gewinnsteuern gegen vergeblich. Mit Georgien und Tadschikistan unter- zu reduzieren oder ganz zu umgehen.16 Ärmere Länder schrieb die Schweiz noch im Jahr 2009 Abkommen, die haben darum ein begründetes Interesse, möglichst hohe keine Amtshilfe in Fällen von Steuerhinterziehung vor- Quellensteuern auf die Einkünfte ausländischer Inves- sehen. Tatsächlich haben von der neuen Schweizer Steu- toren zu erheben. eraussenpolitik also bis jetzt vor allem reiche Industrie- Die Schweizer Strategie, die in den Botschaften zu länder und eine Handvoll Schwellenländer profitiert. sämtlichen neuen DBA mit Entwicklungsländern ein- leitend festgehalten wird, geht hingegen genau in die Ungeeignete Abkommen andere Richtung: Sie besteht darin, «die Quellensteuer Die offensichtliche Vorzugsbehandlung wirtschaftlich auf Zinsen, Dividenden und Lizenzgebühren möglichst fortgeschrittener Länder in der Schweizer Finanzplatz- tief zu halten» (z.B. Botschaft zum DBA mit Indien) 17. und Steuerpolitik verletzt nicht zuletzt das Gebot der Dass die OECD-konforme Steueramtshilfe dabei als entwicklungspolitischen Kohärenz. Sie irritiert aber Druckmittel eingesetzt wird, um entsprechende Gegen- auch insofern, als die nationalrätliche Wirtschaftskom- forderungen durchzusetzen, geht nicht zuletzt aus dem mission bereits Ende 2009 vom Bundesrat verlangte, bundesrätlichen Diskussionspapier von 2012 für eine «für die künftigen Doppelbesteuerungsabkommen ein neue Weissgeldstrategie hervor. Dort bezeichnet der Konzept zur Wahrung der Gleichbehandlung der OECD- Bundesrat die erweiterte Amtshilfe ausdrücklich als Länder und der Entwicklungsländer zu erstellen» (Mo- «bedeutsamen Trumpf» (S. 22), um die Partnerländer in tion 09.3736). Damit sollte ein Ausschluss ärmerer Län- DBA-Verhandlungen zu Konzessionen zu bewegen. der eigentlich verhindert werden.

15 SIF, Schweizerische Doppelbesteuerungs­ 16 IMF, Revenue Mobilization in Developing 17 Botschaft des Bundesrat zum DBA mit abkommen: Stand 20. März 2012 Countries, 8. März 2011, § 57. Indien, BBI 2010 8827, S. 8829. Steuern und Entwicklung © EvB_Alliance Sud_ Ju ni 2012 // 8

Der Kuhhandel mit den Quellensteuern Mit wie viel Nachdruck die Schweiz diesen «Trumpf» einsetzt, zeigen die bisherigen Verhandlungsergebnis- se. Tatsächlich liegen in allen DBA, welche die Schweiz seit 2009 mit Entwicklungsländern unterzeichnet hat, die Quellensteuersätze für Lizenzgebühren und Zinsen unter den Sätzen, die sonst im Partnerland für solche Steuern vorgesehen sind. Ausserdem liegen die neu verhandelten Sätze bei den Quellensteuern auch unter dem Durchschnittswert aller Abkommen, welche die Schweiz vor dem März 2009 unterzeichnet hatte – als sie noch nicht gewillt war, die erweiterte Amtshilfe an- zubieten und dafür Quellensteuersenkungen zu verlan- gen (Tabelle 1).

Tabelle 1:

Schweizer DBA mit Entwicklungsländern: Quellensteuersätze (in %; Gruppendurchschnitte)

Dividenden aus: Direkt- Portfolio- investitionen investitionen Zinsen Lizenzen DBA vor März 2009 7 15 10 8 DBA nach März 2009 4 14 8 8

Quelle: Factsheet «Schweizer Steuerabkommen mit Entwicklungsländern»

Insgesamt macht es für die Entwicklungsländer also kaum Sinn, von der Schweiz neue oder revidierte Dop- pelbesteuerungsabkommen zu verlangen, um zur Amts- hilfe gegen die Steuerhinterziehung zu gelangen. Einer- seits ist die Amtshilfe auf Anfrage eine recht stumpfe Waffe im Kampf gegen die Steuerhinterziehung (siehe Box 1). Andererseits kann die Beschränkung der Quel- lensteuern, die mit solchen DBA einhergeht, für ärmere Länder zu beträchtlichen Steuereinbussen führen. Die Annahme, dass dafür mehr Direktinvestitionen in diese Länder fliessen würden, ist leider falsch. Eine wissenschaftliche Untersuchung der renommierten London School of Economics zeigt, dass DBA mit rei- chen Industrieländern nur den Schwellenländern einen Mehrzufluss an ausländischen Investitionen bescheren. Den ärmeren Ländern hingegen bringen DBA keine zu- sätzlichen Direktinvestitionen.18 Ihnen bleiben nur die Einnahmenverluste bei den Quellensteuern.

18 Eric Neumayer, Do treaties increase foreign direct investment to developing countries?, 2007. Steuern und Entwicklung © EvB_Alliance Sud_ Ju ni 2012 // 9

Box 1: Die Steueramtshilfe – ein Papiertiger

Die Amtshilfe in Steuerfragen exis­ von Steuersünden, die vor dem In­ Grundsätze der Verhältnismässigkeit­ tiert in verschiedenen Formen: auf krafttreten des Abkommens stattge­ und Durchführbarkeit. Anfrage, spontan oder automatisch. funden haben, und verhindern soge­ Für den ersuchenden Staat Die Schweiz wendet nur die Amtshil­ nannte «Fischzüge». Um von der bleibt es also schwierig, an Informa­ fe auf Anfrage an, diese aber je nach Schweiz Amtshilfe zu bekommen, tionen heranzukommen, die einen Partnerland und Steuer in unter­ müssen die ersuchenden Staaten Verdacht auf Steuerhinterziehung schiedlichen Varianten. Das Zinsbe­ denn auch sehr präzise Angaben begründen und erhärten könnten. steuerungsabkommen mit der EU machen: zur Untersuchungsperiode, Dies gilt insbesondere für Entwick­ und das 2004 abgeschlossene Be­ dem Zweck des Ersuchens und der lungsländer, deren Behörden über trugsbekämpfungsabkommen ent­ Art der verlangten Informationen. sehr begrenzte Ressourcen verfü­ halten bereits spezifische Amtshilfe­ Ursprünglich sollten ausserdem gen. Der sambische Finanzminister bestimmungen, insbesondere im auch Name und Adresse der unter­ stellte kürzlich lakonisch fest, leider Bereich der indirekten Steuern (z.B. suchten Person und der Schweizer habe er «keinen James Bond», um Mehrwertsteuern). Das Betrugsbe­ Bankbeziehung verlangt werden.** die Bankkonten in der Schweiz kont­ kämpfungsabkommen erstreckt die Nachdem die OECD diese beiden rollieren zu können.*** Möglichkeit der Amtshilfe auch auf Bedingungen als zu restriktiv kriti­ einfache Steuerhinterziehung und siert hatte, sah sich die Schweiz qualifiziert – gewissermassen in Vor­ am 13. Februar 2011 allerdings zu wegnahme der revidierten FATF- gewissen Lockerungen gezwungen: * Vgl. Xavier Oberson, La nouvelle Standards von 2012 – Steuerdelikte Seither sind Amtshilfegesuche im politique de la Suisse en matière als Vortaten zur Geldwäscherei.* Al­ Prinzip auch dann möglich, wenn d’échange de renseignements fiscaux, un an après, IFF-Forum für Steuerecht, lerdings hat die Schweiz hier genau­ die Identifikation des Verdächtigten 2010, S. 94 – 110. so wie in den neuen bilateralen Dop­ durch andere Mittel (etwa eine Kon­ ** Unter den Abkommen, die vor dem pelbesteuerungsabkommen (DBA) tonummer) erfolgt oder der Name 13. Februar 2011 unterschrieben wur­ seit dem 13. März 2009 die Politik der Bank unbekannt ist. Nur hat die den, gab es hierzu zwei Ausnahme­ verfolgt, die Amtshilfe an möglichst Schweiz hier beträchtlichen Inter­ bestimmungen: Art. 4, Ziffer a (i) des Zusatzprotokolls zum DBA mit den restriktive Bedingungen zu knüpfen. pretationsspielraum, denn sie kann USA und Art. 10 des Vertragszusatzes Die seither verhandelten DBA erlau­ solche Gesuche weiterhin zurückwei­ zum Abkommen mit Frankreich. ben keine nachträgliche Verfolgung sen – und zwar mit Verweis auf die *** L’Hebdo, 29.3.2012

4. einfache Steuerinformationsabkommen (TIEA)

Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) sind komplexe Es überrascht darum auch nicht, dass rund die Hälf- internationale Verträge, die neben der Amtshilfe gegen te aller Entwicklungsländer über keine oder lediglich die Steuerhinterziehung vor allem auch die Besteue- ein bis zwei Doppelbesteuerungsabkommen mit ande- rung von grenzübergreifenden Investitionen betreffen. ren Ländern verfügen. Mit der Schweiz haben bisher Sie bedingen deshalb langwierige und harte Verhand- nur 43 von insgesamt über 140 Entwicklungsländern lungen. Die Steuerbehörden der Entwicklungsländer ein DBA abgeschlossen19, und nur fünf davon sind haben jedoch in der Regel zu wenig Personal und Mit- OECD-konform. Um die Steueramtshilfe auf Anfrage zu tel, um solche schwierigen Verhandlungen zu führen. vereinbaren, braucht es allerdings nicht zwingend neue Ausserdem fehlt ihnen gegenüber mächtigeren Indus­ oder revidierte DBA. Solange die Schweiz nicht bereit trieländern das nötige politische Gewicht, um ihre Inte- ist, den Informationsaustausch auf automatischer Basis ressen zu verteidigen. einzuführen, sollte sie mit den Entwicklungsländern Steuern und Entwicklung © EvB_Alliance Sud_ Ju ni 2012 // 10

auch einfache Steuerinformationsabkommen (TIEA: Die neue Schweizer Strategie Tax Information Exchange Agreements) abschliessen. Seit der Kritik des Global Forum hat sich die offizielle Darüber hinaus könnte sie die gemeinsame multilatera- Schweizer Haltung gegenüber TIEA etwas geändert. Im le Amtshilfekonvention der OECD und des Europarates Bericht «Vor- und Nachteile von Informationsabkom- unterschreiben (siehe Box 2). men mit Entwicklungsländern» vom 4. April 2012 hat der Bundesrat Bereitschaft signalisiert, die erweiterte Was sind TIEA? Amtshilfe mit ärmeren Ländern zukünftig auch über TIEA sind vergleichsweise einfache bilaterale Verträge, solche einfachen Abkommen statt nur über komplexe die im Gegensatz zu Doppelbesteuerungsabkommen DBA zu vereinbaren. Damit ist eine wichtige Barriere ausschliesslich den Informationsaustausch in Steuer- auf dem Weg zur Steuertransparenz im Prinzip endlich fragen regeln. Wie für DBA gibt es dazu ein internatio- abgeschafft. nal anerkanntes Musterabkommen. Dieses wurde 2002 Problematisch am neuen bundesrätlichen Vorgehen von der OECD Global Forum Working Group on Effecti- ist jedoch, dass weiterhin nur ein Teil aller Entwick- ve Exchange of Information entwickelt, um Ländern, lungsländer in den Genuss einfacher TIEA gelangen für die DBA nicht in Frage kommen, dennoch ein Mit- soll. Gemeint sind diejenigen Länder, die für Schweizer tel gegen die internationale Steuerhinterziehung an die Konzerne uninteressant sind und mit denen darum kei- Hand zu geben. Materiell entsprechen die Bestimmun- ne bisherigen Doppelbesteuerungsabkommen bestehen. gen des Musterabkommens für TIEA dem Artikel 26 des Immerhin 37 Entwicklungsländer sollen die erweiterte OECD-Mustervertrags für Doppelbesteuerungsabkom- Amtshilfe weiterhin nur erhalten, wenn sie sich auf men. Das heisst: Die Anforderungen an Amtshilfegesu- eine Revision der bereits bestehenden DBA einlassen. che sind genauso hoch und stellen die ersuchenden Dabei laufen sie Gefahr, von der Schweiz zu Konzes­ Steuerbehörden vor die selben Hindernisse wie diejeni- sionen bei der Besteuerung multinationaler Unter­ gen, welche die Schweiz in ihren jüngsten DBA vor- nehmen gezwungen zu werden (siehe vorangehendes sieht (siehe Box 1 zum vorangehenden Kapitel). Kapitel). Betroffen sind auch zahlreiche Fokusländer Trotzdem weigerte sich der Bundesrat lange Zeit, in der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit (darunter Verhandlungen über TIEA einzusteigen. Der Peer Re- Bangladesch, nahezu alle Empfängerländer der Transi- view-Bericht des OECD Global Forum on Transparency tionshilfe und sämtliche Schwerpunktländer der Ent- and Exchange of Information kritisiert (§ 283), dass die wicklungszusammenarbeit des Seco). Schweiz trotz ihres Bekenntnisses zu grösserer Steuer- transparenz in mindestens einem Fall ein Verhand- lungsgesuch abblockte und stattdessen auf die Möglich- keit einer DBA-Revision verwies. Es dürfte sich bei diesem Fall um Argentinien gehandelt haben, das An- fang 2012 die Anwendung des bisherigen DBA stoppte und erneut TIEA-Verhandlungen forderte.20

«Weil Verhandlungen über DBA zeitauf­ wendig sind, kann die Entwicklung eines effektiven Informationsaustauschs dadurch verzögert werden. ...Auf Indiens Initiative hin...ist es inzwischen zum globalen Standard geworden, dass ein Land nicht auf einem DBA beharren kann, sondern ein TIEA abschliessen muss, wenn das andere Land dies verlangt.» Weissbuch «Black Money» des indischen Finanz­ ministeriums, Mai 2012, S. 29

19 Der Bundesrat listet von diesen 43 Ab­ nur 37 auf. Verschiedene Länder, die vom in der Liste des Bundesrates. kommen mit Entwicklungsländern im Be­ Entwicklungsausschuss der OECD 20 Ernst & Young, International Tax Alert, richt «Vor- und Nachteile von Informati­ (OECD-DAC) zu den Entwicklungsländern 14. Februar 2012 onsabkommen mit Entwicklungsländern» gezählt werden, fehlen ohne Begründung Steuern und Entwicklung © EvB_Alliance Sud_ Ju ni 2012 // 11

Box 2: Die multilaterale Amtshilfekonvention OECD/Europarat

Die gemeinsame multilaterale Amts­ unterschrieben. Der Grund dafür ist, schan, Costa Rica und Moldova der hilfekonvention der OECD und des dass die Konvention nicht nur den Konvention angeschlossen. Wie vie­ Europarates war in ihrer ursprüngli­ Informationsaustausch auf Anfrage, le weitere Länder ihnen folgen wer­ chen Fassung von 1988 nur den Mit­ sondern in gewissen Fällen auch die den, bleibt abzuwarten. Weil die Ge­ gliedstaaten dieser beiden Organi­ spontane Amtshilfe vorschreibt, und neralsekretäre der OECD und des sationen vorbehalten. Seit der Revi­ dass Gruppenanfragen nicht aus­ Europarates die Einladung zum Bei­ sion im Jahr 2010 können jedoch drücklich ausgeschlossen werden. tritt an die Bedingung knüpfen kön­ auch Entwicklungsländer dem Rah­ Allerdings hält der Bundesrat in sei­ nen, dass das unterzeichnende Land menabkommen beitreten. Sie müs­ nem Diskussionspapier zur Weiss­ auch Mitglied im Global Forum on sen sich allerdings beim Generalse­ geldstrategie fest, dass das Abkom­ Transparency and Exchange of In­ kretär der OECD oder demjenigen men inzwischen von den meisten formation wird, ist dies mit beträcht­ des Europarats um eine Einladung Mitgliedern der G-20 unterzeichnet lichen Kosten verbunden. Ein Bei­- bewerben. Voraussetzung für den worden ist und darum international tritt der Schweiz zum multilateralen Beitritt eines Neumitgliedes ist, dass massiv an Bedeutung gewinnen Amts­hilfeabkommen wäre also zu ihm die bisherigen Mitglieder im wird. begrüssen, würde aber kurzfristig Konsens zustimmen. Seitens der Entwicklungsländer nur wenigen zusätzlichen Entwick­ Die Schweiz hat die multilatera­ haben sich bis jetzt neben den G-20 lungsländern die erweiterte Amts­ le Konvention und das neue Revisi­ Ländern Argentinien, Brasilien, In­ hilfe bescheren. onsprotokoll von 2010 bisher nicht dien und Indonesien erst Aserbaid­

5. Quellenbesteuerung – mit oder ohne Abgeltung

Die Amtshilfe auf Anfrage ist ein wichtiger Schritt hin Diverse Vorteile zu grösserer Steuertransparenz. Sie bietet den Entwick- Die bisherigen Erfahrungen mit dem EU-Zinsbesteue- lungsländern jedoch keine Garantie, dass undeklarierte rungsabkommen sind mehrheitlich positiv. Sie haben Vermögen in der Schweiz tatsächlich entdeckt und be- gezeigt, dass die Einführung eines Steuerrückbehalts steuert werden können. Bis die Schweiz bereit ist, auch nicht zu einer vollständigen Verlagerung undekla- den automatischen Informationsaustausch einzuführen, rierter Vermögen von der Schweiz auf andere intranspa- braucht es für diese Länder deshalb eine zusätzliche rente Finanzplätze führt.22 steuerpolitische Hilfestellung: einen vorsorglichen Analoge Abkommen mit Entwicklungsländern wä- Steuerrückbehalt auf undeklarierte Vermögenserträge. ren dringend angezeigt. Sie hätten zwei wesentliche Gegenüber der EU hat die Schweiz ein solches Sys- Vorteile: tem der vorsorglichen Quellenbesteuerung schon längst eingeführt. Mit dem 2005 in Kraft getretenen Zinsbe- – Das Steuereinkommen würde direkt in die Staatskas- steuerungsabkommen erheben Schweizer Zahlstellen sen der betroffenen Länder fliessen, ohne dass dafür (Banken und Vermögensverwalter) auf die Zinseinkünf- aufwendige Amtshilfegesuche gestellt werden müss- te EU-Steuerpflichtiger eine Quellensteuer von aktuell ten. (Die Vermögenswerte selbst würden allerdings 35 %. Drei Viertel der Einnahmen werden dem Wohn- unbesteuert bleiben, ebenso wie undeklarierte Ein- sitzland übermittelt, das restliche Viertel behält die kommen, die zum Aufbau dieser Vermögen geführt Schweiz für sich. Im Jahr 2011 flossen so insgesamt haben. Die Quellenbesteuerung der Erträge wäre des- 329,9 Millionen Franken an die EU-Staaten zurück.21 halb auch kein Ersatz für den Informationsaustausch.)

21 EFD, Medienmitteilung vom 25. Mai 2012. einkommen bezieht, bietet es allerdings Europäischen Zinsbesteuerungsrichtlinie 22 Weil sich das bestehende Abkommen nur beträchtliche Schlupflöcher. Das wird und der Anpassung des Abkommens mit auf natürliche Personen und deren Zins­ sich erst nach der laufenden Revision der der Schweiz ändern. Steuern und Entwicklung © EvB_Alliance Sud_ Ju ni 2012 // 12

– Aufgrund der übermittelten Steuereinnahmen hätten Für eine solche «Weisswaschklausel» gibt es aus die betroffenen Länder erstmals die Möglichkeit, den entwicklungspolitischer Sicht keinen vernünftigen Umfang der undeklarierten Vermögensbestände in Grund. Sinnvoller wäre es, den Entwicklungsländern der Schweiz realistisch einzuschätzen. Das würde lo- analog zur EU eine Quellensteuer ohne abgeltende Wir- kalen Kräften, die sich für grössere Steuergerechtig- kung anzubieten. Dabei wird allerdings zweierlei zu be- keit einsetzen, einen wichtigen Auftrieb geben. rücksichtigen sein:

Beim Zinsbesteuerungsabkommen mit der EU können – die laufende Revision der EU-internen Zinsbesteue- die ausländischen Steuerpflichtigen ihre Vermögens­ rungsrichtlinie. Sie wird über kurz oder lang dafür erträge freiwillig offenlegen. Damit fällt der Steuer­ sorgen, dass das schweizerische Zinsbesteuerungsab- rückbehalt für ehrliche SteuerbürgerInnen weg. Von der kommen mit der EU neben den Zinseinkommen na- Quellensteuer sind also nur die Erträge auf undeklarier- türlicher Personen auch andere Vermögenserträge so- te Vermögen betroffen. wie gewisse juristische Konstruktionen (z.B. Trusts) erfasst (und damit mindestens den selben materiellen Taten statt Worte Geltungsbereich erlangt wie die bilaterale Abgel- 2008 gab die damalige Schweizer Aussenministerin Mi- tungssteuer). Neue Quellenbesteuerungsabkommen cheline Calmy-Rey an der Uno-Konferenz zur Entwick- mit Entwicklungsländern sollten die von der EU ver- lungsfinanzierung bekannt, die Schweiz sei für eine langten Ergänzungen entweder bereits vorwegneh- Ausdehnung der Zinsbesteuerung auf Staaten ausser- men oder zumindest eine Meistbegünstigungsklausel halb der EU durchaus offen.23 Im Mai 2009 bekräftigte enthalten. der Bundesrat dieses Bekenntnis nochmals. Er betonte – die Gefahr, dass die Steuererträge in die Hände hoch- gegenüber dem Parlament seine Bereitschaft, auch mit korrupter oder diktatorischer Regime gelangen. Sie Entwicklungsländern über eine solche Lösung zu ver- kann vermieden werden, wenn die Steuereinnahmen handeln.25 Gleichzeitig machte er aber deutlich, in die- wo nötig nicht in die Staatskasse der betroffenen Län- ser Sache nicht selbst aktiv werden zu wollen. Das Pro- der fliessen, sondern in Fonds für klar umrissene jekt verschwand deshalb von der politischen Agenda, Entwicklungsprojekte. Solche Fonds hat die Schweiz noch bevor die Entwicklungsländer überhaupt davon bereits bei der Entschuldungsinitiative Anfang der erfahren hatten. 1990er-Jahre eingesetzt und dafür grosse internatio- In Indien zum Beispiel erfuhr die Öffentlichkeit nale Anerkennung erlangt. erst Mitte 2011 von der Möglichkeit eines Zinsbesteue- rungsabkommens mit der Schweiz.25 Zu dieser Zeit wa- ren die Schweizer Behörden allerdings bereits damit beschäftigt, mit ausgewählten EU-Staaten über eine mögliche Abgeltungssteuer zu diskutieren. Regierungs- nahen Kreisen zufolge schätzte Indien diesen Zeit-­ punkt als ausgesprochen ungünstig ein, um von der Schweiz ein Zinsbesteuerungsabkommen zu verlangen, das nicht in Richtung Abgeltungssteuer gegangen wäre.

Quellenbesteuerung ohne Abgeltungscharakter Die Abgeltungssteuerabkommen, welche die Schweiz inzwischen mit verschiedenen europäischen Ländern vereinbart hat, haben gegenüber dem Zinsbesteuerungs- abkommen mit der EU zwei wesentliche Vorteile. Einer- seits gelten sie nicht nur für Zinseinkünfte, sondern auch für andere Vermögenserträge. Andererseits erlau- ben sie auch eine rückwirkende Besteuerung undekla- rierter Vermögen aus der Vergangenheit. Gleichzeitig sehen sie aber vor, dass undeklarierte Vermögen und Erträge damit als steuerlich abgegolten, also «weissge- waschen» gelten sollen.

23 International Conference on Financing 24 Ip. 09.3325: Antwort des Bundesrates for Development, Statement of Switzer­ vom 20. Mai 2009. land, 30. November 2008. 25 The Hindu, 4. Juni 2011, S. 1 Steuern und Entwicklung © EvB_Alliance Sud_ Ju ni 2012 // 13

6. Automatischer Informationsaustausch

Nur der automatische Informationsaustausch verdient ko und die USA tauschen bereits automatisch Angaben die Bezeichnung «Weissgeldstrategie». Er ist das einzige über Dividendeneinkommen aus, Mexiko möchte dies System, das garantiert, dass im Ausland angelegte Ver- auch auf Zinserträge von Privatpersonen ausweiten. mögen nach den Regeln, den Steuersätzen und der Pro- – Die USA führen mit dem Foreign Account Tax Compli- gression des Herkunftslandes besteuert werden können. ance Act (FATCA) den automatischen Informationsaus- Das Steuergeheimnis bleibt dabei gewahrt, denn der tausch unilateral ein. Auch Schweizer Banken werden Austausch erfolgt nur zwischen den Steuerbehörden. ab 2013 in bestimmten Fällen dem US-Steueramt Infor- Zuerst benachrichtigt beispielsweise eine Bank im Land mationen liefern müssen, andernfalls werden sie mit ei- A die eigene Steuerbehörde über Konteninhaber, die in ner prohibitiven Strafsteuer belegt. Deutschland, Frank- den Ländern B und C wohnhaft sind. Die Steuerbehörde reich, Grossbritannien, Italien und die Niederlande des Landes A sortiert dann die Informationen nach den verhandeln mit den USA über ein multilaterales Sys- Wohnsitzländern der Konteninhaber. In einem zweiten tem des Informationsaustauschs, das den dortigen Ban- Schritt werden diese Informationen verschlüsselt und ken eine erleichterte FATCA-Umsetzung bringen wird. im Paket an die Steuerbehörden der Wohnsitzländer B oder C übermittelt. Gleichzeitig erhält Land A von den Scheinargumente Ländern B und C ähnliche Informationspakete. Die emp- Die Argumente gegen den automatischen Informations- fangende Steuerbehörde entpackt dann diese Daten. In austausch stechen nicht: einem föderalen Steuersystem werden die Informatio- «Gläserner Bürger» / Datenschutz: Wie oben erläu- nen an die zuständigen Departemente oder Bundes­ tert fliessen Informationen nur zwischen autorisier­- länder der Steuerpflichtigen weitergeleitet. ten Steuerbehörden. In der Schweiz wäre also bereits In der EU ist mit der Zinsbesteuerungsrichtlinie der die Mehrheit der Lohnabhängigen «gläsern», denn die automatische Informationsaustausch für alle Länder Steuerbehörden sind mit dem Lohnausweis genaues- (ausser Österreich und Luxemburg, die eine Übergangs- tens über deren Einkommensverhältnisse informiert. In lösung herausgehandelt haben) bereits Realität. Hier einigen Kantonen (u.a. Bern, beide Basel, Luzern und findet der Informationsaustausch über ein verschlüssel- Waadt) geschieht dies sogar automatisch: Die Lohnein- tes E-Mail-System mindestens zweimal jährlich statt. kommen werden hier direkt ans Steueramt gemeldet. Das System wird von der EU-Kommission bereitgestellt Und wenn eine Pensionskasse Alterskapital auszahlt und betreut. Die EU-Kommission hat aber auf diese Da- oder eine Rente entrichtet, meldet sie das der eidgenös- ten keinen Zugriff, und die Informationen werden nir- sischen Steuerverwaltung, welche die Meldung dann gendwo zentral gespeichert. Es kommt zu keiner Super- an den betroffenen Kanton weiterleitet. Es gibt ihn also Datenbank, sondern der Informationsaustausch erfolgt bereits, den «automatischen Informationsaustausch», bilateral. Für die elektronische Abwicklung des Infor- aber eben nur im Inland und nur für Arbeits- aber nicht mationsaustausches, also die technischen Details, hat für Kapitaleinkommen. die OECD bereits detaillierte Vorlagen ausgearbeitet. Der automatische Informationsaustausch wird auch ausserhalb der EU praktiziert: «Die G-20-Länder sollten vorangehen und den automatischen Informationsaus­ – Zur EU-Zinsrichtlinie gehören Verträge mit 15 Dritt- tausch untereinander beschliessen, und staaten, von denen sieben den automatischen Infor- zwar unabhängig von künstlichen ver­ mationsaustausch enthalten (Anguilla, Aruba, British gangenen oder gegenwärtigen Unter­ Virgin Islands, Guernsey, Isle of Man, Caiman Islands, scheidungen zwischen Steuerbetrug und Montserrat). Steuerhinterziehung – im Geist unseres – Seit 1991 besteht zwischen Dänemark, Finnland, Is- Londoner Gipfels, dass ‹das Zeitalter des land, Norwegen und Schweden eine multilaterale Bankgeheimnisses vorbei ist›.» Konvention zur Amtshilfe in Steuerfragen, die den Manmohan Singh, indischer Premierminister, 2011 automatischen Austausch von Informationen über Dividenden, Zinsen, Immobilieneigentum, Lizenzge- bühren, Löhne und Gehälter, Honorare, Pensionen Datenflut: Die Daten werden elektronisch überwiesen und Versicherungen beinhaltet. und können ebenso wie andere grosse Datenmengen – Mexiko und Kanada bzw. Mexiko und die USA: Mexi- von den Steuerämtern elektronisch bearbeitet werden. Steuern und Entwicklung © EvB_Alliance Sud_ Ju ni 2012 // 14

Dazu sind auch die Entwicklungsländer in der Lage. Entwicklungsländern sollten kooperieren, um die Vor- Die meisten unter ihnen haben an Flughäfen ein Pass- teile und die Herausforderungen des automatischen kontrollsystem, das in Echtzeit alle Reisepässe mit sen- Informationsaustauschs und der Transparenz über wirt- siblen Interpol-Fahndungslisten abgleicht. Das zeigt, schaftliche Berechtigte herauszuarbeiten.»27 Die Rechts­ dass auch ärmere Länder mit komplexen elektroni- ­taatlichkeit und die Einhaltung der Menschenrechte schen Datenbanken und sensiblen Daten umgehen müssen bei der Einbeziehung von Entwicklungs- und können. Einer der grössten Effekte ist allerdings die Ab- Schwellenländern selbstverständlich mitbeachtet wer- schreckung. Studien des US-amerikanischen Inland den. Ein multilaterales Regime des automatischen zeigen, dass die Befolgung von Steuer- Informationsaustauschs könnte aber nicht nur die Ein- gesetzen um über 40 % steigt, wenn eine minimale au- nahmen zur Entwicklungsfinanzierung steigern, son- tomatische Meldekomponente existiert.26 dern auch die Qualität der Regierungsführung und die Auch für Entwicklungs- und Schwellenländer ist Rechenschaftspflicht gegenüber der Bevölkerung ver- der automatische Informationsaustausch das wirksams- bessern. Würde die Schweiz ihre grundsätzliche Ab­ te Mittel gegen die Steuerflucht von Privatpersonen. So lehnung gegen wirkungsvolle Kooperation in Steuerfra- sagte der Chefbeamte des britischen Finanzministeri- gen aufgeben, so könnte sie die neuen Regeln aktiv ums an der OECD Tax & Development Conference 2010: mitgestalten. Sie wäre dann auch in einer Position, um «Informationsaustausch muss das Ziel sein, auf das wir sich gegen andere Steuerschlupflöcher, beispielsweise uns zubewegen. Die Regierungen von Industrie- und angelsächsische Trusts, starkzumachen.28

7. Steuervermeidung von Unternehmen

«Es gehört zu den Merkmalen des heutigen Systems, nach Nigeria importiert wurden.31 Wird bei solchen dass Unternehmen (…) ihre Steuerlast international op- Transaktionen eine Tochtergesellschaft in einer Steuer- timieren», sagte Paul Inderbinen vom Eidgenössischen oase zwischengeschaltet, so fällt der Grossteil des Ge- Finanzdepartement 2002 an einem Treffen mit einer winns dort und damit steuerfrei an. Gruppe von ParlamentarierInnen.29 Daran hat sich bis heute nichts geändert. 40 bis 60 Prozent des Welthandels Viele Wege zum selben Ziel werden nicht zwischen unabhängigen Unternehmen ab- Weil inzwischen viele Steuerbehörden verlangen, dass gewickelt, sondern innerhalb multinationaler Konzer- für konzerninterne Transaktionen Marktpreise verrech- ne.30 Der Begriff «» meint die normale net werden, wird die Profitverlagerung durch Preismani- Festsetzung von Preisen für diesen konzerninternen pulationen von Handelsgütern zunehmend schwieriger. Handel. Er wird aber auch häufig verwendet, um die Ma- Konzerne haben aber eine ganze Reihe weiterer Möglich- nipulation solcher Preise zu bezeichnen (auch: «Abusi- keiten, Gewinne in Steueroasen anfallen zu lassen (sie- ve Transfer Pricing» oder «Transfer Mispricing»). Ziel he Tabelle 2). Dazu gehören u.a. Zahlungen für Patente dieser Manipulationen ist, die Erträge zu vermindern und Markenrechte, für die es keinen freien Markt und oder die Kosten aufzublasen und so Steuern zu vermei- deshalb auch keine Vergleichspreise gibt. Ein Experten- den. Hinweise darauf finden sich manchmal in den Han- bericht des US-Repräsentantenhauses summiert das delsstatistiken: beispielsweise beim von Cashew- Verhalten der Unternehmen wie folgt: «(Diese Firmen) nüssen aus Nigeria in die USA zu 50 Cents pro Kilo, haben eine Konzentration der profitableren Aktivitäten während ihr Wert 5 Dollar pro Kilo betrug. Oder Glas­ in ausländischen Rechtsräumen, in denen der durch- faserkabel, die 6 Dollar Wert waren und für 1372 Dollar schnittliche Steuersatz gering ist, und eine Konzentrati-

26 IRS, Tax Gap for the Year 2006, 2012, S. 3. 29 Memo Parlamentariergruppe Suisse- 31 Christian Aid, Death and taxes: The true 27 Stephen Timms, HM Treasury OECD Solidarité internationale, Treffen vom toll of tax dodging, 2008, S. 9. Tax & Development Conference, Paris, 23.9.2002 zum Thema «Probleme 27 January 2010, S. 3. Internationaler Steuerflucht» 28 Siehe unser Factsheet zur Rolle von Trusts. 30 OECD, OECD Observer 230, Januar 2002. Steuern und Entwicklung © EvB_Alliance Sud_ Ju ni 2012 // 15

on ihrer weniger profitablen Aktivitäten in Rechtsräu- «Aggressive Steuervermeidung ist ein men, in denen der durchschnittliche Steuersatz höher ernsthaftes Krebsgeschwür im Steuer­ ist.» 32 In drei von sechs untersuchten Fällen des Be- substrat vieler Länder.» richts kommen auch Firmenkonstrukte in der Schweiz Pravin Gordhan, südafrikanischer Finanzminister prominent zum Einsatz.

Die Rolle der Schweiz In jüngster Zeit mehren sich die Fälle, in denen Unter- Die Kantone bieten internationalen Konzernen eine Rei- nehmen den Standort Schweiz nutzen, um Steuerver- he von massgeschneiderten günstigen Steuerregeln für meidung auf Kosten von Entwicklungsländern zu be- die Minimierung ihrer weltweiten Zahlungen (Holding-, treiben: gemischte und Domizilgesellschaften). Durch den Betei- – Trotz rekordhohen Kupferpreisen hat die sambische ligungsabzug wird bei den Erträgen der ausländischen Tochterfirma Mopani des Zuger Rohstoffkonzerns Tochtergesellschaften von Holdings auch die Bundes- Glencore von 2000 bis 2008 immer nur Verluste aus- steuer reduziert. Das führt zu einer fast vollständigen gewiesen und deshalb nie Gewinnsteuern bezahlt. Steuerbefreiung. Externe Auditoren fanden eine ganze Reihe von Un- Diese Bedingungen sind sehr attraktiv, allein seit regelmässigkeiten, darunter grundlos aufgeblasene 2003 haben über 300 Firmen ihr Hauptquartier in die Betriebskosten.36 Schweiz verlegt.33 Dank den sehr niedrigen effektiven – Der in London kotierte SABMiller-Konzern vermeidet Steuersätzen von 1,5 bis max. 10 %34 (vgl. z.B. USA: mit Tochtergesellschaften in Steueroasen Steuerzah- 35 %) lohnt es sich für ausländische Unternehmen, so lungen in Afrika und Indien. In den Bilanzen von viel Gewinn wie möglich in den Schweizer Gesellschaf- afrikanischen SABMiller-Tochtergesellschaften tau- ten anfallen zu lassen. chen immer wieder beträchtliche Zahlungen für Managementdienstleistungen an Tochtergesellschaf- Verluste von Entwicklungsländern ten in Zug auf, für die es keine reale Gegenleistung Internationale Entwicklungsorganisationen schätzen gibt. Afrikanischen Ländern entgehen dadurch jähr- die Verluste von Entwicklungsländern durch die aggres- lich fast 12 Millionen Franken an Steuereinnahmen.37 sive Steuervermeidung von Unternehmen auf bis zu – Der in Brasilien wegen aggressiver Steuervermeidung 160 Milliarden Dollar pro Jahr.35 Im Vergleich dazu be- und in der Schweiz wegen Verletzung der Regeln des trug die weltweit geleistete Entwicklungshilfe 2011 total Bonny-Beschlusses angeklagte Rohstoffkonzern Vale 125 Milliarden Dollar. Das von der OECD propagierte sammelt in seiner steuerbegünstigten Tochtergesell- Mittel gegen missbräuchliches Transfer Pricing, der so- schaft im waadtländischen St-Prex einen Teil seiner genannte Fremdvergleichsansatz (Arms-Length-Princip- weltweiten Einkünfte. Zudem wird die Schweiz laut le), ist generell wenig wirksam und für Entwicklungslän- Medienberichten auch für die Vermeidung von Li- der nicht praktikabel (siehe dazu unser Factsheet). zenzgebühren in Brasilien genutzt.

Tabelle 2: Aktivitäten in niedrig und normal besteuerten Gebieten

Niedrige/keine Steuern Normale Unternehmenssteuern Konzernstruktur Holding Tochtergesellschaft Finanzierung Vergabe von Krediten, Kreditnehmer, «Thin Capitalisation» konzerninterne Finanzierungen konzerninterne Schulden Patente Besitz von Patentrechten Nutzung von Patentrechten Markenrechte Besitz von Markenrechten Nutzung von Markenrechten Leasing (z.B. Maschinen) Leasinggeber Leasingnehmer Managementdienstleistungen Anbieter von Managementdienstleistungen Nutzung von Managementdienstleistungen (Rück)Versicherung Anbieter von konzerninternen Versicherungsnehmer

«Captive Insurance» Versicherungsleistungen Quelle: Eigene Zusammenstellung

32 House Committee on Ways and Means 34 KPMG, Investment in , Report – Mopani Copper Mines Plc., 2010, S.103. 2012, S. 40. 2010. 33 Arthur D. Little, Headquarters on the 35 Christian Aid, False profits, 2009, S. 3. 37 Action Aid, Calling time, 2010, S. 6. Move, 2009, S. 7. 36 Grant Thornton, Econ Pöyry, Pilot Audit Steuern und Entwicklung © EvB_Alliance Sud_ Ju ni 2012 // 16

Die kantonalen Sonderregeln für Unternehmen sind Dreyfus) das Doppelbesteuerungsabkommen mit der schon länger im kritischen Visier der EU. Aber auch für Schweiz einseitig aufgekündigt. Schliesslich untersucht Entwicklungsländer kommen sie zunehmend ins Blick- das International Development Committee des briti- feld. So hat kürzlich Argentinien nach verschiedenen schen Parlaments den Mopani/Glencore-Fall. Ohne ent- Steuerskandalen von in der Schweiz ansässigen Roh- schiedenes Handeln werden neue Fälle den Ruf der stoff- (Xstrata) und Agrarhandelsfirmen (Bunge, Louis Schweiz weiter beschädigen.

Box 3: Besteuerung nach Substanz: Country-by-Country Reporting

Als Schritt in Richtung einer Besteu­ se Zahlen intern bereits erfasst wer­ rency Directive) Anstrengungen, die erung von multinationalen Unter­ den. Aggressive Steuervermeidung Unternehmen dieses Sektors zur nehmen, die der Wertschöpfung in käme so ans Licht: Eine Tochterge­ länderweisen Aufschlüsselung aller den jeweiligen Ländern ent­spricht, sellschaft auf den Cayman Islands, Zahlungen an Regierungen offenzu­ hat das internationale Tax Justice die ohne Personal 10 Prozent des legen. Diese Teilaufschlüsselung ist Network die länderweise Aufschlüs­­ Konzerngewinns «erwirtschaftet», zwar noch nicht ausreichend, um die selung der Konzernrechnung (Coun­ würde sofort als Briefkastenfirma er­ aggressive Steuervermeidung zu be­ try-by-Country Reporting) vorge­ kannt, die nur der steuerfreien Ver­ kämpfen, aber sie wäre ein wichtiges schlagen. Heute werden die Rech­ buchung dient. Instrument gegen Korruption und nungen von multinationalen Konzer­ Das Prinzip der länderweisen Veruntreuung von Rohstofferträgen nen nur konsolidiert veröffentlicht, Aufschlüsselung beginnt sich lang­ durch die Verantwortlichen in den d.h., die Zahlen der manchmal über sam durchzusetzen. Das Internatio­ Förderländern. In der Schweiz be­ tausend Tochtergesellschaften – vie­ nal Accounting Standards Board, ein wegt sich hingegen noch gar nichts. le davon in Steueroasen – werden privatwirtschaftliches Organ, das In der Beantwortung einer Interpel­ zusammengerechnet. Normen zur Rechnungslegung fest­ lation* schrieb der Bundesrat, die Beim Country-by-Country Re­ legt, empfiehlt in einer Studie von Rechnungslegungsgrundsätze seien porting werden Angaben zu Umsatz, 2010, die länderweise Aufschlüsse­ ausreichend, und verwies auf den Gewinn, Lohn- und Finanzierungs­ lung der Reserven und der Produk­ problematischen Fremdvergleichs­ kosten sowie Steuerzahlungen für tionsvolumen für Bergbau und Öl­ ansatz.** alle Tochtergesellschaften länder­ unternehmen. Ebenfalls für den Be­ * Chiara Simoneschi-Cortesi: Ip. 10.3364: weise aufgeschlüsselt veröffentlicht. reich der Rohstoffförderung laufen OECD-Leitsätze für multinationale Dies bedeutet für die Unternehmen in den USA (Dodd-Frank-Gesetz, Unternehmen. Country by Country keinen zusätzlichen Aufwand, da die­ Section 1504) und der EU (Transpa­ ** Siehe dazu unser Factsheet.

8. Steuern und Entwicklung: die internationale Agenda

Seit dem Konsensus von Monterrey 2002 (siehe Einlei- nahmen gefordert. Im Jahre 2008 unterstrich beispiels- tung) wurde auf internationaler Ebene immer wieder weise die Uno-Generalversammlung die Notwendigkeit prominent auf die Bedeutung der Mobilisierung einhei- der Bekämpfung der Steuerflucht und die Wichtigkeit mischer Ressourcen für die Entwicklung südlicher Län- von Steuersystemen, die den Bedürfnissen der armen der hingewiesen. Ganz konkret wurden mehr Steuerein- Bevölkerung entgegenkommen.38 Im folgenden Jahr dis-

38 Uno, UN Resolution adopted by the General Assembly 63/239, 2009, Paragraph 16. Steuern und Entwicklung © EvB_Alliance Sud_ Ju ni 2012 // 17

kutierte die Uno die Auswirkungen der Finanzkrise auf Beispielsweise wird in den Länderevaluationen über- Entwicklungsländer. Sie forderte dabei unter anderem haupt nicht danach gefragt, ob die untersuchten Indus- mehr Regulierung und Transparenz für Steueroasen und trieländer einen effektiven Informationsaustausch auch Finanzzentren. Ebenso sollten die internationalen Stan- mit Entwicklungsländern etabliert haben.40 dards für den Austausch von Steuerinformationen um- Nicht zuletzt wegen dieser Einseitigkeit des OECD- fassend umgesetzt werden.39 Seither sind eine Vielzahl Ansatzes verlangte das Europäische Parlament in einer neuer Initiativen zum Themenkomplex Steuern und Resolution 2011 die Ausweitung des automatischen In- Entwicklung ins Leben gerufen worden. formationsaustausches auf Entwicklungsländer.41

Die OECD und ihr Musterabkommen Das Uno-Steuerkomitee Von allen internationalen Organisationen, die sich mit Das Uno-Steuerkomitee (mit voller Bezeichnung «Com- Steuerfragen befassen, hat die OECD in den vergangenen mittee of Experts on International Cooperation in Tax Jahren am meisten Aufmerksamkeit erhalten. Ihr Zent- Matters») ist ein Unterorgan des Wirtschafts- und Sozi- rum für Steuerpolitik und Steuerverwaltung erarbeitet alrats (ECOSOC). Es ist bisher das einzige internationale und publiziert Empfehlungen zur Festsetzung von Ver- Gremium zu Steuerfragen, in dem sich die Entwick- rechnungspreisen von multinationalen Konzernen. Be- lungsländer wirklich Gehör verschaffen können. Es hat reits seit 1977 existiert das OECD-Musterabkommen zur ebenfalls ein Musterabkommen für Doppelbesteuerungs- Vermeidung von Doppelbesteuerung von Einkommen abkommen erarbeitet, das aber spezifisch auf DBA zwi- und Vermögen. Dieses wurde seither regelmässig aktua- schen Industrie- und Entwicklungsländern ausgerichtet lisiert und liegt den meisten Doppelbesteuerungsab- ist. Das 2011 aktualisierte Abkommen ist für Entwick­ ­ kommen (DBA) zugrunde. An den Debatten über das lungsländer­ vorteilhafter als die OECD-Variante, weil es Musterabkommen können seit 1996 auch Unternehmen den Empfängerländern von ausländischen Investitionen und Länder ausserhalb der OECD teilnehmen. Spezifi- eher erlaubt, ihr Steuersubstrat und ihre Steuereinnah- scher mit den steuerlichen Herausforderungen von Ent- men zu bewahren. Auch beschäftigt sich nur das Uno- wicklungsländern befasst sich die informelle OECD- Steuerkomitee auf internationaler Ebene mit der miss- Task-Force zu Steuern und Entwicklung. bräuchlichen Manipulation von Verrechnungspreisen Die OECD ist und bleibt aber eine Organisation der durch multinationale Unternehmen. Bis Ende 2012 soll entwickelten Länder. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit dazu ein Handbuch veröffentlicht werden. Leider ver- liegt demgemäss auf der Vermeidung von Doppel­ fügt das Uno-Steuerkomitee aber nur über beschränkte besteuerung und betrifft vor allem die ausländischen Mittel und kaum politisches Gewicht. Die Gruppe der 77 Investitionen von multinationalen Konzernen. Für Ent- (die Koalition der Entwicklungsländer in der Uno) hat wicklungsländer wäre aber der Kampf gegen die doppel- deshalb am vergangenen Treffen des ECOSOC vorge- te Nicht-Besteuerung vorrangig. schlagen, das Steuerkomitee zu einer internationalen Organisation aufzuwerten. Das Global Forum on Taxation Die Uno beteiligte sich 2011 auch an einem gemein- Seit 2001 gibt es das globale Forum zu Steuerfragen (mit samen Bericht des Internationalen Währungsfonds, der vollem Namen «Global Forum on Transparency and Ex- Weltbank und der OECD zuhanden der G-20 Working change of Information for Tax Purposes»), das unter an- Group on Development. Unter den Empfehlungen die- derem ein Musterabkommen für den Austausch von ses Berichts findet sich auch die Aufforderung an die Steuerinformationen als Alternative zu vollen DBA ge- Länder der G-20, Entwicklungsländer bei der Durchset- schaffen hat (siehe Kapitel 4). Das Forum hat seit 2009 zung ihrer Steuergesetze durch «spontanen Informati- ein eigenes Budget und gegenwärtig 108 Mitglieder. Es onsaustausch» zu unterstützen.42 hat von der G-20 den Auftrag zur Überprüfung erhalten, wie die Staaten den OECD-Standard über den Austausch Stärkung der Steuerbehörden von Steuerinformationen umsetzen. 2010 begann ein Auf regionaler Ebene gibt es eine Vielzahl von Initiativen Peer-Review-Prozess, der bis im Januar 2012 zur für den Erfahrungsaustausch und die Süd-Süd-Koopera- Publikation­ von 59 Länderberichten führte (darunter tion zwischen Steuerbehörden, z.B. das African Tax Ad- derjenige der Schweiz). Die spezifischen Herausforde- ministration Forum oder das Inter-American Center of rungen für Entwicklungsländer blieben aber aussen vor. Tax Administrations. Das deutsche Bundesministerium

39 Uno, UN Resolution adopted by the view-Prozess: www.taxjustice.net/cms/up­ 42 Supporting the Development of more General Assembly 63/303, 2009, load/GlobalForum2012-TJN-Briefing.pdf Effective Tax Systems. A Report to the Paragraphen 38 und 39. 41 Europäisches Parlament, European G-20 Development Working Group by 40 Für die Kritik des internationalen Netz­ Parliament resolution of 8 March 2011 on the IMF, OECD, UN and World Bank, werks Steuergerechtigkeit am Peer-Re­ Tax and Development, 2011. 2011, S. 26. Steuern und Entwicklung © EvB_Alliance Sud_ Ju ni 2012 // 18

für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Auch die Schweiz unterstützt den International lancierte 2009 den International Tax Compact (ITC), der Tax Compact und hat eigene Programme zur Stärkung sich die Bekämpfung der Steuerflucht auf die Fahne ge- der Steuerbehörden. Diese beschränken sich allerdings schrieben hat, um Entwicklungsziele zu erreichen. Die auf «Capacity Building». Ebenso ist die Schweiz eine vom ITC durchgeführte Standortbestimmung über die der wichtigsten Gebernationen für den Topical Trust vielen multilateralen und bilateralen Programme zur Fund and Administration des Internationa- Stärkung der Steuerbehörden und Vermehrung der Steu- len Währungsfonds. Dieses Engagement der Schweiz ereinnahmen illustriert ebenfalls die Bedeutung der ist zu begrüssen, doch bleibt es halbherzig, so lange die Thematik für die aktuelle Entwicklungszusammenar- Schweiz nicht auch aktiv die Anliegen der Entwick- beit. Schliesslich lancierte die OECD im Mai 2012 ihr lungsländer und diejenigen Initiativen unterstützt, Projekt «Tax Inspectors Without Borders». welche die systemischen Ursachen der Steuerflucht von Entwicklungsländern angehen.

9. Fazit: Umsteuern!

Die Entwicklungsländer brauchen mehr als nur auslän- dukts beläuft, macht er in vielen Entwicklungsländern dische Hilfe, um dauerhafte Fortschritte in der Armuts- knapp einmal 15 % aus. Diesen Rückstand gilt es so bekämpfung zu machen und sich gegen die Folgen des schnell wie möglich aufzuholen. Klimawandels zu schützen. Sie müssen dafür auch Die meisten nationalen und multilateralen Entwick- mehr eigene Entwicklungsmittel mobilisieren können. lungsagenturen haben das Thema Steuern und Entwick- Das heisst: Sie müssen rasch ihre Steuereinnahmen er- lungsfinanzierung deshalb weit oben auf ihre Agenda höhen und dazu auch den Kapitalabfluss eindämmen, gesetzt. Die Schweiz unterstützt mehrere internationale der sich durch die Steuerflucht ins Ausland ergibt. Initiativen, die zum Zweck haben, ärmere Länder bei Während sich der Steuerertrag der reichen Industrie- laufenden Steuerreformen zu unterstützen und die ad- länder durchschnittlich auf 35 % des Bruttoinlandpro- ministrativen Kapazitäten der zuständigen Behörden zu Steuern und Entwicklung © EvB_Alliance Sud_ Ju ni 2012 // 19

stärken. Sie sollte dieses wichtige Engagement aufrecht- sche Steuerhinterzieher wirkungsvoller von ihrem Tun erhalten und ausbauen. Gleichzeitig sind aber auch abschrecken als jedes andere System. Mindestens aber Massnahmen in der Schweiz selbst notwendig. muss die Schweiz nun auch den Entwicklungsländern die Steueramtshilfe auf Anfrage anbieten. Dafür sind Der Preis der Steuerflucht einfache Steuerinformationsabkommen (TIEA: Tax In- Steuerreformen und andere Massnahmen, die aus- formation Exchange Agreements) aus entwicklungs­ schliesslich die Entwicklungsländer selbst betreffen, politischer Sicht deutlich besser geeignet als komplexe lösen nur einen Teil des Problems. Sie bewirken in ers- Doppelbesteuerungsabkommen (DBA). ter Linie, dass lokale Kleinunternehmen und die Unter- Was die Steuervermeidungspraktiken multinatio- und Mittelschichten umfassender besteuert werden. naler Unternehmen betrifft, sollte sich die Schweiz Gegen die Steuerflucht ins Ausland, von der vor allem nicht nur für freiwillige Transparenzinitiativen, son- die wirtschaftlichen und politischen Eliten profitieren, dern auch für ein gesetzlich verankertes System der län- sind sie jedoch genauso wirkungslos wie gegen die derweise aufgeschlüsselten Konzernrechnung (CbCR: Steuervermeidungspraxis multinationaler Konzerne. Country-by-Country Reporting) einsetzen. Damit lies­ Mit diesen Herausforderungen kämpfen auch die sehr sen sich krasse Fälle der Verwendung missbräuchlicher gut ausgerüsteten Steuerbehörden der Industrieländer. Transferpreise deutlich leichter aufdecken als bisher. Ohne Änderungen in den Tiefsteuerparadiesen und Gefordert ist aber auch die Einschränkung oder Ab- intransparenten Finanzplätzen, die weltweit zur Ver- schaffung steuerlicher Sonderregime für ausländische schleierung der internationalen Steuerhinterziehung Erträge von Unternehmen (Holding-, Domizil-, Prinzi- beitragen, können diese Probleme nicht gelöst werden. pal- und gemischte Gesellschaften). Die vorliegende Broschüre hat mit verschiedenen Zahlenbeispielen aufgezeigt, wie dringend solche Ge- Was wären die Folgen? genmassnahmen sind. Schätzungen des Forschungsins- Mit der konsequenten Umsetzung dieser Vorschläge tituts Global Financial Integrity zufolge fliessen jedes würde die Schweiz gegenüber den ärmeren Ländern Jahr über 1000 Milliarden Dollar an unversteuerten Un- endlich eine kohärentere Politik verfolgen. Die Gefahr, ternehmensgewinnen, undeklarierten Privatvermögen dass undeklarierte Vermögen einfach von der Schweiz und illegal erworbenen Geldern aus den Entwicklungs- auf andere intransparente Finanzplätze umgelagert ländern in ausländische Steueroasen ab. Wie viel zu- würden, wird hingegen immer kleiner. Schliesslich sätzlicher wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt oh- stehen die möglichen Zielorte solcher Umlagerungen ne diesen Kapitalabfluss möglich wäre, lässt sich nicht ebenfalls unter internationalem Druck, für grössere genau berechnen. Klar ist jedoch, dass die Regierungen Transparenz zu sorgen. Das gilt sogar für Finanzplätze der Entwicklungsländer dadurch jährlich mindestens wie den US-Bundesstaat Delaware und die City of Lon- 280 Milliarden Dollar Steuereinnahmen verlieren. Das don, die mit anonymen Trusts und Tarnfirmen ebenfalls ist mehr als das Doppelte der weltweiten Ausgaben für Beihilfe zur Verschleierung der internationalen Steuer- die offizielle Entwicklungszusammenarbeit. flucht leisten: Die G-20 hat an ihrem Gipfeltreffen in Cannes 2011 die OECD und die Financial Action Task Die Schweiz kann Abhilfe schaffen Force (FATF) unmissverständlich aufgefordert, ihre bis- Die Schweiz steht im Kampf gegen die Steuerflucht aus herigen Anstrengungen gegen solche Vehikel der inter- dem Süden in einer besonderen Verantwortung. Als nationalen Steuerflucht deutlich zu verstärken.43 wichtigstes Offshore-Zentrum hat sie es bis jetzt ver- Umso bedauerlicher ist, dass das Schweizer Parla- säumt, mit ärmeren Entwicklungsländern die erweiter- ment kurz vor seiner Neuwahl im Jahr 2011 noch die te Steueramtshilfe zu vereinbaren oder wenigstens eine Einführung ähnlicher Steuerhinterziehungskonstrukte Quellensteuer für undeklarierte Vermögenserträge ein- forderte (Motion 09.3147). Der Bundesrat muss nun Ge- zuführen. Das bedeutet, dass Steuerhinterzieher aus setzesvorschläge ausarbeiten, wie die Schweiz in Sa- Ländern, die dringend mehr öffentliche Einnahmen chen anonyme Trusts und undurchsichtige Firmenkon- für die Entwicklungsfinanzierung brauchen, auf dem strukte mit den USA und Grossbritannien gleichziehen Schweizer Finanzplatz weiterhin ein sicheres Versteck könnte. Statt kurzsichtig neue Hintertürchen für Steu- finden. Damit wird auch der wertvolle Beitrag der erflüchtige zu schaffen, sollte die Schweiz jedoch rasch Schweizer Entwicklungszusammenarbeit zur globalen für umfassende Steuertransparenz sorgen – auch gegen- Armutsbekämpfung untergraben. über Entwicklungsländern. Dies würde ihr die notwen- Um Abhilfe zu schaffen, sollte die Schweiz den dige Glaubwürdigkeit geben, um sich international ge- automatischen Informationsaustausch, der mittelfristig genüber anderen Finanzplätzen für eine konsequente unvermeidlich ist, von Anfang an auch Entwicklungs- Bekämpfung der Steuerflucht einzusetzen. und Schwellenländern gewähren. Er würde ausländi-

43 G-20, Cannes Summit Final Declaration: Building our Common Future, 2011. (Siehe dazu auch unser Factsheet.) Alliance Sud ist die entwicklungspolitische Arbeits- Die Erklärung von Bern (EvB) setzt sich in der gemeinschaft der Hilfswerke Swissaid, Fasten­- Schweiz für gerechtere Beziehungen zwischen den opfer, Brot für alle, Helvetas, Caritas und Heks. Sie Industriestaaten und Entwicklungsländern ein. setzt sich für eine solidarische Politik der Schweiz gegenüber den Ländern des Südens ein. Schwerpunkte Zu ihren wichtigsten Anliegen gehören die weltweite der Arbeit von Alliance Sud sind: Wahrung der Menschenrechte, sozial und ökologisch – eine auf die Bekämpfung der Armut konzentrierte verantwortungsvolles Handeln von Unternehmen Entwicklungszusammenarbeit, deren Budget dem sowie die Förderung fairer Wirtschaftsbeziehungen. Reichtum der Schweiz entspricht – faire Handelsbeziehungen, die auf die Interessen der Die EvB ist eine unabhängige Nichtregierungsorgani­ Partnerländer Rücksicht nehmen sation mit knapp 23 000 Mitgliedern. Sie finanziert – ein sauberer Finanzplatz, der die Entwicklungs­ sich hauptsächlich aus Mitglieder- und Spendenbei­ länder beim Kampf gegen Steuerhinterziehung und trägen. Kapitalflucht unterstützt – klare Regeln für Konzerne, damit sie weltweit die Menschenrechte einhalten und die Umwelt achten müssen – eine Umwelt- und Klimapolitik, die den Bedürfnis- sen armer Länder Rechnung trägt

Alliance Sud ist u.a. Mitbegründerin des Internationa- len Netzwerks für Steuergerechtigkeit und gibt viermal jährlich die Zeitschrift GLOBAL+ heraus.

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Diese Broschüre wurde unterstützt von der Fédération genevoise de coopération