Umwälzung Per Gerichtsurteil
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IV. Revolution von oben: Wirtschaftliche und gesellschaftliche Umwälzung per Gerichtsurteil 1. Die Justiz unter dem Diktat der Planwirtschaft: Wirtschaftsstrafverordnung und die Bildung der Kontrollkommission Die Kritik der Thüringer Juristen an der WStVO An die Stelle des Gesetzes trat der Plan. Seit Ulbricht Ende Juni 1948 den Zwei- jahresplan für die Wirtschaft vorgestellt hatte, stand das Thema „Justiz und Zwei- jahresplan" auf der Tagesordnung aller Justizveranstaltungen und in den Spalten aller Zeitungen. Justizminister Hans Loch machte die Richter und Staatsanwälte in Thüringen für das Gelingen des Zweijahresplanes mitverantwortlich. Sie wur- den von ihm dazu aufgerufen, „Zweck und Geist des Zweijahresplanes restlos" zu erfassen1. Der Liberale Loch unterließ es aus Rücksicht auf die eigene Parteiklien- tel, offen auszusprechen, daß der Zweijahresplan den Übergang in die sozialisti- sche Planwirtschaft markierte. Damit die Justiz der ihr zugedachten Aufgabe gerecht werden konnte, erließ die DWK am 23. September 1948 eine „Verordnung über die Bestrafung von Ver- stößen gegen die Wirtschaftsordnung". Das Verlangen nach einer für alle Länder der SBZ einheitlichen Wirtschaftsstrafverordnung war in Justizkreisen schon seit längerer Zeit geäußert worden, da die zahlreichen geltenden wirtschaftsstrafrecht- lichen Bestimmungen eine einheitliche Rechtsprechung unmöglich machten2. Die von der DWK erlassene Verordnung jedoch stieß bei der großen Mehrheit der Thüringer Juristen auf größte Bedenken. Die Justiz war zunächst in die Ausarbeitung der Verordnung überhaupt nicht eingeschaltet worden. Nicht die DJV, sondern die Zentralverwaltung für Industrie präsentierte bereits im Sommer 1947 einen Gesetzentwurf über die Bestrafung von Wirtschaftsvergehen, in dem sie weder ihre mit dem Entwurf verbundene po- litische Zielsetzung noch ihr Mißtrauen gegenüber der Justiz verbarg3. Der von Richard Lange in einer gutachterlichen Stellungnahme scharf kritisierte Entwurf enthielt eine Fülle von Blankettvorschriften, die beliebig ausgelegt werden konn- 1 Hans Loch, Justiz und Zweijahresplan, in: Tageblatt vom 7. 9. 1948. 2 Thüringer Niederschrift über die Dienstbesprechung der Oberstaatsanwälte Thüringens am 23724.6. 1948 im OLG Gera, ThHStAW, GStA Erfurt 467. ' Zentralverwaltung für Industrie, Entwurf eines Gesetzes über die Bestrafung von Wirtschaftsver- gehen vom 10. 7. 1947, ThHStAW, GStA Erfurt 1111/2. 164 IV. Umwälzung per Gerichtsurteil ten und das in erster Linie nicht einmal durch die Justiz, sondern durch die für Wirtschaftsfragen- zuständigen Minister und Verwaltungen. Der Entwurf der Zen- tralverwaltung für Industrie machte das Wirtschaftsstrafrecht primär zu einer Verwaltungsangelegenheit. Den Antrag auf Verfolgung eines Wirtschaftsstrafver- gehens konnte der zuständige Minister, also die Minister für Wirtschaft, für Han- del, für Versorgung und Landwirtschaft oder Dienststellen und Organe der Wirt- schaftsverwaltung, die von ihm dazu ermächtigt wurden, stellen. Er entschied auch über die vorläufige Festnahme eines Verdächtigen und die Ausstellung eines Haftbefehls. Auch stand ihm ebenso wie dem Staatsanwalt das Recht zu, Rechts- mittel einzulegen. Der Richter hatte nur über die Freiheitsstrafe zu entscheiden, während die Verwaltungsbehörde die Höhe der Geldstrafe festsetzen konnte. Wer § 12, Abs. 4 las, erkannte politische Absicht und Ziel der Verfasser des Entwurfes: „Im Anschluß an eine Verurteilung wegen Wirtschaftsverbrechens kann dem Täter die Einziehung des gesamten in der Sowjetischen Besatzungszone befind- lichen Vermögens als Buße auferlegt werden."4 Richard Lange machte sich keine Hoffnung, daß seine juristisch untermauerten Bedenken bei der Zentralverwaltung für Industrie auf Gehör stießen. Er wollte die Justizverwaltungen der Länder mit der Ausarbeitung einer Gesetzesvorlage betrauen5, was freilich politisch nicht durchzusetzen war. Föderalismus gab es nur, wo er mit den Zielen der Machthaber nicht kollidierte. Die DWK legte den kaum geänderten Entwurf im Dezember 1947 den Länderjustizministerien erneut zur Stellungnahme vor. Lange verbarg seine Meinung nicht mehr länger hinter ju- ristischer Detailkritik, sondern lehnte den Entwurf in toto als rechtsstaatswidrig ab: „Eine so schrankenlose Auslieferung der Wirtschaft an das freie Ermessen der Verwaltung ist überhaupt noch nicht dagewesen. Man muß sich einmal klar ma- chen, was das praktisch bedeutet. Bei der unübersehbaren Fülle der Bestimmun- gen [...] sind Verstöße auch für den Redlichsten unvermeidlich. Ob sie fahrlässig begangen worden sind, bestimmt die Verwaltung, für die das Recht nur Schranke, aber nicht Richtschnur ist, ohne richterliche Kontrolle. [...] Völlig indiskutabel sind die Bestimmungen des dritten Abschnitts des Entwurfs, die den Richter zu einem bloß ausführenden Organ des Ministers machen und die damit jede wirk- liche Rechtspflege, zu deren Begriff die sachliche Unabhängigkeit verfassungs- gemäß gehört und die uns durch eindeutige Kontrollratsbestimmungen in ihren Mindestvoraussetzungen unabänderlich vorgeschrieben ist, illusorisch machen."6 Die Verlagerung justitieller Zuständigkeiten auf die Verwaltung, die bereits die NS-Machthaber sich politisch zunutze machten, kennzeichnete auch das von der Zentralverwaltung für Industrie bzw. DWK verordnete Wirtschaftsstrafrecht. Friedrich Kuschnitzky, Hermann Großmann und Karl Schuhes pflichteten Lange bei7. Schuhes versuchte auf einer Tagung des Ausschusses für Rechtsfragen beim ZS in Berlin Anfang Januar 1948, die Einsicht dafür zu wecken, daß die zahlrei- chen Blankettvorschriften dazu führen mußten, daß der „gute Bürger" sich kaum 4 Ebd.,S. 9. 5 Richard Lange an die des 15. 8. 1947. Ebd. 6 Gesetzesabteilung MdJTh, Richard Lange an das MdJTh, 19. 12. 1947, ThHStAW, MdJ 171. 7 GStA Kuschnitzky an MdJTh, 27. 12. 1947, ThHStAW, GStA Erfurt 1111/2; Senatspräsident Großmann an OLG-Präsident, 22.12. 1947, ThHStAW, MdJ 171. 1. Wirtschaftsstrafverordnung und Kontrollkommission 165 mehr darüber Klarheit verschaffen könne, „weshalb er eigentlich bestraft wird". Die Befugnisse der Verwaltung gingen ihm entschieden zu weit: „Das ist eine Überschätzung des Opportunitätsprinzips, die vollkommen vom Legalitätsprin- zip abweicht, das einer Demokratie doch wohl etwas mehr zu Grunde gelegt wer- den sollte."8 Schuhes hatte guten Grund, vor einer weiteren Aushöhlung des Anklagemono- pols der Justiz zu warnen. Die Praxis des Ordnungsstrafverfahrens hatte in Thü- ringen schon in den zurückliegenden Jahren rechtsstaatswidrige Formen ange- nommen. In Ordnungsstrafbescheiden wurden in unzulässiger Weise Geschäfts- schließungen und Geldstrafen in Höhe von über 100000,- RM ausgesprochen. Ein thüringischer Preisamtsleiter erließ die Anordnung: „Soweit Ordnungsstraf- bescheide wegen Formfehler aufgehoben werden müssen, wäre eine Erhöhung des Strafbetrags bei Neufestsetzung der Ordnungsstrafe zu erwägen."9 Wirt- schafts- und Verwaltungsdienststellen versuchten, die Justiz auszuschalten, der sie zu milde Urteile bei Wirtschaftsvergehen vorwarfen. Das thüringische Landesamt für Handel und Versorgung hatte bereits 1946 gefordert, daß über die Verfolgung einer Wirtschaftsstraftat nicht die Justiz, sondern die Verwaltung zu entscheiden habe10, sich aber mit diesem Verlangen gegenüber der Justiz nicht durchsetzen können. In der Praxis freilich lag es weitgehend im Belieben der Ordnungsstraf- behörden, welche Verfahren sie zur gerichtlichen Strafverfolgung abgaben11. In Einzelfällen kam es zu Absprachen zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Ministerium für Handel und Versorgung über das zu verhängende Strafmaß12. Die von der SED dominierte DWK mußte aufgrund der Einwände der Länder- justizministerien einige Abstriche an ihrem ursprünglichen Entwurf vornehmen. Nach § 21 der Wirtschaftsstrafverordnung vom 23. September 1948 oblag jedoch weiterhin dem zuständigen Minister oder der von ihm ermächtigten Dienststelle die Entscheidung darüber, „ob ein Wirtschaftsstrafverfahren durchzuführen oder das Verlangen auf gerichtliche Strafverfolgung zu stellen ist". Durch Wirtschafts- strafbescheid konnten Geldstrafen in Höhe bis 100000,- DM ausgesprochen wer- den13. Der zuständige Minister konnte allerdings nicht mehr, wie ursprünglich vorgesehen, vorläufige Festnahmen und Haftbefehle anordnen. Keinen Erfolg hatte die Kritik der Juristen an § 1 des Entwurfs, der jede Kasuistik vermissen ließ. Die für die Außerkraftsetzung geltenden Rechts in diktatorischen Systemen übli- chen Generalklauseln brachen die rechtlichen Schranken, die willkürlichen Ver- mögenseinziehungen im Wege standen: „Wer", so hieß es da, „die Durchführung der Wirtschaftsplanung oder die Versorgung der Bevölkerung dadurch gefährdet, daß er vorsätzlich 1. entgegen einer für ihn verbindlichen Anordnung einer Dienststelle der Wirtschaftsverwaltung die Herstellung, Gewinnung, Verarbei- tung, Bearbeitung, Beförderung oder Lagerung von Rohstoffen oder Erzeugnis- 8 Stenographische Niederschrift über die dritte Tagung des Ausschusses für Rechtsfragen beim ZS der SED am 3. 1. 1948, S. 75f., SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/13/406. 9 Heinrich an den 23. 1. 1948, ACDP HI-031/58. 10 Olep Landtag Thüringens, Landesamt für Handel und an Landesamt für 7. 8. 1946, 233. 11 Versorgung Justiz, ThHStAW, MdJ GStA an MdJTh, 27.12. 1947, ThHStAW, GStA Erfurt 1111/2. 12 Kuschnitzky Ministerium für an GStA Gera, 3. 9. 1948, ThHStAW, 235. 13 Versorgung MdJ Verordnung über die Bestrafung von Verstößen gegen die Wirtschaftsordnung vom 23. 9. 1948, ZVB1. 1948, Nr. 41, S. 439. 166 IV. 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