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01 2018 AUSLÖSER Filmverband Sachsen

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Mediencampus Villa Ida Leipzig www.filmverband-sachsen.de NEUER HELD SERIE

TOM WLASCHIHA IM INTERVIEW 06 „“ setzt neue Maßstäbe SERIELLE FORMATE IN SACHSEN 12 Serien im Aufwind 68. BERLINALE 19 Mitteldeutsche Produktionen international attraktiv MDM geförderte Filme im Kino:

Vor dem Frühling Regie: George Owaschwili

Der Hauptmann Regie: Robert Schwentke

Die Sanfte Regie: Sergei Loznitsa

www.mdm-online.de EDITORIAL 1

Da muss man nicht erst auf jemanden wie Tom Wlaschiha verweisen, der aus der hiesigen Pro- vinz heraus mit „Game of Thrones“ zum gefei- erten internationalen Serien-Star geworden ist. Unbedingt verweise ich aber auf unser Interview mit ihm (ab Seite 6), in dem er über seine Erfah- rungen mit Serien und ihren entwicklungsfähi- gen Stand in Deutschland spricht. Vielleicht liegt der Erfolg auf der Insel eher daran, dass man dort bereit ist, mehr auf interna- tional vermarktungsfähige Qualität zu setzen als auf national-regional quotenträchtige Kurzwei- ligkeit. Daran, dass die Programmmacher ihren Zuschauern zutrauen, einer Geschichte nicht nur Liebe Mitglieder und Freunde des einen kurzen Abend lang zu folgen und Serien Filmverbands, liebe Leser, dort standardmäßig die Primetime-Sendeplätze besetzen. ich bin ein klarer Befürworter unseres öffent- Aber ich will mit hoffnungsvoller Freude auf lich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland und die guten Entwicklungen – und unsere Artikel ab auch seiner steuerunabhängigen (und damit Seite 12 – verweisen, die wir ja auch hierzulande prinzipiell regierungsunabhängigen) Finanzie- inzwischen bemerken können und an denen Pro- rung über Beiträge. Ich finde auch, dass wir für duzenten aus Sachsen und Mitteldeutschland, diese ein überaus vielfältiges und breites Ange- auch auf internationalem Niveau, beteiligt sind. bot bekommen. Und trotzdem bin auch ich schon Auf absolut internationalem Niveau arbei- seit Jahren bereit noch einmal ein paar weitere ten übrigens auch eine ganze Reihe hiesiger Ki- Euro in Angebote zu investieren, die ich hier ein- nofilm-Produzenten. Spektakuläre Preise sind fach vermisst habe. Seither kann ich über die Me- immer wieder Beleg dafür. Der Vorstand des diathek der BBC deren aktuelles Programm anse- Filmverbandes gratuliert herzlichst der Leipziger hen. Mir geht es nicht so sehr um „Strictly Come Rohfilm Productions zum Goldenen Bären der Dancing“ – ja, auch bei der BBC wird viel Geld für 68. Berlinale für den von ihnen mit entwickel- pure Unterhaltung ausgegeben – sondern um de- ten und produzierten Siegerfilm „Touch me not“. ren phantastische Serien, dokumentarische und Mehr darüber auf Seite 19. fiktionale. In den zehn Staffeln der Serie „Coast“ – jeweils zehn Folgen à 60 Minuten – über die Ich wünsche ein anregendes Lesevergnügen. britischen Küsten, ihr Aussehen, ihre Geschich- te, ihre Geografie, die Biologie im Wasser und auf dem Land, das Leben der Menschen an ihnen etc., habe ich staunend gesehen, wie lebendig und un- terhaltsam, wie optisch beeindruckend und in- haltlich tiefsinnig man Heimat zeigen und erzäh- len kann, ohne einen Augenblick langweilig zu werden. Fiktionale Serien wie „Tudors“, „Spooks“, Ihr Joachim Günther „Ripper Street“, „Last Kingdom“, „The Fall“, „Taboo“ oder jüngst „Requiem“ haben mich nicht nur an so manchem Abend das inspirationsarme Pro- grammangebot hiesiger Provenienz vergessen lassen, sondern auch immer wieder ein bisschen neidisch auf die „story telling skills“ und den „pro- duction value“ der Kollegen dort blicken lassen. Ich glaube nicht daran, dass die Produzenten dort viel schlauer und die Schauspieler viel besser sind als hier. 2 INHALT

© Rohfilm Factory, Prokino, Peter Hartwig

„3 Tage in Quiberon“ von Regisseurin Emily Atef – mit Marie Bäumer als Romy Schneider (rechts) – wurde von Rohfilm Factory produziert und lief im Wettbewerb auf der 68. Berlinale.

In diesem Heft

EDITORIAL 01 FESTIVALS International attraktiv 19 MITGLIEDERPORTRAIT Mitteldeutsche Produktionen waren in diesem Im Fuchsbau 03 Jahr auf der Berlinale so präsent wie selten Produzentin Katharina Weser von Reynard zuvor Films Einmal 30 plus zweimal 15 22 INTERVIEW Die diesjährige Filmfestsaison wartet mit „Diese Serie hat fürs Fernsehen 06 neuen Personalia, neuen Preisen und neuen ganz neue Maßstäbe gesetzt“ Orten auf „Game of Thrones“-Darsteller Tom Wlaschiha im Interview FOKUS Vorhang auf für das Erzgebirge 24 THEMA Ein filmliterarischer Streifzug Serien im Aufwind 12 Serielle Formate in Sachsen MITGLIEDERPORTRAIT Gemeinsam im Konflikt 29 Geschichte in Serie 16 Der Regisseur und Drehbuchautor Olaf Held Dokumentarische Serienentwicklung bei LOOKSfilm AKTUELLE TERMINE 33 IMPRESSUM 33

Cover: Schauspieler Tom Wlaschiha in der HBO-Serie „Game of Thrones“. In Deutschland wird die Serie auf Sky ausgestrahlt. © 2018 Home Box Office, Inc. MITGLIEDERPORTRAIT 3

An der richtigen Strahlkraft der Materie im VR Game zur Webserie „Biolumineszenz“ sorgt derzeit das Studio prefrontal cortex in Halle.

Produzentin Katharina Weser von Reynard Films Im Fuchsbau

Text: Sabine Kues Fotos: Reynard Films, Filmakademie Baden-Württemberg / La Fémis

ine dunkle Höhle. Nur die Scheinwerfer gelegt. Die Serie soll die Vloggerin Liz Clarke bei meines Tauchboots streuen Licht in der ihren Entdeckungen in die Tiefen der Meere be- Dunkelheit der Tiefsee. Plötzlich leuch- gleiten und ist irgendwo zwischen wissenschaft- E ten Punkte mal heller mal weniger hell lichen Fakten und Science Fiction einzuordnen. an den felsigen Höhlenwänden auf. „Weniger Zielgruppe ist in erster Linie ein junges Publikum, stark“ höre ich Abel auf Englisch sagen. Ich neh- die Millennials. Mit einem Teaser im Gepäck ver- me die Virtual Reality Brille von Vice ab und sehe suchten sie, die Serie auf den internationalen wieder das Büro von prefrontal cortex vor mir. Markt zu bringen: „Wir haben festgestellt, dass An zwei großen Monitoren sitzt Felix Herbst, der Enthusiasmus für die Idee super groß ist, Entwickler bei der jungen Firma mit Sitz im aber die Sender würden es gerne günstiger ma- DesignHaus Halle und tippt neue Werte ein. Ne- chen. Das geht natürlich überhaupt nicht, wenn ben ihm hat VFX-Regisseur Abel Kohen Platz man einen gewissen Grad an fotorealistischer genommen und gibt Anweisungen, wie hell die 3D-Animation haben will.“ Daher möchten sie Materie an den Wänden leuchten soll – die Bio- vorerst nur ein entkoppeltes VR-Game mit star- lumineszenz. Hinter mir steht die Produzentin ken narrativen Elementen produzieren, denn die Katharina Weser und ist, wie ich, ganz in die Tief- Ansprüche an ihr Produkt wollen sie nicht her- seewelt versunken. unterschrauben. Die beiden Jung-Entrepreneure Mit der jungen Produktionsfirma Reynard bleiben standhaft: „Wir ziehen halt durch, was Films in Leipzig, die sie mit ihrem Partner Georg wir machen wollen und gleichen uns nicht so Neubert vor zwei Jahren gründete, ist sie Produ- sehr ans System an“, hält Katharina fest. zentin des Projekts von Showrunner Abel Kohen. In ihrem dritten Firmenjahr entwickeln und Was hier Ende Januar vor meinen Augen gerade produzieren sie bereits eine Bandbreite an Pro- entsteht ist ein „Proof of Concept“, wie mir Katha- jekten. Neben der Projektförderung für die rina erklärt, das dabei helfen soll, Gelder für die Webserie „Biolumineszenz“ arbeitet Katharina Produktion des VR Games zu akquirieren. gemeinsam mit der Regisseurin Sandrina Koppitz „Biolumineszenz“ war zunächst als Webserie an ihrem ersten langen Dokumentarfilm „Mala inklusive einer Virtual Reality (VR) Episode an- Aria“. Mit der Filmidee wurden sie und Sandrina 4 MITGLIEDERPORTRAIT

Der Kurzfilm „Stell dich tot“ entstand im Rahmen des Aufbaustudiengangs „Atelier Ludwigsburg-Paris“ und lief u. a. auf dem BFI Film Festival in London und dem Festival du Court-Métrage de Clermont-Ferrand. für das Trainingsprogramm Masterschool des Do- In Sachsen sieht Katharina eine „dankbare Regi- cumentary Campus ausgewählt – trotzdem beide on für Kurzfilm“ – auch gerade wegen der vielen verhältnismäßig unerfahren waren. Gerade des- kleinen Fördermöglichkeiten. Derzeit entwickelt halb haben sie besonders von der Teilnahme pro- Reynard Films noch zwei Animationsfilme die fitiert und eine steile Lernkurve hinter sich. Für in Kooperation mit arabischen Regisseuren ent- den Dokumentarfilm über Malaria und warum stehen: die Stop-Motion-Puppentrick-Animation die Krankheit weiterhin unbesiegt bleibt, schick- „R.I.P. – Rest in Piece“ und „The Key“, eine Anima- te Katharina die Regisseurin um den Jahreswech- tion mit Live-Action-Elementen. Letztere befin- sel erneut mehrere Wochen auf Recherchereise det sich bereits in Produktion. nach Afrika. Die bunte Mischung, u. a. aus Live Action und Für andere Filmideen, die Katharina mit ihrem Animation, ist eine Leidenschaft, die Katharina Partner gemeinsam entwickelt, ist wiederum be- mit ihrem Firmenpartner teilt: „Ich denke über- reits die erste Klappe gefallen: Im März begann haupt nicht in Kategorien: Das ist der Autor, das der Dreh für den Kurzfilm „Der Kupfermann“ ist der Regisseur, das ist der Produzent. Und ich über einen einsamen Mann, der sich einen Tau- denke auch nicht in Kategorien von wegen: Das cheranzug aus Kupfer baut. Der Kurzfilm war die ist Animation, das ist Live-Action und das ist erste Filmidee aus der Feder von Reynard Films Dokumentarfilm. Ich fand es schon immer span- und erhielt beim zweiten Anlauf im letzten Jahr nend, wenn sich die Genre ein bisschen über- nun endlich die Filmförderung, die er verdient schneiden.“ hat. Ein ganz besonderes Projekt auch deswegen, Kennengelernt haben sich die jungen Fir- da Katharina und Georg nicht nur das Drehbuch mengründer beim Aufbaustudiengang „Atelier gemeinsam geschrieben haben, sondern auch Ludwigsburg-Paris“ für angehende Filmprodu- in Co-Regie drehen. Damit kommen beide eben- zenten. Mit nicht mal 30 Jahren gründeten sie falls ihrem Ziel näher, sich perspektivisch in die Reynard Films Anfang 2016 in Leipzig. Seitdem künstlerischen Tätigkeitsfelder der Filmproduk- haben sie bereits viele Mischformen gemeinsam tion zurückziehen zu wollen; vornehmlich als erprobt. Zukünftig würde die studierte Jour- Ideengeber und (Co-)Autoren. nalistin jedoch einmal ein Animadokfilm oder MITGLIEDERPORTRAIT 5

„RIP - Rest in Piece“ kehrt metaphorisch den inneren Konflikt und Identitätsverlust einer Flucht nach Außen. Eine Stop-Motion-Puppentrick-Animation von Regisseur Antoine Antabi.

Der Start war nicht einfach, aber im dritten Jahr zeichnet sich der Erfolg so langsam auch in Zah- len ab. „Man wird nirgends mit offenen Armen empfangen, denn die Branche ist gesättigt,“ er- klärt Katharina, ergänzt jedoch die Vorteile der preiswerten Region und den guten Kontakten zu den Förderern: „Ich kenne zumindest nieman- dem, dem in Berlin das möglich ist, was wir hier machen.“ Als Nächstes träumt die Produzentin schon von einer langen Serie, an der Georg gemeinsam mit einem Leipziger Autoren arbeitet. „Es spielt in einer Zeit oder einer Welt, wo die Grenzen zwi- Produzentin Katharina Weser schen Realität und Zauberei noch ein bisschen verschwommen sind“, fasst Katharina kurz zu- -serie reizen: „Ich finde es langweilig, nur die Re- sammen. Mehr will sie jetzt noch nicht verraten alität abzubilden. Wenn ich das gewollt hätte, und widmet sich vorerst wieder der Tiefseewelt, hätte ich auch Journalistin bleiben wollen. Was die im Raum nebenan gerade zum Leben erweckt mich am Dokumentarfilm interessiert, ist nicht wird. n nur, die Realität abzubilden, sondern ein Gesamt- kunstwerk zu schaffen, das eine ganz besondere Sicht abgibt.“ reynardfilms.tumblr.com 6 InterviewsINTERVIEW

„Game of Thrones“-Darsteller Tom Wlaschiha im Interview „Diese Serie hat fürs Fernsehen ganz neue Maßstäbe gesetzt“ INTERVIEW 7

Interview: Sabine Kues Fotos: © 2018 Home Box Office, Inc., Nik Konietzny/Bavaria Fiction GmbH

Den ersten Serientod starb Tom Wlaschiha in der MDR-Serie „In aller Freundschaft“. Mittlerweile muss man um sein Leben in der Serie „Game of Thrones“ bangen. In wenigen Serien wird so viel gestorben wie in der HBO-Serie aus den USA. Auf der Berlinale erwischten wir den gebürtigen Sach- sen zwischen zwei laufenden Dreharbeiten und sprachen mit ihm darüber, wie Serienrollen seine Karriere prägten, wie er die Entwicklungen in der Film- und Fernsehbranche sieht und welchen Serien er selbst verfallen ist.

An welchen Filmproduktionen arbeitest du zur- allen acht Folgen Regie geführt. Ich kannte vor- zeit? her seine Filme „Das finstere Tal“ und „Maximi- Bis vor zwei Wochen habe ich einen chinesi- lian“. Er ist ein unglaublich genauer Beobachter schen Kinofilm in Schanghai gedreht. Der Ar- und offen dafür, am Set Dinge auszuprobieren. Es beitstitel ist „Saturday Fiction“ von Regisseur Lou war eine große Freude mit ihm zu arbeiten. Ye. Es geht um den Vorabend von Pearl Harbour in Schanghai – das im Zweiten Weltkrieg unter Von der Serie wird es dann auch nur die acht japanischer Besatzung steht – und die ganzen Folgen geben? Mächte, die dabei mitspielen. Das ist eine Art Ja, da muss man mal gucken. Bei einer Serie gibt Spionagethriller. Ab nächster Woche drehe ich es ja immer die Möglichkeit, den Stoff weiterzuer- einen dänischen Kinofilm mit dem Arbeitstitel zählen. Jetzt sind aber zunächst die acht Folgen „In Love and War“ von Kasper Torsting. Der Film angelegt. spielt im Ersten Weltkrieg in einem kleinen Dorf an der Grenze zwischen Dänemark und Deutsch- land. Als Deutscher muss man sich damit abfin- Als Deutscher muss man sich damit den, dass man ab und zu mal eine Uniform anzie- abfinden, dass man ab und zu mal eine hen muss, wenn man international arbeiten will. Uniform anziehen muss, wenn man Es gibt ja auch durchaus gute Rollen – in Uniform. international arbeiten will. Es gibt ja

In der neuen Serie „Das Boot“ trägst du sicherlich auch durchaus gute Rollen – in Uniform. auch eine Uniform. Nein, da spiele ich einen Polizeikommissar, und in Und du bist dann quasi … Shanghai war ich mal Zivilist. (lacht) „Das Boot“ Tot? (lacht). haben wir letzten Herbst gedreht. Eine tolle Produktion. Ich finde gut, dass es keine Neuver- Nein, länger dabei … (lacht) filmung des Filmklassikers ist – der wäre auch Also ich bin von Anfang bis Ende dabei. schwer zu toppen. Film und Serie basieren im Prinzip beide auf dem Buch von Lothar-Günther Du kommst eigentlich vom Theater und bist erst Buchheim. In unserer Geschichte liegt der Fokus über Fernsehserien zum Film gekommen? nicht nur auf dem U-Boot, sondern es wird ein Nachdem ich in Dresden vom „theater junge breiteres Panorama des U-Boot-Krieges im Zwei- generation“ weg bin, war eines meiner ersten ten Weltkrieg erzählt. In meiner Rolle war ich – Angebote „Die Rettungsflieger“ für das ZDF. Ein Gott sei Dank, denn ich bin nicht sehr seefest – Glücksfall für mich, da es gleich eine große durch- hauptsächlich an Land dafür zuständig, mich mit gehende Rolle war, und ich viel lernen und aus- der Résistance in Frankreich rumzuschlagen und probieren konnte. Viel arbeiten hilft immer, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen. besser zu werden. Es ist ja leider immer noch so, dass Schauspielschulen sehr auf Theater fokus- Quasi eine Bösewicht-Rolle? siert sind und das Spiel vor der Kamera zu kurz Gut und Böse sind sehr einfache Kategorien. Aus kommt, obwohl es völlig unterschiedliche Tech- der Figurenperspektive ist jeder ein Guter. (lacht) niken erfordert. Die muss man sich dann selbst Man muss jede Figur so spielen, dass ihre Motiva- beibringen, und da ist so eine Serienrolle natür- tion klar wird, auch wenn diese manchmal mo- lich ein Glücksfall. ralisch fragwürdig ist. Andreas Prochaska hat bei 8 INTERVIEW

Als Jaqen H’ghar ist Tom Wlaschiha seit 2012 in der HBO-Serie „Game of Thrones“ zu sehen. In Deutschland wird die Serie auf dem Pay-TV-Sender SKY ausgestrahlt.

Die Frage hast du schon unendliche Mal gehört: Sprachcoaching gemacht und versucht, Kontakte Wie hast du letztlich deine Rolle bei „Game of zu knüpfen. Man hat aber in diesem Beruf we- Thrones“ bekommen? nig Kontrolle darüber, was wann passiert. Das Keine Ahnung, habe ich vergessen. (lacht) Ich kann einen manchmal wahnsinnig machen. habe mir irgendwann eine Agentur in London Letztendlich ist sehr viel zufalls- und glücksab- gesucht, weil ich mit der Auftragslage hier nicht hängig. Talent kann nicht schaden, aber reichen zufrieden war, und da war das „Game of Thro- tut es allein nicht. nes“-Casting eines von vielen, die ich gemacht habe. Ein sogenanntes E-Casting in der ersten Am bekanntesten wurdest du jedoch durch dei- Runde, bei dem man sich selbst aufnimmt. Das ne Rolle in „Game of Thrones“. Wird es langsam wird heutzutage oft so gemacht. Und aufgrund anstrengend, in der Öffentlichkeit auf diese Rol- dieses Videos wurde ich dann zu einem persönli- le reduziert zu werden? chen Gespräch eingeladen und habe die Rolle Nein, ganz nüchtern betrachtet bin ich „Game of bekommen. Thrones“ extrem dankbar. Mit dieser einen Rolle – so absurd wie es ist – hat sich mein komplettes Du hast auch vorher schon in internationalen berufliches Leben sehr stark verändert. Dadurch, Produktionen gearbeitet. Wie hast du diesen dass die Serie so extrem erfolgreich ist und über- Sprung geschafft? all auf der Welt geschaut wird, bekomme ich Das habe ich hauptsächlich meinem englischen plötzlich viel mehr Angebote. Von einem gewis- Agenten zu verdanken. Ich habe schon auch ver- sen Bekanntheitsgrad lebt man natürlich auch als sucht, das zu forcieren – soweit man das selbst Schauspieler. kann – habe eine Zeit lang in London gelebt, viel Was glaubst du, macht die Faszination Serie aus? Man muss jede Figur so spielen, dass ihre Na ja, da wurde ja schon viel analysiert. Ich glau- be, der Reiz der Serie besteht darin, dass verstärkt Motivation klar wird, auch wenn diese horizontal erzählt wird. Das heißt, es sind nicht manchmal moralisch fragwürdig ist. immer abgeschlossene Folgen – wie es das Öf- INTERVIEW 9

fentlich-Rechtliche gerne noch in Deutschland Talent kann nicht schaden, aber macht – sondern es sind epische Geschichten, die in großen Bögen erzählt werden. Sie sind sehr auf reichen tut es allein nicht. die Hauptfiguren konzentriert und weniger auf den wöchentlichen Kriminalfall. Das hat einfach ist es für neue Regisseure, die ans Set kommen, den Vorteil, dass man bei so einer Serie extrem in wichtig, auch den Schauspielern zu vertrauen. die Tiefe gehen kann, was die Figurenzeichnung Die wissen am besten, was sie bisher gespielt ha- anbelangt, und man generell viel mehr erzählen ben. kann, als in 120 Minuten Kinofilm. Wobei ich nicht sagen würde, dass die Serie das Kino ablöst. Wartest du dann auch auf die fertige Staffel, Beide stehen für mich völlig gleichberechtigt ne- um dir das finale Produkt ansehen zu können? beneinander. Ich schaue mir meist die ganze Staffel hinterei- nander an, wenn alle Folgen gesendet wurden. Ist es für dich spannender, solch eine Figur in Ich kenne ja im Prinzip die Handlung, aber bin einer Serie zu spielen, die über längere Zeit wei- dann doch oft überrascht, wie bestimmte Sa- terentwickelt wurde? chen umgesetzt wurden. Diese Serie hat fürs Per se finde ich das natürlich spannender. Aller- Fernsehen ganz neue Maßstäbe gesetzt: Die gan- dings weiß man als Schauspieler, wenn man bei zen Schlachtenszenen, was da mit der Kamera so etwas zusagt, selten, wie lange man überhaupt gemacht wurde … das ist schon großartig. Auch dabei ist – oder überlebt. Es gibt am Anfang im- wenn ich nicht dabei wäre, fände ich es, glaube mer Ideen, die man erfährt, aber, ob das dann ich, toll. wirklich so passiert, weiß man nicht. Ich suche nicht nach Genre aus, sondern danach, ob mich Gerade ist die 7. Staffel herausgekommen und eine Rolle interessiert. Es gibt nur gute Drehbü- demnächst kommt die 8. Staffel … cher und schlechte Drehbücher. Von daher gucke Ich bin in der 2., der 5. und der 6. Staffel bisher ich eher, wo ist eine Rolle, die interessant ist, die dabei gewesen. Was genau willst du wissen? gebrochen ist, die vielschichtig ist, wo wird eine (lacht) spannende Geschichte erzählt. Wie reißt du dich zusammen, dass du nichts Wie ist das, mit mehreren Regisseuren bei einer verrätst, was du nicht sagen darfst? Serie zu arbeiten? Hast du das Gefühl, es bricht gleich aus mir he- Gerade im amerikanischen System wechseln die raus? (lacht) Nein, das ist gar nicht so schwierig, Regisseure mit jeder Folge oder jeder Zweiten. nichts zu verraten. Ich sage einfach nichts. Das Das macht aber eigentlich nichts. Zum einen sind ist ja nicht nur bei „Game of Thrones“ so, son- die Drehbücher und die Charaktere so stark ge- dern generell bei jeder Serie und jedem Film. schrieben, da – sage ich mal so salopp – kann man Bei „Game of Thrones“ wird man mehr gefragt, auch als neuer Regisseur nichts kaputtmachen. natürlich. Fans versuchen einen gerne auch mal Zum anderen haben beim amerikanischen Sys- mit Fangfragen auszutricksen. Aber da bin ich tem die Regisseure nur eine begrenzte kreative mittlerweile geübt drin. Ich möchte auch selbst Macht. Sie sind hauptsächlich dafür verantwort- nichts vorher verraten bekommen – dann brau- lich, die jeweilige Folge zu drehen, und es ist der che ich es mir ja nicht mehr anzugucken. Showrunner, der den kreativen Überblick hat. Bei „Game of Thrones“ ist es so, dass man bei- „Game of Thrones“ ist eine Produktion des ame- spielsweise vier Sets hat, die parallel drehen. Wir rikanischen Pay-TV-Senders HBO. „Das Boot“ hatten ganz oft zwei Teams, die in Nordirland wird u. a. von SKY produziert. Pay-TV hatte in gedreht haben – eins im Studio und ein Team an Deutschland nie so einen guten Stand. Wird einer Location – und gleichzeitig noch ein Team in sich das jetzt ändern? Kroatien. Es gab zwei Produzenten und mehrere Ja, das glaube ich schon. Diese Plattformen müs- Executive Producer, von denen immer einer vor sen durch ihre Inhalte überzeugen, damit Leute Ort ist, der weiß, wie die ganze Geschichte laufen ein Abo kaufen, sie können sich auf bestimmte soll. Selbst bei fünf oder sechs Regisseuren er- Zielgruppen fokussieren und mutiger erzählen. scheint dann alles wie aus einem Guss. Natürlich In anderen Ländern ist man da schon viel weiter. 10 INTERVIEW

Tom Wlaschiha (rechts) mit der restlichen Crew am Set von „Das Boot“. Wie bereits das Original wird auch die Serienadap- tion von Bavaria produziert.

Je mehr qualitativ gute Filme und Serien auf den Schaust du auch gerade eine Serie oder mehrere? Portalen angeboten werden, desto mehr Leute Ich muss immer aufpassen, dass ich genug Zeit werden bereit sein, dafür auch zu zahlen, zu- einplane, wenn ich mit einer neuen Serie anfan- sätzlich zum Rundfunkbeitrag. Das ist nur eine ge, weil sich oft ein Suchtfaktor einstellt. „Ozark“ Frage der Zeit. Und es ist jetzt schon sichtbar bei fand ich toll. Das ist so ein bisschen „Breaking jüngeren Generationen – ich kenne sehr wenige Bad“-mäßig. Eine Familie zieht aus der Stadt an Leute, die um 20:15 Uhr die Fernbedienung in einen See und der Vater ist in illegale Drogenge- die Hand nehmen. Das ist meiner Meinung nach schäfte verwickelt. Sehr gut gemacht. Dann habe ein Auslaufmodell. ich die letzte Staffel „House of Cards“ gesehen. „Transparent“ fand ich ganz gut, die ersten beiden Wie nimmst du die Entwicklung in der deut- Staffeln. „Big Little Lies“ ist sensationell! schen Filmbranche wahr? Es hat sich zum Glück in den letzten Jahren eini- ges getan. Es gibt durchaus auch gute und muti- ge Produktionen aus Deutschland. Worüber ich Tom Wlaschiha wuchs in Neustadt in Sachsen mich besonders freue, ist, dass Netflix und Co, auf. Mit 19 Jahren begann er sein Schauspiel- SKY, Amazon, was Fiction betrifft, die Öffent- studium an der Hochschule für Musik und lich-Rechtlichen jetzt vor sich hertreiben. Aus ei- Theater „Felix Mendelsohn Bartholdy“ in gener Bequemlichkeit wären da nie mutigere Sa- Leipzig. Sein erstes Engagement führte ihn chen passiert, glaube ich. Es geht da immer noch ans „theater junge generation“ in Dresden. Es viel zu stark um die Quoten. Bei Amazon und folgten erste Rollen in Fernsehserien wie „Die Netflix denkt man natürlich auch wirtschaftlich Rettungsflieger“ und „In aller Freundschaft“ SchaubuRg ThaLIa PRogRaMMkINo oST aber die haben begriffen, dass man viel stärker im MDR. Später stand er für internationale Re- für bestimmte Zielgruppen erzählen muss und gisseure wie Steven Spielberg („München“) vor kLEINES hauS LINgNERSchLoSS NEuMaRkT oPEN aIR nicht immer versuchen sollte, alle Leute gleich- der Kamera und spielte neben Stars wie Donald zeitig vor den Fernseher zu bringen, um eine Sutherland in „Crossing Lines“ oder Minnie möglichst große Quote zu erzielen. Da kann kre- Driver in der englischen Mini-Serie „The Deep“. ativ nur ein Kompromiss rauskommen und das Seit 2012 spielt er die Rolle des Jaqen H’ghar in endet meist schlecht. (lacht) der amerikanischen Serie „Game of Thrones“. FILMFEST-DRESDEN.DE   #FFDD18  DRESDEN.FILMFEST

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Seit 20 Jahren mit über 800 Folgen ist die Serie „In aller Freundschaft“ ein fester Bestandteil im Programm des MDR.

Serielle Formate in Sachsen Serien im Aufwind

Text: Grit Krause Fotos: MDR/Saxonia/Tom Schulze, Viola Lippmann, ARD/Nik Konietzny/Montage dinjank

26. Januar 2018. In Köln wird an diesem Tag der Deutsche Fernsehpreis verliehen. Vermutlich ist es übertrieben, von einem Dammbruch zu sprechen, aber ein Blick auf die Preisträgerliste zeigt: Die Abräumer des Abends sind ganz eindeutig die Serien. Allen voran „Babylon Berlin“ von Regisseur Tom Tykwer, die gleich in vier Kategorien ausgezeichnet worden ist, dicht gefolgt von „4 Blocks“ mit drei Prämierungen. Ebenso lässt „Bad Banks“ hoffen, die kürzlich bei Arte und ZDFneo ausgestrahlt wurde. Ein neues, kreatives Serienzeitalter bricht also endlich auch in Deutschland an und es stellt sich die Frage, inwieweit Sachsen bzw. Mitteldeutschland eine Rolle darin spielen.

ie Weichen im deutschen TV schei- Die Redaktion liegt bei den beiden letztgenann- nen zumindest gestellt für weitere ten beim Mitteldeutschen Rundfunk. Mit 7,48 oder besser für mehr hochwertige Millionen Zuschauern war die erste Staffel der D Serien. Wobei der Anfang bereits Krankenhausserie „Charité“ mit sechs Folgen ex- gemacht ist, wie etwa 2010 mit der Produktion trem erfolgreich. Regie führte der bekannte Re- „Im Angesicht des Verbrechens“, aber auch mit gisseur Sönke Wortmann („Der bewegte Mann“, „Weissensee“, wo sich das Publikum inzwischen „Deutschland. Ein Sommermärchen“). Nun folgt auf die 4. Staffel freuen kann, und „Charité“, die die zweite Staffel und verspricht eine „innovati- demnächst mit einer zweiten Staffel auf Sendung ve Erzählstruktur“, wie Redakteurin Jana Brandt gehen wird. in einem offiziellen Statement verlauten lässt: THEMA 13

„Während wir z. B. bei ‚Weissensee‘ vertraute weshalb Wolf-Dieter Jacobi, MDR-Programmdi- Figuren über die Jahre hinweg treu begleiten, rektor Leipzig im Jubiläumsjahr resümiert: „Die schlagen wir bei ‚Charité‘ ein gänzlich neues Ka- Zuschauerinnen und Zuschauer haben über pitel auf und lernen neue Figuren kennen.“ (da- die Jahre eine enge Bindung zu ‚In aller Freund- serste.de) Tatsächlich liegen zwischen der ersten schaft‘ und den Figuren aufgebaut und das und der zweiten Staffel fast 50 Jahre. Während stimmt uns alle optimistisch, dass die Serie noch die erste Staffel 1888 spielt, befinden wir uns in viele Jahre weitergeht.“ der zweiten in der Zeit des Nationalsozialismus. Auf Grund des Dauererfolgs wurde zudem ein Undenkbar, wenn man an die wohl bekann- neues eigenständiges Format daraus entwickelt, teste Krankenhaus-Serie denkt, die man zualler- ein Spin-Off. Dieses ist eng mit IaF verknüpft, erst mit der Region in Verbindung bringt: „In al- was sich u. a. im Titel widerspiegelt: „In aller ler Freundschaft“ (IaF). Seit dem 26. Oktober 1998 Freundschaft – Die jungen Ärzte“. Seit 2015 flim- wird nun schon am Krankenhauskosmos der mert jetzt also auch dieser Ableger der Erfolgs- Sachsenklinik gestrickt und selbst nach 20 Jah- serie mit Erfurter Krankenhausgeschichten über ren und über 800 Folgen hält der Erfolg der Serie den Vorabendbildschirm. Für den Onlinemarkt an. So hatte IaF 2017 einen Marktanteil von 17,1 wurde darüber hinaus eine Webserie entwi- Prozent. Das entspricht 5,21 Millionen Zuschau- ckelt: „In aller Freundschaft – Nachts in der Sach- erinnen und Zuschauern in ganz Deutschland, senklinik“.

Rund 7,48 Millionen Zuschauer verfolgten die sechs Folgen der ersten Staffel der Serie „Charité“ im Ersten. In der Mediathek war die Serie zusätzlich online ein Erfolg. Derzeit ist die zweite Staffel in Produktion. Die Redaktion liegt hierbei erneut beim MDR. 14 THEMA

„Mit den Webserien transferiert der MDR kleine, wird dort unter anderem an der zweiten Staffel bisher verborgene Geschichten herausragender der „Abenteuer des jungen Marco Polo“ gearbei- Formate in die Onlinewelt und macht diese da- tet, ein ambitioniertes Projekt mit eigener Web- mit einem noch breiteren Publikum zugänglich“, site, App und einer Ausstellung im Jahr 2014 im erklärt Wolf-Dieter Jacobi. Filmmuseum Potsdam. Ausgestrahlt wurden die Ein solches Format ist auch der Dresdner Tat- erste Staffel sowie weitere Serienproduktionen ort, für den 2017 die Miniserie „Lammerts Lei- des Studios im KIKA und bei „Unser Sandmänn- chen“ realisiert wurde. chen“. Zum Binge-Watching, einem exzessiven Epi- Auch Balance Film aus Dresden hat für beide soden- und Staffelmarathon, lädt das womöglich Sendeformate produziert: die 13-teilige Serie „Das noch nicht ein. Die Herzen der Serienjunkies Wiesenspektakel“ sowie „Die Sandmanzen“, eine schlagen bislang eher bei komplexen, horizontal Sandanimation in kanadischer Koproduktion. erzählten Geschichten mit vielschichtigen Cha- Im Dezember 2017 lief die dritte und letzte Staf- rakteren höher: wie etwa bei „Game of Thrones“ fel im KIKA. Ein weiteres Projekt, „Mascha, der – in dem auch der gebürtig aus Sachsen stammen- Kater und der kleine Elefant“ befindet sich zwar de Schauspieler Tom Wlaschiha seine Rolle fand noch in der Entwicklung, allerdings bemängelt (Interview ab Seite 3) oder bei der ersten deut- Geschäftsführer Ralf Kukula, dass es im linea- schen Netflix-Produktion „Dark“. ren Fernsehen zu wenige Sendeplätze für solche Man kann zu den vom MDR beauftragten Formate gebe, weshalb er sich eine Auswertung Serien stehen, wie man will, für den einen oder im Netz, etwa über VoD-Plattformen, durchaus anderen ist sie ein Karriere-Sprungbrett: Tom vorstellen kann. Jedoch steckt der Bereich für Wlaschiha hatte seine ersten Rollen vor der Ka- Kinderanimation dort quasi noch in den Kinder- mera in „Die Rettungsflieger“ und IaF. Aber auch schuhen. für junge Regisseure ist das Serienformat vielver- Von diesen Widrigkeiten hat sich Viola Lipp- sprechend, wie unter anderem ein Gespräch mit mann nicht abschrecken lassen. Die sächsische dem in Leipzig ansässigen Filmemacher Marco Illustratorin und Autorin ist ein Neuling in der Gadge zeigt. Seit drei Staffeln gehört er zum Re- Filmbranche, speziell im Bereich Animation. Als gieteam der KIKA-Serie „Schloss Einstein“, eine Stipendiatin der Akademie für Kindermedien Produktion der Leipziger Saxonia Media Filmpro- hat sie das Treatment zur Serie „Erna räumt auf“ duktionsgesellschaft im Auftrag der ARD unter entwickelt. Das sind kurze Geschichten für Vor- Federführung des MDR. Erfahrungen im Seri- schulkinder um das Containerschiff Erna und enuniversum hatte er bereits zuvor als Script/ deren Freunde, die die Ozeane vom Plastikmüll Continuity und Regieassistent bei IaF gesammelt. befreien. Dafür wurde Viola Lippmann von der Für den Autodidakten bedeutet dies einen weite- Mitteldeutschen Medienförderung (MDM) be- ren Schritt auf seinem Weg zum Regisseur von reits mit einem Förderpreis in Höhe von 15.000 Langfilmen. Euro ausgezeichnet sowie durch eine Drehbuch- Ähnliches berichtet Franziska Pohlmann, die förderung unterstützt. Für fünf von 26 Episoden bei vier Folgen von „Schloss Einstein“ Regie ge- hat sie inzwischen die Drehbücher fertiggestellt, führt hat. Nach zehn Jahren freier Theaterarbeit als Nächstes stehen Gespräche mit Produzenten und ihrem Kinofilm „Die Krone von Arkus“, bei an. dem sie Produzentin, Regisseurin und Komponis- Wenn man sich einen Überblick verschaffen tin in Personalunion war, fand sie sich plötzlich möchte, wo und welche Projekte hierzulande in einer Luxussituation wieder, in der sie sich geplant werden, lohnt ein Blick in den Förderka- völlig auf die künstlerische Arbeit als Regisseu- talog der MDM. Die Produktion von Serien kann rin konzentrieren konnte. So vertraute sie auf das von der MDM auf Grundlage der TV-Leitlinie fi- Wissen des erfahrenen Kernteams und tauschte nanziell unterstützt werden, wie dies kürzlich bei sich mit Kollegen aus, denn an einer Staffel sind der ZDF-Serie „Eine Frau am Bauhaus“ der Zero immer mehrere Regisseure blockweise beteiligt. One Film geschehen ist oder auch bei „Kristall“ Auf dem Gebiet der Animation ist speziell die von Klaus-Gregor Eichhorn und Co-Autor Olaf Trickfilmserie für Kinder gut etabliert – allen vo- Held. Für die Kriminalreihe sind vorerst fünf Epi- ran MotionWorks aus Halle, einem der größten soden geplant, die eine junge Frau und ihre Fami- Animationsfilmstudios in Deutschland. Derzeit lie im Erzgebirge in den Blick nehmen. Wie der THEMA 15

In der Kinderserie „Erna räumt auf“ erzählt Viola Lippmann vom Containerschiff Erna und ihren Freunden, die sich zur Aufgabe gemacht haben, das Meer von Plastikmüll zu befreien.

Titel verspricht, spielen auch Drogen eine Rolle. eine Änderung der Förderrichtlinie in Erwägung 42 Film in Halle arbeitet aktuell wiederum an ei- ziehen.“ So soll in Zukunft auch ein Produzenten- ner Serie, „Colors of Darkness“, die in der Zeit des honorar kalkuliert werden können. Das würde Dreißigjährigen Krieges spielen soll. Produzenten in die Lage versetzen, Stoffe, die Wie eine solche Stoffentwicklung für doku- hinter den Erwartungen zurückbleiben, zu be- mentarische Serien aussehen kann, berichtet in graben und nicht in Produktion gehen zu müs- diesem Heft die Autorin Gisela Wehrl mit Blick sen, weil sie ihre Kosten erst dort geltend machen auf die erfahrene Leipziger Produktionsfirma können. Grundvoraussetzung für Experimente LOOKSfilm, die bereits erfolgreich Serien auf Net- und neue Wege. flix platzieren konnte (ab Seite 16). Ein Blick auf die Serienlandschaft in Sachsen Die Leitlinie der MDM greift allerdings nicht, und Mitteldeutschland zeigt, dass hier Altes ne- sobald VoD-Plattformen und Streamingdienste ben Neuem wächst – beinahe unangetastet. Eine bereits in der Entwicklung und Produktion ins populäre und etablierte Serienkultur bietet das Spiel kommen. Diesen müssen viele Rechte über- Fernsehen und es ist ein Sprungbrett für manch tragen werden, wodurch eine Rückzahlung der einen, der im Anschluss mit seinen Ideen even- Förderdarlehen schwierig wird. „Wir überlegen tuell Formate neu denken möchte. Viele davon derzeit intensiv, ob und wie wir High-End-Serien werden wir auf anderen Plattformen zu sehen in Zukunft in der Entwicklung und Produktion bekommen. Derzeit sind vielversprechende seri- unterstützen können“, sagt MDM-Geschäftsfüh- elle Projekte am Entstehen, jedoch – wie üblich rer Claas Danielsen. „Durch die VoD-Plattformen am Ende einer Staffel – kommt zunächst der Cliff- ist ein neuer Markt entstanden, auf dem auch hanger und dann das gespannte Warten. n unsere ansässigen Produzenten aktiv werden wollen. Dabei sollten wir ihnen den Rücken stär- ken, auch wenn wir mit den uns zur Verfügung Grit Krause stehenden Mitteln an unsere Grenzen stoßen. Die Stoffentwicklungsförderung für Serien ist bereits war nach ihrem Studium in Leipzig und Dresden u. a. für das Filmfest Dresden und die AG Kurzfilm möglich und einige Projekte wurden bereits ge- tätig. Seit 2006 arbeitet sie als freie Journalistin für fördert. Allerdings ist die Drehbuchentwicklung MDR Kultur und andere Hörfunkanstalten. von Serien im Team sehr aufwendig, sodass wir . 16 FILMPRODUKTION

Die Serie „Der Krieg und ich“ zeigt aus acht Perspektiven, was es bedeutet ein Kriegskind zu sein.

Dokumentarische Serienentwicklung bei LOOKSfilm Geschichte in Serie

Text: Gisela Wehrl Fotos: SWR/LOOKSfilm/Andreas Wünschirs, Matthias Zirzow

LOOKSfilm steht vor allem für aufwendige dokumentarische Mehrteiler und Serien. Wir haben bei der neuesten Kinderserie „Der Krieg und ich“ nachgefragt, wie bei LOOKSfilm eine Serie entwickelt wird.

ie Produktionsfirma von Gunnar heißt, ein Kriegskind zu sein. Ramona Bergmann Dedio hat eine große Leidenschaft sieht bei LOOKSfilm in den Kinderserien ihre für große historische Themen: Mit „Nische“, wo sie seit mittlerweile elf Jahren vor al- D „14 – Tagebücher des Ersten Welt- lem als Creative Producer arbeitet. Mit Regisseur kriegs“ behandelte LOOKSfilm den Ersten und Headautor Matthias Zirzow entwickelte sie Weltkrieg, mit „Kleine Hände im großen den Stoff und fungierte auch als Co-Autorin. Krieg“ auch speziell für Grundschulkinder. „Wir haben im Team gearbeitet, um die Ge- „Krieg der Träume“ widmet sich den Zwi- schichten zu definieren. Das war wie eine Art schenkriegsjahren, „Die eiserne Zeit“ behan- Pingpong“, beschreibt Bergmann die Zusammen- delt den 30-jährigen Krieg. Die Serien von arbeit mit Zirzow. Wichtig war in der Entwick- LOOKSfilm zeichnet aus, dass sie „Mischforma- lung, authentische Figuren zu finden, und jeweils te“ sind und neben einem dokumentarischen die Frage: „Wie könnte ihre Heldenreise ausse- Anteil vor allem historische Drama-Serien. hen?“ Eine Folge erzählt in 25 Minuten die Ge- Aufwändig werden sie mit Schauspielern insze- schichte von jeweils einer der acht Hauptfiguren. niert, so auch „Der Krieg und ich“. Durch die komplexe Koproduktionsstruktur, u. a. „Der Krieg und ich“ zeigt, wie acht Kinder aus mit Schottland, waren einige dieser Länder aus- unterschiedlichen europäischen Ländern den schlaggebend bei der Wahl der Spielorte und der Zweiten Weltkrieg erlebt haben, und fragt, was es Protagonisten. Zudem entwickelte das Team ei- FILMPRODUKTION 17

Um die Geschichte des Zweiten Weltkrieges zu erzählen, verwendet die Serie neben Archivmaterial auch Animation. nen chronologischen Gesamtbogen über alle acht Details auf und verloren den Fokus für die eigent- Teile, der mit der Befreiung von Auschwitz endet. liche Geschichte. Wir haben diese Episode dann Über gut zwei Jahre arbeiteten Bergmann und nochmal komplett umstrukturiert.“ Im Dialog mit Zirzow gemeinsam mit dem niederländischen den Wissenschaftlern wurde außerdem bei einer Dramaturgen Maarten van der Duin an den Stof- Folge immer deutlicher, dass der Protagonist im fen, der schon die Drehbücher zu „Kleine Hände Kontext der damaligen Zeit seine jüdische Freun- im großen Krieg“ geschrieben hatte. Eine sehr aus- din nicht retten kann – was sicherlich einem führliche Entwicklungszeit, denn, wie Bergmann Hollywood-Ideal der Heldenreise entsprechen betont: „Wir wollen keine Fließband-Projekte ma- würde. Zirzow versuchte, gemeinsam mit Berg- chen.“ Sie arbeiteten jeweils sehr ausgefeilt von mann und dem Dramaturgen, aktuelle Bezüge zur den Vorstufen mit Outlines und Treatments bis Flüchtlingskrise herzustellen: „Wir wollen den hin zu den fertigen Drehbüchern. Kindern auch die Frage mitgeben: Wie würde ich Anders als bei „Kleine Hände im großen Krieg“ mich verhalten?“ ließ das Team die Handlung von zwei Folgen vom Derzeit arbeitet Zirzow am Schnitt, wo – wie Internationalen Zentralinstitut für das Jugend- meist im dokumentarischen Genre – die Drama- und Bildungsfernsehen (IZI) testen. „Wir bewegen turgie noch einmal neu entsteht. Auch die Bedeu- uns mit dieser Serie zwangsläufig auf Messers tung von Ruhemomenten wurde dem Regisseur Schneide – zwischen einer möglichen Trauma- noch mal sehr deutlich: „Für die Kinder darf nicht tisierung unseres Publikums auf der einen Seite immer Satz auf Satz folgen, nur durch Pausen und der Gefahr, unglaubwürdig zu werden, auf kann ein Satz richtig wirken. Eine Sekunde macht der anderen Seite: Falls die komplexen Zusam- unheimlich viel aus!“ menhänge des Zweiten Weltkrieges zu stark „Wir haben eine Leidenschaft für historische vereinfacht werden“, begründet Zirzow diesen Formate und dafür, diese lang zu erzählen“, darin Schritt. Die Wissenschaftler vom IZI lasen ein sieht Bergmann einen großen Vorteil der seri- Drehbuch in einem frühen Entwicklungsstadium ellen Formate: „Und es gibt einen Markt dafür!“ sowie ein Treatment vor Schülern in der Alters- Neben den zahlreichen TV-Verkäufen sind drei stufe 9 bis 11 vor. „Bei Folge 8 haben wir gemerkt: der LOOKSfilm-Serien bei Netflix zu sehen. Dra- Das, was wir uns ausgedacht haben, funktioniert maturgisch reizt Bergmann, multiperspektivisch noch nicht“, sagt Bergmann: „Die Kinder gingen in erzählen zu können: „So viele Sichtweisen und 18 FILMPRODUKTION

Themen kann man in einem Einzelstück nicht die zweite Staffel eines historischen Serienfor- unterkriegen. In Serien können wir Geschich- mats für Kinder auf. ten auserzählen und nicht nur anreißen.“ Zu- Mit „Michael Kohlhaas“, „Die Sanfte“ von dem bieten serielle Formate einen großen Vor- Sergei Loznitsa und aktuell „Licht“ von Barbara teil für die Filmschaffenden: „Als Mitarbeiter Albert hat LOOKSfilm bereits historische Kino- ist man dadurch viel längerfristig beschäftigt“, filme produziert. Ob sie bei LOOKSfilm schon sagt Matthias Zirzow, der sich im Serienbetrieb mal über eine „rein“ fiktionale Serie nachge- von „In aller Freundschaft“ vom Regieassisten- dacht hätten? „Die dokumentarische Herange- ten zur Regie hocharbeiten konnte. LOOKSfilm hensweise ist unsere Stärke – es ist aber durch- arbeitet mit mehreren Autoren aus der Region aus reizvoll für uns, Geschichte ganz und gar zusammen, wie Jan Peter („14“, „Krieg der Träu- mit den Mitteln des Dramas zu erzählen“, sagt

me“), Matthias Schmidt („Moskaus Imperium“), Ramona Bergmann. n Henrike Sandner („Kollwitz“) oder Yury Win- terberg („14“, „Die eiserne Zeit“). Diese wären allerdings zuvor schon sehr erfahren gewesen, Gisela Wehrl denn für Nachwuchsautoren sei der Einstieg bei den Serien nur in Ausnahmefällen mög- lebt in Leipzig und lich, sagt Bergmann. Bei Matthias Zirzow bot arbeitet als Film- journalistin, Autorin sich eine solche Ausnahme an, da er bei „Kleine und Dramaturgin. Hände im großen Krieg“ bereits Regie geführt hatte. Mit „Der Krieg und ich“ legt LOOKSfilm

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Gewinner des Goldenen Bären: „Touch me not“ von Adina Pintilie

Mitteldeutsche Produktionen waren in diesem Jahr auf der Berlinale so präsent wie selten zuvor International attraktiv

Text: Lars Tunçay Fotos: Manekino Film, Rohfilm, Pink, Agitprop, Les Films de l‘Etranger , 2018 PROKINO Filmverleih GmbH

er Goldene Bär geht – zumindest denen Romy Schneider 1981 dem Stern-Repor- zum Teil – nach Leipzig. „Touch me ter Michael Jürgs und damit der ganzen Welt not“ gewann den Hauptpreis der 68. ihre Seele offenbarte. Visuell orientiert sich die D Internationalen Filmfestspiele Ber- in Berlin lebende Regisseurin mit Wurzeln in lin. Die Jury um Regisseur Tom Tykwer über- Frankreich und dem Iran an den Fotografien reichte ihn an die rumänische Regisseurin Adi- von Robert Lebeck, der Schneiders Verzweif- na Pintilie. Produziert wurde der Film von der lung in kraftvollen Schwarzweißbildern fest- Leipziger Rohfilm Productions GmbH. Pintilie hielt. drehte ihn u. a. in Leipzig, Halle und Crimmit- Als die in Frankreich gefeierte und in ihrer schau. Die Mitteldeutsche Medienförderung deutschsprachigen Heimat verschmähte Akt- (MDM) unterstützte zunächst die Entwicklung rice Anfang der Achtziger im Wellness-Hotel und schließlich auch die Realisation des Films. an der Küste im Westen Frankreichs ankommt, Selten war die MDM so präsent wie in diesem ist sie gezeichnet von der Alkoholsucht, der fri- Berlinale-Jahrgang: Acht geförderte Filme schen Trennung von ihrem dritten Ehemann waren im offiziellen Programm zu sehen, fünf Daniel Biasini und der Sehnsucht nach ihren weitere in der Reihe Lola@Berlinale. Drei Pro- Kindern. Die Tage in Quiberon sollen ihr ei- duktionen schafften es in den Wettbewerb. Ne- gentlich helfen, wieder auf die Beine zu kom- ben „Touch me not“ waren Publikum und Kritik men. Doch Romy Schneider ist verbittert und gespannt auf „3 Tage in Quiberon“ von Emily verletzlich und entblößt ihre Seele in den Ge- Atef („Das Fremde in mir“). Die Ko-Produktion sprächen mit dem Journalisten Michael Jürgs. der Leipziger Rohfilm Factory und Departures Ihre beste Freundin Hilde Fritsch, zurück- Film rekonstruiert jene Tage in der Bretagne, in haltend verkörpert von Birgit Minichmayr, 20 FESTIVALS

Auch Thomas Stubers „In den Gängen“ wurde bis zuletzt als aussichtsreicher Kandidat für ei- nen Bären gehandelt. Die dritte Zusammenarbeit des Leipzigers mit dem Autor Clemens Meyer überraschte als stärkster deutscher Kandidat im diesjährigen Wettbewerb am letzten Tag der Berlinale. Nach seinem Kurzfilm „Von Hunden und Pferden“ – basierend auf Meyers gleichna- miger Kurzgeschichte – der 2012 mit dem Stu- denten-Oscar ausgezeichnet wurde, und dem dreifach mit dem Deutschen Filmpreis geehrten Boxerdrama „Herbert“, dessen Drehbuch er mit Meyer zusammen entwickelte, verfilmte Stuber „Touch me not“-Regisseurin Adina Pintilie mit „In den Gängen“ eine Kurzgeschichte aus des- sen Erzählband „Die Nacht, die Lichter“ von 2008. versucht vergeblich, Romy vor der öffentlichen Knapp drei Jahre arbeitete Clemens Meyer Schmach zu verschonen. Atef konzentriert als Gabelstaplerfahrer in einem Großmarkt. Sei- sich auf die Umstände des Zusammentreffens. ne Erfahrungen flossen in die Arbeit an „In den Das Interview spart sie dabei weitgehend aus. Gängen“ ein. Genau beobachtet die Kamera von Robert Gwisdeck spielt den Reporter, der im Peter Matjasko, mit dem Stuber bereits bei seinen Laufe des Gesprächs Zweifel an seiner Profes- vorherigen Filmen zusammenarbeitete, den Mi- sion bekommt. Lebeck, ein langjähriger Freund krokosmos hinter der verheißungsvollen Waren- von Schneider, wird liebenswert verkörpert welt. Franz Rogowski ist Christian, der Neue im von Charly Hübner. In der Hauptrolle des Drei- Großmarkt. Er wird dem Veteranen der Geträn- personenstücks glänzt Marie Bäumer, der man keabteilung Bruno zur Seite gestellt und verliebt vom Beginn ihrer Karriere an die Ähnlichkeit sich in Marion von den Süßwaren. Zwischen den zu Romy Scheider nachsagt. In Berlin galt sie beiden entwickelt sich eine zarte Liebe, doch Ma- lange als heiße Favoritin für den Darsteller- rion ist verheiratet und Christian flüchtet sich preis, ging am Ende aber leer aus. in die Gemeinschaft aus zwielichtigen Gestalten

Romy Schneider (Marie Bäumer) und Hilde Fritsch (Birgit Minichmayr) in „3 Tage in Quiberon“ FESTIVALS 21

In „Touch me not“ werden gesellschaftliche Konzepte von Intimität erkundet. seiner Vergangenheit. Peter Kurth, der zuletzt sprächsstoff. „Wir möchten, dass der Dialog, der für seine eindrucksvolle Verkörperung des in ‚Touch me not‘ vorgeschlagen wird, der Welt ALS-kranken Boxers „Herbert“ den Deutschen gegenüber offen ist und deshalb laden wir alle Filmpreis erhielt, spielt Bruno als liebenswerten zum Dialog ein“, sagte die überwältigte Regis- Mentor. Sandra Hüller, die inzwischen in Leipzig seurin in ihrer Dankesrede. Mit einer Mischung lebt, schlüpfte in die Rolle der Angebeteten Ma- aus Dokumentarfilm und Fiktion versucht die rion. Gedreht wurde 2017 unter anderem in Bit- Rumänin, althergebrachte Mechanismen und terfeld, Mockrehna und Leipzig. Thomas Stuber Tabus aufzubrechen. Produzent Benny Drechsel und Clemens Meyer erhielten für „In den Gän- von Rohfilm Productions unterstreicht die Ein- gen“ 2015 den Deutschen Drehbuchpreis. Auf der zigartigkeit des Projekts: „Die Stärke des Films Berlinale wurde ihr Film mit dem Preis der Öku- liegt neben seiner Erzählweise und Form auch menischen Jury und dem Gildepreis der AG Kino in seiner Entstehung, die die wichtigsten Werte ausgezeichnet. der europäischen Gesellschaft verkörpert: Gleich- Die Region empfahl sich auf der diesjährigen heit und Freiheit.“ Das internationale Projekt Berlinale mit vielen weiteren Produktionen als wurde von Deutschland, Frankreich, Rumänien, attraktiver Drehort. „Becoming Astrid“ von Per- Tschechien und Bulgarien koproduziert und mit nille Fischer Christensen über die Jugendjahre Beteiligten aus verschiedenen Teilen der Welt re- von Astrid Lindgren wurde u. a. in Altenburg alisiert. „‚Touch me not‘ ist ein leidenschaftliches gedreht und feierte seine Weltpremiere im Ber- Statement für den Independent-Film und sein linale Special. Im Panorama war „Lemonade“ von Erfolg soll unabhängige Filmemacher weltweit Ioana Uricaru zu sehen, produziert von der Hal- inspirieren und ihnen Mut machen“, sagte Drech- leschen Firma 42film, die auch den bulgarischen sel. Claas Danielsen, Geschäftsführer der MDM, Film „Ága“ von Milko Lazarov in den Wettbe- freut sich für die Filmemacher: „Dass die Berlina- werb brachte. In der Perspektive Deutsches Kino le-Jury einen so radikalen und künstlerisch her- feierte „Whatever Happens Next“ von Julian ausragenden Film auszeichnet, ist mutig.“ Neben Pörksen seine Premiere. Das Roadmovie wurde dem Goldenen Bären erhielt das Langfilmdebüt produziert von der Gieren & Pörksen Filmpro- der rumänischen Filmemacherin den mit 50.000 duktion aus Dresden. Euro dotierten Preis der Gesellschaft zur Wahr- Die große Gewinnerin der 68. Berlinale war nehmung von Film- und Fernsehrechten als bes- aber die rumänische Regisseurin Adina Pintilie, ter Erstlingsfilm. „Touch me not“ ist der erste Teil die den Hauptpreis für ihren Film „Touch me not“ eines Multi-Plattform-Kunstprojekts, unterstützt entgegennahm. Darin unternimmt die Filmema- u. a. vom Pompidou Center in Paris, dem National cherin mit ihren Akteuren eine Erkundung des Museum of Contemporary Art in Bukarest, dem gesellschaftlichen Konzepts der Intimität und Modern Art Museum in Warschau und der Leip- sorgte auch über das Festival hinaus für viel Ge- ziger Spinnerei. n 22 FESTIVALS

Die diesjährige Filmfestsaison wartet mit neuen Personalia, neuen Preisen und neuen Orten auf. Einmal 30 plus zweimal 15

Text: Susanne Magister Fotos: FILMFEST DRESDEN

icht nur, weil es in diesem Jahr so des FILMFEST DRESDEN, die bereits von 1997 bis schön passt, stehen die drei sächsi- 2001 das Festival leitete und zuletzt seit 2014 Mit- schen Frühlingsfilmfestivals alters- glied der Internationalen Sichtungskommission N gestaffelt im Fokus der Betrachtung. des FILMFEST DRESDEN war, tritt Sylke Gottlebe Das mit Fug und Recht als erwachsen zu bezeich- in bekannte Fußstapfen und hat doch einige Neu- nende Dresdener Flaggschiff feiert vom 17. bis erungen in petto. Neben dem kontinuierlichen 22. April sein 30. Jubiläum. Als kleines Indepen- Ausbau des Kinder- und Jugendprogramms, der dent-Projekt gestartet, mauserte sich das FILM- ihr am Herzen liegt, wird in diesem Jahr etwa FEST DRESDEN über drei Dekaden zu einem ein neuer Preis vergeben: Der „Goldene Reiter* der renommiertesten und höchstdotiertesten für GeschlechterGerechtigkeit“, gestiftet von Kurzfilmfestivals in Europa. Das Jubiläum wird den Landesarbeitsgemeinschaften Jungen- und selbstredend groß gefeiert – allem voran mit einer Männerarbeit Sachsen e. V., Queeres Netzwerk druckfrischen, 90-seitigen Festivalchronik. Sie il- Sachsen e. V. und dem Genderkompetenzzent- lustriert die Geschichte des Filmfests mit seinen rum Sachsen. variantenreichen Festivalmotiven auf den Um- Erneut gaben die Einreichungsrekorde dem schlagseiten über die verschiedenen Einzelstatio- Filmfest den Vertrauensvorschuss und der Kom- nen im Zeitstrahl bis hin zu den Festivalgeschich- mission viel Arbeit auf den Weg. Die Festival- ten und -ausblicken in ausführlichen Texten von besucher können sich knapp 70 Kurzfilme im Wegbegleitern und Festivalgestaltern. Nationalen und Internationalen Wettbewerb Zudem wartet das Jubiläums-FILMFEST mit ei- aus allen Sparten anschauen, unter denen es ner neuen Personalie auf. Wie bald nach der letzt- zehn „Goldene Reiter“ und vier Sonderpreise zu jährigen Ausgabe bekannt wurde, hat Sylke Gott- vergeben gilt. Die Mitglieder der zehnköpfigen lebe die Festivalleitung übernommen und das Auswahlkommission durften vorab über 2.200 Dreierdamengespann, bestehend aus Alexandra Filmeinsendungen aus 97 Ländern mit insgesamt Schmidt, Karolin Kramheller und Katrin 31.400 Filmminuten sichten. Im Vorfeld hat also Küchler, abgelöst. Als langjährige Wegbegleiterin auch ein Kurzfilmfestival seine Längen. FESTIVALS 23

„Wir freuen uns über den überragenden Zu- heuer ist es Italien, was thematisch fast klischee- spruch der Filmeinreichungen. Der hohe Anteil haft mit Kurzfilmen zu den Themen „Korruption“ an Animationsfilmen stärkt unser Festivalpro- und „Doppelte Staatsbürgerschaft“ bedacht wird. fil“, erklärt Festivalleiterin Sylke Gottlebe dazu. Das NEISSE FILMFESTIVAL als östlichstes Bereits in den Vorjahren zunehmend beliebt, Cineastenfest Deutschlands begeht in diesem sind in diesem Jahr immerhin die Hälfte der letzt- Jahr ebenfalls seine fünfzehnte Ausgabe und be- lich aufgenommenen Wettbewerbsfilme Anima- schließt vom 15. bis 20. Mai im Dreiländereck die tionsstreifen. Frühjahrsfilmfestsaison. In diesem Jahr lässt zudem das Schwerpunkt- Veranstaltet vom Kunstbauerkino e. V. in thema „Europa“ viel Spielraum, und folgerichtig Großhennersdorf, kommen hier alljährlich Filme- widmet sich auch der FILMFEST-Programmfokus macher aus Polen, Tschechien und Deutschland den politischen und sozialen Umbrüchen glei- zusammen. An über zwanzig Spielorten bietet chermaßen wie dem gesellschaftlichen Wandel, das trinationale und genreübergreifende Festival den wir alle durchleben. Das Sonderprogramm die Gelegenheit zum Austausch – mit etablierten behandelt unter anderem Neudefinitionen von und neuen Filmen und Regisseuren der jeweili- Grenzen im cineastischen Kontext und fragt zu- gen Nachbarländer sowie Schwerpunktthemen. gleich nach europäischen Zukunftsvisionen. Ei- Zur Eröffnung am 15. Mai im Gerhart-Haupt- nes der Highlights ist dabei die Masterclass mit mann-Theater in Zittau bringen die Festivalma- der ungarischen Regisseurin Ibolya Fekete am 21. cher die Filmmusik zu dem erfolgreichen Do- April nebst Screening ihres Films „Bolshe Vita“. kumentarfilm „Weit. Die Geschichte von einem Hinzu kam für die Macher ein festivalimma- Weg um die Welt“ auf die Bühne. nenter Impuls für den Europa-Schwerpunkt: Der diesjährige Fokus blickt 50 Jahre zurück Noch vor der Wende gegründet, sollen nach 30 und beleuchtet unter dem Titel „1968“, welche ge- Jahren Festivalgeschichte Parallelen zur for- sellschaftlichen und politischen Ereignisse Polen, mal-ästhetischen Entwicklung des Kurzfilms ge- Deutschland und der Tschechoslowakei damals zogen werden. ereilten und wie prägend diese bis in die heutige Halb so alt und dennoch längst der Pubertät Gesellschaft hineinwirken. Konzerte, Ausstel- entwachsen, lassen sich auch das auf den mit- lungen, Lesungen, Kinderkino und Co. machen teldeutschen Raum fokussierte 15. Leipziger das Festival zu einem Event für alle kleinen und

Kurzfilmfestival KURZSUECHTIG sowie das im großen Cineasten n Dreiländereck angesiedelte 15. NEISSE FILMFES- TIVAL nicht lumpen. 15. KURZSUECHTIG KURZSUECHTIG eröffnet den sächsischen 10. – 15.4.2018 Filmfestreigen vom 10. bis 15. April mit einem www.kurzsuechtig.de bunten Festivalprogramm in seiner gewohn- ten Vier-Sparten-Ausrichtung (Animation, Dok, 30. FILMFEST DRESDEN Fiktion und Experimental), einer neuen, festen 17. – 22.4.2018 Wettbewerbslocation im Kunstkraftwerk Leip- www.filmfest-dresden.de zig und höheren Preisgeldern für den Jurypreis in allen vier Kategorien. Hinzu kommt der Wett- 15. NEISSE FILMFESTIVAL bewerb für Filmmusik und Sounddesign, für den 15. – 20.5.2018 sich die Teilnehmer bei der experimentellen Ver- www.neissefilmfestival.de tonung eines unvertonten Animationskurzfilms von Uli Seis und Franka Sachse austoben dürfen. Außerdem hat das Festival einen neuen Kamera- Susanne Magister preis ausgelobt. Dieser wird 2018 erstmalig von lebt in Dresden und einer eigens dafür zusammengestellten Jury gen- arbeitet als freie Kunsthistorikerin und reübergreifend aus allen Wettbewerbsbeiträgen Kulturredakteurin für ver- für die beste Kameraarbeit eines mitteldeutschen schiedene Auftraggeber. Projektes vergeben, erzählt Festivalorganisatorin Stefanie Abelmann stolz. Zum zweiten Mal gibt es bei KURZSUECHTIG zudem ein Gastland – 24 FOKUS

In „Das Goldene Tannenbäumchen“ erzählt Udo Neubert vom Ausnahmezustand des Erzgebirges nach Kriegsende 1945.

Ein filmliterarischer Streifzug Vorhang auf für das Erzgebirge

Text: Max Rademann Foto: Rockelmann-Pictures, DEFA-Stiftung/Herbert Kroiss, credo:film

itte der 1980er Jahre lockt es immer da ist, egal welcher Film läuft. Er sitzt da, eine Gruppe kleiner Jungs in das weil er nicht in die normalen Kinoklappsitze hi- Olympia Kino in Schwarzenberg neinpasst. Der Gummibund seiner dunkelblauen M im Erzgebirge. Ein vielverspre- Trainingshose umspannt seinen kugelrunden chender Film aus den feindlich imperialistischen Bauch wie ein Äquator. Dann der Gong und all- USA soll heute über die Leinwand flimmern. mählich verstummt das Stimmengewirr. Noch Die Altersfreigabe ist auf 14 Jahre festgesetzt, ein Gong – Schweigen kehrt ein. Der dritte Gong aber einer der kaum Zwölfjährigen hat die große – Stille. Das Licht ist vollends erloschen und der Schwester mitgebracht. In beinahe überhebli- schwere rote Vorhang öffnet sich langsam und cher Souveränität ordert diese an der Kinokasse verheissungsvoll. sechs Karten. Wenn man von der Außenwelt kommend in Bis zuletzt geht den Sechstklässlern die Muffe. das Erzgebirge eintaucht, dann kann es sich eben- Die Befürchtung ist groß, dass sie unverrichte- so anfühlen, als würde sich ein Vorhang lüften. ter Dinge wieder nach Hause geschickt werden. Die Landschaft – eine Kulisse, die Assoziationen Aber der Kartenabreißer lässt einen nach dem an einen Horrorfilm wie „Wrong Turn“ wachru- anderen gewähren – übersieht mit voller Absicht fen kann. Auch wenn sich die Wälder nicht in die Milchgesichter der minderjährigen Kinobesu- dem Umfang ausdehnen wie die West Virginias. cher. Aber allerorts erzählt man sich seltsame Sagen- Der alte Kinosaal ist von urwüchsiger Festlich- geschichten, welche zwar selten blutrünstig, keit und bald bis zum letzten Platz gefüllt. Zu spü- aber immer bizarr anmuten. So hatte man in ren ist nichts als Spannung, die bis zum äußersten der DDR-Fernsehserie „Spuk von draußen“ bei- reicht. Sie ist zu spüren, obwohl hunderte Stim- spielsweise ein skurriles Szenario entwickelt, men wild durcheinander plappern. das passenderweise ein Bild zeichnete zwischen Im linken Seitengang steht wie immer der gro- malerischer Landschaft und obskuren Spukge- ße Sessel und darin sitzt der Dicke. Der Dicke, der schichten. Auf wunderbar absurde Art kommen FOKUS 25

hier sogar Außerirdische mit ins Spiel. In diesem kommt man dort in den Genuss, von einem ge- Zusammenhang sei erwähnt, dass das Internati- wissen „Fischer Misch“ in die größten Zinnkam- onale Märchenfilm-Festival „fabulix“ treffender mern Europas geführt zu werden. Allein seine Weise 2017 in Annaberg-Buchholz seine Premie- Geschichten bieten Stoff für unzählige Drehbü- re feierte. cher. Auch der Film „Schmitke“ von Stepan Altrich- Das Erzgebirge selbst hat aber ebenso seine ter, welcher ins böhmische Erzgebirge entführt, Filmemacher. Wenn auch bis heute als Geheim- kreiert einen quasi mystischen Ruf der Wälder tipp geltend, existiert ein ganzer Filmkanon der und lässt zudem rostige Windräder wie mons- Produktionsfirma Rockelmann-Pictures, deren tröse Fremdlinge in der Landschaft erscheinen. kreativer Kopf Udo Neubert seit mehr als 30 Das Geheimnisvolle, das Übersinnliche, es gehört Jahren leidenschaftlich der Filmkunst frönt. Zu- zum Erzgebirge wie Bergmann und Engel. letzt erschien „Das Goldene Tannenbäumchen“, Am Phänomen Wismut und Bergbau ist natür- der zweite Teil einer ursprünglich als Trilogie lich auch kein Vorbeikommen, wenn man sich geplanten Filmreihe. Das Besondere an dieser mit diesem Landstrich auseinandersetzt. Fest- Produktion: Neubert ist Regisseur, Kameramann gehalten zum Beispiel in der DEFA-Produktion und Drehbuchautor in einer Person, arbeitet fast „Sonnensucher“ von 1958. Konrad Wolf entwirft ausschließlich mit Laiendarstellern und kommt hier eine kritische Darstellung des Uranabbaus mit einem Minimum an Budget aus. Außerdem der SDAG [Sowjetisch-Deutsche Aktiengesell- nähert er sich einem Thema, welches nicht nur schaft, Anm. d. Red.] Wismut. Ein schier endloses im Westerzgebirge bis heute Staub aufwirbelt Thema, von welchem heute noch Zeitzeugen ge- und das bereits 1988 von Eberhard Itzenblitz radezu unglaubliche Anekdoten berichten kön- in dem Zweiteiler „Schwarzenberg“ umgesetzt nen. Dazu lohnt sich unbedingt ein Besuch im wurde. Als Grundlage dient der gleichnamige Ro- Besucherbergwerk Pöhla. Wenn man Glück hat, man von Stefan Heym. Dieser ist zwar fiktional,

Filmstill aus Udo Neuberts „Das goldene Tannenbäumchen“ 26 FOKUS

Konrad Wolfs „Sonnensucher“ von 1958 spielt im Umfeld des Uranbergbaus im Erzgebirge. beruht aber auf historischen Tatsachen: Nach der Inspiriert durch seine Herkunft ist auf jeden Fall bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht der junge Filmemacher Moritz Richard Schmidt. 1945 blieb das Gebiet um Schwarzenberg und In Bermsgrün aufgewachsen, lebt und arbeitet er die Stadt selbst für 42 Tage unbesetzt. Eine sicher inzwischen in Berlin. Bevorzugt arbeitet er nicht- herausragende Episode aus dem erzgebirgischen fiktional und nutzt das Genre des Dokumentar- Raum, dennoch nur eine von Vielen. Und wer films. So widmet er sich in seinem Portrait „Wind sich gerne einmal weitere Geschichten aus dieser zwischen Bäumen“ dem Schaffen seines Groß- Region anhören möchte, der sollte sich auf eine vaters, dem Bildhauer und Formgestalter Hans sehr kernige Form der Mundart gefasst machen. Brockhage. Aktuell arbeitet Schmidt an einem Ausgerechnet der erzgebirgische Dialekt ist Dokumentarfilm-Projekt, welches die Auswan- übrigens Gegenstand einiger kurzer Animations- derung aus dem Erzgebirge nach New York zur filme, darunter die „Peschi und Poschi“-Reihe und Jahrhundertwende im Fokus hat. die Neudorfer „Karzl-Filme“. Kino erleben kann man im Erzgebirge heutzu- Dennoch ist es sicher keine allzu gewagte tage hauptsächlich auf konventionellem Wege. These, zu behaupten, dass das Erzgebirge auf Viele der alten Lichtspielhäuser stehen verwaist filmischer Ebene zu weiten Teilen noch unbe- in der Landschaft, wurden gar zu Einkaufsmärk- rührt ist. Dabei liefern sowohl Landschaft als ten umfunktioniert oder abgerissen. Die Kinos auch sämtliche Geschichten, die man sich dort von heute finden sich in Mehrzweckgebäuden erzählt und welche real passieren, einen enor- wieder, deren Erscheinungsbild keinerlei Raf- men Fundus und könnten ganz sicher den ei- finesse aufweist. Aber die Blockbuster laufen nen oder anderen Filmemacher inspirieren. und hier und da auch einmal im Monat der FOKUS 27

Das böhmische Erzgebirge diente 2014 „Schmitke“, mit Peter Kurth in der Hauptrolle, als Kulisse.

„besondere Film“. Positiv sticht heraus, dass so geschlossen. Aber der Vorhang zum Erzgebirge, manche Cineasten auch im Erzgebirge Eigenin- der sollte sich in Zukunft endlich einmal gänzlich itiative ergreifen. Beispielsweise im Filmkultur- auftun. Unter Umständen könnte dies dadurch treffpunkt „Neues Konsulat“ in Annaberg-Buch- befeuert werden, dass inzwischen sogar interna- holz. In uriger Atmosphäre kann sich der geneigte tionale Filmgrößen wie Terrence Malick das Erz- Zuschauer dort die eine oder andere Filmperle zu gebirge als Filmkulisse für sich entdeckt haben. Gemüte führen und danach noch schwatzend Für seinen (bisher unveröffentlichten) Film „Ra- am Tresen hängenbleiben. Zu empfehlen sind degund“, drehte er 2016 unter anderem Szenen in ebenfalls die Sommerfilmtage im Naturtheater Stollberg/Erzgebirge. Schwarzenberg, deren Initiator kein geringerer Zukunftweisend in Sachen bewegtes Bild dürf- als der hier schon erwähnte Udo Neubert ist. Hier ten für das Erzgebirge Produktionsfirmen wie hat man die Gelegenheit, tatsächlich einmal in „Still in Motion“ sein, welche neben einem Studio Bilderbuchatmosphäre sommerliches Kinover- in Dresden ebenfalls eines in Aue betreiben. gnügen zu genießen. So darf nicht nur der geneigte Cineast gespannt Es sind die Achtziger. Im alten Olympia Kino bleiben, wann die nächste Klappe für das Erzge- in Schwarzenberg hatten gerade fünf Jungs ein birge fällt. Glück auf! n cineastisches Erweckungserlebnis. Auch der di- cke Mann im Sessel juchzt vor Vergnügen. Die Jungs sind völlig aus dem Häuschen, als sich der Max Rademann schwere, rote Vorhang schließt. Und ihre Eupho- rie ebbt auf dem gesamten Nachhauseweg nicht ist freier Autor, Mode- ab. Sie können es nicht fassen, wie cool Eddie rator, Entertainer. Liest u. a. monatlich in Murphy gerade eben als „Beverly Hills Cop“ auf der Scheune mit der der Leinwand brilliert hat. Wochenlang werden Lesebühne Sax Royal sie noch davon reden, ja sogar als Erwachse- und moderiert den Dienstagssalon im ne werden sie sich noch erinnern. Nur wenige Festspielhaus Hellerau. Jahre später hatte sich der rote Vorhang des al- Lebt in Dresden. ten Olympia Kino dann leider zum letzten Mal Neisse – Nysa – Nisa film festival

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Der Regisseur und Drehbuchautor Olaf Held Gemeinsam im Konflikt

Eingeflogen für den Dreh von „Hammerthal – Kapitel 2“: Der Schauspieler Heiko Pinkowski als Pathologe in Olaf Helds Kurzfilmreihe.

Text: Sabine Kues Fotos: Chemnitzer Filmwerkstatt e.V. , Sophie Wruck

onflikte liegen Olaf Held. Inhaltlicher wo der gebürtige Chemnitzer Drehbuch stu- und formgebender Natur. Gerade hat dierte. Viele seiner Drehbuchideen entstanden der Regisseur und Drehbuchautor in Potsdam – die meisten produzierte er dann K den Dreh für „Hammerthal – Kapitel doch mit der Chemnitzer Filmwerkstatt. Sei es, 3“ beendet. Nur noch ein Nachdreh steht an. Die weil es kein Geld gab oder die Rahmenbedin- Frage nach der Handlung des dritten Kurzfilms gungen nicht stimmten, oder auch einfach aus aus der Reihe „Hammerthal“ scheint berechtigt Trotz, wenn er dort seine Ideen nicht so umset- – und ist es doch nicht: „Na ja, Handlung, also … zen konnte, wie er wollte. So gewann dann der es wird wie in den ersten beiden. Es gibt halt so Kurzfilm „Daheim“ Preise für die Chemnitzer Konflikte zwischen verschiedenen Interessen- Filmwerkstatt und nicht für die Filmhochschule parteien. Und dieses Mal geht es aber um einen – „die wollten ja nicht“, erklärt Held. Drogenschmuggel und um Alimente, und das Aber es gibt noch weitere Gründe für die lang- kollidiert. Ach nee, der Jan Kummer will ja auch jährige Zusammenarbeit mit der Chemnitzer noch zum Grundstücksamt fahren.“ Filmwerkstatt: „Erstens, weil wir uns schon so Klingt diffus. Hat aber Methode. „Eine offe- ewig kennen und die wissen, wenn ich mal laut ne Dramaturgie ist genauso eine Dramaturgie“, bin, dass ich später auch wieder nett bin. Der wirft Olaf Held ein. Es geht ihm nicht darum, andere Punkt ist, dass große Firmen auch kein mit Regeln zu brechen, sondern mit Sehgewohn- Interesse am Kurzfilm haben.“ Die Filmwerk- heiten. Das Publikum habe damit wenig Proble- statt und Produzent Ralf Glaser hingegen lassen me, meint Held. Überzeugungsarbeit musste er Olaf Held experimentieren, und das macht sich stattdessen leisten, wo Publikumswirksamkeit auch bezahlt. „Short Film“ erhielt u. a. 2013 den und Vermarktung als Thema aufkamen – wie Deutschen Kurzfilmpreis, der mit 30 000 Euro zum Beispiel an der Filmuniversität Babelsberg, dotiert ist und ist ein Manifest für den kurzen 30 MITGLIEDERPORTRAIT

film und die Musik. In dem Film begleitet er drei Roadies, die in die Jahre kommen und u. a. für „Die Toten Hosen“ und „Die Ärzte“ unterwegs waren. Für seine Filmprojekte lässt Held sich gerne auch mal von lokalen Bands inspirieren: „Es sind schon immer Chemnitzer Bands, die ich frage, ob sie mir einen Titel geben. Das hat sich ein biss- chen eingebürgert.“ „Neonblocks“, die Vorgän- gerband von „Kraftklub“, steuerte einen Track zum Kurzfilm „Petzolds Pfeifen“ bei und „Cala- Regisseur und Drehbuchautor Olaf Held veras“ spielte für den kurzen Western „Duell in Griesbach“ ihre Musik ein. Film, der für Held „im Großen und Ganzen viel Am Dokumentarfilm wiederum schätzt Held überraschender ist als Langfilme.“ auch den Entstehungsprozess: „Ich finde der Die Protagonisten von „Short Film“ kamen Schnitt beim Dokumentarfilm ist ein ähnlicher aus drei Generationen der Chemnitzer Familie Prozess wie das Drehbuchschreiben – nur dass Kummer, die nicht nur einmal für Olaf Held vor man die Textbausteine als Film hat. Es ist nichts der Kamera standen. „Jan Kummer spielt auch anderes, als wenn man schreibt, löscht und wie- schon ewig mit. Die beiden Töchter haben sich der neu schreibt.“ regelrecht beschwert, dass sie diesmal nicht da- Mit Bildern hat Olaf Held letztens auch die bei sind. Die haben jetzt aber auch ihren eigenen Raumfahrtgeschichte umgeschrieben. In „Apol- Film gedreht und ich muss mich fast schon be- lo 11 1/2“ wird ein anderes Licht auf die erste schweren, weil ich in dem Film nicht mitspiele“, Mondlandung geworfen. Ursprünglich als Idee erzählt Held leicht spöttelnd. für eine Lichtübung an der Filmhochschule So läuft das in der Filmfamilie in Chemnitz. entstanden, nutzt Olaf Held nun Archivbilder Held arbeitet gerne mit einer Mischung aus der NASA für seine Version der Geschichts- Freunden und Profis vor und hinter der Kamera. schreibung. Der Kurzfilm lief letztes Jahr bei Ein paar der Darsteller werden dann aber doch der Mitteldeutschen Filmnacht beim FILMFEST mit großem Aufwand eingeflogen, so wie der DRESDEN und wurde – fast – Publikumsliebling. Regisseur Axel Ranisch oder Schauspieler Heiko „Ich verliere immer gegen solche Gefühlsfilme“, Pinkowski, die Held noch aus Potsdamer Zeiten schildert Olaf Held die Situation und stellt mit kennt: „Heiko hat teilweise freigenommen, um trockenem Humor fest, dass er immer den 2. den halben Tag bei uns mitzuspielen. Der ist Platz mache. dann von Hamburg nach Dresden geflogen. Da Das nimmt er allerdings mit gewohnter Gelas- haben wir ihn abgeholt. Dann hat er kurz den senheit, die in der Natur seines Filmschaffens liegt Pathologen gespielt und ist dann wieder zurück- und ihn überhaupt zum Film brachte: „Es ging so geflogen.“ langsame Schritte und ist eher gewachsen. Ich Der ganz normale Wahnsinn eben – ob mit glaube, das ist auch das Ding, wieso ich das immer Laiendarstellern oder nicht. Im Schreibprozess so ein bisschen gelassener angehe. Wenn das jetzt hat Olaf Held seine Spezies jedoch bereits im nicht klappt, dann mache ich eben was anderes.“ Kopf: „Die Rollen werden dann schon so ge- Das spiegelt auch Olaf Helds Biografie wider: Vor schrieben, je nachdem wer sie spielt, dass sie das der Wende lernte er Werkzeugmacher. Nach der auch bringen. Dieses Mal war es auch interes- Wende lernte er Reiseverkehrsfachmann. Als es sant mit Axel, der das von außen analysiert hat- ihn schließlich zurück nach Chemnitz zog, kam te: ‚Der Jan Kummer spielt ja so gar nicht. Aber der Film ins Spiel: Zunächst arbeitete er an der das wiederum mit so einer Besessenheit!’“ Bar in der Kulturbrauerei VOXXX, später als Die Chemnitzer und die Filmwerkstatt haben Vorführer und Programmgestalter im integrier- einen großen Stellenwert in Olaf Helds Schaffen. ten Kino. Hier ergaben sich die ersten Kontakte In seinem langen Dokumentarfilm „Roadcrew“ zur Chemnitzer Filmwerkstatt und führten dazu, spielen gleich zwei weitere filmische Leiden- dass Held 1998 seine erste Kung-Fu-Szene für schaften von Held eine Rolle: Der Dokumentar- Ralf Glaser schrieb und seitdem auch nicht mehr MITGLIEDERPORTRAITFILMPRAXIS 31

Olaf Held am Set von „Hammerthal – Kapitel 3“, dass sich derzeit noch in Postproduktion befindet. Es geht um Drogen, Alimente und das Grundstücksamt, u. v. m. mit dem Schreiben aufhörte. Genrefilm darf es der bundesweiten Förderung der BKM. Das lässt dann ruhig auch gerne sein. ihm jedoch zum Glück noch genügend Zeit, um Ausgeufert war aber – wenn man mal ehrlich seine eigenen Filmprojekte anzuschieben. Nach ist – alles schon viel früher, als Olaf Held noch „Hammerthal – Kapitel 3“ kann er sich durchaus Filmlexika klebte: „Ich habe als Kind selbst Lexi- noch weitere Folgen vorstellen. Der vierte Teil ka angefertigt mit Schauspielern und Schauspie- könnte womöglich nur drei Minuten gehen – im lerinnen – auch mit Regisseuren. Aus Fernseh- Vergleich zu den vorherigen „Halbstündern“. Nur zeitungen habe ich Bilder ausgeschnitten und in nicht vorhersehbar werden scheint die Devise. alphabetischer Reihenfolge zu jedem die Filme „Ich will mich stilistisch auch nicht so festlegen, geklebt, die er gemacht hat.“ sonst langweilt mich das letzten Endes,“ stellt

Heute klebt Olaf Held keine Lexika mehr, son- Held fest. n dern sitzt in Fachbeiräten von Förderern, wie der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen oder www.filmwerkstatt.de FILMPRAXIS 32 Aktuelle32 FOKUS Termine

5. – 15.4. GEGENKino 15. – 20.5 15. Neiße Filmfestival gegenkino.tumblr.com www.neissefilmfestival.de

12. – 14.4. Arab European Documentary ANTRAGSFRISTEN FÜR FÖRDERUNGEN Convention documentary-convention.org SLM laufend Ergänzende kulturelle Filmförderung 13.4. FILMACHSE: Werkstattgespräch – www.slm-online.de Große Bilder vs. Kleines Geld www.filmachse.de laufend FFA Projekt-/Drehbuchförderung 20.4. FILMACHSE: Trickfilmstammtisch www.ffa.de www.filmachse.de BKM 4.5. Galanacht – Dogs, Bones and Catering 18.4. Spielfilme (27. – 29. 4.) 3.5. Dokumentarfilme www.dogsbonesandcatering.de www.kulturstaatsminister.de

18. – 20.5. Treffen des Netzwerk Lausitzer KdFS Filmschaffender 1.7. Stipendien luzyca-film.de www.kdfs.de

7.6. FILMSOMMER SACHSEN MDM www.filmverband-sachsen.de 11.7. alle Förderbereiche www.mdm-online.de FESTIVALS EINREICHTERMINE FESTIVALS IN 2018 10. – 15.4. 15. KURZSUECHTIG kurzsuechtig.de 1.7. 23. SCHLINGEL

17. – 22.4. 30. FILMFEST DRESDEN 7.7. 61. DOK Leipzig www.filmfest-dresden.de

Angaben ohne Gewähr

Impressum

1. Vorsitzender: Joachim Günther (ViSdPG) Redaktion/ Anzeigen: 2. Vorsitzende: Sandra Strauß Redaktionsschluss: 2.5.2018 Anzeigenschluss: 9.5.2018 Informationsblatt des Titelbild: © 2018 Home Box Office, Inc Erscheinungstermin: 1.6.2018 FILMVERBAND SACHSEN E.V. Autoren dieser Ausgabe: [email protected] Der AUSLÖSER verzichtet im Interesse Grit Krause, Sabine Kues, Sus- des Textflusses und der Lesefreundlichkeit anne Magister, Max Rademann, Hinweis: Die veröffentlichten Beiträge und auf eine geschlechtsneutrale Lars Tunçay, Gisela Wehrl Meinungen geben nicht unbedingt die Formulierung. Es sind jedoch immer Meinung der Redaktion wieder. Die Redak- alle Geschlechter im Sinne der Korrektorat: Susanne Mai tion behält sich das Recht zur sinnwahren- Gleichbehandlung angesprochen. Gestaltung/Satz: Ruhrmann Design den Kürzung von Beiträgen vor. Druck: Druckerei Schütz GmbH Herausgeber: FILMVERBAND SACHSEN E.V. Auflage: 2.200 www.facebook.com/filmlandsachsen Schandauer Straße 64, 01277 Dresden Tel. 0351-31540630 Der AUSLÖSER erscheint in www.filmverband-sachsen.de 4 Ausgaben pro Jahr

AUSLÖSER ABONNIEREN UNTER WW.FILMVERBAND-SACHSEN.DE/AUSLOESER-ABONNIEREN 30. FILMFEST DRESDEN MDM geförderte Filme im Kino: KURZE SACHSEN

Gestern und Heute treffen auf Jung und Alt. Im diesjährigen Programm präsentiert der FILMVERBAND SACHSEN eine Reise durch die Zeit und schlägt eine Schneise quer durch Animations-, Dokumentar- und Experimentalfilm. Sechs kurze Filme aus der Region stellen sich sozialistischen Utopien von damals im Heute, inszenieren mit Hilfe von lustig-verspielten Horrorszenarien den Klimawandel und während das Alter die Erinnerung verliert, findet an anderer Stelle die Jugend Wege in die Zukunft. Zeitlos sind alle diese Kurzfilme. Das FILMFEST DRESDEN bietet die Vor dem Frühling Gelegenheit, zum Teil preisgekrönte Filme neben Weltpremieren zu erleben. Regie: George Owaschwili

Der Hauptmann Regie: Robert Schwentke

1989 – Lieder unserer Ankunft Irgendwer Heimat: Na, ich liebe doch Falk Hoysack Marco Gadge Schwarwel Experimentalfilm, 2017 Spielfilm, 2017 Animationsfilm, 2017

Gestern gibt es nicht Oh Brother Octopus Bei Nacht erwacht Die Sanfte Meike Wüstenberg Florian Kunert Falk Schuster Regie: Sergei Loznitsa Spielfilm, 2017 Dokumentarfilm, 2017 Animationsfilm, 2017

19.4.2018 21.4.2018 19:30 Uhr 17:00 Uhr www.mdm-online.de Lingnerschloss Filmtheater Schauburg

www.filmverband-sachsen.de FILMSOMMER_2018.pdf 1 19.03.18 09:11

7. JUNI C

M

Y

CM

MY

CY FILMSOMMER

CMY K SACHSEN

Mediencampus Villa Ida Leipzig www.filmverband-sachsen.de