Annotierte Chronik Zur Einbürgerung Hitlers in Braunschweig
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Nr. 114 Ulrich Menzel Die Steigbügelhalter Annotierte Chronik zur Einbürgerung Hitlers in Braunschweig Juni 2014 ISSN-Nr. 1614-7898 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00057405 03/09/2014 1 Inhalt 1. Sechs Thesen zur Einbürgerung Hitlers in Braunschweig 2 2. Die Quellen 10 3. Annotierte Chronik zur Einbürgerung, deren Vorgeschichte und deren Konsequenzen 13 3.1. Die Vorgeschichte bis zur Regierungsbildung aus BEL und NSDAP in Braunschweig 1930 14 3.2 Die Braunschweiger Koalition aus BEL und NSDAP und der Konflikt um die Einbürgerung 1930-1933 43 3.3 Die Alleinregierung der NSDAP in Braunschweig 1933-1945 186 3.4 Die Nachgeschichte I: Entnazifizierungsverfahren und gegenseitige politische Belastung der an der Einbürgerung Beteiligten 1945-1960 238 3.5 Die Nachgeschichte II: Die wissenschaftliche und politische Aufarbeitung der Einbürgerung seit 1960 269 4. Quellen und Literatur 293 4.1 Ungedruckte Quellen 293 4.2 Quelleneditionen 300 4.3 Erinnerungen/Autobiographien von Zeitzeugen (gedruckt und ungedruckt) 301 4.4 Behördenschrifttum 303 4.5 Sonstige gedruckte Quellen 304 4.6 NS-Publikationen 307 4.7 Zeitgenössische Zeitungsartikel 308 4.8 Zeitungsartikel nach 1945 312 4.9 Literatur 315 4.10 Internetseiten 323 4.11 Fotos 324 4.12 Karten 324 4.13 Interviews/Befragungen 324 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00057405 03/09/2014 2 1. Sechs Thesen zur Einbürgerung Hitlers in Braunschweig Der Forschungsbericht „Die Steigbügelhalter. Annotierte Chronik zur Einbürgerung Hitlers in Braunschweig“ versteht sich als Fortschreibung und thematische Ausweitung des For- schungsberichts „Professor oder Regierungsrat? Hitlers Einbürgerung in Braunschweig zwi- schen Provinzposse und Weichenstellung zur Machtergreifung“.1 Es geht nicht mehr nur um die näheren und weiteren Umstände der Einbürgerung Hitlers im Freistaat Braunschweig im Februar 1932, sondern auch um deren Konsequenzen sowie um die politische und wissen- schaftliche Aufarbeitung der Vorgänge seit 1945 bzw. 1960. Welche Bedeutung hatte die Einbürgerung Hitlers für dessen weitere politische Karriere und den Aufstieg der NSDAP im Verlauf des Jahres 1932, der schließlich zur „Machtergreifung“ im Januar 1933 führte? In Beantwortung dieser Frage wird die erste These vertreten, dass ohne die Braunschweiger Einbürgerung und ohne seine Kandidatur zur Wahl des Reichsprä- sidenten Hitlers politischer Aufstieg zumindest gebremst, die Machtergreifung womöglich verhindert worden wäre. Brüning hätte Zeit gehabt, die abflauende Weltwirtschaftskrise zu nutzen und die Weimarer Republik wieder in parlamentarische Bahnen zurückzuführen. Die politische Bedeutung der Einbürgerung wurde 1932 von den beteiligten Akteuren besonders herausgestrichen und nach 1945, z.T. von denselben Akteuren, vehement bestritten. Dabei ist die innerparteiliche Kontroverse über den von Hitler favorisierten „Legalitätskurs“, den er im Ulmer Reichswehrprozess beschworen hatte, zu berücksichtigen. Dieser nach 1928 vollzoge- ne strategische Schwenk hätte fast zur Spaltung der Bewegung in einen revolutionären (SA) und einen legalistischen (Partei) Flügel geführt. Da die NSDAP reichsweit kaum auf eine ab- solute Mehrheit oder gar auf eine zu einer Verfassungsänderung notwendige Zweidrittel- mehrheit hoffen konnte, bedurfte der Legalitätskurs einer Koalition mit den bürgerlichen Par- teien. Die „Stennes-Revolte“ im Frühjahr 1931 und die Liquidierung der SA-Führung anläss- lich des sog. „Röhm-Putsches“ im Sommer 1934 waren Ausdruck dieses Konflikts. Auf dem Legalitätskurs stellte die Braunschweiger Koalition von Bürgerlicher Einheitsliste (BEL) und NSDAP seit der Landtagswahl von 1930 eine wichtige Etappe dar – sowohl als Modell für Berlin wie als Steigbügel für Hitler persönlich. Welche Bedeutung hatte der Vorgang für die Braunschweiger Steigbügelhalter, die die Ein- bürgerung beförderten? Auf diese Frage wird die zweite These vertreten, dass Hitler sich dankbar gezeigt hat und seine Braunschweiger Parteifreunde wie deren bürgerliche Helfers- helfer mehrfach geschützt hat, wenn sie anderweitig unter politischen Druck geraten waren. Insofern war die Braunschweiger Koalition aus Bürgerlicher Einheitsliste (BEL) und NSDAP, deren eigentlicher Zweck – spätestens nach dem Wechsel von Franzen zu Klagges – aus Sicht der NSDAP in der Einbürgerung Hitlers als unabdingbare Voraussetzung zu dessen Machter- greifung bestand, sogar mehr als das Modell für das Reich. Die Braunschweiger Koalition von 1930-1933 demonstriert in ihren vielen Facetten und Verästelungen die falschen Hoffnungen und Illusionen der nationalkonservativen und nationalliberalen Politiker über die Möglichkeit, die NSDAP politisch einbinden und zähmen zu können. Die „Harzburger Front“ konnte nur im Freistaat Braunschweig aufmarschieren, galt im benachbarten Preußen doch ein Aufmarschverbot. Die Koalition demonstriert aber auch die sich zusammenbrauende Mi- schung aus Faszination und Einschüchterung breiter Kreise des Bürgertums weit über das nationalkonservative Lager hinaus. Am Ende gab es kein Halten mehr. Selbst die ganz große Koalition von unten aus Stahlhelm und Reichsbanner, wie im sog. Braunschweiger Stahl- 1 Erschienen als Forschungsberichte aus dem Institut für Sozialwissenschaften Nr. 110, November 2013; vgl. dazu mein Interview in der Braunschweiger Zeitung vom 28.12.2013 „Neues über Hitlers Coup in Braun- schweig“. http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00057405 03/09/2014 3 helmputsch versucht, stand auf verlorenem Posten. Damit lieferte Braunschweig sogar für den letzten Versuch einer Gegenmobilisierung noch das Modell. Und schließlich ist zu fragen: Welchen Vorteil hat das Land Braunschweig bzw. die Braun- schweiger Region später daraus gezogen, dass hier die NSDAP seit 1930 an der Macht betei- ligt war und nur hier Hitler die ersehnte deutsche Staatsbürgerschaft verschafft werden konn- te? Darauf wird wird die dritte These vertreten, dass der reichsweit nahezu einzigartige Mo- dernisierungsschub, den die Region in den Jahren 1933-1942 erfahren hat, obwohl Braun- schweig weder „Führerstadt“ noch Gauhauptstadt war und auch nicht zu Speers „Neugestal- tungsstädten“ gehörte, als Gegenleistung zu verstehen ist für die frühen Dienste, die das Land der Partei und ihrem Führer geleistet hat. Hitler hat sich laufend und immer wieder bis in kleinste Details in die Planung für die Region eingeschaltet. Dabei ist der Zusammenhang zur 1934 angekündigten Reichsreform, die auf die Zeit nach dem Krieg vertagt wurde, der damals wie heute bestehenden Konkurrenz Hannover-Braunschweig und das Bemühen des Minister- präsidenten Klagges, sich in der Konkurrenz zum Reichsinnenminister in Berlin, zum Reichs- statthalter in Dessau und zum Gauleiter in Hannover zu behaupten, in Rechnung zu stellen. Auch wenn er mit dem Plan eines eigenen Gaus Ostfalen unter Einschluss von Hildesheim und Lüneburg mit einer Gauhauptstadt Braunschweig (und einem Gauleiter Klagges) geschei- tert ist, so sah er im industriellen, sozialen und kulturellen Ausbau des Landes doch die große Chance, schrittweise von unten die Bedeutung Braunschweigs zu steigern. Allerdings deuten die Planungen für die „Stadt der Reichswerke“ alias „Hermann Göring-Stadt“ darauf hin, dass diese nach dem „Endsieg“ gegenüber Hannover wie Braunschweig das Rennen als Gauhaupt- stadt bzw. Hauptstadt einer Provinz Niedersachsen gemacht hätte. Immerhin hat Hitler dem Land Braunschweig eine Bestandsgarantie gegeben, obwohl seine geringe Bevölkerungszahl den Prinzipien der Reichsreform zuwiderlief. Selbst die NSDAP bzw. selbst Hitler war nicht in der Lage, den Konflikt zwischen Hannover und Braunschweig zu lösen, sondern musste Ausflucht in einem Scheinkompromiss nehmen, der ein Widerspruch in sich war. 1946 hat sich mit der Gründung des Landes Niedersachsen doch noch die Rationalität der Reichsre- form durchgesetzt. Eine frappierende Parallele gibt es zu Linz. Linz war im Verständnis Hitlers seine Heimat- stadt, seit die Familie 1900 nach Leonding bei Linz übergesiedelt war. Linz hat ihn 1925 auf seinen Antrag hin gern ausgebürgert, um den auf Bewährung freigelassenen und nach seiner Haftentlassung aus Landsberg von der Abschiebung bedrohten Putschisten nicht aufnehmen zu müssen. Linz erfreute sich seit dem „Anschluss“ Österreichs 1938 seiner besonderen Auf- merksamkeit, das er als „Führerstadt“ in Konkurrenz zu Wien zum kulturellen und industriel- len Zentrum Österreichs ausbauen wollte. Das zweite Standbein der Reichswerke neben Salz- gitter wurde Linz. Statt wie in Salzgitter oder Wolfsburg zur Unterbringung der vielen neuen Arbeitskräfte eine neue Stadt zu gründen, wurde der Wohnungsbau in Linz vorangetrieben, der noch heute unter dem Begriff „Hitlerbauten“ firmiert2. Diese könnten, ohne aufzufallen, in manchen Vierteln von Salzgitter oder Wolfsburg stehen. Das Thema Einbürgerung erfuhr bereits vor und unmittelbar nach dem Selbstmord Hitlers am 30.4.1945 im „Führerbunker“, so die vierte These, seine Fortsetzung, weil seit 1944 etliche der 1932 mit der Einbürgerung Befassten persönliche Aufzeichnungen zur späteren Rechtfer- tigung angefertigt haben. Ihnen schwante, dass die Mitwirkung bei der Einbürgerung Hitlers nach dem absehbaren Untergang des „Dritten Reichs“ ihnen angelastet werden würde. Tat- sächlich spielte der Vorwurf „wesentliche Förderung des Nationalsozialismus“ in den Entna- 2 Vgl. dazu den Katalog der Ausstellung „Hitlerbauten“ in Linz, 2012 sowie Löhr 2013 und Mayrhofer/Schuster 2002. http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00057405 03/09/2014 4 zifizierungsverfahren und der daraus folgenden Einstufung in die Kategorien III, IV