Herausgeber §&Wfi>ufg1f.S§tff1àfls§àf]ah hu de ts I 999 Zeitschrift für Sozialgeschichte ozıa gesc ıc e es . Y I1 1' Schamflhßf des 20. und 2|. Jahrhunderts Schanzenstraße 75 2000Hambufgßf› 6. jahrgang, April I99 I, Heft 2 Telefon (040) 43 72 32 (Geschaftsstelle) (040) 43 70 98 (Publizistik) Telefax (040) 439 22 28

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Redaktion Arne Andersen, Angelika Ebbinghaus (verantwortlich) Sergio Bologna, Ludwig Eiber, Heidrun Kaupen-Haas, Christiane Rothmaler, Heinrich Senfft, Manfred Steinkühler, Klaus Weinhauer, Ludger Weß, Thomas Wohlleben, Birgit Wulff-Georg Buchbesprechung: Karl Heinz Roth, Irmgard Schrand Frauengeschichte: Rita Bake, Bernhild Schrand Wiss. Lektorat: Karl Christian Führer Koordination: Klaus Mellenthin

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jonathan Saunders Across all frontiers. International support lnhak for the miners' strike 1984/85, angezeigt von Franck Düvell

Martiin Broszat/Kiaas Schwabe Die deutschen Eliten und der Weg in den 2. Weltkrieg, besprochen von Heinrich Senfft

Winfried Schaize Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, besprochen von Frank Borris Kommentar Karl Heinz Roth Die Mythen deutscher Historiker 7 Gilbert Badia Histoire de l'Allemagne contemporaine, besprochen von Manfred Steinkühler Forschung Kari Christian Fiihrer Solidarität und Magenfrage - Abigaii B. Ba/ean Ideology and Class Conflict in Jamaica, Arbeitslosenproteste und Arbeitslosenräte in Hamburg 1918-1923 11 angezeigt von Marcel van der Linden Zissis Papadirnitrioii/Georg Paschos Kollaboration und Bürgerkrieg: Zur Wiederherstellung der politischen Kontinuität Qadäya fikriya. Die ägyptische Arbeiterklasse. Hg. von in Griechenland nach dem Zweiten Weltkrieg 34 Mahmoud Amin Ai Alirn, besprochen von Khaled Fawzi und Irmgard Schrand Andreas Wojafe ››Ik mut opereert worden heed' dat. De hemm dat nich seggt, worum.<< NS-Zwangssterilisationen in einem Ingrid Strobi ››Sag nie, du gehst den letzten Weg<<, besprochen niedersächsischen Dorf 59 von Thomas ]anssen

Diskussion Drei Jahrgänge der Zeitschrift für Sozial- und Zeitgeschichte Birgit Rommeispacher Rechtsextreme als Opfer der des Sports, besprochen von Christiane Eisenberg Rısıkogesellschaft - Zur Täterentlastung in den Sozialwissenschaften 75 Marcus Plehn Verbandstoff-Geschichte. Die Anfänge eines neuen Industriezweiges, angezeigt von Hans Radandt Heinz Engelstadter Der Aufbruch neofaschistischer Gruppen in der ehemaligen DDR 1 gg Mar/e Wal/eer Die Uranmaschine, Mythos und Wirklichkeit der deutschen Atombombe, besprochen von Joachim Radkau. Bericht aus dem Ausland Ferraccio Garnbino In Memory of George P. Rawick: Sizing up Voiher Elis Piigrirn Adieu Marx, besprochen von Till the Magnitude of Dismantling Racism 104 Schelz-Brandenburg

Buchbesprechung Werkstatt Archivalische Quellen zur Geschichte der chemischen Arne Andersen Arbeitskreis Geschichte der IG Metall Bremen Industrie, besprochen von Gerlinde Grahn 110 Entgegnung On the Line Essays in the History of Auto Work Edited b Eberhard Wachtier Gedanken beim Lesen von Joachim Nie son Liic tenstein0' and Stephen Meyer, angezeigt~ von' MarcelY Radkaus »Revoltierten die Produktivkräfte gegen den real van der Linden 112 existierenden Sozialismus?<< (1999, Heft 4/1990)

Aspekte der Kollaboration. Behandelt werden erstens die konkreten hi- Zissis Papadimitriou / Georg Paschos storisch-politischen Bedingungen der Kollaboration während der Besat- Kollaboration und Bürgerkrieg: Zur zungszeit und zweitens die Grundtendenzen beim Umgang mit den Kollaborateuren im Nachkriegs-Griechenland im Kontext von Antikom- Wiederherstellung der politischen munismus und Bürgerkrieg. Kontinuität in Griechenland nach dem ll. Weltkrieg Von der Metaxas-Diktatur zur Besetzung Griechenlands

Am Vorabend des II. Weltkrieges herrschte in Griechenland das autoritäre Regime des Generals . Die Diktatur von Metaxas wurde am 4. August 1936 errichtet. Vorausgegangen war ihr ein mißglückter Putsch republikanischer Offiziere irn März 1935, der das Ende der 1924 eingeführten griechischen Republik besiegelte.1 Die Royalisten nahmen DIE Periode 1940-1950 ist von entscheidender Bedeutung für die diesen Putsch zum Anlaß, um das Militär endgültig von republikanischen politische Entwicklung Griechenlands in der Nachkriegszeit gewe- Offizieren zu säubern und die Monarchie wieder einzuführen. Im Plebis- sen. In diesen Jahren erlebte das Land eine tiefgreifende Krise. Es war zit vom 3. November 1935 wurde über die Staatsform entschieden, und unmöglich, einen Konsens zur Lösung grundsätzlicher Probleme zu fin- König Georg II. kehrte nach Griechenland zurück. Um ihre Macht par- den. Umstritten waren etwa Fragen der nationalen Unabhängigkeit, der lamentarisch zu legitimieren, ordneten die Royalisten die Durchführung Staats- und Regierungsform, des sozialen Systems und des Verhältnisses von Wahlen an, die im Januar 1936 stattfanden; sie brachten 143 Sitze für zu den Großmächten. Die wissenschaftliche Untersuchung dieser Jahre die konservative Volkspartei, 141 für die Liberale Partei und 16 Sitze für wurde durch den »autoritären Liberalismus<<, der das Land nach dem die kommunistisch dominierte Volksfront. Bürgerkrieg beherrschte, erheblich erschwert. Die Publikationen aus die- Die Liberalen und die Volksfront schlossen ein geheimes Abkommen ser Zeit bestehen hauptsächlich aus Pamphleten, Broschüren und autobio- und wollten den Vorsitzenden der Liberalen Themistoklis Sofoulis zum graphischen Werken, in denen das kommunistische bzw. antikommuni- Ministerpräsidenten wählen. Doch die Royalisten der Volkspartei drohten stische Pathos jede Objektivität verhindert. Erst nach 1974 - dem im Falle einer Wahl von Sofoulis mit einem Militärputseh. Er sah sich unter Zusammenbruch der Militärdiktatur - entstanden in Griechenland die diesen Umständen gezwungen, seine Kandidatur zurückzuziehen. In neu- erforderlichen Voraussetzungen für ideologisch weniger belastete For- en Verhandlungen, diesmal zwischen der Liberalen Partei und der Volks- schung. So sind seitdem eine Reihe von interessanten Arbeiten erschienen, partei, konnte sich letztere durchsetzen. Neuer Ministerpräsident wurde die bemüht sind, sich objektiv mit der Besatzungszeit und dem Bürger- ein Vertrauensmann des Königs Georg II., der General Ioannis Metaxas. krieg auseinanderzusetzen. In diesen Arbeiten taucht zwar die Frage der Metaxas erschien am 23. April 1936 vor dem Parlament und stellte die Kollaboration auf, sie ist aber noch kein eigenständiges Forschungsthema gewesen. 1 Spätestens 1916 hatte sich Griechenland anläßlich der Frage nach der Haltung des Landes im I. Weltkrieg in zwei politische Lager gespalten, und zwar in ››Venize_listen<< (Anhänger der Liberalen Der vorliegende Aufsatz befaßt sich mit der Kollaboration während und Partei von Eleftherios Venizelos) und in ››Royalisten<< (Anhänger der Monarchie und der Volks- nach der Besatzungszeit in Griechenland, ohne jedoch den Anspruch zu partei), die sich unerbittlich bekämpften. Beide Lager bedicnten sich des Militärs, um ihre politi- schen Ansichten durchzusetzen. So putschtcn venizelistisch-republikanische Offiziere für die erheben, dieses Thema erschöpfend zu behandeln. Dies hängt nicht zu- Republik, royalistische für die Erhaltung der Monarchie. Allein in den zwanzigerJahren haben elf letzt mit der Materiallage zusammen. Die historischen Materialien sind Militärputsche stattgefunden. Über die politische Entwicklu ng Griechenlands in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts und die Rolle des Militärs im politischen Leben des Landes siehe: Thanos noch nicht systematisch erfaßt worden. Es fehlt vor allem an Quellen, die Veremis, Gesellschaftliche Transformation und militärische Intervention, Athen 1977 (griechisch); eine sozialgeschichtliche Darstellung der Kollaboration erlauben würden. Pavlos Petridis, Iiremde Abhängigkeit und nationale Politik 1910-1918, Thessaloniki 1981 (grie- chisch); George Mavrogordatos, Stillborn Republic: Social Coalitions and Partystrategies in Der Aufsatz beschränkt sich folglich auf die politikgeschichtlichen 1922-1935, University of California Press 1983.

34 1 9 9 9 Heft 2/91 35 Vertrauensfrage. Angesichts einer Streikbewegung der Arbeiter, die das durch die totale Mobilmachung des griechischen Volkes zunächst zurück- Land erschütterte, und der Angst, das Militär könnte erneut putschen, geschlagen werden konntef” ' Metaxas starb mitten im griechisch-italienischen Krieg im Januar 1941. gaben die bürgerlichen Parteien Metaxas ihre Stimme und ermächtigten Kriegsentscheidend wurde das Eingreifen der deutschen Wehrmacht, die ihn, per Erlaß zu regieren. Im Anschluß daran vertagte sich das Parlament am 6. April 1941 zur Unterstützung der Italiener in Griechenland einmar- auf fünf Monate. Es sollte sich erst nach dem II. Weltkrieg wieder versam- schierte. Die Kapitulation der griechischen Truppen erfolgte am 20. April meln, denn Metaxas nutzte die Gunst der Stunde und errichtete mit 19417 Trotz der Entschlossenheit vieler Soldaten, den Kampf gegen die Einwilligung des Königs und der ››Schutzmacht<< England eine Diktatur, Wehrmacht fortzusetzen, beschloß die Militärführung eigenmächtig die die bis zum Einmarsch der Deutschen in Griechenland an der Macht Einstellung der Kampfhandlungen. Sie forderte die im Lande stationierten blieb.2 Metaxas proklamierte die »Dritte Hellenische Zivilisation<<, ein Plagiat britischen Kampfeinheiten auf, Griechenland zu verlassen, um es, wie sie meinte, vor der totalen Zerstörung zu retten.8 des »Dritten Reichs« der deutschen Nationalsozialisten, mit denen er Kurz vor dem Einmarsch der Deutschen in Athen (27. April) verließen offen sympathisierte. Er verbot alle Parteien, verstaatlichte die Gewerk- Georg II. und seine Regierung die Hauptstadt und gingen ins Exil nach schaften und gründete eine faschistoide Staatsorganisation für die Jugend, Kairo.9 Mit der Einnahme der Insel Kreta durch deutsche Truppen am 28. die sogenannte »Nationale Jugendorganisation« (EON). Des weiteren Mai 1941 wurde die Eroberung Griechenlands abgeschlossen. Die Besat- erhob er den Antikommunismus zur Staatsideologie und organisierte zungszeit dauerte circa dreieinhalb Jahre. Die Deutschen hielten zeitwei- einen regelrechten Vernichtungskrieg gegen seine politischen Gegnerfl Metaxas war bemüht, seine Kontakte zu den faschistischen Regimen, lig bis zu 300 000 Mann in Griechenland stationiert. Die Verluste waren insbesondere zu Italien und Deutschland, auszubauen, ohne die traditio- auf beiden Seiten verhältnismäßig groß. Allein im Winter 1941/42 starben nell guten Beziehungen der griechischen Außenpolitik zu Großbritannien über 360 000 Griechen den Hungertod, etwa 60 000 wurden von der Besatzungsmacht bei Vergeltungsmaßnahmen hingerichtet, rund 10 000 zu gefährdenfi Doch die Beziehungen zu Italien, das 1939 Albanien okkupiert hatte, verschlechterten sich zusehends. Aus Furcht vor einem Partisanen fielen im Kampf. Die Verluste der Deutschen beliefen sich auf fast 30 000 Tote.1° Angriff schlug Metaxas vor, beide Länder sollten ihre Armeen von der albanischen Grenze abziehen. Doch Mussolini zeigte kein besonderes Interesse an einer Entspannung, ging folglich nicht auf den Vorschlag ein und hielt die griechische Regierung mit diplomatischem Geschick hin.5 Die Widerstandsorganisationen Am 28. Oktober 1940 erklärte das faschistisehe Italien Griechenland Der Widerstand des griechischen Volkes gegen die dreifache Besatzung den Krieg und startete von Albanien aus einen Angriff, der allerdings (Deutsche, Italiener und Bulgaren im Norden des Landes) ließ nicht lange

2 Siehe Heinz Richter, Griechenland zwischen Revolution und Konterrevolution (1936-1946), Frankfurt am Main, 1973, S. 49. 6 Über den griechisch-italienischen Krieg, das sogenannte »Albanische Epos«, siehe Heinz Richter 3 Uber die ideologische Dimension der Metaxas-Diktatur siehe Nikos Alivizatos, Les institutions (Anm. 2), s. s1~9o. politiques de la Gri-:ce a travers les crises 1922-1974, Paris 1979, S. 577 ff. 7 Über die Bedingungen der Kapitulation der griechischen Armee siehe Jannis Andricopoulos, Die 4 Uber das Verhältnis Griechenlands zu Italien unter Metaxas siehe den aufschlußreichen Aufsatz Politik der Kapitulation und der Zusammenbruch der Front im April 1941, in: Hagen Fleischer, von Jovan Borejza, Griechenland und die Balkanpolitik des faschistischen Italien, 1936-1940, in: Nikos Svoronos (Anm. 4), S. 185-201. Hagen Fleischer, Nikos Svoronos (Hg.), Beiträge auf dem internationalen Historiker-Kongreß in 8 Ebenda, S. 195. Athen: Griechenland 1936-1940: Diktatur, Besatzung, Widerstand (griechisch), Athen 1989, S. 32. 9 Ebenda, S. 196. Die emotionalen Bindungen von Metaxas an Deutschland und Italien sind darauf zurückzuführen, 10 Nikos Psyroukis, Geschichte des modernen Griechenland (1940-1967), Band I, Athen 1975, S. 118 daß Metaxas beide Länder besucht und dort eine Zeit verbracht hatte. Metaxas besuchte die und Ioannis Hondros, Der griechische Widerstand, in:John O. 1atridis(Hg.), Greece in the 19405 preußische Kriegsakademie in Berlin und hatte enge Beziehungen zu preußischen Adligen geschlos- - A Nation in Crisis, Hannover/London 1981, S. 79 ff. sen. Anfang der zwanzigerJahre ging er nach einem mißglückten Militärputseh (1923) nach Italien gıšs šxil und war angetan vom faschistischen Regime Benito Mussolinis, siehe Heinz Richter (Anm. , . 55. 5 Jovan Borejza (Anm. 4), S. 17 ff.

36 1 9 9 9 Hifi 2/91 37 auf sich warten.“ Schon drei Monate nach dem deutschen Einmarsch Syndesmos - EDES) und die Nationale und Soziale Befreiung (Ethniki ke wurde die erste Widerstandsorganisation gegründet, die Nationale Soli- Kinoniki Apeleftherossi - EKKA). Beide Organisationen erreichten je- darität (Ethniki Allilegii - EA). Auf Initiative der Kommunistischen Partei doch nicht die Stärke der EAM, und ihr Einfluß blieb bis zur Befreiung Griechenlands (Kommunistiko Komma Elladas - KKE), die im Unter- des Landes regional.17 Bedeutung erlangten ebenfalls zwei kleinere Orga- grund operierte, wurde am 27. September 1941 die Nationale Befreiungs- nisationen, nämlich die Griechische Armee (Ellinikos Stratos - ES), die front (Ethniko Apeleftherotiko Metopo - EAM) ins Leben gerufen. Drei auf der Peloponnes von konservativen Offizieren und Politikern gegrün- Monate später, im Dezember 1941, konstituierte sich durch den Zusam- det wurde, und die Panhellenische Befreiungsorganisation (Panellinia menschluß mehrerer kleinerer Widerstandsgruppen und -organisationen Apeleftherotiki Organossis - PAO), die hauptsächlich in Westmazedo- die Griechische Volksbefreiungsarmee (Ellinikos Laikos Apeleftheroti- nien operierte. Bekannt wurden diese beiden Organisationen allerdings kos Stratos - ELAS).-12 nicht wegen ihrer Widerstandsaktivitäten, sondern wegen ihren Aktionen Nach Schätzungen der britischen Special Operations Executive (SOE), gegen die EAM/ELAS und ihrer Kollaboration mit der Besatzungs- die während der Besatzungszeit in Griechenland wirkteß, zählte die EAM macht.18 im Sommer 1942 rund 40 000 und die ELAS 50 000 Mitglieder, von denen Die Beziehungen zwischen der EAM auf der einen und der EDES und 20 000 bis 25 000 aktive Partisanen waren. Anderen Angaben zufolge der EKKA auf der anderen Seite waren sehr gespannt. Nicht selten kam sollten die Widerstandsorganisationen EAM/ELAS zwischen 200 000 es zu Kampfhandlungen untereinander, die schließlich Ende 1943 zum und 2 000 000 Mitglieder gehabt haben.“ Realistischer scheinen jedoch offenen Bürgerkrieg zwischen der EAM/ELAS und der EDES führten.19 die Angaben des englischen Generals Barker-Bensfield zu sein, der die Ende Februar 1944 wurde in Anwesenheit von Vertretern der Britischen Stärke der EAM/ELAS im Jahre 1944 auf 200 000 Mitglieder schätzte.15 Militärmission, die während des Krieges in Griechenland auf der Seite des Hinzu kamen mehrere hunderttausend Sympathisanten. In edemFalle Widerstandes wirktezo, die Einstellung der Feindseligkeiten beschlossen. waren die kommunistisch beeinflußten Widerstandsorganisationen nach Ein Vorschlag der EAM, die Widerstandsorganisationen sollten sich zu allgemeiner Einschätzung die größten und aktivsten im Kampf gegen die einer gemeinsamen Befreiungsfront zusammenschließen, wurde sowohl Okkupanten. Kurz vor dem Abzug der Deutschen im Oktober 1944 von der EDES als auch von der EKKA abgelehnt. Die Beziehungen beherrschten sie etwa vier Fünftel Griechenlands.“ zwischen den Widerstandsorganisationen verschlechterten sich in der Außer den linksstehenden Widerstandsorganisationen EAM/ELAS gab darauffolgenden Zeit erneut. Eine besonders negative Rolle spielte dabei es auch andere, die politisch im bürgerlieh-liberalen bzw. im konservati- die Britische Militärmission, die mit allen Mitteln versuchte, jede Annä- ven Lager anzusiedeln sind. Die wichtigsten von ihnen waren die Natio- herung unter den Widerstandsorganisationen zu verhindern, solange sie nale Republikanische Griechische Liga (Ethnikos Dimokratikos Ellinikos nicht den britischen Interessen entsprach. Sie fürchtete, Vereinigungsbe- strebungen könnten zur Stärkung der EAM führen. England dachte schon

11 Die Literatur über den griechischen Widerstand 1941-1945 ist kaum zu überblicken. Wir führen an die Zeit nach der Befreiung. Es hatte sich für die Erhaltung der im folgenden die wichtigsten Titel auf: Stephanos Sarafis, In den Bergen von Hellas, Berlin (Ost) 1964; Hagen Fleischer, Griechenland 1941-1944 - Kampf gegen Stahlhelm und Krone, Frankfurt a.M. 1985. Ein sehr wichtiges Hilfsınstrument für den Forscher, der sich mit dem griechischen 17 Ebenda. W1derstand_befassen will, ist die von Hagen Fleischer und S. Bowman erstellte umfangreiche 18 Hagen Fleischer, Kontakte zwischen der deutschen Besatzungsmacht und den wichtigsten Orga- 12 Bibliographie, »Greece in the 1940s - A Bibliographie Companion«,H31-move;/London 19g1_ nisationen des griechischen Widerstandes. Taktik oder Kollaboration?, in: John O. Iatridis (Anm. Uber die Grundung der EAM/ELAS und ihre Unterorganısationen siehe ausführlicher Heinz io), s. 94 f. Richter (Anm. 2), S. 155-162. 19 Heinz Richter (Anm. 2), S. 333-349. Eine ausführliche Darstellung dieser Auseinandersetzungen 13 Zur Rolle der britischen Special.Operations Executive (SOE) in Griechenland siehe Richard Clogg, und Kampfhandlungen unter den Widerstandsorganisationen würde den Rahmen dieses Aufsatzes The Special Operations Executive (SOE) in Greece, in: John O. Iatridis (Anm. 10), S. 187 ff. sprengen. Es soll jedoch hier erwähnt werden, daß die durch diese Feindseligkeiten am stärksten 14 Ioannis Hondros (Anm. 10), S. 73 und 75. betroffene Widerstandsorganisation die EKKA gewesen ist, die später von der EAM/ELAS 15 Brigadegeneral Barker-Bensfield war der zweite Mann in der Hierarchie der SOE in Kairo, siehe zerschlagen wurde. Generell ist zu sagen, daß die Besatzungsmacht diese Situation im Lager der Ioannis Hondros (Anm. 10), S. 76. Widerstandsorganisationen zu ihren Gunsten auszu nutzen wußte. 16 1516110 daruber insbesondere Walter Fischer und Eberhard Rondholz, Revolution und Konterrevo- 20 Über die Britische Militärmission (BMM) in Griechenland siehe vor allem das Buch von Edmund dUf1CäY1{_1â1`Grıechenland, in: Das Argument, Bd- 57 (1970) H. 2/3, S. 122. Die Zahlen über die Stärke Ch. Myers, The Greek Entanglement, London 1955. Brigadegeneral Myers war Kommandant der er i crstandsorganisationen, die von den verschiedenen Autoren gebracht Werden, sind sehr BMM in Griechenland. Eine objektive Darstellung derAktivitätenderBMM in Griechenland liefert unterschiedlich, so daß es nicht möglich ist, genaue Angaben zu machen. Heinz Richter, (Anm. 2), passim.

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i griechischen Monarchie entschieden und war nun bemüht, die politische Kommando der neuen Regierung zur Sicherung der Versorgung Grie- Bedeutung der EAM in Grenzen zu halten. Der Kampf um die Vorherr- chenlands nach der Befreiung sowie Aktionen zur Herstellung von Ruhe schaft in Griechenland zwischen Briten und ihren griechischen Verbün- und Ordnung. Besonderes Interesse kommt dem sechsten Kapitel des deten einerseits und der EAM andererseits begann somit schon vor dem Libanon-Abkommens zu, in dem schwere Strafen für Kollaborateure Ende der deutschen Besatzung.21 angedroht wurden.23 Angesichts der Ablehnung eines Zusammenschlusses aller Widerstands- Die Libanon-Konferenz war das ››trojanische Pferd<<, mit dem die Bri- organisationen beschloß die EAM die Bildung einer provisorischen Re- ten und ihre griechischen Verbündeten, die Exilpolitiker, den Widerstand gierung. Am 10. März 1944 wurde das Politische Komitee der Nationalen unter ihre Kontrolle brachten.24 Hatte die Libanon-Konferenz die politi- Befreiung (Politiki Epitropi Ethnikis Apeleftherossis - PEEA) konstitu- sche Subordination der EAM unter das englische Diktat zur Folge, so iert22, in dem die nicht kommunistischen Linken und die Liberalen die lieferte sie sich im September 1944 auf einer Konferenz im süditalienischen Mehrheit hatten. Die Kommunisten stellten nur zwei von den insgesamt Cazerta auch militärisch vollends der britischen Politik aus. Hier wurde elf Mitgliedern. Diese Zusammensetzung sollte der von konservativer unter anderem vereinbart: Seite vorgetragenen Behauptung den Boden entziehen, die provisorische 1. Alle in Griechenland tätigen Partisanengruppen unterstehen der grie- Regierung sei nur der verlängerte Arm der Kommunistischen Partei. chischen Regierung der Nationalen Einheit. Andererseits aber war es allen klar, daß die PEEA ihre Existenz und 2. Die griechische Regierung unterstellt diese Kräfte dem britischen Ge- tatsächliche Macht hauptsächlich der kommunistischen Parteiorganisa- neral Scobie, den der alliierte Oberbefehlshaber zum Kommandierenden tion verdankte. General der Streitkräfte in Griechenland ernannt hat. Im Gegensatz zur Exilregierung in Kairo, die unter britischem Schutz 3. Entsprechend der Proklamation der griechischen Regierung werden die ein Schattendasein führte, da sie weder aus Wahlen hervorgegangen war Partisanenführer jeden Versuch der ihnen unterstellten Einheiten, das noch über eine Volksbasis verfügte, vertrat die PEEA das kämpfende Gesetz in ihre eigenen Hände zu nehmen, unterbinden. Eine solche Griechenland. Sie verfügte über eine sehr breite Massenbasis, und in vielen Handlung wird als Verbrechen angesehen und entsprechend bestraft.25 Gebirgsgegenden hatte sie alle Merkmale einer revolutionären Volksregie- Kurz nach der Konferenz von Cazerta zogen die Deutschen aus Grie- rung. chenland ab. Athen wurde am 12. Oktober 1944 frei. Zwei Tage später Ihre Gründung beeinflußte das politische Kräfteverhältnis im besetzten kehrte auch die griechische Exilregierung unter Griechenland zugunsten der EAM. Diese Entwicklung brachte die Exil- zurück. Die letzten Reste der Wehrmacht verließen Griechenland am 4. regierung und ihre britischen Verbündeten auf den Plan. Sie bereiteten die November 1944 in Richtung Norden. Die Deutschen stellten mit Hilfe Einberufung einer Konferenz in Beirut vor und forderten die EAM und des EDES und verschiedener Athener Politiker Kontakt mit den Englän- die EDES auf, ihre Vertreter zu entsenden. Die Konferenz fand vom dern her und teilten ihnen gegen die Zusicherung freien Abzugs den 17.-20. Mai 1944 statt und beschloß die Bildung einer »Regierung der Zeitpunkt und den Verlauf ihres Rückzuges mit, so daß die Briten und die Nationalen Einheit« unter dem liberalen Politiker Georgios Papandreou EDES einige der geräumten Gebiete vor der ELAS unter ihre Kontrolle mit Beteiligung von fünf Vertretern der EAM. Vereinbart wurden außer- bringen konnten.26 dem u.a. Maßnahmen zur Reorganisierung und Disziplinierung der grie- chischen Streitkräfte und aller Widerstandsorganisationen unter dem

23 Eine ausführliche Darstellung der Libanon-Konferenz findet sich bei Stephanos Sarafis (Anm. 11), S. 274-314. General Sarafis war Oberbefehlshaber der ELAS und nahm selbst an der Libanon-Kon- 21 fiäS1;ülgigJjscll}er darüber siehe Stephanos Sarafis (Anm. 11), S. 226 ff. und Nikos Psyroukis (Anm. ferenz teil. Siehe dazu auch Prodromos Papastratis, Die Regierung Papandreou und die Konferenz von Libanon, in: John O. latridis (Anm. 10), S. 205-223. Eine vollständige Fassung des Libanon- 22 Gråiâdung und die politischen Ziele der .PEEA siehe vor allem Heinz Richter (Anm. 2), Abkommens findet sich bei John O. latridis, Revolt in , London 1973, S. 268-270. - -› U11 en interessanten Beitrag von Wassılios Bouras, Das Politische Komitee für nationale 24 Siehe Heinz Richter (Anm. 2), S. 427. šššííšgusng ~ Freies Griechenland 1944, in: Hagen Fleischer und Nikos Svoronos (Anm. 5), S. 25 SicheJohn O. latridis (Anm. 23), S. 283-285. 26 Walter Fischer und Eberhard Rondholz (Anm. 16), S. 125.

40 1 9 9 9 Heft 2/91 41 Die Kollaborateure um ihre Basis zu erweitern. Seine entsprechenden Bemühungen blieben jedoch ohne Erfolg. Zwar sind die bürgerlichen Politiker nicht auf das Die Definition von Kollaboration wirft eine Reihe von Fragen auf, die im Angebot Tsolakoglous eingegangen; sie unterhielten jedoch gute Bezie- Rahmen der vorliegenden Arbeit nur angedeutet werden können. In hungen zur Besatzungsregierung. Tsolakoglou sah sich schließlich ge- Griechenland pflegten die linken Widerstandsorganisationen einen ziem- zwungen, seine Mitarbeiter aus dem politischen Umfeld der lich breiten Kollaborationsbegriff zu benutzen. In ihren Erklärungen Metaxas-Diktatur zu rekrutieren.27 Mit seiner Ernennung wollten die wurden oft Auffassungen vertreten, die jeden Richter, Universitätsprofes- Deutschen sich die Loyalität des griechischen Offizierkorps und der sor, Verwaltungsbeamten, Kaufmann etc. per definitionem zum Kollabo- Sicherheitskräfte und nicht zuletzt die Mitarbeit des staatlichen Repres- rateur machten. Diese Auffassung hat sich jedoch nicht durchsetzen sionsapparates aus der Zeit der Metaxas-Diktatur sichern, der trotz des können. Nach der Befreiung des Landes wurde der Kreis der Personen, Krieges und der Besetzung des Landes weitgehend intakt geblieben war.23 die der Kollaboration mit dem Feind bezichtigt wurden, aus Gründen der Die Besatzungsregierung erwies sich als unzureichend, als sich der politischen Zweckmäßigkeit relativ eng gehalten. Die wichtigsten Gründe Widerstand des griechischen Volkes formierte. Tsolakoglou wurde von dafür waren: die Notwendigkeit der schnellen Wiederherstellung der den Deutschen abgesetzt. Das Amt des Ministerpräsidenten übernahm öffentlichen Ordnung und der nationalen Eintracht; die Tatsache, daß die der Medizinprofessor Konstantinos Logothetopoulos. Auch ihm gelang meisten ehemaligen Kollaborateure sich den konservativen Kräften des es nicht, die »alten Politiker« für eine Mitarbeit zu gewinnen. Ihre Haltung Landes angeschlossen hatten; die engen Kontakte, welche bürgerliche blieb abwartend. Logothetopoulos' Amtszeit dauerte kaum vier Monate. Politiker zu Kollaborateuren während der Besatzungszeit gehalten hatten, In einem Schreiben des Polizeidirektors Loos aus Athen an die Zentrale und nicht zuletzt der Entschluß der Linken, nicht sofort mit radikalen in Berlin wurden unter anderem der schlechte Verwaltungsstil und das Forderungen aufzutreten, sondern sich verhandlungs- und kompromiß- fehlende Durchsetzungsvermögen von Logothetopoulos bemängelt” bereit zu zeigen. Angesichts eines unscharfen Kollaborationsbegriffes Nach Logothetopoulos übernahm der royalistische Berufungspolitiker scheint es uns angebracht zu sein, bei der Untersuchung der Kollabora- das Amt des Ministerpräsidenten. Anders als die Regierung tionsfrage die ››offizielle« Einordnung der Kollaborateure zu benutzen. von Tsolakoglou, die sich weitgehend aus Militärs zusammensetzte, und Aus systematischen Gründen gilt es, zwischen politischer und wirtschaft- das eher farblose Kabinett von Logothetopoulos rekrutierten sich die licher Kollaboration zu unterscheiden. Diese Unterscheidung entspricht Mitglieder der Rallis-Regierung aus dem Kreis der »alten Politiker«. Sie der offiziellen Einteilung der Kollaborateure durch Sondergerichte im hatten den Ehrgeiz, auch unter deutscher Besatzung politische Karriere Nachkriegs-Griechenland, was allerdings nicht bedeutet, daß diese For- zu machen, und wollten die Interessen des griechischen Establishments men der Kollaboration in der Realität immer auseinanderzuhalten sind. wahren.3O Zwar war auch die Regierung von Rallis eine Marionettenregie- Oft war eine und dieselbe Person in mehrere Fälle verwickelt. rung, sie unterschied sich aber von den vorangegangenen Kabinetten dadurch, daß sie bemüht war, aktive Besatzungspolitik zu treiben. Die Besatzungsregierungen Rallis übernahm das Amt des Ministerpräsidenten nur unter der Bedin- gung, daß die Besatzungsmacht ihm bei der Aufstellung von bewaffneten Am 29. April 1941 wurde in Athen die erste Besatzungsregierung unter Kontingenten helfen würde, die die EAM/ELAS bekämpfen sollten. Als dem General Georgios Tsolakoglou gebildet. Tsolakoglou und zwei wei- Konservativer und Royalist machte sich Rallis, ähnlich wie ein großer Teil tere Generäle hatten in den Tagen zuvor eigenmächtig Verhandlungen mit den Deutschen aufgenommen, die schließlich zur Kapitulation der grie- 27 Über die Kapitulation der griechischen Armee und die erste Besatzungsregierung unter General chischen Armee führten, obwohl große Truppenteile weiter gegen die Tsolakoglou siehe Heinz Richter (Anm. 2), S. 112, 130 ff. Invasoren kämpfen wollten. Für diesen Dienst wurde Tsolakoglou mit 28 Nikolaos Karkanis, Die Kollaborateure der Besatzungszeit: Dokumente, Enthüllungen, Zeugnisse, Athen 1981, S. 20 (griechisch). dem Amt des Ministerpräsidenten belohnt. Die Deutschen forderten ihn 29 Wassilios Mathiopoulos, Der Rechtsstatus der Besatzungsregierungen, in: Hagen Fleischer und auf, er sollte außer Militärs auch Politiker in seine Regierung aufnehmen, Nikos Svoronos (Anm. 5), S. 253. 30 Heinz Richter (Anm. 2), S. 242. j 42 1 9 9 9 Hifi 2/91 43

í 7 Ä.. der »alten Politiker«, Sorgen um das Schicksal der griechischen Monarchie und antikommunistisch eingestellten Personen zusammen und wurden nach der Befreiung des Landes und berief sich dabei auf die »kommuni- weitgehend von royalistischen Offizieren befehligt. Am berüchtigsten stische Gefahr«.31 Die von ihm aufgestellten ››Tagmata Asfalias« (Sicher- waren die Sicherheitsbataillone auf der Peloponnes unter der Führung von heitsbataillone) wurden von den Deutschen bewaffnet und entwickelten Oberst Stylianos Papadogonas. Dieser war eingefleischter Royalist und sich in der darauffolgenden Zeit zur regelrechten Kollaborationsarmee, probritisch eingestellt, vertrat aber offen die Ansicht, daß unter den die zur Bekämpfung des Widerstandes eingesetzt wurde. Die Tagmata damals herrschenden Bedingungen auf dem Lande der kommunistisch Asfalias sollten eine wichtige Rolle im beginnenden Bürgerkrieg spielen.32 beeinflußte Widerstand nur mit Hilfe der Besatzungsmacht zu bekämpfen Wenn auch im unterschiedlichen Maße, so hat doch jede der Besatzungs- sei.34 Um den Kommunismus zu besiegen, meinte er, brauche man grie- regierungen der deutsch-italienischen Besatzungsmacht große Dienste chische Verbände, die über die erforderliche Personen- und Ortskenntnis erwiesen: a) sie sorgten dafür, daß der griechische Staatsapparat in den verfügten.35 Unter Anwendung von Folter und sonstigen Repressalien Dienst der Invasoren gestellt wurde, b) sie verabschiedeten eine Fülle von gegen den linken Widerstand errichtete er auf der Peloponnes ein regel- Gesetzen, die von der Besatzungsmacht zur Wahrnehmung ihrer politi- rechtes Terrorregime, dem tausende von Patrioten zum Opfer fielen. schen, wirtschaftlichen und militärischen Interessen benutzt wurden, und Während Papadogonas die Bevölkerung auf der Peloponnes in Schrecken c) sie kollaborierten offen mit den Okkupanten bei der Bekämpfung des versetzte, operierten in Attika, auf Euboea und in Thessalien die »Tagmata antifaschistischen Widerstandes des griechischen Volkes. Evzonon« (Gebirgsjäger-Bataillone) bzw. die Banden von Grigorios Es waren übrigens nicht allein die Besatzungsregierungen, die mit dem Sourlas. Im Norden des Landes hatten sich royalistische Offiziere zu Feind kollaborierten. Die Besatzungsmacht, insbesondere die Deutschen, Banden zusammengeschlossen und kollaborierten offen mit der deut- fand zahlreiche Unterstützer im griechischen Bürgertum. Die Marionet- schen und der bulgarischen Besatzungsmacht. In Westmazedonien ging tenregierungen wurden direkt oder indirekt von den Personenkreisen die einst als Widerstandsorganisation deklarierte Panhellenische Befrei- unterstützt, die an der Stationierung der Besatzungstruppen verdienten ungsorganisation (PAO) fast geschlossen zu den Deutschen über und oder mit Deutschland bzw. Italien Handel trieben. Abgelehnt wurde die kämpfte nun mit ihnen zusammen gegen die Widerstandsorganisation der Besatzungsmacht von jenen Teilen des Bürgertums, deren Geschäfte we- EAM.36 Nicht zu vergessen ist die Organisation »X« (griechisch ››chi«), gen der Kriegsverhältnisse nicht gut gingen und die sich traditionell mit die von den Deutschen mit Geld und Waffen versorgt wurde und sich bei den Interessen Englands verbunden fühlten. Sie leisteten aber gewöhnlich der Verfolgung der Linken während der Besatzung und vor allem im keinen Widerstand und verhielten sich abwartend.33 Bürgerkrieg unmittelbar nach der Befreiung des Landes besonders her- vortat.37 Die Gründung der Tagmata Asfalias wurde zunächst sowohl von der Die Sicherheitsbataillone (Tagmata Asfalias) Exilregierung in Kairo als auch von den Engländern verurteilt und be- kämpft. Doch die Situation änderte sich mit dem Ausbruch der Kampf- Die Aufstellung der Sicherheitsbataillone erfolgte im Winter 1943/44 im handlungen zwischen ELAS und EDES. Angesichts der zunehmenden Einvernehmen und mit Hilfe der Besatzungsmacht. Sie setzten sich aus Stärke der EAM/ELAS begannen die Engländer, ihre Haltung gegenüber Offizieren und Soldaten der ehemaligen regulären Armee, aus Polizisten den Sicherheitsbataillonen neu zu überdenken und sie als potentielle Verbündete zu betrachten.38 Die Einstellung der griechischen Exilpoliti- 31 Dker Mythos .von der_»kommunıstıischen Gefahr« hat in Griechenland große Tradition. Auf die ›> ommunistısche Gefahr« berief sich Eleftherios Venizelos, als er ımJahre 1929 das Staatsschutz- SÜSCYZ (>>Idıonymo«) verabschiedete, das unter anderem die Verfolgung und Einsperrung seiner 34 Heinz Richter (Anm. 2), S. 389. gåläíkfigncr Konzentratípnslagern vorsah. Das Staatsschutzgesetz yon_Venizelos war der 35 Ebenda. stur du Malnti (pııgimunıstısc en Ara in Griechenland, die erst Mitte der siebzigerJahre nachdem 36 Siehe Hagen Fleischer (Anm. 18), S. 92-115. Uber die Kollaboration der PAO mit den Deutschen 2 er i itar 1 tatur (1967-1974) vorerst zu Ende ging. Uber das »Idionymo« von Venızelos siehe insbesondere S. 95 ff. siehe Nikos 'Alivisatos (Anm. 3), S. 350 ff. Zum Mythos der »kommunistischen Gefahr« siehe 37 Siehe Nikolaos Karkanis (Anm. 28), S. 248 ff. ebenfalls Heinz Richter (Anm. 2), S. 55. 38 Über das Verhältnis der Engländer zu den Sicherheitsbataillonen siehe insbesondere Ioannis 32 Ebcncla, S. 245. Hondros, Großbritannien und die griechischen Sicherheitsbataillone, 1943-1944, in: Hagen Flei- 33 Walter Fischer und Eberhard Rondholz (Anm. 16) S. 119 scher und Nikos Svoronos (Anm. 4), S. 262-276.

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m ker zu den Tagmata Asfalias war ambivalent, wenn nicht wohlwollend. Außer den verschiedenen Groß- und Kleinunternehmern, die in direk- Dies zeigt sich vor allem am Verhalten Papandreous' - aber auch anderer ten Wirtschaftsbeziehungen zu den Besatzern standen, gab es auch eine Politiker-, der anfangs die Sicherheitsbataillone als verräterische Organi- andere Sorte von Wirtschaftskollaborateuren, die durch Spekulation und sationen denunzierte, sie später aber, als es um die Zerschlagung des linken Schwarzmarkthandel auf Kosten des hungernden griechischen Volkes Widerstandes ging, als willkommene Verbündete begrüßte.39 Obwohl es reich wurden, insbesondere durch den Verkauf von Lebensmitteln, die während der Besatzung niemals offen ausgesprochen wurde, galt die damals infolge von Beschlagnahmeaktionen der Besatzungsmacht auf Kollaboration mit der deutschen Besatzungsmacht gegen die EAM/ELAS dem freien Markt nicht zu finden waren.“ in den Augen des griechischen Establishments als Tugend.“

Die Restauration der bürgerlichen Herrschaft: Die wirtschaftliche Koiiahoratiorz zwischen Liheralismus und Antikommunismus

Die Wirtschaftspolitik der deutschen Besatzungsmacht in Griechenland Am 18. Oktober 1944, sechs Tage nach dem Abzug der deutschen Trup- war primär darauf ausgerichtet, a) die deutschen Besatzungstruppen vor pen aus Athen, traf die sogenannte »Regierung der Nationalen Einheit« Ort mit Lebensmitteln zu versorgen, b) Rohstoffe und Arbeitskräfte nach in Begleitung von britischen und griechischen Streitkräften in der Haupt- Deutschland auszuführen und c) das Eindringen des deutschen Kapitals stadt ein. Sie stand vor einer Reihe schwieriger wirtschaftlicher, konstitu- in die griechische Wirtschaft weiter voranzutreiben.“ Obwohl die deut- tioneller, politischer und militärischer Probleme, die fast unlösbar schen Besatzer mit Hilfe der Marionettenregierungen die griechische schienen (Rekonstruktion der vollkommen zerstörten Wirtschaft, Lösung Wirtschaft unter ihre Kontrolle brachten, so fehlte es doch nicht an der Frage der Staatsform, Reorganisation der Verwaltung bzw. des repres- griechischen Unternehmern, die an der Besatzung des Landes verdienten siven Staatsapparates, Entwaffnung und Demobilisierung der Wider- und sich bereicherten. standsorganisationen und der verschiedenen anderen bewaffneten Eine Schlüsselrolle spielte dabei die von der Regierung Logothetopou- Gruppen, die mit der Besatzungsmacht kollaboriert hatten, usw.). Sobald los und dem deutschen Sondergesandten in Athen, Hermann Neubacher, die Exilregierung und die Briten griechischen Boden betreten hatten, waren sie nicht mehr bereit, die mit der EAM getroffenen Abmachungen ins Leben gerufene Deutsch-Griechische Handelsgesellschaft (DEGRI- einzuhalten. Womit sie sich vor allem nicht abfinden wollten, war a) die GES), über die mehr oder weniger der Handel Griechenlands mit entscheidende Rolle der Linken in der griechischen Politik, b) die Demo- Deutschland abgewickelt wurde.“ Besonders eklatant ist der Fall des kratisierung und die politische Neutralisierung des Staatsapparates und c) griechischen Großunternehmens Bodossakis-Athanassiadis, das bis zur die sukzessive Lockerung der Abhängigkeit des Landes vom alten bzw. Befreiung des Landes eng mit den Deutschen zusammenarbeitete. Die neuen Patronat (England bzw. USA). Diese Haltung verhinderte den Waffen- und Munitionsbetriebe dieses Unternehmens stellten Kriegsma- friedlichen Übergang zur liberalen Demokratie. Ähnliche Schwierigkei- terial für die Besatzungsmacht her. Aber auch Unternehmen des Bauge- ten zeigten sich auch in der Frage der Behandlung der Kollaborateure. werbes, der Lebensmittelbranche und der Textilindustrie haben vornehm- Trotz der Vereinbarungen auf den Konferenzen von Beirut und Cazerta, lich für die Okkupanten produziert.“ denen zufolge die Exilregierung verpflichtet war, die sofortige Bestrafung der Kollaborateure anzuordnen, geschah wenig in dieser Hinsicht. Sie 39 Nikolaos Karkanis (Anm. 28), S. 249 ff. 40 Heinz Richter (Anm. 2), S. 389. richtete statt dessen scharfe Angriffe gegen die EAM/ELAS. Während im 41 Siehe Dietrich Eichholtz, Wirtschaftliche Aspekte der deutschen Besatzungsmacht in Griechen- Lande, insbesondere in der Provinz, die Sicherheitsbataillone und sonstige land, in: Hagen Fleischer und Nikos Svoronos (Anm. 4), S. 222. 42 Siehe Heinz Richter (Anm. 2), S. 198, und Nikolaos Karkanis (Anm. 28), S. 390. paramilitärische Organisationen fröhliche Urständ feierten, forderte Pap- 43 Stavros Thomadakis, Schwarzmarkt, Inflation und Gewalt in der Wirtschaft des besetzten Grie- andreou im Auftrage der Briten die EAM auf, ihre Armee, die ELAS, chenland, in: Hagen Fleischer und Nikos Svoronos (Anm. 4), S. 126 f., und Lefhteris Apostolou, Die Farce des Prozesses gegen die Kollaborateure und die Selbstverurteilung der Rechten, Athen 1945, S. 42 ff. (griechisch). 44 Stavros Thomadakis (Anm. 43), S. 129 ff.

46 1 9 9 9 Heft 2/91 47 aufzulösen. Die EAM lehnte indes die Demobilisierung der ELAS ab und Polizei und Gendarmerie von Kollaborateuren und ehemaligen Anhän- zog zugleich ihre Minister aus der »Regierung der Nationalen Einheit« gern des Metaxas-Regimes stattfinden sollten.“ zurück. Die griechische Linke glaubte, mit dem Abkommen von Varkiza ››den Die Nichtbereitschaft der Exilregierung, die militärisch und politisch Weg zur Legalität und für eine friedliche Entwicklung (des Landes) wichtigsten Abmachungen einzuhalten, veranlaßte die EAM, das Volk geöffnet zu haben<<.49 Aus diesem Grunde erfüllte sie die meisten Bestim- von Athen für den 3. Dezember zu einer friedlichen Demonstration mungen des Abkommens pünktlich und korrekt.5Ü Entsprechend den aufzurufen, um Druck auf die Exilregierung auszuüben. Mit der offiziel- Waffenstillstandsbestimmungen hatte sich die ELAS nach Norden zu- len Begründung, die EAM versuche, die Macht zu ergreifen, schoß die rückgezogen. Währenddessen rückten britische Truppen nach und besetz- Athener Polizei auf die Demonstranten. Einhundert Menschen fanden ten wichtige Positionen. Mit ihnen kamen auch die Einsatzkommandos dabei den Tod.45 Die ELAS reagierte darauf mit einem Angriff auf alle der griechischen Nationalgarde, die daran gingen, in den von der ELAS Athener Polizeistationen und auf das Hauptquartier der Organisation geräumten Orten bewaffnete Gruppen von Rechtsradikalen aufzustellen. »X<<. Die Engländer ihrerseits nutzten die Gelegenheit, um weitere Trup- Ausgerüstet wurden diese rechten Gruppen mit den Waffen, welche die pen aus Italien nach Athen einzufliegen, und forcierten zugleich den Aufbau der griechischen Nationalgarde, die mittlerweile etwa 20 000 ELAS entsprechend den Vereinbarungen des Waffenstillstandes abgege- Mann zählte. Die unter dem Kommando von General Scobie stehenden ben hatte. Das Abkommen von Varkiza bedeutete in Wirklichkeit die griechischen und englischen Truppen zählten etwa 80 000 Bewaffnete. Die totale Kapitulation der Linken. ELAS verfügte in Athen über 8000 Mann und die sogenannte Reserve- Daß in der Zeit von der Konferenz von Varkiza bis zu den Wahlen im ELAS, die allerdings militärisch ungeübt warfló Sie startete einen Groß- Frühjahr 1946 fast ausschließlich republikanische Regierungen an der angriff auf das Stadtzentrum, der wegen schlechter Koordination der Macht waren, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich hinter dieser eingesetzten Truppen aber scheiterte. Nach dem mißlungenen Großan- liberalen Fassade die Machtergreifung der antikommunistischen und pro- griff zog sich die ELAS in der Nacht vom 4. auf den 5. Januar 1945 aus monarchistischen Rechten vollzog.51 Die Niederlage der Linken im De- Athen zurück.47 Nach diesem Abzug wurde am 11. Januar 1945 ein zember 1944 führte zu einem neuen Kräfteverhältnis, das die sukzessive Waffenstillstand vereinbart. Dem folgte einen Monat später die Konferenz Etablierung eines antikommunistischen Staates mit liberalen politischen von Varkiza, einer Ortschaft in der Nähe von Athen, auf der endgültig das Institutionen möglich machte. An dem Aufbau dieses antikommunisti- Ende der EAM/ELAS besiegelt wurde. Ihre Politik der Kompromisse und schen Staates waren alle Fraktionen des griechischen Bürgertums beteiligt, Widersprüche fortsetzend, die sie auf der Libanon-Konferenz eingeleitet die sich während der Besetzung durch Spekulation, Schwarzmarkthandel, hatte, unterschrieb sie am 12. Februar ein Abkommen, in dem unter Konfiszierung jüdischen Eigentums und Kollaboration mit der Besat- anderem vereinbart wurde, daß a) die ELAS innerhalb von zwei Wochen zungsmacht bereichert hatten. Zusammen mit Teilen des Kleinbürger- ihre Waffen übergeben, b) die EAM und die kommunistische Partei als tums, die - aus welchen Gründen auch immer - nicht an dem Widerstand legale Organisationen gelten, c) Parlamentswahlen und ein Plebiszit über gegen die Besatzungsmacht teilgenommen hatten, bildeten sie die Masse die Rückkehr des Königs innerhalb einesjahres stattfinden sollten, d) eine »loyaler<< und »patriotischer<< Bürger gegen die »kommunistische Ge- Amnestie für die an den Dezemberkämpfen Beteiligten erlassen und fahr<<. Der Antikommunismus war für diese sozialen Gruppen die insti- schließlich e) eine Säuberung der Verwaltung, Armee, Nationalgarde, tutionelle und politische Garantie ihrer gesellschaftlichen Vorherrschaft. Da die kapitalistische Entwicklung in Griechenland nicht von einer machtvollen, politisch liberalen Bourgeoisie getragen worden war, fehlten die liberal-demokratischen Traditionen, die das antikommunistische Ab- 45 Die Ereignisse vom 3. Dezember 1944 in_Athen sind als »DekeVriana<< (Dezemberereignisse) in die Geschichte des Landes eingegangen. Uber die Hintergründe und die Abfolge der Ereignisse während der Dekevriana siehe ausführlicher Heinz Richter (Anm. 2), S. 517-547, und John O. 48 Siehe John O. latridis (Anm. 23), S. 291-295. Iatrıdis (Anm. 23), S. 189-237. 49 Siehe Heinz Richter (Anm. 2), S. 566. 46 Walter Fischer und Eberhard Rondholz (Anm. 16), S. 127. 50 Ebenda. Die ELAS hat allerdings nicht alle Waffen abgegeben, wie sich später herausstellte. 47 Ebenda. 51 Ebenda, S. 567.

48 I9_99HefZ2/97 49 driften der bürgerlichen politischen Parteien bzw. breiter gesellschaftli- nisation »X« daran gehindert, das Wahllokal zu betreten. Mancher hat aus cher Schichten hätten verhindern können. Angst vor Repressalien für die Monarchie gestimmt. Das Plebiszit ergab Die Kapitulation der EAM und die Demobilisierung der ELAS öffneten 69 Prozent der Stimmen für die Wiedereinführung der Monarchie. König dem weißen Terror auf dem Lande Tür und Tor. Die Konterrevolution Georg II. kehrte unmittelbar danach nach Griechenland zurück.“ Heute war im vollen Gange. In einem von der EAM veröffentlichten Aufruf sind sich die griechischen Historiker aller Schattierungen darin einig, daß dieser Zeit heißt es unter anderem: ››Armee, Polizei und Justiz sind von diese Wahlen unter Bedingungen massiven Terrors stattgefunden haben nicht entfernten Faschisten und Kollaborateuren beherrscht. Die ganze und die Wahlergebnisse vollkommen verfälscht waren. Widerstandsbewegung wird grausam verfolgt, 60 000 Mann der Befrei- Die antikommunistischen Tendenzen und Intentionen bewirkten in- ungsarmee werden unterdrückt, gemartert, gedemütigt, eingekerkert und zwischen tiefgreifende Veränderungen in den wechselseitigen Beziehun- ermordet. Statt Gesetz und Ordnung herrschen zahlreiche bewaffnete gen zwischen den verschiedenen bürgerlichen Parteien und Organisatio- Banden, die durch staatliche Organe geduldet oder unterstützt werden nen. Dies hatte zur Folge, daß die ultrarechten politischen Kräfte, das und Dörfer umzingeln, Massenverhaftungen vornehmen, morden, plün- royalistische Militär und die paramilitärischen Organisationen, reale dern und Grausamkeiten verüben«.52 Macht erlangten: Sie kontrollierten die Reorganisation von Armee und Die EAM hatte mit dem Varkiza-Abkommen die Hoffnung auf Been- Polizei, intervenierten in die Justiz und beeinflußten sie, bestimmten digung des Bürgerkrieges und auf Schaffung der Voraussetzungen für den weitgehend die Entscheidungen der Regierungen und terrorisierten die friedlichen Übergang des Landes in die Demokratie verbunden. Sie erfüll- linken Bürger, insbesondere auf dem Lande. Die Minister waren lediglich te sich nicht. Den beiden Hauptakteuren des bewaffneten Konflikts, den damit beschäftigt, ihre Bereitschaft zu demonstrieren, für die »Zerschla- Briten und der EAM, war es mittlerweile klar, daß das Abkommen gung des Kommunismus« zu arbeiten. Die Vernichtung der Kommuni- lediglich eine Atempause vor dem Ausbruch eines neuen Bürgerkrieges sten und ihrer ››Mitläufer« wurde zum wichtigsten Ziel des Staates, selbst- war. Diesmal waren die politischen und militärischen Ausgangsbedingun- verständlich im Namen der Wiederherstellung von »Gesetz und Ord- gen für die EAM erheblich ungünstiger, denn die ELAS hatte den größten nung«. Demzufolge hatten die parlamentarischen Institutionen eine aus- Teil ihrer Waffen abgegeben, und die Stimmung unter den Partisanen und schließlich symbolische Funktion. Sie dienten lediglich der Sicherung des dem Volk war sehr schlecht. Darüber hinaus herrschten innerhalb der Zusammenhalts der bürgerlichen politischen Kräfte und zur Irreführung Kommunistischen Partei Meinungsverschiedenheiten über die Strategie, der öffentlichen Meinung im In- und Ausland. Wichtige Gesetzgebungs- die man verfolgen sollte. Erst gegen Ende 1946 entschied sich die Führung akte wurden ausschließlich von der Regierung diskutiert und beschlossen. der Kommunistischen Partei klar für den Bürgerkrieg.53 Allein in der Zeit von 1946-1951 sind 536 Regierungsdekrete und -anord- Auf der Varkiza-Konferenz war unter anderem vereinbart worden, daß nungen ohne Parlamentsermächtigung verabschiedet worden. Es wäre bald Wahlen und ein Plebiszit zur Frage der Staatsform durchgeführt müßig, alle legislativen Maßnahmen aufzuführen, die den institutionellen werden sollten. Die Wahlen fanden am 31. März 1946 statt. Die Rechte Rahmen des Antikommunismus bildeten. Sie reichten von der Gründung terrorisierte die Bevölkerung mit allen Mitteln, insbesondere auf dem des »Komitees für Öffentliche Sicherheit«, das Tausende von Kommuni- Lande, so daß eine freie Abstimmung fast unmöglich war. Wegen des sten und sonstige Linke in die Verbannung schickte, von der Massenent- herrschenden Terrors beschlossen die EAM und die KPG sowie auch manche Linksliberale, sich nicht an den Wahlen zu beteiligen, aus denen 54 Über die politischen Ereignisse in Griechenland zwischen dem Varkiza-Abkommen und dem erwartungsgemäß die royalistische Partei als Sieger hervorging. Sechs Ausbruch des neuen Bürgerkrieges siehe ausführlich Nikos Psyroukis (Anm. 10), S. 117-330 und Georgios Mavrogordatos, Die Wahlen und das Plebiszit von 1946 - Auftakt zum Bürgerkrieg, in: Monate später, am 1. September 1946, wurde das Plebiszit durchgeführt. John O. latridis (Anm. 10), S. 306-340. Heinz Richter beschreibt das Klima, das vor den Wahlen und dem Plebiszit in Griechenland geherrscht hat, folgendermaßen: »Die rechten Kommandos Jeder, der in den Verdacht geriet, gegen die Monarchie stimmen zu wollen, stellten Passierscheine aus, ohne die sich niemand von einem Ort zum anderen bewegen konnte. wurde von der Polizei und den Angehörigen der paramilitärischen Orga- Sie richteten illegale Gefängnisse ein und verhängten Ausgangssperren. Zusammen mit der Gen- darmerie veranstalteten sie Razzien auf Kommunisten und Republikaner. Konnten sie die gesuchten ELAS-Angehörigen nicht finden, terrorisierten sie deren Familien -schoren die Frauen kahl, hieben die Weinstöcke ab und fällten die Olivenbäume. In den Städten wurden Gewerkschaftsmitglieder, 52 Zitiert nach Walter Fischer und Eberhard Rondholz (Anm. 16), S. 129. die von Versammlungen zurückkehrten, zusammengeschlagen. Die Gefängnisse füllten sich mit 53 Ebenda, S. 130. F.AM/ELAS-Mitgliedern«, siehe Heinz Richter (Anm. 2), S. 567.

50 1 9 9 9 Hifi 2/91 51 lassung von Angestellten, um den Öffentlichen Dienst von ››Umstürz- ment einzuhalten. Da sie ihre Militär- und Finanzhilfe für Griechenland lern« zu säubern, über die sogenannten »Bescheinigungen für soziale nicht mehr aufrechterhalten' konnte, übernahmen die Vereinigten Staaten Gesinnung«, ohne die man keine Arbeit im Öffentlichen Dienst oder ein von Amerika die Rolle Englands. Amerikaner und Griechen bildeten ein Universitätsstudium aufnehmen konnte, über die Konfiszierung des Ei- gemeinsames Oberkommando, das die Leitung des Kampfes gegen die gentums von Partisanen bis hin zu den Militärgerichten und dem 1947 Aufständischen übernahm. Das militärische Engagement der USA brach- erlassenem Verbot von der EAM und der Kommunistischen Partei. te Griechenland auch wirtschaftlich zusehends in amerikanische Abhän- Nach dem Ergebnis der Wahlen und des Plebiszits zu urteilen, waren gigkeit. Der Bürgerkrieg war der Auftakt für das Eindringen des ameri- die Chancen der Linken für eine Mitwirkung am politischen Leben des kanischen Kapitals.56 Landes gleich Null. Die Verfolgung von Mitgliedern und Anhängern der Angesichts der Stärke der Regierungstruppen (gegen Ende des Bürger- EAM wurde auf dem Lande und teilweise auch in den Städten fortgesetzt. krieges standen ihren 200 000 Mann ca. 30 000 Partisanen gegenüber), Viele von ihnen zogen sich in die Berge zurück und bildeten dort bewaff- ihrer technologisch-militärischen Überlegenheit - sie wurden von den nete Gruppen, die je nachdem in engem bzw. losem Kontakt zur KP USA mit modernstem Kriegsgerät ausgestattet - und nicht zuletzt wegen standen. Sie kooperierten wenig miteinander, und ihre Aktivitäten waren der politischen Fehlentscheidungen der Kommunistischen Partei war die kaum koordiniert. Sie griffen oft Polizeistationen an, um sich für die Niederlage der Demokratischen Armee nur eine Frage der Zeit. Nach politische Verfolgung zu rächen, der sie ausgesetzt waren. Die KP selbst einem Großangriff der Regierungstruppen auf die letzten Stützpunkte der war zunächst unentschlossen, ob sie den Bürgerkrieg wollte oder nicht. Partisanen im Norden des Landes, in der Gebirgsgegend von Grammos Deshalb war auch ihre Haltung diesen bewaffneten Grupen gegenüber und Vitsi, wurde die Demokratische Armee im Sommer 1949 vernichtend ambivalent. Sie gewährte diesen Gruppen lediglich politische Unterstüt- geschlagen. Damit ging der Bürgerkrieg schließlich zu Ende. zung und benutzte sie als Beweis dafür, daß das Volk dabei sei, sich gegen die Repression des antikommunistischen Staates zu verteidigen, um ihren Forderungen nach Demokratisierung des öffentlichen Lebens Nachdruck Kollaboration ohne Verräter zu verleihen. Da sich die staatliche Repression zusehends verschärfte, zog die Kommunistische Partei schließlich die Konsequenzen. Obwohl sich Während in den meisten europäischen Ländern die wichtigsten Kollabo- das politisch-militärische Kräfteverhältnis inzwischen zuungunsten der rateure unmittelbar nach der Befreiung vor Gericht gestellt und abgeur- Kommunisten verändert hatte, beschloß sie, den bewaffneten Kampf teilt wurden, ließ sich die erste griechische Nachkriegsregierung unter erneut aufzunehmen. So begann die sogenannte »dritte Runde«, der Bür- Georgios Papandreou in dieser Hinsicht Zeit. Trotz der Abmachungen gerkrieg 1946-1949.55 zwischen der Exilregierung und der EAM auf den Konferenzen von Die Hoffnung der griechischen Regierung und ihrer britischen Verbün- Beirut und Caserta über die Bestrafung der Kollaborateure wurde bis deten, sie könnten die kommunistische Bürgerkriegsarmee, die ››Demo- Februar 1945 keinem von ihnen der Prozeß gemacht. Bekannte Kollabo- kratische Armee Griechenlands« (Dimokratikos Stratos tis Elladas - DSE) rateure befanden sich immer noch auf freiem Fuß.57 Manche von ihnen leicht besiegen, erwies sich schnell als Fehlschluß. Englands Engagement folgten der abziehenden Besatzungsmacht und verließen rechtzeitig das in Griechenland wurde von Tag zu Tag problematischer, denn das Empire Land. Andere konnten ungehindert ins Ausland fliehen. Sie kehrten später steckte nach dem II. Weltkrieg in einer tiefen Krise, die hauptsächlich auf nach Griechenland zurück, als sich die politischen Bedingungen verändert die Unabhängigkeitsbestrebungen in seinen Kolonien (Indien, Malaysia etc.) zurückzuführen war. Die britische Regierung war deshalb nicht mehr 56 Mancher Kollaboratcur ist allerdings schon Während der Besatzungszeit oder kurz nach der Befreiung bestraft worden. Die Aufgabe, die Kollaborateure aufzuspüren und zu bestrafen, hatte imstande, ihre Verpflichtungen gegenüber dem griechischen Establish- die Politische Organisation der Volksverteidigung (OPLA) übernommen, die der EAM unterstellt war. Die Kollaborateure wurden den »Volksgerichten«, die in den befreiten Gebieten funktionier- ten, übergeben, damit ihnen der Prozeß gemacht wird. Es hat allerdings auch Fälle gegeben, in denen 55 Über die Hintergründe und den Verlauf des Bürgerkrieges sowie auch über die Ursachen der Kollaborateure im Schnellverfahren - oder ohne jegliches Verfahren - abgeurteilt und hingerichtet Niederlage der Demokratischen Armee Griechenlands siehe John O. latridis, Der Bürgerkrieg, wurden. Die Vorgehensweise der OPLA lie viel zu wünschen übrig, denn oft wurden Menschen 1945-1949. Nationaleund internationale Faktoren, in: Hagen Fleischer und Nikos Svoronos (Anm. der Kollaboration bezichtigt, um persönliche Rechnungen zu begleichen. 4), S. 340-398. 57 Siehe Lefheris Apostolou (Anm. 43), S. 12.

52 1 9 9 9 Heft 2/91 53 hatten und sie keine Bestrafung mehr zu fürchten hatten. Nach 1946, als Vor dem Sondergericht standen die drei Ministerpräsidenten der Besat- sich im Zuge des Bürgerkrieges und des ausbrechenden Kalten Krieges das zungsregierungen sowie 27 ihrer Mitarbeiter.“ politische Klima in Griechenland radikal verändert hatte, avancierten die Die Anklageschrift gegen Tsolakoglou, Logothetopoulos und Rallis ehemaligen Kollaborateure zu Bündnispartnern der sogenannten »natio- lautete auf freiwillige Kollaboration mit der Besatzungsmacht, freiwillige nalen Kräfte«. Verfolgt und bestraft wurden nicht mehr die Kollaborateu- Bereitstellung von Lebensmitteln und Arbeitskräften für die Okkupanten re, sondern die Kommunisten. Viele konservative Politiker betonten den und freiwillige Propagierung der politischen Ziele der Besatzer. Tsolako- wichtigen »nationalen Beitrag« der Kollaborateure im Rahmen des anti- glou und sechs weitere Generäle wurden darüber hinaus des Hochverrats kommunistischen Kampfes. Der konservative Abgeordnete Kouloumba- bezichtigt, weil sie 1941 eigenmächtig mit den Deutschen Kontakt aufge- kis nannte sie während der Parlamentsdebatten »Helden der Nation«. nommen und die Kapitulation Griechenlands unterschrieben hatten. Ral- Organisationen, wie etwa die Organisation »X« von Georgios Grivas, die lis und seine Mitarbeiter wurden angeklagt, die Sicherheitsbataillone ge- während der Besatzungszeit der Zusammenarbeit mit dem Feind beschul- bildet und sie in den Dienst der Besatzungsmacht gestellt zu haben, um digt worden waren, gehörten mittlerweile zu den Verbündeten der grie- den griechischen Widerstand zu bekämpfen. Viele politische Persönlich- chischen Regierung und der Briten, als es darum ging, die EAM/ELAS zu keiten Griechenlands fanden sich bereit, im Prozeß als Entlastungszeugen zerschlagen. General Scobie zögerte nicht, die Truppen von Grivas bei der aufzutreten. Selbst die Politiker, die als Belastungszeugen aussagen sollten, Schlacht von Athen im Dezember 1944 einzusetzen. Um den Kollabora- trugen durch ihre Aussagen zur Entlastung der Angeklagten bei. Sie teuren den Prozeß machen zu können, verabschiedete die Nachfolgerin betonten deren »nationale Gesinnung« und vertraten oft die Ansicht, die der Regierung der Nationalen Einheit am 21. Januar 1945 den Verfas- Beschuldigten hätten entweder aus falsch verstandenem Patriotismus oder sungsakt Nr. 6, der die Bildung von Sondergerichten vorsah, die sich mit aus dem Wunsch heraus gehandelt, den nationalen Kräften gegen die der Bestrafung der Kollaborateure befassen sollten.58 Dieses Gesetz löste Kommunisten Beistand zu leisten.ó2 den von der Regierung der Nationalen Einheit verabschiedeten Verfas- Das Auftreten führender bürgerlicher Politiker zugunsten der Kollabo- sungsakt Nr. 1 ab, der damals als ››Kollaborations-Gesetz« bekannt wur- rateure verfehlte seine positive Wirkung nicht. Tsolakoglou wurde zwar de. Anders als in diesem Gesetz wurde im neuen Verfassungsakt die vom Sondergericht wegen Hochverrats zum Tode verurteilt, doch die Kollaboration mit dem Feind nicht mehr als politisches, sondern als Richter äußerten den Wunsch, die Strafe möge in lebenslängliche Haft strafrechtliches Vergehen behandelt.59 Diese Änderung blieb nicht ohne umgewandelt werden. Logothetopoulos erhielt 20 Jahre Gefängnis. Rallis Folgen für die Zusammensetzung des Sondergerichts, das aus sechs Be- schließlich, der der deutschen Besatzungsmacht durch die Aufstellung der rufsrichtern und drei Geschworenen bestand. Die sechs Berufsrichter Sicherheitsbataillone am meisten geholfen hatte, wurde zu lebenslängli- gehörten der Justiz an, von der Papandreou, als er noch Ministerpräsident cher Haft verurteilt. Wie die griechische Justiz mit diesen Strafen umging, war, gemeint hatte, sie müsse von Grund auf reorganisiert werden, weil zeigte sich sehr schnell. Tsolakoglou wurde nicht hingerichtet. Keiner der sie sich, mit wenigen Ausnahmen, in den Dienst der Besatzungsmacht Verurteilten hat seine Strafe abgesessen. Sie lebten unter Aufsicht in einem gestellt hattefio Aber auch die Geschworenen waren nicht gerade die der schönsten Gebäude von Athen.“ Geeignetesten, um den griechischen Widerstand in der Anklage der Kol- In zwei weiteren Prozessen, die im Oktober 1945 begannen, standen laborateure zu vertreten. Sie wurden aus dem Kreis der wohlhabenden führende Kader der Sicherheitsbataillone sowie auch des »Speziellen Kaufleute, Rechtsanwälte, Ärzte etc. rekrutiert, die am Widerstand nicht teilgenommen bzw. z.T. an der Besatzungsmacht verdient hatten. Dienstes für Sicherheit« (Idiki Asfalia), der aus der Zeit der Metaxas-Dik- Der erste große Prozeß im Frühjahr 1945 galt der politischen Kollabo- tatur stammte und während der Besatzungszeit ebenfalls mit den Okku- ration und richtete sich gegen die Mitglieder der Besatzungsregierungen. panten kollaboriert hatte, vor Gericht. Ebenso wie beim ersten Prozeß erschienen auch jetzt Vertreter des griechischen Establishments, um zu-

58 Die rechtlichen Regelungen, die nach 1946 sukzessive verabschiedet wurden und der Entlassung der Kollaborateure dienten, sind kaum zu überblicken. 61 Ebenda, S. 49. 59 Siehe Leftheris Apostolou (Anm. 43), S. 12. 62 Nikolaos Karkanis (Anm. 28), S. 149. so Ebenda, S. 15 ff. 63 Ebenda, S. 251

54 1 999H@f± 2/91 55 gunsten der Angeklagten auszusagen. Im Verlauf der Prozesse stellte sich schuldigte »vorsätzlich und mit dem Ziel, sich zu bereichern« gehandelt heraus, daß die Sicherheitsbataillone nicht nur bei der deutschen Besat- hatte. Diese Änderung führte dazu, daß die Wirtschaftskollaborateure mit zungsmacht, sondern auch bei vielen griechischen Exilpolitikern und bei wenigen Ausnahmen frei kamen, ohne daß ihnen der Prozeß gemacht den Briten gern gesehen worden waren. Diese Sympathien hatten nach wurde.“ dem bewaffneten Konflikt im Dezember 1944 rapide zugenommen. Di- Die Verfahren gegen die Kollaborateure, insbesondere der Prozeß gegen mitrios Maximos, der nach der Befreiung für eine kurze Zeit Ministerprä- die Mitglieder der Besatzungsregierungen, erwiesen sich als Farce. Wie sident einer rechten Übergangsregierung gewesen ist, beteuerte, daß die wir gesehen haben, wurde auf der Konferenz von Varkiza unter anderem ››Tagmata Asfalias für uns alle von großem Nutzen waren«.64 die Säuberung der Sicherheitsbataillone und des Öffentlichen Dienstes Die Prozesse gegen die Mitglieder der Sicherheitsbataillone und der von Kollaborateuren sowie auch die Gründung einer nationalen Armee ››Idiki Asfalia« bewiesen erneut, daß der griechische Staat nicht gewillt vereinbart, in der auch ehemalige Mitglieder der ELAS dienen sollten. war, konsequent mit den Kollaborateuren abzurechnen. Zwar sind oft Diese Vereinbarungen blieben Papier. Statt dessen begann man mit der Strafen verhängt worden, doch in den meisten Fällen wurden sie ausge- Säuberung des Staates von Sozialisten, Kommunisten und sonstigen De- setzt, als sich in der darauffolgenden Zeit der Konflikt zwischen der mokraten. Während die Kollaborateure zusehends integriert wurden, Kommunistischen Partei und den rechten Regierungen des Landes zu- führten die rechten Regierungen die Gesinnungsüberprüfung für Staats- spitzte.65 Viele von den Angeklagten wurden aber auch freigesprochen. beamte ein, um die Linken aus dem Staatsdienst auszuschließen. Auch bei Am eklatantesten war der Fall von Nikolaos Bourantas, einem ehemaligen der Armee sah es nicht anders aus. Sie wurde von allen Offizieren und Polizeioffizier, der während der Besatzungszeit eng mit den Deutschen in Soldaten gesäubert, die in dem Verdacht standen, auf der Seite des natio- Athen zusammengearbeitet und sich bei der Verfolgung und Vernichtung nalen Widerstandes (EAM/ELAS) gekämpft zu haben. Viele von ihnen der Linken besonders hervorgetan hatte. Er wurde - wie viele seiner wurden auf die griechischen Ägäis-Inseln verbannt. Die Säuberung der Gesinnungsfreunde - im Namen der Freiheit der Rechten freigesprochen. Armee galt jedoch nicht den Mitgliedern der Sicherheitsbataillone. Tau- In den Prozessen wegen wirtschaftlicher Kollaboration mit dem Feind sende von ehemaligen führenden Kadern dienten in wichtigen Positio- standen bekannte Industrielle und Großhändler vor den Sondergerichten. nen.“ Die Armee wurde so sukzessive zum reinen Instrument des Anti- Hinzu kam eine respektable Anzahl von Schwarzmarkthändlern, die sich kommunismus. Schlüsselpositionen wurden von royalistischen Offizie- auf Kosten des hungernden griechischen Volkes bereichert hatten.“ ren besetzt, die sich in der Verfolgung republikanischer Offiziere in der Die Bestrafung der Wirtschaftskollaborateure wurde ebenfalls mit Hilfe Vorkriegszeit hervorgetan hatten. des Verfassungsaktes Nr. 6 aus dem Jahre 1945 in Angriff genommen. Aufs Ganze gesehen wurden Staat und Armee in Griechenland späte- Ebenso wie für die politische und militärische waren auch für die wirt- stens bis zum Beginn des Bürgerkrieges, der »dritten Runde<<, im Herbst schaftliche Kollaboration harte Strafen vorgesehen. Doch die Rechtslage 1946 weitgehend von Linken gesäubert. Mit der Beendigung des Bürger- veränderte sich im Verlauf des Jahres 1946 erheblich. Nach einer in diesem krieges im August 1949 war auch der Prozeß der Restauration der bürger- lichen Herrschaft im Lande abgeschlossen, der von der Exilregierung und Jahr vorgenommenen Novellierung des Verfassungsaktes Nr. 6 war der ihren britischen Verbündeten auf der Libanon-Konferenz eingeleitet wor- Tatbestand der wirtschaftlichen Kollaboration erst erfüllt, wenn der Be- den war.

64 Kollaborateure, die der Mitwirkung an Massenverhaftungen und -exekutionen durch die Besat- zungsmacht in Athen beschuldigt wurden oder die griechische bzw. ausländische Offiziere denun- ziert hatten, die vom alliierten Oberkommando in Kairo nach Griechenland geschickt worden waren, sowie auch jene, die mit der bulgarischen Besatzungsmacht im Norden des Landes kolla- 67 Noch während der Kollaborationsprozesse wurden 1309 Offiziere der Sicherheitsbataillone in die boriert hatten, wurden unmittelbar nach der Befreiung zum Tode verurteilt und exekutiert. Hart Nationale Armee aufgenommen. Sie besetzten durchgehend wichtige Positionen und wurden für bestraft wurden ebenfalls jene Personen, die in Thessaloniki Juden denunziert hatten. Viele Trans- ihre Dienste hoch dekoriert. Siehe Nikolaos Karkanis (Anm. 28), S. 37. aktionen von Immobilien, die in der Zeit von 1941-1944 erfolgten, wurden rückgängig gemacht, 68 Ausführlicher über die amerikanische Politik gegenüber Griechenland siehe den aufschlußreichen weil die Vermutung bestand, daß sie illegal erfolgt seien. Aufsatz von L.S. Wittner, Die amerikanische Politik gegenüber Griechenland: 1944-1949, in: Hagen 65 Eine Liste mit den Namen der wichtigsten Wirtschaftskollaborateurc findet sich bei Leftheris Fleischer und Nikos Svoronos (Anm. 4), S. 399-417 sowie auch den Aufsatz von Argyris Fatouros, Apostolou (Anm. 43). S. 42 ff. Siehe dazu ebenfalls Nikolaos Karkanis (Anm. 28), S. 389 ff. Wie man einen Abhängigkeitsrahmen schafft: Die Rolle der USA in Griechenland 1947-1948, 66 Ebenda, S. 391 f_ ebenda, S. 419-460.

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Charakteristisch für die Entwicklung des griechischen Staates unmittel- bar nach der Befreiung des Landes von der deutschen Besatzung ist die Andreas Wojak ››lk mut opereert worden, Verbindung von liberalen Institutionen und aggressivem Antikommunis- mus. Dieser Zustand herrschte in Griechenland bis zum Militärputsch heet' dat. De hemm' nich seggt, vom 21 _ April 1967, als die Verfassung von 1952 außer Kraft gesetzt wurde worum.« NS-Zwangssterilisationen und das Militär die Macht übernahm. Mit Ausnahme der Diktaturperiode von 1967-74 bildeten im Nachkriegsgriechenland liberale Institutionen in einem niedersächsischen Dorf und Antikommunismus stets eine eigentümliche und widersprüchliche Einheit, die erst 1974 aufhörte, das politische Leben des Landes zu bestim- men.

IM Juni 1933 verkündete die NS-Regierung das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses«, das am 1.1.1934 in Kraft trat. Sie bekundete damit ihren Willen, »den Volkskörper zu reinigen und die krankhaften Erbanlagen allmählich auszumerzen1«1 Aufgrund seiner Bestimmungen wurden im Deutschen Reich bis 1945 etwa 400 000 Menschen, je zur Hälfte Frauen und Männer, zwangssterilisiert. Ungefähr 5000 Personen, zumeist Frauen, überlebten den Eingriff nicht.2 Als Erbkrankheiten, die eine Sterilisation rechtfertigten, galten nach dem Gesetz u.a. ››angeborener Schwachsinn«, »Schizophrenie«, »manisch-depressives Irresein«, »erbli- che Fallsucht« (Epilepsie), »erbliche Blindheit«, »erbliche Taubheit« und »schwere erbliche körperliche Mißbildung<<. Außerdem konnte auch bei »schwerem Alkoholismus« eine Sterilisation angeordnet werden. Sterili- siert werden durften schon Kinder ab dem 10. Lebensjahr. Ab dem 14. Lebensjahr war polizeilicher Zwang zulässig. Dem nationalsozialistischen Sterilisationsgesetz war eine jahrelange heftige, z.T. öffentlich geführte Diskussion vorangegangen. Dabei verban- den sich abstruse Vorstellungen einer »nordischen Rassenveredlung« mit Forderungen nach Bekämpfung von Kriminellen und sozial Auffälligen, wobei die Erblichkeit von sozialem bzw. asozialem Verhalten behauptet wurde. Argumentiert wurde auch immer wieder mit den hohen gesell- schaftlichen Kosten, die durch ››Minderwertige« wie Hilfsschüler, Gei- steskranke, Asoziale und Alkoholiker verursacht würden. Das Gesetz von 1933 steht somit am Ende einer längeren Entwicklung und markiert

1 Arthur Gütt/Ernst Rüdin/Falk Ruttke, Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933, München 1934, S. 5. 2 Die folgenden allgemeinen Angaben stützen sich weitgehend auf die Arbeit von Gisela Bock, Zwangssterilisation im Nationalsozialismus, Opladen 1986. Zu den Zahlenangaben vgl. insbes. die Seiten 8, 245, 271, 302, 303, 372, 380.

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