The Art of David Lynch
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The Art of David Lynch weil das Kino heute wieder anders funktioniert; für ei- nen wie ihn ist da kein Platz. Aber deswegen hat Lynch ja nicht seine Kunst aufgegeben, und nicht einmal das Filmen. Es ist nur so, dass das Mainstream-Kino den Kaperversuch durch die Kunst ziemlich fundamental abgeschlagen hat. Jetzt den Filmen von David Lynch noch einmal wieder zu begegnen, ist ein Glücksfall. Danach muss man sich zum Fernsehapparat oder ins Museum bemühen. (Und grimmig die Propaganda des Künstlers für den Unfug transzendentaler Meditation herunterschlucken; »nobody is perfect.«) Was also ist das Besondere an David Lynch? Seine Arbeit geschah und geschieht nach den »Spielregeln der Kunst«, die bekanntlich in ihrer eigenen Schöpfung und zugleich in ihrem eigenen Bruch bestehen. Man er- kennt einen David-Lynch-Film auf Anhieb, aber niemals David Lynch hat David Lynch einen »David-Lynch-Film« gedreht. Be- 21 stimmte Motive (sagen wir: Stehlampen, Hotelflure, die Farbe Rot, Hauchgesänge von Frauen, das industrielle Rauschen, visuelle Americana), bestimmte Figuren (die Frau im Mehrfachleben, der Kobold, Kyle MacLachlan als Stellvertreter in einer magischen Biographie - weni- ger, was ein Leben als vielmehr, was das Suchen und Was ist das Besondere an David Lynch? Abgesehen Erkennen anbelangt, Väter und Polizisten), bestimmte davon, dass er ein paar veritable Kultfilme geschaffen Plot-Fragmente (die nie auflösbare Intrige, die Suche hat, Filme, wie ERASERHEAD, BLUE VELVET oder die als Sturz in den Abgrund, die Verbindung von Gewalt TV-Serie TWIN PEAKS, die aus merkwürdigen Gründen und Design) kehren in wechselnden Kompositionen (denn im klassischen Sinn zu »verstehen« hat sie ja nie wieder, ganz zu schweigen von Techniken wie dem jemand gewagt) die genau richtigen Bilder zur genau nicht-linearen Erzählen, dem Eindringen in die ver- richtigen Zeit zu den genau richtigen Menschen brach- borgenen Innenwelten von Milieus und Menschen, der ten, und abgesehen davon, dass er in einer bestimmten Grenzüberschreitung von Traum und Realität. Aber je- Periode etlichen Cineasten den Glauben daran zurück- der Film von David Lynch stellt sich doch auch wieder gegeben hat, in der Black Box Kino könnten noch wirk- einem ganz anderen Problem, unternimmt etwas Neu- lich aufregende Dinge passieren, jenseits von Action, es, überrascht noch die treuesten Fans. Zu David Lynch Feelgood und traditioneller »Filmkunst«: David Lynch ist kann man nicht »zurückkehren«, wie man zu Federico einer der radikalsten Autoren des Films, einer, der auch Fellini, zu Blake Edwards, zu Akira Kurosawa oder John die Grenzen eines »Autorenfilms« überschreitet, was ja Ford zurückkehren konnte. Nicht einmal nach TWIN immer noch bedeutet, bestimmte Codes und Traditio- PEAKS konnte man so zurückkehren wie in eine nar- nen des Kinos, wenn auch in eigener Handschrift, zu rative Heimat. respektieren. Das Kunststück von David Lynch besteht In Franz Kafkas »Die Verwandlung« wird uns schon in einer Verbindung von Kunst und Film, die eindeutig im dritten Satz klargemacht: Es ist kein Traum. Auch von der Seite der Kunst her passiert. Hier hat die Kunst darin ähnelt Lynch diesem Poeten der Entfremdung, sich nicht ins Kino geschlichen, hier hat die Kunst das dass er zwar unentwegt Traum-Elemente zitiert und in Kino gekapert. Das ging, was die ästhetische Ökonomie Szene setzt, aber keine »Traumwelt«, auch keine Alp- dieser Verbindung anbelangt, ein paar mal erstaun- traumwelt erzeugt, aus der man ohne weiteres in die lich gut, und ein paar mal ist es, zum Leidwesen der Wirklichkeit zurückkehren könnte. Noch schmerzhafter Lynch-Gemeinde, auch gründlich schief gegangen. Da- als alle Visionen und Phantasien sind die direkten, sehr vid Lynch macht keine Filme für das Kino mehr, sagt er, präzisen Beziehungen zur äußeren Wirklichkeit. Wenn Franz Kafka sozusagen den Anbruch der Moderne (im Zweitens aber lassen sich David Lynchs Filme auch engeren Sinn) beschrieb, dann beschreibt David Lynch als eine fundamentale Form von Gesellschaftskritik ihr Ende. In beider Werk geht es um Personen, die in sehen. Dass die Ordnungen auf so kunstvolle Weise ihrer Welt nicht zuhause sein können, und denen fol- zum Zusammenbruch gebracht werden, heißt ja nicht, gerichtig das begehrte und vergiftete Geschenk von dass sie ihre Gewalt und ihren Wahn verloren haben. »Identität« verwehrt ist. Bei Kafka können sie des neuen Der Kampf, der in anderen Filmen auf der Straße oder Projekts, Industrialisierung, Anonymisierung, Auflösung anderen Räumen der sogenannten Wirklichkeit stattfin- von Gesetz, Text und Bestimmung in einer neuen Frei- det, spielt sich bei Lynch in einem Inneren ab, unter der heit, aber auch der Neuordnung von Schicksal, Wille Haut von Gesellschaft und Subjekt, in einer Form der und Entscheidung, noch nicht habhaft werden, bei psychischen Innenwelt, die sich von Sigmund Freuds David Lynch entzieht es sich ihnen; die Ordnung, die verlässlicher (und verlässlich neurotischer) Ordnung von den Dingen, von den Architekturen, der Sprache, von Über-Ich, Ich und Es befreit hat. den sozialen Mikroorganisationen, Familien und Nach- So lassen sie sich drittens als bizarre Seelentrips barschaften, von staatlichen und politischen Instanzen, Reisen durch deregulierte, aber keineswegs willkürli- sogar von Liebe und Zorn gebildet werden, diese Ord- che Innenwelten ansehen, als Begegnung mit Dämo- nungen verflüchtigen sich unter einem genauen Blick. nen und Gespenstern, von denen man nur eines sagen Und eben darum geht es in den Filmen von David kann: dass sie in ihrer Unerlöstheit sehr, sehr zornig Lynch. Um einen genauen Blick ohne Vertrauen auf die sind. Manche von ihnen gewinnen in diesem Zorn eine David Lynch Ordnungen. überwältigende Schönheit, andere wiederum eine selt- 22 Man kann vielleicht alle seine Filme unter fünf erst same, groteske Komik. einmal sehr unterschiedlich erscheinenden Aspekten Denn zum vierten sind David Lynchs Filme auch sehen: Erstens eine Dekonstruktion der filmischen ohne weiteres als sehr eigenwillige, manchmal dras- Konstruktionen und der Erzählcodes, die keineswegs tische, manchmal überaus subtile Komödien zu ver- aus einem Gestus der Überhebung und der Anmaßung stehen. Von Franz Kafka ist überliefert, dass er sich geschieht (als könne es einer radikalen cineastischen beim Vorlesen seiner Texte, bei denen sich andere vor Poesie einfach egal sein, was bisher geschah), son- Grauen und Trauer schüttelten, vor Lachen kaum halten dern vielmehr aus einer genauen Kenntnis und unter konnte. Wir können uns David Lynch so leicht wie als Anwendung erzpoetischer Techniken: Subversion, Iro- einen zornigen als einen lachenden Künstler vorstellen. nie, Überhöhung, Verfremdung, Dekontextualisierung, Und wenn man in seine bildnerische Arbeit jenseits Fragmentierung, Neukomposition. David Lynch ist ein von Film und Kino eintaucht, wird einem dieser Aspekt Künstler, der Scherben in die Luft wirft – und eine Vase des Scherze-Treibens mit dem Entsetzlichen noch viel kommt herunter. deutlicher. ERASERHEAD Zum fünften schließlich – und dabei lässt sich und sublime Slapstick-Variationen und schließlich als ein Wort verwenden, dass David Lynch mehrfach zur cineastische Form von abstraktem Expressionismus Selbstbeschreibung benutzte – kann man diese Filme und body art (nirgendwo sterben und leiden Menschen auch »abstrakt« verstehen. Also in einer Form der rei- kunsthafter als in Lynchs Filmen). nen Komposition filmischer Gestaltungsmittel (Person, Schauspieler, Raum, Zeit, Farbe, Bewegung, Sprache, Licht, Musik, Montage etc.), die nicht dazu verdammt sind, etwas (und sei es in Form von Mythos, Symbol, Allegorie, Satire, Maske etc.) abzubilden. Als könne ein filmisches Geschehen, wie ein Bild von Basquiat oder MULHOLLAND DRIVE Jackson Pollock, sozusagen direkt aus dem Kopf ei- nes Künstlers auf die Leinwand fließen. Oder es ist die Vollendung von Alfred Hitchcocks Idee einer »Orgel der Gefühle«: In David Lynchs Filmen kommen die Gefüh- Dreharbeiten zu le ganz direkt, ohne ein moralisches oder vernünftiges Skelett, und ohne eine unbedingt personale Identifika- tion über uns. Die Figur ist fremd und seltsam; das Ge- fühl, Zorn, Angst, Begehren, Sehnsucht, nah und direkt. All diese Möglichkeiten mögen in einem Satz zu- Natürlich kann man sich keinen David-Lynch-Film sammengefasst sein, den vielleicht wirklich nur David David Lynch vorstellen ohne »das Rätselhafte«. Damit ist nicht nur Lynch formulieren konnte: »We are living inside a 23 gemeint, dass jede Figur, die uns begegnet, voller dunk- dream«. Die Innenseite eines Traums – eine solche Per- ler biografischer Löcher steckt, vieles von dem, was sie spektive ist in jeder Hinsicht unmöglich. Es sei denn, sagen oder tun, Ursachen und Bedingungen (weit) au- man macht ein Kunstwerk daraus. Georg Seeßlen ßerhalb der Filmhandlungen haben müssen, sondern ein Erzählen, in dem fortwährend »harte Szenen« (ein In der Münchner Galerie Karl Pfefferle ist vom 8. September bis Geschehen im Augenblicklichen, vorwiegend von Alltag zum 4. November 2017 die Ausstellung »Smiling Jack« mit Fotos, und Gewalt) mit weichen Übergängen verbunden sind Papierarbeiten und Gemälden von David Lynch zu sehen. (Aussagen, Gesten und Einstellungen, die sehr vieles bedeuten können, nur nicht etwas Eindeutiges). Immer David Lynch: The Art Life | USA 2016 | R+B: Jon wieder ist es die schiere Dauer einer Einstellung, die Nguyen, Rick Barnes, Olivia Neergaard-Holm | K: Jason der Szene alles Verlässliche austreibt. Wenn konventi- S. | mit David Lynch | 88 min | OF | »Immer scheint onellere Filme gelegentlich