Swr2-Musikstunde-20130703.Pdf
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2 SWR2 Musikstunde, 3.7.2013, 9.05 bis 10 Uhr Wunderkinder unterwegs. Die Mozarts auf Europareise 1763-1766 Teil 3: Paris Indikativ 0‘20 Wir haben die Familie Mozart auf ihrer großen Europareise bisher von der Salzach bis an den Rhein begleitet, mit ihnen die Erfolge in Nymphenburg und Schwetzingen erlebt und mit ihnen die Unbilden des Reisens durchlitten, als da wären gebrochene Kutschräder, schlechtes Wetter mit anschließenden Erkältungskrankheiten, teure Quartiere – und gar nicht zu sprechen von der Ernährung. Auf der großen Reise lernt Leopold Mozart sein heimatliches Salzburg zu schätzen, und insbesondere die Salzburger Küche. Von der Qualität des Brots ist er, je weiter die Reise Richtung Norden fortschreitet, immer weniger angetan. Es ist, wie er im September 1763 aus Koblenz schreibt, „mehrenteils schlecht gebacken, das Mehl schwarz, wie wir denn in diesen Gegenden gar keine Mehlspeise bis itzt gesehen haben, denn sie können hier keine machen.“ Wenigstens kann Mozart eine Reihe von Konzerten platzieren und nimmt in Mainz, Frankfurt und Koblenz einiges Geld ein. Paris ist das große Etappenziel, Paris, weil dort die musikalischen Möglichkeiten unbegrenzt scheinen. Dabei schätzt Mozart die französische Musik überhaupt nicht. Von Jean Philippe Rameau, der bedeutendsten Autorität findet sich in seinen Briefen kein Wort, und französische Clavecin-Musik wie zum Beispiel Rameaus La Dauphine von 1747 dürften die Mozart-Kinder auch nicht gespielt haben. Dafür hören Sie jetzt Gilbert Rowland mit La Dauphine. Musik 1: CD track 20 2:57 Jean-Philippe Rameau, La Dauphine Gilbert Rowland, Cembalo Naxos 8.553048 LC 5537 3 Rameaus La Dauphine, das letzte Stück des Komponisten für Cembalo solo aus dem Jahre 1747, dürfte auf ein konkretes Ereignis zurückgehen, denn Anfang 1747 hatte der französische Thronfolger, der Dauphin Louis Ferdinand, in zweiter Ehe die sächsische Prinzessin Maria Josepha geheiratet. Ihr zu Ehren dürfte das pompöse Cembalostück komponiert worden sein. Sie ist auch dabei, als die Mozarts am Neujahrstag 1764 in Versailles an die königliche Tafel gerufen werden. Wie es Leopold Mozart gelingt, sich innerhalb weniger Tage in Versailles Zutritt zur Königsfamilie zu verschaffen, muss sein Geheimnis bleiben. Jedenfalls berichtet er mit großem Stolz, „dass mein Herr Wolfgangus immer neben der Königin zu stehen, mit ihr beständig zu sprechen und sie zu unterhalten und ihr öfters die Hände zu küssen, und die Speisen, so sie ihm von der Tafel gab, neben ihr zu verzehren die Gnade hatte.“ Nannerl und ihre Mutter stehen dagegen neben Prinzessin Adelaide, einer der Königstöchter. Adelaide ist 32 Jahre alt und unverheiratet. Sie ist eine begabte Musikerin, und sie liebt die Provokation. So wollte sie immer Geige lernen, was für Damen der Gesellschaft aber als unschicklich gilt. Charles Henri Blainville widmet ihr daraufhin eine Sammlung von Sonaten für Diskantgambe, wohl mit der Absicht sie für dieses manierlichere Instrument zu interessieren. Aus der dritten Sonate in F-Dur spielt Simone Eckert die ersten beiden Sätze. Sie wird begleitet von Ulrich Wedemeier, Theorbe, Karl Ernst Went, Cembalo und Barbara Hofmann, Viola da Gamba. Musik 2: CD track 6.1+6.2 4:02 Charles Henri Blainville Sonata III F-Dur: Adagio und Presto Simone Eckert, Diskantgambe; Ulrich Wedemeier, Theorbe; Karl Ernst Went, Cembalo; Barbara Hofmann, Viola da Gamba CHR 77197 LC 0612 Prinzessin Adelaide ist nicht die einzige in der königlichen Familie mit einem ausgefallenen Musikgeschmack. Die vier noch lebenden Töchter König Ludwigs XV., alle erwachsen, alle unverheiratet, interessieren sich ebenso wie ihre Mutter weniger für die Oper als vielmehr für besondere Musikinstrumente. Alle 4 fünf kennen sich auf dem Modeinstrument der Zeit gut aus – auf der Vieille, der Drehleier. Warum dieses bäuerliche Instrument ausgerechnet bei der französischen Aristokratie so beliebt ist, lässt sich leicht erklären: Die Drehleier ist das klangliche Emblem für die Philosophie des Natürlichen, für die Verherrlichung des Landlebens jenseits der höfischen Etikette. Wenn die Königin Drehleier spielt, kann sie sich auch im golddurchwirkten Prachtkleid wie ein Landmädchen fühlen und in die freie Natur hinein träumen. Die Vieille erlebt in der Mitte des 18. Jahrhundert in Paris eine Blütezeit. Aus der Sonate op. 3, 1 von Jean Baptiste Dupuits spielen Matthias Loibner und Riccardo Delfino die Sätze Ariette gracieusement und Tambourin. Musik 3: CD track 11+12 4:46 Jean-Baptiste Dupuits, Sonate 1, op. 3: Ariette gracieusement und Tambourin Matthias Loibner und Riccardo Delfino, Drehleier cpo 999 864-2 LC 8492 Die Mozarts treffen am 18. November nach einer beschwerlichen und teuren Reise in Paris ein. Leopold ist geschockt über die Preise in der Metropole. „Wohlfeil ist hier nichts“, schreibt er an Hagenauer, und angesichts der Verschwendung, die er allenthalben sieht, fällt ihm nichts als Sarkasmus ein. Am meisten ereifert er sich über den pelzbesetzten Schaft eines Degens – immerhin würde die Waffe, so sein bissiger Kommentar, auf diese Weise nicht gefrieren. Es ist Vorweihnachtszeit in Paris und damit auch die Zeit der Noëls, der Weihnachtsmusiken. Sie werden im Concert spirituel aufgeführt, der Pariser Konzertreihe, die alle Arten Instrumental- und Vokalmusik, vor allem auch geistliche Musik außerhalb der Kirche zu Gehör bringt. Eine Serie populärer Noëls stammt von Michel Corrette, einem Pariser Organisten, der das französische Musikleben im 18. Jahrhundert fast 60 Jahre lang mitgestaltet hat. Eines dieser Konzerte präsentiert als Mittelsatz einen Noël polonais, eine polnische Weihnachtsmusik, und das ist sicherlich eine Hommage an die polnischstämmige französische Königin. Das Ensemble Fantasia mit Rien Voskuilen als musikalischem Leiter und an der Orgel spielt diesen Noël mit den Sätzen Allegro: Wohin gehen diese frohen Hirte? – Noël polonais – und Allegro: Lasset eure Tiere weiden. 5 Musik 4: CD track 5-7 7:34 Michel Corrette, Sinfonia 2 Ensemble Fantasia – Rien Voskuilen, Orgel und Leitung Brilliant Classics 93538 LC 9421 Der Neujahrstag in Versailles ist für die Mozarts einer der Höhepunkte der Europareise. Auch Madame Pompadour, die einflussreiche Mätresse des Königs, ist anwesend. Leopold Mozart beschreibt sie so: „Sie muss recht gar schön gewesen sein, denn sie ist noch sauber. Sie ist großer ansehnlicher Person, sie ist fett, wohl bei Leib, aber sehr proportioniert und blond.“ Mit keinem Wort erwähnt Mozart, dass Madame Pompadour bereits vom Tod gezeichnet ist; dreieinhalb Monate später wird sie an der Schwindsucht sterben. In Paris sucht Mozart Kontakt zu anderen Musikern und lernt sehr bald Johann Schobert kennen, den Cembalisten des Prinzen von Bourbon-Conti. Schobert verehrt den Mozart-Kindert seine neu gestochenen Klaviersonaten, und Mozart berichtet in einem langen Brief an Frau Hagenauer in Salzburg: „Mein Mädl spielt die schwersten Stücke, die wir itzt von Schobert und Eckard etc. haben, mit einer unglaublichen Deutlichkeit.“ Vielleicht war eine der Sonaten aus Schoberts op. 14 dabei. Brigitte Haudebourg spielt die ersten beiden Sätze aus der ersten Sonate in B-Dur. Musik 5: CD track1+2 3:59 Johann Schobert, Klaviersonate Nr. 1 B-Dur: Allegro assai und Andante Polonaise Brigitte Haudebourg, Fortepiano ARN 48287 Paris ist eine große Stadt, überwältigend, einschüchternd. Die Metropole konfrontiert die Familie aus dem kleinen, beschaulichen Salzburg mit Dingen, von denen sie noch nie gehört haben. Von der neumodischen Pockenschutzimpfung berichtet Mozart seinem Freund Hagenauer, und auch, dass er lieber auf die Gnade Gottes vertraut als auf medizinisches Menschenwerk. Dabei kennt er sich aus in Hygiene: Das Trinkwasser, das aus der Seine geholt und auf den Gassen verkauft wird, kochen die Mozarts ab, um 6 es keimfrei und genießbar zu machen. Und von einer Neuerung ist Mozart so beeindruckt, dass er Hagenauer davon berichten muss: „Haben Sie – so schreibt er – einmal etwas von einem englischen Abtritte gehöret? Das findet man hier fast in allen Hotels. Auf beiden Seiten sind Wasserpippen, die man nach der Execution umdrehen kann. Eine macht das Wasser abwärts spritzen, die andere das Wasser, das auch warm sein kann, aufwärts. Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen mit höflichen und anständigen Worten mehr erklären kann, das Übrige müssen Sie sich einbilden, oder mich seinerzeit fragen.“ Eine passende Überleitung zur nächsten Musik fällt mir jetzt, meine Damen und Herren, ehrlicherweise nicht ein; hören Sie also den ersten Satz Allegro ma poco aus dem Violinkonzert op. 10, Nr. 4 F-Dur von Jean-Marie Leclair, gespielt von Simon Standage und dem Collegium Musicum 90. Musik 6: CD track 4 6:13 Jean-Marie Leclair Violinkonzert 10,4: 1. Satz Allegro ma poco Simon Standage, Violine; Collegium Musicum 90. CHAN 0589 LC 7038 Leclair gilt seit Jahrzehnten als die Instanz in Sachen Violine in Paris. Man bezeichnet ihn gar als den französischen Corelli. Er hätte also ein wichtiger Ansprechpartner für Leopold Mozart sein können, der ja seinerseits Geiger und Autor einer Violinschule ist. Aber Mozart kann mit der französischen Musik nichts anfangen. An Hagenauer schreibt er: „Hier ist ein beständiger Krieg zwischen der italienischen und der französischen Musik, die ganze französische Musik ist keinen Teufel wert. Man fanget aber nun an, grausam abzuändern. Die Franzosen fangen nun an, stark zu wanken, und es wird in 10 bis 15 Jahren der französische geschmack, wie ich hoffe, völlig erlöschen.“ Auch mit der französischen Kirchenmusik wird er nicht warm. Der Sologesang erscheint ihm „leer,