Kirche und Schule in Äthiopien

Mitteilungen der Tabor Society e.V. Heidelberg

ISSN 1615-3197

Heft 64 / November 2011

Kirche und Schule in Äthiopien, Heft 64 / November 2011 IMPRESSUM

KIRCHE UND SCHULE IN ÄTHIOPIEN (KuS) - Mitteilungen der TABOR SOCIETY - Deutsche Gesellschaft zur Förderung orthodoxer Kirchenschulen in Äthiopien e.V. Heidelberg

Dieses Mitteilungsblatt ist als Manuskript gedruckt Vorstandsmitglieder der Tabor Society: und für die Freunde und Förderer der Tabor Society bestimmt. 1. Vorsitzender: Pfr. em. Jan-Gerd Beinke Die Tabor Society wurde am 22. März 1976 beim Furtwängler-Str. 15 Amtsgericht Heidelberg unter der Nr. 929 ins 79104 Heidelberg Vereinsregister eingetragen. Das Finanzamt Heidel- Tel.: 0761 - 29281440 berg hat am 21. 07. 2011 unter dem Aktenzeichen 32489/38078 der Tabor Society e.V. Heidelberg den Stellvertr. Vorsitzende und Schriftführerin: Freistellungsbescheid zur Körperschaftssteuer und Dr. Verena Böll Gewerbesteuer für die Kalenderjahre 2005, 2006, Alaunstr. Str. 53 2007 zugestellt. 01099 Dresden Tel.: 0351- 8014606 Darin wird festgestellt, dass die Körperschaft Tabor Society e.V. nach § 5 Abs.1 Nr.9 KStG von der Kör- Schatzmeisterin: perschaftssteuer und nach § 3 Nr. 6 GewStG von der Dorothea Georgieff Gewerbesteuer befreit ist, weil sie ausschließlich und Im Steuergewann 2 unmittelbar steuerbegünstigten gemeinnützigen Zwek- 68723 Oftersheim ken im Sinne der §§ 51 ff. AO dient. Die Körperschaft Tel.: + Fax: 06202 - 55052 fördert, als allgemein besonders förderungswürdig an- weitere Vorstandsmitglieder erkannten gemeinnützigen Zweck, die Jugendhilfe. Dr. Kai Beermann Die Körperschaft ist berechtigt, für Spenden und Mit- Steeler Str. 402 gliedsbeiträge, die ihr zur Verwendung für diese 45138 Essen Zwecke zugewendet werden, Zuwendungs- bestäti- Tel.: 0201 - 265746 gungen nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck (§ 50 Abs. 1 EStDV) auszustellen. Prälat Martin Pischel Zwölfling 14 Der Mitgliedsbeitrag für ein Jahr beträgt 20,- EUR; 45127 Essen Studenten und Nichterwerbstätige zahlen den Tel.: 0201 - 232574 ermäßigten Beitrag von 10,- EUR, er gilt als Spende. Für die Arbeit der Gesellschaft werden jedoch zusätzlicher Beisitzer Spenden über diesen Betrag hinaus dringend Pastor Markus Lesinski gebraucht. Im Sieksfeld 19 30966 Hemmingen Bitte benutzen Sie für Ihre Zahlungen das den Heften 0171 - 3184995 von „Kirche und Schule“ beigefügte Formular, auf diesem Zahlungsbeleg ist die für die Steuerbehörde notwendige Spendenbescheinigung bereits aufge- ISSN 1615-3197 druckt.. http://www.tabor-society.de

Anschrift der Redaktion von KuS: Konto der Tabor Society: Annegret Marx u. Dr. Friedrich Dworschak Grüneck 4, 52064 Aachen Nr. 130 34 73 Tel.: 0241 - 75124 Fax: 0241-709 1880 E-Mail: [email protected] (BLZ 672 500 20) Die in „Kirche und Schule“ veröffentlichten Sparkasse Heidelberg Beiträge sind nicht in jedem Fall mit der Meinung der Redaktion identisch. Kosten pro Heft: 5,- € 3

INHALTSVERZEICHNIS

Editorial 4

Aus dem Vereinsleben der Tabor Society 5 Protokoll der Mitgliederversammlung in Köln-Longerich am 20.11.2010 Kassenprüfungsbericht 2010 Protokoll der Mitgliederversammlung in Heidelberg am 24.09.2011

Meldungen aus Deutschland 8 Die 33. Evangelische Kirchentag Juni 2011 in Dresden Patroziniumsfest Sankt Mikael in Köln-Longerich

Meldungen aus Äthiopien 11 Jahresbericht von Megabe Fesseha Sendekie Workie 2010 J.G. Beinke: Bericht über meine Äthiopienreise vom 08.02.2011 – 24.02.2011

Briefe aus Äthiopien 17

Artikel

Axel Barner: Das Äthiopien-Bild im europäischen Spätmittelalter 21 Dorothea McEwan: Eine Fallstudie aus der äthiopischen Geschichte um 1850: 32 Zwei Kämpfer um den Thron und die Gründung des Kirchenbezirkes Däräsgé Maryam in den Semien Bergen. die Gründung des Kirchenbezirkes Däräsgé Maryam in den Semien Bergen. (farbige Abbildungen zu diesem Artikel: Heftmitte, Seiten 28 - 29). Buchbesprechungen 48 V. Böll: Volker Matthies, Unternehmen Magdala. Strafexpedition in Äthiopien. V. Böll: Christine Chaillot, vie et spiritualité des Églises orthodoxes orientales des traditon syriaque, arménienne, copte et éthiopienne A. Marx: Marieluise Kreuter und Rolf P. Schwiedrzik-Kreuter, Äthiopien – von innen und außen, gestern und heute A.Marx: Rudolf Fischer. Äthiopien - Landschaften, Gesichter, Kirchen

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Editorial Liebe Leserinnen und Leser, das Layout für das Heft KuS 64 ist abgeschlossen und wir hoffen, dass Sie die Zeitschrift mit Interesse lesen werden. Für Anregungen und offene Kritik sind wir stets dankbar; teilen Sie uns Ihre Meinung mit. Wir danken allen Autoren, die durch die Zusendung von Artikeln, Fotos oder Übersetzungen zum Gelin- gen dieses Heftes beigetragen haben! Im KuS 63 kündigten wir an, dass die Tabor Society prüfen will, ob sie ihre Mitgliederversammlung künftig in verschiedenen Städten in Verbindung mit den jeweiligen äthiopisch-orthodoxen Gemeinden durchführen kann. Das Ziel war es auf diese Weise nicht nur die Mitglieder der Tabor Society mehr über das Leben der Äthiopier in Deutschland zu unterrichten, sondern auch das Interesse der Äthiopier an der Tabor Society zu wecken. Am 20.11.2010 war es soweit: Die Mitgliederversammlung der Tabor Society-Heidelberg e.V. fand zu- sammen mit der Äthiopisch-Orthodoxen Gemeinde St. Mikael in Köln-Longerich im Gemeindehaus der St. Dionysios-Gemeinde statt und die anwesenden Äthiopier erhielten einen Eindruck von der Tabor-So- ciety. Es wurde beschlossen die Mitgliederversammlung wenn möglich jedes zweite Jahr in einer ande- ren äthiopisch-orthodoxen Gemeinde durchzuführen. Inzwischen hat auch die nächste Mitgliederver- sammlung wieder in Heidelberg stattgefunden, als nächstes Ziel denkt man an Frankfurt. Anfang des Jahres 2011 (vom 8.02. – 24.02.2011) besuchte Pfr. Jan-Gerd Beinke Debre Tabor um ge- meinsam mit Ato Fesseha und den Vertretern und Schulleitern der von der TS unterstützen Kirchenschu- len verschiedene Probleme zu erörtern. Der ausführliche Bericht von Pfr. Beinke mit dem Ergebnis, dass "Wir endlich von der Katastrophenhilfe zur Hilfe zur Selbsthilfe kommen müssen", ist in KuS 64 abge- druckt. In diesem Heft drucken wir zwei Briefe aus Äthiopien: Ein Nekrolog des berühmten Lehrers und Gelehrten Mämher Wuhib Sellase Mäkonnen, der im Alter von 88 Jahren starb und eine Qene (Gedicht) von Mälakä Gänät Beruh Amsalu aus Mahädärä Maryam mit einer Über- setzung, bez. inhaltlichen Zusammenfassung auf Deutsch, die Frau Dr. Böll verfasst hat. Frau Dr. Böll ist als Fachfrau von diesem Beitrag heutiger Dichtung in der alten äthiopischen Tradition ganz begeistert und wird alles für ihre weitere Erforschung, Übersetzung und Veröffentlichung einset- zen, damit wir alle diese Texte würdigen können. In diesem Heft finden Sie zwei Artikel mit Themen aus der Geschichte Äthiopiens.: Axel Barner – Lehrer für Deutsch und Geschichte an der Deutschen Botschaftsschule in Addis Abeba – berichtet über die ersten direkten Kontakte zwischen Europa und Äthiopien in "Das Äthiopien-Bild im europäischen Spätmittelalter" und stellt den von Sagen umwobenen “Priesterkönig Johannes* ” in den Mittelpunkt seines Interesses. Dorothea McEwan knüpft an diesen Herrschaftsmythos an und führt uns die Zeit des 19. Jh. vor Augen, in der es um den Kampf zweier Fürsten in den Semien-Bergen um den Thron zur Wiedergewinnung der zentralen Macht des Kaisertums geht, den schließlich Kaiser Tewodros II. gewinnt. In den Buchbesprechungen sind vier Äthiopien relevante Bücher rezensiert. * Weitergehende Information über die Legende des Priesterkönigs Johannes finden Sie unter: http://www.oidmg.org/download/priesterjohannes.pdf http://www.unilu.ch/files/proseminararbeit_priesterkoenig-johannes.pdf

Aachen am 31. Oktober 2011, für die Redaktion von Kirche und Schule Dr. Friedrich Dworschak und Annegret Marx

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AUS DEM VEREINSLEBEN DER TABOR SOCIETY

PROTOKOLL DER MITGLIEDERVERSAMMLUNG DER Pfr. Beinke beklagt sich über die schwierige Kommu- TABOR SOCIETY-HEIDELBERG E.V. IM GEMEINDE- nikation, wenn Briefe von äthiopischen Partnern im- HAUS DER ST. DIONYSIOS-GEMEINDE IN KÖLN-LON- mer wieder nur teilweise oder gar nicht beantwortet GERICH AM 20.11.2010 werden, aber sofort reagiert wird, wenn Geld fehlt. Beginn 15.00 Uhr Ende 17.45 Uhr Der Kassenbericht der Kassenprüfer Drs. A. und B. Massner wird verlesen und von der Mitgliederver- Anwesend: Dr. K. Beermann, Pfr. J.G. Beinke, Dr. F. sammlung angenommen. Dworschak, D. Georgieff, K. Haan, A. Heyer, H. Kunstmann, Pfr. M. Lesinski, D.Ott, A. Otto, Prälat Die Tabor Society hat im Jahr 2009 Einnahmen und Martin Pischel, Dr. Maya Pries, Sissay Taye, S. Wint- Ausgaben in Höhe von ca. € 12.000,00. Die Rückla- zer, Dr. Merawi Tebege und Kes Mesfin Fellege, gen der Tabor Society betragen € 27.000,00. äthiop. orth. Gemeinde München Die erhöhten Zuwendungen (Lehrer 25%, Schüler Entschuldigt: Frau Dr. V. Böll, stellvertretende Vorsit- 50%) sollen fortgeführt werden, da die Lebensmittel- zende der TS, Frau Dr. A.K. Massner und Herr Dr. B. preise in Äthiopien immer noch hoch sind und auch Massner, Kassenprüfer, Frau A. Marx-Dworschak, die erhöhten Zuwendungen nicht reichen. Die Zuwen- Redaktion von KuS, Herr W. Buder. dungen können auch wegen des Kursverfalls des ETB von uns gezahlt werden. Für die erhöhten Zu- Begrüßung der Anwesenden durch Pfr. Beinke, Fest- wendungen brauchten wir vor 2 Jahren 3.000,00 € pro stellung der Beschlussfähigkeit. Quartal, jetzt können wir mit 1.500,00 € pro Quartal Begründung warum die Mitgliederversammlung nicht die gleichen „Stipendien“ zahlen. in Heidelberg stattfindet: Dem Vorstand der Tabor Society, insbesondere der Durch zeitliche und räumliche Verbindung von Mit- Kassenführung wurde von der Mitgliederversamm- gliederversammlung und Patrozinium der Äthiopisch- lung Entlastung gewährt. orthodoxen Gemeinde St. Mikael in Köln-Longerich Durch Teilnahme an der Mitgliederversammlung ha- besteht die Möglichkeit, die Arbeit der Tabor-Society ben die anwesenden drei Äthiopier einen Eindruck bei den Äthiopiern bekannt zu machen und gibt den von der Tabor Society erhalten. Mitgliedern der Tabor-Society Gelegenheit, orthodo- xen Äthiopiern in Deutschland zu begegnen. Die Äthiopier berichteten vom Leben der äthiopisch- orthodoxen Gemeinden in Deutschland. Rechenschaftsbericht des Vorstandes: Aufgrund des Vorschlages des Vorstandes der Tabor Pfr. Beinke dankt den Spendern für Ihre Spenden, den Society in allen Kirchenschulen Schulgärten zur Ver- unterstützenden Gemeinden für Ihre Kollekten und besserung der Ernährung anzulegen, entwickelte sich Frau Georgieff und Frau Dr. Massner für Ihre Arbeit, im Anschluss an die Mitgliederversammlung ein le- durch Bücherverkauf für die Tabor-Society Geld zu bendiges transkulturelles Gespräch über das Verständ- verdienen. nis von Arbeit und Rolle, über die Übersetzung von Pfr. Beinke dankt Frau Georgieff für die Verdankung Werten und Normen der Tradition in die Gegenwart. der Spenden, die Verwaltung der Konten und die Ab- gez. Pfr. Jan-Gerd Beinke wicklung der Zahlungen nach Äthiopien und den Vorsitzender der Tabor-Society Heidelberg e.V. Schriftverkehr. Pfr. Beinke berichtet von den verschiedenen, bis jetzt Kassenprüfungsbericht 2010 erfolglosen, Anregungen und Vorstößen des Vorstan- Der Kassenprüfungsbericht umfasst die Zeit vom des, den äthiopisch-orthodoxen Kirchenschulen zu ei- 1.1.2010 -31.12.2010. Geprüft wurden die Konten genen Einnahmen zu verhelfen. Nr.1303473, 58112836, 3147017781 und das Z-Spar- Pfr. Beinke erzählt von dem zunächst einmal geschei- konto 3000608423 bei der Sparkasse Heidelberg BLZ terten Imkerei-Projekt in Bethlehem und dem Versuch 67250020. Die Einnahmen beliefen sich auf EUR mit Hilfe einer Spende von Herrn Peter Heyer erst den 18.141,50. Es ergaben sich keine Beanstandungen bei Bau eines Schlafsaales in Medhane Alem Gubae Bet der Verbuchung der Eingänge. Die Ausgaben betrugen in und jetzt den Bau eines Backhauses zu fi- EUR 5.696,58. Sie erfolgten satzungsgemäß. nanzieren.

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Salden zum 31.12.2010: Konto Nr. 1303473: EUR 7.203,14 Konto Nr. 58112836: EUR 9.291,45 Konto Nr. 3147017781: EUR 13.937,13 SPK-Brief 2200928620 : EUR 5.000,00 Z-Sparkonto Nr.3000608423 : EUR 5.596,84 Das Guthaben des Vereins beträgt EUR 41.028,56 per 31.12. 2010. Einnahmen: Ev. Kirchengemeinde Peterskirche, Heidelberg 2.096,55 EUR Legat A.Zeleke 5.000,00 EUR Ev. Kirchengemeinde Friedrichsberg 156,56 EUR KKA Ronnenberg 502,37 EUR Gemeinde Oftersheim 150,00 EUR KKA Schleswig 39,55 EUR Einzelspenden 6.645,07 EUR Mitgliederbeiträge 1.761,61 EUR Bücher-und Kartenverkauf (Heyer u.a.) über Internet (G) 670,00 EUR Bücherverkauf über Internet (M) 675,99 EUR Benefizveranstaltung am 5.5.2010 443,80 EUR

Einnahmen insgesamt 18.141,50 EUR Ausgaben: Kirchenschulen 3.014,00 EUR Druckkosten (Kirche und Schule Nr. 63) 507,23 EUR Druckkosten Weihnachtskarten 244,13 EUR Portokosten 353,14 EUR Bankgebühren 40,30 EUR Strato 154,37 EUR Raummieten 182,00 EUR Rückbuchung 28,00 EUR Reisespesen ( Dr. Asfa Wossen Asserate) 231,00 EUR Reisekosten (Pfr.Beinke) 868,00 EUR Büromaterial 59,46 EUR Buch Afrika 14,95 EUR

Ausgaben insgesamt 5.696,58 EUR

Für die Richtigkeit: gez. Dr. A.Massner gez. Dr. B.Massner

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PROTOKOLL DER MITGLIEDERVERSAMMLUNG DER 1. Will Mekane Yesus einen Webstuhl oder eine Bäk- TABOR SOCIETY E.V. HEIDELBERG AM 24.09.2011 IN kerei (Priorität, da beides nicht finanzierbar sein HEIDELBERG. wird)? 2. Präziser Kostenvoranschlag für dieses Projekt. Beginn: 16.15 Uhr Ende: 18.30 Uhr 3. Wer soll dort arbeiten? Schüler oder Angestellte? Anwesende: Dr. Kai Beermann, Pfr. Jan-Gerd Beinke, 4. Wie hoch ist der zu erwartende Gewinn? Lilli Boje,Walter Buder, Ingeborg Diechtierow, Pfr. Prälat Pischel erklärt sich bereit herauszufinden, ob Helmut Falkenstörfer und Frau, Dorothea Georgieff, eine Finanzierung durch Microkredite durch eine Johanna Heger, Markus Lesinski, Dr. Anne Massner, äthiopische Bank in Zusammenarbeit mit der Bi- Prälat Martin Pischel, Peter Räuschel, Prof. Adolf Rit- stumsbank Essen möglich ist. ter. e) Medhane -Alem - Gondar Entschuldigt: Frau Achtnich, Dr. Verena Böll, Pfr. Da- merow, Herr und Frau Dr. F. Dworschak/Marx, An- Der lange geplante Schlafsaal konnte aus Geldmangel dreas Heyer, Herr Schnitzer, Dr. B. Massner. nicht gebaut werden. Die TS hat den Bau und Einrich- tung einer Bäckerei mit 7.500 € aus der Spende von Pfr. Beinke begrüßt die Anwesenden – bedauert etwai- Peter Heyer mitfinanziert. Die regelmäßige Unterstüt- ge Unannehmlichkeiten durch den „Heidelberger zung der Kirchenschule wurde beendet. Herbst“. Eine regelmäßige Unterstützung des Klosters Sebeta TOP 1: Rechenschaftsbericht des Vorstandes wird nicht aufgenommen. An das Kloster Sebeta wur- Pfr. Beinke dankt herzlich allen Spendern, besonders den 400 € für das Waisenhaus in Dire Dawa wegen der verstorbenen Frau Zelleke für das Legat, der Uni- Hungersnot überwiesen. versitätsgemeinde Heidelberg für die Kollekten sowie Der Vorstand der TS beschließt die Erhöhung der Zu- für die Kollekten anderer Gemeinden, Einzelspendern wendungen für Lehrer und Schüler von 25 % wegen und Beiträgen. stark gestiegener Preise für Lebensmittel in Äthiopi- TOP 2: Bericht über die fünf Kirchenschulen en. Wenn nach Erhöhung der Zuwendungen die Schü- ler immer noch hungern, sollen die Zuwendungen a) Bethlehem noch einmal erhöht werden. Da die Ausrüstung für Bienenzucht bereits vorhanden TOP 3: Kassenprüfungsbericht ist, fordert der Vorstand der Tabor Society die Kir- chenschule in Bethlehem auf, einen neuen Versuch Einnahmen insgesamt: 18.141,50 € der Imkerei zu starten (Bienenvölker kaufen). Außer- Ausgaben insgesamt: 5.696,58 € dem soll Bethlehem von dem Restgeld für Imkerei, Guthaben per 31.12.2010 41.028,56 € wie versprochen, einen Schulgarten anlegen. TOP 4: Die Mitgliederversammlung gewährt dem b) Zuramba Vorstand Entlastung. Die Kirchenschule hat bis heute leider keine realisti- TOP 5: Der alte Vorstand wird wieder gewählt: Pfr. schen Vorschläge für Projekte gemacht, um zu eige- Jan-Gerd Beinke (1.Vorsitzender), Frau Dr. V. Böll nen Einnahmen zu kommen. Zuramba erhielt im (Stellvertretende Vorsitzende und Schriftführerin), D. Sommer 2011 zusätzlich € 300 wegen Hungersnot Georgieff (Schatzmeisterin), Dres. B.u.A.K. Massner und € 340 für Decken für frierende Schüler. (Kassenprüfer), Prälat M. Pischel und Dr. K. Beer- mann (Stimmberechtigte Beisitzer), Markus Lesinski c) Mahedere Mariam (zusätzlicher Beisitzer). Die TS hat € 10.000 für die Einrichtung einer Ölmüh- TOP 6: Vortrag von Herrn Pfr. i.R. Helmut Falken- le ausgezahlt. Der Vorstand bittet um einen Bericht störfer und Fotos von der Einrichtung der Ölmühle. „Der große Versuch – Äthiopiens riskanter Sprung d) Mekane Yesus nach vorn. Politisches und wirtschaftliches Pro- Die Kirchenschule Mekane Yesus hat einen Antrag gramm und Wirklichkeit einer Entwicklungsdikta- auf Errichtung eines Webstuhles oder einer Bäckerei tur“. gestellt. Der Vorstand will diesen Antrag erst entschei- Gez. Jan-Gerd Beinke den, wenn folgende Fragen gestellt sind:

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MELDUNGEN AUS DEUTSCHLAND

LEBHAFTE DISKUSSIONEN IN DER thentisch nicht nur an Revolutionstagen in Ägyp- KARAWANSEREI ten teilhaben zu lassen, sondern auch Befürch- tungen und Hoffnungen einer christlichen Min- Kirchentagsbesucher erleben und diskutieren mit derheit in einem majoritär islamischen Land zu Christen aus dem Nahen Osten verdeutlichen. Besonders lebendig wurden die Während des 33. Deutschen Evangelischen Kir- Revolutionstage der ersten Monate 2011 durch chentags (DEKT) vom 01. - 05.06.2011 in Dres- den Beitrag von christlichen und muslimischen den wurden verschiedene Veranstaltungen zum Bereich von "Christen im Nahen Osten" und zum Leben von Menschen im Nahen Osten angebo- ten. Auf dem ,Markt der Möglichkeiten' (MdM) führ- te der Marktbereich 3 "Eine Welt: Naher Osten" in die Situation der Christen und Menschen in Palästina ein. Im Marktbereich 1 des MdM wur- de darüber hinaus den Besuchern in der "Kara- wanserei Christen im Nahen Osten" die Komple- xität christlichen Lebens im gesamten Nahen Osten, seine Vielfalt, Widersprüchlichkeit und Begegnung mit der Äthiopisch-Orthodoxe Tewahedo seine unterschiedliche Bewertungen vor Augen Kirche. Qes Merawi Tebege aus Köln auf der rechten geführt. In "gelebter Ökumene" fanden in der Seite sitzend. © P. Räuschel "Karawanserei" die orientalisch orthodoxen Kir- Schülern der Deutschen Evangelischen Ober- chen aus Ägypten, Äthiopien, Armenien und Sy- schule Kairo mit ihrem Religionslehrer und Pa- rien (Patriarchat von Antiochien) und ihre Ver- stor Axel Matyba (Kairo). Anschaulich erzählte treter in Deutschland sowie das Institut für Mu- die syrisch orthodoxe Schwester Hatune Dogan sik und Hymnen im koptisch orthodoxen Patriar- vom Norden bis an den Euphrat wie auch über chat Kairo zusammen. Jede dieser Kirchen und den Süden bis an die Quellen des Nil. Der äthio- das Institut berichteten in Wort, Bild und Ton pisch orthodoxe Erzpriester Dr. Merawi Tebege aus ihrer je eigenen Heimatkirche und dem Le- (Köln) und Dr. Verena Böll (Äthiopistin, Tabor ben in der deutschen Diaspora. Gleichzeitig wur- Society e.V. Heidelberg) öffneten den Blick auch den durch Berichte auf einem „Teeplatz" kirchli- bis Äthiopien. Der armenisch orthodoxe Diakon che aber auch persönliche und existentielle Er- Prof. Dr. Hacik Gazer (Erlangen) und Prof. Dr. fahrungen angesprochen und mit Fragen und Karl Pinggéra (Marburg) halfen als Ostkirchen- Wünschen der Besucher in Verbindung gebracht. kundler, die Erlebnisse und Beobachtungen bei Vertreter der einzelnen Kirchen, Augenzeugen einer Tasse Tee einzuordnen. Der koptisch evan- (z.B. der Revolutionsereignisse in Ägypten) und gelische Pastor David Gabra (Hurghada) und Sa- ökumenische Partner ließen an ihren Erfahrun- mira Luka (koptisch evangelische Diakonie, Kai- gen, Beobachtungen, Bewertungen und Hoffnun- ro) berichteten lebhaft vom Leben einer Minder- gen teilhaben. Kirchentagsbesuchern wurde Ge- heit innerhalb der christlichen Minderheit im Na- legenheit geboten, direkt ihre Fragen und Be- hen Osten. Die Deutsch-Armenische Gesell- fürchtungen in lebhaften Diskussionen auszu- schaft und die Tabor Society e.V. Heidelberg un- sprechen. Neben den Erfahrungen aus langjähri- terstützten die "Karawanserei". OKR Jens Nieper ger Nahostbeziehung von Landesbischof Dr. Jo- (EKD, Hannover), Dr. Owe Boersma (EMZ, hannes Friedrich (München) ließ Bischof Prof. Hamburg) und Pastor Markus Lesinski (Hem- Dr. Martin Hein (Kassel) an seinen frischen Er- mingen) organisierten und moderierten diese lebnissen im Libanon und in Syrien teilhaben. Markteinheit. Der koptisch orthodoxe Generalbischof in Deutschland, Anba Damian (Höxter-Brenkhau- Das "Podium Christen im Nahen Osten" spürte sen) sowie die koptisch orthodoxe Ikonenmalerin der "Chance für die christlichen Minderheiten" Dalia Sobhi Ibrahim (Kairo) verstanden es, au- im "Nahen Osten im demokratischen Aufbruch"

Kirche und Schule in Äthiopien, Heft 64 / November 2011 Meldungen aus Deutschland 9 nach. Fachkundig und einfühlsam moderierte die der Frauenkirche, im Fußballstadium, im Deut- Journalistin Golineh Atai (Köln) die vielfältigen schen Hygiene Museum Dresden und direkt an Facetten christlichen Lebens im Nahen Osten, der Elbe statt. nachdem Prof. Dr. Karl Pinggérra (Marburg) in Die Kirchentagsgäste waren sehr aufmerksam, das Thema eingeführt hatte. Der Journalist Ru- umsichtig und höflich. Und vor allem auch flexi- dolph Chimelli (Paris), Landesbischof Dr. Johan- bel. Das Wetter war sommerlich heiß gewesen, nes Friedrich (München), Ruth Jüttner (Berlin) viele übernachteten daher im Schlafsack direkt und Samira Luka (Kairo) ließen die je unter- an der Elbe. schiedliche Situation von Christen zwischen Schwarzem Meer und Euphrat sowie Nil und arabischer Wüste eindrucksvoll aufleben. Durch die Anwälte des Publikums, die Pastoren Ulrich Zenker (München) und Markus Lesinski (Hem- mingen) steuerte das zahlreiche und interessierte Publikum sowohl aktuelle als auch historische Fragen und Anregungen bei. Mit diesen Podiums- und Marktbereichsveran- staltungen begleitete der DEKT aktuelle, Gesell- schaft und Kirche bewegende Ereignisse und Prozesse. Gesprächsansätze und Begegnungen, Begegnung mit der Äthiopisch-Orthodoxe Tewahedo Kontroversen und gemeinsames sowie vielfälti- Kirche. Diskussionsleiter Markus Lesinski mit Mikro- ges Engagement drängen zu Fortsetzungen auf phon; Verena Böll mit Tochter im Hintergrund. künftigen Kirchentagen. © P. Räuschel 30.09.2011, Markus Lesinski Die Besucher erlebten und gestalteten ein volles Programm. Ein Programmteil war der so genann- te „Markt der Möglichkeiten“. Dort kam es zu KIRCHENTAG IN DRESDEN 2011 Begegnungen mit anderen Kirchen. Eine Ecke Der 33. Evangelische Kirchentag fand vom 1.-5. bildete die Karawanserei. In dieser Oase trafen Juni 2011 in Dresden statt. sich die orientalischen Christen. Die Armenier, Syrer, Georgier, Ägypter, Araber und die Äthio- Für den Kirchentag war diese Bibelstelle ausge- pier stellten ihre Kirche vor. Für die Äthiopisch- sucht worden: Orthodoxe Tewahedo Kirche war Qes Merawi Tebege aus Köln angereist. Die Kopten wurden „… da wird auch dein Herz sein“ Matthäus 6,21. durch Bischof Damian präsentiert. Auf den Ti- Daneben waren zwei Hände zu sehen, die in ih- schen lagen Material zu den Kirchen, Fachlitera- rer Mitte ein Herz bildeten. tur und typische Objekte der jeweiligen Kirche, wie äthiopische Kreuze. Zahlreiche Besucher Der Spruch sprang den Dresdnern schon monate- blieben stehen und informierten sich. In den vie- lang vorher ins Auge. Viele waren skeptisch, ob len Diskussionsrunden, die von Markus Lesinski alles wirklich so friedlich verlaufen würde. Es organisiert wurden, fanden Gespräche mit den war immerhin ein Ereignis, bei dem die ganze Gästen statt. Aber auch untereinander wurde le- Stadt mit einbezogen wurde. bendig diskutiert. Insgesamt war die Atmosphäre Als es dann soweit war, war es wirklich eine her- sehr entspannt. zensgute Begegnung. Eine Zeremonie des Kirchentags fand direkt an In den fünf Tagen kamen insgesamt über der Elbe statt. Die Kirchentagsgäste setzten ein 120.000 Dauerteilnehmer nach Dresden. Der Kerzenlicht in die Elbe, welches bis nach Ham- Kirchentag war sehr gut organisiert. Alles funk- burg schwimmen sollte. Und so wundert es auch tionierte perfekt, von der Verteilung des Essens nicht: Der nächste evangelische Kirchentag wird bis zum Einsatz der öffentlichen Verkehrsmittel. vom 1.-5. Mai 2013 in Hamburg stattfinden. Das Zentrum des Kirchentags lag im Messege- Verena Böll lände, viele Veranstaltungen fanden aber auch an

Kirche und Schule in Äthiopien, Heft 64 / November 2011 10 Meldungen aus Deutschland

PATROZINIUMSFEST SANKT MIKAEL IN KÖLN- LONGERICH Einst hieß sie Luther-Kapelle, wo sich heute der Erzengel Mikael im Lindweilerweg 94 am Ein- gangstor erhebt und die ehemalige evangelische Kapelle in Sankt Mikael-Kirche umgetauft wur- de. Am 21. 11. 2010 feierte die äthiopisch-ortho- doxe Gemeinde, Vorstands- und Mitglieder der Tabor-Society, sowie andere zahlreiche Gäste das Patroziniums- Fest Sankt Mikael. Neben den Ge- meindemitgliedern waren außerdem viele Vertre- ter der äthiopisch-orthodoxen Kirche gekommen, Sankt Mikael in Köln-Longerich um das Fest gebührend zu feiern. Prozession mit Tabot © D. Georgieff Pfr. Jan-Gerd Beinke hatte einen Tag zuvor nach der Mitgliederversammlung der Tabor Society in der Kirche nach der Vesper einen Vortrag über „Die Arbeit der Tabor Society in Äthiopien“ ge- halten. Trotz der großen Entfernung zu Äthiopien und anfänglichen Schwierigkeiten hat man den Ein- druck, dass hier ein Stück alter Tradition weiter- gelebt wird und Kräfte im Spiel sind, die all dies ermöglichten.

Sankt Mikael (Luther-Kapelle) in Köln-Longerich © D. Georgieff

Wie immer begann das Fest um 5.00 Uhr mor- gens mit dem Weihrauchgebet und Lobgesang. Um 8.00 Uhr Taufgottesdienst mit der Heiligen Liturgie und um 10.30 Uhr schloss sich ein Fest- gottesdienst mit Prozession an, wobei man den Tabot (Nachbildung der Bundeslade) um die Kir- che trug.

Sogar die Sonne ließ sich in diesem Moment se- Sankt Mikael in Köln-Longerich hen. Es war ein wunderschöner Anblick der bun- Tanz mit Trommler ten Schirme, der Festtagskleidung der Priester © D. Georgieff und der weißen Gewänder der äthiopischen Frau- „Siehe, ich sende einen Engel vor dir her, der en und Männer und die ästhetischen Tänze und dich behüte auf dem Weg und dich bringe an den Trommler zu beobachten und die Gesänge zu hö- Ort, den ich bestimmt habe“ 2.Mose 23,24. ren. Dorothea Georgieff Im Garten der Kirche hatte man inzwischen ei- nen Weihnachtsbazar mit äthiopischen Speziali- täten errichtet. Nach dem Gottesdienst wurde im Gemeindesaal gesegnetes Brot von Erzpreister Dr. Merawi Tebege an die Gäste und Gemeinde verteilt und anschließend Injera und Wod ser- viert. Die Kaffee-Zeremonie durfte auch nicht fehlen.

Kirche und Schule in Äthiopien, Heft 64 / November 2011 11

MELDUNGEN AUS ÄTHIOPIEN

JAHRESBERICHT VON MEGABE FESSEHA SENDE- BERICHT ÜBER MEINE ÄTHIOPIENREISE VOM KIE WORKIE 2010 08.02.2011 – 24.02.2011 Der Tabor Society sei Dank gesagt mit Respekt von J.G. Beinke für die Unterstützung unserer Lehrer und Kir- Verlauf chenschüler für Essen und Kleidung, für ihre gu- Nach der Ankunft in Addis Abeba am 9.2. wurde ten Taten in den vergangenen 40 Jahren gegen- ich verabredungsgemäß von „Roots Travel“ und über der Äthiopisch- Orthodoxen Kirche. Ato Isayiyas Leyeh vom Flughafen abgeholt. Es ist eindeutig, dass es uns durch die Hilfe der Auf Empfehlung von Frau Dr. Verena Böll habe Tabor Society möglich ist, die Bibel, das alte und ich im „Capuchin Franciscan Institute of Philo- neue Testament, die äthiopische Kommentartra- sophy and Theology“ gewohnt. Die Aufnahme in dition zur Bibel, Kirchentanz- und Musik etc. zu der einfachen Unterkunft war überaus freundlich, studieren. Insgesamt sind wir 528 Lehrer und leider befindet sich das Institut in Asko am Stadt- Studierende. rand von Addis Abeba, ca. 1 Stunde Fahrzeit zur Ihre Hilfe spiegelt sich in allen Winkeln der Erde „Piazza“ entfernt. wider. Auch beim Renovieren unserer Schulge- In Addis Abeba hat mir zum ersten Mal die Hö- bäude, bei der Unterstützung des Bienen-Projek- henlage der Stadt, 2200-2600 m, zu schaffen ge- tes ist Ihre Hilfe einmalig und unterscheidet sich macht. Beim Treppensteigen wurde mir schon von anderen Geldgebern. nach einem Stockwerk leicht schwindelig und Unsere Kirchenschulen funktionieren alle bei- schwarz vor den Augen. Die Zeit in Addis Abeba spielhaft. Alle Studenten, die ihr Studium erfolg- habe ich vor allem zu Besuchen zur Erneuerung reich in allen Fächern in unseren Kirchenschulen von Kontakten genutzt u.a. Holy Trinity College, beendet haben, unterrichten in dem gesamten Patriarchat, Selam Vocational Training Center, Formenreichtum in Gegenden, die im Westen, Deutsches evangelisches Pfarramt. Osten und Norden Äthiopiens liegen. Addis Abeba ist nicht mehr das riesige afrikani- Wir beten für ein langes Leben der Tabor Society sche Dorf, sondern gleicht weithin einer von im Namen der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche Menschen überfüllten asiatischen Metropole. und der fünf Klöster. Überall wimmelt es von Menschen, die etwas verkaufen wollen oder nur herumstehen. Die of- Mit besten Wünschen der Tabor Society! fenkundige Armut ist herzzerreißend, der Fröhliche Weihnacht und ein glückliches Neues Schmutz oft ekelhaft. Jahr! Gleichzeitig ist Addis Abeba eine riesige Bau- Megabe Fesseha Sendekie Workie stelle! Überall werden ganze Bretterbuden-Quar- tiere abgerissen und durch moderne Neubauten Übersetzt von Dorothea Georgieff ersetzt, Wohnungen, Bürohäuser, Fabriken. Entlang der Bole Road, der Asmara Road und dem Mexiko Square sind inzwischen ganze Hochhausviertel entstanden, die amerikanischen Großstädten ähneln. Am 12.2. bin ich von Addis Abeba nach Gondar geflogen und wurde dort verabredungsgemäß von Ato Kebatu Tellele vom Flughafen abgeholt. Gewohnt habe ich im „Foggära Hotel“, einst Dienstwohnung des italienischen Marschalls Graziani, am Rande der Innenstadt gelegen mit Gondär - Die Studenten Kirchenschule Medhane schöner Aussicht und schönem Garten. Alem Gubae Bet mit Pfr. Beinke und Ato Fesseha Sendekie © J.G. Beinke

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sen. Am Donnerstag, dem 17.2., fand dann die Konferenz mit den Schulleitern in Debre Tabor im Beta Kahnat in guter Atmosphäre statt. Daran nahmen von Bethlehem, Zuramba und Mekane Yesus je 2 Vertreter und von Mahedere Mariam 4 Vertreter sowie zeitweilig Abuna Endreyas teil. Die Konferenz wurde mit einem Abendessen – Injera und Wott und Bier – in gelöster Stimmung beendet. Am 18.2. habe ich die Ergebnisse der Konferenz mit Ato Fesseha ausgewertet. Am Samstag, dem 19.2., sind wir nach Gondar Medhane Alem Kirche in Gondar zurückgefahren und haben Like Likawent Gebre während des Gottesdienstes Ezra Haddis zu einem langen Gespräch in Ge- © J.G. Beinke genwart der Studenten der Kirchenschule getrof- Abuna Elssa und Like Likawent Gebre Ezra fen. Dabei ging es um die Verwendung der Spen- Haddis waren an diesem Wochenende nicht in de von Herrn Peter Heyer, die Nichtbeantwor- Gondar. Zum Gottesdienst in der Medhane Alem tung meiner Briefe und die weitere Unterstüt- Kirche in Gondar kam auch Ato Fesseha Sende- zung von Medhane Alem Gubae Bet. Am Mon- kie, Repräsentant der Tabor Society, aus Debre tag, dem 21.2., trafen wir Abuna Elssa zu einem Tabor. Nachdem ich vorher von verschiedenen freundlichen Abschlußgespräch in seinem Haus. Äthiopiern verschiedene Auskünfte über die Zu- Er zeigte uns das von Peter Heyer gemalte Bild gangsmöglichkeiten zu den Kirchenschulen er- halten hatte, eröffnete mir Ato Fesseha, dass Bethlehem, Mahedere Maryam und Zuramba nach wie vor nur durch lange Ritte auf dem Maultier oder lange Fußmärsche, aber nicht per Landrover zu erreichen seien. Dies wollte ich mir im Hinblick auf meine Gesundheit nicht zumu- ten, nach den Problemen mit der Höhenlage, die ich schon in Addis Abeba hatte. Deshalb be- schlossen wir, die Schulleiter zu einer Konferenz in Debre Tabor am 17.2. und eventuell auch am 18.2. einzuladen. An Hand meiner Unterlagen Gondar: Besuch bei Abuna Elssa, daneben das von Pe- und der Korrespondenz haben wir dann stunden- ter Heyer gemalte Bild von St. Ansgar © J.G. Beinke lang die unbeantworteten Fragen meiner Briefe und die Probleme der Kirchenschulen durchge- von St. Ansgar und versprach dafür zu sorgen, sprochen und die Konferenz vorbereitet. Mit ei- dass es in Medhane Alem Gubae Bet einen wür- nigen Besichtigungen von bekannten Sehenswür- digen Platz findet. digkeiten in Gondar gingen die Tage in Gondar schnell zu Ende. Am Dienstag, dem 22.2.2011, bin ich dann von Gondar nach Addis Abeba zurückgeflogen. Zusammen mit Ato Fesseha und Ato Kebatu, der mir in diesen Tagen ein unentbehrlicher Dolmet- Am Mittwochvormittag konnte ich noch das Klo- scher und Begleiter wurde, fuhren wir am 15.2. ster Sebeta besuchen. Die Äbtissin Schwester nach Debre Tabor. Am Nachmittag hatte ich Ge- Fikretemariam hat mich eine Stunde lang durch legenheit den neuen Bischof von Debre Tabor, das große Gelände des Klosters geführt, um mir Abuna Endreyas, zu treffen. Abuna Endreyas ist die vielen Aktivitäten der 105 Schwestern zu zei- ein asketischer Mönch und Gelehrter, ganz an- gen. Waisenhaus ( 200 Mädchen), Schule (über ders als sein Vorgänger Abuna Elssa. Aber er ist 1.000 Mädchen und Jungen), Werkstätten mit auch der Auffassung, dass die Kirchenschulen Ausbildungsplätzen, Kuhstall mit 55 Kühen, Zi- durch Projekte zu eigenen Einnahmen kommen trus-Plantage, Gärten und Fruchtbäume. Die müssen und die Schüler darin mitarbeiten müs- Schwesternschaft hat nach jahrelangen Anlauf- schwierigkeiten ihren Weg gefunden und kann

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sammeln, einen Verein zu gründen und dann zu entscheiden, ob sie die Projekte der Tabor Socie- ty unterstützen wollen oder ein eigenes Projekt anfangen wollen. Ethiopian Airlines ist zurzeit auch außerhalb der Saison meistens ausgebucht. So musste ich für den Rückflug zwischen Donnerstag, dem 24.2. – etwas zu früh- oder Mittwoch, dem 2.3. – etwas zu spät – wählen. Aus verschiedenen Gründen habe ich mich für den früheren Termin 24.2.2011 Sebeta: Lehrwerkstatt Weben entschieden. Nachdem ich gebucht hatte, fielen © J.G. Beinke mir noch viele Dinge ein, die ich in Addis Abeba und Umgebung hätte machen können. So ist mir der Abschied von Äthiopien doch recht schwer geworden! Das liegt vor allem an den Menschen! Mit vielen Menschen in der Region Debre Tabor ist in Jahrzehnte langer Zusammenarbeit ein Ver- trauensverhältnis entstanden. Die Äthiopier ha- ben mich in ihrer großen Armut, erstaunlichen Fröhlichkeit und warmen Herzlichkeit beein- druckt und berührt. Zur Situation der Kirchenschulen. Ich habe die Kirchenschulen nicht besucht, weil mir das gesundheitlich doch als zu anstrengend erschien. Meine Ausführungen beruhen auf den Sebeta: Die Äbtissin des Klosters Fikirte Mariyam Angaben der Schulleiter und sonstigen Schulver- © J.G. Beinke treter auf der Konferenz in Debre Tabor am neue Aktivitäten beginnen. Das Kloster hat die 17.2.2011. jahrelangen Prozesse um die Rückgabe von Klo- Bethlehem sterland gewonnen und plant nun die Ausweitung der Landwirtschaft. 8 Lehrer, 135 Kirchenschüler. 40 Schüler werden seit Jahren von der Tabor Society unterstützt. 40 Am Mittwochabend, dem 23.02.2011, traf ich Schüler seit dem Jahr 2001 von der Synode der noch zwei sehr erfolgreiche Äthiopier, den Arzt Äthiopisch-Orthodoxen Kirche und 55 Schüler und Geschäftsmann, Dr. Agmas, und den Uni- von Mahedere Kidusan seit dem Jahr 2008. versitätsdozenten, Haile Marew. Beide waren nie Schüler der Kirchenschule in Debre Tabor. Aber Es fehlt an Wasser, Kleidung, Essen und Wohn- weil ihre Verwandten in der Kirchenschule Ar- raum für die Schüler. Außerdem wünschen die beit gefunden hatten, haben sie auch indirekt von Schüler einen Zaun um das Gelände – kaum fi- der Kirchenschule profitiert und konnten in De- nanzierbar – dann wenigstens um den anzulegen- bre Tabor zur Schule gehen. Beide kennen viele den Garten, was zu prüfen ist. Auch Bethlehem erfolgreiche ehemalige Kirchenschüler aus Debre soll elektrischen Strom bekommen. Ich habe die Tabor in Addis Abeba. Beide lobten die Tabor Übernahme der Kosten für einen Zähler zuge- Society, besonders den Einsatz von Prof. Heyer sagt, damit der Anschluss daran nicht scheitert. und mir. Aus Dankbarkeit wollen beide etwas für Income Generating Project arme Schüler in der Region Debre Tabor tun. Sie (Ein Einkommen schaffendes Projekt) träumen davon in den jetzt leer stehenden Ge- bäuden in Debre Tabor wieder eine moderne Auf Vorschlag der Kirchenschule in Bethlehem äthiopisch-orthodoxe Kirchenschule wie die frü- und mit Empfehlung eines Landwirtschaftsexper- here einzurichten. Ich habe sie aufgefordert die ten hat die Tabor Society € 4.000,00 gestiftet um ehemaligen Kirchenschüler in Addis Abeba zu den Aufbau einer Imkerei zu fördern. Davon

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wurde die gesamte Ausrüstung angeschafft und Income Generating Project Bienenvölker gekauft. ETB 30.000,00 = € Mekane Yesus hatte vor einiger Zeit ein unreali- 1.276,50 sind davon noch übrig. Vom ersten stisches Wiederaufforstungsprogramm vorge- Honig wurde mir ein Eimervoll geschenkt. Bald schlagen, das die finanzielle Möglichkeit der Ta- nach Beginn der Imkerei haben die Bauern der bor Society übersteigt. Nachbarschaft aus Unwissenheit giftige Pflan- zenschutzmittel gesprüht. Daraufhin ist ein Teil Für einen Schulgarten kann die Kirchenschule der Bienen gestorben und die anderen Völker angeblich kein Land von der Farmers Associati- sind weggeflogen. on bekommen. Ich habe zunächst für einen 2. Versuch mit Imke- Als Income Generating Project wurden der Auf- rei plädiert, weil die Ausrüstung schon da ist und bau einer Bäckerei oder Weberei vorgeschlagen. auch die Bauern aufgeklärt wurden. Davon wur- Dafür habe ich zunächst um einen Kostenvoran- de aber abgeraten, weil die notwendigen Bäume schlag gebeten, bevor irgendwelche Zusagen der und Pflanzen für die Bienen nicht vorhanden sei- Tabor Society erfolgen können. en. Wie verträgt sich das mit der Empfehlung des Landwirtschafts-Amtes? Zuramba Mamher Yitbarak schlug dann vor, ein Buch mit In Zuramba unterrichten 5 Lehrer. Der Lehrkör- den Deggua-Gesängen drucken zu lassen und zu per ist überaltert. Es fehlen jüngere Lehrer für verkaufen. Die dafür notwendige Kompetenz Semare Moasset. 85 Kirchenschüler, davon wer- von Mamher Yitbarak und den Lehrern wurde den 40 von der Tabor Society unterstützt, 17 von aber vom Bischof Endreyas und anderen Schul- der Synode der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche. leitern bezweifelt. Es fehlt an Kleidung, Decken, Essen, Wasser, Zaun, Licht. Mamher Yitbarak schlug dann den Kauf von Häusern in Nefas Mewcha zum Vermieten vor. Income Generating Project Dies hielt ich nicht für finanzierbar. Außerdem Bisher gab es aus Zuramba noch keine Vorschlä- ist das Leben von Renten nicht entwicklungsför- ge. Auf der Konferenz schlugen die Vertreter dernd. Schließlich einigten wir uns auf die Anla- von Zuramba vor: Ankauf von Häusern zur Ver- ge eines Schulgartens. Wenn die vorhandenen € mietung (siehe Bethlehem). Ein Buch mit den 1276,50 für Geräte und Saatgut nicht ausreichen Gesängen des Moase Moasset drucken lassen sollten, habe ich weitere Unterstützung der Tabor und verkaufen (siehe Bethlehem). Society zugesagt. Auf einer Wiese könne man das Gras mähen und Mekane Yesus verkaufen. Die Vorschläge aus Zuramba zur Er- Der Gelehrte und langjährige Lehrer für Bibel, schließung von Einnahmequellen sind gewiss die Mamher Haile Mikael, liegt im Sterben. dürftigsten –aber bedingt durch die Lage auf dem Felsen dürfte es in Zuramba auch am schwierig- Der Lehrer der ihn zurzeit vertritt bekommt kei- sten sein, zu eigenen Einnahmen zu kommen. ne Unterstützung. Mamher Sissay Assefa bittet darum, dass der für Mamher Haile Mikael unter- Mahedere Maryam richtende Lehrer und ein weiterer Lehrer, zu sei- In Mahedere Maryam unterrichten 3 Lehrer, 2 ner Entlastung, von der Tabor Society unterstützt für Deggua, 1 Lehrer für Bibel. werden, weil er selbst neben der Lehrtätigkeit auch die Schulleitung übernommen hat. Mahedere Maryam wird ausschließlich von der Tabor Society unterstützt. Die Gebäude sind in Auch in Mekane Yesus fehlen Wasser, Toiletten, einem schlechten Zustand und müssen renoviert Unterkünfte und ein Zaun. werden. Außerdem mangelt es auch hier an Klei- Die Mekane Yesus Schule bekommt demnächst dern, Essen, Wasser und Unterkünften. Schließ- Strom. Den Anschluss bezahlt die Energieversor- lich wird auch hier ein Zaun zum Schutz vor gung; ich habe die Übernahme der Kosten für Dieben gewünscht. den Stromzähler durch die Tabor Society zuge- sagt.

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Income Generating Project Ich habe ab 2008 viele Male nach dem Stand des Projektes gefragt und nie eine Antwort erhalten. Mahedere Mariam würde gerne eine Ölmühle einrichten. Die Tabor Society kann nicht die Ge- Weil mir bald klar wurde, dass aus dem Dormi- bäude-Renovierung und eine Ölmühle bezahlen. tory vorerst nichts werden würde, bat ich Like Auf die Frage, was ihnen wichtiger sei, wird ge- Likawent Gebre Ezra Haddis die bereits ausge- antwortet: die Ölmühle. Der bereits vorliegende zahlten € 5.000,00 nach Debre Tabor zurückzu- Kostenvoranschlag beträgt € 8.000,00. Dazu schicken – mit dem Versprechen, die zugesagten machte ich den folgenden Finanzierungsvor- € 10.000,00 auch auszuzahlen, wenn das Dormi- schlag: € 3.000,00 als Spende der Tabor Society, tory gebaut wurde. Trotz mehrfacher Nachfrage €5.000,00 als Darlehen der Tabor Society. Das wieder keine Antwort. Darlehen ist in jährlichen Raten von € 500,00 zu- rückzuzahlen. Mahedere Mariam bekommt zur- Daraufhin hat der Vorstand der Tabor Society zeit an Unterstützung: beschlossen, die Unterstützungen für Medhane ca. ETB 24.000,00 = € 1021,00. Alem Gubae Bet einzustellen.Erst als das Geld Wenn die Darlehensrückzahlung mit den Zuwen- ausblieb bekamen wir einen Kontoauszug, aus dungen verrechnet wird, bekäme Mahedere Ma- dem klar hervorging, dass das ausgezahlte Geld riam die nächsten 10 Jahre nur € 500,00 jährlich. nicht veruntreut worden war, sondern noch auf Dieser Finanzierungsvorschlag wurde verstanden dem Konto lag. Zugleich erhielten wir einen und angenommen. Brief mit der Bitte, das Geld für den Bau einer kleinen Bäckerei verwenden zu dürfen, was wir Medhane Alem Gubae Bet Gondar gestattet haben. Ich habe diese ganze unerfreuli- Diese angesehene Kirchenschule mit dem höch- che Geschichte Like Likawent Ezra Haddis vor- sten Niveau will seit Jahren neue Schlafräume getragen. Er hat sich das schweigend angehört bauen, weil die alten nicht mehr ausreichen. und sich am nächsten Tag schriftlich entschul- digt. Als Herr Peter Heyer der Tabor Society € 10.000,00 gespendet hatte, beschloss der Vor- Ich habe den Lehrern und Studenten der Medha- stand der Tabor Society diese große Spende für ne Alem Gubae Bet auch erklärt, dass ohne die neuen Schlafräume der Medhane Alem Gu- Kommunikation eine Zusammenarbeit nicht bae Bet zu stiften. € 5000,00 bei Baubeginn und möglich ist und der Vorstand der Tabor Society € 5.000,00 bei Fertigstellung. Da sich der Ko- deshalb beschlossen hat, die Zahlungen für Med- stenvoranschlag für das Dormitory aber auf ETB hane Alem Gubae Bet einzustellen. Die Reaktion 700.000,00 belief, waren noch ETB 600.000,00 der Studenten zeigte allerdings, dass sie nicht in Gondar als Spenden aufzubringen. Die Ver- glauben, dass wir das tun werden. Mir scheint antwortlichen waren zunächst zuversichtlich so unser Vorstandsbeschluss aber doch vertretbar zu viel Spendengelder auftreiben zu können, bis sie sein, weil diese Kirchenschule noch andere Ein- nach jahrelangen Bemühungen im Jahr 2009 er- nahmequellen hat und nicht so bettelarm ist wie kannten, dass sie das nicht schaffen würden. die Kirchenschulen in der Region von Debre Ta- bor. Wir hatten der Kirchenschule Medhane Alem Gubae Bet einmal den Gegenwert von € 10.000,00 versprochen und ich finde, dass wir unsere Versprechen halten sollten. Die erste Rate von € 5.000,00 wurde für den Bau der Bäckerei verwandt, ein einfacher Wellblech- bau. Die Maschinen für die Bäckerei wurden ge- stiftet. Gebraucht werden noch die Zähler für den Strom (ETB 16.000,00) und ein Karren zum Ausfahren der Brote (ETB 34.000,00) = ETB 50.000,00. Bei dem Wertverfall des ETB sind Sebeta: Stall der Milchkühe das € 2.250,00. © J.G. Beinke

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Ich habe diesen Betrag zugesagt, damit die Bäk- schließen müssen, um von der Tabor Society un- kerei ihren Betrieb aufnehmen kann. Ich hoffe, abhängiger zu werden. Ich habe auch gesagt, mit dieser Hilfe die Beendigung der Zusammen- dass die Spender nicht mehr bereit sind zu spen- arbeit für die Äthiopier zu „versüßen“ und dass den, wenn die Schulen keine Anstrengungen ma- keine Bitterkeit zurückbleibt. chen zu eigenen Einnahmen zu kommen, wenn die Studenten nicht bereit sind, in solchen Pro- Schließlich konnte ich mit Ato Fesseha Sendekie jekten – wie Schulgarten – auch körperlich mit- auch klären, warum er trotz mehrmaliger Auffor- zuarbeiten. derung meinerseits noch keine Solarlampen für die Schulen angeschafft hat, die keinen elektri- Meine Ausführungen wurden von Abuna schen Strom bekommen: Einmal sind die Solar- Endreyas massiv unterstützt. Wir müssen endlich lampen in Äthiopien noch sehr teuer. Zum ande- von der Katastrophenhilfe zur Hilfe zur Selbst- ren konnte Ato Fesseha bisher nicht herausfin- hilfe kommen. den, wo in der Umgebung Solarlampen gewartet Ich hatte den Eindruck, dass hier ein Durchbruch und repariert werden. Ohne die Wartung besteht gelungen ist und die Schulleiter sich künftig die Gefahr, dass die Solarlampen bei der klein- ernsthaft um „Income Generating Projekts“ be- sten Störung weggeworfen werden. mühen werden – in ihrem eigenen Interesse. Ergebnis Die bisherigen Ausreden und Widerstände wur- Auf der Konferenz am 17.2.2011 haben die den kaum mehr laut. Vielmehr versprachen alle Schulleiter am Vormittag über die Situation in Schulleiter einzeln, die Schüler zu überzeugen in den jeweiligen Schulen berichtet. Am Nachmit- Projekten zur Entwicklung und Einkommensver- tag ging es ausschließlich um „Income Genera- besserung der Schulen mitzuarbeiten. ting Projects“. Die Konferenz wurde mit einem äthiopischen Ich habe den Schulleitern eröffnet, dass die Ta- Festessen in gelöster Stimmung beendet. bor Society ihre Schulen nicht ewig unterstützen Jan-Gerd Beinke kann, dass sie eigene Einkommensquellen er-

Blick auf Debre Tabor von der Iyasus-Kirche. ©: J.G. Beinke

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BRIEFE AUS ÄTHIOPIEN

NEKROLOG DES GELEHRTEN WUHIB SELLASE konnen im Alter von 88 Jahren mit. Mämher MÄKONNEN (WÉHIB SÉLLASE MÄKONNÉN) Wuhib Sellase Mäkonnen war ein Experte für die Die Tabor Society trauert um einen großen Ge- Bibelexegese und Kirchengeschichte. Er wurde lehrten. in ganz Äthiopien für seine Weisheit verehrt. Auch außerhalb Äthiopiens wurde er bekannt, so Die Kirchenschule aus Zur Abba Arägawi Serha auch durch Radioaufzeichnungen. Aryam (Zuramba) teilte uns den Tod ihres be- rühmten Lehrers Mämher Wuhib Sellase Mä- Zuramba schickte eine detaillierte Biographie, eine Fotographie wurde beigelegt.

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Die Biographie, die sein Studium in den ver- 1936 (1943) lernte er bei Märigeta Neguse Läe- schiedenen Kirchenschulen wiedergibt, wird hier raq in Abtära Samuel Aqwaqwam (Kirchenmu- gekürzt übersetzt: sik und Tanz). Wuhib Sellase Mäkonnen wurde am 5. Teqemt 1940 (1947) ging er nach Gondär und erlernte 1914 (1921) in der Region von Gondär geboren. bei Mämher Kefle Yemär das Neue Testament Im Alter von neun Jahren begann er in der Kir- und Exegese. 1947 (1954) wurde er auch zum chenschule Zur Abba (Zuramba) bei Märigeta Priester ernannt. Anschließend war er für neun Tadäga Getahun lesen und lernte die Psalmen Jahre in Zuramba. In dieser Zeit lernte er bei (Dawit), die Kirchengesänge und die Kirchenmu- Doktor Ayyälä Alämu die Exegese des Alten sik. Danach blieb er für drei Jahre im Kloster Testaments. 1950 (1957) zog er nach Gäšen Ma- Mädhane Alem bei Däbrä Tabor und wurde zum ryam (Gäshen Maryam) in Wällo (Wollo) und Diakon geweiht. wurde zum Schreiber ernannt. 1956 (1963) nahm er in Addis Abäba an einem Lehrgang teil. 1958 Im Jahr 1929 (1936) zog er ins Kloster Däbrä (1965) kehrte er nach Zuramba zurück. 1966 Mäwie in die Nähe von Baher Dar in Goggam. (1973) brach die Revolution in Äthiopien aus Dort lernte mit dem Gelehrten Heruyan Zägäye und er musste seine Lehrtätigkeit unterbrechen zwei Jahre das Fach Qene. und kämpfte mit. Danach kehrte er nach Zuram- Er ging weiter nach Mahederä Maryam in Däbrä ba zurück und unterrichtete dort bis zu seinem Tabor. Märigeta Däbäbä, Märigeta Yohannes Tod am 18. Nahase 2002 (28. August 2011) im Afäwerq und Märigeta Kidanä Maryam unter- Alter von 88 Jahren. richteten ihn dort. Die Trauer über seinen Tod ist im ganzen Land 1935 (1942) zog er weiter ins Kloster Täklä Hay- groß. Er wird einen Ehrenplatz neben den ande- manot in der Region Lebo und erlernte dort ren großen Lehrern bekommen. Weddase Maryam (liturgische Marienpoesie), Der Nekrolog liegt mir leider nur in einer Qeddase Maryam (Anaphora Mariens) und die schlechten Kopie vor. Berechnungen des äthiopischen Kalenders. Verena Böll

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QENE (GEDICHT) VON MÄLAKÄ GÄNÄT BERUH AMSALU AUS MAHÄDÄRÄ MARYAM

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Qene (Gedicht) von Mälakä Gänät Beruh Das Gedicht ist ganz klassisch aufgebaut, es Amsalu aus Mahädärä Maryam entspricht also den vorgegeben Normen für ein Kirchengedicht. Es ist auf Geez verfasst. Pfr. Jan Beinke besuchte die Kirchenschulen in Äthiopien vom 08.02.-24.02.2011. Viele Dieses Qene ist wie all die anderen Gedichte Dankesbriefe kamen nach seiner Reise in und Lieder extra für die TS verfasst. Es ist Heidelberg an (siehe seinen Bericht). eine hohe Kunst, die Gedichte und die Lieder so zu verfassen, dass den theologischen Vor- Mälakä Gänät Beruh Amsalu schrieb neben gaben und der aktuellen Situation – hier der seinem Dankesbrief auch ein ausführliches Besuch von Beinke – stimmig entsprochen Qene für Jan Beinke. In diesem Qene, also wird. kirchlichem Gedicht, wird Jan Beinke als Priester Johannes angeredet. Der Aufenthalt Die TS sammelt daher diese Originale und von ihm in der Kirchenschule wird angespro- ist auch um eine angemessene Archivierung chen, aber auch die Geschichte der TS, die und Auswertung bemüht. Beziehung zu Heidelberg und zu Deutsch- land. Die große Unterstützung der TS für die Wir drucken hier das Gedicht in seiner vol- Kirchenschule wird detailliert gepriesen. len Länge ab.

Dresden, den 13.10.2011 Verena Böll

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DAS ÄTHIOPIEN-BILD IM EUROPÄISCHEN hunderts nach und begann dort das Chris- SPÄTMITTELALTER tentum zu verbreiten. Er begab sich Jahre später Axel Barner nach Alexandria und erhielt von dem dortigen Patriarchen Athanasius den Auftrag, nach Äthiopien war in den letzten zweitausend Jahren Äthiopien zurückzukehren. wurde ein Sonderfall in der Geschichte Afrikas südlich um 340 als erster Bischof des Landes eingesetzt. der Sahara: Es war das einzige Land in dieser Weltgegend, das eine eigenständige Hochkultur Noch im 6. Jahrhundert finden sich Belege für mit eigener Schrift, steinernen Monumentalbau- Kontakte zwischen dem Byzantinischen Reich ten, christlicher Religion, relativ fest gefügter und Äthiopien; so wissen wir von einem gewis- Staatlichkeit, kontinuierlicher Monarchie und zu- sen Kosmas, der in der ersten Hälfte dieses Jahr- mindest Ansätzen von zentraler Verwaltung en- hunderts bis nach Indien gereist war und dabei twickelte. Die Geschichte Äthiopiens im Mitte- auch die Küsten Eritreas und des Jemen besucht lalter weist mehr Gemeinsamkeiten mit der eu- und Äthiopier auf seinen Reisen kennen gelernt ropäischen Geschichte dieser Epoche auf als mit hatte. Selbst den im fernen Gallien lebenden Bis- den es umgebenden Regionen: Im Reich von chof Gregor von Tours erreichte am Ende des 6. Axum fand das Land den Anschluss an die Jahrhunderts noch die Nachricht des Kosmas von griechische Spätantike; erste Ansätze einer dem fernen Land „im anderen Teil Indiens“ 2. Christianisierung fanden zu Beginn des 4. Jahr- Für das Jahr 535 erhalten wir Kenntnis von der hunderts statt; nach dem Niedergang des axumi- Entsendung eines Gesandten durch den byzan- tischen Reiches gilt auch in Äthiopien die Zeit tischen Kaiser Justinian an den axumitischen zwischen dem Ende des 6. und dem 12. Jahrhun- Herrscher, und noch einmal wird im Jahre 564 dert als die Epoche der „dark ages“, über die wir von einer byzantinischen Gesandtschaft nach wenig wissen – all dies in völlig unabhängiger Äthiopien durch den gleichen Kaiser berichtet3. Entwicklung von den christlichen Ländern Euro- Danach rissen alle Kontakte für Jahrhunderte ab. pas. Die Ursachen dafür liegen einmal in der um 575 Äthiopien war bis zum Beginn der Neuzeit ein erfolgten Eroberung Südarabiens durch die per- von der übrigen Entwicklung des Okzidents ab- sischen Sassaniden, wodurch das axumitische geschlossenes christliches Reich, von dem man Reich seine Besitzungen östlich des Roten im Abendland wenig wusste. Auch von den Meeres verlor. Das Reich wurde seiner Handel- Äthiopien umgebenden Staaten schloss sich das sposten am Roten Meer beraubt, was den Nieder- Land fast vollständig ab, sodass es eine sehr ei- gang Axums eingeleitete. Der nächste schwere genständige Entwicklung durchlief. Schlag war der Beginn der islamischen Erobe- Die Beziehungen zwischen Äthiopien bzw. dem rungen unter dem Nachfolger Mohammeds, Reich von Axum und der Mittelmeerwelt waren Omar I., ab 634. in der Spätantike nur von kurzer Dauer; dieser Nachdem das Reich von Axum seine Küstenge- relativ kurze Zeitraum reichte gerade dafür aus, biete am Roten Meer verloren hatte, wurde die dass das ferne Land in Afrika den Anschluss an Hauptstadt des Landes nach und nach aufgege- die christliche Welt des Altertums fand, bevor ben. Axum scheint seit dem Ende des 8. Jahrhun- der Kontakt für Jahrhunderte wieder abriss. Es ist derts völlig verlassen worden zu sein. Zur glei- bekannt, dass sich im 4. Jahrhundert n. Chr. im- chen Zeit, nämlich in der Mitte des 8. Jahrhun- mer wieder Handelsreisende durch das Rote derts, hört auch die Münzprägung auf. Im 9. Meer bis zum Königreich von Axum vorgewagt 1 Jahrhundert – so viel wissen wir - war der Sitz hatten . In diese Zeit der Handelskontakte des Abuna, des Patriarchen der äthiopischen zwischen dem Byzantinischen und dem axumi- Kirche, von Axum mehrere hundert Kilometer tischen Reich fällt auch die Missionierung des weiter nach Süden, nach Nazret, verlegt worden4. Landes zum Christentum durch den aus Tyrus an der syrischen Küste stammenden Frumentius. 2 Gregor von Tours, Liber in gloria martyrum, cap. 31, zit. Dieser gelangte in der ersten Hälfte des 4. Jahr- nach Henning, Richard, Band 2, S. 47. 3 Henning, Richard, Band 2, S. 51. 1 Dies und das Folgende nach: Henning, Richard, Band 2, 4 Bartnicki, Andrzej / Mantel-Niecko, Joanna, S. 11 14-17.

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Erst im Hochmittelalter, nach dem Übergang der eine Begegnung in der italienischen Stadt Vit- Herrschaft von der axumitischen zur Zagwe-Dy- erbo mit dem Bischof von Gabula von Syrien. nastie, konnte das Land sich nach einer jahrhun- Dieser Bischof berichtet ihm, dass „... vor einige dertelangen Krisenzeit wieder erholen. Unter Jahren ein gewisser Johannes, der jenseits von König Lalibela, der um 1140 - 1180 regierte, er- Armenien und Persien zu Hause und als König lebte es eine neue Blütezeit: Während der Regie- und Priester samt seinem Volke christlich – al- rungszeit dieses Königs und seiner Nachfolger lerdings ein Nestorianer – ist, die Könige der entstanden die weltberühmten Felskirchen in und Meder und Perser mit Krieg überzogen und den um Roha, das später nach ihm den Namen Lali- Sitz ihrer Herrschaft in Ekbatana erobert...“ habe. bela erhielt. In dieser Zeit wurden auch zum er- Er habe weiter vorrücken wollen, um der Kirche sten Mal Pilger aus Äthiopien an den Stätten des in Jerusalem Hilfe zu bringen, sei bis zum Tigris Heiligen Landes erwähnt5. In Jerusalem, wo die vorgedrungen, habe den Fluss allerdings wegen äthiopische Kirche eine eigene Kapelle unter- Mangels an Schiffen nicht überschreiten können. hielt, muss es zu den ersten Kontakten zwischen Am Tigris habe er mehrere Jahre zugebracht und Äthiopiern und Pilgern aus dem Abendland ge- auf Frost gewartet, um den Fluss mit seinem kommen sein, so dass die Existenz des christli- Heere zu überqueren. Wegen der andauernd mil- chen Landes im fernen Afrika wieder in das den Witterung sei ihm dies allerdings nicht ge- Bewusstsein der Europäer rückte. Leider besitzen lungen6. wir darüber keine verlässlichen Nachrichten. Auf Hintergrund dieser Nachricht ist höchstwahr- jeden Fall aber gelangten auf diese Weise zum scheinlich der Sieg eines türkischen Stammes, ersten Mal nach dem Abreißen der Beziehungen der Kerait oder Kara-Tai, die, zum Teil zu- zum Abendland am Ende des 6. Jahrhunderts er- mindest, nestorianische Christen waren. Unter ste Nachrichten über Äthiopien nach Europa. ihrem Herrscher Yeliutaschi (oder: Yie-lü-ta-shi) Im mittelalterlichen Abendland entstand erst in errangen sie in einer bedeutenden Schlacht einen dem Augenblick ein Interesse für Äthiopien, als Sieg über das Heer der islamischen Seldschuken sich einerseits die Europäer um einen in der Nähe von Samarkand in Zentralasien. Bündnispartner gegen den sich ausbreitenden Is- Etwa zwanzig Jahre später, nämlich um 1165, lam bemühten und andererseits in Europa das In- tauchte in Europa ein an den byzantinischen Kai- teresse an der Erkundung weit entfernt liegender ser Manuel I. (1143-80), Papst Alexander II. Weltgegenden wuchs. In der Zeit der Kreuzzüge, (1159-81) und den deutschen Kaiser Friedrich I. als die Moslems die heiligen Stätten in Jerusalem „Barbarossa“ (1155-90) gerichteter Brief des besetzt hatten, tauchte der fiktive Brief eines Priesterkönigs Johannes auf, in dem dieser sich Priesterkönigs Johannes auf, der sich anbot, die anbot, den abendländischen Christen in ihrem Moslems sozusagen im Rücken, nämlich von Os- Kampf gegen die Moslems im Vorderen Orient ten her, anzugreifen. beizustehen7. In seinem Schreiben stellt sich Jo- Dieser Brief bildete die Grundlage für das phan- hannes als ein bedeutender Herrscher vor: tasmagorische Äthiopien-Bild im Europa des „Ich, der Presbyter Johannes, der Herr der Her- Hoch- und Spätmittelalters, das noch die Vorstel- ren, übertreffe alle unter dem Himmel Wandeln- lungen der ersten Reisenden beherrschte, die im den an Tugend, Reichtum und Macht. 72 Könige 15. und beginnenden 16. Jahrhundert das Land zahlen uns Tribut... In drei Indien herrscht Un- selbst in Augenschein nehmen und daher darüber sere Magnifizienz, und unsere Lande erstrecken authentisch berichten konnten. Aus diesem sich bis zum jenseitigen Indien, wo der Leib des Grunde sei an dieser Stelle etwas ausführlicher Heiligen Apostels Thomas ruht... 72 Provinzen, auf den angeblichen Brief des Priesterkönigs Jo- von denen nur wenige den Christen gehören, hannes eingegangen. sind uns dienstbar...8 “. Die erste Nachricht, die von dem Priesterkönig und seinem Reich im fernen Indien in den Wes- 6 Otto von Freising, VII, 33, zit. nach: Henning, Richard, ten drang, findet sich aus dem Jahre 1145: Unter Band 2, S. 361. dem 18. November dieses Jahres notierte der 7 nach: Kreuter, Marie-Luise, S. 169. deutsche Bischof und Chronist Otto von Freising 8 Gefälschter Brief des Priesterkönigs Johannes an Kaiser Manuel I. von Byzanz, bei Jacobus de Breda: Intinerari- 5 Bartnicki, Andrzej / Mantel-Niecko, Joanna, S. 19f.; siehe us Joannis de Hese presbyteri, Deventer 1504, zit. nach: auch: Kreuter, Marie-Luise, S. 170. Henning, Richard, Band 2, S. 363.

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Er berichtet weiter, dass er aus dem alten, bereits Kreuzzug erfolglos zu Ende gegangen. Die im Neuen Testament genannten Geschlecht der Rückschläge, die auf die Erfolge des ersten Magier abstamme und dass sein Land die Heimat Kreuzzugs folgten, waren gerade in diesen Jahr- und Wohnstätte der Elefanten, Dromedare, Po- zehnten bedeutend. Der angebliche Brief des larbären, Tiger, weißen und roten Löwen, Priesterkönigs erregte daher ein gewaltiges Auf- Hyänen, wilden Ochsen und wilden Menschen, sehen, verband sich mit ihm doch die Hoffnung, wie gehörnten Menschen, Einäugigen, Menschen im Osten sozusagen eine zweite Front gegen den mit einem Auge vorne und einem Auge hinten, Islam eröffnen zu können. Centauren und Faune, Pygmäen und Giganten, Auch auf das Antwortschreiben des Papstes sei Cyclopen und ebensolchen Frauen sowie eines hier kurz eingegangen, da es bereits im 12. Jahr- Vogels, der Phoenix heißt, sei 9. hunddert ein für die folgenden Jahrhunderte im- An seinem Tische „... speisen täglich ... 30 000 mer wiederkehrendes Motiv des europäischen In- Menschen... Dieser Tisch ist von kostbarsten teresses an Äthiopien aufzeigt. In seiner Antwort Smaragd, vier Säulen aus Amethyst stützen ihn... vom 27. September 1177 macht Alexander III. Jeden Monat bedienen uns 7 Könige ... 62 deutlich, dass er vorallem darin bemüht war, den Herzöge, 265 Grafen und Marquis. .. Täglich – für einen nestorianischen Christen, also in den speisen an Unserem Tisch 12 Erzbischöfe auf der Augen der römischen Kirche einen Ketzer ge- rechten, 20 Bischöfe auf der linken Seite... haltenen – Johannes zum rechten katholischen Grundlage (des Palastes) bilden Edelsteine, das Glauben zu bekehren: beste reinste Gold dient als Zement. Sein Himmel „Auch nützt es Niemanden, als Christ zu gelten, und sein Dach besteht aus den klarsten Saphiren, wenn er etwas anderes glaubt, als es die hier und da untermischt mit glänzenden Topasen. katholische, apostolische Lehre fordert ... Wir An ihm ist eine mit Gold umwundene Pforte von wollen euch von solchen Lehren, worin ihr vom reinstem Krystall...“ 10. christlichen katholischen Glauben abweicht, Es verlohnt nicht, den märchen- und fabelhaften gern abraten ... „ 11. Chrakter des Briefes, der einem europäischen Wohin der Papst seinen Boten, einen gewissen Gehirn entsprungen sein muss, zu diskutieren, da Philippus, der der Leibarzt des Papstes war, mit sich derart viele Ungereimtheiten in dem Schrei- dem Brief an den Priesterkönig Johannes, den er ben finden –„weiße Bären“ in Indien zum Beis- als Verbündeten für den Kampf gegen die Mos- piel – dass es sich eindeutig um eine phanta- lems zu gewinnen suchte, entsandte, ist allerd- sievolle, aber völlig unsinnige Fälschung han- ings nicht bekannt. Auf jeden Fall wurde die delt. Interessanter ist es, die Wirkung, die dieser Suche nach dem Reich des Johannes in den fol- Brief im Hoch- und Spätmittelalter entfaltete, zu genden Jahrzehnten und Jahrhunderten ein inten- untersuchen. Wenn man sich die damalige Situa- siv betriebenes Unternehmen, das allerdings er- tion vor Augen führt, wird deutlich, welche Er- folglos blieb. Auch Marco Polo, immerhin der- wartungen und Hoffnungen die drei Höchsten jenige unter den europäischen Reisenden des der Christenheit, an die der Brief gerichtet war, Hochmittelalters, der am weitesten nach Osten der byzantinische Kaiser, der Papst und der deut- vordrang, fand es nicht. Er vermeldete lediglich, sche Kaiser, mit diesem Schreiben verbanden. dass nach seiner Kenntnis der Priester Johannes Zum Zeitpunkt der ersten Erwähnung eines Rei- längst verstorben und sein Reich untergegangen ches des Priesterkönigs Johannes bestand näm- war. Das Reich des Priesterkönigs blieb Utopie lich die Gefahr, dass alle Errungenschaften des und Chimäre. Da man bis zum Ende 13. Jahrhun- Ersten Kreuzzugs (1096-99), der mit der Erobe- derts das Reich des Johannes in Asien nicht ge- rung Jerusalems abgeschlossen und zur funden hatte, änderte sich am Anfang des 14. Gründung mehrerer Staaten abendländischer Jahrhunderts die Richtung, in der man es ver- Herrscher im Vorderen Orient geführt hatte, zu- mutete. nichte gemacht wurden. 1144 war die bedeu- tende Stadt Edessa wieder in die Hände der Mos- Wahrscheinlich durch die Kontakte zwischen lems gefallen, und 1148 war der Zweite äthiopischen und europäischen Jerusalem-Pilger 11 Brief Papst Alexanders III. an den Priesterkönig Johan- 9 Ebd., S. 364. nes aus Venedig vom 27. September 1177, in: Annales 10 Ebd. Ecclesiastici, XIX, Lucca 1746, zit. nach Henning, Ri- chard, Band 2, S. 365-368.

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gelangten nach über sechshundert Jahren zum er- Aufenthalt in Spanien und Italien die Europäer sten Mal wieder Nachrichten über das christliche eines Besseren hätten belehren können, nämlich Reich im fernen Afrika nach Europa. Am Ende dass ihr König nicht der gesuchte Priester Johan- des 13. Jahrhunderts trat das Land wieder in das nes war: In der von Filipe Foresti 1483 herausge- Bewusstsein des Abendlandes. Da die geo- gebenen Zusammenfassung der Nachrichten grafische Lage Äthiopiens den Zeitgenossen of- Carignanos heißt es: fenbar nicht mehr geläufig war und da die Vor- „Among many things written ... about the state of stellungen von den „drei Indien“, die in dem an- this nation (Äthiopien) he (Carignano) reports geblichen Brief des Priesterkönigs erwähnt wur- that Prester John is set over that people as patri- den, ohnehin sehr vage waren, nahm man an, arch; he says that under him are 127 archbish- dass sein Reich identisch mit dem christlichen ops, each of which has twenty bishops… It is said Reich in der Nähe des Indischen Ozeans war. that their emperor is most Christian, to whom Aus dieser Zeit sind mehrere Schreiben der Päp- seventy-four Kings and almost innumerable ste an die Äthiopier überliefert, durch welche princes pay allegiance…” 15 diese versuchten, mit dem vermeindlichen Pries- terkönig in Kontakt zu treten - ob sie allerdings Für Carignano wie für alle Gelehrten des Spät- ihre Adressaten auch erreichten, ist nicht über- mittelalters blieb Indien ein vager geografischer liefert12. Das Interesse der Päpste lag in einer Begriff. Äthiopien war ein Bestandteil Indiens; Vereinigung der äthiopisch-orthodoxen Kirche es war das „diesseitige“ von den drei Indien, da mit der römisch-katholischen. So forderte 1289 es diesseits des Indischen Ozeans, der für ein Papst Nikolaus IV. (1288-92) die „auserwählten Binnenmeer gehalten wurde, lag. Söhne des Volkes der Äthiopier“ in einem Brief auf, sich mit der katholischen Kirche zu vereini- Auch der französische Dominikanermönch Jour- gen13. Vor allem einige der sich in Indien aufhal- dain de Sévérac, der in den 1320er Jahren Per- tenden Dominikanermönche waren, da sie dem sien und Indien besuchte und im Auftrag des Papst als die geeignetsten für diese Aufgabe er- Papstes versuchte, die indischen Thomas-Chris- schienen, für die Missionierung der „Ketzer- ten zum Katholizismus zu bekehren, berichtet in Christen“ Äthiopiens vorgesehen. Diese ähnlich phatasievoller Weise über Äthiopien. Bemühungen wurden von den Päpsten in den fol- Obwohl er das Land selbst nicht kennen gelernt genden Jahrzehnten fortgesetzt, ohne dass sie zu hatte, wusste er vom Hörensagen, dass es in einem greifbaren Ergebnis geführt hätten. Ob- Äthiopien, dem, wie auch er es nennt, „dritten wohl verschiedene Anstrengungen dazu gemacht Indien“, Drachen in großer Menge gebe, die auf wurden, ist es offensichtlich den Vertretern der ihren Köpfen Karfunkelsteine trügen. Diese römischen Kirche in dieser Zeit nie gelungen, bis Tiere hätten ihre Liegeplätze auf goldenem Sand. nach Äthiopien zu vorzudringen. Der Herrscher von Äthiopien heiße Priester Jo- hannes. Er sei der mächtigste Mann der Welt und Um die Jahrhundertwende vom 13. zum 14. Jahr- herrsche über 52 Könige. Das Volk des Landes hundert kamen zum ersten Mal Äthiopier selbst sei christlich, allerdings häretisch16. nach Europa: Zum Jahre 1306 berichtet ein ital- ienischer Priester und Geograf, Giovanni di Wie alle Berichte des 14. und 15. Jahrhunderts Carignano, auf einer von ihm gezeichneten Karte über Äthiopien blieb auch die Fantasie-Weltreise vom Besuch einer äthiopischen Delegation in des „Libro del Conoscimiento“, welcher um die Mitte des Jahrhunderts von einem unbekannten Genua. Die Äthiopier waren auf dem Weg nach 17 Spanien gewesen, um vom spanischen König spanischen Mönch verfasst wurde , eine mär- Unterstützung für ihren Kampf gegen benach- chen- und fabelhafte Darstellung, die auf der im barte islamische Machthaber zu erbitten14. Inter- 12. Jahrhunder entstandenen Legende vom Land essanterweise wird auch in diesem Bericht auf des Priesterkönigs Johannes fußte. Die darin die Legende vom Priesterkönig Johannes Bezug beschriebene „Weltreise“ ist zwar eine Phan- genommen, obwohl doch die Äthiopier bei ihrem 15 Ebd., S. 165. 16 12 Ebd., S. 166-167. Eine Zusammenstellung findet sich bei Henning, Ri- 17 chard, Band 3, S. 66 ff. Libro de Conoscimento de todos los reynos y tierras y 13 senioros que son per el mundo. Don Marco Jiminez de Ebd., S. 67. la Espada, Madrid 1877, zit. nach Henning, Richard, 14 Silverberg, Robert, S. 164-165. Band 3, S. 221-229.

Kirche und Schule in Äthiopien, Heft 64 / November 2011 Artikel 25 siereise; sie beruht dennoch auf gewissen geo- „... Schließlich sind es von Chaamera (?) nach grafischen Kenntnissen über Afrika, die nicht Sciahua (vermutlich die alte äthiopische Provinz durchweg falsch sind. Der Verfasser berichtet, Shewa/Shoa) 3 Tage. In dieser Stadt (?) wohnt dass er über den Niger-Fluss zum oberen Nil ge- der Priester Johannes. Der Priester Johannes langt sei, von wo er weiter nach Abessinien, ins sitzt im Winter auf seinen Thron in Chaamera, Land des Priesters Johannes, gereist sei. (Immer- im Sommer sitzt und wohnt er in Sciahua. Dieser hin war dem Verfasser also klar, dass Äthiopien Fürst trägt den Namen David. Er hat unter sich am Oberlauf des Nils zu suchen war.) Auch er- 12 Könige...“ 19 scheint das, was er über das Land selbst zu Auch in diesem Text finden sich neben fabelhaf- berichten weiß, nicht nur fabelhaft, sondern zu- ten Elementen (Priester Johannes) durchaus zu- mindest zum Teil auf Tatsachen zu beruhen: treffende Aussagen. So war dem Verfasser die „Ich kam zu der großen Stadt Graciona, der zentrale Provinz des äthiopischen Reiches Hauptstadt des Reiches Ardesilib. Dieses Wort (Shewa oder Shoa) bekannt; auch die Tatsache, bedeutet ‚Diener des Kreuzes‘. Ardesilib dass die äthiopischen Kaiser keine feste Residenz verteidigt nämlich die Kirche von Nubien und bewohnten, sondern zwischen einem Winter- und Äthiopien, und der Verteidiger ist der Priester einem Sommerlager pendelten, war ihm geläufig, Johannes, welcher der Patriarch von Nubien und und selbst der Name des Herrschers, der in der Äthiopien ist und über sehr große Länder und Zeit, als der Text verfasst wurde, die Kaiser- viele christliche Städte herrscht. Aber diese ha- würde innehatte, wird richtig angegeben: Kaiser ben schwarze Hautfarbe und brennen sich das Dawit I. regierte zwischen 1382 und 1411. Zeichen des Kreuzes mit Feuer ein, als Zeichen Selbst den von Zeit zu Zeit in Europa auf- der Taufe...“ 18 tauchenden Äthiopiern gelang es nicht, die Leg- Tatsächlich bestanden noch um die Mitte des 14. ende vom Priesterkönig Johannes zu zerstreuen - Jahrhunderts christliche Herrschaften im Sudan weder der Delegation, die Kaiser Yeshak (1413- (Nubien), die erst später islamisiert wurden. 34) nach Spanien entsandte und die 1427 von Auch ist es heute noch üblich, dass christliche König Alfonso V. von Aragon empfangen Frauen in Äthiopien auf der Stirn ein eintätow- wurde, noch den äthiopischen Mönchen aus Jeru- iertes Kreuz tragen. salem, die an den Konzilen von Konstanz (1414- 1418) und Florenz teilnahmen – die Legende er- Der „Libro del Conoscimiento“ macht deutlich, wies sich als stärker als die Realität20: Als die auf dass man in Europa durchaus Kenntnisse über dem Konzil in Florenz anwesenden europäischen Gegenden im Inneren Afrikas besaß, die erst Prälaten die Äthiopier, die von Kaiser Zara Jahrhunderte später erforscht wurden. Woher der Yakob (1434-1468) entsandt worden waren, nach Verfasser diese Kenntnisse bezog, ist allerdings ihrem Herrscher, dem Priester Johannes, fragten, nicht bekannt. gaben diese zur Antwort, dass es einen Herrscher Aus dem Ende des 14. oder dem Beginn des 15. solchen namens in ihrem Reich nicht gebe. Der Jahrhunderts ist eine Reisebeschreibung italien- Name ihres Königs sei vielmehr Zera Yakob, der ischer Herkunft bekannt, die den Reiseweg von den Beinamen Qostantinos, also Konstantin, Venedig nach Indien ziemlich genau beschreibt. trage. Der Kaiser trage noch weitere Ehrentitel, Von Nutzen kann diese Beschreibung nur gewe- aber keiner davon sei Priester Johannes21. In dem sen sein, wenn es auch Kaufleute gab, die den Brief Papst Eugens IV. vom 4. Oktober 1441, Wegen folgten, die hier beschrieben wurden, we- den er diesen äthiopischen Gesandten mitgab, shalb davon auszugehen ist, dass sich um 1400 um ihn an ihren Kaiser zu überbringen, wurde herum durchaus europäische Händler nach der Herrscher als „... Kaiser von Äthiopien und Ägypten, Äthiopien und Indien auf die Reise 19 machten. In dem Dokument werden verschiedene N. Jorga, Cenni sulle relazioni tra Abessinia e l’Europa Ort Äthiopiens (Asmara, Axum u.a.) genannt cattolica nei secul9 XIV-XV, Palermo 1910, zit. nach Henning, Richard, band 3, S. 65-66. sowie deren genaue Lage beschrieben. Natürlich 20 Siehe dazu: Kreuter, Marie-Luise, S. 172-174, und findet der Priester Johannes auch in diesem Caesar Baronius, Annales ecclesiastici, continuatio Dokument Erwähnung: Odorici Raynaldi ad annum 1441, Köln 1694, zit. nach Henning, Richard, Band 4, S. 85-89. 18 Ebd., S. 226. 21 Silverberg, Robert, S. 189.

Kirche und Schule in Äthiopien, Heft 64 / November 2011 26 Artikel

Abyssinorum sive Magni Regis Davidis, quem vulgo Presbyterum Joannem Vocant, Imperium Kartograph: Matthias Quad (*1557 - †1613); Verlag/ Jahr: Köln, J. Bussemacher, 1600 Quelle: 'Götzfried Antique Maps, www.vintage-maps.com'. Wir danken Herrn Rainer Götzfried für das Foto. Ein Pfeil weist auf den Thron des Priesterkönigs Johannes (siehe Ausschnitt). ©: Rainer Götzfried Auch in den folgenden Jahrzehnten hielt man hartnäckig an der Legende des Priesterkönigs fest. Aus dem Bericht des Mailänder Gesandten in Rom an den Herzog von Mailand vom 16. No- vember 1481 heißt es, der Papst habe sich ent- schlossen, eine bedeutende Gesandtschaft an den Priester Johannes zu senden, „um zu predigen und den Irrglauben zu bekämpfen ... , da der Priester Johannes in der Tat sehr mächtig und durchaus in der Lage ist, die Türken anzugreifen ... Dem Boten (des äthiopischen Kaisers) zufolge hat sein Herrscher ... ein Geschenk mitgegeben, dessen Wert auf 200.000 Dukaten geschätzt wird, worunter sich eine Lanze, ein Schwert und ein sogenannter Priester Johannes...“ tituliert22. Bogen aus reinem Golde befinden nebst vielen (Übrigens regte der Papst in seinem Schreiben andren Kostbarkeiten.“ 23 wiederum eine Union der äthiopisch-orthodoxen Auch in diesem Dokument werden die im mit der katholischen Kirche an.) Okzident über Äthiopien gängigen Topoi wieder- holt: Der äthiopische Herrscher wird mit dem 22 Caesar Baronius, Annales ecclesiastici, continuatio Odorici Raynaldi ad annum 1441, Köln 1694, zit. nach 23 Itinerarium fratis Pauli Waltheri, Tübingen 1892, S. Henning, Richard, Band 4, S. 85. 37ff., zit. nach Henning, Richard, Band 4, S. 310.

Kirche und Schule in Äthiopien, Heft 64 / November 2011 Artikel 27

Priesterkönig Johannes gleichgesetzt. Dieser ist steine finden27.“ Battista d’Imola war einer der zwar Christ, aber im Irrglauben befangen. Auch ersten Europäer, der Äthiopien selbst bereist hat; auf den ungeheuren Reichtum des fernen Herr- aber auch in seinem Bericht finden sich die alten schers wird durch den Hinweis auf die von Klischees vom unermesslichen Reichtum des seinem Boten mitgebrachten Geschenke hinge- Priesterkönigs in den wenigen Zeilen, die wir da- deutet. raus zitiert haben, wieder. Im Jahre 1482 erreichte dann zum ersten Mal In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ge- eine Delegation des Papstes Äthiopien. Der langten sporadisch immer wieder Europäer, sei Bericht eines der Gesandten, Battista d’Imola, ist es als Abgesandte des Papstes, der immer noch überliefert24. Er beschreibt zunächst die Reise- danach strebte, Äthiopien und seinen Herrscher route nach Äthiopien, die interessanterweise für den katholischen Glauben zu gewinnen, sei es identisch ist mit der weiter oben erwähnten als Kaufleute und Händler, nach Äthiopien. Die Routenbeschreibung aus der Wende vom 14. äthiopischen Herrscher hatten die merkwürdige zum 15. Jahrhundert: Zuerst musste man nach Angewohnheit, europäische Reisende in ihrem Kairo gelangen, von dort ging es mit einem Boot Land festzuhalten. Die Europäer wurden zwar den Nil abwärts nach Süden, bevor man durch ehrenvoll aufgenommen und gut behandelt, man die östliche Wüste bis zum Roten Meer gelangte. ließ sie aber das Land nicht wieder verlassen, Mit dem Schiff wurde die Reise über das Rote weil man vorallem ihre technischen Kenntnisse Meer weiter nach Süden fortgesetzt. Dann begab nutzen wollte. Beispielsweise war der auch in man sich mit Kamelen durch die Steppen und dem Bericht d’Imolas genannte Venetianer Nic- Wüsten der Danakil-Ebene bis zum Fuße des colo Brancaleone, der sich über mehrere Jahr- Hochlandes von Äthiopien, das man zu zehnte zwangsweise in Äthiopien aufhielt, ein durchqueren hatte, bis man zur Residenz des bedeutender Kirchenmaler, der auch äthiopische Kaisers im Hochland kam. Kirchen ausschmückte. Er war auch derjenige, der die von d’Imola mit Staunen in einer äthio- Kaiser Bede Mariam, der Nachfolger Zara Ya- pischen Kirche entdeckte italienische Orgel ge- cobs, war 1478 gestorben; als sein Nachfolger re- baut hatte28. gierte sein unmündiger Sohn Iskender/Alexander (1478-1494), als die erwähnte Delegation des Auch umgekehrt reisten in dieser Zeit immer Papstes endlich in Äthiopien eintraf. Zu ihrer wieder Äthiopier als Abgesandte des Kaiser über Überraschung entdeckten sie unterwegs in einer Kairo und Jerusalem nach Italien. Über mehrere der Kirchen, die sie besuchten, eine Orgel ital- dieser Gesandtschaften besitzen wir Nachrichten, ienischer Bauart und trafen, als sie nach monate- so zum Beispiel über eine, die im Jahre 1481 langer Reise endlich am „Hofe dieses grossen Rom erreichte29. Königs, des Priesters Johannes“ ankamen25, auf In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ver- eine größere Gruppe von Europäern – meist Itali- stärkten die portugiesischen Könige ihre enern, aber auch Franzosen und Katalanen, die Bemühungen, den afrikanischen Kontinent zu bereits seit 25 Jahren in Äthiopien ansässig umschiffen, um das Handelsmonopol zu brechen, waren, weil der Kaiser sie nicht hatte heimkehren das moslemische Kaufleute mit dem reichen In- lassen26. Diese Nachricht im Bericht des d’Imola dien besaßen. In diesem Zusammenhang standen unterstützt unsere Vermutung, dass bereits im auch die Versuche der Portugiesen, mit dem frühen 15. Jahrhundert vorallem italienische sagenhaften Priesterkönig Johannes, der immer Kaufleute bis nach Äthiopien reisten, ohne dass noch irgendwo in Indien vermutet wurde, in wir davon Kenntnis erhalten haben. Als Battista Kontakt zu treten, um mit ihm ein Bündnis gegen d’Imola sie fragte: „Was wolltet ihr in diesem die Türken abzuschließen. Vor diesem Hinter- Lande?“ antworteten sie: „Kleinodien und Edel- grund ist die Entsendung von Pedro de Covilham 24 Reisebericht des Battista d’Imola mitgeteilt von France- und Alfonso Paiva durch den portugiesischen sco Suriano, bei Girolamo Golubovitch: Trattato de Ter- König Johann II. im Jahre 1486 zu sehen: Der ra Santa e dell’Oriente di Frate Francesco Suriano, Mai- König hatte sie ausgeschickt, um das Reich des land 1910, S. 79ff., zit. nach Henning, Richard, Band 4, 27 S. 312-315. Ebd., S. 315. 25 Ebd., S. 314. 28 Henning, Richard, Band 4, S. 320-321. 26 Ebd. 29 Ebd., S. 308-325.

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Abb. 8: Kirchenbezirk von Däräsge Maryam.

Abb. 25: Reiterheilige.Däräsge Maryam Kirche, Nordwand.

Abb. 26: Wunder und Heiligengeschichten. Däräsge Maryam Kirche, Südwand.

Abb. 28: Hl. Georg, Protomärtyrer, auf einem prächtig ge- schirrten Pferd. Darunter, in Stifterpose, Haylu Webé, beim Gebet. Däräsge Maryam Kirche. Abb. 29: Die Krönung Mariens mit dem Stifter, Webé, zu ihren Füßen. Däräsge Maryam Kirche.

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Kunstschätze in der Däräsge Maryam Kirche (Abb.: 31 - 38)

Abb. 49: ‚Ethiopian Crucifixion’, Monumentalbild, 230 cm x 180 cm. Auf Baumwolle gemalt, Maler un- bekannt, entstanden ca. 1860. British Museum. Abb. 41: Die Däräsge Maryam Offenbarung Kirche und Schule in Äthiopien, Heft 64 / November 2011 30 Artikel

Priesterkönigs Johannes zu finden. Beide reisten wenig um den Gesandten, wollte ihn sogar nicht gemeinsam über Neapel, Rhodos und Alexandria einmal wieder abreisen lassen, wie man in die- nach Kairo, durchquerten die östliche Wüste und sem Lande überhaupt Fremde wohl hinein, aber segelten über das Rote Meer bis nach Aden. nie wieder herus lässt31 “ . „Dort erfuhren sie, dass in einem oberhalb Ägyp- 1515 traf die unter der Führung des Rodriguez de tens gelegenen Teile Äthiopiens ein mächtiger Lima stehende portugiesische Gesandtschaft, christlicher Herrscher lebe, dessen Reich sehr über die uns der ausführliche Bericht des Fran- groß sei und dem viele Fürsten untertan seien. cisco Alvares erhalten ist, Covilham noch in Sie vermuteten, es handele sich um den gleichen Äthiopien an. Covilham hat das Land bis zu Fürsten (d. i. der Priesterkönig Johannes), um seinem Tode nicht mehr verlassen können. Er dessen Ermittlung sie von Johann ausgesandt war mit einer Äthiopierin verheiratet, mit der er worden waren, doch verwirrte sie der Name In- auch einige Kinder hatte. dien, da sie ja ausgesandt waren, um den Pries- Bis in das vierte Viertel des 15. Jahrhunderts ter Johannes, den christlichen Beherrscher Indi- berichten alle europäischen Quellen über ens, aufzusuchen. Denn weder jenes Reich noch Äthiopien lediglich vom Hörensagen. Erst als die der Name noch die Priesterwürde passten auf Europäer das Land selbst in Augenschein neh- den König von Äthiopien. Sie beratschlagten de- men konnten, wurde das Ende der Legende um shalb, was am besten zu tun sei, und vereinbar- das Reich des Priesterkönigs Johannes in ten, dass der eine nach Indien fahren und ermit- Äthiopien eingeläutet. teln sollte, ob an den Küsten eine Kenntnis des Priesters Johannes bestehe30.“ (30) Der andere, Mit der Eröffnung des portugiesischen Indien- Alfonso Paiva, reiste weiter nach Äthiopien. handels um 1500 (1497-99 Vasco da Gamas In- dien-Reise, 1500-1501 Pedro Alvares de Cabrals Interessant ist diese Quelle, weil hier zum ersten Indien-Reise) wurde das Interesse des portugie- Mal Zweifel angemeldet werden, wo das Reich sischen Königs an einem christlichen Verbünde- des sagenhaften Priesterkönigs Johannes zu ten im Raum des Roten Meeres und an den suchen sei, ob in einem Teile Indiens oder in Westküsten des Indischen Ozeans immer stärker. Äthiopien. Auch merkt dieser Text zum ersten Die ungefähre Lage des in Äthiopien vermuteten Mal kritisch an, dass der äthiopische Herrscher Reiches des Priesterkönigs Johannes war zu die- nicht mit dem Priesterkönig Johannes identisch ser Zeit bekannt: Man wusste, dass dies Land im sein könne. östlichen Afrika am Oberlauf des Nils zu suchen Die beiden Portugiesen trennten sich in Aden, war. In den Jahren zwischen 1506 und 1509, um der Sache nachzugehen. Während Paiva sich während er mit militärischen Operationen gegen nach Äthiopien begab, reiste Covilham weiter die moslemischen Fürsten entlang der Küsten nach Indien. Vereinbart hatten sie, sich später in Ostafrikas und Arabiens beschäftigt war, ver- Ägypten wiederzutreffen. Als Covilham nach suchte der portugiesische erste Vizekönig von In- seiner Reise nach Indien wieder in Kairo eintraf, dien, Alfonso de Albuquerque, in Kontakt mit wo er mit Paiva zusammenzutreffen hoffte, er- dem Herrscher Äthiopiens zu treten32. Er ent- fuhr er, dass Paiva inzwischen verstorben war. sandte eine Abordnung in das Innere Afrikas, die Der portugiesische König, der von Paivas Tod von Kaiserin Eleni (Helena) empfangen wurde. inzwischen Kenntnis erhalten hatte, gab Covil- Helena führte, nachdem ihr Gatte, Kaiser Naod, ham nun den Auftrag, selbst nach Äthiopien zu 1508 verstorben war, die Regentschaft für ihren reisen. Über Aden und den Hafen Zeyla reiste er noch unmündigen Stiefenkel Lebna Dengel. ins Äthiopische Hochland, wo noch immer Kai- Nachdem sie die portugiesische Abordnung emp- ser Iskender/Alexander (1478-1494) regierte, der fangen hatte, schickte sie sie gemeinsam mit bereits 1482 die italienische Gesandtschaft unter einem äthiopischen Gesandten, einem ar- d’Imola empfangen hatte. „Unglücklicherweise menischen Kaufmann namens Matewos/Mat- starb aber Iskander einige Tage darauf, und sein 31 Bruder Naut (1494-1508) kümmerte sich nur Hierzu und zum Folgenden siehe: Bartnicki, Andrzej / Mantel-Niecko, S. 90ff.; Kreuter, Marie-Luise, S. 175; 30 Silverberg, Robert, S. 209 ff. Odoricus Raynaldus, Annales ecclesiastici, t. XIX, Köln 32 1694, 380, ad annum 1486, zit. nach Henning, Richard, Hierzu und zum Folgenden siehe: Bartnicki, Andrzej / Band 4, S. 378-379. Mantel-Niecko, S. 90ff.; Kreuter, Marie-Luise, S. 175; Silverberg, Robert, S. 209 ff.

Kirche und Schule in Äthiopien, Heft 64 / November 2011 Artikel 31 thäus, und einem Brief in persischer und ara- cam das Terras de Preste Joam das Indias“ bischer Sprache an König Manuel I. (1495-1521) („Wahrhaftiger Bericht von den Ländern des von Portugal. In diesem Brief bot Helena Manuel Priesterkönigs Johannes von Indien“) im Jahre an, ihn zu Lande in seinem Kampf gegen die Un- 1540 in Lissabon. Es ist die erste ausführliche gläubigen zu unterstützen. Denn auch die und authentische Landesbeschreibung Äthiopi- Äthiopier hatten großes Interesse an einem ens aus der Feder eines Europäers – und bereitete miltärisch starken Verbündeten für ihren Kampf der Legende vom Reich des Priesterkönigs Jo- gegen die moslemischen Fürstentümer im Osten hannes das Ende. und Süden des Landes an den Küsten des Roten Nachweis der verwendeten Literatur: Meeres. - Bartnicki, Andrzej / Mantel-Niecko, Joanna, Einen Umweg über Indien nehmend, erreichte Geschichte Äthiopiens, Berlin 1978, Band 1. der äthiopische Bote Matewos 1513 Lissabon. Der portugiesische König schien sich für die - Henning, Richard, Terrae Incognitae, Eine Zu- Vorschläge der äthiopischen Kaiserin zu inter- sammenstellung und kritische Bewertung der essieren. Im Jahre 1515 schickte er, nachdem er wichtigsten vorcolumbischen Entdeckungsreisen den Papst in Rom über seine Absichten in Kennt- anhand der darüber vorliegenden Originalberich- nis gesetzt hatte, eine Gesandtschaft aus mehre- ten, Band 2 (200-1200), Leiden 1937, Band 3 ren Männern nach Äthiopien, unter denen sich (1200-1415), Leiden 1938, und Band 4, Leiden der Priester Francisco Alvares befand. Zwei 1939. Jahre nach ihrer Abreise aus Lissabon trafen die Gesandten in Äthiopien ein. Die Kaiserin Helena - Kreuter, Marie-Luise, Äthiopien – von innen war inzwischen verstorben und ihr Stiefenkel und außen, gestern und heute, Norderstedt 2010. Lebna Dengel zum Kaiser gekrönt. Der junge - Silverberg, Robert, The Realm of Prester John, Kaiser scheint anders als seine Stiefgroßmutter London 1990 (2. Auflage) wenig Interesse für die Portugiesen gehabt zu ha- ben. Vielleicht war er auch nur darüber enttäuscht, dass die neuen Verbündeten nicht mit einem großen Heere gegen die Moslems aufwar- ten konnten. Auf jeden Fall ließ der Kaiser die Axel Barner (Studium: Germanistik und Portugiesen erst einmal drei Wochen warten, bis Geschichtswissenschaften), lebt seit Sommer er sie in seinem Lager empfing. 2010 in Addis Abeba/Äthiopien und arbeitet dort an der Deutschen Botschaftsschule als Lehrer für Auch in den Monaten und Jahren nach dem er- Deutsch und Geschichte. Publizierte verschie- sten Zusammentreffen der portugiesischen Bot- dene wissenschaftliche und literarische Buch- schaft mit Lebna Dengel kam es außer zu ver- und Zeitschriftenveröffentlichungen in Deutsch- balen Absichtserklärungen nicht zu konkreten land und Rumänien. Zuletzt erschienen „Der gemeinsamen Aktionen. Den Portugiesen gelang Balkan als Metapher“ (2004) und „Das Bild Ru- es erst Jahre später, von dem Hafen mit mäniens und der Rumänen in der deutschspra- einem Schiff in die Heimat zurückzukehren. chigen Literatur“ (2006), sowie „Umwege nach 1527, zwölf Jahre nachdem sie Portugal verlas- Moabit – Reiseminiaturen“ im Berliner Zwi- sen hatten, kehrten Francisco Alvares und einige schenbereiche Verlag 2010. andere Teilnehmer der Gesandtschaft nach Lissa- bon zurück. Auch wenn die ersten direkten Kontakte zwischen einem europäischen Land und Äthiopien ohne konkrete Ergebnisse blieben, so war die „portugiesische Botschaft“ dennoch nicht folgenlos: Alvares schrieb seine Erlebnisse über Äthiopien auf, und sein Bericht veränderte das europäische Äthiopien-Bild vollständig. Die Aufzeichnungen über seine Reise nach Äthiopien erschienen unter dem Titel „Verdadera Informa-

Kirche und Schule in Äthiopien, Heft 64 / November 2011 32 Artikel

EINE FALLSTUDIE AUS DER ÄTHIOPISCHEN schen Altertum war Aksum eine feste Hauptstadt, GESCHICHTE UM 1850: ZWEI KÄMPFER UM wovon heute noch der Stelenpark zeugt. Im 12. DEN THRON UND DIE GRÜNDUNG DES KIR- Jahrhundert war es das Jerusalem nachgebaute CHENBEZIRKES DÄRÄSGÉ MARYAM IN DEN Lalibela mit den 13 spektakulären Felskirchen in der Provinz Lasta. Im 16. und 17. Jahrhundert bis SEMIEN BERGEN. 1632 war es Gondär, wo unter dem Einfluss der Dorothea McEwan portugiesischen und spanischen Jesuiten ansehn- liche Burgen, Palast- und Badeanlagen nach por- 1. Herrschaftsmythos und Herrschaftspraxis. tugiesisch-indischem Vorbild errichtet wurden. Äthiopien lag, von Europa aus gesehen ‚hin- Kaiser Susenyos (1572-1632) hatte den Jesuiten ter’ den Ländern der Muslime. Es wurde als bei ihrer Initiative zur Katholisierung Äthiopiens christlich angesehen, mit einem seiner christli- geholfen, konnte aber seine Stellung nicht be- chen Herrscher führten die Päpste im Mittelalter haupten. Er schwor 1632 seinem neuen Glauben sogar eine Korrespondenz. Das war der sagen- ab, sein Sohn Fasilädäs (1632-1667) proklamier- umwobene christliche Patriarch und König, te die Wiedereinsetzung der alten Orthodoxie Nachfahre der Heiligen Drei Könige, der über ein und die Landesverweisung der Jesuiten. Die kai- christliches Volk irgendwo in einem von Musli- serliche Herrschaft hielt sich in Gondär von 1632 men beherrschten Land regierte, Presbyter Johan- bis zum zweiten Drittel des 18. Jahrhundert un- nes. Er beantwortete den Brief von Papst Alexan- ter der Herrschaft von äthiopischen Kaisern aus der III. 1177 nicht und nicht, ganz einfach des- der salomonischen Linie, bis zum Tod von Kai- halb, weil es den Presbyter natürlich nicht gab ser Iyasu 1755 und dessen Sohn Ioyas 1769. Dieses Land Äthiopien führte seine politische Neben den großen, internationalen handel- und dynastische Geschichte auf die angebliche treibenden Reichen wie Aksum und das äthiopi- Verbindung der Königin von Saba mit König Sa- sche Kaisertum mit dem Zentrum in Gondär gab lomon in Jerusalem zurück. Wer seine Existenz es kleinere lokale Einheiten. Deren Führer lebten von dieser Verbindung ableiten konnte, hatte ei- davon, in die Nachbarländereien einzufallen und nem Gegner gegenüber, der das nicht konnte, ei- Tribut zu erpressen, bis sich bei der nächsten nen Trumpf in der Hand. Die dynastische Karte Schlacht eine Wendung der Lage ergeben würde. spielte in der äthiopischen Herrschaftsmythologie Äthiopische Politik glich dem Reiterkönigtum, und Praxis bis ins 20. Jahrhundert eine Rolle. Sie wie es aus der europäischen Mittelaltergeschich- drückte sich in den Titeln der Herrschenden aus: te bekannt ist, manchmal gab es eine Hauptstadt, Negusä nägast – König der Könige, Atse – Kai- manchmal nicht. Im letzten Fall bildete das Heer- ser, Siegreicher Löwe von Judah, Seyoume Egzia- lager die mobile Hauptstadt. Sie konnte, nach biher – Auserwählter Gottes. Ein Land, das durch Maßgabe der Ernährungslage, kurzfristig zu seine Geographie - hohe Bergzüge und Hochpla- fruchtbareren oder noch nicht abgegrasten Län- teaus, tiefgeschnittene Flußsysteme - schwer von dereien verlagert werden. Es gab Kirchen und einer Zentralmacht beherrscht werden konnte, bot Klöster, oft auch von den Lokalherrschern ge- Regionalherrschern den Ortsvorteil. gründet, aber keine Burgen oder sonstigen Ge- bäude, die über Regierungs- oder Dynastiewech- Trotzdem gibt es drei Städte, die jede für eini- sel hinweg die Verwaltungsstruktur beherbergen ge Jahrhunderte ein Zentrum darstellte. Im klassi- und tradieren hätten können. Allerdings gab es eine zentrale Einrichtung unter Ase Yekunno Amlak, der von 1270-85 regierte: im zentralen äthiopischen Hochland wurden Kai- sersöhne auf dem Berg Amba Gešän (Geshen) westlich von Däse (Dessie), in Hausarrest gehal- ten, um Zwiste zwischen Brüdern um die Nach- folge zu verhindern – denn durch Polygynie gab es viele Brüder und Halbbrüder. Der Berg wurde daher auch ‚Berg der Prinzen’ genannt. 1540 wurde diese Bergfestung von Ahmed Grañ ge- Abb. 1: Die Bergwelt von Nordäthiopien. Satellitenbild. stürzt. Die Prinzen wurden freigelassen, was zur

Kirche und Schule in Äthiopien, Heft 64 / November 2011 Artikel 33 dynastischen Instabilität beitrug. In der Folge er- ler politischen Wechselfälle ein Kontinuum dar. langte der ganze Komplex durch die Sage Be- Gesellschaft und Kultur waren vom Christentum rühmtheit, dass ein Teil des Hl. Kreuzes in Eg- geprägt, auch wenn es zahlreiche Falaschadörfer ziabeher Ab, einer der vier Kirchen, aufbewahrt gab, also Dörfer mit äthiopisch/jüdischer Bevöl- sei. Es galt als heiliger Ort, der den Verfolgten kerung oder Dörfer mit islamischen Bewohnern. Asylrecht bot.1 Der Topos des Asylrechtes wird Die Kirchenorganisation regelte den Alltag der in der Folge bei der Besprechung des Baus der christlichen Bevölkerung, Kunst fand Ausdruck Marienkirche in Däräsge weiterverfolgt. in der Herstellung von Sakraltexten, Buchmale- rei, Wandmalerei, Ikonenmalerei, liturgischem 2. Die politische Lage um die Mitte des 19. Tanz und Gesang. Für den Monarchen als den Jahrhunderts. Hort der Regierung sowie Kriegsführung war es Die nur noch in Gondär aufrechterhaltene no- daher wichtig, den Klerus auf seine Seite zu be- minelle Zentralregierung konnte ihre Macht circa kommen. 100 Jahre lang, bis 1855, nicht durchsetzen. Die- Der Posten des Metropoliten in Äthiopien se Periode wird Zämänä Mäsafent genannt, die war seit 1829 vakant und Webé verlangte vom Zeit der Prinzen oder auch die Zeit der Richter, Patriarchen in Alexandrien die Ernennung eines denn die Prinzen hatten natürlich richterliche Ge- Geistlichen zum Metropoliten. Nach sechs Jah- walt. Die schwache Zentralregierung konnte die ren wurde ein 22 Jahre alter Priester, der Sympa- sich gegenseitig bekämpfenden Lokalfürsten nur thien zu Protestanten und Antipathien zu Katholi- gegeneinander ausspielen, aber nicht in Zaum ken mitbrachte, zum Metropoliten bestellt; er traf halten. Ende 1841 in Äthiopien ein und nahm den Na- 2 Nachdem Haylä Maryam Gebre, Machthaber men Abunä Sälama III. an. Webé hatte Geschen- in Semien und Wälqayt, 1826 gestorben war, be- ke geschickt und hoffte, dass der neue Abun ihm siegte sein Sohn Haylä Maryam Webé seinen Achtung auch beim äthiopischen Klerus ver- Habbruder Märso Haylä Maryam. Es gelang dem schaffen würde. ambitionierten Dädjazmach Webé oder ‚Bewa- cher der Pforte’, der salomonische Abstammung nachweisen konnte, durch Familienintrigen und wechselnde Bündnisse 1831 Herr über Tigray zu werden. Über die folgenden 20 Jahre brachte er einen Landstrich nach dem anderen in seine Herrschaft, verlor einige und eroberte sie dann wieder zurück, bis er glaubte, seinen Traum ver- wirklichen zu können – die Wiederherstellung ei- nes all- äthiopischen Kaisertums. Um 1850 stand ihm nur mehr noch ein Gegner gegenüber. Von der Einführung des Christentums in der Mitte des 4. Jahrhunderts an besaß der koptische Patriarch in Alexandrien das Vorrecht, den Me- Abb. 2: Däräsge Maryam, Prozession. Tewodros, Abt, mög- licherweise der Eccäge von Gondär, Abunä Sälama. Däräs- tropoliten über die äthiopische Kirche zu bestel- ge Maryam Kirche (Dank an Ewa Balicka-Witakowska für len. Eingedenk dieses Vorrechts schlug Webé ab die Lesehilfe). Foto © D. McEwan, 29.Nov.2007. 1834-1835 auch den diplomatischen Weg ein, Durch die erwähnten geologisch-morpholo- um seine eigene Autorität auszudehnen. gischen Gegebenheiten war der Verkehr mit den Die äthiopisch-orthodoxe Kirche, heute angrenzenden Ländern und Völkern unendlich Ethiopian Orthodox Tewahedo Church genannt, erschwert. Beziehungen mit dem Ausland waren mit ihren Kirchen, Ländereien, Klöstern, hatte nur wenigen Sendboten, Pilgern oder Kaufleuten von Anfang an eine wichtige Rolle in der Lan- vorbehalten. Dennoch kamen seit dem 15. Jahr- desgeschichte gespielt. Sie stellte ungeachtet al- hundert Reisende aus Europa ins Land, seit dem 1 16. und 17. Jahrhundert Missionare aus Portugal Encyclopaedia Aethiopica, hsg. von Siegbert UHLIG u.a., Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2003, Bd. 1, Amba 2 Gesän, 220-221. Er kam 1841 nach Äthiopien und starb dort am 25. Okt.1867

Kirche und Schule in Äthiopien, Heft 64 / November 2011 34 Artikel und Spanien. Ab dem 18. Jahrhundert trafen eu- gray zu verhelfen.4 Und so fingen neuerliche ropäische Naturwissenschaftler ein, wie James Kriegszüge an, Abunä Sälama wechselte Seiten, Bruce, der die Quellen des Blauen Nil erforschte, da er 1846 Webé verdächtigte, die Katholiken zu der Zoologe Eduard Rüppell und der Botaniker unterstützen.5 Webé gab nach, worauf ihm durch Georg Wilhelm Schimper, die im 19. Jahrhundert die Hilfe des Abun die konfiszierten Ländereien bahnbrechende Forschungen machen sollten. zurückgegeben wurden. Ein Jahr später mar- schierte Webé gegen den Abun, der ihn prompt Webé erkannte den Nutzen solcher europäi- mit einem Anathema belegte, aber diese Strafe scher Beziehungen. Nachdem er mit Abunä Sä- zurückzog, als Webé die katholischen Missionare lama einen Schritt zur Festigung seiner imperia- des Landes verwies – dies nur ein Beispiel der len Ansprüche getan hatte, bemühte er sich um Schaukelpolitik während einer schwachen Zen- diplomatische Unterstützung sowohl von Frank- tralregierung. reich als auch von Großbritannien. Er hieß euro- päische Abenteurer, Forscher und katholische Zur selben Zeit wurde ein anderer Kriegsfüh- Missionare willkommen und erlaubte ihnen unter rer, Kasa Haylu von Qwara, der zukünftige Kai- seinem Schutz in Tigray zu wohnen. Noch gab es ser Tewodros II,6 immer erfolgreicher. Aber die kein Konsularsystem, so dass jeder Europäer auf Zustände waren so chaotisch, dass einmal sogar den Schutz des Landesherrn angewiesen war. Webé seinem Feind Ali Alula Truppen schickte, Aus Dank für diesen landesherrlichen Schutz nachdem Kasa ihn besiegt und in die Flucht ge- mußten die Ausländer ihm dann allerdings auch schlagen hatte. Webé musste Kasa um Verzei- zu Diensten sein. So begleitete z. B. der italieni- hung bitten und versprechen, den von ihm inzwi- sche Lazaristenmissionar Giustino de Jacobis die schen gefangengehaltenen Abunä Sälama freizu- äthiopische Delegation nach Alexandrien, um lassen, worauf Kasa ihm den Titel Ras, Prinz, den neuen Metrolopoliten abzuholen. verlieh. Allerdings bevorzugte Webé in Anwe- senheit von Europäern den Titel Negus oder Kö- Abunä Sälama schaltete sich nach seinem nig der Könige, einen Titel, den er mit Sälamas Eintreffen in Äthiopien 1841 sofort in die schil- Segen trug.7 lernde politische Lage ein. 1842 versuchte er, ei- nen Streit zwischen Webé und seinen Schwier- Wie schon erwähnt, hatte Webé mehreren gersohn Ras Ali Alula zu schlichten, der in Zen- Europäern Schutzrecht gewährt. Der Lazaristen- traläthiopien als letzter Herrscher aus der Ära der missionar Giustino de Jacobis erhielt ein Grund- Prinzen herrschte.3 Webé nahm Gondär ein, 4 schlug Ali Alulas Heer am 7. Feb. 1842 in Debre Seine muslimischen Bundesgefährten in Wälo wandten Tabor. Ali gelang die Flucht, worauf Webé und sich ebenfalls ab von ihm; sie waren besorgt, dass der Christ Birru Aligaz ihre Grenzen belagerte. Ras Ali seine Bundesgenossen (Birru Goshu) sich zu ei- musste sich woanders um Hilfe umsehen und suchte sie nem Festmahl niederließen. Allerdings wurden bei den Ägyptern, die ihre Herrschaft über den Sudan sie während des Mahls von den Truppen der konsolidieren wollten. Dieser Schachzug war nur auf Bundesgenossen Alis (Birru Aligaz) wieder an- kurze Zeit erfolgreich, bald führte er dazu, dass Ali den militärischen Rückhalt verlor und in dieser ständigen gegriffen. Webé wurde gefangengenommen und Schaukelpolitik schließlich von einem kompetenten sein Halbbruder Märso erhielt Webés Ländereien Rivalen, dem zukünftigen Kaiser Tewodros II. in Tigray. geschlagen wurde. 5 Vgl. Donald CRUMMEY, Priests and Politicians. Natürlich änderte ein Kriegszug nichts. Abu- Protestant and Catholic Missions in Orthodox nä Sälama bestimmte, dass Ali den gefangenge- 1830 – 1868. Oxford: Clarendon Press, 1972. Ab 1839 haltenen Webé freilassen und gegen seinen eige- setzte eine Missionstätigkeit der Lazaristen und nen Halbbruder Märso in den Krieg ziehen muss- Kapuziner ein. 6 te, um Webé wieder zu seinen Ländereien in Ti- Ca. 1818 – 13 April 1868. 7 Manfred KROPP, ‘Asylrecht und Pfründe für die zukünftige Residenz: Die Zeugenfassung der Privilegurkunde des Ras Webe für die Marienkirche von 3 Däräsge aus dem Condaghe der Hs. BL Or 481, fol. 3v’, Ras ist ein Militärtitel, ranggleich etwa mit Prinz; es ist in Studia Semitica. Journal of Semitic Studies, Jubilee auch ein Adelstitel, der höchste adelige Rang, Volume. Manchester, 2005, 193-206, Zitat 201. Siehe normalerweise ein Erbtitel, den nicht erstgeborene auch Gerhard GRÄBER, ‚Auf Spurensuche im Prinzen der solomonischen Linien trugen. Ali Alula, Semiengebirge’. Kirche und Schule in Äthiopien. 1818-1866, regierte als letzter Führer in der Zämänä Heidelberg. 50. 1997, 16-25. mäsafent Ära Zentraläthiopien von 1830 bis 1853.

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Abgesehen von ständig in Äthiopien lebenden Europäern kamen immer wieder Reisende, For- scher, Konsularangestellte ins Land. Darunter befanden sich z. B. der Naturwissenschaftler aus Württemberg Dr. Theodor von Heuglin (1824- 1876), der britische Konsul in Massawa Walter Chichele Plowden (1820-1860), der österreichi- sche Vizekonsul im Sudan Dr. Konstantin Reitz (1817-1853). Haylu Kasa erhoffte sich Unterstüt- zung von Reitz9 und traf mit ihm im Januar 1853 an der sudanesisch-äthiopischen Grenze bei Me- Abb. 3: Die befreiten Geiseln. Bergfestung Mäqdälä. © tamma zusammen. Allerdings wollte Reitz auch Agfa Foto-Historama im Wallraff-Richartz-Museum/Muse- Kasas Gegner, Webé, treffen, der ihn aber zu um Ludwig, Köln. ‚Theodore’s Artisans and their Wives’. lange in Däräsge Maryam warten ließ. Reitz er- WRM/PH/SL888/52. kannte, dass die unsichere politische Lage Han- stück von Webé. Als Kirchenmann durfte er es delsbeziehungen nicht förderlich sein würde und aber nicht annehmen und überließ es 1842 dem verließ das Land; er starb auf der Rückreise am deutschen Botaniker Georg Wilhelm Schimper 26. Mai 1853 bei Doka im Sudan,10 wo er auch unter der Bedingung, katholisch zu werden begraben ist.11 Schimper wurde katholisch und heiratete eine äthiopische konvertierte Katholikin, Mirtsit, mit Ras Webé konnte in fast 30 Jahren Kriegführung der er drei Kinder hatte. 1847 kam Eduard Zan- seinen Einfluss auf das äthiopische Hochland fe- der ins Land, Zeichner und Maler, der mit stigen und immer mehr Provinzstatthalter aus Schimper botanische Sammelreisen durch das dem Rennen um die Kaiserwürde schlagen. Aber ganze Hochland unternahm. Er wurde berühmt Kasa gewann in den Jahren von 1852 bis 1855 durch seine Zeichnungen, die heute im British jeden Kriegszug gegen Webé. Am 9. Februar Museum aufbewahrt werden. 1855 kam es zur entscheidenden Schlacht in Däräsge. Auf der Hochebene, wo sich Webés Lieblingsresidenz befand, standen sich zwei Hee- re gegenüber und der junge Haylu Kasa schlug den kriegserfahrenen alten Webé. Zwei Tage da- nach ließ sich Kasa vom Metropoliten Sälama in der von Webé gebauten Kirche zum Kaiser Te- wodros II. krönen. Wie Webé wollte er Kaiser von ganz Äthiopien sein. Nachdem seine Frau 9 Ein Brief von Kasa an Reitz trägt das Siegel mit der Aufschrift: ‚Dagazmac Kasa von Qwara‘. Vgl. Wilhelm BAUM, Eintragung über Tewodros II, Biographisch- Bibliographisches Kirchenlexikon, Nordhausen: Verlag Traugott Bautz, 2002, vol. XX, Spalte 1455-1459. 10 Am 30. Jan. machten sie sich auf den Weg nach Däräsgä Maryam, wo sie am 6. Feb. 1853 eintrafen. Am 18. März brachen sie nach Khartum auf. Friedrich ROEM- HELD, ‚Konstantin Reitz. Ein vergessener Vorkämpfer für abendländische Kultur in Afrika’, in: MÖSTA [Mitteilungen des österreichischen Staatsarchivs] 12, Wien, 1959, 289-373. Rudolf AGSTNER, Das k.k. (k.u.k.) Konsulat für Zentral-Afrika in Khartoum 1850-1885, Schriften des Österreichischen Kulturinstitutes Kairo, Bd. 5, 1993, 27-35, Zitat 34-35.

11 Abb. 4: Selbstporträt Ed. Zander, ca. 1847. Dorothea MCEWAN, A Catholic Sudan. Dream, Mission, 8 © Anhaltische Gemälegalerie, Dessau Stadtarchiv. Reality. A Study of the Roman Catholic Mission to Central Africa and its Protection by the Hapsburg 8 Empire from 1846 to 1900 (1914) as Revealed in the Siehe Dorothea MCEWAN, Gerd GRÄBER, Johannes HOCK Correspondence of the Imperial and Royal Austro- (Hsg.), Das Skizzenbuch Eduard Zanders, Verein für Hungarian Consulate in Khartoum. : Stabilimento Anhaltische Landeskunde e.V., Köthen / Dessau, 2006. Tipografico Julia, 1988, 40.

Kirche und Schule in Äthiopien, Heft 64 / November 2011 36 Artikel

Täwabäóó 1858 starb, nahm er Webés Tochter Teru Wärq zur Frau. 3. Der Kirchenbezirk von Däräsge Maryam. Webé wollte als der zukünftige Herrscher die alte salomonische Herrschertradition über ganz Äthiopien wieder einführen. Zur Verwirklichung dieser politischen Vision hatte er nicht nur Krie- Abb. 7: Tabula C. Querschnitt ‚Die Gänge des grauen Gra- ge geführt, sondern auch damit begonnen, eine nits im rothen Granit zwischen Tigre und Tsälamt’. Distrikt Hauptstadt oder zumindest ein gebautes Zentrum Adiet bis zum Nordostabfall [zum Takazeefluss] des Semi- engebirges, aus dem Kartenwerk von Georg Wilhelm für sein zukünftiges Reich aufzubauen. Aus dem Schimper, 1864/65, British Library, London Add. Ms. Dorf Däräsge sollte ein politisches Zentrum samt 28506, f.14v-15r, mit Pfeilhinweis auf ‚Däräsgie’. © The Kirche und Festung werden. Trustees of the British Library, Londo38)n. All rights re- served. A. Geographische Lage: Schimper zeigt überdies einen Querschnitt durch die nordäthiopische Bergwelt. Die Ausmaße des Zwei Luftaufnahmen der Hochebene, auf der Kirchenbezirkes werden durch eine weitere Däräsge Maryam liegt, zeigen in der Mitte den

Abb. 5. Semien Nationalpark. Provinz Amhara. Satellitenbild. Abb. 8: Kirchenbezirk von Däräsge Maryam. Satellitenbild. Luftaufnahme besonders anschaulich, die Kirche im Zentrum, die beiden Ringmauern, zwischen den Mauern das Schatzhaus, ein Schuppen, das sog. ‚Schloß‘, besser Asylstätte, die beiden Ein- gangspforten und die kleinen Gebäude für die Mönche, auf 38º5’ Längengrad und 13º1’ Grad Breitengrad. Von Zanders Hand existiert eine Zeichnung des Dorfes Däräsge ohne Kirche. Däräsge ist al- tes Siedlungsgebiet, ein strategisch wichtiger Ort im Hochland von Semien, umgeben von Berg- massiven, in ausgezeichneter Verteidigungslage Abb. 6: Mekane Berhan und Umgebung. ca. 50 km südöstlich von entfernt, auf ca. Satellitenbild. 3000 m Höhe. Der Ort diente schon Ahmad Ort Mekane Berhan, in dem die neugebaute Stra- Grañ als Lager für die Regenzeit, vor seiner ent- ße endet, nördlich davon befinden sich Dil Amba scheidenden Niederlage in der Schlacht von und nordwestlich davon Däräsge Maryam. Ein Zantara 1543 n.Chr. Später diente er Kaiser Su- zeitgenössisches Bergprofil von Georg Wilhelm senyos als Basis für seine Feldzüge nach Tigray.

Kirche und Schule in Äthiopien, Heft 64 / November 2011 Artikel 37

Herrn‘ sowie auf ‚Debre’ = ‚Kloster‘ und ‚Tsige’ = ‚Blume‘ zurück; Schimper verwendete Däbr Eski, Zander verwendete ‚Debbere Siske’ und eine Kontraktion ‚Dereske’ (Abb.1 und Abb. 18 in seinem Skizenbuch), also ‚Blumenkloster’ und in Verbindung mit Maryam ‚Maria Blumenklo- ster’.13 Eine prachtvolle Wandmalerei in der Kir- che ehrt die Kirchenpatronin. Es gab ein Kloster – laut zeitgenössischem Bericht von Heuglin ‚einige Kirchen und wenige Hütten’14 – bevor Webé den Neubau in Auftrag

Abb. 9: ‚Ein Theil von Dereske. 9300 Fuß hoch. 12.März 1852’. Tuschezeichnung vom Dorf Däräsge, ohne Kirche, von E. Zander in seinem Skizzenbuch. Veröffentlicht von McEwan, Gräber, Hock, Das Skizzenbuch Eduard Zan- ders, 2006. Abb. 1. © The Trustees of the British Museum. London. All rights reserved.

Die Etymologie des Ortsnamens ist umstritten. ‚Däräs-ge’ ist eine früh belegte Form, die als ‚Ort des Ankommens, Hingelangens’, nämlich von Debarq, gedeutet werden kann.12 Andere Erklä- rungen gehen auf ‚Debr Echsi’ = ‚Kloster des

Abb. 11: ‚Abyssinische Frauen zu Debbere Siske, in Simän, 1853’. Tuschezeichnung von E. Zander 1853, Titelbild sei- nes Skizzenbuches. In McEwan, Gräber, Hock, 2006, Abb. 33. © The Trustees of the British Museum. London. All rights reserved.

Abb.12: ‚Die Kirche in Axum, von der Ostseite gesehen, 1853‘ Tuschezeichnung von E. Zander. In McEwan, Gräber, Hock, 2006, Abb. 11. © The Trustees of the British Museum. London. All rights reserved. 13 Freundliche Mitteilung am 20.9.2010 von Martha Mulugeta. Siehe auch Theodor von HEUGLIN, Reisen in Abb. 10: Däräsge Maryam, Wandmalerei, Maria mit dem Nord-Ost-Afrika. Tagebuch einer Reise von Chartum Kinde in kostbaren Gewändern mit floraler Verzierung un- nach Abyssinien, mit besonderer Rücksicht auf Zoologie ter Verwendung dese neuen ‚synthetisch Blau’. und Geographie unternommen in dem Jahre 1852-1853. Foto © D. McEwan, 29.Nov.2007. 1857, 69. 12 14 Siehe Manfred KROPP, 2005, S. 202. Von HEUGLIN, 1857, 69.

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B. Das Ayslinstrument Im Lauf der Geschichte bildete sich die Tradition heraus, Kirchen und Klöster mit kaiserlichen Stiftungen auszustatten. Die Religionspraxis wurde mit politischen Zielen verquickt. Die neue Marienkirche, Däräsge Maryam, sollte daher nicht nur eine Wallfahrtskirche, sondern auch eine kaiserlich verfügte Asylstätte sein. Das geht aus der Bündelhandschrift Or. 481 hervor, die wohl zur Zeit des Kaisers Fäsilädäs (1632-1667) entstanden ist16 und deren Kopie heute in Lon- Abb. 13: E. Zander, Qwesqwam, Ruine des Kaiserpalastes don in der British Library aufbewahrt wird. Das bei Gondär, n.d. Glasdiapositiv. © Stadtarchiv Dessau. Original stammt aus der Kirche Däbrä Egziabher Ab am Amba Gešän, dem erwähnten Relega- tions- oder Gefängnisort für die königlichen Prinzen. Die Handschrift umfasst neben Sakral- texten (Oktateuch, die vier Evangelien, die Apo- stelkanones, also Kirchendekrete zur Kirchendis- ziplin) auch Schriften zur Kirchenordnung sowie Rechtsurkunden, Antwortschreiben und Verwal- tungsakte.17 Dies mag auch der Grund gewesen sein, daß man im 17. Jahrhundert in Gondär, dem neuen Kaiserzentrum, Kopien davon anfertigen ließ: manche Besitztitel hatten weiter Gültigkeit. Die kopierten Handschriften wurden in Kirchen aufbewahrt, zu denen die Kaiserfamilie eine be- Abb. 14: E. Zander, Der Begräbnisplatz der Lieblingspferde sondere Beziehung hatte, z. B. Däbrä Berhan der Kaiser, dahinter das Badehaus. 1855.15 Glasdiapositiv. © Stadtarchiv Dessau. Śellase in Gondär. 16 gab. Die Bauleitung wurde Schimper und Siehe Manfred Kropp, 2005, dessen Artikel ich in Aus- Zander, als Webés militärische Beauftragte, über- zügen folge. 17 tragen. Siehe dazu auch: André CAQUOT, ‚Aperçu préliminaire sur le Mashafa Têfut Neben botanischen Sammelexkursionen fand de Gechen Amba’. Annales d'Ethiopie. 1. Paris/Addis Schimper Zeit zum kartographischen und geolo- Ababa, 1955, 89-115. Marilyn HELDMAN with Stuart MUNRO-HAY, African Zion. gisch-mineralogischen Studium der durchstreif- The Sacred Art of Ethiopia. Hsg. von Roderick Grierson. ten Gegenden und Zander fertigte Tuschzeich- New Haven (usw.). 1993, 116. nungen an von Landschaften, Menschen, Tieren Gianfranco FIACCADORI, ‚Bisanzio e il regno di 'Aksum. Sul und Gebäuden. manoscritto Martini etiop. 5 della Biblioteca Forteguerriana di Pistoia’. Bollettino del Museo Bodoniano di Parma. Die kartographischen Querschnitte von (Quaecumque recepit Apollo. Scritti in onore di Angelo Ciavarella. Pubblicati per cura di Andrea Gatti.) Parma. 7. Schimper wie die Zeichnungen von Zander sind 1993, 161-199. wertvolle Quellen für die Geschichte von Däräs- Ders., ‘Prototipi miniati dell'Ottateuco etiopico’. Bollettino ge. Wann es gegründet wurde, ist unbekannt, del Museo Bodoniano di Parma. 8. Parma: 1995, 71-102. aber es gibt eine äthiopische Urkunde zum Bau Manfred KROPP, ‚Dann senke das Haupt und gib ihr nicht im Zorn: Eine testamentarische Verfügung des Kaisers der sog. Asylstätte, die Licht auf die Ursache zur Amdä-Seyon aus dem Archiv der Hs. BM. Or. 481’, Anlage des Kirchenbezirkes im 19. Jahrhundert Orientalia Suecana. 28-29. 1989-1990. (Festskrift till Gösta wirft. Vitestam). Uppsala. 1990, 92-104. Ders., ‚Die dritte Würde oder ein Drittel des Reiches? Die 15 verschiedenen Versionen der Biographie des Hl. Iyäsus- Vgl. Henry Aaron STERN, Wanderings amongst the Falashas in Abyssinia; together with a description of Mo'a als Ausdruck sich wandelnder Funktionen des Textes’, the country and its inhabitants. 1862. Auf S. 209 unter in: Saints, Biographies and History in Africa. Saints, bio- ‚Monument of a Horse’ ist auf einem Stich derselbe Be- graphies et histoire en Afrique. Heilige, Biographien und gräbnisplatz und der Kachar Bach dargestellt. Der Geschichte in Afrika. Hrsg. von Bertrand Hirsch und Man- Künstler blieb ungenannt. fred Kropp. (Nordostafrikanisch/Westasiatische Studien. 5.) Frankfurt am Main, 2003,191-205, Zitat 200, n. 15.

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Nach äthiopischem Rechtsbrauch werden in C. Der Kirchenbezirk und die Kirchenschätze Sakraltexte nicht nur neue Dokumente einge- Die religiöse Verbrämung einer politischen schrieben, sondern auch Zeugenurkunden, die Ambition ließ äthiopische Fürsten durch Jahr- Schenkungen, Verleihungen, Privilegien etc. an- hunderte hindurch Kirchen bauen. In Däräsge derer Institutionen beurkunden. Ein Eintrag in war es nicht anders. In der ersten Hälfte des 19. ein Kirchenbuch erhöhte die Rechtssicherheit. In Jahrhunderts ist die Entwicklung des Ortes ganz der Archivhandschrift der Kirche Däbrä Berhan mit Webé verbunden. Über ihn geben äthiopische Śellase findet sich eine Zeugenurkunde über die Teilchroniken,19 sowie eine Reihe von Doku- Landausstattung einer Kirche in Däräsge. Der menten, teils von seiner eigenen Kanzlei, teils Klerus der Kirche in Gondär war Zeuge für die von europäischen Reisenden, Forschern und Mis- besagte Schenkung und stellte darüber eine Ur- sionaren, wie Giustino de Jacobis, Georg Wil- kunde aus. Einzeln wurde angeführt, welche helm Schimper und Eduard Zander Auskunft. Ländereien Kaiser Sahlä-Dengel (1832-1840; Strategische Überlegungen trugen dazu bei, an 1840-1855) den Priestern von Däräsge verlieh, diesem Ort den Grundstein zu einer richtigen Re- welche Ländereien Dädjazmach Webé den Prie- stern schenkte. Die Orte sind nicht mit Sicherheit zu identifizieren. Ein Teil liegt wohl in der Nähe von Däräsge. Diese Stiftung wird nun durch einen feierli- chen Akt bekräftigt und durch eine Urkunde be- zeugt. Der Kaiser, der Prior der Mönche und die Vorsteher der 44 Kirchen und 3 Klöster von Gon- där versammelten sich auf dem Proklamations- platz des Schlosses von Gondär. Der Thron und das Kreuz des abwesenden Patriarchen wurden auf den Platz herausgetragen. Gemeinsam wurde zur Rechtsbekräftigung der Fluch gegen all dieje- nigen ausgesprochen, die gegen die Asylregelung verstoßen sollten, also denjenigen keinen Schutz Abb. 15: Kirchenbezirk Däräsge Maryam, mit Innenmauer, Vorratshaus, Eingangspforte und Kirche im ‚heiligen Hain’. gewähren sollten, die eine Körperverletzung Foto © M. Mayr, 13.Nov.2009. (wörtl: Sehnen durchschnitten18) oder Mord ver- übt hatten. Diese Zeugenurkunde kann auf ca. 1840 datiert werden, auf das Jahr vor dem Ein- treffen des neuen Patriarchen Sälama III. 1841. Webé wurde mit seinem alten Titel Dädjazmach, ‚Bewacher der Pforte‘, genannt. Somit wäre un- gefähr ein Zeitraum zwischen 1832 und 1840 für die Asylproklamation und Stiftung anzusetzen. Diese Handschrift gehörte zu den vielen Bü- chern, die Kaiser Tewodros II. von den Kirchen- schätzen in Gondär plündern und in seine Fe- stung und neue Residenz Mäqdala schaffen ließ, wo sie in die Bibliothek der Erlöserkirche kam. Abb.16: Eingangspforte in der äußeren Mauer, von innen Dort wurde sie Teil der Kriegsbeute, die das bri- gesehen. Foto © M. Mayr, 11.Nov.2009. tische Expeditionskorps nach dem Fall der Fe- 19 stung 1868 nach England brachte. Vgl. Carlo CONTI ROSSINI, ‘La cronaca reale abissina dall'anno 1800 all'anno 1840’. Fonti storiche etiopiche 18 per il secolo XIX. 2. Rendiconti della Reale Accademia Der Topos des "Sehne-Durchschneidens" ist als biblische dei Lincei. Ser. 5. Bd. 25, Rom: 1916. 779-992. Zitiert Rechtssprache, aus dem Alten Testament - etwa die nach dem Separatdruck, Rom, 1917. Bestimmungen für Asylstädte, Exodus 21, Numeri 35 Ders., ‘Nuovi documenti per la storia d' Abissinia nel se- oder Deuteronomium 19 - übernommen. Der angeführte colo XIX’, in Fonti storiche etiopiche per il secolo XIX. Satz ist die formelhafte Begründung für den Exilstatus 3. Rendiconti della Reale Accademia Nazionale dei eines Orts. Lincei. Ser. 8. Bd. 2. Rom: 1947, 357-416.

Kirche und Schule in Äthiopien, Heft 64 / November 2011 40 Artikel

sidenz mit Hilfe der beiden deutschen Schutzbe- 12 bis 15 m lang, 9 bis 10,5 m tief, 9 m hoch, fohlenen, Schimper und Zander, zu legen. Die einstöckig, massiv aus unbehauenen Trachyt- Stiftungen an die Kirche von Däräsge, seine blöcken erbaut und mit Kalk überzogen. Jeweils Lieblingsresidenz, insbesondere die Erhebung ein Zimmer befand sich im Erdgeschoß rechts zum Asylort, nach dem Muster der kaiserlichen und links der Treppe; diese führte zum ersten Kloster- und Kirchengründung Däbrä Berhan Stock, in dem sich nur ein Raum befand, von wo Śellase in Gondär, sind ein Beweis dafür. aus man mit einer Leiter zum viereckigen Turm, Eine abgeflachte Stelle am Berghang ist um- geben von zwei Umfassungsmauern aus Stein. Durch eine Pforte und Eingangshalle in der äuße- ren Mauer kommt man zum Gräberbezirk zwi- schen den Ringmauern und einer zweiten Pforte und Durchgangshalle in der inneren Mauer. In diesem Bereich zwischen den Ringmauern befindet sich auch das berühmte Gebäude, das als Asyl dienen sollte. Der von Schimper ‚kleines Gebäude im Byzantinischen Styl’ genannte Bau20 entsprach dem der politischen Freistätte, also der temporären Aufnahme Verfolgter, von Däbrä Berhan Selasse [Dreifaltigkeit auf dem Berg des Lichtes] in Gondär. Das Gebäude war Abb. 19: Links: Turm im Kirchenbezirk , südlich von Gondär und rechts:Turm im Kirchenbezirk Iyasu, bei Däbrä Tabor, im gondärinisch-indischen Stil. Foto © M. Mayr, 15. Nov. 2009. bekrönt mit einer Halbkuppel in der hinteren Mitte des Gebäudes steigen konnte.21 Am 1. Juni 1844 bat Webé den katholischen Bischof De Jacobis und Schimper um Ersatz für eine zerbrochene Kirchenglocke, die Eduard Rüppell Webé geschenkt hatte.22 Tatsächlich wurden zwei neue Glocken geliefert. Eine Glok- Abb. 17: Das Asylgebäude zwischen den beiden konzentri- ke kam aus Straßburg und war wohl ein Ge- schen Steinmauern um die Kirche Däräsge Maryam, erbaut schenk von Schimper, möglicherweise von sei- von Schimper und Zander für Webé. nem Cousin geschickt, Wilhelm Philipp Schim- Foto © D. McEwan, 29. Nov. 2007. per (1808-1880), Professor für Geologie und Na- turwissenschaften in Straßburg; die zweite Glok- ke stammt aus Rom, datiert 1846, wohl ein Ge- schenk von De Jacobis; beide werden heute noch in der Asylstätte aufbewahrt. Eine dritte, mit der 21 Theodor von HEUGLIN, Reisen in Nordost-Afrika, 1852- 1853. Gotha, 1857, 69. Steintürme gibt es in den Kir- chenbezirken mehrerer Kirchen noch heute. Sie sind meist einfache quadratische einstöckige Gebäude, mit einer Halbkuppel als Dach. Sie ähneln der auf indische architektonische Vorbilder zurückgehende gondarini- schen Architektur, sind aber keine Asylstätten. Heute dienen sie als Wohnung von Kirchenangestellten oder Abb. 18: Seitenansicht des Asylgebäudes. auch als Lagerraum. So bei der Kirche Tekle Haymanot Foto © M. Mayr, 11.Nov.2009. bei Azazo oder bei der Kirche Iyasu bei Däbrä Tabor. 20 22 Georg Wilhelm SCHIMPER, ‚Meine Gefangenschaft in Sven RUBENSON, Correspondence and Treaties: 1800- Abessinien’, in Petermann’s geogr. Mittheilungen, Heft 185. Acta Aethiopica 1. Addis Abeba, Dokument Num- VIII, 1868, 294-298. Zitat S. 296. mer 82, 1987, 105.

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dass er sie dafür einsetzen wollte. Dass Plowden keine Arbeiter schickte und dass Schimper und Zander einspringen mussten, wissen wir aus Schimpers Schriften.25 Durch das zweite Pförtnerhaus kommt man am inneren Kirchenhof an; es ist ein runder

Abb. 20: Sven Rubenson, 1987, 105, Dok.82, Juni 1844: ‚Möge dieser Brief von Dädjazmach Webé Bischof De Jaco- bis und Schimper erreichen. Ein Ägypter brachte mir aus Übersee eine Glocke. Ich schenkte sie einer Kirche. Sie fiel herunter und zerbrach. Schreibt an euer Land und bringt mir eine Glocke‘. Abb. 22:Kirche Däräsge Maryam. Foto © S. Rubenson. Foto © M. Mayr, 11.Nov.2009. Aufschrift ‚Whitechapel Foundry 1852’, steht im Pförtnerhaus zur äußeren Ringmauer.23 Keine der drei Glocken ist in Gebrauch. Äthiopische Kirchentradition kennt Steinglocken, die außen, auf Bäumen, im Kirchenbezirk angebracht sind, allenfalls auch Metallräder oder Felgen. Im Februar 1849 ersuchte Webé den briti- schen Konsul Walter Plowden, ihm Arbeiter zu schicken, die mit Kalk arbeiten konnten, also Ze-

Abb. 23: Kreuz auf dem Kirchendach von Däräsge Ma- ryam. Foto © M. Mayr, 11.Nov.2009.

Abb. 21:. Steinglocke im Kirchenbezirk von Abba Samwel, östlich von Säqota. Foto © M. Mayr, 22.Nov. 2009. Abb. 24: Grundriss der nicht mehr bestehenden Kir- che Lalibela in Gondär, Zeichnung von E. Zander, ment herstellen konnten. Der Brief gibt keine veröffentlicht von Richard Andree. 1869. Auskunft darüber, wofür er die Facharbeiter Platz, mit hohen Wacholderbäumen bewachsen. brauchte.24 Aber Ende 1849 fing die Arbeit am In der Mitte steht die Kirche, das Dach ist ko- Asylgebäude an, so dass man annehmen kann, nisch und an der Spitze mit einem Kreuz, angeb- 23 lich aus Gold, verziert. Die Kirche wurde um Freundliche Mitteilung von Tony Betts, 2010. 24 25 S. RUBENSON, 1987, Evanston and G. W. SCHIMPER, Observations on the Botany of Tigré. Dokument Nr 120, S. 157. 1868, S. 296.

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1850 im äthiopischen Rundstil erbaut, sie folgt dem traditionellen Grundriss, wie hier auf der Grundrisszeichnung von Eduard Zander von der Kirche Lalibela in Gondär, erbaut von Königin Menen (Abb. 24). Das Kircheninnere besteht aus drei konzen- trischen Abteilungen. Die äußere Wandelhalle (qene mahlet) ist der allgemeine Raum für die Kirchgänger; der zweite, mittlere Raum (qed- dest) ist für die Abendmahlempfänger bestimmt, der innerste, viereckige (mäqdäs), zu dem nur der Klerus Zutritt erhält und dessen Außenwände mit Wandmalereien bedeckt sind, enthält die Ta- Abb. 26: Wunder und Heiligengeschichten. Däräsge Ma- bots oder Kopien der Bundeslade mit den 10 Ge- ryam Kirche, Südwand. Foto © M. Mayr, 12. Nov. 2009. boten. Von der alten Klosterkirche ist nichts er- halten. Die neue Kirche hat zwei Tabots, Maria und dem Reiterheiligen Merkurios gewidmet.

Abb. 27: Der gefesselte Teufel. Däräsge Maryam Kir- che. Foto © M. Mayr, 12. Nov. 2009

Abb. 25: Reiterheilige.Däräsge Maryam Kirche, Nordwand. Foto © M. Mayr, 13.Nov.2009. Die Kirche ist reich ausgemalt im Stil äthio- pischer christlicher Kirchen. Bei der Männertüre, im Norden, finden sich die Abbildungen der Rei- terheiligen, bei der Frauentüre, im Süden, die Abb. 28: Hl. Georg, Protomärtyrer, auf einem prächtig ge- schirrten Pferd. Darunter, in Stifterpose, Haylu Webé, beim Szenen zum Leben Mariens, bei der Priestertüre, Gebet. Däräsge Maryam Kirche. im Westen, die Szenen zum Leben Jesu. Foto © M. Mayr, 12. Nov. 2009.

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Abb. 31 und 32: Evangeliar, Silber vergoldet, in der Däräs- ge Maryam Kirche wie alle folgenden Gegenstände bis Abb. 44. Foto © M. Mayr, 13.Nov.2009. 4. Kelch, Silber vergoldet, mit Deckel, Ge- schenk von Webé, 35 cm hoch. 5. Trommel, Silber vergoldet, verziert mit Gravierungen, Maria und Johannes unter dem Abb. 29: Die Krönung Mariens mit dem Stifter, Webé, zu Kreuz, Maria mit dem Kind, die vier Evangelis- ihren Füßen. Däräsge Maryam Kirche. ten in einem Andreaskreuz. Foto © D. McEwan, 29.11.2007. 6. Trommel, Silber vergoldet, mit der Auf- schrift, dass Webé sie 1830 äthiopische Ära, also 1837, der Kirche schenkte. Details der Inschrift

Abb. 30: Der Engel hält eine Blume über Webé, darunter in Stifterpose möglicherweise Webés Frau Wäyzäro Denqe. Däräsge Maryam Kirche. Foto © D. McEwan 29.Nov.2007. Abb. 33: Vortragekreuz, Silber vergoldet. Kreuzigung und In einem kleineren Rundbau, durch eine Ex- Jüngstes Gericht. Foto © M. Mayr 13.Nov.2009. trapforte in der Innenmauer zu erreichen, befin- det sich das sog. Iqabet, das Vorratshaus der Kir- che. Dort werden die Manuskriptbücher, liturgi- schen Gewänder und Gefäße und Kunstschätze, vor allem die Geschenke Webés an die Kirche, aufbewahrt. 1. Evangeliar, Silber vergoldet, vorderer und hinterer Einband. 2. Vortragekreuz, Silber vergoldet, Vorder- und Rückseite. 3. Vortragekreuz, Silber vergoldet, Vorder- und Rückseite. Beide Kreuze mit Inschriften, Abb. 34: Vortragekreuz, Silber vergoldet. dass sie von Dädjazmach Webé gestiftet wurden. Auferstehung. Foto © M. Mayr 13.Nov.2009.

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und des Bildes des Hl. Georg (Abb. 38) sowie der Darstellungen (Abb. 39) der Maria mit dem Kind, links, und Dädjazmach Webé, rechts. 7. Liturgische Krone, von der aklil Sorte, mit Anhängern, silber vergoldet, Repousséarbeit, und ein Prozessionsmantel, bestickt mit Silber- und Goldfäden auf roter Baumwolle, ebenfalls ein Geschenk von Webé; die Gewänder werden jedes Jahr am 29. Januar, am Marienfest ’Eräfta [21 Terr] getragen. Laut Informationen von Seiten des Klerus in Däräsge Maryam 2009 wurden

Abb. 35: Kelch, Silber vergoldet. Foto © M. Mayr 13.Nov.2009 Abb. 38: Trommel, Silber vergoldet. Detail. Inschrift und Hl. Georg. Foto © M. Mayr 13.Nov.2009.

Abb. 36: Silbertrommel. Gesamtansicht und Detail: Maria und Johannes unter dem Kreuz. Foto © M. Mayr 13.Nov.2009.

Abb. 39: Trommel. Silber vergoldet. Detail, Maria mit Kind und Dädjazmach Webé. Foto © M. Mayr 13.Nov.2009. Webés Krone und Krönungsgewänder vom Kle- rus versteckt, sodass sie nicht von Tewodros in seine Residenz nach Mäqdala verschleppt wer- den konnten. Angeblich würden sie weiterhin in Däräsge Maryam aufbewahrt. Die Wahrhaftigkeit dieser Aussage bleibt unbestätigt.

Abb. 37: Trommel, Silber vergoldet. Gesamtansicht. Foto © M. Mayr 13.Nov.2009.

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Abb. 43 und 44: Stempel von Tewodros, Gesamtansicht f. 1v und Detail. R. und D. McEwan, 2006, Abb. 8, S. 72. Abb. 40: Liturgische Krone und Prozessionsmantel. © D. McEwan Foto © M. Mayr 13.Nov.2009.

Abb. 44 26 Abb. 41: Die Däräsge Maryam Offenbarung. Veröffentlicht Däräsge Maryam geschenkt worden’. von Robin McEwan und hsg. von Dorothea McEwan, Pictu- ring Apocalypse at Gondär. Torino, 2006. Abb. 21 und 22, S. Kurz nach Abschluss der Bauabarbeiten 90. 21 v and 22 r, Rev. 4:1-3. ‘…Ich sah eine Türe offen im wurde Webé von Ras Kasa bei Däräsge am 9. Himmel… und ich sah einen Thron…’. © D. McEwan. Febr. 1855 geschlagen; Kasa ließ sich in der neu-

Fig. 42: Die Däräsge Maryam Offenbarung. R. und D. Abb. 45: Dil Amba. Foto © M. Mayr, 14. Nov. 2009 McEwan, 2006. Abb. 10, S. 75. 3v und 4r. Rev. 1:12-17. ‚Ich sah sieben goldene Leuchter...’. © D. McEwan. en Kirche seines Rivalen bereits zwei Tage da- nach, am 11. Februar 1855, als Kaiser Tewodros II. krönen. Auf einem freistehenden Bild wird Das wohl wertvollste Stück ist die Auftrags- arbeit einer illuminierten Apokalypse mit 133 26 Robin and Dorothea MCEWAN, Picturing Apocalypse Abbildungen auf 154 beschriebenen Seiten. Auf at Gondär. A Study of the Two Known Sets of Ethiopian folio 1v der Stempel von Tewodros: ‚Dieses Illumnations of the Revelation of St John and the Life Buch ist von Dädjazmach Webé der Kirche and Death of John, Turin: Nino Aragno Editore, 2006, 72.

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‚Ort des Lichts‘, liegt Dil Amba oder ‚Der Berg des Siegers‘, eine 80 m hohe Erhebung in der Mitte der Hochebene. Heute noch sind Reste von Steinmauern erhalten, Befestigungen, Treppen, Turmfundamente, möglicherweise ein mit Stei- nen gemauerter Brunnenschacht; es ist ein opti- mal platzierter Feldherrnhügel, bzw. eine Erhe- bung, auf der eine wehrhafte Burganlage vor- stellbar ist. Laut Heuglin ließ sich Webé dort ‚ein festeres Schloß’ aufführen, das mit hohen Mau- ern umgeben war und in dessen Mitte bereits ein mit Stroh gedeckter Turm stand. Webé hatte bis Abb. 46: Dil Amba. Ausblick in die Hochebene. Foto © M. Mayr, 14. Nov. 2009 dahin in einem strohgedeckten tukul, also einer Rundhütte, gelebt.27 Die Marienkirche mit ihren Wandmalereien, das Asylgebäude, die Handschriften und liturgi- schen Gewänder und Gefänder und Gefäße, be- findet sich in gutem Zustand. Die Stiftung an den Klerus aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts besteht bis heute. Mit ihren Mitteln bestreiten im 21. Jahrhundert nach wie vor über 200 Priester

Abb. 47: Dil Amba. Mauerreste. Foto © M. Mayr, 14. Nov. 2009

Abb. 48: Grabkapelle mit Webés Grabmal. Däräsge Ma- ryam Kirche. Foto © M. Mayr, 12.Nov.2009 Tewodros dargestellt mit einer Bildlegende, wo- nach Abunä Sälama ihn krönte und dabei bestä- tigte, dass er von Kaiser Fäsilädas abstamme und Abb. 49: ‚Ethiopian Crucifixion’, Monumentalbild, 230 cm damit die salomonische äthiopische Linie fort- x 180 cm. Auf Baumwolle gemalt, Maler unbekannt, ent- führe. standen ca. 1860. British Museum. Foto © Courtesy of the Trustees of the British Museum. Nach Webés Niederlage verlor der Ort seine Bedeutung und spielte in der Nationalgeschichte und Diakone am 29. Januar die Kosten des tradi- keine weitere Rolle mehr. Er lag zu weit abseits tionellen großen Marienfests in dieser Kirche. von den großen Handelsstraßen. Webé starb 1867 und wurde in der Kirche, in ei- ner Seitenkapelle, begraben. Eine halbe Stunde südlich von der Kirche, 27 Theodor von Heuglin, Gotha: J. Perthes 1857, 70. nördlich vom Markflecken Mekane Berhan, dem

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Abb. 51: Ato Muluie Asnag äw Dejazmach Täsäma Wébe, geb. ca. 1936, Ur-Ur-Urenkel von Webé. Abb. 50: Detail. Abunä Sälama, links, trifft Webé, mit ge- Foto © D. McEwan, 29.Nov.2007 in Däräsge Maryam. flochtenen Haaren, ohne Kopfschmuck, im Kreise seiner Soldaten. Detail. Foto © Courtesy of the Trustees of the British Museum. Die Ära der Prinzen war vorüber, Kaiser Te- wodros II. hatte den Anfang gemacht, das Land wieder zu vereinigen. 1856 kamen Angehörige der St. Chrischona Pilgermission aus Basel ins Land, Männer, die als Handwerker mit der Bibel in der Hand die protestantische Religion in Äthiopien verbreiten wollten.28 Sie fanden im neuen Landesherrn Tewodros einen Schutzpatron und in Abunä Sälama einen Kirchenführer, der mehr für Protestanten als für Katholiken übrig hatte. Im British Museum wird ein auf Baumwol- Abb. 52: Hauptpriester, Dorothea McEwan, Kirchenange- le gemalter Zyklus zum Leben des Abunä Säla- stellter. Foto © M. Mayr, 14.Nov.2009. ma aufbewahrt, der Bezug auf Webé nimmt. wurde. Das wird verständlich, wenn man um ihre Allerdings erkannten die Missionare sehr Behandlung durch Kaiser Tewodros II, ihre Ge- rasch, dass ihr Spielraum äußerst begrenzt war fangenhaltung, ihre Zwangsarbeit an der kaiserli- und dass sie Handwerksdienste für den Kaiser chen Geschützherstellung sowie den Todes- übernehmen mussten, wenn sie nicht des Landes marsch nach Mäqdälä weiß, wo sie 1868 vom verwiesen werden wollten. britischen Expeditionskorps unter General Na- pier befreit wurden. Zämänä Mäsafent, die Zeit Sowohl Webé wie Tewodros II. übten ihre der Prinzen, war endgültig vorbei, eine neue Zeit Schutzfunktion als Landesherren aus, die von war mit Tewodros Nachfolger, Kaiser Yohannes den Europäern auf der einen Seite begrüßt, auf IV., angebrochen. der anderen Seite als große Belastung empfunden 28 Mein Dank gilt einem Nachkommen von Christian Bender, Johannes Mayer, Gottlieb Kienzlen, Webé, der heute noch in Mekane Berhan lebt Martin Flad, Jacob Schumacher und Johannes Gruhler. Siehe Verena BÖLL, Steven Kaplan, Andreu MARTÍNEZ und dem Hauptpriester von Däräsge Maryam. D’ALÒS-MONER, Evgenia SOKOLINSKAIA (Hsg.), Ethiopia and the Missions Historical and Dieser Artikel ist eine Kurzfassung auf das in Anthropological Insights. Afrikanische Studien, Band Arbeit befindliche Buch The Story of Däräsge 25, Münster: LIT Verlag, 2005. Maryam von Dorothea NcEwan.

Dorothea McEwan studierte Geschichte an der Universität Wien und leitete das Warburg Institute Archive an der Universität London von 1993 bis zu ihrer Pensionierung im Jahre 2006. Sie ist Autorin zahlreicher Artikel und Bücher zur Wissenschaftsgeschichte, afrikanischer Missionsgeschichte und äthiopischer Kunstgeschichte.

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VOLKER MATTHIES, Unternehmen Magdala. tische Mission nach Äthiopien. Königin Viktoria Strafexpedition in Äthiopien. Ch. Links Verlag, (1837-1901) und der äthiopische Kaiser Tewo- Berlin 2010, 195 Seiten, zahlreiche Abbildungen, dros II. (Theodor, 1855-1868) suchten gleicher- ISBN 978-3-86153-572-0. € 24,90. Cover: Illu- maßen Verbündete gegen die Türken. Tewodros, stration der Hafenstadt Zula, 1868. Bd. 11 der geboren um 1820 in Qwara als Kaía Òaylu, wird Reihe „Schlaglichter der Kolonialgeschichte“. nach siegreichen Eroberungen 1855 zum Kaiser www.die-deutsche-kolonialgeschichte.de. gekrönt. Den Thronnamen Tewodros wählte er in Bezug auf eine Prophezeiung (Fékkare Iyäsus), Die Möglich- nach der ein König mit diesem Namen 40 Jahre keit, Geiseln friedlich regieren wird. Tewodros versuchte in zu befreien, ist seiner 13jährigen Regierungszeit das Land zu ei- sehr unter- nem Reich zu vereinen, es gelang ihm jedoch nur schiedlich. kurzzeitig. 1868 befreiten die Engländer Im März 1855 wird der Diplomat William C. Geiseln von ei- Plowden zu Kaiser Tewodros geschickt, begleitet ner Bergfe- von John Bell, der mit einer Äthiopierin verhei- stung im ratet war. Nach dem Tod von Plowden wird Cap- Hochland von tain Charles Duncan Cameron neuer Abgesand- Äthiopien. Die ter, er überreichte am 7.10.1862 Tewodros zwei Aktion kostete silberne Pistolen von Königin Viktoria. Tewodros 9 Millionen bedankte sich schriftlich und bittet die „Christen- Pfund. Mit die- Königin“ um Hilfe gegen die Türken. England ser Summe hat jedoch Schwierigkeiten, die Verbindung auf- wurde keine grund des gemeinsamen Glaubens zu bestätigen. Lösegeldforderung erfüllt, sondern die Kosten Die internationalen Handelsbeziehungen führten für eine militärische Befreiungsaktion beglichen. zur Propagierung der Religionsfreiheit. Zwei Er- eignisse werden im Nachhinein oft als Grund für Volker Matthies, Politikwissenschaftler, ist Spe- die folgende Geiselnahme angesehen. Erstens zialist für Friedens- und Konfliktforschung (Uni- übergab Cameron den Brief entgegen der Anord- versität Hamburg). Er beschäftigt sich besonders nung von Tewodros nicht persönlich, er unter- mit dem Horn von Afrika, sein Buch Kriege am nahm stattdessen Erkundigungen im Nordwesten Horn von Afrika, Berlin 2005 gilt als Standart- des Landes. Und zweitens antwortete Königin werk. Die Geschichte des niemals kolonialisier- Viktoria nicht. ten Äthiopiens fasziniert ihn, mit Historische Reisen nach Aksum. Europäische Entdecker und Nach längerem Warten wird am 4.1.1864 Came- Forscher beschreiben das antike Zentrum der ron zusammen mit anderen Ausländer, so den äthiopischen Kultur, Berlin 2003 erreichte er anglikanischen Missionaren Stern und Rosenthal, eine breite Öffentlichkeit. Mit der vorliegenden verhaftet und nach Mäqdäla (Magdala) gebracht. Chronologie über das militärische Zusammen- Amba Mäqdäla, ein Bergplateau östlich des Ta- treffen zwischen Engländern und Äthiopiern nasee in Wällo (Oromogebiet) gelegen, wurde widmet er sich erneut der afrikanischen Ge- von Tewodros 1855 erobert. Auf der natürlichen schichte im 19. Jahrhundert. Bergfestung entstand eine Ansiedlung mit einem Gefängnis für politische Gefangene, zwei Kir- Die äthiopischen Herrschenden, interessiert an chen und einer umfangreichen Schatzkammer internationalen Abkommen und diplomatischen mit einer großen Bibliothek. England reagierte Austausch, nahmen vor allem Kontakt zu ande- diesmal schneller. Der Abgesandte Hormuzd ren christlichen Ländern auf. Die Weltmacht Rassam kommt am 28.1.1866 in Mäqdäla an, England kämpfte um die Vorherrschaft am Roten versehen mit einer schriftlichen Weisung von Meer, verschiedene Expeditionen wurden in Viktoria zur einvernehmlichen Lösung der Situa- Nordostafrika durchgeführt. Bereits 1841 leitete tion. Tewodros bleibt skeptisch und behält auch Captain Cornwallis Harris die erste offizielle bri- Rassam als Geisel da. Seine Bedingung für eine

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Freilassung der Geiseln ist die Entsendung von Die ersten Kampfhandlungen zwischen Englän- technischen Geräten und Handwerkern. England dern und Äthiopiern finden erst am 9./10. April schickte daraufhin Handwerker samt Ausrüstung, 1868 in der Schlacht von Fala (Aroge) statt. 700 im November 1866 erreichten sie die Hafenstadt Äthiopier sollen getötet worden sein, die Englän- Massawa. Sie sollen jedoch erst nach der Freilas- der hatten keine Verluste. Tewodros schickt nun sung der Geiseln an Land gehen. Da nichts ge- Botschafter mit einem Friedensangebot und lässt schieht, kehren die Handwerker im Mai 1867 zu- einige Geiseln frei, auch Hormuzd Rassam. Na- rück. pier lehnt das Angebot ab, er fordert die Freilas- sung aller Geiseln und die Unterwerfung Tewo- Unter den 59 bis 67 Geiseln auf Mäqdäla befan- dros. Ein Briefwechsel folgt, Tewodros zitiert in den sich nun zwei englische Diplomaten und ihre seinen Briefen Bibelverse. Am Ostersonntag Begleiter. In England wird die Politik Tewodros (12.4.) lässt er alle Geiseln frei. Sein Friedensan- als Affront empfunden. Die Presse berichtet aus- gebot einschließlich Friedensgeschenk (1000 giebig über die Geiselnahme. Die Angst Eng- Rinder und 500 Schafe) nimmt Napier nicht an. lands vor Rebellionen wie nach dem Sepoy Auf- Tewodros begeht einen Selbstmordversuch. Na- stand 1857 (Indien) war groß. Das Parlament ge- pier ordnet nichtsdestotrotz die Erstürmung nehmigte schließlich nach über drei Jahren diplo- Mäqdälas an. Die Engländer erklimmen am 13. matischen Bemühungen eine militärische Befrei- April die Bergfestung, viele Äthiopier werden ungsaktion. Beauftragt dafür wurde Sir Robert getötet. Tewodros nimmt sich mit der silbernen Napier (1810-1890). Eine große Militäreinheit Pistole von Viktoria das Leben. Mäqdäla wird sollte nach Mäqdäla vorrücken, die Geiseln be- niedergebrannt, am 21. April wird der Rückzug freien und wieder zurückzukehren. Die Ausfüh- angetreten und am 2. Juni 1868 Zula erreicht. In- rung wurde von Napier gründlich geplant, der Ti- teressanterweise waren nicht alle befreiten Aus- tel „Unternehmen Magdala“ von Matthies ist hier länder glücklich über eine Abreise aus Äthiopien, angebracht. für sie war die Geiselhaft nicht gleichzusetzen Am 30.10.1867 landen die Truppen in Zula. mit einer gesamten negativen Einschätzung 41.700 bis 60.000 Personen (die Zahlenangaben Äthiopiens. Sie blieben vor Ort oder kehrten bald varII.eren) sollen insgesamt dabei gewesen sein, wieder zurück. davon 14.700 Soldaten (9050 Inder, 4038 Eng- Die politischen und kulturellen Folgen dieser mi- länder) der Britisch-Indischen Armee. Eine große litärischen Geiselbefreiung werden bis heute Anzahl Tiere wurde aus Indien mitgebracht, u.a. kontrovers diskutiert. Dies beginnt bereits bei 19.000 Pferde, 5735 Kamele und 44 Kriegsele- den unterschiedlichen Bezeichnungen für die Ak- fanten. Die logistischen Leistungen in der neu tion, wie Strafexpedition, Militärexpedition, Na- angelegten Hafenstadt Zula sind beeindruckend. pier Expedition, Britische Expedition, Abyssini- Salzwasser wurde durch eine Filtriermaschine zu an Expedition, Abyssinian Campaign, Britische Trinkwasser aufbereitet. In der Truppe waren Intervention, British Mission to Theodor, Engli- Christen, Muslime und Hindus vertreten, die Ver- schen Expeditionscorps, Feldzug oder Befrei- sorgung der multireligiösen Truppen mit den spe- ungsaktion. „Krieg“ oder „Angriff“ wird jedoch zifischen Speisevorschriften wird eingehalten, so kaum verwendet. Angesichts der Anzahl der Sol- vegetarisches Essen für Hindus. Das moderne daten und das Vorgehen der Engländer bei den Waffenlager war immens, es gab allein 4000 Schlachten, die Ablehnung der Friedensangebote Stück Hinterlader-Schnellfeuergewehre (Snider). durch Napier, der erneute Angriff nach der Frei- Die Industrialisierung des Krieges (Waffen) und lassung der Geisel und der Mitnahme von die Privatisierung (Tragtiere, Lebensmittel) ver- Kriegsbeute ist zu fragen, ob die Bezeichnung halfen den Engländern zur Überlegenheit. Sogar „Krieg“ – auch wenn dies nur im Zusammen- eine 17 km lange Eisenbahnstrecke wird für die hang mit einer offiziellen Kriegserklärung be- ersten Transporte gebaut. Am 25.1.1868 erfolgte nutzt werden soll – nicht angemessener wäre. der Aufbruch auf der insgesamt 650 km langen Die Bezeichnung Expedition verschönert und Strecke. Zeitgleich zieht Tewodros nach internen verschleiert den Tatbestand. Auf englischer Seite Machtkämpfen zurück nach Mäqdäla und kommt gab es zwar kaum Tote, bei den Äthiopiern viele dort im März 1868 an. Gefallene. Es ist auch zu fragen, ob Napier vom ersten Selbstmordversuch von Tewodros wusste.

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Matthies als Experte für Kriegsforschung thema- gen mit Napier sorgte sie für einen freien Durch- tisiert diese Fragen nicht ausreichend. Er zieht zug der Engländer in ihrem Gebiet und unterstüt- zwar durchaus eine kritische Bilanz und zweifelt ze sie mit Lebensmitteln. Die Bedeutung von den „grandiosen militärischen Sieg über die Mästawät und Wärqitu wurde bislang nicht genü- Äthiopier“ als einmalige historische Aktion oder gend herausgearbeitet. „erste große humanitäre Intervention der Weltge- Auch andere Herrscher strebten nach einer Nie- schichte“ an, doch er vertieft dieses Thema nicht. derlage Tewodros und verbündeten sich mit Na- Der Begriff Geisel ist ebenfalls vieldeutig. Auf pier. Die taktische Zusammenarbeit mit den re- Mäqdäla gab es Gefangene und Geiseln. Zahlrei- gionalen Machthabern und die genauen geogra- che äthiopische Machthaber - europäische Be- phischen Kenntnisse Äthiopiens halfen England. griffe wie Fürst oder Adel greifen nicht - wurden Theodor von Heughlin lieferte bereits 1862 erste dort gefangen gehalten, drohten sie Tewodros ge- detaillierte Ansichten von Mäqdäla nach Europa. fährlich zu werden. Unter den Gefangenen waren Doch schon auf dem Rückweg kam es vermehrt auch Ausländer, so der koptische Metropolit zu Angriffen auf die englischen Truppen. Schein- Abunä Sälama, der 1867 in Mäqdäla stirbt. Die bar haben einige Herrscher die Engländer be- Geiselnahme der englischen Diplomaten war für wusst benutzt, um Tewodros zu stürzen. Nun England eine Verletzung der Immunität, für Te- konnten die Äthiopier ihre neuen Waffenkennt- wodros übliche Machtpolitik. Möglicherweise nisse anwenden, wie auch wenig später gegen die versuchte Tewodros durch das Festhalten von Italiener (Adwa). Die von Napier auf dem Rück- Menschen unterschiedlichster Nationalitäten ei- weg an Kaía Mérca gemachten Waffengeschenke nen internen Machtverlust auszugleichen. Er sah als Dank für seine Mithilfe verhalfen ihm zum seine Macht schwinden und brauchte eine spek- Kaiserthron (Johannes IV. 1872-89). Die Mitnah- takuläre Unterstützung. Auch der Sohn der Oro- me des Thronfolgers Alämayyähu Tewodros mo Herrscherin Mästawät wurde festgehalten (1860 - 4.11.1879), Sohn von Tewodros II. und und aufgrund ihrer Unterstützung der Engländer Téru Wärq Wébe (Térunäš) nach England verän- von Tewodros getötet. derte die Herrschaftsabfolge, wodurch Menelik II. (1889-1910) zur Macht gelangt. Alämayyähu Matthies vermeidet die Thematisierung der gro- Tewodros ist begraben in der Kapelle von Wind- ßen Gegensätze zwischen Nationalgefühl auf der sor in England. englischen Seite mit einer Königin und dem re- gionalen, teilweise ethnisch und religiös beding- Matthies folgt bei seiner Beschreibung der engli- ten, vorherrschenden Machtgefüge auf äthiopi- schen Sicht und benutzt hauptsächlich europäi- scher Seite mit vielen Herrschern. Die Idee eines sche Quellen. Er verarbeitet die offiziellen Mili- Kaisers als einzigen Machthabers war in Äthiopi- tärberichte, die Bücher der Teilnehmer, die Schil- en vorhanden, doch ständige Machtkämpfe mit derungen der Geiseln, wissenschaftliche Auswer- kriegerischen Auseinandersetzungen waren an tungen und die Artikel der Kriegsjournalisten der Tagesordnung. Die Vergrößerung des eigenen (embedded journalists). Die äthiopischen Quel- Herrschaftsgebietes hatte Priorität vor einem Na- len, die Chronik Tewodros wurde mehrfach über- tionalgefühl. Gerade diese Konflikte führten den setzt (Littmann, Moreno, Mondon-Vidailhet Engländern neue Verbündete zu. Die Kämpfe etc.), weitere Berichte und Dokumente berück- zwischen den christlichen Amhara und den mus- sichtigt er kaum. Eine neue Beurteilung dieses limischen Oromo (Galla) waren stark. Die beiden historischen Ereignisses auf Grund äthiopischer Oromo Herrscherinnen (der Titel Königin ist Quellen fehlt somit. Eine Analyse äthiopischer nicht gesichert) Wärqitu (Wekait) und Mästawät Dokumente könnte die Sichtweise verändern, ge- (Mastiat) in Wällo und Wärrä Himäno hatten so- nannt sei der Brief (1870) der Großmutter mit einen großen Einfluss auf den Verlauf der Laqiyaye an Königin Viktoria, der der großmüt- Militäraktion. Mästawät (ca. 1830-ca. 1885) terlichen Sorge um den kleinen Enkel Alämayyä- nahm aktiv an Kämpfen teil und leitete die Auf- hu Ausdruck verleiht (Rubenson). England wur- stände gegen Tewodros. (Wichtige Persönlichkei- de nicht generell als Feind Äthiopiens angese- ten wie Sir Robert Napier und Gerhard Rohlfs hen, eine umfangreiche Korrespondenz zwischen werden im Buch gesondert dargestellt, Tewodros den Ländern zeugt davon. Die Legendenbildung und Mästawät fehlen leider). Nach Verhandlun- von Kaiser Tewodros zum äthiopischen Helden,

Kirche und Schule in Äthiopien, Heft 64 / November 2011 Buchbesprechungen 51 der durch Geiselnahme und Selbstmord einer eu- Das neueste Buch von ihr ist wieder genau aus ropäischen Großmacht getrotzt hat, ist in den diesem Grund entstanden. Sie will die Entste- äthiopischen Quellen zu finden. Für die Sicht der hung, Geschichte und Gegenwart der ersten fünf Oromo (Mästawät) gibt es ebenfalls Zeugnisse. orthodoxen Nationalkirchen vermitteln und be- Weiter ist eine geschichtliche Verbindung zur er- kannt machen. Sie hat schon einige Publikatio- sten Militäraktion einer europäischen Macht ins nen zu diesem Thema veröffentlicht. Doch im- Innere von Äthiopien möglich. 1541 schickten mer wieder merkt sie, wie wenig die Menschen die Portugiesen unter der Leitung von Dom Chri- in Europa von diesen Kirchen wissen. Wie kann stovão da Gama 400 Soldaten zur Unterstützung das verändert werden? im Kampf gegen den muslimischen Eroberer, Was eint diese fünf (sechs) Kirchen? Das Konzil Ahmad b. Ibrahim al-Ëazi (Ahmad Grañ). 1543 von Chalkedon im Jahre 451. Auch auf diesem töteten sie ihn und verließen Äthiopien wieder. Konzil wurde über Glaubenssätze debattiert. Die Interessanterweise lief die Logistik auch über In- Diskussion bezog sich dort vorrangig auf die Na- dien. tur von Christus. Zum Ende des Konzils wurde Matthies gelingt durch seine Herausarbeitung der ein für alle Kirchen verbindlicher Lehrsatz fest- wichtigsten Fakten eine spannende Schilderung. gelegt. Im Ergebnis wurde von Christus als Gott Überzeugend hat er erstmals auf Deutsch den und Menschen, vereinigt in einer Person, gespro- „Marsch auf Mäqdäla“ zusammengefasst. Im chen. Dies als Lehre von den zwei Naturen (gött- Buch sind wenige Ungenauigkeiten zu verzeich- liche und menschliche physis) zu interpretieren, nen, so ist Teff (S. 15) keine kleinförmige Hir- die eine Trennung zwischen Göttlichkeit und senart, sondern eine Kornart, mohammedanisch Menschlichkeit vornimmt lag nahe. Die fünf ist durch muslimisch (S. 42) zu ersetzen. Die (sechs) Kirchen verweigerten die Zustimmung. deutsche Wissenschaft hatte durch die Geiseln Sie sprechen von ‚mia physis’, eine Natur, die wie Georg Wilhelm Schimper oder Eduard Zan- das Göttliche und Menschliche beinhaltet. Und der und die wissenschaftlichen Begleiter der Mi- dies ist eben nicht mit ‚mono physis’ zu ver- litäraktion wie Gerhard Rohlfs detaillierte Auf- wechseln, da dies die Vermischung von Göttlich- zeichnungen bekommen. Hier liegt auch der Be- keit und Menschlichkeit zu einer Natur aus- zug zu der Reihe Deutsche Kolonialgeschichte drückt. Die Bezeichnung ‚Monophysitische Kir- des Ch. Links Verlags. Die Ausstattung des Bu- chen’ und Monophysitismus ist daher eindeutig ches mit zwei Karten (Marschroute) und zahlrei- unkorrekt. Dennoch hat sich eine neue allgemei- chen schwarz-weiß Abbildungen von Original- ne Bezeichnung bislang nicht durchgesetzt. Es photographien und Zeichnungen ist exzellent. wird meist nicht von den miaphysitischen Kir- Matthies Buch präsentiert ein Stück Weltge- chen sondern weiterhin von den altorientalische schichte, ihm sind viele Leser zu wünschen. Kirchen, den orthodox orientalischen oder den non-chalkedonensischen Kirchen gesprochen. Verena Böll In ihrem neuen Buch beschreibt Chaillot zusam- menfassend die Geschichte und die Gegenwart aller fünf (sechs) Kirchen, die das Konzil von CHRISTINE CHAILLOT (2011), vie et spiritualité Chalkedon nicht anerkannt haben, der syrisch-or- des Églises orthodoxes orientales des traditon thodoxen, der malankarischen, der armenischen, syriaque, arménienne, copte et éthiopienne. der koptischen und der äthiopisch-orthodoxen Préface du Protopresbytre Boris Bobrinskoy. Kirche. Chaillot musste eine Entscheidung tref- Patrimoines Orthodoxie. Paris. ISBN 978-2- fen, um eine breite Leserschaft zu erreichen. Das 204-08979-1. Ergebnis ist ein ordentliches Handbuch, eine Art Nachschlagewerk, wo der Interessierte und der “Miaphysis, nicht Monophysis” ruft sie laut in Laie sich erste Informationen über die jeweilige den Konferenzraum in Paris. Das Institut Catho- Kirche besorgen kann. Sie umschreibt es selber lique de Paris hatte im Oktober 2010 zu einer Ta- als neue Zusammenstellung (compilation) ihrer gung über die äthiopische Kirche eingeladen. In bisher auf Englisch erschienen Bücher (S. 15): den Diskussionen kam es vor, dass das Wort Mo- The Malankara Orthodox Church (1996), The nophysitismus fiel. Syrian Orthodox Church of Antioch (1998), The

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Ethiopian Orthodox Tewahedo Church Tradition „Thomaschristen“ zu „syrisch – malankarisch“, (2002) und The Coptic Orthodox Church (2005). was aber andere Nominationen sind. Chaillot Nur das Kapitel über die armenische Kirche ist geht nicht tiefer auf die Geschichte dieser Kirche vollständig neu verfasst. Ebenfalls hinzugekom- ein, vielmehr verweist sie auf die weiterführende men sind viele persönliche Informationen, die sie Literatur. auf ihren Reisen und in Gesprächen und Inter- Die armenische Kirche wird intensiv behandelt. views mit Gläubigen gewonnen hat. Einleitung, Geschichte, Diaspora, Sprache, Lite- Der Titel des Buches verspricht Aufschluss über ratur, Armenologie, Liturgie, Spiritualität, und das Leben und die Spiritualität der orientalischen detaillierten Ausführungen zum Mönchstum wer- orthodoxen Kirchen nach syrischer, armenischer, den durch die persönliche Einordnung der aktuel- koptischer und äthiopischer Tradition. Chaillot len Situation abgeschlossen (S. 116 - 202). nimmt den Lesenden an die Hand auf einer Ent- Bei den Kapiteln über die koptische (S. 203-304) deckungstour durch den asiatischen und afrikani- und die äthiopische Kirche (S. 305- 418) werden schen Kontinent. Zum „Leben“ gehört die Ge- noch Diaspora und Mission mit einbezogen. Das schichte, teilweise mit Verfolgung und Exil der Kapitel über die äthiopische Kirche ist eine jeweiligen Kirchen, aber natürlich auch der ge- knappe Zusammenfassung ihres Buches, “The genwärtige Alltag. Unter der Überschrift „Spiri- Ethiopian Orthodox Tewahedo Church Tradition. tualität“ werden das Erbe der Kirchenväter, Klo- A brief introduction to its life and spirituality. stertraditionen, das Mönchs- und Asketentum, Paris 2002 (siehe die Rezension des Buches in die Liturgie, die Gebete und Rituale, die Pilger- KuS 56, 2003). Die sechste Kirche, die eritrei- fahrten, die Marienverehrung, die Heiligen etc sche Kirche, wird im Buch nicht behandelt. Die behandelt. Eritreisch-Orthodoxe Tewahedo Kirche ist eine Nach einem Vorwort von Boris Bobrinsky folgt junge Kirche, die nach der Unabhängigkeit Eri- eine allgemeine Einleitung von der Autorin. Sie treas von Äthiopien (1993) entstand. Der erste erläutert die hauptsächlich praktische Ausrich- Patriarch, Abunä Philippos wurde 1998 geweiht. tung des Buches. So sei sie beispielsweise be- Einer abschließenden einseitigen Zusammenfas- müht, die Liturgie jeder Kirche für den Laien sung folgt die umfangreiche Bibliographie (S. verständlich zu schildern, auch damit Besuche 419-467). Die Bibliographie ist getrennt für jede der fremden Kirche vor Ort erleichtert werden. Kirche und den einzelnen Themen zusammenge- Im Buch wird jede Kirche nach einem eigenen stellt. Im Text selber werden dagegen kaum bi- Prinzip systematisch vorgestellt, die einzelnen bliographische Angaben gemacht. Darstellungen können daher auch separat gelesen Die Frage, die bleibt, ist, für wen das Buch wirk- werden. Das erste Kapitel behandelt die syrisch- lich geschrieben ist. Für Laien, die sich einen er- orthodoxe Kirche (L’Église Syrienne Orthodoxe sten Überblick verschaffen wollen, ist es teilwei- S. 21-98). Nach Einleitung, Geschichte, Lebens- se zu spezifisch, so wenn beispielsweise die räume und Exil werden Sprache, Literatur (Ma- Name der Könige, die in den Heiligenvita vor- nuskripte) und die wissenschaftliche Beschäfti- kommen, aufgelistet werden (S. 372). Das Buch gung mit Syrien, die Syrologie, beschrieben. Die setzt zudem zu viele theologische Fachbegriffe Liturgie, Spiritualität und die Schilderung über voraus, so wenn die Einzelheiten der Liturgie be- das mönchische Klosterleben folgen. Am Ende schrieben werden. Dem Anliegen der Ökumene des Kapitels steht eine persönliche Stellungnah- ist hier wohl am ehesten Rechnung getragen me, bei der Chaillot auf die aktuellen Verfolgun- wurden, Christen anderer Nominationen werden gen und Leiden der Gläubigen hinweist. die orientalischen Kirchen vielleicht auf diese Im nächsten Kapitel wird die L’Église malankare Weise näher gebracht. syrienne orthodoxe de l’Inde (S. 101-116) the- Chaillots ständige Beschäftigung mit diesem matisiert, die kürzeste Abhandlung im Buch. Die Thema ist sehr wichtig, zumal es immer mehr korrekte Namensbezeichnung für die entspre- auch ein europäisches Thema ist. Viele Gläubi- chende non-chalkedonensische syrisch orthodoxe gen, die außerhalb des jeweiligen Landes leben, Kirche in Indien zu finden hat schon viele Men- haben Kirchengemeinden in ihren Wohnorten schen beschäftigt, angefangen von den Namen gegründet. Es werden eigenen Kirchen geweiht,

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erinnert sei hier an die Einweihung der Kidanä RUDOLF FISCHER. Äthiopien - Landschaften, Mehrät Kirche der Äthiopisch-Orthodoxe Tewa- Gesichter, Kirchen, Kleiner Bildband im For- hedo Kirche im Sommer 2010 in Hamburg. mat 15 auf 21 cm (DIN A 5 hoch), 76 Seiten, 122 Abbildungen (alle farbig), ISBN 978-3- Wer sich einen schnellen Überblick über die ein- 906090-33-7, Fr. 22.- / Euro 18,- zelnen Kirchen verschaffen möchte, der kann zu diesem lebendigen Handbuch greifen. Der Verfasser ergänzt den im letzten Heft KuS 63/2010 vorgestellten Bildband "Die äthiopische Verena Böll Kirche und ihre Bilder" um Aufnahmen aus meh- reren äthiopischen Kirchen und Klöstern, die nur von Männern betreten werden dürfen. MARIELUISE KREUTER UND ROLF P. SCHWIEDRZIK- Neben einigen Landschaftsaufnahmen bringt der KREUTER Äthiopien – von innen und außen, schmale Band einige weniger bekannte Sehens- gestern und heute; BOD Norderstedt, 2010. würdigkeiten in Aksum: Abba Pantaleon, die ISBN 978-3-8391-9534-5. 33,- €, 426 Seiten, Kirche Arbatu Insessa, Buchillustrationen, den 1089 Fußnoten (Endnoten), 105 meist farbige Tafelberg von Debre Damo, den Kratersee von Abb., Abkürzungsverzeichnis der dort tätigen Zengena, die Landschaft Geralta mit ihren Organisationen, Zeittafel und Auswahlbibliogra- schroffen Felsmassiven, Bauern des Hochlandes phie. bei der Arbeit, den grössten See Äthiopiens und Das Buch enthält Informationen aus vielen Fach- Kirchen auf seinen Inseln, die Malereien von bereichen und stellt eine negativ-kritische Be- Tschelekot Selassie, die Klöster Istefanos und trachtung der äthiopischen Verhältnisse da. Der Debre Libanos. Der Text beschränkt sich leider Text ist reduziert auf eine Aneinanderreihung nur auf das unbedingt Notwendige, was im Rah- von Fakten, die den Anspruch erheben mit Auto- men eines so kleinen Bändchens verständlich ist. rität zu sprechen. Er vermittelt den Eindruck, Bestellung des Buches über: www.piscator.ch dass hier ein Körper seziert und in seine Einzel- oder http://edition-piscator.surfino.info teile zerlegt, darüber jedoch auf den lebendigen Organismus mit all seinem möglichen Charme Oder schriftlich an: vergessen wird... Man kennt derlei einseitige Edition Piscator, Sandmattstr. 31, Aburteilungen von frustrierten, aufgeklärten Eu- CH-4532 Feldbrunnen / Schweiz ropäern und Europäerinnen. Es ist dies eine Telefon: +41 3262324 73 Reaktion, die vor allem bei mehr oder minder Wir möchten ausdrücklich auf das interessante frustrierten Entwicklungshelfern zu beobachten Verlagsprogramm des Piscator-Verlages hinwei- ist, die mit einem vorgefassten Lösungspaket ins sen, dessen Publikationen für an den orientali- Land kamen und die sich nicht auf die gegebenen schen Kirchen interessierte Mitglieder der Tabor Verhältnisse in Äthiopien einstellen konnten. Society eine Fundgrube an verständlicher Litera- Die einen lieben Äthiopien – vor allem wegen tur darstellt! der liebenswerten Menschen, denen sie dort be- gegnet sind – und bleiben dem Land ein Leben lang verbunden, die anderen können nur verächt- Annegret Marx lich den Kopf schütteln, weil die äthiopische Re- alität so anders und so schwierig ist, dass sie all ihre Träume zerstörte. Mag es der Korrektur der Entwicklungsarbeit dienen, der Leser, der Äthiopien offen und mit echter Freude begegnet, sollte dieses Buch höchstens kritisch als Nachschlagewerk nutzen. Annegret Marx

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TIERGESELLSCHAFT Das Bild zeigt das friedliche Zusammenleben der Tiere, die hier stellvertretend für die Menschen stehen, wie aus den kurzen Bibelzitaten hervorgeht, die der Maler unten im Bild angebracht hat. Dort heißt es: »Psalm 101,7-8: Falsche Leute dulde ich nicht in meinem Hause ... « (Mitte unten). »Jesaias 11,6: Wölfe werden mit Schafen zusammenleben, Leoparden mit Ziegen und Kühe mit Löwen« (r. u.). »Paulus an die Korinther 1,10: Ich ermahne euch ... haltet aneinander fest.« Auf eine Besonderheit sei noch hingewiesen. Der Maler hat das Bild signiert und dabei seinen Namen sowohl in amharischen Lettern, als auch in lateinischen Buchstaben angebracht! Verschiedene Tiere haben sich um eine große, gedeckte Tafel versammelt, auf der sich drei , »Mäuse« tummeln. »Der Heilige Geist« schwebt in Gestalt einer Taube über der Tiergesellschaft. Links oben sit- zen auf Stühlen »Fuchs und Schaf« einander gegenüber. Jeder hält einen Trinkbecher in der Hand. Es folgen rechts von ihnen »Ochse und Löwe«, »Leopard und Ziege«, »Hyäne und Esel« Rechts im Vor- dergrund haben »Hund und Affe« Platz genommen. Links von ihnen bringt eine »Katze« auf einem Ta- blett Gläser mit Bier »Tedsch« herbei. Ihr gegenüber steht der» Königsaffe« ; »er liest aus der Bibel über das Böse vor«. Zu seinen Füßen liegt eine in Stücke geschlagene »Schlange, ein Beispiel für das Böse«. In der linken unteren Bildecke sitzt ein nackter, gehörnter »böser Teufel«, mit einer dreizackigen Lanze in seiner Rechten. Sein Schwanz teilt sich in zwei züngelnde Schlangenköpfe. Der Teufel steckt einen Finger seiner linken Hand in den Mund, eine symbolische Geste des Neides und des Hasses, da er von der Tiergesellschaft ausgestoßen worden ist. Maler: »Hailu«, (ca. 1935), Leinwand, 98x75 cm Museum für Völkerkunde Basel, Inv.-Nr. III 12852 Aus: Walter Raunig, Girma Fisseha. Mensch und Geschichte in Äthiopiens Volksmalerei, Innsbruck 1985, Bild Nr. 106, Text S. 194.

Kirche und Schule in Äthiopien, Heft 64 / November 2011 Die Arbeiten für dieses vorliegende Heft wurden bis auf den Druck ehrenamtlich geleistet. Das Layout gestaltete Dr. Friedrich Dworschak

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