K ultur. | Dienstag, 6. September 2016 | Seite 13 Selbstvergessen ist der Mann Nachrichten Werkaufenthalt für «Blonde» respektive «Blond»: Die überfällige Rückkehr des Soul-Sängers 19 Kunstschaffende

Basel. 19 Kunstschaffende der Region Von Nick Joyce die hohen Erwartungen, indem es sie Lang ist die Liste der Studiogäste, Basel/Südbaden/Solothurn/Elsass unterwandert. Wie schon mit die Ocean auf «Blond» begleiten, wobei erhalten einen Werkaufenthalt im Im digitalen Musikmarkt ist der Kunde «Anti» und auf «The Life Of kaum einer davon mehr als eine Statis- A usland: Drei Jurys in den Bereichen immer der Dumme. Egal mit welchen Pablo» kokettiert auch Ocean mit der tenrolle bekleiden darf. Zu Beyoncé und Bildende Kunst, Literatur und Mode & Streaming-Abonnements man sich Unfertigkeit, doch ist «Blonde» persön- Kendrick Lamar gesellen sich hier Jonny Textil haben Ende August 2016 aus ins- bereits eingedeckt hat – die Musik licher und darum auch einnehmender Greenwood von Radiohead sowie James gesamt 172 eingegangenen Bewerbun- scheint immer woanders zu spielen. geraten als die medienumwitterten Blake, die mit ihren eigenen Projekten gen folgende Kunstschaffende für ein Über Spotify kam man beispielsweise Werke der Kollegen. Gitarren-Rock respektive Elektro-Soul Atelier-Mondial-Stipendium 2017 aus- lange nicht an «25» von Adele heran, Wobei auch Ocean, der grosse als Umgebungsmusik neu interpretie- gewählt: Karin Borer, Marian Mayland, denn bei der Veröffentlichung war Z auderer und Grübler, 2016 nicht um ren. Kein Wunder, dass diese britischen Fantine Andrès, Kathrin Borer, Marc d ieser Blockbuster eines nur im das Thema der Polizeiwillkür gegen Individualisten so gut in O ceans berau- Norbert Hörler, Marcel Mayer, Jan klassischen Tonträgerhandel erhältlich. schwarze Menschen herumkommt. Die schend eklektischem Mix aufgehen. Bachmann, Sara Gassmann, Sascha Liebhabern von TV-Musiksendun- oft tödlich endende Gewaltbereitschaft Bei der ganzen Aufregung um Brosamer, Andreas Schneider/Capu- gen geht es nicht besser: Ohne Netflix- der Sicherheitskräfte hätte auch ihn «Blonde» und den 40-minütigen Teaser cine Matti, Simone Etter, Clémence Abo hat man keinen Einblick in «The treffen können, singt Ocean mit grotesk «Endless», der diesem voraus- Choquet und Mickaël Gamio. mat Getdown», Baz Luhrmanns neue Serie hochgepitchter Falsettstimme im Eröff- ging, ist einer der Hauptgründe ver- über die Pionierzeit des Hip-Hop. Und nungsstück «Nikes» und bezieht sich gessen gegangen, warum «Channel Genfer Regisseurin will man herausfinden, wie der a llseits ganz konkret auf den 2012 in Florida Orange» 2012 für so viel Wirbel sorgte. Patricia Plattner ist tot bejubelte Frank Ocean bei s einem lange ermordeten Trayvon Martin. Zeitgleich mit Barack Obamas Kam- Weiter gesteigert. Frank Ocean (28) erwarteten Comeback klingt, muss man Ansonsten ist Oceans Welt eher eine pagne für die Einführung der so g enann- übertrifft die Erwartungen. Foto Andy Holmes Genf. Die Genfer Regisseurin Patricia bei Apple Music unterschreiben. private, wo «zu viele Weisse lügen und ten Homo-Ehe bekannte sich Ocean zu Plattner ist nach jahrelangem Kampf zu viel weisses Pulver herumliegt». seiner Bisexualität. Die Medien spra- Musikmarkts widersetzt und die Ver- gegen Krebs am Montagmorgen im Destillat des Lebensgefühls D ramaturgisch korrekt verpackt Ocean chen von einem grossen Schritt bei der breitung von «Blonde» über andere Alter von 63 Jahren gestorben. Sie war Frank wer? 2012 war Christopher seine vielen Selbstzweifel und seltenen Öffnung der traditionell homophoben Streaming-Plattformen als Apple Music vor allem für Dokumentarfilme wie Edwin Breaux, wie der 1987 in Kalifor- Glücksgefühle in grobkörnige Heim- Black Music Amerikas für die Gleichge- oder gar den physischen Tonträger- «Made in India» (1999) bekannt und nien geborene Sänger, Rapper und Pro- aufnahmen, kuriose Vignetten und schlechtlichkeit. verkauf abwartet. erhielt 2000 an den Solothurner Film- duzent bürgerlich heisst, mit «Channel luxuriös aufgeschichtete Klanggebilde. Wobei: Solange der anspruchsvolle tagen den Prix UBS. SDA Orange» ein Klassiker des modernen Zu «Blonde» kann man schlecht tanzen Brisant und doch subtil Musikinteressierte dieses Album nicht Urban-Genres gelungen. Oceans und noch schlechter träumen, dafür ist Vier Jahre später scheint der viel gehört hat, hat er etwas verpasst. Näm- Maler Hockney redet bei Mischung aus Hip-Hop, Soul, Erzähl- das Album zu fragmentiert geworden, beschworene «Frank-Ocean-Effekt» lich einen gewagten und gelungenen der Buchmesse Frankfurt kunst und Gesellschaftskritik kam wie zu brüchig und zu vielseitig. v erpufft, «Good Guy» handelt zwar von Versuch, Black Music brisant und doch ein Destillat des Lebensgefühls im Im Sprechstück «Be Yourself» warnt einer Begegnung in einer Schwulenbar. subtil zu machen. Seit «Lemonade» Frankfurt/Main. Der britische Maler schwarzen Amerika nach Barack Oba- eine anonyme Combox-Nachricht (viel- Ocean würgt die Songskizze mit den kann das Beyoncé natürlich auch. Nur David Hockney spricht als Hauptredner mas erster Amtszeit daher. Auf «Chan- leicht von Oceans Mutter?) vor den Las- seltsam mäandernden Pianoakkorden spürt man bei diesem Star immer ein an der Eröffnungs-Medienkonferenz nel Orange» folgte aber eine lange tern des Musikgeschäfts, in «Facebook aber so schnell wieder ab, dass ihr der gewisses Kalkül. Ganz anders Frank der Frankfurter Buchmesse. Aus Kreativ pause, die Ocean nur durch gele- Story» erzählt der französische DJ Hauch eines Sekundenschlafes anhaf- Ocean, der auf «Blonde» noch selbstver- besonderem Grund: Kunst ist ein neuer gentliche Gastauftritte, vage Verspre- Sebastian von einer Beziehung, die am tet. Als hätte er mit «Good Guy» zu viel gessener und darum auch souveräner Themenschwerpunkt der Messe. chungen und der Mitarbeit an einem Umgang mit sozialen Netzwerken von sich preisgegeben. als auf «Channel Orange» daherkommt. Daher wurde nach Angaben der Messe Werbespot für den Modemacher Calvin gescheitert ist. Wenn «Blonde» oder Zum Glück steckt «Blonde» voller Man hätte diese Steigerung kaum für ein Künstler – und nicht wie üblich ein Klein unterbrach. Der bewunderte eben «Blond» ein Kernthema hat, dann musikalischer Fertigfabrikate wie d er möglich gehalten. Umso grösser ist jetzt Autor oder Verleger – als «Key Note Innovator schien verstummt zu sein. dieses: In einer durchdigitalisierten psychedelischen Gospel-Nummer die Begeisterung für «Blonde» oder Speaker» eingeladen. Die Buchmesse Nun hat Ocean endlich den Nach- Wirklichkeit, wo die eigene Identität so «Solo», die viel von der aktuellen Hyste- «Blond», diesem Meisterstreich ohne wird am 18. Oktober eröffnet. 2016 ist folger zu «Channel Orange» herausge- fragil ist wie die Liebe und die Gesell- rie um Frank Ocean erklärt. Natürlich fixem Titel. der Sprachraum Flandern und Nieder- bracht: Das Album heisst je nach Quelle schaft, die diese umrahmen, sind wir geht keine Welt unter, wenn man sich Frank Ocean: «Blonde/Blond», lande Ehrengast der Frankfurter Buch- «Blonde» oder «Blond» und übertrifft doch alle gleich verloren. dem Konsumzwang des digitalen Apple Music/iTunes. messe. SDA Von der Lust am Verschwinden In der Galerie Wertheimer herrscht während Christian Flierls Ausstellung «Brouillard!» Nebelalarm

Quadratisch und analog. Christian Flierl hat seiner Fotoserie einen klaren Rahmen gesetzt, den er mit Motiven füllt, die zu Spekulationen anregen. © Christian Flierl

Von Annette Hoffmann weissen Raum, der ihn verschluckt nach Basel zum Arbeiten fuhr, bekam Felder und wie sie genutzt werden. Der auch das Feuchte des Nebels zu spüren. hatte, hinein, als wollte er Gespenster seine Nebelobsession Struktur. Bei Nebel gibt kaum etwas von dem preis, Und anders als in der Nacht ist das Oberwil. Plaudereien an Vernissagen jagen. einem Gespräch über das Wetter hatte was er verhüllt. Manchmal stehen am Leben ja nicht zur Ruhe gekommen. w erden leicht unterschätzt – von wegen der Basler seine eigene Nebelwarnung Rand vertrocknete Kletten, über die Man sieht nicht nur keine Menschen, Wetter, Cüpli und so. Gäbe es den Horizont und Himmel «Brouillard!» gefunden. An den wesent- sich Raureif gelegt hat, manchmal hat sondern fragt sich auch, was der Foto- V ernissagensmalltalk nicht, womöglich In der Galerie Monika Wertheimer lichen Kriterien seiner Serie hielt Flierl, ein Traktor Gräben in einem abgeernte- graf oder der Betrachter hier überhaupt würde Christian Flierl immer noch früh- in Oberwil hängen nun die Fotos, die der 1974 geboren wurde und nach ten Maisfeld hinterlassen. In den Fur- verloren hat. Könnte hier nicht etwas morgens vergeblich ins benachbarte den Beginn seiner Serie «Brouillard!» einem Biologiestudium eine Ausbil- chen steht Wasser, Strünke verrotten Schreckliches stattgefunden haben, an Elsass eilen auf der Suche nach einem markieren. Es sind quadratische For- dung zum Pressefotografen in Luzern langsam, auf einer Aufnahme dringt die das sich der Ort, jedes Mal, wenn Erde flüchtigen Phänomen. mate, die von einem weissen Rahmen machte, auch fortan fest. Sonne durch. Die gelbe Markierung mit und Himmel auf diese Weise zusam- Vor vier Jahren erlebte er es in der umfangen sind, und auf denen nur Alle Fotos wurden mit einer analo- der Ziffer 44 und ein weiss-rotes Flatter- menkommen, erinnert? Nähe von Leymen das erste Mal. Bei schwer ein Feld oder eine Begradigung gen Kamera aufgenommen, das Format band am Boden sind da schon das Wo der Mensch desorientiert ist, ist einem morgendlichen Winterspazier- auszumachen sind. Während die Jah- ist quadratisch, der Standort meist ein Höchste an Dramatik. auch das Auge verloren. Fotografen, vor gang zog überraschend Nebel auf und reszeit fortschritt, kam Flierl die nächs- kleiner Damm oder eine leichte Erhö- allem wenn sie analog arbeiten, muss dieser vereinte sich mit dem Schnee, ten Male mit dem Stativ. Doch der Nebel hung. Das Verhältnis von Vordergrund, Himmel und Erde dieser seltsame Schwebezustand als der alles bedeckte, zu einem grossen verhielt sich seinem Charakter gemäss Horizont und Himmel bleibt dadurch Obgleich Christian Flierl seiner Metapher für den Prozess des Entwi- Weiss. Es schliff die Kanten ab, begra- wankelmütig. Kaum war er da, war er vergleichbar. Die Titel Palmfeld, Weid- Serie «Brouillard!» einen klaren Rah- ckelns erscheinen. So als ob in der Dun- digte die Grenzen zwischen den Feldern auch schon fort und manchmal kam er hag, breite Matte oder mittleres Feld men gesetzt hat, ist an den Aufnahmen kelkammer Schemen auftauchen, die und löschte für einen Moment die Linie wider Erwarten gar nicht. sind die Gewannnamen, die Flierl auf etwas Spekulatives. Die Ambivalenz ist mehr und mehr Konturen gewinnen. des Horizontes aus. Unmöglich, sich zu Als Flierl dann an einer Ausstel- Karten recherchiert hat. noch grösser als bei Nachtaufnahmen, Galerie Monika Wertheimer, Oberwil. orientieren. Christian Flierl hielt trotz- lungseröffnung eine Elsässerin kennen- Die Namen erzählen von dem, was irgendwo zwischen Lockung und Hohestrasse 134. Bis 23. September. dem seine Hassel blad-Kamera in den lernte, die jeden Morgen von Mulhouse hier angebaut wurde, von der Lage der Bedrohung angesiedelt, glaubt man www.galeriewertheimer.ch