Labours Antisemitische Krise DR
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ISSN 2199-3572 Nr. 5(21) Mai 2016/ Nisan-Ijjar 5776 RU NDSCHA U 3,70 € JÜDISCHEUNABHÄNGIGE MONATSZEITUNG · H EraUSGEGEBEN VON DR. R. KORENZECHER Die Ukraine hat Der Wert Israels sonnigere einen jüdischen der Befreiung Alternative zum Ministerpräsidenten Jakobsweg Vor 71 Jahren endete der Wolodymyr Grojsman Zweite Weltkrieg Andy Eggert zum Wandern begann als gewissenhafter auf dem Israel-Trail Bürgermeister seite 3 seite 24-25 KOLUMNE DES HERAUSGEBERS Labours antisemitische Krise DR. R. KORENZECHER Liebe Leserinnen und liebe Leser, der schöne Brauch der gemeinsamen Seder- NEAL, LEON AFP Mahle macht das Pessachfest auch zu Tagen der familiären Begegnung und des fröhli- chen familiären Miteinanders, an denen das ganze jüdische Volk in Israel und überall in der Welt gemeinsam mit allen seinen Liebs- ten die Befreiung aus Knechtschaft, Unter- drückung und physischer Bedrängnis feiert. Die Redaktion und ich hoffen, dass Sie alle in diesem Sinne im Kreise Ihrer Familien und Ihrer Lieben ein gesundes, gesegnetes Pessachfest und zwei wundervolle Seder- abende verlebt haben. Dass dies für Juden in der neueren Ge- schichte und auch heute keine Selbstver- ständlichkeit war und ist, kann leider nur allzu leicht belegt werden. Da schmerzt es angesichts der Geschichts- losigkeit der gegenwärtigen politischen Entwicklung in der westlichen Welt und der Mainstream-getragenen zunehmenden Ju- denfeindschaft und Israel-Delegitimierung besonders, dass sich genau in diesen Ta- gen vor nur 73 Jahren – in der Zeit vom 19. April bis zum 16. Mai des Jahres 1943 – die gedemütigten, eingepferchten, entrechte- Von Jerome Lombard en allseits als „Red Ken“ bekannt ist, doch Bürgermeisteramt bei den Wahlen am 5. ten, von Hunger und Krankheit entkräfteten eigentlich seine Parteikollegin und nur tags Mai, bezeichnete Livingstones Aussagen jüdischen Bewohner des noch über 50.000 Das Lachen sollte ihm und vielen La- zuvor ebenfalls wegen antisemitischer Aus- als „schrecklich und unendschuldbar“ und jüdische Frauen, Männer und Kinder zählen- bour-Politkern an diesem 28. April gehö- fälle aus der Partei geworfene Parlaments- forderte ihn sogleich zum Austritt auf. Am den Warschauer Ghettos in einem ebenso rig vergehen: Ken Livingstone, Vertreter abgeordnete Naz Shah verteidigen. Dieses lautstärksten äußerte sich Labour-Parla- heldenhaften wie verzweifelten und aus- des linken Flügels der britischen Labour Unterfangen ging aber mal ganz gehörig in mentarier John Mann. Und was der von sichtslosen Aufstand gegen ihre übermäch- Party und langjähriger Freund von Par- die Hose. Am Ende des Tages stand fest: Livingstone und dessen Kommentaren tigen deutschen Peiniger und Schlächter teichef Jeremy Corbyn, ist aus seiner Par- Livingstone muss unter seine Labour-Par- hielt, sagte er diesem direkt und unver- erhoben haben und bestialisch ermordet tei ausgeschlossen worden. Der 70-Jähri- teimitgliedschaft unfreiwillig einen Strich blümt in der Vorhalle der TV-Studios von wurden. ge habe Labour öffentlich „in Misskredit setzen und die Sozialdemokraten stehen Westminster ins Gesicht, wo Livingstone Und tatsächlich, trotz aller für das gegen- gebracht“ und müsse sich nun vor einem im Epizentrum eines Skandals um Antise- noch am selben Tag zu einer weiteren Talk- wärtige Politikversagen zur Rechtfertigung parteiinternen Untersuchungsausschuss mitismus und Antizionismus. Runde geladen war: „Sie sind ein widerli- verkommenen und häufig nur noch sinn- verantworten, hieß es. Dass Labour sich damit selber in eine cher Rassist, der die Geschichte neu schrei- entleerten und geheuchelten Gedenktags- Der dahinterstehende und für die briti- neuerliche Krise manövriert hat, war füh- ben will“, schimpfte Mann vor laufenden ritualisierung – in unseren schlimmsten Alb- schen Sozialdemokraten sicher nicht ganz renden Parteipolitikern noch am selben Fernsehkameras und nannte Livingstone träumen hätten wir die heutige traurige und neue Vorwurf: Antisemitismus in den Tag klar. Da half es auch nichts, dass Cor- einen „Nazi-Apologeten“. Starke Worte. beschämende Entwicklung nicht einmal eigenen Reihen. Corbyn und die Labour- byn diesen Umstand gegenüber der Pres- Vor allem, wenn man bedenkt, dass Mann andenken mögen Führung sahen sich zu dem drastischen se wegzudiskutieren versuchte. „Das ist und Livingstone eigentlich Parteikollegen Nur 71 Jahre nach dem Zusammenbruch Schritt des Parteiausschlusses gezwungen, keine Krise. Es gibt auch keine Krise. Wo sind. Beziehungsweise waren. Livingstone des Nazi-Horrors, dessen endgültiges Ende nachdem Livingstone mit antisemitischen auch immer es Rassismus innerhalb der selber verteidigte seine Aussagen im Nach- und Kapitulation die westlichen Alliierten Kommentaren während eines Radiointer- Partei gibt, wird dagegen angegangen und hinein. Er habe niemals nahelegen wollen, und vor allem die sowjetische Armee in der views mit BBC London aufgefallen war. In er wird ausgerottet. Jeder, der glaubt, die dass Hitler ein Zionist gewesen sei und le- Nacht vom 8. Mai auf den 9. Mai besiegelt dem per Telefon geführten Interview hatte Partei unternehme nicht genug gegen An- diglich „historische Fakten“ genannt. Im haben und nur 73 Jahre nach dem Fanal Livingstone Hitler und Zionisten in einem tisemitismus, liegt einfach falsch“, erklärte Übrigen sei er Opfer einer undemokrati- des Aufstandes im Warschauer Ghetto sind Atemzug genannt und eine Gleichsetzung der Parteivorsitzende gegenüber der BBC schen Schmierenkampagne geworden, die „Juden-ins-Gas“-Rufe und No-Go-Areas für nahegelegt. sichtlich genervt. Corbyn verteidigte den von der „Israel-Lobby“ gegen seine Person Juden, körperliche Übergriffe, Beschimp- „Lassen Sie uns in Erinnerung rufen; als Rausschmuss seines alten Parteifreunds und andere sogenannte Israel-Kritiker in- fungen und sogar gezielte Terrormorde an Hitler die Wahlen 1932 gewann, war es sei- Livingstone wegen „schwerwiegender Be- nerhalb der Partei initiiert worden sei. Juden in deutschen und europäischen Städ- ne Politik, die Juden nach Israel zu bringen. denken über die verwendete Sprache“, die Die jetzt entbrannte Diskussion um Anti- ten wieder Wirklichkeit geworden. Er unterstützte den Zionismus – bevor er dieser in besagten Interview gebraucht semitismus und Israelfeindschaft in den ei- . Fortsetzung auf Seite 2 Österreich 3,70 € verrückt wurde und am Ende sechs Milli- habe. Freilich ohne Livingstone damit di- genen Reihen kommt für Labour zur Unzeit. Schweiz 4,60 CHF onen Juden ermordete,“ sagte Livingstone rekt des Antisemitismus zu bezichtigen. Anfang Mai stehen in Schottland, Wales und gegenüber einer Moderatorin des öffent- Dass es bei Labour gehörig brodelt, in vielen englischen Grafschaften Lokalwah- 05 lich-rechtlichen Senders in der englischen konnte man an den Reaktionen führen- len an. In London kommt die wichtige Bür- Hauptstadt und fügte sogleich hinzu, dass der Parteivertrer zur Causa Livingstone germeisterwahl hinzu. Für die Sozialdemo- er niemanden in seiner Partei kenne, der ablesen. Entsprechend deutlich fiel die kraten sind diese Abstimmungen ein erster sich jemals antisemitisch geäußert habe. Kritik an dem schon in der Vergangenheit großer Stimmungstest nach der Ernennung Welch Ironie! Wollte Livingstone, der von immer mal wieder mit israelfeindlichen des Linksaußen-Hinterbänklers Corbyn 2000 bis 2008 ein durchaus populärer Bür- und zumindest latent antisemitischen Äu- zum Parteichef nach den haushoch gegen germeister von London war und wegen sei- ßerungen aufgefallen Politiker aus. Sadiq die Konservativen verlorenen Parlaments- 4 198807 003709 ner ultralinken Weltsicht in Großbritanni- Khan, Labour-Kandidat fürs Londoner wahlen im vergangenen Sommer. 2 WELT № 5 (21) Mai 2016 JÜDISCHE RUNDSCHAU Labours antisemitische Krise Hatte Corbyn in letzter Zeit mehr und politischen Gegner reagieren. Da half es schaffen zu haben, in dem Antisemitismus Unternehmer und seit 1997 für Labour mehr versucht, sich selber moderater zu ge- auch nichts, dass Shah beteuerte, sie habe und der Hass auf Israel akzeptabel erschei- Life Peer-Mitglied im Oberhaus, schaltete ben und auf die jüdische Gemeinschaft zuzu- den Post vor ihrer Zeit als Parlamentarie- nen. Und das in einer Partei, die früher als sich in die aktuelle Debatte ein und sprach gehen, können diese Annäherungsversuche rin geschrieben und sei jetzt ganz anderer traditionelle politische Heimat für jüdisch- von einem ausgeprägten und „ernsthaf- nun als bloße Heuchelei verstanden werden. Meinung. Livingstone sorgte dann sei- britische Wähler galt. So hat der walisische ten Antisemitismusproblem“ innerhalb Der neue Parteichef stand in der Vergan- nerseits dafür, dass Corbyns Rechnung Ableger von Labour in einer ersten Reakti- seiner Partei. Seine Kollegin, die liberale geneheit selber immer wieder wegen israel- im Fall Shah nicht aufging. Dass es nun on Corbyn nur einen Tag nach Livingsto- Politikerin und Rabbinerin Baroness Julia feindlicher Aussagen und seinen Kontakten ausgerechnet Livingstone war, der sich die nes Skandal-Interview von einer gemein- Neuberger, präzisierte: „Labours Problem zu radikalen Islamisten und Holocaustleug- Blöße gab und für einen ausgewachsenen sam geplanten Wahlkampfveranstaltung mit dem Antisemitismus hängt mit Partei- nern in der Kritik. Der Parteiausschlus Naz Skandal sorgte, ist für Corbyn ein beson- am Bridgend College in Pencoed ausgela- chef Corbyn zusammen. Es ist eine Sache Shahs, Ex-Labour-Parlamentarierin für den ders schwerer politischer Schlag. War der den. Wie die Lokalzeitung „The Western der radikalen Linken.“ Am deutlichsten Wahlkreis Bradford