Der Sprachlose Berti Die Länderspielreise Nach Malta Sollte Für Die Nationalmannschaft Der Aufbruch in Eine Bessere Zukunft Werden
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
Sport FUSSBALL Der sprachlose Berti Die Länderspielreise nach Malta sollte für die Nationalmannschaft der Aufbruch in eine bessere Zukunft werden. Es wurde eine verkorkste Trainingswoche, in der ein beschädigter Bundestrainer Vogts konzept- und machtlos wirkte. ie es im Süden so ist, das weiß die sen, die Nationalmannschaft nach dem ent- „Sie wollen mich abschießen.“ Dann erin- Ehefrau des deutschen Fußball- setzlichen Turnier noch einmal neu zu for- nert er an einen Politiker, der sich selbst er- WBundestrainers. „Allein der Blick men; das traut ihm nur niemand mehr zu. niedrigt, nur um nicht zurückzutreten. aufs Meer“, schwärmte die Autorin Moni- Er spricht von Geduld und „viel, viel Ar- Der Fußball-Lehrer wollte sich eben auf ka Vogts in einer Kolumne, „die krei- beit“, die „auf den Bundestrainer hinzu- keinen Fall der „Bild“-Zeitung beugen, die schenden Möwen und dann noch der dicke kommt“; doch beim Deutschen Fußball- diesmal nicht so plump wie 1994 („Herr Mond am Himmel, die letzten Bötchen, Bund (DFB) ist in kleinen Kreisen schon Vogts, unterschreiben Sie hier“), sondern die ihrem Hafen müde tuckernd in die wieder das Szenario einer baldigen Tren- perfide mit Leserbriefen („Berti, tu uns das Arme fallen.“ Das soll sich im Sommer in nung angesprochen worden. nicht an und laß endlich einen anderen Frankreich zugetragen haben. Vogts hat keine Chance mehr. Es scheint, ran“, Dieter Christl, Luckenwalde) seine Die Insel Malta liegt noch weiter im Sü- als wisse er das, wenn er mit rundem Demission herbeidrucken wollte. Und des- den. Und Berti Vogts, 51, der hier in der Rücken reglos am Spielfeldrand sitzt oder halb setzte er jede Maßnahme um, die ir- letzten Woche sich und seine Mannschaft wenn er einen arglosen Schreiber anfährt: gendwer irgendwo vorgeschlagen hatte. auf die sportliche Zukunft Mancher Profi, der vor der WM eine Fla- vorbereiten wollte, hatte aus sche war, ist nun Leistungsträger. Andere, seinem Hotelzimmer einen die damals als Bertis Jünger galten, hat er herrlichen Blick aufs Meer; abgestoßen. Einen großen Teil seiner Macht er konnte Möwen, einen fet- reichte er an Stefan Effenberg weiter, jenen ten Mond und eine Menge Mann, der seit 1994, seit seinem Abgang Bötchen sehen. Es fiel nur mit gestrecktem Mittelfinger, „unter mei- niemand irgendwem in die ner Verantwortung nie wieder für Deutsch- Arme – kein müdes Boot sei- land spielen“ (Vogts) sollte. nem Hafen und niemand Vor Frankreich hatte Vogts den Ruf, ge- dem Bundestrainer. Es war radeaus zu sein, ein ehrlicher Arbeiter, der eine einsame Woche. schon dafür Respekt verdiente, daß er sich Einmal hockte Vogts zum für vergleichsweise lausige 40 567 Mark Beispiel vor einer Leinwand brutto im Monat gegen die Glitzerwelt des im Kinoraum des National- Fußballs und gegen die Beckenbauers und stadions, schwenkte sich auf Beckmänner stemmte. Auf einmal aber einem Drehstuhl erst nach steht Berti Vogts nur noch für sich. links und dann nach rechts Er habe halt keine Lobby, sagt er, er sei und sagte: „Von meiner Sei- der „Buhmann“ und der „Mülleimer“ der te aus Kritik üben, das kann Nation.Aber das wird auch durch Wieder- man nicht.“ Pause. Dann: holung nicht richtig. Es scheint eher so, als „Insgesamt muß man das al- sehe er sich ganz gern als Opfer. les ein wenig kritisch sehen.“ In Wahrheit gibt es ja viele Menschen, So redete Vogts und sagte die Berti Vogts für ziemlich nett halten. mit dem einen Satz dies und Alle, die von ihm jemals diese Geschichte mit dem nächsten das Ge- vom Friedhof gehört haben, empfinden genteil. Einmal immerhin sehr viel Mitleid und Achtung für Vogts. scherzte er: „Fahrradkette“ Zwölf Jahre alt war er, damals, als seine nenne man sein neues Ab- Mutter an Leukämie und dann der Vater wehrsystem, „Fahrradkette nach Herzproblemen starben. Am Grab mit Fußballern“. Doch es sprach der Pfarrer, daß sie wohl noch leben gab keine Brücke zu seinen würden, wenn der kleine Hans-Hubert ein Zuhörern, kein Nicken und lieber Junge gewesen wäre. So etwas wird kein Lächeln wie früher, nur keiner los, aber Vogts ist weit gekommen, leere Blicke von Vogts und und das wissen seine Freunde und die Leu- zweifelnde aus dem Audi- te vom DFB. Es geht ihnen ums Fachliche. torium. Es war nicht so wie Vogts, das spüren sie alle, hat am 4. Juli am Ende der Weltmeister- nicht einfach ein Spiel gegen Kroatien ver- schaft – es war noch trister. loren; er ist in Frankreich mit seiner Idee Denn seit der WM ist Ber- gescheitert. Es war seine WM. Nach jahre- ti Vogts ein melancholischer FIRO langer Aufbauarbeit hatte er dort nicht Mann. Er hat sich entschlos- Trainer Vogts auf Malta: „Ballorientierte Gegnerdeckung“ mehr das Erbe Franz Beckenbauers bei- 162 der spiegel 37/1998 34/1998); Kapitän Jürgen Klins- mann soll sein Herrschaftswissen gehütet haben. Das Resultat war eine Stimmung, die „nicht gut und nicht schlecht“ war, so Jeremies: „Man hat halt so vor sich hin ge- lebt, weil nie richtig das Feuer da war.“ Und genauso haben sie Fuß- ball gespielt. „Jeder wollte keinen Fehler machen, wir sind kein Risi- ko eingegangen“, sagt Jeremies. Natürlich sind bei manchen Män- nern die Zweifel geblieben: Warum sollte Vogts in der nächsten Streß- situation anders reagieren? Wo soll er nun anfangen, ohne automatisch das zu verraten, was er sein „Kon- zept von Fußball“ nannte? Ein Funktionär hält es daher für mög- lich, daß bereits eine Niederlage im Oktober in der Türkei zu einem Trainerwechsel führen könnte; Jupp Heynckes, der sich ein Ruhejahr gönnt, sei dann ein Nachfolgekan- didat, zu einem späteren Zeitpunkt der Leverkusener Christoph Daum. Profis wie Jeremies, 24, schätzen Vogts, verfolgen die Diskussion je- doch emotionslos. Der Mittelfeld- spieler vom FC Bayern malt gleich- mütig Kästchen auf ein Stück Pa- GES pier und sagt: „Ich nehme es, wie’s Nationalspieler Marschall, Bierhoff, Linke (im Spiel gegen Malta): „Man muß den Gegner sehen“ kommt.“ Andere, wie der Kollege Kahn, 29, der Jeremies gegenüber- sammen, sondern die Mannschaft, die er Jens Jeremies sagt, „der Druck von den Ver- sitzt, sind entsetzt, „wie viele Schläge so ein wollte: diszipliniert und willig, 22 kleine antwortlichen so groß war, daß da viel ge- Trainer bekommt“, das sei „Wahnsinn“. Bertis. Fußball, das hatte Vogts ihnen ein- sagt wurde, was anders gedacht wurde“. Einig sind sich alle in der Mannschaft, gebimst, bestehe aus nichts als 90 Minuten Ein Schauspiel für die Öffentlichkeit also, daß der Neuaufbau, ob mit diesem oder Arbeit auf dem Sportplatz, und die müsse bei dem Ersatztorwart Oliver Kahn den Ein- ohne diesen Trainer, halb so wild werden ein verschworener Männerbund leisten, druck bekam, „daß viele Aussagen durch ei- wird. Denn die vermeintliche Krise des der sich durch nichts von dem „großen Ziel nen Weichspüler gelaufen sind“. deutschen Fußballs werde, so Kahn, „viel vor unseren Augen“ (Vogts) abbringen läßt. Es haperte „an der Kommunikation so- zu radikal“ dargestellt: „Das ist ja das Lu- Eine hübsche Theorie. Doch mit zuneh- wohl zwischen den Spielern als auch im stige und Schizophrene am Sport, daß an mendem Streß machte der zu Turnier- Verhältnis der Spieler zum DFB und zum Banalitäten wie einem Pfostenschuß und beginn starke Vogts zunehmend Fehler; Trainer“, wie Bierhoff monierte (SPIEGEL einem unglücklichen Gegentor Diskussio- „wenn der Druck groß war“, sagt ein DFB- nen aufgehängt werden, die monatelang Mann, „gab es garantiert Pannen“. Daß laufen.“ Der DFB habe definitiv kein Vogts nach dem Ausscheiden „gewissen Nachwuchsproblem, sondern „genug Spie- Herren“ vom Weltverband ein Komplott ler in der Hinterhand“. gegen das „zu erfolgreiche“ Deutschland Das sind Leute wie die beiden Rostocker unterstellte, war der Höhepunkt. Ob er Profis Marco Rehmer, 26, und Oliver Neu- wohl an „spiritistischer Osmose“ leide, ville, 25, die sehr gerührt und sehr stolz wa- überlegte die „Süddeutsche Zeitung“. ren, als sie am Mittwoch ihr erstes Län- Es hat ja auch in seiner Mannschaft nicht derspiel absolvieren durften. Rehmer, ein gestimmt. Unzufriedene wie Olaf Thon kluger Mann in Joop-Jeans und Armani-T- werfen dem Bundestrainer vor, auf Druck Shirt, ist einer jener modernen Verteidi- von „Bild“ Lothar Matthäus in die Mann- ger, die auch Fußball spielen können. „Ich schaft genommen und den Profis nicht die antizipiere“, sagt er und meint damit, daß Wahrheit gesagt zu haben. „Führungsspie- er meist schneller am Ball ist als der geg- lern“ (Vogts) wie Oliver Bierhoff mißfiel, nerische Stürmer, dem der Paß gilt. daß nie ein „Mannschaftsgerüst“ entstand, Der Ost-Berliner war drei Jahre alt, als weil „es einfach zu sehr hin- und herge- seine Mutter sagte, er könne nicht immer wechselt“ hat. „Es“ steht für den Mann, „in der Wohnung rumschießen“.Also kam der sich nicht entscheiden konnte. Marco in den Sportverein, in die Kinder- Und am schlimmsten war das Gerede von und Jugendsportschule, zum 1. FC Union. den „22 Gleichen“, von der „guten Stim- Als die Mauer fiel, brachte der 17jährige ge- mung“ im „schönen Frankreich“ – all die- H. RAUCHENSTEINER rade seine Freundin aus der Disko nach se Floskeln, die täglich von jedem herun- Nationaltorwart Kahn Hause; dann ging er ins Bett und hörte die tergebetet wurden, weil, wie der Münchner „Das Schizophrene am Sport“ Nachricht deshalb am Morgen von seiner der spiegel 37/1998 163 Sport Mutter. Ganz vorsichtig „habe ich am rerer Kollegen für ein Weilchen in der WC- Abend mal kurz rübergemacht“, und erst Kabine verschwunden sein sollen. viel später kamen die Gedanken, daß all In der letzten Woche schickte er aller- das zum idealen Zeitpunkt geschehen war dings wie selbstverständlich die anderen und daß es für den im DDR-Sport Ausge- herum, während er selbst bloß in der Mit- bildeten nun eine Welt mit Sat 1 und Bay- te des Feldes stand. Dafür trug er auf dem ern München geben könnte. holprigen Übungsplatz als einziger Profi Es sind Leute wie Rehmer, die erahnen lange Hosen.