Berichte der Operntester zu »« am 29. März 2015

Parsifal – wer dieses fünfstündige Werk anschaut, braucht viel Geduld. An vielen Stellen zieht sich die Handlung in die Länge, die Vorgeschichte wird in aller Ausführlichkeit erzählt, religiöse Handlungen werden in einer nervenzehrenden Langsamkeit zelebriert. Auch dem Auge wird nicht viel Zerstreuung geboten: Die Inszenierung ist meist schwarz-weiß gehalten, symbolisch zwar, aber nicht besonders beeindruckend. Doch es lohnt sich, Geduld aufzubringen und sich in die Thematik zu vertiefen. Es geht um Schuld, aber in der heutigen Zeit passt der Begriff „Verantwortlichkeit“ besser. Es geht um Menschen mit besten Absichten, die plötzlich feststellen müssen, dass ihr Handeln schreckliche Konsequenzen hat. Ambitioniert zieht Amfortas, der König der Gralsritter, aus, um die böse Macht zu bekämpfen. Doch er lässt sich dabei den heiligen Speer entwenden. Dies fügt der ganzen Gralsgemeinschaft großen Schaden zu und stürzt Amfortas selbst in heftige Qualen. Auch für Parsifal, den Erlöser, beginnt der Auftritt, seine große Karriere, mit der Verursachung eines Schadens. Der Knabe, so unschuldig, dass er den Unterschied zwischen gut und böse nicht weiß, erlegt mit seinem Bogen einen Schwan – und plötzlich gerät das Orchester, dessen Musik bisher vor sich hingeplätschert hat, in einen großen Aufruhr. Nichtsahnend hat der Junge den heiligen Schwan der Gralsritter getötet. Interessanterweise ist dies die einzige Stelle, an der über eine Schuld hinweggesehen wird. Der Ritter Gurnemanz erkennt das Potential des Jungen, und anstatt ihn zu bestrafen, investiert er in ihn. Vielleicht gibt ihm diese Erfahrung die Kraft, später die Schuld von so vielen Menschen zu begleichen? Die Oper bräuchte viel mehr von solchen Stellen. Denn abgesehen von dieser Szene zeichnet sie das Bild von einer harten und unbarmherzigen Welt, in der jede Schuld gebüßt, jede Rechnung beglichen werden muss. Der Anblick dieser Welt weckt eine verzweifelte Sehnsucht nach Gnade, nach jemand, der sagt: Blöd, dass das passiert ist, aber es ist jetzt in Ordnung. Gäbe es diese Gnade, hätte die ganze Geschichte nicht diesen tragischen Verlauf genommen. Denn Klingsor, der „Böse“, wurde einst nicht in die Gemeinschaft der Gralsritter aufgenommen, weil er den selbstgerechten Rittern nicht gut genug, zu sündig war. Nur deshalb bekämpft er die Ritter nun so erbittert. Nun hat sich die Welt so tief in das System von Schädigung und Schadensanspruch hineingeritten, dass sie Parsifal braucht, den starken Mann, der alle Rechnungen begleicht. Am Ende bleibt der Wunsch nach mehr Menschlichkeit angesichts von menschlichem Versagen, eng verknüpft mit der Frage: Hätte es so weit kommen müssen?

Lydia Malsch

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Die Oper Parsifal in Frankfurt besticht durch eine große Besetzung und viele kreative Requisiten, viele Darsteller und atemberaubende Stimmen. Ein eindrucksvolles Opernerlebnis!

Nachdem sich der Vorhang geöffnet hat, überraschen zunächst raumhohe, teilweise offene Holzwände, welche die Kulisse für fast alle Szenen darstellen. Die Bühne ist ständig in Bewegung, viele Nebenhandlungen spielen sich im Hintergrund ab und dennoch ist die Oper klar nachzuvollziehen und kurzweilig. Das Leiden des Königs Amfortas durch die Enthüllung des Grals sowie die Gralszeremonie werden mimisch und gestisch ausdrucksstark dargestellt. Dies gelingt noch besser, da sich die Sänger auf der sich drehenden Opernbühne scheinbar schwerelos auf der Bühne auf der Stelle bewegen können.

Moderne sowie traditionelle Requisiten, wie beispielweise eine modische Handtasche mit hoffentlich heilsbringender Medizin für den Gralshüter, sorgen immer wieder für Akzente, insbesondere als Parsifal gegen Ende der Aufführung den Gral majestätisch hochhaltend auf der Drehbühne der stehenden Handtasche hinterherläuft und die Szene ad absurdum führt. Beide Male wird die Gralszeremonie überaus festlich und ausdrucksstark zelebriert, wirkt dabei jedoch fast schon übertrieben lächerlich. Parsifal wird von Gurnemanz aufgefordert, am heiligen Ort seine Waffen und Helm abzunehmen, während nur wenig später die Gralsritter den König mit Speeren bedrohen.

Unschuld und Torheit kommen wunderbar durch die weißen Gewänder des Königs, seines Vaters, einiger Jünglinge und natürlich Parsifal selbst, der durch seine langen hellen Haare noch eine höhere Dimension einnimmt, wieder. Im Gegensatz dazu treten die weiteren männlichen Rollen in schwarz auf.

Die Oper beeindruckt durch viele schöne Tänze und viele Sänger, eine große Anzahl an toll tanzenden, ganz in Rot gekleideten Blumenmädchen, viele Gralsritter und Statisten. Stimmlich können alle Sänger auf ganzer Linie überzeugen, für Überraschung sorgen Chöre, die scheinbar aus dem Hintergrund, sowie einmal im Solo auch aus den Publikumsrängen singen. Auch das Orchester spielt mit großer Besetzung, darunter zwei herausstechenden Harfen abwechslungsreich mit stilistischen Pausen. Da in Parsifal für eine Oper wenig gesungen wird, hat das Orchester viele fesselnde Klangeindrücke vermittelt. Trotz der langen Spieldauer bleibt es daher bis zum Ende spannend.

Simon Bats

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Drei Akte, zwei Pausen. So viel ist klar: als kurz lassen sich die Opern Richard Wagners nicht bezeichnen, auch sein Spätwerk Parsifal bildet in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Doch die pure Länge und Fülle an Stoff – man denke nur an 16 Stunden Ring – schrecken Operngänger nicht ab, ganz im Gegenteil. Der Frankfurter Parsifal, inszeniert von , erlebt bereits seine zweite Wiederaufnahme, so groß ist die Nachfrage und andauernde Begeisterung des Publikums. Der Inhalt erscheint aus heutiger Sicht zugegebenermaßen etwas weit hergeholt: der heilige Gral, ein „reiner Tor“ und eine sich nie schließende Wunde. Doch Wagner führt den Zuhörer schon in den ersten Takten des Vorspiels so glaubhaft und überzeugend in diese Welt ein, dass man überhaupt nicht nachfragen will. Wieso auch sollte man Handlungsstränge anzweifeln, die mit der Musik auf so wundersame Weise verschmelzen, dass sie selbst den Menschen des 21. Jahrhunderts plausibel erscheinen? Das Regieteam an der Oper Frankfurt kann sich glücklich schätzen, dass das Opernhaus nicht nur eine, sondern gleich zwei Drehbühnen besitzt. Diese werden die ganze Oper hindurch zum Schauplatz des Geschehens. Darauf aufgebaut erblickt der Zuschauer hohe Holzstäbe, wohl die Außenmauer der Gralsburg darstellend. Doch wirkt die Optik bedrückend, erst, wenn sich das Bühnenbild öffnet und den Blick auf die weite Innenfläche freigibt, wird deutlich, wie groß die gestalterischen Möglichkeiten sind und wie gekonnt jede Ebene ausgenutzt wird. Ob nun die Gralsritter – zum großen Teil von Statisten des Hauses verkörpert – kaum sichtbar durch den Innenraum huschen, Scheinwerfer halb verborgen aufblitzen oder Parsifal ganz alleine auf weiter Flur steht, jedes Bild ist beeindruckend. Auch die Personenführung von Seiten der Regie lässt nichts zu wünschen übrig, was das Liebesduett zwischen Parsifal und Kundry, welches sich beinahe durch den gesamten zweiten Akt zieht, zum Höhepunkt des Abends werden lässt. Die Sänger konzentrieren sich nicht bloß auf ihre Stimmen, können – trotz der gewaltigen Menge an Text, die jeder einzelne zu lernen hatte – ihr schauspielerisches Können unter Beweis stellen. Genau das fehlt heutzutage leider in vielen Inszenierungen, doch Christof Nel lässt seine Hauptpersonen geschickt und plausibel agieren. Als Parsifal brilliert Frank van Aken, der auch schon in der ersten Wiederaufnahme sang und den Frankfurtern vor allem als Siegmund aus dem Ring bekannt sein dürfte. Seine weiche Stimme passt perfekt zu dem unschuldigen Knaben, welchen er zu verkörpern hat. Auch Claudia Mahnke aus dem hauseigenen Ensemble ist eine Kundry, wie man sie sich nicht besser vorstellen kann. Ihrem klaren Mezzosopran sind viele Sternstunden in diesem Opernhaus zu verdanken.

Nele Schmitt

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