„Sounds of Iceland“ – Islandfest Sonntag 17.11.2019 20.00 Uhr · Großer Saal ICELAND SYMPHONY ORCHESTRA DANÍEL BJARNASON Dirigent VÍKINGUR ÓLAFSSON Klavier (Artist in Residence)

„Daníel Bjarnasons Musik ist so intelligent gestaltet, dass man jede Sekunde des Konzerts pausieren möchte, um in die Partitur zu schauen.“ NICO MUHLY, KOMPONIST UND PIANIST PROGRAMM

Grußwort zum Abschluss des Islandfests I. E. Lilja Dögg Alfreðsdóttir, Ministerin für Bildung und Kultur Islands

Anna Þorvaldsdóttir (*1977) „Aeriality“

Daníel Bjarnason (*1979) „Processions“ für Klavier und Orchester IN MEDIAS RES SPINDRIFT RED-HANDED

PAUSE

Jean Sibelius (1865–1957) Sinfonie Nr. 5 Es-Dur op. 82 TEMPO MOLTO MODERATO – ALLEGRO MODERATO ANDANTE MOSSO, QUASI ALLEGRETTO ALLEGRO MOLTO

Das Konzert wird von Deutschlandfunk Kultur mitgeschnitten und am 19.11.2019 um 20.03 Uhr ausgestrahlt.

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Grußwort

Liebe Musikfreund*innen, liebe Freund*innen Islands,

die isländische Musiklandschaft ist so vielfältig wie die Insel, von der sie stammt. Noch vor 150 Jahren gab es nur wenige In­­strumente auf Island; es gab keine Musikschule, und nur einige wenige Isländerinnen und Isländer fanden den Weg nach Ko­­pen­hagen oder Leipzig, um dort Musik zu stu­dieren. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich dies radikal geändert. Es hat sich eine lebendige Musikkultur mit einer Vielfalt an Stilrichtungen entwickelt, und alle Musikerinnen und Musi- ker jedes Genres verfügen über eine professionelle Ausbildung. Mit der Harpa bekam die klassische Musik und das Symphonieorchester Islands erstmals ein eigenes Haus, welches auch architektonisch eine Reminiszenz an die Landschaft Is­ lands und seiner Lage auf zwei Kon­­ tinenten ist. Basaltsäulen, Eisberge, Vulkane,

KONZERTHAUS HARPA, DAS ZUHAUSE DES ICELAND Gletscherlagunen, wer nach Island SYMPHONY ORCHESTRAS reist berichtet nicht selten von magischen Erlebnissen. Ein Hauch dieser Magie und der Geschichten der Insel, ein­ge­fangen in Tönen, bringt das Kon- zerthaus Berlin mit den „Sounds of Iceland“ ins Herz Euro- pas. Ein Feuerwerk an Stilrichtungen, mit hochklassigen Künstlerinnen und Künstlern. Erleben Sie ein Stück isländi- sche Musikgeschichte im Konzerthaus, verlieren Sie sich in der Musik. Denn die, das verspreche ich Ihnen, ist großartig.

I. E. Maria Erla Marelsdóttir, Botschafterin Islands in Deutschland AERIALITY

Auratische Klangwelten „Aeriality“ von Anna Þorvaldsdóttir

ENTSTEHUNGSZEIT 2010 – 2011 · URAUFFÜHRUNG 2011 · DAUER ca. 12 Minuten · BESETZUNG 2 Flöten, Bassflöte, Oboe, Englischhorn (auch Oboe), 2 Klarinetten, Bassklarinette, 2 Fagotte, Kontrafagott, 4 Hörner, 2 Trompeten, 2 Posaunen, Tuba, Percussion (3 Spieler), Harfe, Klavier, Streicher

Nicht mehr als 350.000 Menschen leben im dünnbesiedelten Inselstaat im Nordatlantik, auf dem Anna Þorvaldsdóttir ge-­­­­­­­ boren wurde. Allerdings sollte man Island nicht nur mit von Menschen verlassenen Gletschern, Vulkanen, Geysiren und Lavafeldern verbinden. Die Musikszene der Insel boomt näm- lich, wobei Pop-Stars wie Björk nur die Spitze des sprichwört- lichen Eisbergs sind. Auch im Bereich der Kunstmusik machen junge Musiker*innen wie die Cellistin Sæunn Thorsteinsdót- tir und der Pianist Víkingur Ólafsson international von sich reden. Und unter den isländischen Gegenwartskomponisten zählt die 1977 geborene Anna Þorvaldsdóttir zu den profilier- testen: „Surreal wie das Nordlicht“ seien ihre „auratischen Klangwelten“, so „Die Zeit“. Studiert hat sie in ihrer Heimatstadt Reykjavík sowie an der University of California in San Diego, wo Anna Þorvaldsdóttir 2011 auch einen Doktortitel erwarb – mit ihrem bis da­­hin siebten Orchesterstück „Aeriality“. Inzwischen erhält Þorvaldsdóttir Aufträge von bedeutenden Orchestern aus aller Welt. Auch eine CD mit ihren Werken ist beim Majorlabel Deutschen Grammophon erschienen. Ihre Partituren spiegeln die überwältigende Natur ihrer Heimat wider, wobei man die vier Elemente in ihrer Musik jederzeit zu spüren scheint – oft verbunden mit Einsamkeit und Melan- cholie. „Die Natur“, sagt sie, „inspiriert mich beim Komponie- ren am meisten.“ Und weiter: „Landschaften und verschiedene andere Naturszenerien haben meine kreative Vorstellungskraft AERIALITY

immer wieder beeinflusst und sie scheinen mich auf unterschiedliche Weise für jedes neue Stück zu inspi- rieren […]. Ich höre auf die Natur, nicht nur auf ihre Geräusche, son- dern auf alles, was mich umgibt. Im Allgemeinen finde ich es wenig er­­ strebenswert, die tatsächlichen Ge­­ räusche zu imitieren, die in der Na­­ tur zu hören sind. Das Zuhören be­­­- steht darin, zu hören, was mir die Visualisierung bietet. Ich schaue in den Himmel, ich sehe den Mond und einem hellen Stern. Sofort höre ich ANNA ÞORVALDSDÓTTIR die Harmonie dieses Bildes – es ist still, bewegt sich ein wenig, während das Licht des Sterns leicht pulsiert und das Bild und damit auch den Ton verändert.“ In Þorvaldsdóttirs Orchesterstück „Aeriality“, das zwischen den Bereichen der sinfonischen Musik und der Klangskulptur an­gesiedelt ist, treffen massive Texturen auf ein ly­­risches Feld (Þorvaldsdóttir), in dem die Musik zu einem fließenden, strö- menden Klanggefühl zurückkehrt. Das Werk be­zieht sich auf den Zustand des Durch-die-Luft-Gleitens und spiegelt dabei ein „Gefühl der absoluten Freiheit“, so die Komponistin. „In der Regel schreibe ich Musik im unteren Dynamikbereich – ich bitte darum, dass die Lautstärken immer subtil und der mu­ sikalischen Progression angemessen dramatisiert werden. Die unteren dynamischen Levels (im Pianobereich) offenbaren meinen Wunsch, sich Tonhöhen und Klangmaterial mit einem Gefühl von Ruhe und Sorgfalt anzunähern, anstatt sie lediglich

KURZ NOTIERT als unterschiedliche Tonpegel zu verstehen.“ (A. Þorvaldsdóttir) Der Titel ist ein Wortspiel, bei dem die Wörter aerial (luftig, ätherisch) und reality (Wirklichkeit) zusammengefasst werden, AERIALTY

um zwei gegensätzliche Welten zu suggerieren: Während die Wirklichkeit das Bodenständige, Reale repräsentiert, verweist das Luftige auf den Himmel oder das Unberührbare. Teile des Werks, dessen Musik im Ton Fis seinen Ausgang nimmt und das am Boden beginnt, bestehen aus dichten Klangblöcken, die – wenn das Orchester zu einer einzigen Kraft gebündelt wird – zu einer gewaltigen Klangmasse zusammen- fließen. Die chromatischen Materialschichten werden um Vier- teltöne erweitert, die zu einem massiven „Ozean aus Tö­­nen“ anwachsen, der auf dem Höhepunkt des Werks in ein ätheri- sches Fließen mündet. Ziel der harmonischen Progression ist ein um den Ton C zentriertes Klangfeld, das von einem viertel­ tönigen Nebel luftiger Klänge abschattiert wird. Anna Þorvaldsdóttirs Orchesterstück „Aeriality“ wird harmo- nisch vom chromatischen Gleiten von Fis nach C geprägt, wo­­ bei zwei gegensätzliche Prozesse – die eine Bewegung ist aufwärtsgerichtet (G – Gis – A – … – C), die andere abwärts (F – E – Es – … – C) – gleichzeitig ablaufen. Wenn eine neue Tonhöhe zur harmonischen Textur hinzukommt, wird sie von den vorherigen überlagert, wodurch eine Harmonie entsteht, die gleichzeitig chromatisch ist und sich mit zunehmenden

AUFGEHORCHT Tonhöhen mit anderen Akkordfolgen überlappt. „Wenn Sie einen langen, ausgehaltenen Ton in den Noten sehen“, heißt es in der Partitur in einer Notiz an die Musi- ker*innen, „stellen Sie sich ihn wie eine empfindliche Blume vor, die Sie in der Hand tragen und nicht fallen lassen, wäh- rend Sie auf einem dünnen Seil balancieren. Es ist ein Weg, die Zeit einzuteilen und die kleinen Änderungen zu bemer- ken, die geschehen, während Sie weiter über das dünne Seil gehen. Absolute Ruhe mit der notwendigen Konzentration ist zur Durchführung dieser Aufgabe erforderlich.“ CD-TIPP Iceland Symphony Orchestra, Ilan Volkov, Label: DGG 2014 PROCESSIONS

Eruption und Innerlichkeit „Processions“ für Klavier und Orchester

ENTSTEHUNGSZEIT 2009 . URAUFFÜHRUNG 2009 . DAUER ca. 29 Minuten . BESETZUNG 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Percussion (4 Spieler), Harfe, Streicher, Klavier solo

Daníel Bjarnason, der Komposition, Dirigieren und Klavier in Reykjavík sowie an der Musikhochschule in Freiburg studierte, zählt heute zu den bekanntesten isländischen Komponisten der jüngeren Generation. Seine Werke wurden unter anderem von Orchestern wie dem Los Angeles Philharmonic Orchestra, dem Winnipeg Symphony Orchestra und dem Ulster Orchestra ur­auf- geführt – unter der Leitung von Gus­tavo Dudamel, John Adams, James Conlon und Louis Langree. Bjarnasons Versiertheit als Arrangeur und Dirigent führte zur Zu­sammenarbeit mit Musi- ker*innen aus den unterschiedlichsten Bereich­­en – auch außer- halb der klassischen Musik. So schrieb er 2010 ge­meinsam mit Ben Frost das von Andrej Tarkowskis gleichnamigem Science-­ Fiction-Klassiker­ inspirierte Stück „Sólaris“ für Streichorches- ter, Schlagzeug, präpariertes Klavier und Elektronik. Mehrfach wurde Bjarnason für seine Kompositionen ausgezeichnet. Sein 2010 erschienenes De­bütalbum Processions war ein vielbeach- teter Erfolg, das ihm in der Kategorie „Bester Kom­­ponist/Beste Komposition“ den Isländischen Musikpreis 2010 einbrachte. 2012 komponierte er die Filmmusik zu dem Feature „The Deep“, die mit dem Preis der Icelandic Film and Television Awards 2013 prämiert und in der Kategorie „Beste originale Filmmusik“ des Harpa Nordic Film Composers Awards 2013 nominiert wurde. Das zweite Klavierkonzert „Processions“, welches heute zu hören ist, wurde vor zehn Jahren eigens für Víkingur Ólafs- son komponiert und in der Kategorie „Bester Komponist/Beste Komposition“ mit dem Isländischen Musikpreis ausgezeichnet. PROCESSIONS

Daníel Bjarnason ist Mitglied der Bedroom Community, eines isländischen Musikkollektivs und Labels, das 2006 von Valgeir Sigurðsson mit Nico Muhly und Ben Frost gegründet wurde. Dieses „Ökosystem, das Musik kultiviert“ (The Line of Best Fit) ist kein gewöhnliches Plattenlabel, sondern setzt auf kollabo- rative, neuartige und genreübergeifende Kompositionen und Musikprojekte in einem engen Künstler*innenraster, was von

KURZ NOTIERT Klassik über Pop bis Elektro reicht. In diesem sogenannten klassisch dreisätzigen Konzert treten Solist und Orchester als gleichberechtigte Partner in Erschei- nung. Der Kopfsatz-Titel „In Medias Res“ ist gewissermaßen Programm, da die eruptive Eröffnungsgeste das Publikum un­­ mittelbar ins musikalische Geschehen hineinzieht – ganz nach der alten Hollywoodregel „mit einer Explosion beginnen und dann ganz langsam steigern“. Heroischer Tonfall und höchste Vir­tu­­osität verweisen auf die traditionellen romantischen Gat- tungsmuster, wobei Bjarnason dieser musikalischen Über- schwänglichkeit, als unverkennbar modernes Element, disso- nante Ab­­stürze entgegensetzt, die von einer ganzen Batterie exotischer Percussioninstrumente akzentuiert werden. Die sich in Kurven bewegenden Melodielinien scheinen immer wieder auf Abwege zu geraten, bevor im verhalten beginnenden zwei- ten Satz „Spindrift“ ein choralartiger Bläsersatz höchste Em­­ phase erreicht. Die vorwärtstreibenden Rhythmen des Finales („Red-­Handed“) vermitteln in ihrer Motorik eine Energie, die an Elektro- oder Rockmusik denken lässt. Außerdem erinnert das rhythmisch ineinanderfließende Pulsieren an die Laufzeit- verzögerung der Studiotechnik (delay), mit der unter anderem die Nachhallzeiten von Klängen beeinflusst und gestaltet werden können. CD-TIPP Iceland Symphony Orchestra, Vikingur Ólafsson, Daníel Bjarnason, Label: Bedroom Community 2010 SIBELIUS‘ 5. SINFONIE

Naturmystik und Weltschmerz! Die Fünfte Sinfonie von Jean Sibelius

ENTSTEHUNGSZEIT 1914/1915 in einer viersätzigen Erstfassung und in dieser auch uraufge- führt; nach zweimaliger Umarbeitung erhielt die Sinfonie 1919 ihre endgültige, dreisät- zige Form · URAUFFÜHRUNG 1915 (Erstfassung), 1919 (endgültige Version) . DAUER ca. 34 Mi­ nuten · BESETZUNG 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Pauken, Streicher

„Ich war unschlüssig“, äußerte sich Jean Sibelius gegenüber seinem Bio- graphen Karl Ekman, „ob ich mit der Fünften Sinfonie überhaupt be­gin- nen sollte. Ich habe viel darunter zu leiden gehabt, dass ich mich darauf versteifte, Sinfonien zu komponieren in einer Zeit, in der so gut wie alle Tonsetzer zu anderen­­­­­ Ausdrucksfor- men übergegangen waren.“ Tatsäch- lich hatte die musikalische Avant- garde die Absage an die Form- und Aus­drucks­welt des 19. Jahrhunderts bereits­­ zum Programm erhoben,­­ be­­ vor Sibelius im finnischen Järvenpää JEAN SIBELIUS UM 1913 seine erst kurz vor ihrer Urauffüh- rung im Dezember 1915 ab­geschlossene Erstfassung der Fünf- ten Sinfonie schrieb. Verunsichert und zwischen den Be­zeich- nungen Fantasia I, Sinfonische Phantasie und Orchester­­­- ­­phan­­tasie schwankend, hielt Sibelius dennoch an dem Vorha- ben fest. In seinem Tagebuch no­tierte er am 18. April 1915: „Ging in kalter Frühlingssonne spazieren. Bekam eine ge­­ waltige Impression der Sinf. V. Das Neue!“ Und drei Tage spä- ter heißt es: „Sah heute zehn vor elf 16 Schwäne. Eines der größten Er­­lebnisse meines Lebens! Herrgott diese Schönheit! SIBELIUS‘ 5. SINFONIE

16 SCHWÄNE UND MEHR IM SONNENUNTERGANG Sie kreisten lange über mir. Verschwanden in den Sonnenun- tergang wie ein Silberband, das ab und zu glitzerte. Ihr Ruf gehört dem gleichen Holzbläsertyp an wie der von Kranichen, aber ohne Tremolo. Der Schwanengesang ähnelt eher einer Trompete, wenngleich der Sarrusophonklang deutlich ist. Ein leiser Refrain, der klingt wie das Weinen eines kleinen Kindes. Natur­mystik und Weltschmerz! Das Final­thema der fünften Sinfonie: Legato in den Trompeten!!“ Sarrusophone sind kräftig klingende Alternativen zu Oboe und Fagott, die ungeachtet ihres Metallkorpus wegen ihres Mundstücks mit Doppelrohrblatt zu den Holzblasinstrumenten gezählt werden. Die Instrumente, so der Instrumentenbauer Camillo Moritz, „kann man als aus Messing gebaute Fagotte bzw. Kontrafagotte betrachten, die jedoch schnarrender und wenig edel klingen“ (aus: Die Orchester-Instrumente in akus-

KURZ NOTIERT tischer und technischer Betrachtung, Berlin 1942) SIBELIUS‘ 5. SINFONIE

Obwohl die Fünfte Sinfonie am 8. Dezember 1915 im Festsaal der Universität Helsinki im Rahmen eines Konzerts zu Sibelius’ 50. Geburtstag erfolgreich uraufgeführt wurde (Sibelius leitete das Orchester der Philharmonischen Gesellschaft), war der Komponist mit seinem Werk unzufrieden. Nachdem die Urauf- führung einer ersten Revisionsfassung am 8. Dezember 1916 in Turku stattgefunden hatte – genau ein Jahr nach der Premiere der Erstfassung –, entschloss sich Sibelius nach we­nigen Woch­­en, diese zweite, nur fragmentarisch überlieferte Version ein weiteres Mal zu revidieren, was ihn in tiefe Depression stürzte: „Die Richtung meines Kom­­­­­ponierens hat mich in eine völlige Sackgasse geführt.“ Später, am 20. Mai 1918, schrieb er an seinen Freund und Förderer Axel Carpelan: „[…] die fünfte Sinfonie ist in ihrer neuen Form fast komplett umkomponiert. Der erste Satz ist vollkommen neu. Der zweite ähnelt dem al­­ten. Der dritte ist eine Reminiszenz des Schlusses vom ersten Satz. Der vierte Satz, die alten Mo­tive, aber in einer nüchternen, fes- teren Form durchgeführt. Das Ganze, wenn ich es so benennen darf, ist eine vitale Steigerung gegen Ende. Triumphal […].“ Beim zweiten Satz von Sibelius Fünfter handelt es sich um eine schlichte Folge von Variationen. In diesem Andante mosso, quasi Allegretto gelingt es dem Komponisten, dem von den Streichern gezupft (pizzicato) und über ausgehaltenen Bläserklängen vorgestellten Thema die unterschiedlichsten

AUFGEHORCHT Stimmungsfacetten abzugewinnen. Die Arbeiten an der dritten und end­­gültigen Version der Fünf­­­ ten Sinfonie beendete Sibelius am 22. April 1919. Der Kompo- nist hatte nicht nur das Finale um etwa ein Drittel gekürzt, son- dern auch die ersten beiden Sätze zu einer mit der tradi­­­tio­­- nellen Formenlehre kaum zu fassenden Großform verschmol- zen, in welcher ein Moderato-Satz unter Beschleunigung des Tempos und Beibehaltung der thematischen Grundsubstanz zu einem Scherzo mutiert. Nach dem zentralen Variationssatz SIBELIUS‘ 5. SINFONIE

wird das Finale von einer Tremolopassage (schwebenden/be­­ benden Tönen) der Streicher eingeleitet, bis dieses klingende Perpetuum mobile von einem Hörner-Thema mit Holzbläser- begleitung abgelöst wird – jenem sogenannten Schwa- nen-Thema,von dem Sibelius in seiner Tagebuchnotiz sprach. Am Ende erklingt die „Schwanenhymne“ erneut, diesmal von den Trom­­­peten gespielt, bevor der Satz mit sechs wuchtigen Akkordschlägen ausklingt. CD-TIPP Berliner Sinfonie-Orchester, Kurt Sanderling, Label: Berlin Classics 1997

MITWIRKENDE

Im Porträt

ICELAND SYMPHONY ORCHESTRA

Das 1950 gegründete Sinfóníuhljómsveit Íslands, Iceland Sym- phony Orchestra, ist das Nationalorchester Islands und eines der führenden Institutionen in der Kulturszene des Landes. Die meisten Konzerte des Orchesters werden vom nationalen Rundfunk live im Radio übertragen, ausgewählte Konzerte auch live im Fernsehen. Im September 2020 übernimmt Eva Ollikainen die Position der Chefdirigentin und Künstlerischen Leitung, die zuvor bei Dirigenten wie Jean-Pierre Jacquillat, Petri Sakari, , Ilan Wolkow, und Osmo Vänskä lag. Vladimir Ashkenazy dirigiert das Orchester regelmäßig MITWIRKENDE

seit den 1970er Jahren und ist Ehrendirigent. Die isländische Komponistin Anna Þorvaldsdóttir ist seit 2018 für zwei Jahre Composer in Residence des Orchesters und der isländische Komponist und Dirigent Daníel Bjarnason Erster Gastdiri- gent. Die international breit gefächerte Diskographie des isländi- schen Nationalorchesters umfasst hochgelobte Zyklen der Sinfonien von Sibelius und Orchesterwerke von Jón Leifs. Mit Aufnahmen der Werke von Vincent d‘Indy mit Rumon Gamba bei Chandos wurde es für einen Grammy Award für die beste Orchesteraufnahme nominiert. Die jüngste Veröffentlichung von Sinfonien von Charles Gounod mit dem Dirigenten Yan Pascal Tortelier wurde CD der Woche in der „Sunday Times“. Das Iceland Symphony Orchestra trat bereits in ganz Europa und darüber hinaus auf, unter anderem bei den BBC Proms, dem Wiener Musikverein und dem Kennedy Center. 2018 star- tete es mit Ashkenazy eine sehr erfolgreiche dreiwöchige Japan-­Tournee. In der Saison 19/20 feiert das Orchester 70 Jahre und wird zum ersten Mal in Island Richard Wagners „Die Walküre“ auf die Bühne bringen.

DANÍEL BJARNASON Der Dirigent und Komponist Daníel Bjarnason ist seit Sep- tember 2019 Erster Gastdirigent des Iceland Symphony Or­­ chesters, für eine Amtszeit von zwei Jahren. Von 2015–2018 war er Artist in Residence beim isländischen Nationalorches- ter und derzeit ist er Composer-in-Residence am Muziekge- bouw Frits Philips Eindhoven. Daníel Bjarnasons Musik wird weltweit unter Dirigenten wie Gustavo Dudamel, John Adams, James Conlon, André de Ridder, Louis Langree und Ilan Volkov an Veranstaltungsorten wie der Walt Disney Concert Hall, Lincoln Center, Harpa und dem Barbican aufgeführt. Daníel Bjarnasons Vielseitigkeit hat auch zu Kooperationen mit einer MITWIRKENDE

großen Bandbreite von Musikerinnen und Musikern außer- halb des klassischen Bereichs geführt, darunter Sigur Rós, Brian Eno, Efterklang und Ben Frost. Er dirigierte bereits das Los Angeles Philharmonic, NDR Elbphilharmonie Orchester, Sinfonietta, Ulster Or­­chester und Sinfonietta Craco- via. 2016 erhielt er die Auszeichnung als „Bester Künstler“ für seine Interpretation von „Peter Grimes“ mit dem Iceland Sym- phony Or­­chestra und der isländischen Oper. Seine erste eigene Oper, „Brothers“, erhielt hervorragende Kritiken nach seiner Ur­­auffüh­­rung in der Den Jyske Opera im Herbst 2017 und gewann den Preis für die beste Komposition bei den Ice- landic Music Awards im folgenden Jahr. Nach dem Klavier-, Kompositions- und Dirigierstudium in Reykjavík, studierte Daníel Bjarnason weiter an der Hochschule für Musik Freiburg. MITWIRKENDE

VÍKINGUR ÓLAFSSON

Víkingur Ólafsson ist in dieser Saison Artist in Residence des Konzerthauses Berlin. In seinem Heimatland Island hat er die wichtigsten Musikpreise gewonnen und zählt seit spätestens 2016 international zu den interessantesten Pianisten. Die „New York Times“ nannte ihn „Iceland’s Glenn Gould”. Im Septem- ber 2018 wurde sein Bach-Album (Deutsche Grammophon) begeistert aufgenommen; bereits 2016 erschienen (ebenfalls Deutsche Grammophon) mit ihm Etüden von Philip Glass. Durch seine bemerkenswerte Originalität und kraftvolle musi- kalische Überzeugung hat Víkingur Ólafsson in nur wenigen Jahren die Musikwelt im Sturm erobert und ist heute einer der gefragtesten Pianisten. Er konzertierte bereits unter ande- rem mit dem Los Angeles Philharmonic, den Göteborger Sym- phonikern, dem Orchestre Philharmonique de Radio France, MITWIRKENDE DOPPELT FREUDE dem Swedish Radio Symphony Orchestra, dem Minnesota SCHENKEN Orchestra, dem Orchestre National de Lille, dem Detroit Sym- phony Orchestra, dem Philharmonia Orchestra London und Machen Sie sich oder Ihren Liebsten spielte Recitals in den USA, der Berliner Philharmonie, der Londoner Royal Albert Hall, der Suntory Hall in Tokio, der mit einer Patenschaft für einen Stuhl Philharmonie de Paris, der Laeiszhalle in Hamburg, in Barce- im Großen Saal des Konzerthauses lona und Brüssel. eine besondere Freude! Neben seinen zahlreichen Konzerten als Artist in Residence am Konzerthaus Berlin, wird Ólafsson in der Saison 19/20 die französische Erstauff ührung von John Adams Klavierkonzert Nr. 2 mit dem Orchestre Philharmonique de Radio France unter der Leitung des Komponisten selbst geben. Weitere Soloabende wird er am Wiener Konzerthaus, im Luzern Festival, in der Göteborger Konzerthalle und in ganz Japan geben. Vikingur Ólafsson wurde 1984 geboren, erlernte das Klavier- spiel zunächst bei seiner Mutter und studierte an der New Yorker Juilliard School (Jerome Lowenthal und Robert McDo- nald) sowie bei Ann Schein. Er ist Leiter und Gründer des Fes- tivals Reykjavík Midsummer Music und war bis 2019 Künstle- rischer Direktor des Festivals Vinterfest in Schweden.

Mit Ihrer Stuhlpatenschaft unterstützen Sie die Nachwuchsförderung des Konzerthauses Berlin. Infos unter Tel. 030 · 20 30 9 2344 oder konzerthaus.de/zukunft-konzerthaus-ev DOPPELT FREUDE SCHENKEN Machen Sie sich oder Ihren Liebsten mit einer Patenschaft für einen Stuhl im Großen Saal des Konzerthauses eine besondere Freude!

Mit Ihrer Stuhlpatenschaft unterstützen Sie die Nachwuchsförderung des Konzerthauses Berlin. Infos unter Tel. 030 · 20 30 9 2344 oder konzerthaus.de/zukunft-konzerthaus-ev VORANKÜNDIGUNG

Vorankündigung

VÍKINGUR ÓLAFSSON – ARTIST IN RESIDENCE

Donnerstag, 28.11.2019 – Sonnabend, 30.11.2019 20.00 Uhr · Großer Saal

KONZERTHAUSORCHESTER BERLIN CHRISTOPH ESCHENBACH Dirigent VÍKINGUR ÓLAFSSON Klavier

Edvard Grieg Konzert für Klavier und Orchester a-Moll op. 16 PAUSE Johannes Brahms Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 68

DIE BLUMEN WURDEN ÜBERREICHT VON ZUKUNFT KONZERTHAUS E. V.

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IMPRESSUM HERAUSGEBER Konzerthaus Berlin, Intendant Prof. Dr. Sebastian Nordmann · TEXT Harald Hodeige · REDAKTION Jenny K. Römmer · ABBILDUNGEN flickr „Gusjer“, Anna Maggy, Saga Sig, Ari Magg · SATZ, REINZEICHNUNG UND HER­ STELLUNG REIHER Grafikdesign & Druck · Gedruckt auf Recyclingpapier · PREIS 2,30 ¤