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Impressum Inhalt

Carl Zeiss Eine Biografie 1816 – 1888 Nur zur AnsichtVorwort 4 Kapitel 4 herausgegeben vom ZEISS Archiv Theorie und Praxis: Kapitel 1 Die Wende zum wissenschaftlichen Wurzeln und Spuren: Mikroskopbau Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Eine Annäherung an Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Optiken auf rechnerischer Basis 85 Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind Familie und Herkunft (1816 – 1834) 9 Dr. Timo Mappes im Gespräch mit Dr. Eric Betzig 96 im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar. Im Gespräch mit Dr. Kathrin Siebert 16 Von der optischen Werkstatt zum Unternehmen (1873 – 1880) 100

Umschlagseite vorn (v.l.): Kapitel 2 Carl Zeiss im 34. / 35. Lebensjahr, Foto von Carl Schenk. Kapitel 5 Bank zum Fassen von Optiken aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Erwachender Pioniergeist: Mikroskop Stativ I von Carl Zeiss aus dem Jahr 1878. Ausbildung und Gründung der Firma Die Zukunft im Blick: Die letzte Seite des Vertrages zwischen Carl Zeiss und dessen Sohn Roderich, August 1883. Absicherung des Lebenswerkes Carl Zeiss um 1870. Ausbildung bei Friedrich Körner und Umschlagseite hinten (v.l.): Wanderjahre (1834 – 1845) 23 Zeiss’ letzte Jahre (1880 – 1888) 115 Wohnhaus und Verwaltungsgebäude von Carl Zeiss im Littergässchen im Jahr 1890. Gründung des mechanischen Ateliers in 34 Mikroskoplieferungen (1847 – 1889) 130 Jena um 1845, gestochen von H. v. Herzer. Zeiss baut seine ersten Mikroskope 43 Personalentwicklung (1847 – 1889) 132 Männergesangverein der Firma im Jahr 1869. Im Gespräch mit Dr. Dieter Kurz 134 Carl Zeiss Anfang der 1880er Jahre. Kapitel 3 Anhang Wagen und Gewinnen: © 2016 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Wien Der Aufbau der Firma Zeittafel 138 Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Quellen und Literatur 140 Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Geschäftsaufbau (1847 – 1859) 51 Bildnachweis 141 Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Im Gespräch mit Prof. Dr. Michael Kaschke 64 Danksagung 142 Autoren: Stephan Paetrow (timefab), Wolfgang Wimmer (Carl Zeiss AG) Geschäftsaufschwung und gesellschaftliche Anerkennung (1859 – 1866) 68 Redaktion: Michael Kaschke (Carl Zeiss AG), Gudrun Vogel (Carl Zeiss AG), Timo Mappes (Carl Zeiss Vision International GmbH), Kathrin Siebert (Nachfahrin von Carl Zeiss), Tim Sander (timefab), Dieter Brocksch (Carl Zeiss AG), Marte Schwabe (Carl Zeiss AG) Korrektorat: Constanze Lehmann, Berlin Umschlaggestaltung: Bernd Adam, Jena Satz und Layout: Bernd Adam, Jena Druck und Bindung: Finidr, Cesky Tesin Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU

ISBN 978-3-412-50387-1 „Sogleich vergriffen“: Zeiss baut seine ersten Mikroskope

Bereits am 17. November 1846, einem Dienstag, zwei läum“. ² Ebenfalls aus dem Jahr Tage vor der offiziellen Erteilung der Konzession, soll 1871 stammt eine Fotografie Carl Zeiss seine erste Werkstatt in der Neugasse 7 der damals 19 Personen um- bezogen haben. Dieses Datum – heute offiziell als fassenden Belegschaft, welche Nur zur AnsichtGeburtsstunde der Carl Zeiss AG angesehen – ist auf dasselbe Datum verweist. durch zeitgenössische Quellen nicht belegt. Die Eintra- gung der Firma Carl Zeiss ins Jenaer Handelsregister Sicher ist, dass Carl Zeiss seine erfolgte erst am 16. April 1863. ¹ Das ursprüngliche ersten Gehversuche als selbst- Gründungsdatum wurde im Nachhinein auf Basis des ständiger Unternehmer auf Werkstatt-Notizbuchs von 1871 rekonstruiert, in das dünnem Eis unternahm: Sein der Mechaniker Pape unter dem 17. November ein- Bruder Eduard, Direktor der trug: „Um 9 Uhr aufgehört. 25-jähriges Geschäftsjubi- Jenaer Bürgerschulen, hatte ihm für die Einrichtung der Werkstatt 100 Taler Startkapi- Haus Wagnergasse Jena, Ein Foto von der Gartenseite des Hauses Neugasse 7 aus der Zeit zwischen 1870 und 1890 vermittelt einen anderen Eindruck als die Rekonstruktions- tal zur Verfügung gestellt. ³ zweite Werkstätte von Carl zeichnung aus dem Jahr 1896, die meist verwendet wird. Vielen Dank an Falk Burkhardt für diesen Hinweis. Zeiss, Foto von 1906. Dieser Betrag, der später „Wir benachrichtigen Sie hierdurch ganz ergebenst, de Zeiss Bürger von Jena. Inoffiziell scheint er jedoch durch den Vater zurückerstattet wurde, entsprä- dass der Mechanikus Carl Zeiss zu Jena die in Folge schon vorab von dem positiven Bescheid erfahren zu che bezogen auf das Jahr 2014 etwa 3.000 Euro. ⁴ Ihrer geehrten Zuschrift vom 13. / 18. Juni d. J. mit haben. Für das erste halbe Jahr nach Gründung sind keine ihm vorgenommene Prüfung hinsichtlich seiner nennenswerten geschäftlichen Aktivitäten verzeich- Kenntnisse und Fertigkeiten in der Mechanik genü- net. Carl Zeiss selbst schrieb rückblickend an seinen gend bestanden hat. Es wäre jedoch zu wünschen Freund Beck, dass er im Februar 1847 noch mit der gewesen, dass der [Herr] Zeiss durch das ihm eigen 1 Vgl. Koch, Unbekanntes, S. 1. Einrichtung seines Geschäfts beschäftigt gewesen scheinende Selbstvertrauen auf sein Wissen sich 2 Brief von Carl Zeiss an K. O. Beck vom 04. 02. 1855, ZEISS Archiv, sei. ⁵ Erst am 5. Mai 1847 erschien in den Privile- nicht hätte verleiten lassen, bei Fassung der schriftli- CZO-S 3. girten jenaischen Wochenblättern eine Anzeige, in 3 Vgl. dazu Joachim Wittig: „Carl Zeiß und die Universität Jena“, in: chen Beantwortungen die Grenzen der gebührenden Carl Zeiss und , hg. Rüdiger Stolz, Joachim Wittig. Jena welcher Carl Zeiss als Anbieter optischer Produkte Bescheidenheit zu überschreiten.“ ¹⁰ 1993, S. 23. auftritt: 4 ZEISS Archiv, BAZC 13893, Blatt 71. 5 ZEISS Archiv, BAZC 13893, Blatt 76–77. Nun ging alles reibungslos: Am 19. November 1846 „Brillen, botan. und andere Lupen u. s. w. sind von 6 ZEISS Archiv, BAZC 13893, Blatt 78. erteilte die Landesdirektion in Weimar Zeiss die 7 ZEISS Archiv, BACZ 11347. jetzt an bei mir vorräthig. Auch werde ich in eini- Konzession und informierte den Jenaer Stadtrat; am 8 ZEISS Archiv, BACZ 11347. gen Tagen mit einer Auswahl billiger Thermometer 26. November erhielt Zeiss vom Jenaer Stadtrat eine 9 ZEISS Archiv, BACZ 11347. versehen seyn.“ ⁶ entsprechende Mitteilung und am 8. Dezember wur- 10 ZEISS Archiv, BACZ 11347. Eduard Zeiss, der Bruder von Carl Zeiss.

42 43 „Als ich dort war, hatte er ein Mikroskop fertig, das wohl bekannteste Jenaer Naturwissenschaftler drin- dass, so wie bis jetzt die Instrumente angefertigt hat mir sehr gut gefallen. Er will aber weiter keine gend einen neuen Mikroskophersteller für sein Institut werden, keines den Anforderungen des Praktikers fertigmachen, bis er erst die Maschine von Berlin hat, und für seine Studenten. ganz entspricht […]. Die Haupterfordernisse sind fol- welche in diesem Monat ankommen soll.“ ⁷ gende: grobe und feinere Bewegung, beide nur den Nur zur AnsichtDen Stand des Mikroskopbaus hatte Schleiden bereits Körper des Mikroskops treffend; der Tisch unbeweg- Bei der erwähnten Maschine handelte es sich um 1842 in seinen Grundzügen der wissenschaftlichen lich mit einer etwa 1/2 Zoll im Durchmesser halten- eine von dem Maschinenbauer August Hamann in Botanik ausführlich kommentiert. Nachdem er die den Öffnung, unter derselben eine drehbare Scheibe Berlin konstruierte Drehbank, die für die rationelle besten am Markt verfügbaren Modelle aus dem In- mit Löchern; eine plankonvexe Beleuchtungslinse Fertigung von Mikroskopen unabdingbar war. Geht und Ausland unter die Lupe genommen hatte, fiel die von etwa 1,5 Zoll Brennweite und ein Planspiegel, man davon aus, dass Zeiss die Maschine zum zuge- Bilanz ernüchternd aus: der sich auch seitlich schief stellen lässt […]. sagten Lieferdatum erhielt, konnte er im Sommer 1847 mit der Produktion von Mikroskopen begin- „Für die Einrichtung des Mikroskops muss ich [dem Ferner sollte man so vernünftig sein, die stärkeren nen. Im September 1847 verkaufte er sein erstes Tübinger Botaniker] Hugo von Mohl beistimmen, Okulare […] völlig wegzulassen als ganz unbrauchbar Instrument. Käufer war der aus Hamburg stammen- de Botaniker Hermann Schacht, der als Schüler von Schleiden zeitweise in Jena tätig gewesen war und später Professor in Bonn wurde.

Schleiden als Impulsgeber

Zeiss’ Entscheidung, sich frühzeitig auf die Fertigung von Mikroskopen zu konzentrieren, anstatt wie viele seiner Mechanikerkollegen einen Gemischtwarenladen Optiker-Drehbank um 1900. zu betreiben, hängt wahrscheinlich mit seinem engen Kontakt zu dem Direktor des Physiologischen Instituts, Optikerläden gab es damals noch nicht. Selbst Brillen Matthias Jakob Schleiden, zusammen. Der Mitbegrün- wurden häufig noch von reisenden Händlern verkauft. der der Zelltheorie und Anhänger Charles Darwins galt Auch die Werkstatt in der Neugasse schien nicht mehr als Pionier der Mikroskopie. Schleiden hatte den Jenaer als ein Provisorium zu sein, denn bereits am 19. Juni Mechaniker Körner Anfang der 1840er Jahre dazu 1847 gab Zeiss in der Zeitung bekannt, dass er ab ermutigt, einfache Mikroskope herzustellen. Seitdem sofort in der Wagnergasse 32 wohne und arbeite. hatte Schleiden selbst jedes Mikroskop von Körner

Aus einem Brief des Vaters, der beim Umzug mithalf, geprüft, bevor es ausgeliefert wurde. Im Februar 1847 Matthias Jakob Schleiden aus dem Buch: „Studien: Populäre Aquarell Schleidens von seinem Haus in der Neugasse 10 in Jena erfahren wir vom Prototypen eines Mikroskops: war Körner jedoch verstorben und nun brauchte der Vorträge“, 1855. (Foto G. Uschmann).

44 45 und daher das Instrument ganz unnötig verteuernd. „Die in Vorstehendem angebotenen Mikroskope des – Jeder mikroskopische Beobachter endlich wird in Hrn. Zeiss kann ich in jeder Beziehung als preiswür- seinem Kasten eine ganze Anzahl kleiner Apparate, dig und […] sehr zweckmäßig empfehlen. […] Bei der schlechte Zangen, kleine plumpe Messerchen, Deck- vor kurzem in Jena abgehaltenen Versammlung des gläser für Infusorien und dergleichen Quark mehr Nur zur Ansichtnorddeutschen Apothekervereins wurde der ganze finden, Dinge, die noch nach vielen Jahren gerade da Vorrath dieser […] Instrumente sogleich vergriffen. liegen, wo sie der Verfertiger hinlegte, weil sie völlig Ich füge nun noch hinzu, daß Hr. Zeiss stets so viele nutzlos sind; auch diesen Kram sollte man endlich Instrumente vorräthig hat, daß jeder eingehende anfangen aus den Kästen zu entfernen.“ ⁸ Auftrag mit umgehender Post erledigt werden kann, für den Besteller eine nicht überall zu findende An- Aus diesem kritischen Kommentar scheint Carl Zeiss nehmlichkeit.“ ¹⁰ bei seinen 1847 gebauten ersten Mikroskopen gelernt zu haben. Tatsächlich versuchte Zeiss, die Zu diesem Zeitpunkt hatte Zeiss genau sechs Mikro- Präpariermikroskop mit Schwalbenschwanz noch ohne Seriennummer von Schleiden aufgezeigten konstruktiven Verbesse- von 1847 / 48, aus dem Besitz von Timo Mappes, fotografiert von Manfred skope verkauft. Das erste war wie erwähnt an Her- rungen weitgehend umzusetzen. Dies zeigt die erste Stich. mann Schacht gegangen, vier weitere hatten nord- bekannte Werbeanzeige für Zeiss-Mikroskope, wel- deutsche Apotheker gekauft und das sechste hatte che in zwei Nummern der Augsburger Allgemeinen drei getrennte Linsen Combinationen bei, durch wel- sich Schleiden gesichert. Bis zum Ende des ersten Zeitung im September und Oktober 1847 erschien: che eine 15-, 30-, und 125-fache Linear-Vergrößerung Geschäftsjahrs sollte Zeiss insgesamt 29 Instrumente bewirkt wird. absetzen – die Mehrzahl davon jenseits der Jenaer „Einem naturforschenden Publicum erlaubt sich Un- Stadtgrenzen. terzeichneter ergebenst anzuzeigen, daß bei ihm von Das ganze Instrument ist in ein Kästchen von jetzt an kleine Mikroskope, sogenannte Dublets, stets polirtem Nußbaum eingelegt und so eingerichtet, vorräthig sind. Bei Construction derselben sind alle daß es auf demselben, nicht wie gewöhnlich durch neueren Anforderungen der HH. Physiologen berück- Aufschrauben, sondern vermittelst eines zweckmä- sichtigt worden. Und zwar ist der Tisch unbeweg- ßigen Mechanismus schneller und sicher aufgestellt 1 Vgl. Axel Stelzner: „Carl Zeiß in der Jenaer Tagespresse (1847–1888)“, in: Carl Zeiss und Ernst Abbe, hg. Rüdiger Stolz, Joachim Wittig. Jena lich; die Bewegung des Mikroskops wird erst durch werden kann. Der Preis für das Ganze ist elf Thaler. 1993, S. 108. Verschiebung, für feinere Einstellungen aber durch Gefällige Bestellungen erbittet man franco. Die Zah- 2 Vgl. etwa Friedrich Schomerus: Geschichte des Jenaer Zeisswerkes Die erste Seite aus dem Lieferbuch für Mikroskope. eine Schraube mit Feder bewerkstelligt, wodurch für lung wird ohne andere Bestimmung durch Post-Vor- 1846–1946. Stuttgart 1952, S. 10, Anm. 12. 3 Vgl. Erich Zeiss, Hof- und Universitätsmechanikus, S. 27. schwache Vergrößerungen eine schnelle und beque- schuß entnommen.“ ⁹ 4 Vgl. Kaufkraftäquivalente historischer Beträge in deutschen Währun- 8 Matthias Jakob Schleiden: „Grundzüge der wissenschaftlichen Bo- me, für stärkere Vergrößerungen zugleich auch eine gen, abrufbar unter: www.bundesbank.de (Stand: 15. Januar 2015). tanik (1842)“, in: Wissenschaftsphilosophische Schriften, hg. Ulrich sehr feine von allem todten Gang freie Einstellung Unter der Anzeige ließ Zeiss noch eine ausführliche 5 Brief von Carl Zeiss an K. O. Beck vom 04. 02. 1855, ZEISS Archiv Charpa. Köln 1989, S. 134. CZO-S 3. erzielt ist; dem Beleuchtungsspiegel ist für stärkere Empfehlung Schleidens abdrucken. Dieser lobte 9 Horst Alexander Willam: Carl Zeiss. 1816–1888. (TRADITION, Beiheft 6) 6 Stelzner, Tagespresse, S. 100. München 1967, S. 35. Vergrößerungen noch eine Sammellinse beigegeben. neben der technologischen Qualität vor allem die 7 Erich Zeiss, Hof- und Universitätsmechanikus, S. 27–28. 10 Ebd. Außer den nöthigen Object- und Deckgläsern liegen Verfügbarkeit der Mikroskope:

46 47 Kapitel 4

Theorie und Praxis: Die Wende zum Nur zur Ansicht wissenschaftlichen Mikroskopbau

82 83 Seite 83: Carl Zeiss etwa im 50. Lebensjahr, 1866. „Niemals schönere mikroskopische Bilder“: Optiken auf rechnerischer Basis

„Das nun ist die Idee, die Carl Zeiss in die Mikroskop- ren Freund zu: erstens die Optik eingeführt und über alle Hindernisse hinweg Idee, Mikroskope auf Basis zur Verwirklichung gebracht hat: die Idee eines rationaler Berechnungen streng rationalen Aufbaues der optischen Konstruk- zu bauen, zweitens die zur Nur zur Ansichttionen für das Mikroskop; das ist der Keim, aus dem Verwirklichung dieser Idee alle inneren Fortschritte und alle äußeren Erfolge, notwendige Beharrlichkeit die sein Wirken gebracht hat, hervorgegangen sind. und drittens das Geschick, […] Carl Zeiss hat nicht […] alles selbst leisten kön- überaus fähige Mitarbeiter nen […]. Weil seinem persönlichen Können engere zu gewinnen und sie lang- Grenzen gesteckt waren, ist er in viel höherem Grad fristig zu binden. Dabei als Fraunhofer auf die Mitarbeit anderer angewiesen dachte Abbe freilich vor und in seinem Erfolg von dieser abhängig geblieben. allem an sich selbst und – Ernst Abbe, um 1875. Der Schätzung seines persönlichen Verdienstes tut mit einigem Abstand – an dieses keinen Eintrag. […] So darf man doch nicht den Werkmeister August Löber. Zeiss hatte Abbe also sagen, daß sein Erfolg Sache des Glücks gewesen „gesucht“, aber wie hatte er ihn gefunden? sei: er hat [die] ihm unentbehrlichen Mitarbeiter gefunden, weil er sie gesucht hat – und unentwegt 1866 war für Carl Zeiss das bisher erfolgreichste Jahr weiter gesucht hat noch in denjenigen Angelegen- seit Gründung der Firma. Am 28. Mai feierte er inmit- heiten, hinsichtlich derer mehrfacher Mißerfolg ten seiner 11-köpfigen Belegschaft die Fertigstellung andere vielleicht von neuen Versuchen abgeschreckt des 1.000. Mikroskops. Mit Pferdewagen fuhr man haben würde. Soweit man in seinem Fall von Glück gemeinsam in den kleinen Ort Tautenburg rund zwölf reden darf, ist es also nur die Art von Glück, die Kilometer vor Jena. Viel Zeit zum Feiern blieb nicht. der Spruch meint: der Mensch ist seines Glückes 192 Mikroskope wurden unter dem Dach von Zeiss Schmied.“ ¹ im Jahr 1866 fertiggestellt – 81 mehr als im Vorjahr, obwohl nur ein einziger Mitarbeiter zusätzlich einge- Als Ernst Abbe diese Worte 1896 anlässlich des stellt worden war. Unter der Aufsicht Löbers hatte die 50-jährigen Bestehens der Firma an die Belegschaft Jenaer Optische Werkstatt mit 11 Mitarbeitern einen richtete, war Carl Zeiss schon seit acht Jahren tot. hohen Fertigungsstandard erreicht. Zeiss war, was die Abbe verzichtete darauf, den verstorbenen Gründer Qualität der Arbeit betraf, zur Spitze der europäischen zum Ideal eines Wissenschafts-Unternehmers zu Manufakturen aufgerückt. Den Schwung des starken stilisieren. Diese Stelle war durch den bewunderten Geschäftsjahres nutzte Zeiss, um in die Zukunft seines Zeichnung des Mikroskop-Stativs Ia aus den 1880er Jahren. Joseph Fraunhofer besetzt. Zeiss’ Können habe dage- Unternehmens zu investieren. Der entscheidende gen „engere Grenzen“ gehabt. Drei Dinge jedoch ge- Schritt bestand darin, endlich einen Wissenschaftler stand Abbe seinem einstigen Arbeitgeber und späte- zu gewinnen, mit dessen Hilfe man die bekannten

84 85 Zeiss gewinnt Abbe dieses war […] äußerst unvollständig, ja gerade- Der offizielle Beginn der Zusammenarbeit wird in der zu unzutreffend. Vielleicht Literatur auf den 3. Juli 1866 datiert. Wie schon beim war es gut, daß auch er Nur zur AnsichtGründungsdatum der Firma Zeiss fehlen auch hier zeit- zu Beginn seiner Arbeit genössische Belege. Das Datum wurde rekonstruiert, gar nicht ahnte, wie viel weil Abbe am 3. Juli 1891 seine 25-jährige Zugehö- noch zu tun sei; viel- rigkeit zum Unternehmen feierte. Schriftliche Verein- leicht war auch […] die barungen aus dem Jahr 1866 existieren nicht, so dass mangelnde spezifische unklar bleibt, zu welchen Konditionen und mit wel- Vorbildung ein besonders chen Zielen Abbe bei Zeiss einstieg. Fest steht jedoch, günstiger Umstand, weil dass Abbe äußerlich betrachtet keine ideale Besetzung sie ihn das Problem un- für die Stelle eines wissenschaftlichen Beraters war. befangen beurteilen und . Mit Fragen aus dem Bereich der Optik hatte sich der angreifen ließ.“ ² junge Physiker und Mathematiker bislang allenfalls am Rande beschäftigt. Promoviert hatte Abbe über den „Das Problem“, wie es Czapski beschreibt, bestand Ersten Hauptsatz der Thermodynamik; seine Habilita- für Abbe anfangs noch nicht in der Entwicklung einer tionsschrift beschäftigte sich mit der von Carl Friedrich neuen Theorie des Mikroskops. Vielmehr ging es Gauß (1777 – 1855) entwickelten Methode der kleins- darum, der Jenaer Manufaktur zu einer effizienten ten Quadrate, also mit einem allgemeinen mathemati- Fertigung mit geringerem Ausschuss und konstanter schen Verfahren zur Fehlerkorrektur und Optimierung Qualität zu verhelfen. Abbe stellte die eingefahre- von Messreihen. Es ist bemerkenswert, dass Abbe nen Praktiken in der Zeiss’schen Werkstatt auf den und Zeiss, die maßgeblich zur Weiterentwicklung der Prüfstand und begann, eine Vielzahl von Änderun- Männergesangverein Zeiss: August Löber mit den Mitarbeitern des Zeisswerkes im Jahr 1869. Stehend v.l.n.r.: Carl Eisenhardt, Joseph Rudolf, August optischen Industrie im 19. Jahrhundert beigetragen gen vorzuschlagen – anfänglich sehr zum Ärger des Löber, unbekannte Person (vermutlich Dirigent), Fritz Töpfer, Carl Schäfer; sitzend v.l.n.r.: Wilhelm Böber, Fritz Müller, Carl Müller, Heinrich Pape. haben, dieses Arbeitsfeld beide als Außenseiter betra- Werkmeisters August Löber und anderer langjähriger ten. Wenn man Siegfried Czapski (1861 – 1907) glauben Mitarbeiter. Carl Zeiss war jedoch klug genug, seine Probleme der Optik-Fertigung in den Griff bekommen verschiedener Mäzene. Angesichts des kümmerlichen darf, der ab 1886 der engste Mitarbeiter Abbes in der Autorität als Firmenchef gegenüber dem 22 Jahre konnte. Die Wahl fiel auf den 26-jährigen Ernst Abbe Einkommens, das ein Privatdozent in Jena erwarten Jenaer Optik-Entwicklung war, fiel es Abbe gerade jüngeren neuen Mitarbeiter nicht auszuspielen und (1840–1905), der an der Jenaer Universität als Privatdo- konnte, kämpfte er mit Geldsorgen. Wahrscheinlich deshalb vergleichsweise leicht, in der Fertigung von sinnvolle Veränderungen nicht zu blockieren. Abbe zent für Mathematik und Physik von sich reden mach- lernten sich Zeiss und Abbe 1863 kennen, als Zeiss Mikroskopen neue Wege zu gehen, weil er nicht nach selbst hat sein damaliges Verhältnis zu Zeiss wie folgt te. Abbe, dessen Vater Vorarbeiter in der Eisenacher ein Messgerät für eine physikalische Vorlesung Abbes allen Regeln der traditionellen Kunst ausgebildet war: beschrieben: Spinnerei der Familie von Eichel-Streiber war, verdankte anfertigte. Da Abbe bereits zwischen 1857 und 1859 seine wissenschaftliche Ausbildung und Karriere seinen in Jena studiert hatte, könnte es auch damals schon „E. Abbe […] verfügte […] nur über das gewöhnliche „Wohlwollend, teilnehmend und freundlich ist [Carl überragenden Leistungen und der Großzügigkeit flüchtige Berührungspunkte gegeben haben. Rüstzeug des Mathematikers und Physikers, und Zeiss] zu allen gewesen, die in seiner Tätigkeit ihm

86 87 ausgekommen waren. Für die traditionelle Optik- fertigung eröffnete jedoch gerade die mangelhafte Genauigkeit der Messmethoden die Spielräume für Intuition und Zufall. Fähige Handwerker wie Löber, Nur zur Ansicht aber auch Hartnack () oder Plössl (Wien) nutzten sie zum Bau großartiger Instrumente.

Aus dieser Perspektive betrachtet geriet Zeiss durch sein Streben nach einer größeren Genauigkeit und Serienkonstanz zunächst in ein Dilemma, das gleich- bedeutend mit einem Wettbewerbsnachteil war: Während andere unvoreingenommen verschiedenste Linsenkombinationen probierten und dabei immer wieder glückliche Treffer landeten, schränkte Zeiss seine eigenen Möglichkeiten ein, indem er ver- Weltausstellung in Paris 1867 aus der Vogelperspektive. Refraktometer mit nicht heizbaren Prismen nach Abbe, 2. Modell, 1904. suchte, seine Fertigung zu rationalisieren. ⁷ Mit der Anwerbung von Abbe trieb Zeiss diesen Prozess nahe traten; aber auch strenge Anforderungen terschaft seinerzeit sich zu sichern suchte, fern von Kampf gegen den Zufall gegen innere und äußere Widerstände voran. Mehr stellte er an alle, weil er an sich selbst sie zu stellen jedem Gedanken, die Abhängigkeit, in der ich ihm gewohnt war. Um sie geltend zu machen, hat er gegenüber mich befand, ohne Vermögen und ohne Derweil widmete sich Abbe der Entwicklung verschie- aber Tadel und Vermahnung wenig gebraucht; mit sonstigen Rückhalt im Leben, auch nur im geringsten dener Messgeräte zur genaueren Bestimmung der gutem Mutterwitz begabt, dirigierte er die anderen zu seinem Vorteil sich dienen zu lassen.“ ³ optischen Eigenschaften von Linsen – eine wichtige lieber mit etwas Spott und etwas Ironie, gemildert Voraussetzung für eine rationale Fertigung. Zuerst durch liebenswürdige Bonhomie. So hat er […] als Dass Zeiss sich nicht damit zufrieden gab, nur in stellte er 1867 ein Fokometer zur Messung von väterlicher Freund auch mich dirigiert, der ich als seinem unmittelbaren Umfeld die Möglichkeiten zur Brennweiten vor; bis 1870 folgten ein Sphärometer ganz junger Mann, grün und unerfahren, in seinen Weiterentwicklung seines Betriebs auszuschöpfen, zur Bestimmung der Außenradien von Linsen, ein Wirkungskreis eintrat. zeigt sein Besuch der Pariser Weltausstellung im Jahr Dickenmesser, ein Refraktometer zur Feststellung 1867. ⁴ Zwar gibt es über mögliche geschäftliche des Brechungsindex sowie ein Apertometer, um die Was ihn aber nach seinem Charakter sehr hoch Kontakte keine Aufzeichnungen, aber es ist bekannt, sogenannte numerische Apertur zu messen, welche stellt: er war ein Mann von strengem Pflichtgefühl dass zahlreiche wichtige Wettbewerber auf der entscheidend für das Auflösungsvermögen optischer und sehr entwickeltem Gerechtigkeitssinn. Zum Beleg Weltausstellung vertreten waren. ⁵ Von daher scheint Instrumente ist. ⁶ Die lange Liste neu entwickelter dessen könnte ich mancherlei anführen; ich erwähne es plausibel anzunehmen, dass sich Zeiss bei dieser Messgeräte wirft die Frage auf, wie Carl Zeiss und nur, was mich selbst nahe berührt: die liberale unei- Gelegenheit einen Eindruck vom internationalen ebenso dessen Konkurrenten eigentlich bisher ohne Das Abbe-Apertometer, ab 1870 zur Messung gennützige Art, in der er meine dauernde Mitarbei- Stand der Technik verschaffte. all die Möglichkeiten, Linsen exakt zu bestimmen, großer Aperturen (Öffnungswinkel) verwendet.

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