135 Weltladen-Brief 57 Fußballmit Hindernissen Afghanistan: Galeano: „Ich binindenFußballvernarrt“ Eduardo Gar nichtfair:Sportartikel-undFußballproduktion Gott istrund–ReligionundFußball Kicken gegenGewalt Rassismus undAntirassismusaufneben demRasen Die zweiteGlobalisierungdesFußballs Fußball global–Faszination undKommerz ZEITSCHRIFT ZUMNORD-SÜD-KONFLIKTUNDZURKONZILIARENBEWEGUNG März 2006 3 Euro FUSSBALL GLOBAL ÖKUMENE 5 • Die zweite Globalisierung des Fußballs 32 • Schwierige Verständigung in Porto Alegre Der weltweite Siegeszug des Fußballsports und des Nord-Süd-Differenzen in der ökumenischen Diskussion Fußballbusiness • Gerald Hödl zur Globalisierung • Konrad Raiser

8 • Affenlaute und Aktionswochen 34 • Geborgenheit in erschöpften Oasen Rassismus und Antirassismus im europäischen Fußball Eine ökumenische Besuchsreise zum Thema Wasser • Michael Fanizadeh • Annette Berger

9 • „Ich bin in den Fußball vernarrt“ Ein Gespräch mit Eduardo Galeano über Fußball und Politik, Maradona und die Arroganz der Intellektuellen GERECHTIGKEIT JETZT 38 • Nord-Süd-Poker in Hongkong 11 • King George und die Hand Gottes Die WTO-Ministerkonferenz bringt keine Kehrtwende Populäre Fußballer mit politischen Ambitionen für eine Entwicklungsrunde • Arndt von Massenbach • Martin Ling

13 • Gott ist rund Über Fußball und Religion in Brasilien • Daniela Chiaretti

4 • KOMMENTARE 15 • Kicken gegen die Gewalt Ein Straßenfußballprojekt in Medellín und sein 30 • BLICKWECHSEL internationaler Erfolg • Armin Massing Gefangen im Transit

17 • Gewinnen statt hassen 36 • LITERATUR PUR Fußball als Beitrag zu Gewaltprävention und Versöhnung Tomás González: Am Anfang war das Meer • Uli Jäger 39 • REZENSIONEN Andreas Zumach: Die kommenden Kriege. 19 • Aktionen und Veranstaltungen von INKOTA zur WM Ressourcen, Menschenrechte, Machtgewinnn – Präventivkrieg als Dauerzustand? 20 • Goldgrube Fußball-WM Kirchlicher Herausgeberkreis Jahrbuch Gerechtigkeit: Globale Unternehmensverantwortung als Armes reiches Deutschland. Jahrbuch Gerechtigkeit I Marketinginstrument • Ingeborg Wick Karin Gabbert u.a. (Hg.): Jahrbuch Lateinamerika 29. Neue Optionen lateinamerikanischer Politik. 22 • „Teamgeist“ macht nur reich Analysen und Berichte FußballnäherInnen in Pakistan können von ihren Löhnen Rita Schäfer: Im Schatten der Apartheid. nicht leben – so müssen auch die Kinder arbeiten Frauen-Rechtsorganisationen und • Jörg Zimmermann geschlechtsspezifische Gewalt in Südafrika Abdalhakim Kassem: Die sieben Tage des Menschen 24 • Von Altona nach Kabul Fußball mit Hindernissen im Afghanistan nach den Taleban • Thomas Ruttig 43 • NETZWERK 46 • IMPRESSUM 25 • Die Ware Frau 48 • NACHRUF Zur Fußball-WM machen Frauenorganisationen gegen Abschied von Jon Cortina Zwangsprostitution mobil • Sigrid Haller

26 • Mario, Marimacho, Marigol Ein Portrait der mexikanischen Weltklassespielerin Maribel Domínguez Castelán • Anna Schulte

28 • Futbolistas Ein Sammelband präsentiert den Fußball in Lateinamerika WELTLADEN-BRIEF • Andreas Rosen Choreografie von unsichtbarer Hand Ein „Radioballett“ soll zum Start der Fußball-WM für 29 • Das Spiel um die Aufmerksamkeit entwicklungspolitische Aufmerksamkeit sorgen Die Nord-Süd-Szene und die WM in Deutschland Weltladentag 2006: Fußbälle und Kinderrechte Fairer Handel zeigt ausbeuterischer Kinderarbeit die Rote Karte Kicken fürs Patenland Im Juni findet das Finale des Wettbewerbs der WM-Schulen in Potsdam statt Großer Erfolg für „fair plus regional“ Schon über 4.000 Liter Apfel-Mango-Saft in Mecklenburg- Vorpommern verkauft

Titelfoto: Hacky Hagemeyer / Transparent Nichts ist so beständig wie die Veränderung Auch in Mali wird gekickt Trotz personeller Veränderungen geht die Fair-Handels- Gruppenberatung kontinuierlich weiter Der INKOTA-Brief erscheint mit freundlicher Unterstützung von BMZ, EED, MISEREOR und STIFTUNG NORD-SÜD-BRÜCKEN Aktionen, Events, Weiterbildungen 2006

2 INKOTA-Brief 135 • März 2006 BLICKWECHSEL / EDITORIAL

„Die Welthandelsorganisation (WTO) melkt Entwicklungsländer.“ Im Vorfeld der WTO-Konferenz in Hongkong demonstrierte die Welthandels- kampagne Gerechtigkeit Jetzt! am 9. Dezember 2005 gegen die ungerechten Handelsbedingungen der WTO für die Entwicklungsländer. Die Milchkühe vor dem Kanzleramt haben zu mehr Öffentlichkeit beigetragen. Nicht verhindern konnten sie allerdings die schlechten Ergebnisse vor allem für die ärmsten Entwicklungsländer. Dafür haben vor allem auch die Europäische Union und damit auch die Bundesregierung gesorgt (siehe auch die Analyse auf Seite 38). Foto: Peter Steudtner

Liebe Leserin, lieber Leser, Doch mit den Umsätzen und Gewinnen Real Madrid auf Spanisch, Englisch und steigen nur die Dividenden der Aktienbe- Japanisch zu lesen ist (der Rivale FC Barce- die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in sitzerInnen. Hunderttausende ArbeiterInnen lona hat neben Katalanisch zusätzlich noch Deutschland kann sich großer öffentlicher in den Zulieferbetrieben rund um den Glo- Chinesisch im Angebot). Anteilnahme sicher sein. Jeder (Fehl-)Pass bus warten vergeblich auf höhere Löhne Der uruguayische Schriftsteller Eduar- der bundesdeutschen Spieler wird analy- und bessere Arbeitsbedingungen. INKOTA do Galeano meint, es helfe, „sich in die siert, jede Äußerung des Bundestrainers wird in den nächsten Monaten verstärkt auf Fußballwelt zu vertiefen, um zu verstehen, kommentiert werden. Was für Deutschland diesen Skandal aufmerksam machen. wie die Welt funktioniert“. Bei genauerer gilt, wird ähnlich auch in den anderen 31 Der Profifußball ist ein riesiges Geschäft Betrachtung offenbart sich, wie sehr die Teilnehmerländern ablaufen. Die Fußball- geworden. Die großen europäischen Klubs Welt inzwischen warenförmig organisiert WM ist das mediale Ereignis des Jahres, haben sich zu profitorientierten Fußballun- ist. Aber auch, wie sehr Fußball, wenn das bereits im Vorfeld häufen sich die Fern- ternehmen entwickelt und erwirtschaften Spielerische im Vordergrund steht, faszinie- sehshows, Radioberichte und Buchveröf- Jahr für Jahr Beträge im dreistelligen Millio- ren und zum Abbau von Konfliktpotenzia- fentlichungen über das runde Leder. nenbereich. Das Spiel auf dem Rasen ist da len beitragen kann. Dies zeigt das Projekt Auch der INKOTA-Brief wird sich nicht nur mehr ein kleiner Teil des Geschäfts. „Fútbol por la Paz“ in der kolumbianischen ins publizistische Abseits stellen. Aber Millionenstadt Medellín genauso wie das seien Sie gewiss: Die Frage, ob sich nun FUSSBALL GLOBAL – gemeinsame Kicken von israelischen und Jürgen Klinsmann bislang zu viel in der palästinensischen Jugendlichen. Fußball FASZINATION UND KOMMERZ kalifornischen Sonne getummelt hat statt im kann ein Beitrag zur Gewaltprävention und deutschen Schnee, interessiert uns herzlich zur Versöhnung sein. Grenzen überwinden wenig. Auch einzelne Mannschaftsaufstel- Auch die Länder des Südens sind in helfen, auch die der Geschlechter, und „die lungen werden wir nicht kommentieren die neue Fußball-Ökonomie eingebunden. Anderen“ nicht mehr als Feinde wahrzu- und ebenso wenig, ob der brasilianische Während Afrika und Lateinamerika als nehmen – schönere Aufgaben kann man Trainer zu sehr auf Ergebnisfußball setzt Spielerreservoir genutzt werden, sind die dem gemeinsamen Spiel kaum zumessen. statt auf Ballzauber. asiatischen Länder zu wichtigen Absatz- Die Welt ist im Fußballfieber. Wir hof- Faszination und Kommerz sind die bei- märkten geworden. Real Madrid und ande- fen, dass diese Ausgabe des INKOTA- den Pole unseres Blicks auf den globalen re touren nicht etwa aus sportlichem Interes- Briefs interessante Einblicke in den glo- Fußball. Die großen Sportartikelkonzerne se regelmäßig durch Japan und Südkorea. balen Fußball zwischen Faszination und erwirtschaften Milliarden mit dem weltwei- Es geht um Fernsehrechte und den Verkauf Kommerz bietet. Eine kurzweilige Lektüre ten Sport Nummer 1, und die Fußball-WM der Merchandisingpalette rund um den dabei wünscht Ihnen lässt die Kasse bei Adidas, Nike, Puma Hauptwerbeträger . Und so und anderen noch lauter klingen als sonst. verwundert es nicht, dass die Website von Michael Krämer

INKOTA-Brief 135 • März 2006 3 KOMMENTARE

DIE FAO WACHT AUF – DIE BUNDESREGIERUNG NICHT

In Brasilien ist Wahljahr. Mit Wirtschaftswachstum, Schulden- Die Empfehlungen der Konferenz bleiben noch recht vage. Die abbau, geringen Inflationsraten und außenpolitischen Erfolgen Konkretisierung soll in Rom erfolgen, bei der erwähnten Halbzeit- konnte Präsident Lula in den vergangenen drei Jahren durchaus bilanz im September und beim FAO-Rat im November. Immerhin, punkten. Ganz anders in den wichtigen sozialpolitischen Themen, ein Anfang ist gemacht. allen voran der Agrarreform, die er im Wahlkampf versprochen Und die Bundesregierung? Sie hatte für das ganze Schauspiel hatte. Nun muss Lula fürchten, dass die Landlosen ihm bei der weder Geld noch Zeit. Weder Entwicklungsministerin Heidemarie Wahl einen Denkzettel verpassen. Wieczorek-Zeul noch Landwirtschaftsminister Horst Seehofer ha- Wahltaktik ist sicher ein Motiv dafür, dass Brasilien zusammen ben eigene VertreterInnen nach Porto Alegre entsandt. Auch eine mit der Welternährungsorganisation FAO im März in Porto Alegre finanzielle Unterstützung hatten sie ICARRD wie auch der Parallel- eine „Internationale Konferenz für Agrarreformen und Ländliche konferenz der sozialen Bewegungen versagt. Entwicklung“ (ICARRD) veranstaltete. Dennoch: Die Initiative ist Es ist nur ein Spiegel für die niedrige Priorität von Agrarre- zu begrüßen, und sie war bitter nötig. Im September wird die formen und Hungerbekämpfung in der deutschen Entwicklungs- Staatengemeinschaft eine „Halbzeitbilanz“ der Hungerbekämp- zusammenarbeit. Deren bilaterale Ausgaben für Landwirtschaft, fung seit dem Welternährungsgipfel 1996 in Rom ziehen. Sie Fischerei und entwicklungsorientierte Ernährungssicherung waren wird traurig und peinlich ausfallen: Die Anzahl der Hungernden unter Rot-Grün von 298 Millionen Euro im Jahr 1997 auf 140 Mil- ist weiter gestiegen, auf 852 Millionen Menschen weltweit. Die lionen 2003 zusammengestrichen worden. Im Wahlkampf hatten angepeilte Halbierung bis 2015 liegt in weiter Ferne. 80 Prozent sowohl CDU als auch SPD eine Umkehr dieses Trends versprochen. der Hungernden leben auf dem Land, die meisten sind landlose Erste Probe: Fehlanzeige. und landarme Kleinbauern und -bäuerinnen. Nun käme es darauf an, dass sich die Bundesregierung wenigs- Das Erwachen der FAO kommt – im Vorfeld der Halbzeitbilanz tens im Nachfolgeprozess von ICARRD für eine Konkretisierung der – zur rechten Zeit. Die Abschlusserklärung von ICARRD betont die Empfehlungen einsetzt: vor allem für ein neues FAO-Programm zur herausragende Rolle von Agrarreformen für die Hungerbekämp- Förderung von Agrarreformen sowie ein Berichtssystem, in dem fung, nachhaltige Entwicklung und Umsetzung wirtschaftlicher, menschenrechtliche Maßstäbe angelegt werden und die Landlosen sozialer und kultureller Rechte. Besonders in Gegenden mit starker selber zu Wort kommen. Ersten Äußerungen zufolge will das Ent- sozialer Ungleichheit, Armut und Hunger sollten Agrarreformen wicklungsministerium den Prozess lieber blockieren als konstruktiv den benachteiligten Gruppen Zugang zu und Kontrolle über Land vorantreiben. Wohl nach dem Motto: Schlafen bis zum bösen und andere Ressourcen verschaffen. Im Gegensatz zur Weltbank Erwachen. hebt die FAO dabei die „zentrale Rolle“ von Staaten hervor. Zu- Armin Paasch gleich müsse die internationale Unterstützung für Organisationen Der Autor ist Agrarreferent der deutschen Sektion von FIAN, von Kleinbauern, Landarbeitern und Landlosen verstärkt werden. einer Menschenrechtsorganisation für das Recht auf Nahrung (www.fian.de).

FAIRES FEIGENBLATT FÜR LIDL

Lebensmittel sind im europäischen Vergleich in Deutschland am bil- von Produkten aus dem fairen Handel und biologischem Anbau ligsten. Verantwortlich dafür sind vor allem die großen Discounter ins Sortiment zu prüfen. Das sei zwar eine gute Nachricht, aber wie Lidl, Aldi und Co. Auf rund 40 Prozent haben sie ihren Anteil viel zu wenig, meint Jutta Sundermann von Attac: „Es reicht nicht, am Lebensmitteleinzelhandel inzwischen hochgeschraubt. Seit wenn Lidl ein paar fair gehandelte Bananen und andere Produkte kurzem sind die Zuwachsraten ins Stocken geraten. Dies dürfte anbietet, an seiner Einkaufspolitik aber sonst nichts ändert.“ Und auch mit den zunehmenden Berichten über schlechte Arbeitsbedin- auch an seiner Kommunikationsstrategie scheint Lidl nichts ändern gungen, den für Produzenten ruinösen Preiskampf und umweltschä- zu wollen. Die vereinbarte Entgegennahme von 12.000 Protest- digende Produktionsmethoden der Zulieferer zusammenhängen. postkarten am Rande des „Unternehmertags Lebensmittel“ am 14. Doch jetzt bietet ausgerechnet eine Fairhandelsorganisation ein März in Köln ließ Lidl-Kommanditist Richard Lohmiller ohne Anga- Feigenblatt für den Billigdiscounter Lidl. be von Gründen platzen. Sozialdumping, Preisdumping, Umweltdumping – Lidl steht seit Ein paar Tage zuvor hatte die Siegelorganisation TransFair ange- einiger Zeit unter besonderer Beobachtung. Die Gewerkschaft kündigt, bei der Entwicklung einer eigenen Lidl-Fairtrade-Marke mit Verdi hat schon vor zwei Jahren eine Kampagne gestartet, um dem Discounter zusammenzuarbeiten. Mit 2.600 Geschäften böte gegen die schlechten Arbeitsbedingungen bei Lidl vorzugehen. Lidl einen großen Markt für die Produzenten des fairen Handels. Es Im „Schwarzbuch Lidl“ hat Verdi zahlreiche Beispiele dokumen- könne „ein nennenswerter Beitrag geleistet werden, die Lebens- und tiert, wie Lidl die Rechte der mehrheitlich weiblichen Angestellten Arbeitsbedingungen der Kleinbauern- und Arbeiterfamilien zu ver- verletzt und gegen jeden Versuch vorgeht, in den Filialen einen bessern“, so TransFair in einem Schreiben an seine Mitglieder. Betriebsrat zu gründen. Zur vielfältigen Kritik an Lidl äußert sich TransFair in dem Schrei- Auch das globalisierungskritische Netzwerk Attac, die Arbeits- ben jedoch nicht. Schade. Sich für die Einhaltung von Arbeits- und gemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (AbL), die Fair-Handelsor- Sozialstandards im Süden einzusetzen, aber darüber hinwegse- ganisation BanaFair oder die entwicklungspolitische Organisation hen, wenn sie im Norden verletzt werden – das kann nicht die Idee Weed tadeln das Geschäftsgebaren des Konzerns aus Neckars- des fairen Handels sein. Zudem ist kaum vorstellbar, dass Lidl ein ulm. Kritikpunkte sind unter anderem die ruinöse Preispolitik für wirkliches Interesse für die Belange von Kleinbauern und Koopera- Milchbauern, die fehlende Transparenz bei der Herkunft der Wa- tiven im Süden entwickelt hat. So ein Siegel mit TransFair-Segen ist ren oder die schlechten Löhne und Arbeitsbedingungen bei den jedenfalls gut fürs Image. Für Verdi und all die anderen Organisa- weltweiten Zulieferern, aber auch bei Lidl selbst. tionen, die sich für substanzielle Veränderungen bei Lidl einsetzen, Immerhin: Der sonst so verschwiegene Konzern kündigte nach wird die Arbeit damit aber eher schwerer. einem Treffen mit AbL, BanaFair und Weed an, die Aufnahme Michael Krämer

4 INKOTA-Brief INKOTA-Brief 135 135 •• März März 2006 2006 FUSSBALL GLOBAL

Gerald Hödl Die zweite Globalisierung des Fußballs Der weltweite Siegeszug des Fußballsports – und des Fußballbusiness

Die Bedeutung des Sports in der Mediengesellschaft wächst und Fußball auf Kosten anderer Akteure stärken. Mit spielt dabei die zentrale Rolle. Fußballer sind die Popstars von heute dem Fußball-Business verhält es sich nicht – und das nahezu weltweit. Dass der Sport nicht mehr nur Begeisterung anders. weckt, sondern zu einem milliardenschweren globalen Buisness gewor- Das Gerede von der Globalisierung zeichnet sich überdies in der Regel durch den ist, hängt mit der Umstrukturierung des europäischen Fußballs seit eine erstaunliche Geschichtsvergessenheit den 1990er Jahren zusammen: Die großen Fußballvereine entwickelten aus. So erscheinen dann Phänomene als sich zu international operierenden Unternehmen. Junge Talente aus neu, die es in Wahrheit nicht oder nur sehr Afrika und Lateinamerika werden von ihnen in großer Zahl rekrutiert, begrenzt sind. Und sie erlangen eine histo- gleichzeitig gewinnen andere Kontinente als Absatzmärkte massiv an rische Unschuld, die sie nicht haben. Bedeutung. So führt die Kommerzialisierung zu einer zweiten Globalisie- rung des Fußballs. Die erste Globalisierung: Anglophilie und Kolonialismus Noch bevor das erste WM-Tor gefallen konstatierte, „dass der globale Siegeszug Im Fall des Fußballs reicht die Geschichte ist, werden Sportreporter bald wieder von dieses Sports eine durchweg positive Form seiner Globalisierung weit ins 19. Jahrhun- den Milliarden Menschen schwärmen, die der Globalisierung darstellt, der Menschen dert zurück und sie ist eng verknüpft mit in mehr als zweihundert Ländern vor Hun- auf der ganzen Welt in Begeisterung ver- Kolonialismus und Imperialismus. Gemein- derten Millionen Fernsehgeräten sitzen, um setzt.“ sam mit den Armeen und Handelsgesell- 32 Fußballmannschaften die Daumen zu Wie meist, wenn von „Globalisierung“ schaften traten die kulturellen Praktiken der drücken. Die Weltmeisterschaft, so pflegen die Rede ist, gerät ein zentraler Aspekt Europäer, insbesondere der Briten, ihren JournalistInnen, PolitikerInnen, Intellektuelle aus dem Blick: Bei jenen Prozessen, die Siegeszug um die Welt an, darunter der zu versichern, führe Sportler (und ihre Fans) so gerne mit dem G-Wort belegt werden, Fußballsport. Bereits Mitte des 19. Jahrhun- aus allen Kontinenten zusammen. „Der Fun- handelt es sich nicht um eine amorphe, un- derts fanden die ersten historisch belegten ke der Begeisterung und der Völkerverstän- gerichtete räumliche Entgrenzung, sondern Matches in Asien und Afrika statt (1854 in digung“, ist Angela Merkel überzeugt, wer- um konkrete Strategien machtvoller Akteure, Indien, 1863 in Südafrika). de „von Deutschland auf die ganze Welt mit denen sie unter den Bedingungen des Zunächst ein Spiel europäischer Kauf- überspringen“. Die frühere grüne Staatsmi- real existierenden Kapitalismus ihre Hand- männer, Seeleute und Siedler, wurde der nisterin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, lungsspielräume erweitern und ihre Position Fußball bald zu einem Erziehungsinstrument

Fußball und Kommerz gehen Hand in Hand: Das „ManUNike“-Stadion in Manchester Foto: Manchester United

INKOTA-Brief 135 • März 2006 5 FUSSBALL GLOBAL gegenüber der indigenen Bevölkerung. Vor unverrückt. Bis Ende der 1980er Jahre durf- der europäischen Fußball-Arbeitsmärkte. allem in Missionsschulen sollte den koloni- ten in den meisten europäischen Profiligen Dahinter steckten tiefgreifende Verände- alen Subjekten auf diese Weise ein Sinn nicht mehr als ein bis drei ausländische rungen, die aus traditionellen Fußballver- für Regeln, Hierarchien und Kameradschaft Spieler pro Klub ihrer Arbeit nachgehen. einen profitorientierte Fußballunternehmen eingeimpft werden. Doch auch in umgekehrter Richtung er- werden ließen. An ihre Spitze trat eine neue Die tendenziell kosmopolitisch-anglophi- richtete man Barrieren: Viele Staaten der Generation von Managern, die, wie der bri- le Fußballszenerie der frühen Jahre (noch Peripherie achteten darauf, dass sich der tische Publizist Martin Jacques schreibt, die heute erinnern Klubnamen von „Young Boys „muscle drain“ in engen Grenzen hielt. Ein Sprache der Börsenmakler beherrschen, die Bern“ bis „River Plate“ an diese Pionierzeit) Transfer jugoslawischer Spieler ins Ausland Klubs als Marken betrachten, die Spieler als zerbrach im Vorfeld des Ersten Weltkriegs war bis 1989 erst ab einem Alter von 28 Vermögenswerte, die Fans als Konsumenten in separate Sport-Räume. Speziell in den Jahren möglich, polnische Spieler mussten und das Ausland als potenziellen Markt. europäischen Staaten setzte eine Nationali- zumindest 30 Jahre alt sein. Eine generelle Der Fußballsport avancierte in den 1990er sierung des Fußballs ein, deren wichtigstes „Ausfuhrsperre“ gab es für Spieler aus Jahren zu einem der Kristallisationspunkte Symbol und Identifikationsobjekt die jewei- der DDR, aus Albanien (bis 1990), aber der Unterhaltungs- und Freizeitindustrie, die ligen Nationalmannschaften wurden – eine zeitweise auch aus Argentinien. Der ökono- im Unterschied zu den meisten klassischen Entwicklung, die sich nach 1945 ungebro- mische Kollaps dieser Länder führte zu einer Wirtschaftssektoren eine Boomphase er- chen fortsetzte: Bern 1954 und Cordoba umfassenden Öffnung ihrer Märkte, so auch lebte, und erschien somit Investoren beson- 1978 wurden in Deutschland und Öster- jenes für die Ware fußballerische Arbeits- ders attraktiv. Die enormen Geldsummen, reich zu einem festen Bestandteil des kollek- kraft. Ihren Bankrott konnten und können die seit den späten 1980er Jahren in den tiven Gedächtnisses. Der nationalstaatliche viele Klubs aus Lateinamerika, Afrika und (vor allem westeuropäischen) Fußballsport Rahmen blieb bis in die 1980er Jahre nicht Osteuropa nur dadurch abwenden, dass sie flossen, können wohl nur vor diesem Hinter- nur für Politik und Wirtschaft maßgebend, regelmäßig ihre talentiertesten Kicker nach grund begriffen werden. Über Sponsoren- sondern auch für den Fußball. Westeuropa sowie in den Nahen und Fer- verträge, den Verkauf von Aktienanteilen, Besonders eindrucksvoll lässt sich dies nen Osten transferieren. Roter Stern Belgrad den weltweiten Vertrieb von Fan-Artikeln, anhand der Reglementierungen des Ar- beispielsweise verkaufte zwischen 1993 hoch dotierte TV-Verträge und das traditio- beitsmarktes zeigen, mit denen die interna- und 1996 50 Spieler, also mehr als eine nelle Geschäft mit den Eintrittskarten erzie- tionale Migration von Fußballern gesteuert Fußballmannschaft pro Jahr. len die internationalen Großklubs Umsätze, wurde. Noch in der Zwischenkriegszeit die bis zu 275 Millionen Euro im Jahr aus- konnten Spieler relativ problemlos zu aus- machen wie bei Real Madrid in der Saison ländischen Vereinen wechseln. Die Schran- Klubs werden zu Fußball- 2004/2005. Der ökonomisch potenteste ken, die unmittelbar vor und während des konzernen deutsche Klub, Bayern München, nahm im Zweiten Weltkriegs heruntergingen, blieben Dass diese Spieler einen Abnehmer fanden, gleichen Zeitraum knapp 190 Millionen dann für mehrere Jahrzehnte weitgehend lag an der gleichzeitigen Deregulierung Euro ein.

Garantiert ohne Werbung und Kommerz, dafür Spiel und Begeisterung pur – Colcohuitz, im Hochland von Guatemala Foto: Michael Krämer

6 INKOTA-Brief 135 • März 2006 FUSSBALL GLOBAL

Diese westeuropäischen Fußballkonzerne „Feyenoord Fetteh Football Academy“ und ben, stammen aus asiatischen Weltmarkt- stehen im Zentrum eines transnationalen Ge- hat damit direkten Zugriff auf afrikanische fabriken. flechts, das große Teile der Welt einbezieht, Talente. So ergibt sich das Bild eines Netzwerks, wenn auch in unterschiedlichen Funktionen. Aus Afrika werden meist sehr junge Spie- in welches das europäische Fußballbusi- Dabei geht es nur zu einem geringeren Teil ler importiert, von denen nur eine kleine ness die verschiedenen Weltregionen unter- darum, den Sport in jene Winkel der Erde Minderheit den Weg in den gut bezahlten schiedlich einbindet: Dienen Lateinamerika zu tragen, die sich bislang als einigerma- Profi-Fußball findet. Der große Rest wird und Afrika vornehmlich als Arbeitskräfte- ßen fußballresistent erwiesen, insbesondere beziehungsweise bleibt Teil der deklassier- reservoir und Südasien als Zone der Wa- Südasien und Nordamerika. Vielmehr be- ten Arbeitsmigranten in den ökonomischen renproduktion, so sind Nordamerika und müht sich die Fußballindustrie, die im 19. Zentren Europas und Asiens. Vor nicht allzu Japan vornehmlich als Absatzmärkte von Jahrhundert erfolgte Globalisierung des langer Zeit tauchten in italienischen Medi- Bedeutung. Ost- und SüdostasiatInnen fun- Sports auf eine neue Stufe zu heben, ihr en Berichte auf, wonach mehrere tausend gieren als WarenproduzentInnen und Fuß- eine neue, ökonomischen Interessen unter- junge Afrikaner als Fußballer ins Land ge- ballkonsumentInnen gleichermaßen. Aus worfene Qualität zu verleihen. Nicht mehr bracht worden waren, aber schließlich als dem weltweiten Verkauf von Merchandising- – wie einst in den Missionsschulen – um illegalisierte Billigstarbeitskräfte endeten. Produkten, insbesondere der in den Klubfar- die Einübung kultureller Praktiken geht es, Eine weitere Drehscheibe dieser Form des ben gehaltenen Trikots, und Fernsehrechten sondern um deren Inwertsetzung. Menschenhandels befindet sich in Belgien: beziehen Großklubs wie Manchester Uni- Etwa 250 bis 500 Afrikaner, so die Schät- ted, Real Madrid und FC Barcelona einen zung des belgischen Abgeordneten De De- immer größeren Teil ihrer Einnahmen. Internationaler Handel mit cker, kommen jedes Jahr auf dem Flughafen Auf dem nordamerikanischen Markt, Talenten Brüssel an, mit dem Versprechen einer Fuß- insbesondere bei den „Hispanics“, versucht Ein zentraler Sektor ist dabei die Rekrutie- ballerkarriere nach Europa gelockt. der FC Barcelona zu reüssieren und ging rung von Arbeitskräften. Hoch talentierte Die individuellen Erfolgsgeschichten je- zu diesem Zweck 2001 eine strategische Spieler sind rar und erzielen dementspre- ner nicht allzu zahlreichen lateinameri- Partnerschaft mit der „National Football chend hohe Marktpreise. Die Klubs bemüh- kanischen, afrikanischen und osteuropä- League“ ein. Real Madrid wiederum konnte en sich daher mit allen Mitteln, aus einem ischen Fußballer, die zu Spitzenverdienern dank der Popularität David Beckhams seine möglichst großen Pool potenzieller Arbeits- aufsteigen, verdecken den Umstand, dass Position in Asien massiv ausbauen und kräfte die qualifiziertesten zu möglichst die Hauptprofiteure des globalen Spieler- den Verkauf seiner Merchandising-Artikel niedrigen Kosten anzuwerben. Einschrän- handels in Mittel- und Westeuropa sitzen. vervielfachen. Selbst ein nicht zu den ganz kungen – vor allem restriktive Ausländer- Zunächst sind dies die Vereine und ihre Großen zählender Klub wie der Hamburger quoten – widersprechen dem Geschäftsin- Funktionäre: Sie können auf ein großes SV versucht, in Ostasien Fuß zu fassen. Mit teresse, und sie erweisen sich als geradezu Reservoir guter bis exzellenter Spieler zu- der Verpflichtung des japanischen Natio- geschäftsschädigend, wenn die spanische, rückgreifen, die zumindest in den ersten nalspielers Naohiro Takahara sollten sich, italienische oder englische Konkurrenz ih- Jahren ihrer Profikarriere deutlich weni- so der HSV-Sportdirektor Beiersdorf, die nen nicht oder nur in geringerem Maße ger kosten als gleichwertige einheimische „Türen zu einem großen und spätestens seit unterworfen ist. In den 1990er Jahren kam Spieler. Die Inhaber der Transferrechte der WM in Japan und Südkorea fußball- es daher in Europa zur Deregulierung der können im Falle eines Weiterverkaufs eines verrückten Markt öffnen“. Dass kurz darauf Fußball-Arbeitsmärkte. Seither tummeln sich Spielers oft ein Vielfaches jener Summe er- das japanische Elektronikunternehmen Ca- Legionen von Scouts und Spielervermittlern lösen, die sie selbst an dessen Stammverein sio als Sponsor gewonnen werden konnte, in Afrika und Lateinamerika, um den neuen oder seine Ausbildungsstätte bezahlten. fügt sich ebenso ins Bild wie der Umstand, Pele, den neuen Yeboah unter Vertrag zu Die zweite große und in den letzten Jahren dass es von der HSV-Homepage auch eine nehmen. stark wachsende Gruppe, die von der inter- japanische Version gibt. Parallel dazu hat sich in diesen Re- kontinentalen Fußballermigration profitiert, Indem die Marktführer der Fußball-Bran- gionen eine umfangreiche Infrastruktur sind die Spieleragenten. Bis zu 50 Prozent che die nationalen Grenzen zunehmend herausgebildet, die oft außerhalb der dort des Gehalts ihres Klienten sowie einen Teil hinter sich lassen, werden viele jener Emo- bestehenden Vereine Fußballer für den der Transfersummen beanspruchen sie als tionen prekär, die in den Stadien nach Bedarf der europäischen Fußball-Ökono- Honorar für sich. Zum überwiegenden Teil wie vor blühen und gedeihen. Nationaler mien (aber auch jener des Nahen Ostens stammen die von der FIFA offiziell lizensier- Chauvinismus wird kontraproduktiv, wenn und Ostasiens) produziert. Diesem Zweck ten Spieleragenten aus Europa. Ähnlich wie wichtige Absatzmärkte im Ausland liegen. dienen so genannte Fußball-Akademien. in anderen Sektoren der Weltwirtschaft wird Rassismus wird zum Ärgernis, wenn er die Allein in einem Land wie Mali gibt es etwa also der billige Rohstoff aus dem Süden mit eigenen Arbeitskräfte ebenso vor den Kopf 20 von ihnen. Die Kalkulation der Betrei- Hilfe europäischer Zwischenhändler in die stößt wie potenzielle Kundschaft. Die Profit- ber geht davon aus, dass die niedrigen Metropolen gebracht und dort mit Profit logik führt zumindest innerhalb der Groß- Investitionskosten (für eine sechsjährige „weiterverarbeitet“. klubs zu einer kosmopolitischen Grundhal- Ausbildung veranschlagt man laut „African tung und zu transnationalen Aktivitäten, Soccer Magazine“ etwa 5.000 US-Dollar die in ihrer Intensität und Reichweite neu pro Spieler) eine hohe Rendite abwerfen, Weltweite Vermarktung sind. Dies ist die zweite Globalisierung des sobald ein bis zwei Absolventen pro Jahr- Ein ähnliches Muster zeigt sich bei einer Fußballs. Zum Verschnaufen gibt es für jene, gang auf dem Weltmarkt verkauft werden anderen Warenkette, die direkt mit dem die das nationale Wir-Gefühl nicht missen können. Die renommiertesten dieser Fuß- Fußball verbunden ist: Ein großer Teil der mögen, zwischendurch das alte Rührstück ballschulen sind in Kooperation mit euro- Sportausrüstung – von den Schuhen über mit Fahne, Hymne, Bundestrainer. päischen Klubs entstanden und werden die Trikots bis hin zu den Bällen –, aber Gerald Hödl ist Historiker und unterrichtet an der in der Regel von diesen finanziert. So be- auch viele jener Waren, die Fußballklubs Universität Wien im Studienbereich Internationale treibt Feyenoord Rotterdam in Ghana die in großem Maßstab als Fan-Artikel vertrei- Entwicklung.

INKOTA-Brief 135 • März 2006 7 FUSSBALL GLOBAL

Michael Fanizadeh Affenlaute und Aktionswochen Rassismus und Antirassismus im europäischen Fußball

Rassistische Beleidigungen und Übergriffe gehören zum Alltag im euro- in der spanischen Primera División. Auch päischen Fußball – sowohl in den viel beachteten ersten Ligen als auch die AnhängerInnen der spanischen Natio- im Amateur- und Hobbysport. Schwarze Spieler werden beschimpft und nalmannschaft fielen bei einem Länderspiel mit Tierlauten verunglimpft. Oft mischt sich dies mit offen faschisti- gegen England im Herbst 2004 negativ auf, als schwarze Nationalspieler der Briten per- schen Sprechchören und Transparenten. Seit 1999 macht das Netzwerk manent rassistisch beschimpft wurden. Nach „Fußball gegen Rassismus in Europa“ (FARE) dagegen mobil. Mittler- dem Schlusspfiff beschwerte sich der eng- weile ignorieren auch die Fußballverbände das Thema nicht mehr und lische Mittelfeldspieler Jermaine Jenas: „Das verhängen Strafen und Spielsperren. waren die schlimmsten Beleidigungen, die ich je gehört habe.“ Als besonders schwer- „Rassismus ist das größte Problem im heu- Brennpunkt Südeuropa wiegend müssen die Äußerungen von Spani- tigen Fußball“, so der Präsident des FC ens Teamchef Luis Aragones im Vorfeld des Barcelona Joan Laporta anlässlich der von Die Übergriffe auf Marc Zoro sind kein Ein- Spieles bewertet werden: Während einer der vom europäischen Fußballverband UE- zelfall im italienischen Fußball. Woche für Trainingseinheit der Spanier bezeichnete er FA und dem Netzwerk „FARE – Football Woche kommt es dort zu Manifestationen vor laufender Kamera Arsenals Stürmerstar Against Racism in Europe“ im Februar rechtsextremer „Ultrà“-Gruppierungen, und Thierry Henry als „Scheißneger“. 2006 in Barcelona organisierten Konfe- manchmal bekommen diese Fans auch Un- Deutschland keine Insel renz „Unite Against Racism“. Die Über- terstützung von Spielerseite: Der Wiederho- der Seeligen griffe reichen von diskriminierenden Ver- lungstäter Paulo Di Canio von Lazio Rom ist haltensweisen gegenüber ausländischen, im Januar 2006 zu einem Spiel Sperre und Als im Herbst 2005 die breite Medien- oftmals schwarzen Spielern im Stadion einer Geldstrafe in Höhe von 10.000 Euro öffentlichkeit sowie die zuständigen Institu- – so genannten „monkey chants“ –, rassisti- verurteilt worden. Di Canio hatte in der Par- tionen über Ausschreitungen im Umfeld des schen und faschistischen Transparenten und tie der Serie A gegen Livorno Calcio im De- Länderspiels Slowakei-Deutschland am 3. Sprechchören bis hin zu mannigfaltigen zember 2005 erneut mit ausgestrecktem Arm September 2005 berichteten, beschränkten Attacken und Diskriminierungen im Ama- vor seinen Lazio-Fans salutiert. Der schwarze sich die Meldungen zumeist auf gewalttä- teur- und Hobbysport. Mittelfeldstratege Clarence Seedorf vom AC tige Handlungen deutscher Hooligans und Ein prominentes Beispiel aus jüngster Zeit: Der Messina-Verteidiger Marc Zoro von der Elfenbeinküste wurde im itali- enischen Serie-A-Heimspiel gegen Inter Mailand im November 2005 von den Inter- Tifosi so massiv rassistisch beleidigt, dass er damit drohte, nicht mehr weiterzuspie- len. Die Lage spitze sich in der 66. Minute zu, als Zoro sich den Ball in der Nähe des Inter-Fanblocks holen wollte. Dort wurde er mit Affenlauten „begrüßt“. Für den 21- Jährigen war das zu viel, er nahm den Ball in die Hand, verließ den Platz und bat, das Spiel zu unterbrechen. Darauf- hin versuchten die schwarzen Inter-Stür- mer Leite Adriano und Obafemi Martins den weinenden Zoro zum Weiterspielen zu überreden. Beide sind ebenfalls Op- fer ähnlicher Beschimpfungen geworden, vertreten jedoch die Meinung, dass das Verlassen des Spielfeldes einem Sieg der In vielen italienischen Stadien Alltag: Fans mit faschistischem Gruß Foto: Kurt Wachter/FairPlay RassistInnen gleichkäme. Die Inter-Spieler forderten ihre Anhänger dazu auf, mit den Mailand bestätigt die Problematik: „Die Be- die überzogenen Reaktionen der slowa- beleidigenden Aktionen aufzuhören. Kurze leidigungen kommen nicht allein von den Tri- kischen Polizei. Dass es in der Slowakei Zeit später betrat Zoro mit der Unterstüt- bünen, sondern auch von anderen Spielern, auch zu rassistischen Übergriffen deutscher zung seiner Mannschaftskollegen sowie das können sie mir glauben.“ Fans kam, wurde öffentlich kaum debattiert. der Messina-Fans wieder das Spielfeld. Auch Spaniens Fußball kam in den letz- Dabei haben die rassistischen und rechts- „Dieses beschämende Verhalten kennt man ten Jahren immer mehr in Verruf. Hinter- extremen Schmährufe und Gebärden von ja“, so Zoro später, „für mich ist es aber in- grund waren die wiederholten Übergriffe rund 400 mitgereisten deutschen Fans im akzeptabel, im eigenen Stadion beleidigt auf den Stürmer des FC Barcelona Samuel Slovan-Stadion von Bratislava durchaus an zu werden.“ Eto’o sowie auf andere schwarze Spieler die heftigen rassistischen Ereignisse im Um-

8 INKOTA-Brief 135 • März 2006 FUSSBALL GLOBAL feld der Länderspiele Niederlande-Deutsch- Ligen und im Jugendbereich ist das Problem weitere Kampagnen und Aktivitäten auszu- land (Rotterdam, 1996), Polen-Deutschland virulent. Erst unlängst bildeten Anhänger machen. Heute sind mehr als 100 Gruppen (Zabrze, 1996) oder Jugoslawien-Deutsch- von Lokomotive Leipzig beim A-Jugend- in 35 Ländern bei FARE aktiv. land (WM-Spiel im französischen Lens, Spiel gegen Chemie Leipzig ein Haken- FARE ist vielfältig und dezentral aktiv. 1998) erinnert. kreuz nach. Ein weiteres Beispiel ist der So organisiert das italienische Fanprojekt Der Tagesspiegel berichtet am 5. Septem- FC St. Pauli: Durch das antifaschistische „Progetto Ultrà“ jährlich die „Mondiali Anti- ber 2005: „Viele kamen aus Leipzig, Halle Image seiner Fanszene geraten die Spiele razzisti“, die sich im Juli 2006 zum zehnten und Dresden und fielen schon während des des FC St. Pauli seit 1987 zur Zielscheibe Mal jährt. Bei der Mondiali kommen Mig- Spiels durch Nazi-Sprüche auf.“ Auch von neonazistischer Aktionen. Bei Spielen des rantInnen- und Fanclubmannschaften aus „rassistischen Schmähungen des eigenen Hamburger Klubs wird beobachtet, dass vielen europäischen Ländern nach Italien, Spielers Patrick Owomoyela“ ist die Rede. zusätzlich zum Stammpublikum der gegne- um gemeinsam ein Fest zu feiern und Fuß- Fast genau zum 66. Jahrestag des deut- rischen Vereine auch Neonazis und rechte ball zu spielen sowie sich bei Ausstellungen schen Überfalls auf Polen sangen deutsche Hooligans mobilisieren und auftauchen. und Diskussionen über Rassismus und Anti- Fans vor, während und nach dem Spiel rassismus im Fußball auszutauschen. Im ver- „Ruhm und Ehre der Waffen SS“, „Wir sind gangenen Jahr haben 160 Teams und mehr wieder einmarschiert“ und „SS SA Germa- FARE – Football Against als 6.000 BesucherInnen teilgenommen. nia“ oder „Wenn bei Danzig die Polenflotte Racism in Europe Eine weitere Methode ist die europawei- im Meer versinkt“. Schon vor dem Spiel Einer derjenigen, die sich aktiv gegen Ras- te Aktionswoche gegen Rassismus und Dis- wurde in einer stadionnahen Gaststätte die sismus im Fußball engagieren, ist der ehe- kriminierung von FARE. Die Aktionswoche erste Strophe der Nationalhymne intoniert, malige Celtic Glasgow-Spieler Paul Elliott: bietet Fanclubs, Vereinen und MigrantInnen- Gruppengesänge wie „Deutschland den „Ich habe zu meiner aktiven Zeit gesehen, organisationen die Möglichkeit, gegen Ras- Deutschen, Ausländer raus“ und „Olé, Olé, wie Spieler mit Bananen beworfen wurden sismus und Diskriminierung aufzutreten und Deutsches Reich statt BRD“ waren keine und mit Affenlauten verspottet worden sind. eigene Ideen für Aktivitäten zu entwickeln. Seltenheit. Wir haben seitdem enorme Fortschritte im Die Bandbreite reicht dabei von einfachen Bereits im März 2005 wurden beim Län- Kampf gegen Rassismus erzielt, doch es Flugblättern oder Transparenten bis hin zu derspiel der deutschen Elf gegen Slowenien liegt auch noch eine Menge Arbeit vor uns. eigens kreierten Choreographien, Fanzines rassistische Gesänge deutscher Besucher Es muss nicht nur eine Null-Toleranz-Politik und T-Shirts sowie der Organisation von registriert. Nachdem es schon vor dem gegenüber Rassisten und Rassistinnen ge- Turnieren, Diskussionsveranstaltungen oder Freundschaftsspiel in der Innenstadt von ben, sondern auch eine kollektive Verant- Filmabenden. Im Oktober 2005 fand die Celje zu Schlägereien zwischen deutschen wortung unter jenen, die im Fußballgeschäft FARE Aktionswoche bereits zum sechsten Fangruppen und der Polizei gekommen involviert sind.“ Mal statt. Dabei haben AktivistInnen, Fans, war, fielen deutsche Anhänger auch zu Be- Elliott unterstützt wie viele weitere (Ex-) Vereine, Verbände, Minderheitengruppie- ginn und während des Spiels äußerst nega- Spieler seit Jahren die Aktivitäten des FARE- rungen und Jugendgruppen aus 35 euro- tiv auf. Auch die eigenen deutschen Spieler Netzwerks. FARE wurde 1999 in Wien auf päischen Ländern rund 1.000 Aktionen Gerald Asamoah, Patrick Owomoyela und Initiative der „FairPlay-Kampagne“ am Wie- durchgeführt. Oliver Neuville waren Opfer rassistischer ner Institut für Entwicklungsfragen und Zu- Schmährufe. sammenarbeit von Fanclubs, Faninitiativen Michael Fanizadeh ist Politologe und arbeitet am Wiener Institut für Entwicklungsfragen und Zusammen- Doch nicht nur die AnhängerInnen der und antirassistischen Organisationen aus arbeit (VIDC). Dort ist er mit der Organisierung des an- deutschen Fußballnationalmannschaft fallen ganz Europa gegründet, um Erfahrungen tirassistischen Sportprojekts „FairPlay. Viele Farben. Ein Spiel“ (www.fairplay.or.at) sowie mit der Koordinierung immer wieder durch Rassismus und Rechts- auszutauschen, Probleme und Strategien zu des europäischen Netzwerkes „Football Against Racism extremismus auf. Gerade in den unteren diskutieren sowie relevante Zielgruppen für in Europe – FARE“ (www.farenet.org) betraut.

„Ich bin in den Fußball vernarrt“ Ein Gespräch mit Eduardo Galeano über Fußball und Politik, Maradona und die Arroganz der Intellektuellen

Der Fußball habe seine Fähigkeit zur Phantasie und Freude eingebüßt, anderen sozialen Wohltaten hatte er den klagt der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano. Die Regeln des genialen Einfall, die öffentliche, laizistische und kostenlose Erziehung durchzusetzen. Marktes dominierten, die Spieler würden ausgepresst. Und wer aus der Der Aufstieg des Fußballs – ansonsten in Reihe fällt und sich politisch engagiert, erfahre massive Kritik. Allerdings einem so kleinen Land eher unerklärlich nicht nur von rechts, wie der argentinische Ex-Star Maradona lernen mus- – hat wohl mit der Energie, die der Staat in ste. Denn viele Linke fühlen sich den Fußballspielern kulturell überlegen. der Erziehung freisetzte, zu tun. Denn die Erziehung umfasste nicht nur Mathematik 1930 wurde Uruguay erster Fußball- Das war auch dank eines Präsidenten oder Grammatik, sondern auch Sport. Es Weltmeister. Wie lässt sich der dama- Battle y Ordoñez möglich. Dieser verfolgte gab eine integrale Auffassung von Bildung, lige Aufstieg des kleinen Uruguays zur bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine die später verloren ging. Uruguay war ein Fußball-Großmacht erklären? sehr progressive Politik in Uruguay. Neben Land voller Sportplätze.

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Nach 1930 änderten sich viele Dinge, Solche Äußerungen basieren auf Vorur- rung verletzt hat, der ein unheilvolles Leben sowohl in Uruguay als auch in der ganzen teilen von Intellektuellen, von kultivierten geführt hat – mit aufeinander folgenden Ka- Welt. Uruguay verlor diese schöpferische Menschen, von Erleuchteten, die meinen, tastrophen. Die Menschen erkennen sich in Energie. Auch in der Welt des Fußballs gab sie hätten ein göttliches Recht, Einfluss über ihm wieder. Und sie verehren ihn deshalb. es Veränderungen. Der Fußball war noch andere Menschen auszuüben. Und das schmerzt die Mächtigen, denn weit von der derzeitigen Show-Industrie, Es gibt eine öffentlich oder weniger auch Maradona ist ein Mächtiger, aber er der wohl wichtigsten und lukrativsten heute öffentlich geäußerte Geringschätzung für steht auf der anderen Seite. Seine Macht auf dem Planeten, entfernt. Es ist nicht nur Fußballspieler. Ein Vorurteil, das selbst be- fußt auf der Verehrung durch die Bevöl- ein glänzendes Geschäft, das Milliarden kannteren Persönlichkeiten unter den Fans kerung. Diese stellt er in den Dienst einer von US-Dollar bewegt, sondern es ist auch nicht fremd ist: Sie lieben den Fußball, Sache, die der anderen Macht nicht ihm eine der größten Quellen für gesellschaft- schätzen aber die Spieler gering, weil sie geringsten behagt – einer Macht, die auf liches und politisches Prestige. sich ihnen kulturell überlegen fühlen. Das Geld und Waffen beruht. In Lateinamerika ist es schwierig, einen gilt sowohl für die Linke, Rechte und Mitte. Präsidenten oder bedeutenden politischen Die Linke verdächtigte stets das Fuß- Kommen da nicht auch Klassen- und Führer auszumachen, der nicht in den Vor- ballspiel als eine Falle: Sie verhindere, Rassenvorurteile hoch, die mancher standsetagen irgendeines Fußballclubs ge- dass die Arbeiterklasse sich ihrer Rechte überwunden glaubte? sessen hat. Fast alle sind Präsidenten eines bewusst werde. Oder anders ausgedrückt: Das Stigma einer bescheidenen sozialen Fußballclubs gewesen, bevor sie Staatsober- Fußball ist eine teuflische Erfindung der Herkunft oder einer mehr oder weniger häupter wurden. Im guten wie im schlechten herrschenden Klasse, damit das Volk nicht dunklen Haut wird aktiviert, wenn diese Sinne: Als eine der ersten Maßnahmen zu denken beginnt. Aus der rechten Sicht Menschen – arm, schwarz, indigen – Dinge zwang Pinochet, als er sich zur absoluten war Fußball immer der Beweis dafür, dass sagen, die den Mächtigen unbequem sind. Macht geputscht hatte, den Club Colo Colo, das Volk mit den Beinen denkt. Wenn sie der Macht jedoch zujubeln, sie ihn zum Ehrenpräsidenten zu ernennen. also ein „yes man“ oder eine „yes woman“ sind, dann ist es kein Problem, Schwarzer, Fußball ist auch ein Spiegel gesellschaft- Mulatte, Indianer, Armer, Ärmster oder Ko- licher Entwicklungen. Wachsende Ar- kabauer zu sein. mut und Ungleichheit zeigen sich so- Als Maradona vor Jahren Erklärungen wohl auf nationaler als auch auf inter- zugunsten des argentinischen Präsidenten nationaler Ebene... Carlos Menem abgab – und das hat er auch Der Fußball ist Teil einer Realität, die getan! –, hat das keinen gekümmert. Da war weit über den Fußball hinausreicht. Und keiner, der meinte, ein Fußballer dürfe sich er ist wichtig als Spiegel globaler Realität. nicht in die Politik einmischen. Ein Fußballer Anders ausgedrückt: Um die Welt zu verste- darf keine Politik betreiben, wenn diese der hen, ist es sicherlich nicht schlecht, sich in Politik der Herren der Welt widerspricht. die Fußballwelt zu vertiefen, um zu verste- hen, wie die Welt funktioniert. Maradona als Fußballer – das ist Erin- Die armen Länder, vor allem alle latein- nerung. Erinnerung auch an schönen, amerikanischen Länder, exportieren Ar- Eduardo Galeano: „Fußball ist Kunst“ eleganten Fußball. Wenn man dich hört Foto: Robert Yabeck beitskräfte, auch diejenigen, die mit ihren und deine Bücher liest, könnte mancher Beinen und Füßen ihr Brot verdienen. Sie Die Verachtung für diesen Massensport auf die Idee kommen, dass Fußball exportieren Ballarbeiter. dauert an und zeigt sich manchmal auf sehr früher mehr Spaß machte und vieles niederträchtige Weise: Als Maradona seine besser war. Und dass der Fußball heute Es gibt soziale Bewegungen, Parteien Meinung über die Freihandelszone ALCA immer neoliberaler wird. und Regierungen in Lateinamerika, die und die Politik von George Bush äußerte, Ich predige keineswegs Nostalgie oder diesen Aderlass nicht mehr hinnehmen rief das den Zorn vieler hervor. Darunter seufze vor mich hin: Alles Vergangene war wollen. Ein Beispiel ist Evo Morales, der waren auch hochgestellte Figuren der inter- besser. Ich bin zudem viel zu sehr Fußball- in Bolivien zum Präsidenten gewählt nationalen Politik, wie der Präsident Mexi- süchtiger; ich bin in den Fußball vernarrt. wurde. Er lud neben Südafrikas Nelson kos. Der sagte: „Dieser Mann versteht viel Aber das hindert mich nicht, die Realität Mandela, Zapatisten auch dich und Ma- von Fußtritten, aber nichts von Politik.“ Also eines Fußballs zu sehen, der sehr merkantil radona ein. Maradonas Einladung ist Schuster bleib bei deinem Leisten. Oder geworden ist und ein Geschäft ist, das ihn sicherlich eine Überraschung, die nicht Fußballer bleib beim runden Leder, aber verarmt hat. Verarmt in seiner Fähigkeit zur überall gut ankommt. Wie schon vorher wage dich nicht weiter vor. Phantasie und Freude. Der Fußball ist immer sein Auftritt im argentinischen Mar Das waren die Worte gegen einen Ein- weniger ein Vergnügen und immer mehr ei- del Plata: Der einstige Fußballstar war dringling, der aus einem der allerärmsten ne Pflicht. Ich meine damit den Profifußball, Anfang November 2005 während der Vororte von Buenos Aires kommt. Aber nicht den Fußball, der hier an der Rambla OAS-Konferenz unter den Protestierern – mag es Fox nun gefallen oder nicht – die in Montevideo gespielt wird – auf der Wie- gegen US-Präsident George W. Bush Menschen in der Welt hören mehr auf Ma- se oder am Strand. Da wird immer noch um und die von den USA gepuschte Ameri- radona als auf Fox. Sie zeigen für das ar- des Vergnügens willen gespielt. Da herrscht kanische Freihandelszone ALCA. gentinische Fußballidol viel mehr Sympathie Begeisterung, diese Lust, mit anderen Spaß Als Maradona ankündigte, er würde sich und Zuneigung. Auch weil er ein heiliger zu haben, was im professionellen Fußball an die Spitze der Demonstration setzen, Sünder ist. Er ist ein Heiliger des dunklen zusehends verloren geht. sagten Kollegen: „Was soll denn daraus Lebens, der immer alles verkehrt herum an- Dennoch gibt es immer wieder diese Ex- werden, wenn selbst Maradona mitmacht“. gepackt hat, alles schlecht gemacht hat, der plosionen von Schönheit und Freude, die Pfif- Das war ein herablassender Kommentar. alle Verhaltenregeln der guten Lebensfüh- figkeit in den Beinen, vor allem von Spielern,

10 INKOTA-Brief 135 • März 2006 FUSSBALL GLOBAL die aus ärmeren Vierteln stammen. Diese und die einem den Glauben zurückgeben. Das Gespräch führte Karl-Ludolf Hübener. Er arbeitet seit 1988 als freier Journalist in Montevideo, Uruguay. verwirklichen im Fußball so etwas wie Rache Denn ich glaube, dass Fußball Kunst ist, an der Tristesse, die sie in ihren ersten Le- eine Art Tanz mit dem Ball, fähig, Wunder Dieses Gespräch ist ein gekürzter Vorabdruck aus dem Ende März erscheinenden Buch von Dario Azzellini und bensjahren durchgemacht haben. Sie haben der Schönheit zu vollbringen. Aber dieser Stefan Thimmel (Hg.): Futbolistas. Fußball und Latein- sich diese Fähigkeit zur Freude bewahrt. Glaube wird auf harte Proben gestellt, denn amerika: Hoffnungen, Helden, Politik und Kommerz. Verlag Assoziation A, Berlin/Hamburg 2006, 256 Sei- Bei der Weltmeisterschaft wird es Spieler die Superprofis müsssen heute, vor allem in ten, 18 Euro. Abdruck mit freundlicher Genehmigung geben, bei denen es sich lohnt zuzusehen Europa, mehr leisten als Rennpferde. des Verlags.

Martin Ling King George und die Hand Gottes Populäre Fußballer mit politischen Ambitionen

Popularität und Glaubwürdigkeit sind zwei Eigenschaften, die einer po- mobilisieren. Mehr als 100.000 Menschen litischen Karriere förderlich sind. Der populärste Sport der Welt ist Fuß- gingen in Monrovia bei seiner Abschluss- veranstaltung zur ersten Wahlrunde auf die ball. Weltstars wie der Liberianer George Weah, der Argentinier Diego Straße, um seine Kandidatur zu unterstüt- Maradona oder der Paraguayer José Luis Chilavert liebäugeln mit der zen. „Ob du Bücher kennst oder nicht, wir Präsidentschaft in ihren Heimatländern. Der ehemalige Bundesligastar wählen dich“, sangen sie als Antwort auf Marc Wilmots gehört zu denen, die den erfolgreichen Übergang vom die Vorwürfe seiner Konkurrenten, der Schul- Feld ins Parlament geschafft haben: Er ist Senator für die liberale Re- abbrecher Weah sei mangels Bildung nicht für das Präsidentenamt geeignet. formbewegung MR in Brüssel. „Rette Liberia, wähle Weah“, „Weah, die offensichtliche Wahl“ stand auf Wahlpla- Knapp daneben ist auch vorbei. Eine Er- vor allem seiner Glaubwürdigkeit. „Weah katen und Weah gefiel sich in der Rolle des kenntnis, die der ehemalige Weltklasse- ist der Einzige, bei dem die Leute wissen, Retters: „Wenn ich in eure Gesichter schaue, torjäger George Weah auch bei seinem wie er sein Geld verdient hat“, brachte sehe ich, dass ich eure Zukunft bin, sehe ersten Einsatz auf dem politischen Spielfeld sein Parteifreund Baccus Matthews ein zen- ich, dass ich eurer Schicksal bin und dass gewinnen musste. Erst in der Stichwahl der trales Wahlargument auf den Punkt. Vom euer Traum in Erfüllung gehen wird.“ Und liberianischen Präsidentschaftswahlen am schwerreichen George Weah ist persönliche so gab sich der 39-Jährige vor dem ersten 8. November 2005 unterlag der 1995 zum Bereicherung nicht zu erwarten und das ver- Urnengang am 11. Oktober 2005 siegessi- ersten und bisher einzigen afrikanischen schaffte ihm den Rückhalt vor allem bei den cher: „Wir haben gut und ehrlich gekämpft, Weltfußballer des Jahres gewählte Weah jungen und ländlichen Wählern. Schließlich und in einigen Tagen werden wir den Pokal seiner politisch weitaus erfahreneren Kon- war in Liberia Korruption und Selbstberei- gewinnen.“ Doch zu mehr als dem Pokal in kurrentin Ellen Johnson-Sirleaf. cherung der politischen Eliten in den letzten der ersten Runde reichte es dann nicht. Vor Jahrzehnten der Normalfall. Allein Charles allem die älteren und gebildeteren Liberianer Taylor, Kriegsfürst und Landesregent von setzten auf Johnson-Sirleaf, deren politische 1995 bis 2003, soll 200 Millionen US- Erfahrung und Kontakte. Die von ihren An- Dollar auf die Seite geschafft haben. Sein hängern als Iron Lady (Eiserne Frau) titulierte Nachfolger, Übergangspräsident Gyude 66-jährige Harvard-Ökonomin und ehema- Bryant, nutzte seine gerade abgelaufene lige Weltbankmitarbeiterin hat versprochen, Amtszeit vor allem, um sich ungestraft seine ihr Hauptaugenmerk auf die Korruptionsbe- eigenen Taschen zu füllen. Ein Ende der Kor- kämpfung zu legen. Ihr generöses Angebot ruption und ein Ende des Bürgerkrieges sind an Weah, in der Regierung mitzumachen, die Hauptanliegen der leidgeprüften Bevöl- wurde von King George abschlägig beschie- kerung und waren bei der Stimmabgabe die den. Vizekönig ist sein Ding nicht. George Weah wollte nicht Vizekönig werden Leitmotive. In dem seit Ende 1989 tobenden 14-jährigen Bürgerkrieg starben 300.000 Noch im ersten Wahlgang hatte George Menschen und jeder zehnte der 3,5 Millio- Mit englischer Brieftasche in Weah an der Spitze gelegen. Rückhalt hatte nen EinwohnerInnen flüchtete außer Landes. den Fußballolymp er vor allem bei den JungwählerInnen, die Über George Weah stehen im Fußball- nahezu unbegrenzte Hoffnungen in den olymp nicht viele, einer gehört auf alle Superstar setzten. Neben seinen sportlichen Ohne Bücher, aber ehrlich Fälle dazu: Diego Armando Maradona, der Erfolgen verdankt der selbst aus einer armen Dass Weah auch als Politiker die Massen 2000 vom Weltfußballverband FIFA zum Familie aus dem Landesinnern stammende elektrisiert wie einst als Fußballer, zeigte sich Fußballer des Jahrhunderts ernannt wurde. und in einem Slum der Hauptstadt Monrovia im Wahlkampf immer wieder. Keiner konnte Auch das Tor des Jahrhunderts geht auf aufgewachsene Weltstar seine Beliebtheit bei seinen Kundgebungen mehr Menschen sein Konto: ein atemberaubender Sololauf

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über das halbe Feld, an mehr als der Hälfte indes nicht werden, argentinischer Präsident Der Tormann als Politiker der englischen Mannschaft vorbei, gekrönt kann sich der Freund von Fidel Castro und Sprungkraft, Zielstrebigkeit, Ehrgeiz und mit dem 2:0 im WM-Viertelfinale 1986 in Carlos Menem hingegen schon vorstellen. ein großes Mundwerk kennzeichneten die Mexiko. In Argentinien gibt es in Buchläden Sein politisches Idol ist Che Guevara, den Fußballkarriere von José Luis Chilavert, ein Heftchen zu erstehen, mit dem man die er auf dem Oberarm tätowiert und nach dem langjährigen paraguayischen Natio- Bildsequenzen dieses Traumtores wie einen eigener Aussage auch in seinem Herzen naltorwart. Der dreifache Welttorhüter des Film durch seine Finger laufen lassen kann. trägt. Ob in Neapel oder in Lateinamerika: Jahres erzielte mit Freistößen und Elfmetern Nur der legendären Evita Peron ist sonst Maradona versteht sich als Fürsprecher des Dutzende von Toren, davon acht in 72 noch ein solches Daumenkino gewidmet. gedemütigten und entrechteten Südens. Länderspielen. Inzwischen ist es um den Mehr noch als sein Wundertor zum 2:0 Beim Amerika-Gipfel vergangenen Novem- Linksfuß, der während seiner Karriere un- ist vielen das 1:0 im selben Spiel in Erinne- ber in Mar del Plata lauschten 40.000 geniert politische Ambitionen ankündigte, stiller geworden. Von „Ich will Staatsprä- sident von Paraguay werden“ und seinem Wunsch, die politischen Verhältnisse „in dieser Bananenrepublik“ zu demokratisie- ren war zuletzt nichts mehr zu hören. Statt- dessen strickt Chilavert an einer Karriere als Unternehmer, sucht für eine US-Reality- Fernsehshow geeignete Spieler und bringt sich als potenzieller Nationaltrainer Pa- raguays ins Gespräch. Vielleicht ist die derzeitige politische Zurückhaltung aber nur eine kluge Strategie, um sich langfristig als erfolgreicher Sports- und Businessman umso besser als Staatspräsident in Position bringen zu können.

Das Kampfschwein als Senator Den Sprung in die Politik direkt geschafft hat der Belgier Marc Wilmots, einer der legendären Euro-Fighter von Schalke 04, die 1997 sensationell den UEFA-Cup ein- heimsten. Immer mit vorbildlichem Einsatz dabei, wurde Wilmots von den Schalker Fans liebvoll „Willy, das Kampfschwein“ getauft. 2005 wurde er für die liberale Re- formbewegung MR in den belgischen Senat gewählt, der, außer bei verfassungsrecht- lichen Fragen und Streitfragen zwischen den Maradona mit seinem politischen Idol auf dem Oberarm Regionen, überwiegend beratende Funkti- Foto: Lateinamerika Nachrichten onen hat, während die Gesetzgebung beim Parlament liegt. Vier Jahre pendelt Wilmots rung. Der kleine Maradona übersprang den Menschen seiner Rede in Chávez-Manier: nun zwischen seiner Heimatprovinz Limburg englischen Torhüter Shilton und lenkte den Bush sei „menschlicher Müll“, den Amerika und Brüssel, wo er an zwei Tagen seinen Se- Ball mit der „Hand Gottes“ vom Schiedsrich- entsorgen müsse. natorenpflichten nachzukommen hat. Ganz ter und den Zuschauern in Echtzeit unbe- Maradonas ungebrochene Popularität glücklich scheint er in der Politik nicht zu merkt ins Netz. „Ich hatte das Gefühl, den zeigte sich auch in seiner Fernsehshow, sein. Vom Sport her schnelle Ergebnisse Engländern die Brieftasche zu klauen, und die im letzten Vierteljahr 2005 ausgestrahlt gewöhnt, ist das zähe Ringen um Kompro- das direkt nach dem Falklandkrieg“, be- wurde. „La noche del 10“ („Die Nacht der misse nicht so sein Ding. Berufspolitiker will schrieb er in seiner Biografie jenes Tor, das 10“, Maradonas legendäre Trikotnummer), Wilmots weder sein noch werden. ihm in Teilen Europas einen zweifelhaften sorgte jeden Montag für Rekordeinschalt- Ob Weah bei den nächsten Wahlen Ruf eingebracht hat. quoten. Dort erzählte er aus seinem Leben noch einmal antritt, ließ er bisher offen. Nicht so in Neapel. „Wenn Maradona und plauderte belanglos mit Größen aus Immerhin zeigte er politische Reife, als er heute als Bürgermeister von Neapel kandi- der Pop-, Sport- und Politikszene – auch nach anfänglichem Zögern und ersten Un- dieren würde, bekäme er 105 Prozent der zwei Mal mit seinem engen Freund Fidel ruhen seiner AnhängerInnen seine Wahlnie- Stimmen“, sagt Lucio Caracciolo, Fußball- Castro, auf dessen Karibikinsel sich Mara- derlage eingestand, und damit Schlimmeres fan und Chefredakteur der geopolitischen dona mehreren Drogenentziehungskuren verhinderte. Und als Torjäger weiß er, dass Zeitschrift Limes. Vor und nach Maradona unterzog. Ob Maradona seine immer wie- Chancen immer wieder kommen, wenn war der SSC Neapel niemals italienischer der mal geäußerten Absichten, in die Politik man sie sich erarbeitet. Meister, mit ihm war es der inzwischen in einzusteigen, wirklich wahr macht, ist ange- der dritten Liga gestrandete Klub zwei Mal. sichts seiner Sprunghaftigkeit alles andere Martin Ling ist Auslandsredakteur der Tageszeitung Bürgermeister von Nepael will Maradona als ausgemacht. „Neues Deutschland“.

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Daniela Chiaretti Gott ist rund Über Fußball und Religion in Brasilien

Fußball und Religion haben vieles gemeinsam. Vor allem in Brasilien, wo Bild von Papst Benedikt XVI, auf Portugie- beide eine außerordentliche große Rolle in der Gesellschaft spielen. So sisch Bento, ins Internet gestellt hat. Auf die- sem steht: “São Bento Campeão”. Bei allen ist es nicht verwunderlich, dass viele Fußballer sich Beistand bei Gott su- Spielen, seien es die der Profifußballer oder chen und herausragende Spieler wie Heilige verehrt werden. der Amateure, beginnt das Aufwärmen erst nach dem Vater Unser. In Zeiten, in denen Brasilien den Beinamen giosität hat weniger mit Katholizismus und In jedem Stadion gibt es einen kleinen „größtes katholisches Land der Erde” trug, Christentum zu tun, sie ist im Grunde viel Altar, einige Vereine verfügen gar über äußerte der Anthropologe Darcy Ribeiro einfacher, beinahe eine Art Fetischismus”, Kapellen. In vielen Fällen findet sich das – ein Intellektueller, der meinte, die eigent- sagt José Geraldo Couto, Fußball-Kolumnist Heilige schon im Vereinsnamen: São Paulo, liche Definition des „Brasilianers” sei die der Zeitung Folha de São Paulo. „In un- São Caetano, Santos. Jede Art von Aber- Mischung –, dass die Gläubigen in diesem serem synkretistischen Glauben vermischen glauben findet Verwendung, und Salzkris- Land anders seien: Katholisch schon, aber sich die katholischen Dogmen auf den Ritu- talle auf den Stollenschuhen wehren den mit Macumba, ausgiebigem Feiern und alen von Umbanda und Candomblé und seit bösen Blick ab. vielen Heiligen. In einem Land, in dem die kurzem auch mit evangelikalem Eifer”, meint Heute scheint es eine Art evangelikale nationale Leidenschaft für den Fußball ein er weiter. „Und alle Spieler sind religiös – ei- Hegemonie unter den Spielern zu geben. Dogma darstellt und in dem sich die Sam- ne Art Grundvoraussetzung”. So gibt es jene aktiven Christen wie bei- bagruppen mit den Gebetsgruppen vermi- spielsweise Lucio, Stammspieler der Nati- schen, wird mit den Glaubensrichtungen ei- onalmannschaft und Abwehrspieler beim nerseits ebenso freizügig umgegangen wie Mit Benedikt zum Titel FC Bayern München. „Lucio ist sogar sehr man den eigenen Körper an den Stränden Es ist immer schon so gewesen. In Brasilien religiös, aber er ist nicht sehr ‚katholisch’, von Río zur Schau stellt oder wie man an- ist Fußball Religion, und damit es ein gutes wenn es um seine Spielweise geht”, betont derseits soziale Ungleichheiten hinnimmt. Spiel wird, unterwirft man sich jeder Form Torero. Die Evangelikalen drücken ihren Hier beschränkt sich die Religiosität nicht von Gottheit. In den 1930er und 1940er Glauben viel offener aus und sprechen bei auf den Rahmen der Kirchen. Man erkennt Jahren verwandelten sich die Umkleideka- Stellungnahmen nach Siegen und Nieder- sie sowohl an den Kettenanhängern, an den binen in religiöse Kultstätten, vor wichtigen lagen stets von Jesus. Sie beten das Vater typischen Armbändchen des Bonfim, als auch an den am Straßenrand aufgehängten Bannern, als Dank für erhörte Gebete, und an den Opfergaben für die Orixás, den Gottheiten afrikanischen Ursprungs, die man an den Straßenecken findet. Im Fuß- ball ist der Synkretismus nur offensichtlicher. Die Konfessionszugehörigkeit des Athleten ist dabei unbedeutend – das Spielfeld ist stets ein heiliger Ort, einige Spieler sind Götter, und Gott selbst, das weiß jedes Kind, ist schließlich Brasilianer. Man betrachte sich nur einmal genau brasilianische Spieler, wenn sie das Spiel- feld betreten – viele von ihnen bekreuzigen sich, wenn sie aus der Kabine laufen, einige bücken sich kurz und verwandeln den Rasen in eine Art Weihwasser. „In Brasilien ist es durchaus normal, mit gefalteten Händen ins Stadion zu kommen”, erklärt José Roberto Torero, Kolumnist und Autor zahlreicher Bü- cher über Fußball. Das gebräuchlichste Ritu- Sambagruppe auf der Stadiontribühne: Mit Leidenschaft und Gottes Hilfe wird die eigene al gegen den Aberglauben ist es, den Rasen Mannschaft schon gewinnen Foto: Archiv mit dem rechten Fuß zuerst zu betreten, das soll Glück bringen. Der Torwart setzt sich in Spielen bat man offiziell um göttlichen Unser gemeinsam und zeigen ihre Shirts mit Bewegung und versetzt jedem Pfosten seines Segen. Ein beliebtes Ritual sind auch die Pil- Sätzen wie „Das war spitze, Jesus”, die sie Tores einen Fußtritt. Eine Aufwärmübung? gerreisen zu den Kirchen der Schutzpatrone unterm Trikot tragen. Wenn die Katholiken Nicht wirklich – eher lässt es sich als ani- eines jeden Vereins – den jeder Verein hat. ihr Ave Maria sprechen, dann tun sie das in mierendes Ritual bezeichnen, um das Tor Im Landesinneren von São Paulo gibt es ein aller Stille, jedoch ohne sich von der Grup- „zu verschließen”. „Die brasilianische Reli- Team, São Bento, welches ein bearbeitetes pe hervorzuheben – um den Teamgeist nicht

INKOTA-Brief 135 • März 2006 13 FUSSBALL GLOBAL aus dem Gleichgewicht zu bringen, wie sie se, wie der brasilianische Fußball sich zwischen Maradona und Pelé. „Pelé? Er ist selbst sagen. Das Spielergebnis, so scheint vom unbefangenen und wunderbaren Spiel der König des Fußballs, keine Frage. Und es, hängt von anderen Kriterien ab, die weit eines Garrincha und eines Pelé zum heute Maradona ist Gott. Daran gibt es nichts zu über die spirituelle Beziehung eines jeden existierenden „ergebnisorientierten Fußball” zweifeln.” In den zehn Geboten der Kirche einzelnen Spielers zu Gott hinausgeht. gewandelt hat. Tatsache ist, dass religiöses Maradonas gibt es Regeln wie „man soll In den 80er Jahren erlebten die Pfingst- Marketing auf dem Spielfeld immer mehr den Fußball mehr lieben als alles andere“. kirchen eine „mediale Explosion“. So er- Raum gewinnt. Während Pirelli die Clubs Die Zeitrechnung beginnt im Jahr 1960, warben Pastoren und Bischöfe ganze Fern- Palmeiras und LG sponsert, gehören São Maradonas Geburtsjahr. So sind wir heute sehsender. Der Sonntag ist in Brasilien Tag Paulo, Atlético de Sorocaba und drei wei- im Jahr 46 PM (Post Maradona). der Messe und Tag des Fußballs. Da in tere brasilianische Clubs dem Reverend „Die Beziehung zwischen Fußball und Brasilien jedoch alles möglich ist, erscheint Moon und seiner Sekte. Und hinter dem Religion in Brasilien hängt zusammen mit es selbstverständlich, dass am Abend ein Universal Futebol Club aus Rio de Janeiro der Allgegenwart der Religion auf allen ge- Fernsehsender die Befreiung der Seele eines steht die Universelle Kirche. sellschaftlichen Ebenen. Darin unterscheidet armen Sünders vom Teufel zeigt, während sich Brasilien von anderen westlichen Staa- zur gleichen Zeit auf einem anderen Kanal ten, in denen eine striktere Trennung zwi- die gefalteten und gen Himmel gerichteten Die Kongregation des schen Staat und Kirche vollzogen wurde. In Hände Kakás erscheinen, der ein soeben geheimnisvollen Tors diesen beschränkt sich Religion oft nur auf erzieltes Tor für den AC Mailand zelebriert. Im Januar 2001 schrieb der Folha-Kolumnist den privaten Einflussbereich”, meint Frank Torero einen Artikel mit dem Titel „Für eine Usarski, Professor eines Postgraduierten- Fußball-Kirche!”. „Überleg doch einmal”, Programms für Theologie an der Universität Gott ist der Beste beginnt die Chronik, „welches ist die größte PUC von São Paulo. Es ist auch schon vorgekommen, dass Spie- Leidenschaft des brasilianischen Volkes? Sonia Francine, Stadträtin in São Paulo ler Kirchen gründeten und zu Pastoren Der Fußball. Und jetzt sag mir: Welches ist und Sport-Kolumnistin beziehungsweise Mo- wurden. In diesem Zusammenhang ist auch der einfachste Weg, Geld zu verdienen? deratorin beim Sportfernsehsender ESPN das Phänomen Atletas de Cristo erwähnens- Die Gründung einer Kirche (oder kennst Brasilien, glaubt, dass es etliche Gemein- wert. Es handelt sich weder um eine Kirche du eine andere Form, die steuerfrei ist und samkeiten zwischen Fußballfans und religi- noch um eine Sportler-Gewerkschaft, son- die von dir einzig und allein die Fähigkeit ös Gläubigen gibt. „Fan zu sein bedeutet, dern um eine Institution mit 7.500 Athleten erfordert, Dinge zu sagen, die den Men- einen Wunsch zu äußern, eine Hoffnung christlichen Glaubens, von denen die meis- schen Hoffnung geben, egal, ob sie logisch zu haben. Es bedeutet zu glauben, dass ten evangelikale Christen sind und Fußball erscheinen oder nicht?).” Und dann spinnt der eigene Wunsch so stark ist, dass er mit- spielen. Gegründet wurde sie 1979 vom er die Idee weiter, diese beiden Dinge zu beeinflussen kann, ob ein Ball ins Tor geht damaligen Torwart von Atlético Mineiro, verbinden, eine Religion, die vom Fußball oder nicht”, meint sie und kritisiert gleich- João Leite. inspiriert ist. „Meine neue Kirche könnte zeitig die Widersprüchlichkeit derjenigen, Ribeiro von den Atletas de Cristo erklärt, zum Beispiel ‚Kongregation des geheim- die vorgeben im Namen Jesu Christi zu wie sein Verein über die Fußballwelt Einfluss nisvollen Tors’ heißen”, erzählt er und stellt handeln, sich auf dem Spielfeld aber unfair auf die Gesellschaft hat: „Das Bild des Fuß- sich dabei vor, dass die Gläubigen sich auf verhalten. ballers in den 1960er und 1970er Jahren die „Bänke der Hoffnung” setzen und ihr Hexer und Heilige hin oder her, die war das eines feiernden, trinkenden Man- Geld für „Engels-Popcorn” und himmlisches Rituale der brasilianischen Spieler, die das nes mit freizügigem Lebensstil. Heute lässt „Geweihtes Eis am Stiel” ausgeben. Bild eines „Dritte-Welt-Landes” vermitteln, sich hier eine deutliche Veränderung feststel- In dieser einzigartigen Religiosität der erscheinen nicht von dieser Welt. Wenn len. Die Spieler gehen früh schlafen, sind brasilianischen Gesellschaft, in der gilt die Brasilianer gewinnen, wäscht das ihre disziplinierter und trinken nicht.” Das mag „Hauptsache, man glaubt, egal an wen Seele rein und alles ist gut. In seinen Vor- stimmen. „Der Glaube bestärkt die sport- oder was“, erscheinen die Geschichten, die hersagen für 2006, behauptet Robério de liche Leistung”, meint Clodoaldo Gonçalves der Fußball schreibt, so folkloristisch wie Ogum, dass Brasilien nicht zum sechsten Leme, dessen Examensarbeit in Theologie die Mythen und Legenden aus dem Ama- Mal Weltmeister werde und dass der Weg den Titel „É Gol! Deus é 10” („Tor! Gott ist zonas-Gebiet. Ganz im Sinne des Verses für Deutschland (!) oder Argentinien (!!!) der Beste”) trägt. Er untersuchte Fußball, Re- „Ich glaube nicht an Hexen, aber es gibt frei sei. Im Fußball zu verlieren kommt ligion und die Risikogesellschaft und nimmt sie, ja, es gibt sie”, suchte der Trainer Wan- in Brasilien dem Tod gleich. Aber gegen dabei Spieler der großen Clubs in São Pau- derley Luxemburgo, heute bei Santos tätig, Argentinien zu verlieren, hieße, bis in alle lo ins Visier. „Fußball ist eine Art sozialer regelmäßig Robério Alexandre Bavelone, Ewigkeit in der Hölle zu schmoren – welch Fahrstuhl in Brasilien. Wenn das Leben im den „Robério de Ogum“ und gefragtesten ein Schicksal erwartet da den gläubigen Fußballgeschäft nicht klappt, dann kehrt Hellseher im Land auf. brasilianischen Fan! Alle Heiligen, Orixás der Spieler zurück in die Risikogesellschaft, und andere Gottheiten schweben bereits aus der er gekommen ist. Und wegen des drohend am Horizont. enormen Drucks, der dabei entsteht, sucht Pelé ist König, aber Maradona ist Gott Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Antje Kleine- der Sportler Halt in der Religion”, meint der Wiskott. Wissenschaftler. Man sagt, dass es nicht nur in Brasilien die- Daniela Chiaretti arbeitet derzeit als Editionsassisten- Der neue Aspekt in dieser alten Idee se seltsamen Beziehungen zwischen Fußball tin des Magazins “Estampa” der Tageszeitung “Jornal Valor Económico”. – vor etwa einem Jahrhundert argumen- und Religion gibt. In Rosario, Argentinien, tierte Max Weber, dass die protestantische gibt es eine Kirche von Diego Maradona, Dieser Beitrag ist ein gekürzter Vorabdruck aus dem Ende März erscheinenden Buch von Dario Azzellini und Arbeitsethik Grundlage des europäischen die Iglesia Maradona. Sie soll etwa 25.000 Stefan Thimmel (Hg.): Futbolistas. Fußball und Latein- Wohlstands sei – ist die Komponente Fuß- Anhänger haben. In einem Interview im In- amerika: Hoffnungen, Helden, Politik und Kommerz. Verlag Assoziation A, Berlin/Hamburg 2006, 256 Sei- ball. Es mag sein, dass der Glaube „pro- ternet kommentierte der Gründer dieser Kir- ten, 18 Euro. Abdruck mit freundlicher Genehmigung duktiv” geworden ist, in der gleichen Wei- che, Hernán Amez, die langjährige Rivalität des Verlags.

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Armin Massing Kicken gegen die Gewalt Ein Straßenfußballprojekt in Medellín und sein internationaler Erfolg

Medellín wird gemeinhin mit Drogen und Gewalt assoziiert. Doch die keine Waffen zu den Turnieren mitgebracht kolumbianische Millionenstadt kennt auch viele mutige Projekte, um ei- werden, alle Teilnehmer verpflichten sich zu nen Ausweg aus der Gewaltspirale zu finden. Eines davon ist „Fútbol por Fairness während des Spiels, dazu, sich am la paz“, das die Leidenschaft der Jugendlichen für Fußball mit der Suche Anfang im Kreis zu begrüßen und sich am Ende zu verabschieden. Auch bei der Be- nach friedlichen Wegen der Konfliktaustragung verbindet. Das Projekt wertung der Spiele ging man neue Wege: hat landesweit Nachahmung gefunden und auch in anderen Ländern Es zählen nicht nur die Tore. Das Verhalten Karriere gemacht. beim Spiel und das Auftreten der eigenen Fans werden nach der Partie von den Teams „Ich habe nicht geglaubt, dass das klappen abgeschafft und durch einen Spielbegleiter zusammen mit dem Spielbegleiter mit „Son- könnte.“ John Vahos sitzt in seinem Haus ersetzt: Die Teams sollten sich bei Konflikten nen“ bewertet. „Keine Fouls, 3 Sonnen, in Manrique, einem der armen Stadtteile untereinander durch Dialog auf eine Lö- 4 oder mehr Fouls, 0 Sonnen“, legt der von Medellín. Die kolumbianische Stadt sung einigen. Der Spielbegleiter ist nur als Evaluationsbogen fest. Die Sonnen werden weckt weltweit die gleichen Assoziationen: Zeitnehmer und Mediator anwesend. Auch addiert und in Siegpunkte umgerechnet. So Kokain, Gewalt, Morde, Banden. „Da kam ein handfester praktischer Grund sprach können Teams eine Partie verlieren, selbst dieser Deutsche und schlug uns vor, mit dafür: „Ich hatte zuvor ein knappes Jahr als wenn sie nach Toren gewonnen haben. Fußballturnieren etwas gegen die Gewalt zu unternehmen. Der ist verrückt, haben wir gesagt.“ Vahos weiß, wovon er spricht. Als Jugendlicher war er selbst in einer Bande und „auf dem Weg des Verbrechens“, wie der 33-Jährige es heute ausdrückt. Die Idee von Jürgen Griesbeck schien zugleich bestechend einfach und sehr verwegen: Die Fußballturniere sollten nicht nur die Jugendlichen zusammenbringen, sondern auch durch ein gezieltes Verändern der Re- geln zu einer Befriedung in den Vierteln von Medellín beitragen, die am meisten unter der alltäglichen Gewalt litten. So entstand „Fútbol por la paz“ – „Fuß- ball für den Frieden“. „Dem lagen zwei Beobachtungen zu Grunde. Die Protago- nisten der Gewalt waren Jugendliche. Sie brachten sich gegenseitig um. Was sie aber alle gemeinsam hatten, war die Leiden- schaft für den Fußball“, erzählt Griesbeck. Mitte der 1990er Jahre hatte Medellín eine Mordrate von 15 pro Tag, mehr als 5.000 Morde im Jahr. „Die Stadtverwaltung kam Beim Kicken in der 81sten Straße in Manrique, einem Unterschichtsviertel von Medellín dem einfach nicht mehr bei, keine ihrer Foto: Armin Massing Maßnahmen hat mehr gegriffen“, erinnert sich Griesbeck. In dieser Situation wandte Schiedsrichter gearbeitet, in der Zeit sind „Da ist ganz viel Pädagogik drin ver- er sich mit seiner Idee an einige Freunde drei meiner Kollegen umgebracht worden“, steckt“, beschreibt Vahos das Regelwerk von und an „líderes comunales“, Männer, die in erzählt Vahos. Ein vermeintlich zu Unrecht „Fútbol por la paz“. Die Jugendlichen sollen ihren Vierteln Einfluss haben. Zu fünft fingen gegebener Elfmeter, eine rote Karte kostete Spaß beim Fußball haben und zugleich sie 1996 an, Ideen für eine neue Fußball- sie das Leben. grundlegende Werte und Verhaltensweisen Methodologie zu entwickeln. für das Zusammenleben lernen: friedliche „Eins war klar, die Frauen müssen dabei Konfliktlösung durch Dialog, die gleich- sein“, erzählt Griesbeck, denn er hatte Nicht nur Tore zählen wertige Anerkennung und Integration von zuvor beobachtet, dass die Frauen und So entstanden nach und nach die Regeln: Frauen, Teamarbeit und das Aushandeln Mädchen beim Fußball auf die Rolle der Zu- Es müssen immer mindestens zwei Frauen und Einhalten von Regeln. „Zunächst waren schauerinnen festgelegt waren und von dort pro Team auf dem Spielfeld sein, in jeder wir uns unsicher, ob das angenommen wür- aus oft noch die Konflikte auf dem Spielfeld Halbzeit muss das erste Tor jedes Teams von de, deshalb haben wir im Sommer 1996 weiter anheizten. Der Schiedsrichter wurde einer Frau geschossen werden, es dürfen eine sechswöchige Pilotphase gemacht“,

INKOTA-Brief 135 • März 2006 15 FUSSBALL GLOBAL erinnert sich Griesbeck. Die lief so gut, dass zungen, die maßgeblich von Paramilitärs betraut worden, das Projekt landesweit zu sie sofort weitermachten. Griesbeck hing aber auch von staatlichen Kräften aus- koordinieren und Multiplikatoren in der seinen Job als Dozent für Sportsoziologie gehen. Soziale Proteste werden im Keim Methode zu schulen. Doch für Vahos ist die an der Universität von Medellín an den erstickt. Die Paramilitärs, die oft von Groß- Arbeit seine Passion. Seit Februar 2005 Nagel. Schon zwei Monate später waren grund- oder Fabrikbesitzern bezahlt wer- kann Con-texto Urbano ihn nicht mehr be- 250 Teams involviert. In den folgenden bei- den, ermorden jährlich tausende Gewerk- zahlen und trotzdem organisiert er weiter den Jahren wurden mehr als 5.000 Partien schafterInnen und politische GegnerInnen. Turniere. „Fútbol por la paz“ gespielt, organisiert So ist der Alltag geprägt von den Konflikten von „Con-texto Urbano“, der Nichtregie- zwischen linken Guerillas, rechten para- rungsorganisation, die Griesbeck und seine militärischen Gruppen, dem Militär und …und in die Welt Mitstreiter 1997 gründeten. Drogenkartellen. Die Lage ist unübersicht- Jürgen Griesbeck sitzt in seinem Büro in Ber- lich, Gewalt ist allgegenwärtig. Das Militär lin-Charlottenburg. Der 40-Jährige ist heute arbeitet mit den Paramilitärs zusammen, die Geschäftsführer von „streetfootballworld“, Geschlechterrollen verändert für Morde und Vertreibungen im großen Stil einem internationalen Straßenfußball-Netz- „Pass“, ruft Sandra ihrer Freundin Natalia verantwortlich sind. Die Zivilbevölkerung werk, dem 60 Teams und Initiativen aus zu. Diese kickt den Ball über den Asphalt leidet und in den betroffenen Gebieten ist allen Kontinenten angehören. „1998 be- zu Sandra, die sicher verwandelt. Der Ball es kaum möglich, nicht von einer der Seiten suchte uns eine Delegation des Deutschen rollt aus dem Netz zurück auf die Calle vereinnahmt zu werden. So sind Dörfer und Bundestages unter Leitung von Antje Vollmer 81. Die Straßen von Manrique steigen steil Stadtviertel untereinander verfeindet. Ein in Medellín. Die war so beeindruckt, dass den Hang hinauf. Medellín liegt in einem Ende der Gewaltspirale scheint oft kaum sie meinte, man müsste mit dieser Methode Andental und die einfachen Viertel der möglich. doch auch in Deutschland etwas gegen Zwei-Millionen-Metropole ziehen sich schier Da schien die Methode aus Medellín für Gewalt unter Jugendlichen unternehmen“, endlos die angrenzenden Berge hinauf. Un- das ganze Land ein Vorbild zu sein. 2003 erinnert sich Griesbeck. Daraufhin ist er ten im Tal liegt das moderne Stadtzentrum startete das Jugendministerium das Projekt zurück nach Deutschland gezogen und hat mit Hochhäusern, die man auch oben in „Golombiao“, bei dem die Methode des in Brandenburg das Projekt „Straßenfußball Manrique noch deutlich sieht. Fußball kann „Fútbol por la paz“ in 35 Gemeinden für Toleranz“ entwickelt und geleitet. hier nur in den Straßen gespielt werden, die des Landes eingeführt wurde. Über 7.000 Und dann sah er vor vier Jahren die quer zum Hang liegen. In der 81sten Straße Jugendliche nahmen daran teil. Finanziert große Chance: Die WM in Deutschland stehen zwei ramponierte Metalltore auf wurde das Programm unter anderem von dafür zu nutzen Geld aufzutreiben, um Stra- dem Bürgersteig. Zu Beginn der Partie räu- der „Gesellschaft für Technische Zusam- ßenfußballteams international zu vernetzen. men die Jugendlichen sie an beiden Enden der kurzen Straße auf den Asphalt. Auch Sandra hilft mit. Die 21-Jährige hat vor sechs Jahren angefangen, bei den „Fútbol por la paz“-Turnieren mitzuspielen. „Früher haben wir immer getrennt gespielt. Die Jungen dort und die Mädchen hier“, erinnert sie sich. „Ich hoffe, dass das einen positiven Einfluss auf meinen Sohn hat, mich hier spielen zu sehen.“ Der Fünfjährige kickt hinter dem Tor mit einem gleichaltrigen Freund. „Und auch meine Tochter soll spä- ter hier mit Fußball spielen“, sagt Sandra bestimmt. Die ist erst zwei Jahre alt und während des Spiels zu Hause bei der Groß- mutter. „Bevor das mit Fútbol por la paz hier losging, gab es sehr viel Gewalt im Viertel“, erzählt Sandra. Damals habe sie sogar Angst gehabt, zur Schule zu gehen. „Jetzt haben sich die Männer besser in die Ge- meinschaft integriert und damit aufgehört.“

Von Medellín ins ganze Land… Blick von Manrique hinunter auf das Stadtzentrum von Medellín Foto: Armin Massing Von Medellín aus hat „Fútbol por la paz“ mittlerweile einen Siegeszug durch ganz menarbeit“ aus Deutschland. Es war so Heute wird streetfootballworld maßgeblich Kolumbien angetreten. Im Jahr 2003 suchte erfolgreich, dass es im Dezember vergan- von der „Stiftung Jugendfußball“ von Jürgen der kolumbianische Staat nach Methoden, genen Jahres verlängert wurde. Con-texto Klinsmann und verschiedenen Bundesmi- friedliches Zusammenleben und Konfliktaus- Urbano ist allerdings nicht mehr mit von der nisterien finanziert. „So hat der Gedanke gleich zu fördern. In Kolumbien herrscht seit Partie. „Die haben einfach unsere Methode des Fútbol por la paz eine transnationale einem halben Jahrhundert ein Bürgerkrieg, übernommen und brauchen uns jetzt nicht Karriere gemacht, was es so ganz selten der Tag für Tag zahlreiche Opfer fordert. mehr“, sagt Vahos verbittert. Bei der ersten gibt“, sagt Griesbeck nicht ohne Stolz. Das Land ist zutiefst geprägt von sozialer Auflage von Golombiao waren er und sei- Alle Straßenfußballprojekte des Netzwerks Ungerechtigkeit und Menschenrechtsverlet- ne zwei Kollegen von Con-texto noch damit nutzen den Sport als Mittel der sozialen

16 INKOTA-Brief 135 • März 2006 FUSSBALL GLOBAL

Entwicklung und Integration und beschrän- bewerten müssen, und eine für die Ein- höher liegt. „Eigentlich müsste das beglei- ken sich nicht auf die Arbeit konventioneller schätzung der anderen Mannschaft. „Die tet werden von staatlichen Gesundheits- Fußballvereine. Anerkennung des Anderen ist sehr wichtig“, programmen, Ausbildungsangeboten und betont Vahos später. „Die Evaluationsrunde Arbeitsmöglichkeiten, aber da kommt von nach dem Spiel ist das Herzstück, da ler- der Stadt keine Unterstützung“, bedauert Fußball kann nicht alles nen die Jugendlichen, wie Zusammenleben Vahos. Ist „Fútbol por la paz“ also nur eine „Alle im Kreis zusammenkommen“, ruft John funktionieren kann.“ Wenn John Vahos von soziale Beruhigungspille, die gesellschaft- Vahos die Jungen und Mädchen nach dem „Fútbol por la paz“ spricht, kommt er ins liche Ungleichheiten deckt, indem sie die Spiel zusammen. Es ist der Moment für die Schwärmen. schlimmsten Auswirkungen abmildert? „Der Auswertung. Haben sich die SpielerInnen Nur eines kann die Methode nicht leis- Fußball kann Jugendliche bereit machen, fair verhalten, wurden alle SpielerInnen ten: Eine substanzielle Verbesserung der von der Gesellschaft abgeholt zu werden. eines Teams eingewechselt oder durften nur sozialen Lage der Jugendlichen. Die Un- Das schafft er, mehr aber auch nicht“, sagt die Guten spielen? Für diese Fragen wer- terbeschäftigungsrate für Medellín wird in Jürgen Griesbeck dazu. den nach gemeinsamen Diskussionen null offiziellen Statistiken mit 31,2 Prozent an- Armin Massing ist Redakteur des INKOTA-Briefs und bis drei Sonnen verteilt. Es gibt auch eine gegeben, einem Wert der in Manrique und arbeitet beim Berliner Landesnetzwerk der entwick- Rubrik, wo die Teams das eigene Fairplay speziell unter Jugendlichen noch deutlich lungspolitischen Nichtregierungsorganisationen BER.

Uli Jäger Gewinnen statt hassen Fußball als Beitrag zu Gewaltprävention und Versöhnung

Häufig ist der Fußballplatz ein Ort der Ausgrenzung und Diskriminie- geeigneten Instrument für die Ansprache rung, immer wieder mündet der sportliche Wettkampf in Gewalt. Doch von Jugendlichen versuchten sie es mit Fuß- ball. In persönlichen Gesprächen und mit das gemeinsame Spiel kann auch bestehende Konflikte mindern und ein Plakaten motivierten sie Kinder und Jugend- erster Schritt für ein gewaltfreies Miteinander sein, wie zahlreiche Bei- liche. Schon nach einer Woche hatten sich spiele aus den verschiedensten Teilen der Welt zeigen. 120 begeisterte Jungen und 30 Mädchen gemeldet. In einem angrenzenden Stadtteil Niemand kann sagen, wie viele Menschen zufällige Begegnungen. Fußball kann insze- wurde daraufhin ein Fußballplatz von der täglich auf den Fußball- und Bolzplätzen niert werden als Medium für Gewaltpräven- Gemeinde angemietet. Hier trainieren die dieser Erde ausgegrenzt und diskriminiert, tion oder sogar als erster Schritt zum lang- Jugendlichen dreimal in der Woche in ver- beleidigt oder gar absichtlich körperlich wierigen Versöhnungsprozess. Dabei geht schiedenen Altersklassen. Die Jüngsten, acht verletzt werden. Jugendliche Cliquen verein- es nicht nur um die bloße Begegnung, son- bis zehn Jahre alt, spielen in gemischten nahmen den einzigen grünen Fleck in der dern um die Förderung von Selbstvertrauen, Gruppen, die anderen bilden Mädchen- Stadt oder ihren Straßenzug für sich und Konfliktfähigkeit und schließlich um die Ak- und Jungenteams. Die sportliche Seite des verteidigen den Kickplatz gegen die „Ande- zeptanz des „Anderen“. In den Konflikt- und Programms wird von einem professionellen ren“, wenn es sein muss auch mit Gewalt. Kriegsregionen dieser Erde kann Fußball Trainer betreut, der auch die Jugendtrainer Zum „Anderen“ wird man schnell: Weil der helfen bei der Suche nach gemeinsamen ausbildet. Wohnort im anderen Stadtteil liegt, weil die Identitäten und den Regeln für ein Zusam- Doch das Programm reicht weit über den Hautfarbe eine andere ist, weil man eine menleben ohne Hass und Gewalt. Einige Sport hinaus. Jugendsozialarbeiter bieten andere Sprache spricht oder weil man ganz Beispiele aus der Entwicklungszusammenar- den Jugendlichen weitere Unterstützung an. einfach dem anderen Geschlecht angehört. beit zeigen Chancen und Grenzen. Sie helfen bei familiären Problemen, versu- Doch ebenfalls täglich finden beim Fuß- chen sie wieder in die Schule zu integrieren ballspiel (junge) Menschen spielerisch zu- und vermitteln Ausbildungskurse. Auf dem einander, die sich im Alltag skeptisch ge- Fußball für das Leben Spielfeld werden vor allem soziales Ver- genüber stehen, weil der andere „anders“ „Fußball für das Leben“ ist der Name halten wie Fairness und Gemeinschaftssinn ist. Der dringliche Wunsch, mit „anderen“ eines Projekts in Costa Rica. In den Slums gefördert, um über den Sport hinaus das Fußballspielen zu dürfen, überwindet die von San José leben viele Jugendliche oh- Selbstbewusstsein der Jugendlichen und ihr Grenzen der Abschottung. Ohne ein Zutun ne private und berufliche Perspektive und Verantwortungsbewusstsein zu stärken. von außen entstehen Freundschaften, weil wachsen auf in einem Klima von Gewalt, Das von „Brot für die Welt“ geförderte man sich jeden Tag trifft, sich kennen- und Drogen und Bandenbildung beim Kampf Projekt ist ein typisches Beispiel für den manchmal auch schätzen lernt. Der Bolz- ums Überleben. Mitarbeiter der Kirche und weltweit anzutreffenden Versuch, Fußball platz ist Ort der Ausgrenzung und Ort der engagierte Personen aus außerkirchlichen als Instrument der Gewaltprävention für Begegnung – in Deutschland genauso wie Bereichen mit Erfahrungen in Kinder- und benachteiligte und gefährdete Jugendliche in Kolumbien, Ruanda oder im Kosovo. Jugendarbeit gründeten im April 2004 zu nutzen. Nicht nur entwicklungspolitische Fußball kann aber mehr sein als eine den Verein OIKOS (Institut für Bildung und Nichtregierungsorganisationen sind auf Gelegenheitsstruktur für mehr oder weniger Entwicklung). Bei der Suche nach einem diesem Gebiet tätig, sondern auch natio-

INKOTA-Brief 135 • März 2006 17 FUSSBALL GLOBAL nale und internationale Sportverbände wie ben“ dar. Denn über den Fußball gelingt hatten sich nun unter anderen Vorzeichen die FIFA (Weltfußballverband), der DFB es hervorragend, Kinder und Jugendliche kennen gelernt.“ (FAZ vom 24.1.06) (Deutscher Fußballbund) oder das NOK anzusprechen, die alleine nur schwer einen Die Erwartungen sind groß, dass sich (Nationales Olympisches Komitee). Für ein Weg aus Perspektivlosigkeit und Gewalt- durch Fußballbegegnungen für Angehöri- Fußballprojekt in Afghanistan war die Welt- spirale finden. Dies gilt allerdings nur bis zu ge von sich feindlich gegenüberstehenden fußballerin Birgit Prinz sogar vor Ort. Sie einer gewissen Altersgrenze. In der jugend- Gruppen oder Nationen ein Weg zur Ver- berichtet: „Wir wollen Straßenkindern hel- lichen Phase der Ansprechbarkeit und der söhnung eröffnen lässt. Von dieser Hoffnung fen, eine ordentliche Ausbildung zu erlan- Einbeziehung in ein Projekt müssen deshalb ist auch die Arbeit des „Peres Center for gen. Der Fußball ist dabei mehr Mittel zum in kurzer Zeit grundlegende Kompetenzen Peace“ in Israel geprägt. Das Zentrum Zweck. Die Kinder sollen über das Spielen und Fähigkeiten zum Umgang mit Konf- eröffnete bereits über 1.400 Jugendlichen zum Lernen motiviert werden, dabei steht likten spielerisch vermittelt und gleichzeitig aus Israel und Palästina die Chance, sich aber die Bildung eindeutig im Mittelpunkt persönliche Lebensperspektiven im Rahmen beim gemeinsamen Fußballtraining und unserer Arbeit.“ Ein besonderes Augenmerk der realen gesellschaftlichen Bedingungen -spiel kennen zu lernen. „Sie sollen spielen gilt Frauen und Mädchen: „Für die Frauen eröffnet werden. Denn was passiert mit statt zu töten, gewinnen statt zu hassen“, beschwört Shimon Peres, Gründer des Zen- trums und Friedensnobelpreisträger (SZ vom 26.7.05). Fußball wird auch am Ende eines ge- waltsamen Konfliktes bei der notwendigen Versöhnungsarbeit eingesetzt. Vor allem bei ethnopolitischen Konflikten lassen sich im Sport Menschen zusammenführen, die den unterschiedlichen Konfliktparteien angehö- ren und ohne einen konkreten Anlass kaum Gelegenheit hätten, sich zu treffen und ken- nen zu lernen. Manchmal finden derartige Begegnungs- treffen ohne äußeren Problemdruck im „ge- schützten” Ausland statt. Im Sommer 1998 trafen sich zum Beispiel in der Jugendaka- demie Walberberg bei Bornheim Jugendli- che aus Bosnien-Herzegovina, Deutschland und aus den Niederlanden. Gemeinsame sportliche Aktivitäten bildeten einen wich- tigen Schwerpunkt des Seminars. Darauf hatten vor allem die Verantwortlichen aus Bosnien-Herzegovina gedrängt, um „die „Fußball für das Leben“ in Costa Rica: „Für die Frauen und Mädchen ist es eine Befreiung, interethnische Verständigung anzuregen”. Fußball spielen zu dürfen“ Foto: Peter Wingert Basketball, Volleyball und nicht zuletzt Fußball förderten nach Einschätzung der und Mädchen ist es eine Befreiung, Fußball den Jugendlichen, wenn sie den Schritt ins Veranstalter in hohem Maße die Gemein- spielen zu dürfen. Vielleicht gelingt es uns Berufsleben gehen sollen? Werden sie wei- schaft und sorgten für den notwendigen auch, bei den Kindern ein neues, offeneres terhin begleitet und betreut? Können sie die psychischen und physischen Ausgleich. und tolerantes Weltbild zu fördern“.1 erworbenen Fähigkeiten, den hoffentlich „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“ Einen Schritt weiter hinsichtlich der Ver- verinnerlichten Mut zum „Fair Play“ auch im – Diese Fußballweisheit darf nicht gelten, mittlung von Konfliktfähigkeit geht der An- „wirklichen Leben“ umsetzen? wenn es um Fußball als Instrument von Ge- satz „Straßenfußball für Toleranz“, der von waltprävention und Versöhnung geht. Nach der Nichtregierungsorganisation streetfoot- dem Spiel (bzw. nach Ende des Projekts) ballworld gefördert wird. Über die Einfüh- Fußball als Weg zur muss vieles anderes sein, vor allem aber rung eines ganz spezifischen Regelwerkes Versöhnung die Einstellung der beteiligen Menschen zu (gemischte Teams; Spielbegleitung durch Der Krimi- und Beststellerautor Henning sich selbst und gegenüber den „Anderen“. Teamer, nicht durch Schiedrichter; Vergabe Mankell berichtet in einem Interview über „Interkultureller Dialog“, so der erfahrene von Fair Play Punkten) sollen eingefahrene ein Fußballspiel, das ihn besonders beein- Fußballtrainer Jupp Heynkes über seine Verhaltensweisen (zum Beispiel Macho-Ver- druckt hat: In Mosambik trafen jugendliche Erfahrungen mit Spitzenteams, „ist genauso halten, Gewaltbereitschaft, Disziplinlosig- Ex-Soldaten, die sich zuvor während des wichtig wie fußballerisches Talent“.2 An der keit) verlassen und der konstruktive Umgang Bürgerkrieges gegenseitig nach dem Leben erworbenen Dialogfähigkeit der beteiligten mit Konfliktsituationen erlernt werden. Bei- trachteten, in einem Fußballspiel aufeinan- Menschen wird sich auch der Erfolg von spiele aus Kolumbien (siehe auch den Bei- der: „Sie sollten lernen, mit Konflikten auf Fußball als Ansatz für Gewaltprävention trag von Armin Massing, S.15-17), Kenia andere Art umzugehen. Und sie taten das und Versöhnung entscheiden. oder Deutschland machen Hoffnung (vgl. beim Fußball. Ich glaube nicht, dass das Uli Jäger ist Geschäftsführer des Instituts für Friedens- www.streetfootballworld.org). Spiel das Problem löste. Aber es zeigte pädagogik Tübingen. Eine Herausforderung für Projekte die- eine Möglichkeit auf. Ich hatte das Gefühl, Anmerkungen: ser Art stellen die Nachhaltigkeit und die diese Jungen würden nicht mehr losziehen 1 Zit. nach DFB-Journal, Heft 3/2005, S. 88f. Übertragbarkeit vom „Spiel“ auf das „Le- und sich gegenseitig umbringen. Denn sie 2 Zit. nach Mondialogo Magazine, Heft 3/2005, S.11

18 INKOTA-Brief 135 • März 2006 FUSSBALL GLOBAL Aktionen und Veranstaltungen von INKOTA zur WM

Spielerhandel von Süd nach Nord, Hunger- Radioballett Umsatz von 6,5 Milliarden Euro. Millionen löhne für NäherInnen in Maquilas, Frauen- Hunderte Menschen machen synchrone werden für Werbung ausgegeben und die handel zur Prostitution – die Fußball-WM Bewegungen im öffentlichen Raum und Managergehälter um 89 Prozent erhöht. bietet die Möglichkeit, eine Vielzahl von niemand der Umstehenden versteht, wie Börsianer bezeichnen das Unternehmen Nord-Süd-Themen anschaulich und konkret die Choreografie zu Stande kommt – in so jetzt schon als Weltmeister 2006. in die breite Öffentlichkeit zu bringen und einem Fall handelt es sich um ein Radiobal- Die NäherInnen in El Salvador schuf- damit auch Menschen zu erreichen, die sich lett. Um auf entwicklungspolitische Fragen ten hingegen für nur 151 US-Dollar im sonst nicht unbedingt mit diesen aufmerksam zu machen, wird das Monat. Dieser Lohn reicht nicht aus, um Fragen beschäftigen. Das Entwicklungspolitische Netz- den Grundbedarf einer Familie (Nahrung, INKOTA-netzwerk nutzt werk Sachen zusammen mit Bildung, Kleidung, Gesundheitsversorgung) diese Gelegenheit und der INKOTA-Gruppenbe- zu decken. Warum ist das so? Muss das so macht Aktionen und ratung zum WM-Auftakt bleiben? Veranstaltungen mit am Spielort Leipzig Wir fordern FAIR PAY! vielfältigen thema- sowie in Dresden ein tischen und metho- solches organisieren Workshops zur Vorbereitung von dischen Zugängen (ausführliche Informa- Straßenaktionen: vom Radioballett tionen im Weltladen- ¬ 31. März bis 1. April: bundesweites bis zur Regionalta- Brief in diesem Heft). Aktionstreffen in Hattingen gung. ¬ 28. bis 30. April: Jugendbildungsstätte Kampagne für Werftpfuhl bei Berlin Eine-Welt-Regional- ‚Saubere‘ Kleidung tagung Sachsen 2006 Die Eventmaschine zur Aktionen: Vom 17. bis 19.3. findet Fußball WM läuft sich schon ¬ 1. Mai: Berlin in Hohenstein-Ernsttahl die Ei- warm. Das Gerangel um die ¬ 11. Mai: ADIDAS-Hauptversammlung ne-Welt Regionaltagung Sachsen beste Position nimmt zu. Bei Sport- in Fürth bei Nürnberg 2006 statt unter dem Titel „Fußball. Faire artiklern, wie Adidas, Puma, Umbro oder ¬ 27. Mai: Berlin mit Gästen aus Regeln, Saubere Kleidung, Menschenhan- anderen steigt schon im Vorfeld des Sport- El Salvador del, Prostitution“. Es gibt Referate, einen events die Wachstumskurve. WM-Sponsor ¬ 3. Juli: Berlin, Aktionen vor dem Endspiel Film sowie ein Kinderprogramm zum The- Adidas, das zweitgrößte Sportartikelun- ma. Weitere Informationen: INKOTA-Regi- ternehmen der Welt, für das 440.000 Weitere Informationen bei Berndt Hinzmann, Tel.: onalstelle Sachsen, Tel.: 0351/4923366, Menschen in Zulieferbetrieben arbeiten, er- 030/4289111, E-Mail: [email protected] und dem- E-Mail: [email protected]. zielte im Vorjahr bereits einen gestiegenen nächst unter www.inkota.de. Spendenaufruf Mit Fußball und Theater gegen Hauptsächlich mit Fußball und Theater klären Bei Haus-zu-Haus-Besuchen sprechen AIDS und Kinderprostitution die Ehrenamtlichen von AJUPIS ihre Altersgenos- die AJUPIS-Mitglieder mit ihren Nachba- sen über Präventionsmöglichkeiten von AIDS und rInnen direkt über AIDS, Vorbeugung aber den Umgang mit AIDS-Kranken und ihren Fami- auch über die Stigmatisierung von AIDS- Auch für die Jugendlichen aus Matendene, lien auf. So gibt es eine eigene AJUPIS-Mann- Kranken. Mit ihrer Arbeit im eigenen Umfeld einem nach der Flutkatastrophe von 2000 schaft, die über ihre Trikots und Diskussionen vor und vor allem durch ihr rein ehrenamt- entstandenen Vorort der Hauptstadt Maputo und nach den Spielen für Aufmerksamkeit sorgt. liches Aktiv-werden genießt AJUPIS ein in Mosambik, ist AIDS eine alltägliche Katas- Mit Theater werden nicht nur die Spielpausen hohes Vertrauen in der Bevölkerung. trophe: Immer mehr Familien in ihrem Umfeld gefüllt, sondern vor allem auch auf dem lokalen Für diese Arbeit benötigen wir Ihre Spende! und auch zum Teil ihre eigenen sind von den Markt oder bei Kirchenversammlungen die Men- Jede, auch kleine Spende unterstützt und Auswirkungen der schleichenden Epidemie schen von Matendene informiert und motiviert, motiviert die Jugendlichen von AJUPIS, ihre betroffen. In Mosambik ist die AIDS-Rate in- selber aktiv zu werden. ehrenamtliche Arbeit fortzusetzen. zwischen bei über 15 Prozent angekommen. Schon 2001 brachte diese gravierende Situ- ation Jugendliche aus Matendene dazu, die Spenden bitte an Jugendinitiative AJUPIS gegen AIDS zu gründen. Zur gleichen Zeit kam es auch zu INKOTA-netzwerk immer mehr Fällen von Kinderprostituti- Stichwort: Fußball on. So engagieren sich die Jugendlichen und KD-Bank jungen Erwachsenen auch in diesem Bereich und konnten hier schon beachtliche Erfolge Konto 155 500 0010 erzielen. BLZ 350 601 90

INKOTA-Brief 135 • März 2006 19 FUSSBALL GLOBAL

Ingeborg Wick Goldgrube Fußball-WM Globale Unternehmensverantwortung als Marketinginstrument

Das Vorbereitungsfieber für die Fußball WM 2006 in Deutschland steigt. pagnen strategische Medienplätze erobert. Neben den Trainings der Fußballteams läuft auch die weltweite Produk- In Tages- und Wochenzeitungen werden tion von Fußbällen, Schuhen, Trikots und Fanartikeln auf Hochtouren. hoch dotierte Spitzenmanager durch Aller- Je nach Spielerfolgen „ihrer“ Nationalmannschaften im Juni/Juli werden weltsgeschichten dem „kleinen Mann“ nahe gebracht. Breit publizierte Preisverleihungen die WM-Ausrüstungsunternehmen bei ihren Zulieferern noch einmal wie die des WWF und des Magazins „Ca- Sonderschichten einlegen lassen. Mit Fair Play hat die Arbeitsrealität pital“ an adidas-Chef Hainer zum „Ökoma- in diesen Weltmarktfabriken allerdings nichts zu tun. Aus Sorge um ihr nager 2005“ sollen das Kaufverhalten einer Image reagieren die führenden Sportartikelkonzerne seit einigen Jahren ethisch motivierten Bevölkerung anfeuern. zwar auf die Kritik an den schlechten Arbeitsbedingungen. Doch konkre- Die Unternehmen lassen sich die Wer- te Verbesserungen sind bis heute selten. bung einiges kosten: Nike gibt hierfür pro Jahr 14 Prozent seiner Umsätze aus, das Während Weltmarktführer Nike insgesamt nen Gewinn um 28 Prozent auf 1,2 Milliar- heißt fast zwei Milliarden US-Dollar. Bei acht Mannschaften ausrüstet, unter anderem den US-Dollar. Obwohl die -Tochter adidas widmen sich circa 100 Mitarbei- Weltmeister Brasilien, fallen auf die Welt- dem Mutterunternehmen adidas finanzielle terInnen allein der Werbung rund um die rangliste Nr. 2 adidas sechs und auf die Probleme bereitet, legte die Marke adidas WM – mit einem Etat von fast einer Milliar- Nr. 3 Puma elf Mannschaften. FIFA-Partner bei den Umsätzen 2005 um 13 Prozent zu de Euro. und Hauptsponsor adidas will von dem of- (6,6 Milliarden Euro), beim Gewinn um 20 fiziellen Ball zur WM allein zehn Millionen Prozent (383 Millionen Euro). Bei Puma stie- Exemplare in Deutschland verkaufen – eine gen die Umsätze 2005 um 18 Prozent auf Imagepflege mit globaler Steigerung von circa 60 Prozent gegenüber 2,4 Milliarden Euro, der Gewinn um 10,5 Sozialverantwortung 2004 –, und vom DFB-Trikot eine halbe Mil- Prozent auf 400 Millionen Euro, so dass die Seit einigen Jahren gehören ethische globale lion, doppelt so viele wie 2002. Nachdem Dividende um zwei Euro je Aktie verdoppelt Beschaffungsprogramme zu den Werbestra- adidas kürzlich für Reebok für 3,1 Milliarde werden konnte. Adidas verzeichnete 2005 tegien der großen Sportswearunternehmen, Euro aufgekauft hat, ist die WM für das mit 89 Prozent die höchsten Manager-Ge- nachdem die öffentliche Kritik von Verbrau- Unternehmen ein wichtiges Sprungbrett auf haltssteigerungen unter den 30 börsenno- cherInnen an massiven Arbeitsrechtsverlet- dem Weg nach ganz oben. tierten Unternehmen in Deutschland. Die zungen in der weltweiten Zulieferindustrie nicht verstummen wollte. Anfang der 90er Jahre reagierten Nike und Reebok, und En- de des Jahrzehnts zogen adidas und Puma nach. Da sich diese Markenunternehmen kaum durch die Qualität ihrer Produkte, dafür jedoch umso stärker durch ihr Image unterscheiden, sind sie besonders anfällig für Verbraucherkampagnen, die sie mit Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen in der Zuliefererkette in Verbindung bringen. Diese Kampagnen bringen die hässlichen Seiten der Globalisierung zum Vorschein: Schließlich war das Gros der Unternehmen aus Kostengründen von der eigenen Herstel- lung auf ein System weltweiter Beschaffung umgestiegen. Dabei nahmen sie meist nicht nur die Verletzung von Sozialstandards bei Zulieferern in Kauf, sondern förderten sogar noch eine soziale Abwärtsspirale durch den internationalen Wettbewerb. Wenn sich durch öffentlichen Druck heute Sportartikelangebot in Bangkok: zu teuer für die thailändischen NäherInnen Foto: CCC Sportswearunternehmen dieser Kritik mehr und mehr stellen, dann liegt auf der Hand, Schon im vergangenen Jahr haben WM 2006 soll nun all dies in den Schatten dass angesichts von Ausmaß und Typ der Sportswearunternehmen blendend verdient stellen. Puma zum Beispiel meldete bereits Produktion dieser globalisierten Industrie – trotz allgemeiner Konsumflaute. Nike Ende 2005 volle Auftragsbücher mit einem ein Verbesserungsprozess langwierig und mit einem Weltmarktanteil von 30 Prozent Wert von über einer Milliarde Euro. mühselig sein muss. Dies kollidiert jedoch steigerte 2005 seine Umsätze um zwölf Längst haben die Marketing-ExpertInnen mit dem Marketing – einem Kerngeschäft Prozent auf 13,7 Milliarden US-Dollar, sei- der WM-Ausrüster mit gezielten Imagekam- – dieser Unternehmen. Diese verwandelt

20 INKOTA-Brief 135 • März 2006 FUSSBALL GLOBAL erste Schritte in Erfolgsmeldungen für die größeren Bereitschaft zu schlechten Arbeits- tilabkommens Ende 2004 sind für viele Gesamtheit des Problems und führt zu stei- bedingungen auf. Auch in der informellen wettbewerbsschwache Entwicklungsländer len Behauptungen und krassen Fehleinschät- Wirtschaft stellen Frauen die überwiegende und Beschäftigte massive Schäden entstan- zungen, die mit der Normalität kaum etwas Mehrheit der Beschäftigten. Der Zugewinn den, die in der globalen Konkurrenz vor zu tun haben. an Arbeitsplätzen in den FEZ und in der allem zu China abgeschlagen wurden. So hieß es zum Beispiel bei der Preis- informellen Wirtschaft war für sie kaum von Diese Tendenzen werden bis Ende 2008 verleihung zum „Ökomanager 2005“ an einem Zuwachs an gesellschaftlichem Anse- durch erneut verhängte Quoten seitens der adidas-Chef Hainer, dieser habe dafür hen und Eigenständigkeit begleitet. USA und der EU noch abgebremst, danach gesorgt, dass in den über 800 weltweiten droht sich der Niedergang für viele Länder Zulieferbetrieben „vertretbare ökologische und soziale Bedingungen“ herrschten. Nun Arbeitsalltag in China behauptet Adidas „wir bezahlen äußerst Das SÜDWIND Institut hat 2005 die Ergeb- fair“ – so Hainer in der „Stern“-Ausgabe nisse einer Studie des Hong Kong Christian Nr. 20/2005. Das Deutsche Netzwerk Industrial Committee über Arbeitsbedin- Wirtschaftsethik hatte 2003 Puma für sein gungen in fünf Bekleidungsfabriken in der globales Ethikprogramm ausgezeichnet chinesischen Guandong-Provinz veröffent- – zu einem Zeitpunkt, als dieses gerade licht.1 Bei diesen Fabriken handelt es sich eben entworfen war, aber noch lange nicht um Zulieferer von adidas, puma, Otto und umgesetzt sein konnte. C&A. Gemäß dieser Studie ist der Arbeits- alltag der Beschäftigten vor allem geprägt durch Weltmarktfabriken und - überlange Arbeitszeiten: 13 und mehr informelle Wirtschaft Stunden/Tag in Produktionsspitzen Der größte Teil der arbeitsintensiven Pro- - niedriger Stücklohn unterhalb der duktion von Bekleidung und Sportswear für gesetzlichen Mindestgrenze den Weltmarkt findet heute in den Ländern - schwankende und verzögerte des Südens und Osteuropas statt. Seit den Lohnauszahlung – je nach Auftragslage 70er Jahren sind Millionen Arbeitsplätze in - Überstundenbezahlung unterhalb der den Industrieländern abgebaut und in Ent- gesetzlichen Grenze wicklungs- und Transformationsländer ver- - Arbeitswochen oft ohne einen freien Tag Hoher Arbeitsdruck, niedrige Löhne: Nike- lagert worden – meist in Weltmarktfabriken - Fehlende Arbeitsverträge Turnschuhproduktion in Khorat/Thailand Foto: CCC oder Freie Exportzonen (FEZ) und kleinere - Kein Sozialversicherungsschutz Werkstätten (Sweatshops) in der informellen - Gefälschte Lohnlisten und doppelte weiter zu beschleunigen. Chinas will seine Wirtschaft, in der es kaum arbeits- und so- Lohnbuchhaltung. Marktanteile an den Importen der USA und zialrechtlichen Schutz für die Beschäftigten Aufgrund seiner „außerordentlichen“ der EU von heute gut 20 Prozent auf über gibt. Wettbewerbsfähigkeit ist heute China nicht 50 Prozent steigern. Den Gewinnernati- In den meisten Industrieländern sind nur nur für Sportswearunternehmen das be- onen der Liberalisierung China und Indien noch Restbestände der Bekleidungsprodukti- deutendste Lieferland, sondern generell stehen circa 100 Verlierernationen gegen- on – vor allem im Bereich von Design und die führende Exportnation im Weltbeklei- über. Fabrikschließungen in diesen Ländern Marketing – verblieben und die Hauptsitze dungshandel. Diese Position ist nicht zuletzt haben mindestens 150.000 Arbeitsplätze der multinationalen Handelsunternehmen darauf zurückzuführen, dass in China un- vernichtet, wie zum Beispiel 50.000 in Süd- und Markenfirmen, die ihre Bekleidungs- abhängige Gewerkschaften verboten und afrika, 20.000 in Marokko und 13.000 in produkte auf dem Weltmarkt beschaffen. Arbeitsgesetze in den 2000 FEZ weitge- Lesotho. Um international konkurrenzfähig Sie stehen an der Spitze großer Beschaf- hend außer Kraft gesetzt sind. Wie eine im zu bleiben, senken manche Regierungen fungsimperien mit Tausenden direkter und Dezember 2005 veröffentlichte Studie des dieser Länder die Arbeitsstandards. So hat indirekter Zulieferer, die quer über den Chinesischen Volkskongresses feststellte, zum Beispiel die philippinische Regierung ganzen Globus verteilt sind. Circa 160 werden fundamentale Arbeitsrechte von den gesetzlichen Mindestlohn für die Textil- Produktionsländer konkurrieren auf dem Beschäftigten in über 80 Prozent der un- und Bekleidungsindustrie gestrichen und die Weltmarkt um drei Hauptmärkte – die USA, tersuchten Privatfirmen – unter anderem im Regierung in Bangladesh zeitweise die 72- die Europäische Union und Japan. Bekleidungssektor – verletzt. Zum Beispiel Stunden-Arbeitswoche eingeführt. Frauen stellen mit durchschnittlich zwei würden weniger als 20 Prozent der Firmen Durch den Wegfall des Quotenaufpreises Dritteln die Mehrheit der Beschäftigten in schriftliche Arbeitsverträge abschließen, verbilligten sich zahlreiche Textil- und Be- den weltweiten FEZ, in manchen Fällen bis und wenn, dann meist nur für einen Zeit- kleidungsimporte, was zu einem großen zu 90 Prozent. Die besondere Zielgruppe raum von unter einem Jahr. Teil Importunternehmen zugute kam. Preis- von FEZ-Unternehmen sind junge Frauen bis abschläge von zum Teil 30 bis 60 Prozent 25 Jahre, die unverheiratet und kinderlos wurden nur in geringem Maß an die Ver- sind. Während ihnen die FEZ individu- Verschärfter Wettbewerb braucherinnen weitergegeben. elle Erwerbsmöglichkeiten und Chancen Über 40 Jahre lange hatten Industrieländer Multinationale Importunternehmen im eigener Lebenssicherung eröffneten, arbei- ihre Märkte durch Mengenbeschränkungen Textil- und Bekleidungssektor profitieren ten sie dennoch mehrheitlich als gering (Quoten) gegen Textil- und Bekleidungsim- noch auf eine andere Weise von der Libe- qualifizierte und schlecht bezahlte Kräfte. porte aus Entwicklungs- und Schwellenlän- ralisierung des Weltmarkts ab 2005: Sie Die Wachstumsstrategien der FEZ-Industrien dern geschützt und Ausnahmeregeln im reduzieren ihre Listen von Lieferländern und bauen auf der gesellschaftlichen Benach- Welthandelssystem von GATT durchgesetzt. Lieferfabriken und sparen so an Transport- teiligung von Frauen und auf ihrer deshalb Nach dem Auslaufen des WTO-Welttex- kosten und Lieferzeiten. adidas konsolidiert

INKOTA-Brief 135 • März 2006 21 FUSSBALL GLOBAL seine globale Beschaffung auf fünf bis In Ausnahmefällen gab es zwar Verbes- nur durch starken öffentlichen Druck von sechs strategische und weniger bedeutende serungen für die Beschäftigten, die jedoch VerbraucherInnen entstanden sind. Deren Lieferländer. Was mit den durch den Rost oft nicht nachhaltig sind. Auch sind Sports- Macht darf jedoch nicht überschätzt wer- fallenden Ländern und Lieferanten und den wearunternehmen mittlerweile Mitglied in den, genauso wie die Regulierungsmöglich- bei ihnen beschäftigten ArbeiterInnen pas- der US-amerikanischen Fair Labor Associ- keiten von Instrumenten wie Verhaltensko- siert, wird weitgehend auf Regierungen und ation (FLA), die die Einhaltung von Sozial- dizes und ethischem Konsum. Diese können Fabrikbesitzer abgeschoben. standards bei fünf Prozent der weltweiten nur eine ergänzende Funktion neben einer Zulieferer überprüft. Doch stellt die FLA in bindenden staatlichen und überstaatlichen ihrem jüngsten Bericht zum Beispiel fest, in Regelung menschenwürdiger Arbeit und Die Realität der globalen keinem der weltweiten Zulieferer würde das sozialen Schutzes haben. Die private Regu- Beschaffung Recht auf Vereinigungsfreiheit eingehalten. lierung wird jedoch zunehmend als Alterna- Angesichts dieser Rahmenbedingungen Auch gelang es der deutschen „Kampagne tive, und nicht als Ergänzung zur staatlichen sind die Auswirkungen des konkreten En- für Saubere Kleidung“ Ende 2005, mit Regulierung verwandt. Diesem Trend gilt es gagements von Sportswearunternehmen Puma ein Pilotprojekt zur Verbesserung von entgegenzuwirken. für menschenwürdige Arbeitsbedingungen Arbeitsbedingungen bei Zulieferbetrieben in El Salvador abzuschließen. Ingeborg Wick ist Mitarbeiterin des Südwind-Insti- in den weltweiten Zulieferbetrieben als äu- tuts in Siegburg. ßerst minimal zu bezeichnen. Der normale Doch dem Argument, mit diesen Schritten Anmerkung: Arbeitsalltag ist menschenunwürdig und sei zumindest ein Anfang gemacht, und der 1 SÜDWIND: „Nähen für den Weltmarkt. Frauenarbeit hat sich durch Einkaufspraktiken der Global impliziten Feststellung, der Aufwärtstrend in Freien Exportzonen und der Schattenwirtschaft. Länderbeispiele China, Indonesien und Sri Lanka. Player im internationalen Wettbewerb sogar setze sich nun automatisch fort, muss entge- Modemultis auf dem Prüfstand“, von Ingeborg Wick, oft noch verschärft. gengehalten werden, dass Veränderungen SÜDWIND-Dekadeband 5, Siegburg 2005.

Jörg Zimmermann „Teamgeist“ macht nur Adidas reich FußballnäherInnen in Pakistan können von ihren Löhnen nicht leben – so müssen auch die Kinder arbeiten

Der offizielle WM-Fußball 2006 kommt aus Thailand und wird maschinell gestanzt und mit kleinen Schlitzen versehen geklebt. Das Massenprodukt „Adidas Teamgeist“ wird hingegen – wie worden. An den Wänden hängen Zeitungs- zwei von drei Fußbällen aller Art und weltweit – in Pakistan von Tausen- fotos von Schlager- oder Filmstars, ansons- den Händen genäht. Ein Ausflug nach Sialkot im Nordosten Pakistans ten sind die Räume kahl. macht deutlich, dass dabei vor allem die Sportartikelfirmen aus dem Westen profitieren. Die NäherInnen können von ihren Löhnen nicht le- Geschlechtertrennung in den ben. So wird das – in der Fußballproduktion durchgesetzte – Verbot von Nähzentren Kinderarbeit ausgehebelt: Die Familien sind gezwungen, ihre Kinder in Da Pakistans EinwohnerInnen zu 95 Prozent andere Branchen arbeiten zu schicken. Moslems sind und eine patriarchalische Interpretation des Islam stark in der Bevöl- Die Welthauptstadt der Fußballproduktion stellung. Er wurde bereits seit den 1970er kerung verwurzelt ist, gilt das „Purdah“- liegt im Nordosten Pakistans: In Sialkot wer- Jahren aus den Fabriken der pakistanischen System der Geschlechtertrennung nicht nur den pro Jahr zwischen 35 und 40 Millionen Fußballunternehmen in der Stadt Sialkot im Privatleben, sondern in weiten Teilen der Fußbälle, rund zwei Drittel der Weltpro- ausgelagert, um die Löhne der NäherInnen Gesellschaft auch im Arbeitsleben. Daher ist duktion, hergestellt. Bisher ausschließlich an das niedrigere Niveau im ländlichen es in den ländlichen Gebieten unerwünscht, handgenähte Bälle. Gut 40.000 Fußballnä- Umland anzupassen. dass Frauen und Männer gemeinsam arbei- herInnen leben davon. Sie arbeiten in über In den Nähzentren arbeiten je nach ten. Um die Frauen, die früher viel in Heim- 2.000 Nähzentren im ländlichen Umland Größe 20 bis 50 Näher, in Einzelfällen arbeit an der Fußballproduktion beteiligt der Stadt und zum Teil auch in den Dörfern auch 150 bis 500. Zumeist am Rande waren, nicht völlig auszuschließen, hat man der Nachbardistrikte. Adidas und Nike, Kar- eines Dorfes gelegen, arbeiten die Näher spezielle Nähzentren für sie eingerichtet stadt und Coca-Cola, alle lassen in Pakistan in einem Haus mit drei bis vier Räumen. Die oder den Innenhof einzelner Familien im Fußbälle nähen. Sie investieren dort nicht einzelnen Zimmer sind mit Bastmatten aus- Dorf zu einem Nähzentrum für Frauen selbst, sondern werden von selbständigen gelegt. Heute haben die größeren Nähhal- erklärt. pakistanischen Sportartikelfirmen beliefert. len alle einen Ventilator, der in den heißen Die FußballnäherInnen kennen keine fes- Das Zusammennähen der einzelnen Sommermonaten das Arbeiten etwas erträg- ten Arbeitszeiten. Sie werden nach Stück- „Waben“ zu einem Fußball dauert je nach licher macht. Die Näher sitzen auf kleinen lohn, also nach der Anzahl der fertig ge- Qualität des Balles und Erfahrung des Nä- Stühlen. Sie können so mit Hilfe ihrer Beine nähten Bälle bezahlt. Die meisten arbeiten hers/der Näherin zwei bis zweieinhalb in einer Holzklammer die einzelnen Waben acht bis zehn Stunden am Tag. Es gibt Stunden. Es ist der zeit- und arbeitsinten- festhalten und mit beiden Händen nähen. keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und sivste Produktionsschritt bei der Fußballher- Die einzelnen Waben sind maschinell vor- keine bezahlten Urlaubstage. Gearbeitet

22 INKOTA-Brief 135 • März 2006 FUSSBALL GLOBAL und frei gemacht wird hier täglich auf ei- den Toren von Adidas, Nike und Puma. Beschränkung des Atlanta-Abkommens al- gene Rechnung. Ein Nähzentrum arbeitet Die global agierenden Sportartikelkonzerne lein auf das Verbot der Kinderarbeit bei der meistens nur für ein Fußballunternehmen in übten starken Druck auf die pakistanischen Herstellung von Fußbällen ist der Kinderar- Sialkot, oft aber auch für zwei oder drei. Fußballfirmen aus, um dieses Problem aus beit in der Region jedoch nicht grundsätzlich Die NäherInnen sind daher nicht direkt der (Fußball-) Welt und den Schlagzeilen der Boden entzogen worden. Wahrschein- Angestellte der städtischen Fußballfirmen, zu bekommen. Die weltmarktintegrierten lich wurde sie lediglich in andere Branchen, sondern arbeiten für einen Subkontraktor, pakistanischen Sportartikelfirmen in Sialkot beispielsweise die Teppichherstellung, Zie- der bei den städtischen Firmen die Aufträge erkannten, dass dieses Problem existenzge- geleien oder Autowerkstätten, verdrängt. einholt und meist auch für den Antransport fährdend für sie werden könnte und rangen Für Pakistan insgesamt geht die „Human der Arbeitsmaterialien und den Abtransport sich zu energischen Schritten durch. Rights Commission of Pakistan“ heute von der fertigen Bälle zur Exportfirma sorgt. So Im so genannten „Atlanta-Abkommen“ etwa zehn Millionen KinderarbeiterInnen im arbeiten die NäherInnen faktisch außerhalb wurde 1997 zwischen der Sialkoter Indus- Land aus – mit steigender Tendenz. des Geltungsbereichs der pakistanischen trie- und Handelskammer (SCCI), der Welt- Arbeits- und Sozialgesetze. arbeitsorganisation ILO und UNICEF die Konzerngewinne rauf – Löhne runter Entgegen der häufig vertretenen These, Glo- balisierung bringe Vorteile für alle Beteilig- ten, muss in diesem Fall festgestellt werden, dass die Stücklöhne für einen Fußball in den vergangenen zehn Jahren von umgerechnet 0,56 Euro auf 0,51 Euro gesunken sind. Die Konzentration der Arbeiten in den Nähzentren hat zwar die Arbeitsplatzge- staltung verbessert und nicht wie zunächst befürchtet, zu einer völligen Beseitigung der Frauenarbeit geführt, sie aber doch deut- lich eingeschränkt. Die Familien in Sialkot können daher heute an dem wachsenden Sportartikelweltmarkt nur zu schlechteren Bedingungen teilnehmen. Die Sportartikelkonzerne konnten dage- gen ihre Position auf dem Weltmarkt deutlich verbessern. An jedem Fußball aus Pakistan, der bei uns für 25 Euro verkauft wird, macht Hoher Profit für Adidas & Co, miserable Löhne für die Fußballnäher in Sialkot/Pakistan Adidas einen Gewinn von 1,34 Euro. Das Foto: Jörg Zimmermann ist mehr als das Doppelte des Nählohns Im Durchschnitt kommt einE NäherIn auf Durchsetzung des Verbots der Kinderarbeit für diesen Ball. Vor zehn Jahren konnte ein Monatseinkommen von 3.150 Rupien in der pakistanischen Fußballindustrie für Adidas am Verkauf eines solchen Balls nur (umgerechnet 44 Euro). Damit verdienen Kinder unter 14 Jahren vereinbart. Nach- 0,90 Euro „gewinnen“. So haben sich die sie etwa 30 Prozent weniger als ihre Kol- dem zunächst die ILO die externe Kontrolle Gewichte zwischen den Produzenten in legInnen in den Sportartikelfabriken in der der Kinderarbeit übernahm, wurde diese der Peripherie und den Konzernen in den Stadt. Für die Grundversorgung einer – in Aufgabe im März 2003 an die „Indepen- Metropolen verschoben. Daher kann es Pakistan üblichen – sechsköpfigen Familie dent Monitoring Association for Child La- nicht verwundern, dass Adidas mit 390 bedarf es nach einer gemeinsamen Studie bour“ (IMAC) übergeben. Diese Non-Profit- Millionen Euro 2005 seinen Jahresgewinn des Arbeitsministeriums und verschiedener Organisation führt täglich mit zwölf speziell innerhalb von zehn Jahren mehr als verdrei- Gewerkschaften eines Einkommens von geschulten Mitarbeitern – sechs Frauen fachte und im Februar 2006 ohne Probleme 12.000 Rupien im Monat. Um ein solches und sechs Männer – zufallsgesteuerte In- für 3,1 Milliarden Euro die Nummer 3 des Einkommen zu erreichen, müssten vier Fami- spektionstouren in den Nähzentren durch. Sportartikelweltmarkts Reebok übernommen lienmitglieder Fußbälle nähen. Dies war und Seitdem gilt die Fußballproduktion der an hat. Die zunehmende Konzentration der ist die Quelle der Kinderarbeit in Pakistan. diesem Programm teilnehmenden pakista- „Global Player“ im Sportartikelgeschäft Ohne existenzsichernde Einkommen bleibt nischen Fußballfirmen als frei von Kinder- wird die Bedingungen für Sialkots Fuß- ein hoher Druck auf die Familien, auch ihre arbeitern. Nach Eigenangaben von IMAC ballnäherInnen sicher nicht vereinfachen. älteren Kinder zur Arbeit zu schicken. erfasst ihr Monitoring über 95 Prozent der Ohne eine Umverteilung von Gewinnein- Fußballexportproduktion in Sialkot. So hat nahmen der globalen Sportartikelkonzerne das Engagement wesentlicher Teile der pa- an die Fußball- und SportartikelnäherInnen Kinderarbeit: Verschoben kistanischen Sportartikelunternehmer zu ei- in Sialkot sind wirklich existenzsichernde aber nicht abgeschafft ner drastischen Reduktion der Kinderarbeit Löhne und faire Arbeitsbedingungen, aber Noch vor zehn Jahren war jedeR dritte in der Fußballherstellung geführt. Soziale auch eine umfassende und nachhaltige Ein- FußballnäherIn 15 Jahre oder jünger. Im Begleitmaßnahmen von UNICEF und ande- schränkung der Kinderarbeit in der Region Vorfeld der Fußball-WM 1998 kam es aber ren Organisationen sollten zugleich dafür nur schwer zu schaffen. zu einer breiten öffentlichen Diskussion Sorge tragen, dass diese Kinder zur Schule Jörg Zimmermann hat seine Promotion zur Fußballpro- über die Kinderarbeit in der Fußballher- gehen können. duktion in Pakistan geschrieben und ist mehrmals zur Re- stellung und zu vielfachen Protesten vor Mit dem niedrigen Lohnniveau und der cherche in Sialkot gewesen, zuletzt im vergangenen Jahr.

INKOTA-Brief 135 • März 2006 23 FUSSBALL GLOBAL

Thomas Ruttig Von Altona nach Kabul Fußball mit Hindernissen im Afghanistan nach den Taleban

Fußball hat in Afghanistan eine lange Tradition. Trotz Jahren des Krieges Match seit 24 Jahren: eine eigene gegen und der Taleban-Herrschaft ist die Fußball-Begeisterung am Hindukusch eine Kabuler Auswahl. Der Andrang war übermächtig. Über 30.000 Karten waren ungebrochen. Nach einigen zweistelligen Niederlagen hat die Natio- verkauft worden, ohne die Kapazität des Sta- nalmannschaft vor einigen Monaten sogar erstmals wieder eine inter- dions zu bedenken. Die Tausende, die trotz nationale Begegnung gewonnen. Noch vor wenigen Jahren völlig aus- Ticket keinen Zugang erhielten, versuchten geschlossen, ist heute selbst Frauenfußball wieder möglich. Ein Bericht das Stadion zu stürmen und konnten nur mit über ein Land, das nicht mehr im fußballerischen Abseits steht. Knüppeleinsätzen und Warnschüssen der Polizei sowie deutschem Tränengas zurück- Als vor vier Jahren bei der letzten Fußball-WM der zu spielen an. Den so genannten Koran- gehalten werden. Wütend veranstalteten sie in Japan und Südkorea die Großen der Welt schülern wurde es bald zu viel, aufmüpfige einen Steinhagel, der manchem Friedens- aufeinander trafen, verpasste Afghanistan Teenager zu jagen. Schließlich konnten ört- schützer Platzwunden von Leuten einbrachte, – gerade von jahrelanger Taleban-Herrschaft liche Geschäftsleute Tourniere im etwas mu- die er eigentlich auf seiner Seite wähnte. erlöst – seinen internationalen Wiederauf- tig benannten Ghazi-Olympiastadion von Auch das Spiel selbst ging für die afgha- tritt. Ein holländischer Fußballenthusiast und Kabul finanzieren, einen der wenigen zu- nischen Fans enttäuschend aus. Zwar lag Filmemacher hatte sich nämlich ausgedacht, gelassenen Zeitvertreibe unter den Taleban, ihre Mannschaft nach einem wie ein WM- parallel die beiden Letzten der Rangliste des wenn auch mit verordneter Barttracht und Sieg umjubelten Tor zunächst in Führung, Weltfußballverbands FIFA im so genannten kniebedeckenden Hosen zu spielen war. aber dann drehten die körperlich überle- Anderen Finale gegeneinander antreten zu Frauen allerdings hatten keinen Zugang. genen, vornehmlich britischen ISAF-Solda- lassen, die Karibikinsel Montserrat und das Fußball im Fernsehen zu verfolgen war ten den Spieß um und fertigten die Heimelf Himalaya-Königreich Bhutan.1 Afghanistans damals eine Widerstandshandlung. TV war völlig undiplomatisch mit 3:1 ab. Da das Pech: Sein Nationalteam wurde von der FIFA offiziell verboten, wer dabei erwischt wur- Spiel kein offizielles Länderspiel war, gab zu diesem Zeitpunkt statistisch noch nicht de, konnte bei Wasser, trockenem Reis und es auch keine FIFA-Ranglistenpunkte. Afgha- wieder geführt. Islamlektionen in einem der so genannten nistan schaffte es nicht ins Andere Finale. Die politische Berg-und-Tal-Fahrt der vor- angegangenen Jahre hatte das Land auch ins weltfußballerische Abseits geführt. Zwar wurde der nationale Verband schon 1933 gegründet und 1948 Mitglied der FIFA, aber auch zu Friedenszeiten nahm Afghanistan nie auch nur an einer WM-Qualifikation teil, aus Kostengründen auch nicht für die WM 2006. Nach dem sowjetischen Einmarsch 1979 setzten sich fast alle Nationalspieler ins Ausland ab, viele nach Deutschland. 20 von ihnen kehrten 2003 zu einem Gastspiel nach Kabul zurück. Einer von ihnen, Ali Asghar Lali, ist heute Nationaltrainer. Das letzte offizielle Länderspiel trug man 1978 gegen Iran aus, danach war wegen des Boykotts des pro- sowjetischen Regimes Schluss damit. Erst die Taleban 1997 ließen das Thema Fußball in Af- ghanistan wieder in den Medien erscheinen. Allerdings nicht durch gezielte Torschüsse, sondern wegen der als Abschreckung für Re- Afghanistan im Aufbruch: Nationaltrainer Ali Asghar Lali mit einem Mädchenfußballteam Foto: Antonie Rollwage gimegegner gedachten Hinrichtungen, die die erzfundamentalistische Miliz in den Stadien Erziehungshäuser der Taleban landen. Man Die ersten offiziellen Länderspiele fanden von Kabul und Kandahar veranstalteten und bastelte sich trotzdem Drahtschleifen als im darauf folgenden Herbst statt, als man zu denen Tausende Afghanen als Zuschauer Ersatzantennen und war selbst international bei den Asienspielen in Südkorea kurzfristig getrieben wurden. auf dem Laufenden. Im Stadion wurden flei- für die Mongolei einspringen durfte. Holger ßig Fußballerbilder getauscht, ausländische Obermann, ehemaliger ARD-Sportschau- Fachzeitschriften wie der „Kicker“ waren Reporter und als FIFA-Trainer damals Bera- Bolzverbot ohne Chancen auf dem Schwarzmarkt begehrt. ter des afghanischen Nationalcoachs Lali, Die Taleban hatten ursprünglich sogar ein Als die Taleban gestürzt waren, organi- wollte dort noch gar nicht antreten. „Das ist Bolzverbot erlassen. Das hielt ein paar Mo- sierte die internationale Schutztruppe ISAF zu früh für uns“, meinte er, „und wenn wir nate, dann fingen Jugendliche in Parks wie- im Februar 2002 das erste internationale kräftig verlieren, schlecht für die Moral.“

24 INKOTA-Brief 135 • März 2006 FUSSBALL GLOBAL

Aber die FIFA machte eine Teilnahme zur jedenfalls hat Afghanistan inzwischen Platz lange Hosen und Hemden tragen, dazu ein Bedingung für eine dringend benötigte 189 in der FIFA-Rangliste beschert. Kopftuch, und die schriftliche Zustimmung Finanzspritze, und es kam, wie Obermann der Eltern vorlegen. befürchtete: Von Libanon, Iran und Quatar Der Klub Maiwand hat inzwischen ein wurde man jeweils zweistellig abgefertigt Fußballerischer Wiederaufbau Mädchenteam mit 26 Spielerinnen im Alter und schoss selbst kein einziges Tor. Gekickt wird in Afghanistan inzwischen von 14 bis 21 Jahren, die dort – im Ge- Seitdem geht es jedoch langsam auf- auf vielen Ebenen. In Kabul spielen 34 gensatz zu den männlichen Sportsfreunden wärts, wenn auch weiterhin mit Wellen- Mannschaften, davon Traditionsklubs wie – kostenlos dem runden Leder nachjagen kön- tälern. Im Januar 2003 verlor man bei Maiwand und Isteqlal (Unabhängigkeit) so- nen. Dazu gehören Zohra und Mina, beide den Südasien-Meisterschaften zwar wieder wie Polizei- und Armeeteams in zwei Spiel- 14 Jahre alt und aus dem fußballverrückten gegen Indien, Pakistan und Sri Lanka, aber klassen um Meisterschaft, Auf- und Abstieg. Iran zurückgekehrt, wo sie begeistert Spiele nur noch knapp. Die FIFA nahm Afghanistan Daneben gibt es etwa 100 Straßenmann- ihrer Favoriten Brasilien und Argentinien im offiziell in ihre Rangliste auf, mit sieben schaften, viele davon in einheitlichen Tri- Fernsehen verfolgten und es dann auch selbst Punkten auf dem 204. und damit letzten kots, in denen man sie frühmorgens in städ- probieren wollten. Inzwischen gibt es eine Ka- Platz. Im vergangenen November gelang tischen Parks joggen sieht. Auch in anderen buler Auswahl, und die 16-jährige Jamila ist dann der viel umjubelte erste internationale Städten wie Kandahar, Herat und Kunduz ihre Kapitänin. Mit einer Reise nach Teheran Sieg, mit 2:1 gegen Sri Lanka. – dort sind deutsche Friedenstruppen statio- im Sommer 2005 hat sich ihr erster Traum Ein Rückschlag kam auf der ersten Euro- niert und helfen beim fußballerischen Wie- von internationalen Wettkämpfen schon erfüllt. pareise nach Italien, als sich neun Spieler deraufbau – hat organisierter Spielbetrieb Jetzt wünscht sie sich – eine Trainerin. absetzten, um politisches Asyl zu erlangen. begonnen. Nationaltrainer Lali holt sich von Die Hilfsorganisation Handicap Internati- Einige wurden verhaftet, als sie ohne Pässe dort zunehmend Spieler ins Team. onal hat 35.000 Euro von der FIFA und tech- die Grenze in Richtung Deutschland über- Die deutsche Regierung war der erste nische Hilfe vom DFB erhalten, um Behinder- queren wollten. Der afghanische Verband internationale Helfer für den afghanischen ten das Fußballspielen zu ermöglichen. Trai- löste kurzerhand das Team auf und ordnete Fußball. Auch Nationalcoach Ali Lali wird ner Sayyed Kabir Haschemi ist sich sicher: einen Wiederaufbau aus jungen Spielern aus dem Deutsch-Afghanischen Fußball- „Wenn ich bessere Trainingsmöglichkeiten an. Ein Verbandssprecher sprach von einer projekt finanziert, das Deutscher Fußball- hätte, könnten meine Jungs jedes Team der „Entehrung des Landes“. Ein paar in der Bund (DFB) und Nationales Olympisches Welt schlagen.“ (taz vom 24.2.2004) Als deutschen Oberliga – bei Altona 93, SV Komitee umsetzen, ebenso wie eine Reihe er jung war, spielte er selbst aktiv, bis eine Lurup, Bergedorf 85 und Darmstadt 98 von Mädchenteams. Lehrerinnen werden Rakete in die Bäckerei einschlug, in der er – spielende Afghanen sprangen ein und zu Trainerinnen und Schiedsrichterinnen gerade einkaufte, und ihm ein Bein abriss. verstärken seither die neue Mannschaft. ausgebildet. „Ich wollte, dass die Leute wis- Trotzdem bereiten sie Ali Lali Kopfzerbre- Thomas Ruttig arbeitet in der Deutschen Botschaft in sen, dass Frauen dasselbe machen können Kabul und ist Redaktionsmitglied des INKOTA-Briefs. chen, denn ihre Anreise zu Heimspielen wie Männer“, sagte Maleha Ghani Baraki, Anmerkung: übersteigt die finanziellen Möglichkeiten die in der hauptstädtischen Zarghuna-Ober- 1 Von diesem Ereignis berichtet Johan Kramers her- des Verbandes. Der sportliche Aufschwung schule zwölf Mädchen trainiert. Alle müssen vorragender Dokumentarfilm „The Other Final“.

Sigrid Haller Die Ware Frau Zur Fußball-WM machen Frauenorganisationen gegen Zwangsprostitution mobil

Die Fußball-WM 2006 verspricht das seit langem erwartete Wunder für Erfahrungen bei anderen großen Sportver- die deutsche Wirtschaft zu werden. Doch nicht nur die Nachfrage nach anstaltungen auch die Nachfrage nach se- xuellen Dienstleistungen. Wie viele von den Trikots, Schals und Bier wird während dieser Zeit stark zunehmen – auch zusätzlichen Prostituierten dies aus Zwang die Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen steigt erfahrungsgemäß tun werden, ist jedoch noch unklar – auch bei sportlichen Großereignissen sprunghaft an. Deshalb gibt es zur WM wenn seit Monaten die Zahl 40.000 durch jetzt gleich zwei Kampagnen, die sich gegen Zwangsprostitution wen- die Medien geistert. Mittlerweile wird diese den und dabei vor allem die Freier ansprechen. Sie hätten am ehesten Schätzung allerdings als zu hoch einstuft. Laut EU-Angaben werden jährlich die Möglichkeit, aufgrund von Anzeichen wie Verängstigung, Desorien- 500.000 Frauen von skrupellosen Menschen- tierung und Überwachung einer Frau Zwangsprostitution zu erkennen händlern in europäische Länder verschleppt, und anzuzeigen. um sie dort als Prostituierte oder auch billige Arbeitskräfte zu verkaufen. Hoffnungslosig- Experten sind sich einig, dass diesen Som- len nach Deutschland verschleppt werden keit und die schlechte wirtschaftliche Lage mer vermehrt Frauen aus vor allem osteu- könnten. Der Grund: Die Fußball-Weltmeis- in ihren Heimatländern machen viele Frauen ropäischen Ländern unter Vorspiegelung terschaft. Wo viele, vor allem männliche, anfällig für dubiose Anwerber vor Ort. Es falscher Tatsachen und gegen ihren Wil- Fans zusammenkommen, steigt nach den sind meist junge Frauen aus Mittel- und

INKOTA-Brief 135 • März 2006 25 FUSSBALL GLOBAL

Osteuropa, die sich vom Versprechen einer Dass im Europa des 21. Jahrhunderts minalbeamter und dem bundesweiten Ko- attraktiven Arbeitsstelle im Ausland locken noch immer Frauen als Zwangsprostituierte ordinierungskreis gegen Frauenhandel und lassen. Die Anwerber können Bekannte sein versklavt werden, kann nicht hingenom- Gewalt unterstützt. Die Schirmherrschaft oder auch Agenturen, die sie für 2.000 bis men werden. Um gegen diese Praktiken hat neben Zwanziger auch der Regierende 10.000 Euro an Zuhälter und Bordelle wei- und Zustände etwas zu unternehmen, rief Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, ter verkaufen. Auf diese Weise beschert der TERRE DES FEMMES 1999 die „Männer- übernommen. Der Deutsche Frauenrat ruft Handel mit Frauen dem organisierten Ver- kampagne“ ins Leben. Sie forderte als alle interessierten Gruppen und Organisa- brechen weltweite Gewinne von rund zwölf eine des ersten Organisationen überhaupt tionen im ganzen Land dazu auf, sich bis Milliarden Euro pro Jahr – dies entspricht der Freier auf, Verantwortung zu übernehmen zur WM in vor Ort bestehende Bündnisse geschätzten Gewinnspanne des weltweiten – hinzuschauen, wenn Wegschauen doch gegen Menschenhandel und Zwangspros- Waffen- und Drogenhandels. soviel leichter wäre. Denn es sind die Freier, titution einzuklinken und neue Bündnisse zu die bei bestimmten Anzeichen – auffällige gründen, wo keine bestehen. Dabei sollen Verletzungen und blaue Flecken, fehlende nach Möglichkeit Prostituiertenverbände Moderne Sklaverei: Sprachkenntnisse, die Frau nimmt das Geld zur Mitarbeit gewonnen werden. Wogegen Zwangsprostitution nicht selbst entgegen – als erste handeln sich der DFR vehement wehrt ist eine Bestra- Normalerweise müssen bereits deutsche und Hilfe suchen können. fung der Freier von Zwangsprostituierten, Prostituierte ein hohes Maß an Gewalt und da sich dadurch die Prostitution wieder in Erniedrigung erdulden, doch ausländische, ein Dunkelfeld zurückziehen könnte. hierher verschleppte und in die Prostitution Kampagnen zur WM Eine weitere Kampagne läuft unter dem gezwungene Frauen haben ein noch viel Für die WM-Zeit haben sich nun viele Ver- Motto „Stoppt Zwangsprostitution“. Sie wird härteres Schicksal zu ertragen. Obwohl man- eine und Organisationen die Aufklärung von dem in Frankfurt ansässigen Verein Frau- che Frauen von Anfang an wussten, dass sie über den Handel mit Frauen zum Zweck enrecht ist Menschenrecht (FiM) organisiert im Rotlichtmilieu arbeiten würden, konnten der sexuellen Ausbeutung zur Aufgabe ge- und soll ebenfalls bundesweit Einfluss neh- sie sich doch nicht wirklich vorstellen, was es macht. Eine wichtige Rolle spielt dabei die men. In einer Befragung wurde festgestellt, bedeuten würde, 20 Freier am Tag bedienen Ansprache und Sensibilisierung von Freiern. dass Opfer von Menschenhandel Signale zu müssen, erpresst, bedroht und einem bru- Der Deutsche Frauenrat (DFR) präsentierte an einzelne vertrauenswürdige Männer sen- talen Zuhälter ausgeliefert zu sein. am Weltfrauentag bei einer Pressekonferenz den, diese aber nicht reagieren. Daher hat Die Frauen selbst erhalten so gut wie kei- zusammen mit dem Deutschen Fußball-Bund die FiM eine Indikatorenliste entwickelt, an nen Lohn, da die Menschenhändler diesen (DFB) die Kampagne „Abpfiff – Schluss der Männer potentielle Zwangsprostituierte für überhöhte Wohn- und Verpflegungskosten mit Zwangsprostitution“. DFB-Präsident Theo erkennen können. Schirmherrin der Kam- sowie Transportkosten kassieren. Derart er- Zwanziger gab dabei freimütig zu, dass der pagne ist Heide Simonis, die Vorsitzende pressbar werden die Frauen durch fehlende DFB „die Tragweite des Ganzen“ zunächst von UNICEF Deutschland. Ausweispapiere und ihren illegalen Aufent- unterschätzt habe. Erst spät rang man sich haltsstatus. Auch fehlen ihnen meist jegliche dazu durch, die Kampagne zu unterstützen. Weitere Informationen unter www.frauenrat.de und Orts- und Sprachkenntnisse. Während ihrer Die „Abpfiff“-Kampagne wird von am- www.stoppt-zwangsprostitution.de.

Arbeit in den Bordellen infizieren sich zudem nesty international, der Gewerkschaft der Sigrid Haller arbeitet zurzeit bei der Frauenrechts- viele Frauen mit Hepatitis oder HIV. Polizei, dem Bundesverband deutscher Kri- organisation TERRE DES FEMMES in Tübingen.

Anna Schulte Mario, Marimacho, Marigol Ein Portrait der mexikanischen Weltklassespielerin Maribel Domínguez Castelán

Sie gilt als die erfolgreichste mexikanische Fußballerin überhaupt. Im Mädchen Unterstützung. Mit zehn Jahren Jahr 2005 war sie zur Weltfußballerin des Jahres nominiert. Aufgrund begann sie in einer Jungenmannschaft Fuß- ball zu spielen. Um nicht ausgeschlossen zu ihrer Torgefährlichkeit wird sie auch „Marigol“ genannt – angelehnt an werden, gab sie sich unter dem Decknamen „Batigol“, den argentinischen Weltklassestürmer Gabriel Batistuta. Doch „Mario“ als Junge aus. Ihr Kurzhaarschnitt nicht nur ihr Spitzname verrät die Nähe der heute 27-jährigen mexikani- und das jungenhafte Auftreten, gepaart mit schen Nationalstürmerin Maribel Domínguez zum Männerfußball. ihren fußballerischen Fähigkeiten ließen niemanden Verdacht schöpfen. Maribels Begeisterung für den – nicht nur in am kategorischsten gegen die Fußballallü- Zwei Jahre spielte sie als Junge getarnt, Mexiko – von Männern dominierten Sport ren seiner Tochter war, starb, als sie 13 Jah- bis ein Talentscout des regionalen Fußballs- konnten weder ihre Eltern, Brüder noch das re alt war. Sie kickte (heimlich) auf der Stra- verbands sie entdeckte. Zuerst kickte sie traditionelle Rollenbild ihres Umfelds brem- ße, die Mutter versteckte ihre Turnschuhe weiter mit Jungs, mit zwölf spielte sie dann sen. Als Jüngste von neun Geschwistern und versuchte ihr den Sport auszureden. in einer Mädchenliga, später in unterschied- wuchs Maribel in einem der vielen Armen- Weder von der Familie noch von Seiten lichen Frauenteams in Mexiko-Stadt. Ihr viertel von Mexiko-Stadt auf. Ihr Vater, der eines Vereins bekam Maribel als junges immer noch kurzes Haar und ihre technisch

26 INKOTA-Brief 135 • März 2006 FUSSBALL GLOBAL versierte, schnelle und überaus torgefähr- entschlossen, das Experiment zu wagen, um es zumindest versucht.“ liche Spielweise ließen damals die Vermu- „zu lernen, stärker zu werden und später in Beim FC Barcelona spielt Maribel derzeit tung aufkommen, da habe sich ein Mann in einer Frauenmannschaft noch besser zu sein sehr erfolgreich. Bereits innerhalb ihrer den Frauenfußball geschmuggelt. Als eine als zuvor“. Zudem begründete sie ihre Ent- ersten Spiele schoss sie das Team aus den Instruktorin es tatsächlich wagte, sie aufzu- scheidung damit, dass es in Mexiko bisher Abstiegsrängen. Die Vorstellung von ge- fordern, ihre Hose herunterzulassen, um zu nicht einmal eine „ernst zu nehmende Ama- mischten Fußballteams reizt sie jedoch noch beweisen, dass sie eine Frau sei, antwortete teurliga“ für Frauen gäbe und sie deshalb immer: „Mit Männern zu spielen ist die Maribel: „Einverstanden, aber nur, wenn zu wenig gefordert sei. einzige Art und Weise wie Fußballerinnen sie gleichzeitig dasselbe tun.“ Doch ihr Vorhaben wurde von der FIFA wirklich lernen und wachsen können“, sag- Oft auch neidvoll und spöttisch wurde sie abgeschmettert – obwohl der mexikanische te sie im Oktober 2005 und zeigte sich „Marimacho“ genannt. Doch die fußballbe- Fußballverband seine Zustimmung erteilt optimistisch, dass gemischte Mannschaften sessene Mexikanerin lies sich nicht beirren: hatte. Der Präsident des Weltfußballver- bald kein Tabu mehr sind. Mit zwanzig wurde sie 1999 in die Natio- bands, Joseph Blatter, begründete die Ent- Kurz zuvor hatte die 16-jährige spa- nalmannschaft aufgenommen. Kurz darauf scheidung damit, dass es eine klare Tren- nische Mittelstürmerin Virginia Jiménez als ging sie in die USA. Dort spielte sie zuerst nung zwischen Männer- und Frauenfußball erste Frau in einem Männerteam in einem bei Kansas City Mystics und ab 2003 als geben müsse. Die Regeln für Ligen und offiziellen Liga-Spiel mitgespielt. Sie war für Profi bei Atlanta Beat. Aus „Marimacho“ Länderspiele seien klar und ließen keine den kleinen Verein Igualeja C.D. in einer wurde „Marigol“. Ausnahmen zu. Interessant, dass die an- Bezirksliga-Begegnung gegen Villanueva

Maribel Domínguez Castelán, genannt Marigol, zeigt es allen: „Fußball ist keine Männersache“

Nach der Auflösung der US-amerika- geblichen „Macho-Mexikaner“ hier offener de Algaidas C.D. 55 Minuten im Einsatz. nischen Frauenprofiliga WUSA kehrte Do- waren als die Fußballfunktionäre im „aufge- Dies war durch eine Statutenänderung in mínguez nach Mexiko zurück, spielte weiter klärten“ Europa. der Federación Andaluza de Fútbol ermög- erfolgreich in der Nationalelf, jedoch in Im Nachhinein kamen kritische Stimmen licht worden, die besagt, dass Frauen in keinem Verein. 2004 nahm sie mit der auf, die behaupteten, Maribel habe sich Männerteams beziehungsweise Mädchen mexikanischen Nationalmannschaft an den auf den Deal mit Celaya von Beginn an in Jungenmannschaften dann eingesetzt olympischen Spielen in Athen teil. In diesem nur eingelassen, um Medienöffentlichkeit werden dürfen, solange mindestens fünfzig Jahr hatte sie eine überdurchschnittliche zu erlangen. Tatsächlich konnte die Welt- Prozent der Mannschaft männlich ist. Dies Torquote von 45 Treffern in 46 Spielen im klassestürmerin kurze Zeit später einen Pro- gilt zwar nur auf regionaler Ebene, ist aber Nationaltrikot. Ins Rampenlicht der weltwei- fivertrag für das Frauenteam des FC Barce- dennoch ein Novum in der spanischen ten Öffentlichkeit gelangte sie jedoch nicht lona unterschreiben, wo sie bis heute spielt. Fußballgeschichte. „Das war ein wichtiger aufgrund ihrer fußballerischen Qualitäten, Als Grund für ihr Vorhaben, sich in einer erster Schritt – hoffentlich nicht der letzte. sondern als Dezember 2004 bekannt wur- Männermannschaft zu versuchen, betonte Die Dinge ändern sich langsam und die de, dass sie einen Zweijahresvertrag mit sie jedoch immer, dass es ihr nie darum Mentalitäten auch. Fußball ist keine reine dem mexikanischen Zweitligaverein Atlético ging, bekannt zu werden, sondern dass sie Männersache“, so Maribel von der Presse Celaya unterschrieben hatte – für das Män- schlicht und einfach probieren wollte, was dazu befragt. nerteam. für unmöglich gehalten wird. Mit ihrer Körpergröße von 1,61 Meter und einem Gewicht von nur 54 Kilogramm Mit dem Subcomandante Unmöglich: Frauen im wollte die zierliche Stürmerin beweisen, gegen Inter Mailand Männerfußball dass Frauen fußballerisch sehr wohl mit Ob auch die großen Vereine beziehungs- Die Vorstellung von Frauen im Männer- Männern mithalten können. Sie hatte bereits weise die FIFA sich auf derartige Experi- fußball entfacht immer wieder heiße Dis- ein Spezialtraining begonnen, um Gewicht mente einlassen werden, ist eher zweifel- kussionen. Bereits im Jahr zuvor hatten zuzulegen, und Krafttraining absolviert. haft. Auch unter FußballspielerInnen gibt es die deutsche Nationalspielerin Birgit Prinz Nach der FIFA-Entscheidung sagte sie da- geteilte Meinungen über gemischte Teams. sowie die Schwedinnen Hanna Ljungberg mals: „Ich wollte lediglich eine Chance Grundsätzlich aber ist es fraglich, ob an und Victoria Svensson ein Angebot des ita- bekommen. Mir ist durchaus bewusst, dass dieser Stelle Verbote überhaupt notwendig lienischen Serie-A-Clubs AC Perugia ausge- die Männer kräftiger und schneller sind als sind, würde doch die Praxis lehren, ob Frau- schlagen. Auch da war das Medieninteres- ich. Wenn es nicht geklappt hätte, wäre ich en und Männer gemeinsam Fußball spielen se riesig gewesen. Doch anders als die Eu- die erste gewesen, die gesagt hätte: Ich können und wollen. ropäerinnen, war Maribel Domínguez fest kann es nicht, es geht nicht. Aber ich hätte Eine Möglichkeit, in naher Zukunft inter-

INKOTA-Brief 135 • März 2006 27 FUSSBALL GLOBAL national gemeinsam mit Männern kicken zu spielen. Mit Barcelona möchte sie die Profiklubs der Männer. zu können – fernab aller FIFA-Regeln –, Meisterschaft gewinnen, vielleicht auch ein- Anna Schulte ist Geschäftsführerin der Zeitschrift könnte Marigol vielleicht bald bekommen. mal in einem Verein in Deutschland, Schwe- Lateinamerika Nachrichten in Berlin. Obwohl sie bisher nicht dazu eingeladen den oder Brasilien spielen. Doch obwohl sie wurde, machte sie deutlich, dass sie sich momentan in Europa kickt, liegt ihr der Fuß- Die Zitate stammen aus dem Beitrag „Dribbelnd aus dem Elend“ von Rainer Hennies (FIFA magazine vom gut vorstellen könnte, für das Team von ball in Mexiko besonders am Herzen. Gern September 2004), aus The Guardian vom 5.1.05, Subcomandante Marcos im geplanten Spiel würde sie später als Trainerin zurückkehren www.ffnews.de, FF-Stories vom 17.12.2004 sowie aus den Ausgaben der La Jornada vom 20.1.04, 3.6.05 und gegen Inter Mailand anzutreten. „Ich glau- und den mexikanischen Frauenfußball be- 12.10.05. be, für viele würde das (Spiel) ein Zeichen kannter und „gesellschaftsfähiger“ machen: Der Beitrag ist ein Vorabdruck aus dem Ende März des Friedens bedeuten, das scheint mir das „Ich möchte all den vielen Mädchen den erscheinenden Buch von Dario Azzellini und Stefan wichtigste.“ Weg einfacher machen, als es meiner war.“ Thimmel (Hg.): Futbolistas. Fußball und Lateinamerika: Hoffnungen, Helden, Politik und Kommerz. Verlag As- Persönlich hat Maribel Domínguez je- Wenn es nach ihr ginge, gäbe es bald eine soziation A, Berlin/Hamburg 2006, 256 Seiten, 18 Euro. doch vor allem ein Ziel: Erfolgreich Fußball mexikanische Frauenliga, angelehnt an die Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Andreas Rosen Futbolistas Ein Sammelband präsentiert den Fußball in Lateinamerika

„Ein Fußballbuch von Linken? Das hätte es Diktaturen in Chile (bei der WM 1974 in intervenierte beim ARD-Intendanten, als ein vor 20 Jahren nicht gegeben!“ sagte mein Deutschland) und in Argentinien (bei der Pfarrer beim „Wort zum Sonntag“ die DFB- Bekannter sehnsüchtig und lieferte damit WM 1978 im eigenen Lande). Unschöne Funktionäre aufforderte, Menschenrechts- eine ungenaue Steilvorlage zur Doppel- Szenen zu den Menschenrechtsverletzungen verletzungen und Folter in Argentinien zu passfrage von linken Flanken und linken des Pinochet-Regime in Chile und der Mili- thematisieren. Köpfen. Qualifizierter als mein Bekannter tärjunta in Argentinien sollten dem Fußball Aber es sind nicht nur die politischen äußern sich da die AutorInnen in dem von zuliebe im wahrsten Sinne des Wortes und ökonomischen Einwürfe (z.B. über Dario Azzellini und Stefan Thimmel heraus- die miserablen Arbeitsbedingungen in den gegebenen Sammelband „Futbolistas – Fuß- zentralamerikanischen Zulieferfirmen von ball und Lateinamerika“. Denn dort wird Adidas und Nike), die diesen Sammel- unter anderem in einem Beitrag von Jan band interessant machen. Lesenswert ist Dunkhorst die Theorie des argentinischen das Buch letztlich wegen der vielen kurz- Trainers Cesar Luis Menotti „vom linken weiligen Dribblings jenseits des Flutlichtes: Fußball“ demontiert und folgerichtig auf zum Beispiel Anna Schultes Portrait der die Stilfrage des schöneren, intelligenteren mexikanischen Starstürmerin Marigol, die Fußballs zurechtgestutzt. Beschreibungen von Dirk Hoffmann über Überhaupt geht es den Herausgebern den Vorsitzenden der bolivianischen „In- und AutorInnen der insgesamt 45 Beiträge digenen Bewegung Pachakuti“, der mit viel um Entzauberung und Kontextualisie- seinen Abgeordnetendiäten in seiner Hei- rung des lateinamerikanischen Fußballs in matregion Fußballschulen aufbaute, um in- einer global(l)isierten Welt. So ist für den digene politische Führungspersönlichkeiten uruguayischen Schriftsteller und Fußballfan auszubilden, oder die Doppelrausch-Analy- Eduardo Galeano ein Blick in die Fuß- se „Gott ist rund“, bei der Daniela Chiaretti ballwelt eine Hilfe, um die Welt besser zu die bedrohliche Wirkung des Cocktails von verstehen. Was Fußballer mit Rohstoffen ge- Religion und Fußball in Brasilien untersucht. mein haben und wer bei der Wertabschöp- Liest man schließlich noch Dario Azzellinis fung kräftig absahnt, beleuchtet Gerhard Artikel über die erstaunliche Unterstützung Dilger in seinem Beitrag über Korruption von Inter(nazionale) Mailand und italie- und Spielerexporte beim weltweit größten Dario Azzellini, Stefan Thimmel (Hg.): Futbolistas. nischen Fangruppen für den lokal-globalen Exporteur von Fußballerwaden: Brasilien. Fußball und Lateinamerika: Hoffnungen, Helden, Kampf der Zapatisten, so ist die Theorie Politik und Kommerz. Verlag Assoziation A, Berlin/ Rund 5.000 brasilianische Profis spielen in Hamburg 2006, 256 Seiten, 18 Euro. vom linken Fußball zwar nicht rehabilitiert. 72 nationalen Ligen. Aber man darf den Ball flacher halten und Ob Galeano auch an das Desinteresse ausgeblendet werden. Da wurden dann mit den Worten des französischen Amateur- von Politik und Sport gegenüber den Men- beim WM-Spiel BRD gegen Chile 1974 torwartes und Schriftstellers Albert Camus schenrechten dachte, ist unklar: Eindeu- schon mal im Berliner Olympiastadion die bestätigen: Alles was ich über Solidarität tig sind hingegen die Beiträge von Petra Mikrophone abgeschaltet, als eine Gruppe weiß, habe ich beim Fußball gelernt. Schlagenhauf und Wolfgang Kaleck zum der West-Berliner Chilesolidarität den Rasen Andreas Rosen ist entwicklungspolitischer Referent gnadenlos opportunistischen Umgang des stürmte und „Chile si, Junta no“ skandierte. der Stiftung Nord-Süd-Brücken und seit 1971 leidens- Deutschen Fußball-Bundes (DFB) mit den Und der DFB-Präsident Herman Neuberger bereiter Fan von Borussia Mönchengladbach.

28 INKOTA-Brief 135 • März 2006 FUSSBALL GLOBAL Das Spiel um die Aufmerksamkeit Die Nord-Süd-Szene und die WM in Deutschland

Ob Biermarken, Telefonanbieter oder Autohäuser – viele wollen die Auf- aus Deutschland. Dabei geht es auch um merksamkeit rund um die Fußball-Weltmeisterschaft für sich nutzen. So die soziale und kulturelle Dimension des auch die entwicklungspolitischen Organisationen. Hier ein kleiner Über- Spiels. Fußball und Umweltschutz, Fußball blick über Angebote rund um die FIFA-WM 2006 – und über alternative für Toleranz, Fußball gegen Gewalt werden Fußball-Weltmeisterschaften. thematisiert und praktiziert. Das festival 06 ist Beitrag zum offiziellen Kunst- und Kulturprogramm der FIFA-WM und wird auf Auslandsprojekte fairem Handel informiert. dem Mariannenplatz in Berlin-Kreuzberg www.fairplay-fairlife.de. Fußball ist ein Weg, um Fairness, Toleranz ausgetragen. und friedliche Konfliktlösung zu vermitteln. www.streetfootballworld.org. In Brasilien, Ghana oder Kolumbien genau- Globlisierungskrimi für so wie in Deutschland. Fußball ermöglicht Jugendliche Wettbewerb für faire Bälle Austausch zwischen Menschen, Ideen, Kul- Hira ist neu in der Klasse und bei allen be- turen. Im WM-Jahr 2006 ist Fußball und Mit dem Wettbewerb „be fair – be friends/ liebt, besonders bei Nico, dem Stürmer der Entwicklung daher das Schwerpunktthema Freistoß für faire Bälle“ rufen aej, BDKJ, Fußballmannschaft. Nico bekommt einen des ASA-Programms, das jedes Jahr rund der Fair Trade Verein, Misereor und die Werbevertrag bei einem internationalen 300 jungen Menschen zwischen 20 und 30 Weltenretter dazu auf, mit Kreativität, En- Sportartikelhersteller und wird zum Star der Jahren einen Aufenthalt in „Entwicklungs- gagement, Spaß und Witz, all denen eine Schule. Als der Konzern dann zum Sponsor ländern“ ermöglicht. Unter dem Motto „Aus Stimme zu verleihen, die unter miserablen der Schule wird, läuft plötzlich alles schief. der eigenen Hälfte herauskommen – football Arbeitsbedingungen die Bälle herstellen, Aus der Liebesgeschichte wird im Handum- for development“ gibt es eine eigene Seite die über unsere Fußballfelder rollen. Die drehen ein globaler Krimi. im Internet. Dort findet man Wissenswertes Teilnahmebedingungen zum Wettbewerb „Der Ball ist rund“ – ein Theaterstück von rund um das Thema sowie aktuelle Infor- finden sich auf der Homepage. Zu gewin- Thomas Ahrens (GRIPS-Theater Berlin) wird mationen aus den ASA-Fußballprojekten in nen gibt es Eintrittskarten für Spiele der von SchülerInnen und StudentInnen unter Afrika, Asien und Lateinamerika. deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Leitung von Frank Hohl (Theaterpädagoge) www.fussball-projekt.de. www.be-fair-be-friends.de. und Anne Schicht (Entwicklungspolitisches Netzwerk Sachsen) einstudiert. Aufführungs- WM-Schulen Entwicklung und Sport termine: 1., 3. und 4. Juni 2006, 20 Uhr im Im WM-Jahr rückt das VENRO-Projekt „Ent- Projekttheater (Dresden), 9. Juni 2006 im „Fair play for fair life“ – unter diesem Motto wicklung und Sport“ die entwicklungspoli- Haus der Demokratie (Berlin). vertreten 205 Schulen in ganz Deutschland tische Dimension des Sports in den Fokus: „Der Ball ist rund“ kann für die eigene bis zur Fußball-WM jeweils eine FIFA-Na- Welche Rolle spielt Sport in der Entwick- Schule oder Kirchgemeinde gebucht wer- tion. Das große WM-Schulfinale findet im lungszusammenarbeit? Welche Potenziale den. Anfragen: Anne Schicht, Tel.: 0351/ Juni in Potsdam statt (ausführliche Informati- hat er als Mittel und Mittler? Eine Fachta- 4923364, [email protected]. onen im Weltladen-Brief in diesem Heft). gung (4. Mai 2006) und eine europäische www.wmschulen.de. Summer School (11. bis 18. Juni 2006) Obdachlosen-WM Zusammengestellt von Armin Massing. greifen die Ergebnisse des UN-Jahrs des Sports 2005 auf und wollen der Diskussi- Seit 2003 wird jährlich der „Homeless ANZEIGE on über eine erfolgreiche Verbindung von Worldcup“ ausgetragen. In diesem Jahr Sport und Entwicklung neue Impulse geben. findet er vom 24. bis 30. September in Die Online-Datenbank auf der Homepage Kapstadt statt. Damit ist die Obdachlosen- von „Entwicklung und Sport“ informiert über WM schon vier Jahre vor der FIFA-WM in Initiativen und Projekte zum Thema Entwick- Südafrika. Die Obdachlosen-WM geht auf lungszusammenarbeit und Sport. Dort kann eine Idee des „Internationalen Netzwerks man auch eigene Projekte, die Sport und der Straßenzeitungen“ zurück. Sie soll die Entwicklung verbinden, vorstellen (Rubrik weltweite Allianz im Kampf gegen Armut „Projekte“). stärken. www.entwicklung-und-sport.de. www.streetsoccer.org. Faire Bälle Straßenfußball-Weltmeister- # 291 schaft Die Kampagne „fair play – fair life“ bringt Entdecken, erobern, erholen faire Bälle ins Spiel. „Wenn die ganze Welt Parallel zur FIFA-WM findet das „festival (Post-)Koloniale Reisebilder im fairen Spiel vereint ist, dann soll auch 06“, die erste Straßenfußball-WM, vom 1. t auf der ganzen Welt zu fairen Bedingungen bis 8. Juli in Berlin statt. Teams aus fünf Kon- Außerdem: Bose und die Nazis t Europa im Kosovo t Kunst und gearbeitet und gelebt werden“, so die tinenten spielen unter der Schirmherrschaft t

Zeitschrift zwischen Nord und Süd Politik in Chile Tourismus in Forderung. Auf der Homepage finden sich von Bundestrainer Jürgen Klinsmann um den Townships t Register 2005 … viele Informationen zu fair gehandelten Bäl- Titel. Fußballer aus einem Slum in Kenia t Einzelpreis Q len. Sie können auch samt Trikots direkt dort kicken gegen ein gemischtes israelisch- 4,- bestellt werden. Außerdem gibt es einen palästinensisches Team. Jugendliche aus iz3w t Telefon (0049)+761 – 740 03

iz3w [email protected] · www.iz3w.org Newsletter, der regelmäßig zu Fußball und Afghanistan spielen gegen Straßenfußballer

INKOTA-Brief 135 • März 2006 29 BLICKWECHSEL

Gefangen im Transit Ein Fotoessay über die Situation afrikanischer Flüchtlinge zwischen Spanien, Marokko und Deutschland

Unterwegs. Tausende Flüchtlinge machen sich jährlich auf den Weg, um das Ziel ihrer Träume zu erreichen: Europa. Jährlich werden es mehr. Gleichzeitig gibt die Europäische Union mehr Geld denn je für die Sicherung ihrer Außen- grenzen gegen „illegale“ Flüchtlinge aus – und lagert das Problem aus: So genannte „sichere Drittstaaten“ erhalten Gelder für den Grenz- schutz und die Verantwortung zur Sicherung der EU-Außengrenzen. Die Folgen für die Flüchtlinge sind verhee- rend. Denn die Menschenrechtsstandards, die von Polizei und Militär in Ländern wie Algerien oder Marokko bei der Flüchtlingsbekämpfung ansetzt werden, verdienen diesen Namen meist nicht. Die Berliner Fotografin Leona Goldstein voll- zieht in ihrem fotografischen Essay „Hold the line“ diesen Weg der Flüchtlinge von Algerien über Marokko und Spanien bis nach Deutsch- land nach. Der INKOTA-Brief zeigt eine kleine Auswahl aus diesem Essay. Weitere Informati- onen unter www.zapanka.net.

Alle Fotos: Leona Goldstein

Grace aus Nigeria mit ihrer fünf Monate alten Tochter, die beinahe in einem marokkanischen Gefängnis zur Welt gekommen wäre. Sie lebt in einer „illegalen“ Flüchtlingsunterkunft in der Altstadt von Tanger und wartet auf die nächste Chance, nach Europa überzusetzen: „Ich fahre noch dieses Jahr nach Europa. In Spanien werden sie für mich und mein Kind sorgen, sie werden mir Arbeit geben und alles wird gut.“

Im sterilen Auffanglager „CETI“, welches mit Geldern der EU finan- „Freizeitraum“ im Abschiebegewahrsam Berlin-Köpenick: Endstation ziert wurde. Wer es bis hierher geschafft hat, gehört zu den „Glück- für viele „illegale“ Flüchtlinge. Viele Flüchtlinge sind froh, wenn sie lichen“: Das Ziel Europa ist einen entscheidenden Schritt näher ge- es überhaupt bis Deutschland geschafft haben. Ärzte ohne Grenzen kommen. Viele der hier abgelehnten Flüchtlinge versuchen nach ihrer schätzt, dass in den letzten zehn Jahren allein zwischen Marokko und Abschiebung, „illegal“ nach Europa einzureisen. Spanien mehr als 6.300 MigrantInnen ums Leben gekommen sind.

30 INKOTA-Brief 135 • März 2006 BLICKWECHSEL

Flucht vor einer Razzia auf dem Universitätsgelände in Tanger. Bislang waren auf dem Campus keine Polizeiakti- onen zulässig. Auf Drängen der EU und durch die damit verbundenen finanziellen Zuwendungen sind Razzien hier inzwischen an der Tagesordnung.

Blick aus dem offiziellen Auffanglager „CETI“ in der spanischen Enklave Ceuta. Das Lager fasst 544 Personen, von denen rund 90 Prozent direkt nach der Aufnahme wieder in ihre Ursprungsländer abgeschoben werden. Andere müssen Monate oder Jahre auf die Überprüfung ihres Asylantrags warten.

INKOTA-Brief 135 • März 2006 31 ÖKUMENE

Konrad Raiser Schwierige Verständigung in Porto Alegre Nord-Süd-Differenzen in der ökumenischen Diskussion zur Globalisierung

Im Februar tagte die 9. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der te. Dann folgte zunächst ein theologischer Kirchen im brasilianischen Porto Alegre. In der Debatte um das AGAPE- Beitrag von Nancy Cardoso, methodisti- sche Pfarrerin und Dozentin am Methodis- Dokument über Alternativen zur wirtschaftlichen Globalisierung konnte tischen Seminar in Porto Alegre. Sie trug, keine gemeinsame Position gefunden werden. Zu unterschiedlich waren inspiriert durch die besonders in Brasilien Vertreter aus dem Süden und aus dem Norden in ihrer Bewertung des verbreitete „populare Lektüre der Bibel“, ei- aktuellen Globalisierungsprozesses. ne an Hesekiel 28 (Gerichtsspruch über den Fürsten von Tyrus) und an der Geschichte Im Vorfeld der 9. Vollversammlung des Erde – AGAPE: Ein Aufruf zur Liebe und von Kain und Abel orientierte prophetische ÖRK in Porto Alegre hatten sich viele Er- zum Handeln“. In Form einer Gebetslitanei, Kritik des globalen Kapitalismus, seiner wartungen gerade in Deutschland auf eine die ausdrücklich den Gebetsruf des Vollver- Auswirkungen und seiner pseudo-religiösen klare Stellungnahme der Vollversammlung sammlungsthemas: „In deiner Gnade, Gott, Legitimierung vor. Die dichte, auf Portugie- zur Globalisierung gerichtet. Seit der letzten verwandle die Welt“ aufnahm und mit einer sisch gehaltene Rede lag nicht schriftlich Vollversammlung in Harare vor sieben Jah- Reihe von Selbstverpflichtungen schloss, vor und wurde von den Dolmetschern leider ren hatte ein breit angelegter ökumenischer sollte es den Rahmen der Diskussion bei der nur sehr unvollkommen wiedergegeben, Reflexionsprozess stattgefunden, dessen Er- Vollversammlung vorgeben. wodurch das Verstehen erschwert war (eine gebnisse im so genannten Agape-Dokument Wie hat die Vollversammlung darauf englische Fassung ist jetzt unter www.wcc- (vgl. INKOTA-Brief 133 vom September reagiert? Im Programm war eine der Ple- assembly.info) verfügbar. 2005) zusammengefasst wurden. Es war narsitzungen dem Thema: „Wirtschaftliche Drei kurze Beiträge (die Ökonomie des eines der Hintergrunddokumente der Vollver- Gerechtigkeit – Eine Welt ohne Armut ist Teilens in der Foccolare Gemeinschaft; die sammlung und diente als Grundlage für das möglich“ gewidmet. Die Moderation dieser traditionellen Lebensformen auf den „Inseln offizielle, vom Exekutivausschuss gebilligte Plenarsitzung war Bischof Wolfgang Huber der Hoffnung“ im Pazifik; die Soziallehre Arbeitsdokument mit dem Titel: „Alternative übertragen worden, der mit einem kurzen der Russisch Orthodoxen Kirche verbunden Globalisierung im Dienst von Menschen und Einleitungsstatement in die Thematik einführ- mit der Formulierung von Verhaltenskodizes

Auf dem Mutirão, dem Begegnungsforum der ÖRK-Vollversammlung, war die Stimmung sehr gut Foto: WCC

32 INKOTA-Brief 135 • März 2006 ÖKUMENE für Wirtschaftsunternehmen) sollten beispiel- batte die Interpretation zurück, das Agape- Ende des Gottesdienstes überreichte Ulrich haft Alternativen schildern. Den Abschluss Dokument verurteile die Globalisierung als Möller dem Pfarrer der Gemeinde einen bildete ein aus Zeitgründen stark gekürzter solche, und schlug vor, in einem nächsten dieser Fußbälle. Bei der Übersetzung seiner und daher eher holzschnittartiger Beitrag Schritt die Prozesse von Bereicherung und kurzen Ansprache kam der sonst sehr ge- zu den ökonomischen Aspekten durch den Verarmung in einzelnen Gesellschaften und wandte Übersetzer in Schwierigkeiten, als es Ökonomen und Politikwissenschaftler Yash zwischen den Ländern des Nordens und des um das Stichwort „fair trade“ ging. Für diese Tandon aus Malaysia, Leiter des South Südens zu untersuchen. in Deutschland sehr bekannte und auch von Centre in Genf. Er nahm die im Apage-Do- Das Plenum war freilich nicht der einzige den Kirchen stark unterstützte Alternative kument formulierte Kritik des neoliberalen Ort, wo an den aufgeworfenen Fragen wei- zur wirtschaftlichen Globalisierung gab es Paradigmas auf, aber es lag ihm vor allen tergearbeitet wurde. Die inhaltliche Arbeit in der brasilianischen Alltagssprache kein daran, die Kirchen in der ökumenischen der Vollversammlung und die Formulierung Äquivalent. Gemeinschaft dazu aufzurufen, die hunder- von Empfehlungen war konzentriert worden So wie hier bewegen wir uns in der te von Alternativen, die besonders auf loka- auf die 22 „Ökumenischen Gespräche“, ökumenischen Diskussion zwischen Nord ler und nationaler Ebene bereits erkennbar die sechs Ausschüsse sowie die zahlreichen und Süd oft auf verschiedenen theologisch- seien, zu unterstützen und zu stärken. Workshops des Mutirão, dem offenen Be- spirituellen und gesellschaftlich-politischen gegnungsforum, zu dem alle Teilnehmer der Sprachebenen, ohne uns wirklich zu treffen Vollversammlung eingeladen waren. Eines und die Unterschiede der Erfahrungen und Umstrittenes der ökumenischen Gespräche beschäftigte Widersprüche in der Wahrnehmung der Agape-Dokument sich in drei Sitzungseinheiten mit dem The- Wirklichkeit zu verstehen. Das Nicht-Ver- Die Reaktion auf diese Präsentation war ge- ma „Der Skandal der Armut und wachsende stehen führt dann leicht zur wechselseitigen spalten und sie spiegelte die Probleme der Ungleichheit“ und in mindestens zehn der moralischen Verurteilung. Verständigung und die unterschiedlichen Workshops im Mutirão wurden unterschied- Der Prozess der Suche nach ökume- Interessen zwischen Kirchen im Süden und liche Aspekte des Globalisierungsthemas nischer Verständigung und entsprechenden im Norden wider, die bereits den Aga- behandelt, darunter in einem speziell das gemeinsamen Initiativen ist daher mit dieser pe-Prozess in den vorgegangenen Jahren Agape-Dokument. Es ist an dieser Stelle Vollversammlung nicht abgeschlossen. Der geprägt hatten. Viele Delegierte aus den nicht möglich, den Ertrag dieser Diskussion Ausschuss für Programmrichtlinien hat eine Kirchen des Südens fanden sich mit ihren zusammenzufassen; manches davon wird Empfehlung zur Weiterarbeit formuliert, Erfahrungen und Fragen in den Beiträgen später im Berichtsband der Vollversamm- die von der Vollversammlung angenommen wieder. Die Reaktion in der deutschen Dele- lung dokumentiert werden. worden ist. Danach soll im Anschluss an gation, aber auch bei anderen Delegierten Die Vollversammlung hat darauf verzich- den Agape-Prozess ein erweitertes Pro- aus Europa, war dagegen sehr kritisch. tet, sich den Agape-Aufruf ausdrücklich gramm in Zusammenarbeit mit anderen Da es im Anschluss an die Präsentation zu Eigen zu machen oder darüber hinaus ökumenischen Partnern in die Wege geleitet – ebenso wie in den übrigen thematischen eine programmatische Erklärung zum Pro- werden. Es soll die theologische Reflexion Plenarsitzungen – keine Möglichkeit zur Dis- blem der wirtschaftlichen Globalisierung zu und die politische, wirtschaftliche und ge- kussion gab, wurde an einem der folgenden formulieren. Zu deutlich waren die Unter- sellschaftliche Analyse weiter vorantreiben, Tage ein offenes Forum anberaumt, um dem schiede in der Einschätzung der Globalisie- den Dialog zwischen religiösen, wirtschaft- dringenden Wunsch nach einer Aussprache rung und Probleme der Verständigung über lichen und politischen Akteuren fördern Rechnung zu tragen. Von den 17 Beiträgen die Antwort der Kirchen. Es bedarf offen- und zum Austausch von konkreten und zu dieser Diskussion kamen elf aus Europa, sichtlich noch weiterer gemeinsamer Arbeit, positiven Initiativen zwischen den Kirchen zwei aus den USA, drei aus Afrika und bis die Gemeinschaft der Kirchen im ÖRK beitragen. Diese Rahmenempfehlung muss einer aus Indien. in der Lage ist, mit einer klaren, glaubwür- nun vom neu gewählten Zentralausschuss Der Grundtenor der europäischen Bei- digen und ethisch begründeten Stimme zu und seinem Programmausschuss in konkrete träge, besonders von skandinavischen De- den Herausforderungen der Globalisierung Arbeitsvorhaben umgesetzt werden. Dabei legierten, zielte auf eine Kritik des ganzen Stellung zu nehmen. muss offensichtlich der Bearbeitung der Agape-Prozesses, der nach ihrer Meinung Kommunikationsprobleme zwischen Nord zu stark von einer negativen, ideologisch ge- und Süd, wie sie bei der Vollversammlung färbten Analyse der Globalisierung bestimmt Suche nach einer erneut deutlich geworden sind, besondere war. Immer wieder wurde in diesem Zusam- gemeinsamen Sprache Aufmerksamkeit geschenkt werden. menhang auf das ausgewogenere, von der Ein kleines Beispiel mag die Kommunikati- Es könnte in diesem Zusammenhang Kommission für Kirche und Gesellschaft der onsschwierigkeiten verdeutlichen. Am Sonn- nützlich sein, sich auf die früheren Erfah- KEK ausgearbeitete Positionspapier zur Glo- tag während der Vollversammlung besuchte rungen im Rahmen der Diskussionen und balisierung vom Oktober 2005 verwiesen. eine größere Gruppe von Vollversammlungs- Auseinandersetzungen zum Anti-Rassismus- Gegenüber dieser Kritik betonten die Spre- teilnehmern den Gottesdienst einer pfingst- Programm zu besinnen, wo es schließ- cher aus Südafrika und Tansania, dass der lichen Gemeinde in Porto Alegre. Darunter lich gelang, zu einer von allen Kirchen Agape-Prozess eine notwendige Diskussion war auch Ulrich Möller, Ökumene-Referent getragenen gemeinsamen Position in der angestoßen habe: Die westlichen Kirchen der Westfälischen Kirche, der im Vorfeld der Einschätzung des Rassismus und der Ver- und Gesellschaften müssten sich verändern Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland die urteilung aller Rechtfertigungsversuche zu und auf die Herausforderungen eingehen, Kampagne „fair play: fair life“ mitorganisiert kommen. Es gibt berechtigte Hoffnung, dass wenn es je gelingen sollte, Armut zu über- hatte. Das Motto der Kampagne – „Bringt dies auch in der Frage der wirtschaftlichen winden und wirtschaftliche Gerechtigkeit zu faire Bälle ins Spiel!“ – zeigt am Beispiel von Globalisierung möglich ist. verwirklichen. Prof. B. Goudzwaard, Öko- Fußbällen, die unter gerechten Bedingungen Konrad Raiser war von 1993 bis 2003 Generalsekre- nom aus den Niederlanden und zentral an in Pakistan hergestellt wurden, den Zusam- tär des Ökumenischen Rates der Kirchen. Vorher war der Planung und Durchführung des Agape- er Professor für Systematische Theologie-Ökumenik an menhang von Sport und Handel unter den der Ev.-Theol. Fakultät der Ruhr Universität in Bochum. Prozesses beteiligt, wies am Schluss der De- Bedingungen der Globalisierung. Gegen Er lebt heute im Ruhestand in Berlin.

INKOTA-Brief 135 • März 2006 33 ÖKUMENE

Annette Berger Geborgenheit in erschöpften Oasen Eine ökumenische Besuchsreise zum Thema Wasser

Im Oktober/November 2005 organisierte Brot für die Welt eine Reise zu den nicht laut eingefordert, der Staat nicht verschiedenen Wasserprojekten in Tansania und nach Kenia zu einer afri- an seine Aufgaben erinnert. Seit 1995 gibt kanischen Wasserkonferenz des Weltrates der Kirchen (ÖRK). Annette es ein NRO-Bildungsnetzwerk und auch die Berger schildert ihre Eindrücke aus Tansania. Kirchen beginnen langsam mit der Bildungs- arbeit. Bildung steht auch beim Wasser im Wasser war der Ausgangspunkt des Auf- Darstellung gibt es nicht, auch im Umgang Vordergrund: die Leute würden ja zahlen, stands der Tansanier gegen die deutsche mit den ungelösten Fragen hat jeder andere wenn sie wüssten, wofür. Kolonialmacht vor mehr als 100 Jahren, der Antworten. Nur in einem sind sich wohl al- In der Deutschen Botschaft hören wir von die Beziehungen zwischen beiden Ländern le, das Wasserministerium, die Nichtregie- einem GTZ-Experten, dass man hier sehr im letzten Jahr bewegte. Wasser ist in Tan- rungsorganisationen (NRO) und Kirchen, zufrieden ist mit den Wasserplänen der sania auch heute überall präsent: Unzählige die GTZ und die EU einig: die Privatisierung Regierung: Zugang zu Wasser für alle bis Wasserverkäufer bieten ihre Ware inmitten der Wasserversorgung in Dar Es Salaam 2010 – ein ehrgeiziges Ziel, auch in Hin- des Straßenstaubs an, Menschen jeden Al- ist gescheitert und scheint für die Probleme sicht auf die Millenniumsentwicklungsziele. ters sind damit beschäftigt, Wasser heranzu- in Tansania nicht die Lösung zu sein. Aber Von der neuen Regierung erhofft man sich schaffen. Überall stößt man auf Transportmit- die staatliche Versorgung ist mit den ma- ein Wassergesetz, das sich den zentralen Problemen stellt: Partizipation trotz Priva- tisierung – ist das überhaupt möglich? Ein weiterer Schlüsselfaktor ist die Frage nach den Investitionen und dem Management. Braucht es erst gute Organisation, Manage- ment und Partizipation oder erst die tech- nischen Voraussetzungen, um Beteiligung zu generieren? Es ist die Frage nach dem Huhn oder dem Ei. In Dar Es Salaam gibt es weder das eine noch das andere.

Das kostbare Gut der Steppe In einem kleinen Propellerflugzeug fliegen wir über steinig-trockene Steppe. Eintöniges rotbraun, kaum ein Strauch oder Baum. In der Maasai-Steppe erscheinen die runden Krale wie müde, erschöpfte Oasen, die es nicht mehr mit der sie umgebenden Trocken- heit aufnehmen können. Dennoch spüre ich die Geborgenheit, die sie vermitteln. Für das Hirtenvolk bedeuten sie geordneter Raum: Kosmos. Hütten, die einen Schutz darstellen für die heiligen Rinder. Denn Gott Große Anstrengung für ein kostbares Gut: Wassertransport in Tansania (Enkai) versorgt die Maasai gewissermaßen Foto: Annette Berger wie durch eine Schöpfer-Nabelschnur mit tel jeglicher Art für die begehrte Flüssigkeit: roden Leitungen, alten Wasserstellen ohne Leben in Gestalt der Rinder. Das Leben des alte und neue Flaschen, Kübel, die auf dem Pumpen, der Qualität des Wassers und den ganzen Volkes dreht sich um das Rind. „Du Kopf getragen werden, Schubkarren, Esel, weiten Entfernungen für Mensch und Tier kannst eine Kuh zum Fluss führen, aber ob Fahrräder, Pick-ups. Leitungen für Trinkwas- ebenso wenig fertig geworden. Doch wel- sie trinkt, hängt von ihr selbst ab“, sagt der ser verlaufen in offenen Abwasserkanälen, che Lösung wäre dann die Alternative? Dorfälteste. Diese Rinder haben gelernt, mit sodass sich hier und da das saubere mit Die NRO, besonders die dort arbei- dem wenigen Wasser auszukommen. Alle dem dreckigen Wasser vermischt. Nur rund tenden Frauen, beeindrucken durch ihre zwei Tage nur werden sie zum Fluss geführt, die Hälfte der Bevölkerung verfügt über Zu- Klarheit im Wissen um die zivilen Rechte, fünf Kilometer weit ist der Weg. gang zu sauberem Trinkwasser. betonen die wichtige Stellung der Frauen, Vorbei geht es an riesigen Sisalplanta- die für das Wasser traditionell verantwort- gen, von dem die Maasai vieles bekom- lich sind, und versuchen, durch Projekte men. Sisal ist genügsam. Er wächst und Die Wasserprivatisierung ist zu tun, was zu tun ist. Doch größere Akti- gedeiht auch ohne viel Wasser. Wenn man gescheitert vitäten, eine vibrierende Zivilgesellschaft, ein Stückchen weiter geht, hinaus aus der Durch Gespräche kommen wir der Thema- gar Demonstrationen, um einzufordern, was Steppe, dann sieht man, was Unmengen tik tröpfchenweise näher. Eine einheitliche ihnen zusteht, die gibt es nicht. Rechte wer- an Wasser verschlingt: Gewächshäuser für

34 INKOTA-Brief 135 • März 2006 ÖKUMENE

„Jetzt muss das Netzwerk mit Leben gefüllt werden“ Augusto Chambule über die Konferenz „Wasser für Leben“ zur Gründung eines afrikanischen Wassernetzwerkes und ihre Bedeutung für die Arbeit der Kirchen in Mosambik

es seit zwei Jahren nicht mehr geregnet. rung das abzuverlangen, was uns eigent- Auf dem Land müssen die Menschen weit lich zusteht. Aber wir zielen mit unserer laufen, um an Wasser zu kommen, viele Arbeit darauf, die Zivilgesellschaft zu stär- Tiere sterben. Eine Folge davon ist eine sich ken, sodass die Regierung gezwungen ist, ausweitende Hungersnot. Immerhin versucht ihr zuzuhören. In Mosambik haben wir es unsere Regierung, das Wasserproblem an- mit einer sehr starken Kirche zu tun. Sie hat zugehen, und arbeitet dabei auch mit den einen guten Ruf und kann viel erreichen, Kirchen und mit Nichtregierungsorganisati- wenn sie das Thema Wasser in den Mittel- onen (NRO) zusammen. punkt rückt.

Haben Sie bei dieser Konferenz hier in Welchen Stellenwert hat diese Tagung Machakos Neues über die weltweite für Mosambik und für eure konkrete Augusto Chambule Foto: Annette Berger Wasserproblematik erfahren? Arbeit? Augusto Chambule arbeitet in der Pro- Ja, und zwar Neues, das mir in meiner Ar- Ich sehe die Ergebnisse grundsätzlich op- jektabteilung des mosambikanischen beit in Mosambik weiterhelfen wird: Mit den timistisch. Wasser ist ein öffentliches Gut. Christenrats in der Provinz Zambézia, Dokumenten über Gesetze, Verpflichtungen Das klingt selbstverständlich, ist es aber einem zukünftigen Projektpartner von und das Menschenrecht auf Wasser werden für uns längst nicht. Darauf haben sich alle INKOTA. Er war einer der 70 Teilnehmer wir Fortbildungen für Verantwortungsträger geeinigt. Konkrete Schritte hinsichtlich der der Konferenz „Wasser für Leben“, die der Kirchen und des öffentlichen Lebens or- Privatisierung und der Rolle des Staates auf Einladung des Ökumenischen Rates ganisieren. Interessant war auch, dass die fehlen noch, hier muss der Prozess weiter- der Kirchen vom 7. bis 11. November Privatisierung von Wasser klar abgelehnt gehen. Eine besonders wichtige und gute 2005 in Machakos/Kenia stattfand. worden ist. Erfahrung war der Austausch mit Menschen aus fast aller Welt. Das allein ist schon In seiner Begrüßungsrede sagte Bischof Die kritische Lobbyarbeit scheint in ein großartiges Ergebnis. Der Besuch auf Dandala aus der gastgebenden Kir- Ostafrika noch sehr wenig im Bewusst- dem Land und die gemeinsame praktische che Kenias: „Der Zugang zu Wasser ist sein von Kirchen und NRO zu sein. Die Arbeit, die positiven Ergebnisse der jahre- der Zugang zu Gerechtigkeit.“ Welche Regierungen werden schnell aus ihrer langen Bewässerung sind ein gutes Beispiel Bedeutung hat das Thema Wasser in Pflicht entlassen. Ist es einfacher, in- und ein Vorbild für uns. Ein afrikanisches Mosambik? ternationale Geldquellen anzuzapfen, Netzwerk ist entstanden. Jetzt muss es mit In Mosambik hat sich die Wasserversorgung als die eigenen Regierungen an ihre Leben gefüllt werden. zum wichtigsten Problem für die Menschen Pflichten zu erinnern? Das Interview führte Annette Berger während der Kon- entwickelt. In weiten Teilen des Landes hat Wir haben oft nicht die Kraft, der Regie- ferenz in Machakos.

Exportblumen. Die sind den Maasai nicht müssen sie gehen, trotz der Unterstützung Farbe zu geben. Gibt es wirklich kein Ent- heilig, aber uns Europäern. aus Europa. Zwanzig Meter weiter zeigt rinnen aus der Trockenheit? Liebevoll und man uns den alten Brunnen: ein mit Bret- schüchtern werden wir begleitet, herumge- tern verschlagener Lehmschacht. Eine dicke führt, bekocht und besungen. Die Menschen Alles ist rot, steinig und Rolle führt das Sisalseil mit dem Eimer zum wirken froh und ausgeglichen. Sie gehören trocken Wasser hinab. Dieser Brunnen trocknet nicht hier her und zu ihnen die Trockenheit. Am Fuß des Kilimandscharo liegen die ein- aus. Stolze Werke eines stolzen Volkes. Beim Abschied hoffen wir auf die letzte zelnen Höfe weit von einander entfernt, ein Noch etwas weiter sehen wir aber auch Chance, doch noch den Kilimandscharo se- wirkliches Dorf ist für uns kaum zu erkennen. zerbrochene Leitungen, einen riesigen Tank, hen zu können. So hoch ist der Berg, dass er Zwischen den Häusern braucht es Platz für die von der Regierung gebaut, der nicht mehr von einer fast immer währenden Wolkendecke Rinder. Wasser gibt Orientierung. Wer eine genug Wasser hat, eine Pumpe, die nur überzogen wird. „Der Berg, den wir nicht Quelle findet, nennt sie Eigentum seines Clans. zwei Pumpleistungen am Tag schafft, wes- erklommen haben“ – so heißt Kilimandscha- Alle Außenstehenden bekommen Wasser, halb jedes Dorf nur drei mal die Woche ro in der Shanga-Sprache, derer, die schon aber sie müssen einen Gegenwert erbringen. Wasser hat. Während der Regenzeit wird hier waren, als die Maasai in diese Gegend Wasser kostet also auch hier. Die NRO hatten auch Wasser aus den Pfützen getrunken. einwanderten. Doch dann öffnet sich die Wol- also Recht, als sie sagten, die Leute wären be- Doch seit vier Jahren hat es nicht geregnet. kendecke für einige Minuten, wir sehen, ganz reit zu zahlen, wenn sie wüssten wofür. Wieder ist alles rot, steinig und trocken. Es schwach, die eisbedeckte Spitze des Berges, Wir sehen einen Brunnen mit Pumpe, der bilden sich meterhohe Staubhosen. Wie den die Maasai auch heute nicht erklimmen. im Rahmen eines Projekts von Brot für die kann man hier leben – überleben? Die Ihr heiliger Berg liegt weiter östlich, der Mont Welt gebaut wurde. Während wir reden, trockene Trostlosigkeit ist erdrückend. Viel- Lengai. Der Berg, wo Enkai wohnt. kommen und gehen Kinder, Männer und leicht kleiden sich die Maasai deshalb so Annette Berger ist Vorstandsvorsitzende des INKOTA- Frauen, um Wasser zu holen. Weite Wege bunt, um dem trockenen Einerleirot etwas netzwerks.

INKOTA-Brief 135 • März 2006 35 LITERATUR PUR

Tomás González Am Anfang war das Meer

19 den hatten. Sowohl Elena als auch er führten sich als lässige, »… Und dann hat er Appetit auf Land bekommen. Ich will nicht vom Meer und der Salzluft gegerbte Aussteiger auf, als Leute, schlecht von ihm reden, schließlich mochte ich ihn genauso die den Glauben an Gott und die Welt verloren hatten. gern wie alle anderen, aber wenn ich ehrlich bin, kam er mir Wie immer war es J., der für die Getränke, den Stoff, die Musik manchmal ein bisschen größenwahnsinnig vor. Denk nur, als er und sogar fürs Essen sorgte. starb, besaß er annähernd tausend Hektar. Und diese planlose Sie waren unerträglich. Sie legten eine äußerst unangenehme Zerstörung des Waldes! Man hat mir erzählt, die Arbeiter hät- Aggressivität an den Tag, einen zynischen, billigen Humor ten so viele Bäume gefällt, wie sie wollten, und wo und wann und einen ebenso billigen Anarchismus. Natürlich waren sie sie wollten. Es scheint, als sei er bei allem, was er tat, von allen am nächsten Tag, geschwächt durch den Kater, wieder ganz guten Geistern verlassen gewesen. Ich habe es selbst erlebt, liebenswürdig und normal. Elena benahm sich sanft, ohne die denn als ich ihn zum letzten Mal in Bogotá sah, trank er wie Pose der stolzen Konkubine, die sie in der Nacht zur Schau ein Loch und verfluchte in einem Anfall von Irrsinn die ganze getragen hatte. Doch als ich, was vielleicht unklug war, sagte, Welt. Er beschimpfte unsere Mutter, mich, dich, Elena, die J. solle sich vor den Speichelleckern und Abstaubern dieser ganze Menschheit. ›Der Mensch ist Scheiße, der Mensch ist Provinzstadt in Acht nehmen, brach ein unglaublicher Streit aus. Scheiße, der Mensch ist Scheiße…‹, in einer endlosen Leier, bis Sie sagten, ich sei doch selbst aus Envigado, aber durch das er einschlief. Am nächsten Tag konnte er sich nicht mehr daran Philosophiestudium offenbar zu einem eingebildeten Affen ge- erinnern, weder an das, was er gesagt, noch an das, was er worden; aus Angst vor dem wirklichen Leben, dem aus Fleisch getan hatte. Glaubst du, dass so einer mit einem undisziplinier- und Blut, hätte ich mich in den Büchern vergraben; ich sei ein ten Haufen von fünfzehn Holzfällern aus Turbo fertig wird? Ich anmaßender Schnösel, der sich darin gefalle, sich als Richter glaube, Jorge hat Recht: Diese Mischung aus Literat, Anarchist, aufzuspielen, und so weiter. Ich sagte ihnen, was ich schon Linksradikalem, Kaufmann, Landwirt, Hippie und Bohemien hat- oben geschrieben habe: dass er sich anscheinend wie [einige te keine Chance zu überleben. Ein Wunder, dass er überhaupt ausgestrichene Wörter] vorkäme und sie sich wie eine neue vierunddreißig Jahre geworden ist… María Félix in Bluejeans. Danach haben wir uns wieder vertra- Dieser Brief wird dich sicherlich verwirren, aber ich bin wohl gen, und J. nannte Elena sogar den ganzen Nachmittag über nicht der Richtige, dir die Geschichte verständlich zu machen. ›María‹. Doch von nun an waren wir auf der Hut. Wir frotzelten Wenn ich dir schreibe, dann nur, um dir in deiner Einsamkeit nur noch oberflächlich und achteten darauf, die neuralgischen und deinem Schmerz beizustehen, und nicht weil ich glaube, Punkte auszusparen und nicht zu der Stelle vorzustoßen, die ich würde die Dinge verstehen. Was mich am meisten über- den Anlass des Streites gebildet hatte, und jeder war überzeugt rascht hat, war zu erfahren, wie er seinen Besitz vergrößert hat. davon, im Recht zu sein…« Ich dachte immer, er wolle nur ein einfaches Leben am Meer führen, mit ein paar Kühen und Hühnern und einem guten Boot, 20 mit dem er rausfahren und fischen könne. Als er mich vor dem Der Oberkellner entkorkte den Wein und goss Fernando, dem Kauf der ersten Finca nach meiner Meinung fragte, sagte ich, Bankdirektor, einen Schluck zum Probieren ein. Der schwenkte sie komme mir etwas groß vor, aber er müsse ja nicht das gan- das Glas, hielt es sich unter die Nase (vorher hatte er schon ze Land bewirtschaften und es auch nicht jeden Tag abschrei- am Korken gerochen) und sagte: »In Ordnung.« Als der Ober ten. Aber er hörte nicht auf mich. Hatte er sich etwa in den Kopf gegangen war, sagte Fernando, es gäbe zwar bessere, der sei gesetzt, Großgrundbesitzer zu werden? Ich weiß es nicht; ich aber nicht übel. J. hatte ihn um ein Treffen außerhalb der Bank habe es bis heute nicht verstanden. Als er dann die zweite Fin- gebeten, und Fernando hatte ihn zum Mittagessen in den Club ca kaufte – was ein völliger Schwachsinn war –, fragte er mich Medellín eingeladen, in dem er Mitglied war. Um von Europa erst gar nicht mehr. In der letzten Zeit hatte sich unser Verhältnis, zu reden. »Was tut man nicht alles…«, dachte J. und bat Elena, wie du weißt, etwas abgekühlt. ihn zu begleiten. »Ich habe keine Lust, diesen Arsch mit Ohren Da ich diesen Punkt jetzt berührt habe, möchte ich noch etwas zu sehen«, erwiderte sie. hinzufügen, zu meiner und vielleicht auch zu deiner Beruhigung. Fernando hatte vier Jahre in Frankreich gelebt, J. zwei in Eng- Bis zum Schluss mochten wir uns, das stimmt. Aber er hatte sich, land. Und da J. auf die Verlängerung des Kredits angewiesen vor allem wenn er trank, angewöhnt, mich wegen meines an- war, blieb ihm nichts anderes übrig, als allein zu gehen und mit geblichen intellektuellen Eskapismus’ anzugreifen. Kurz und gut, ihm über Europa zu reden. Fernandos vier Jahre in Frankreich er sagte, ich sei in Bogotá verdorben worden, dort hätte ich mir waren die schönsten seines Lebens gewesen; damals hatte er diese manierierte Art angewöhnt. Seine Kritik schmerzte mich verrückte Dinge gemacht, in Supermärkten Konserven und in sehr, aber ich sah auch, dass sie einem primitiven – und un- Buchläden Bücher geklaut und sich zeigen lassen, wie man von echten – machismo entsprang, dem lächerlichen Wunsch, dem öffentlichen Telefonzellen aus umsonst nach Kolumbien anruft. Bild eines gott- und gesetzlosen Mannes zu entsprechen, dem Es waren auch die einzigen Jahre seines Lebens, in denen er eines Draufgängers, der eine Mischung aus Jimi Hendrix und mit Kultur in Berührung gekommen war: Er hatte Kathedralen dem Helden von La Vorágine darstellte. Ich habe ihn einmal in besichtigt, Maler kennen gelernt und war sogar mit Paco de Envigado besucht, und was ich dort erlebt habe, hat mich ab- Lucía befreundet gewesen. Davon sprachen sie dann auch, gestoßen. Sie lebten schon sechs Monate auf der Finca, und es während Fernando den Wein lange im Glas kreisen ließ, bevor war das erste Mal, dass sie zusammen zurückkamen. Sie hatten er daran nippte. acht Tage lang jeden Abend getrunken, und als ich eintraf, fand Als das Essen serviert wurde, nutzte J. die Unterbrechung und in der Wohnung eine wüste Party statt, mit viel Alkohol, Hasch bat ganz förmlich um einen professionellen Rat. Er erzählte und Hard Rock, zu der sie eine Horde von Schnorrern eingela- Fernando von dem geplanten Holzgeschäft und fragte ihn, was

36 INKOTA-Brief 135 • März 2006 LITERATUR PUR er davon halte. Der fühlte sich geschmeichelt und setzte ihm nichts anfangen konnte. Die sieben waren groß gewachsen und wortreich auseinander, was seiner Meinung nach dafür sprach kräftig, alles Schwarze. Der Agent hatte sie als tüchtig und er- und was dagegen. Insgesamt sah er die Sache eher positiv, fahren bezeichnet. »Ich kann Ihnen so viele erstklassige Arbeiter wies aber vorsorglich darauf hin, dass man die Bedingungen besorgen, wie Sie wollen«, hatte er gesagt. «Und jeder bringt vor Ort prüfen müsse, bevor man sie abschließend beurteilen sein eigenes Werkzeug mit.« J. zog jedoch vor, es zunächst bei könne. »Ja, vielleicht komme ich in den Ferien mal zu dir raus«, diesen sieben Mann zu belassen, erstens weil die zweite Hütte sagte er, als J. ihn auf die Finca einlud. Die Teller wurden abge- noch nicht hergerichtet war und er niemanden in seinem Haus tragen, und Fernando bestellte einen pousse-café. »Ein pousse- unterbringen wollte, und zweitens weil er behutsam zu Werke café nach dem Essen regt die Verdauung an, das habe ich gehen wollte, solange er das Geschäft noch nicht beherrschte. von den Franzosen gelernt«, sagte er, und J. sah ihn mit einem Trotzdem schliefen sie die erste Nacht im Haus. Bis sie alles kühlen, ironischen Blick an. an Land gebracht hatten, war es zu spät, um sich noch zu J. trank seinen Likör, den er zum Kotzen süß fand, und setzte Fuß mit den Motorsägen und dem Gepäck auf den Weg zur Fernando mit Nachdruck auseinander, dass er eine Kreditver- anderen Finca zu machen. Also spannten sie ihre Hängematten längerung brauche. Fernando lobte zunächst den Likör, bevor auf der Veranda auf. J. unterhielt sich bis spät in der Nacht mit er langsam zu einer Antwort ansetzte. Offenbar hatte er mit ihnen, und dabei tranken sie Aguardiente. Sie sprachen vom J.s Bitte gerechnet, denn er erging sich in einer Fülle von De- Geschäft, davon, wie viele Festmeter ein Mann in der Woche tails – wie J.s Steuererklärung, die anscheinend nicht für seine schafft, wie man auf abschüssigem Gelände arbeitet und über Kreditwürdigkeit sprach, ihre langjährige Freundschaft, seine die Verpflegung: Zunächst sollte Mercedes hier im Haus für eigene Stellung in der Bank, wobei er betonte, dass er bei der sie kochen, aber J. hatte schon mit Salomón und seiner Frau Gewährung von Krediten äußerst gewissenhaft vorgehen müsse gesprochen, ob sie das übernehmen könnten. Die Holzfäller –, bevor er endlich auf den entscheidenden Punkt kam. Ja, sag- gaben sich offenbar Mühe, einen guten Eindruck zu machen: te er, er werde den Kredit verlängern, aber das sei das letzte sie waren mit allem einverstanden. Mal. Dabei errötete er leicht und zündete sich eine Zigarette In dieser Nacht roch es durchdringend nach Benzin, und von an. J. bedankte sich und steckte sich ebenfalls eine an. Er stieß der Veranda drang das Schnarchen der Holzfäller herein. Ele- den Rauch durch Mund und Nase aus und lenkte das Gespräch na, die ohnehin schlecht gelaunt war, weil die Männer dage- dann auf eine Begebenheit aus Fernandos Zeit in Frankreich. blieben waren, machte kein Auge zu und weckte J. Sie sagte, bei dem Krach könne sie nicht schlafen, und von dem Schweiß- 21 und Benzingestank würde ihr schlecht. J. verlor die Geduld. Er Auf der neuen Finca gab es zwei mit Palmblättern gedeckte bekam einen Wutanfall und sagte, dass die Männer nicht bes- Hütten, jede mit zwei Räumen. Damit war klar, wo die Holz- ser und nicht schlechter röchen als andere, dass sie nicht zum fäller wohnen würden. An der einen Hütte musste noch einiges Tanzen hier seien, sondern zum Holzfällen, und dass sie sich an ausgebessert werden, die andere war fertig. Auf dem Rückweg den Benzingeruch besser gewöhne, denn der gehöre von nun von Medellín, wo sie nach der Kreditverlängerung einen Vorver- an dazu. »Von etwas müssen wir schließlich leben«, rief er, »al- trag für den Kauf der neuen Finca unterschrieben hatten, spra- so halt den Mund und lass das blöde Getue.« Elena drehte sich chen J. und Elena mit dem Agenten in Turbo, den Julito kannte, wütend zur Seite; sie sagte kein Wort mehr und schlief endlich und tags darauf gingen sie in der Bucht vorm Haus mit sieben ein, während J. in seinem Ärger über sie wach blieb, er trank Holzfällern an Land, jeder mit einer Motorsäge. Es wurde auch und rauchte, bis ihn der Schnaps wegdämmern ließ. ein großes Fass Benzin abgeladen, Treibstoff für die Sägen, Am Morgen wurden sie von lauten Stimmen auf der Veranda den die Männer bei J. kaufen sollten. Es war so schwer, dass es geweckt. Sie waren noch im Bett, als plötzlich ein Motor auf- sich nur mit Mühe den Strand hochrollen ließ. In Ermangelung heulte. Elena sprang auf und lief hinaus, um den Mann, der eines besseren Platzes wurde es, etwa zwanzig Meter vom die Säge angelassen hatte, zur Rede zu stellen. Er sagte, er Haus entfernt, in einem Verhau untergebracht, den J. als Stall habe sie nur ausprobieren wollen. »Das können Sie tun, aber für die Kaninchen und Meerschweinchen – ein Geschenk Don nicht hier, hermano«, sagte sie. »Wir wollen hier keine Scheiß- Eduardos – hatte bauen lassen. J. war diese hässliche Tonne, sägen hören!« Der Mann stellte den Motor ab und sah Elena die in der Hitze so nah bei den Tieren ihre mit einer Mischung aus Erstaunen, Spott und gefährlichen Dämpfe freisetzte, ein ständiger Verärgerung an, sagte aber nichts. Als sie Anlass zum Ärger. »Ich muss eine bessere ins Schlafzimmer zurückkam, hatte J. das Stelle finden«, dachte er, »aber es darf nicht Bettlaken bis zum Kinn hochgezogen und zu weit vom Haus sein, damit es leicht geht schaute zur Decke. Der Schnaps der vergan- mit dem Verkauf und sie – andererseits – kein genen Nacht hatte einen dumpfen Schmerz Benzin klauen…« in seinen Augenhöhlen hinterlassen. Wie Schon Julito hatte ihn vor den Holzfällern sie den Mann behandelt hatte, brachte ihn gewarnt. Seiner Meinung nach waren sie auf, aber da er wusste, dass ein Streit eine schlimmes Gesindel, das alles mitgehen ließ, Weile dauern würde, und die Kopfschmer- was nicht niet- und nagelfest war, faul bei zen anhielten, nahm er lieber zwei Aspirin der Arbeit und aggressiv im Suff, Kerle, die und versuchte nochmal einzuschlafen. Als er hart angefasst werden mussten. J. dachte, wieder erwachte, fühlte er sich besser und dass Julito übertrieb. Er fand die Männer, die ging zu den Holzfällern hinaus. er mitgebracht hatte, völlig normal. Gewiss waren sie, wie Julito auch, ein bisschen auf- Auszug aus: Tomás González: Am Anfang war das Meer. Aus dem Spanischen von Peter Schultze-Kraft und Gert geblasen und gaben bei jeder Gelegenheit Loschütz unter Mitarbeit von Jan Weiz, mit einem Nach- mit ihrem Können an. »Aber so sind ja fast wort von Peter Schultze-Kraft. edition 8, Zürich 2006, 176 Seiten, 19,80 Euro. alle hier«, dachte er. Sie schwatzten viel und Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags edi- erfreuten sich eines lauten Humors, mit dem J. tion 8.

INKOTA-Brief 135 • März 2006 37 Arndt von Massenbach Nord-Süd-Poker in Hongkong Die WTO-Ministerkonferenz bringt keine Kehrtwende für eine Entwicklungsrunde

Ursprünglich sollte auf der WTO-Ministerkonferenz vom 13. bis 18. De- bar gewesen. Doch die Entwicklungsländer zember 2005 in Hongkong die 2001 in Doha beschlossene so genannte zahlen dafür einen hohen Preis. Die EU und die USA konnten sich in anderen Bereichen „Entwicklungsrunde“ der Welthandelsorganisation (WTO) abgeschlossen weitgehend durchsetzen. So wurden die werden. Ihr erklärtes Ziel war, die Entwicklungschancen für die ärmeren internen Agrarsubventionen und Stützungs- Länder durch gerechtere Welthandelsregeln zu verbessern. Doch schon mechanismen kaum angetastet. Besonders im Vorfeld der Hongkonger Konferenz glaubte niemand mehr daran, dass für die afrikanischen Baumwollproduzenten dieser Zeitplan eingehalten werden könnte, und von der Entwicklungs- ist dieses Ergebnis ein Desaster, da die Sub- vention einiger tausend Baumwollfarmer in runde war kaum mehr als Rhetorik übrig geblieben. Es ging vielmehr da- den USA Millionen Existenzen in Westafrika rum, ob nach Seattle und Cancún in Hongkong die dritte WTO-Konferenz bedroht. scheitert und damit das WTO-System als solches infrage gestellt wird. Beim Marktzugang für Industriegüter (NAMA) wurde die so genannte „Schweizer Während draußen tausende Kleinbauern gierungsdelegationen aus Entwicklungslän- Formel“ festgeschrieben, nach der höhere aus ganz Asien durch die Häuserschluchten dern das Expertenwissen der NRO für sich Zölle stärker gesenkt werden müssen als der Mega-Metropole Hongkong zogen, um und informierten im Gegenzug bereitwillig niedrigere. Davon profitieren vor allem Un- gegen das ungerechte Handelsregime der über den Verhandlungsverlauf. ternehmen aus Europa und den USA bei WTO zu protestieren, verhandelten hinter der Erschließung neuer Märkte im Süden, der glitzernden Fassade des Kongresszen- während den Entwicklungsländern die Mög- trums die offiziellen Delegationen der 149 Kleine Entwicklungsländer lichkeit genommen wird, ihre entstehenden WTO-Mitgliedsstaaten über die weitere benachteiligt Industrien vor überlegener ausländischer Liberalisierung des Welthandels. Auf der Ta- Neben der Zivilgesellschaft sind vor allem Konkurrenz zu schützen. gesordnung standen höchst strittige Themen die kleinen ärmeren Entwicklungsländer Beim Handel mit Dienstleistungen konnte wie der Abbau der Agrarexportsubventi- Verlierer der WTO-Verhandlungspraxis. Sie sich die EU mit ihrem Wunsch nach verbind- onen, die Verbesserung des Marktzugangs reisen ohne großen Expertenstab an und lichen Verpflichtungen zu Liberalisierungen für Agrar- und Industriegüter und die Aus- können daher nicht an diversen parallel nicht durchsetzten. Jedoch erhöhen der weitung der Dienstleistungsverhandlungen. stattfindenden Treffen teilnehmen. Sie sind vereinbarte straffe Zeitplan und neue Ver- Bis zuletzt schienen die Positionen der ver- also vom Großteil der Verhandlungen prak- handlungsmechanismen den Druck auf die schieden Handelsmächte und Entwicklungs- tisch ausgeschlossen. Entwicklungsländer, die Liberalisierung öf- ländergruppen starr und unvereinbar. Entsprechend schlecht ist aus Sicht dieser fentlicher Dienstleistungen voranzutreiben. Um diesen Knoten zu lösen, griff die Ver- Gruppe auch das Ergebnis der Hongkonger handlungsführung auf die ebenso „bewähr- Konferenz, obwohl die Länder des Südens te“ wie undemokratische „Green Room“- insgesamt selbstbewusster auftraten als bei Die falsche Richtung Praxis zurück, bei der ausgewählte Vertreter früheren WTO-Verhandlungen und teilwei- Nach einem ermüdenden Verhandlungsma- einzelner Länder hinter verschlossenen Türen se massiven Widerstand leisteten. Dabei rathon war der Widerstand der Entwick- über Teilfragen verhandeln – unter Aus- gelang es jedoch vor allem den größeren lungsländer mit kleinen Zugeständnissen schluss der Öffentlichkeit und ohne Protokoll. Schwellenländern, ein effektives Gegenge- hier und da gebrochen worden. Ganz? Über 450 solcher „Green Room Meetings“ wicht zu den Handelsblöcken des Nordens Nicht ganz! Vertreter Kubas und Vene- fanden in Hongkong statt, außerdem 200 zu bilden. Doch Brasilien oder Indien, die zuelas erklommen kurz vor Abschluss der Einzelkonsultationen, die besonders geeig- sich in der Vergangenheit immer wieder Konferenz das Podium und erklärten – ohne net sind, kritische Delegationen der schwä- als Sprecher des Südens profiliert hatten, sich mit Formalia der Geschäftsordnung auf- cheren Mitgliedsländer auf Linie zu bringen. lagen ihre Eigeninteressen wie der verbes- zuhalten –, dass sie die Abschlusserklärung Von Transparenz keine Spur. serte Marktzugang für die brasilianische zu den Bereichen NAMA und Dienstleis- Intransparenz beklagten auch die an- Agrarindustrie oder für die indischen Com- tungen nicht akzeptieren würden. Da war wesenden deutschen VertreterInnen von puter-Dienstleister näher als die Sorgen der jedoch bereits der Hammer des Versamm- Nichtregierungsorganisationen (NRO) in ärmsten Entwicklungsländer. lungsleiters gefallen und die Erklärung da- Bezug auf die spärliche Informationspolitik Die EU-Kommission war mit leeren Hän- mit angenommen. der EU-Kommission und der Bundesregie- den nach Hongkong gefahren. So pokerte So konnte WTO-Direktor Pascal Lamy auf rung. Letztere lehnte die Aufnahme von sie hoch ohne einen echten Trumpf im der Abschlusspressekonferenz stolz verkün- VertreterInnen entwicklungs- oder umwelt- Ärmel. Ihre Zusage, die schädlichen Agrar- den, dass es gelungen ist, „die Handelsrun- weltpolitischer Organisationen in die deut- exportsubventionen bis zum Jahr 2013 ab- de wieder zurück auf die Spur zu bringen“. sche Delegation ab, während der Bund der zubauen, war lange überfällig. Angesichts Nun fährt der WTO-Zug weiter – jedoch Deutschen Industrie ganz selbstverständlich der verheerenden Wirkung dieser Subventi- noch immer in die falsche Richtung. mit von der Partie war. Sogar deutsche onen auf die landwirtschaftliche Produktion Arndt von Massenbach ist Mitarbeiter des INKOTA- ParlamentarierInnen klagten über unzurei- und die Märkte vieler Länder im Süden netzwerks und im Lenkungsausschuss von „Gerechtig- chende Informationen. Dagegen nutzten Re- wäre ein späteres Datum nicht durchsetz- keit jetzt! Die Welthandelskampagne“

38 INKOTA-Brief 135 • März 2006 Weltladen-Brief 57 von und für Initiativen des Fairen Handels März 2006

Liebe Mitstreiter und Mitstreiterinnen, Thema Fußball aktiv nutzen werden. Eine davon wird das im Juni stattfindende Radioballett sein, das in dieser Ausgabe vorgestellt der harte Winter ist vorbei, der letzte Schnee von den Dächern gefegt wird. Weitere Aktionen und Veranstaltungen findet ihr in einer und endlich wird es wärmer. Gebannt schauen wir dem Sommer Übersicht zusammengefasst. entgegen, der in diesem Jahr hunderttausende Fußballfans nach Aber nicht nur Fußball beschäftigt die Gemüter der fair Handeln- Deutschland ziehen lässt und Millionen Fernsehzuschauer weltweit den. Große Freude regt sich zur Zeit besonders in Mecklenburg über vor die Bildschirme locken wird. Egal ob Fußballfan oder fußball- den erfolgreich gestarteten Verkauf des Apfel-Mango-Saftes, der mit müde – kaum einer wird sich dem Massenereignis entziehen kön- 2.000 Litern innerhalb des ersten Monats für eine echte Überra- nen, das unmittelbar vor unserer Haustür stattfindet und die ferne schung sorgte. Mehr darüber erfahrt ihr in dem Artikel von Andrea Welt plötzlich greifbar werden lässt. Kiep. Für den Fairen Handel liegt es da nahe, sich diesem Großereignis Und wer wissen möchte, wie die Gruppenberatung in diesem Jahr auch inhaltlich anzunähern und es mit entwicklungspolitischem weitergeht und welche Veränderungen uns erwarten, dem rate ich Leben zu füllen. So nutzte der europäische Weltladendachverband einen Blick auf die letzte Seite zu werfen. „NEWS!“ die Gunst der Stunde und stellte für den diesjährigen Weltladentag das Thema „Faire Bälle“ in den Mittelpunkt seiner Eine schaffensfrohe Zeit und viele Ideen für diesen Sommer Kampagne. Auch das Entwicklungspolitische Netzwerk Sachsen und wünscht euch INKOTA haben in diesem Jahr Veranstaltungen geplant, die das Barbara Timmel

Barbara Timmel Choreografie von unsichtbarer Hand Ein „Radioballett“ soll zum Start der Fußball-WM für entwicklungspolitische Aufmerksamkeit sorgen

Ein Radioballett hat nichts mit der Über- arbeitung eines Radioballett-Konzepts miert die Sendung alle anderen Hörer tragung eines Balletts im Radio zu tun mit Fußballhintergrund beteiligen. Ein zu den Hintergründen der ausgewählten – vorausgesetzt, es gibt so etwas. Ein erstes Treffen dazu gab es im Februar im Fußballthemen. Radiogerät ist aber die Grundvorausset- Weltladen Connewitz, bei dem die Idee Dass man zu dieser Aktion möglichst zung, solch ein Ballett überhaupt erst zur Gestalt annahm. viele Beteiligte, jede Menge Presse und Aufführung zu bringen und die angestif- eine unterschiedliche Mischung krea- teten Massen in Bewegung zu versetzen. tiver Köpfe braucht, schien den Beteilig- Globale Themen im Fußball Die Aktionsform wurde zum ersten ten klar. Deswegen wurden zum ersten Mal von der Gruppe „Ligna“ im Ham- Fußball bietet reichlich Stoff zum Nach- Treffen nicht nur entwicklungspolitisch burger Hauptbahnhof veranstaltet: Sie denken, besonders für entwicklungspoli- Aktive eingeladen, sondern auch Thea- protestierte damals in kreativer Art und tisch Engagierte. Themen wie Sportarti- terpädagogen und Performance-Erfah- Weise gegen die Aneignung öffentlicher kelherstellung, Kinderarbeit, Menschen- rene. In Zusammenarbeit mit den Frei- Räume. Mit Erfolg. Aufmerksam und handel, Zwangsprostitution sowie Berei- en Radiosendern soll nun bis Juni ein deutlich irritiert verfolgten Passanten cherungstaktiken im „Geschäft Fußball“ Konzept für die Sendung und die Aktion und Medien dieses unheimliche Spiel, geben Anlass zum Hinterfragen, und so entstehen, welches leicht kopiert werden in dem eine über den Bahnhof verteil- entstand ein Konzept, wie man diese kann und das auch in anderen Städten, te Menschenmenge abgestimmte Bewe- Themen in einer Radiosendung vermit- in denen es Übertragungsleinwände und gungen vollführte, die in symbolhafter teln kann. In Zusammenarbeit mit den Bürgerradios gibt, einsetzbar ist. Form auf die inhaltliche Dimension der Dresdner und Leipziger Freien Radios Informationen zur Aktion: Anne Aktion verwiesen. soll eine Sendung gemacht werden, die Schicht, E-Mail: ens@infozentrum-dres- Weltweite öffentliche Aufmerksam- einen Blick hinter die Kulissen des Fuß- den.de, Tel.: 0351/492 33 64 und Barbara keit wird es auch in diesem Jahr in balls wirft und gleichzeitig Handlungs- Timmel, E-Mail: [email protected], Tel.: Deutschland geben, wenn die Fußball- anweisungen für die Ballettinvolvierten 0341/425 13 54. Weltmeisterschaft angepfiffen wird. So- gibt. Angedacht ist, mindestens 200 bis viel Aufmerksamkeit muss genutzt wer- 300 Menschen zu mobilisieren, die per den, dachte sich das Entwicklungspo- tragbarem Radiogerät und mit Kopfhörer Weltladen-Brief-Redaktion: litische Netzwerk Sachsen und suchte im Ohr vor dem Zentralstadion in Leip- Barbara Timmel Gletschersteinstr. 37, 04299 Leipzig nach Verbündeten für eine ähnliche zig und vor Übertragungsleinwänden in Telefon: (0341) 42 51 354 Aktion. Fündig wurde es bei verschie- Dresden wenige Stunden vor Spielbe- E-Mail: [email protected] denen lokalen Initiativen in Dresden ginn der WM in abgestimmten Bewe- Themenvorschläge und Texte sind ausdrücklich und Leipzig sowie bei der INKOTA-Grup- gungen den Handlungsanweisungen der erwünscht. penberatung, die sich nun an der Aus- Radiosendung folgen. Gleichzeitig infor-

WELTLADEN-Brief 57 • März 2006 I Weltladen-Brief 57

Barbara Timmel Weltladentag 2006: Fußbälle und Kinderrechte Fairer Handel zeigt ausbeuterischer Kinderarbeit die Rote Karte

Als Teil der aktuellen Kampagne des clubs, Bälle aus Fairem Handel zu be- lionen unter katastrophalen Lebens- und Netzwerks der europäischen Weltläden nutzen, nimmt jedoch zu. So wird etwa Arbeitsbedingungen leiden. (NEWS) richtet sich auch der diesjährige bei Werder Bremen mit TransFair-Bällen Gleichzeitig soll an den vergangenen Weltladentag am 13. Mai gegen ausbeu- gekickt. Weltladentag angeknüpft werden und terische Kinderarbeit und wirbt für den Trotzdem bleibt noch viel zu tun! das kommunale Beschaffungswesen hin- Fairen Handel. Standen im vergangenen Unter dem Motto „Kidz@work – Fairer terfragt werden. Der Schwerpunkt liegt Jahr die Situation auf den Kakaoplanta- Handel schützt Kinderrechte“ sollen zu in diesem Jahr aber auf den Schulen, wo gen und das kommunale Beschaffungs- dem diesjährigen Weltladentag mög- man an die Kinder, die Zielgruppe der wesen im Mittelpunkt der Kampagne, lichst viele Menschen gewonnen wer- Kampagne, herantreten kann.

Damit überprüft werden kann, dass keine Kinder arbeiten, findet das Nähen der fairen Bälle in Pakistan in Nähzentren statt. Fotos: gepa Fairhandelshaus / Nusch wird es in diesem Jahr – natürlich – die den, die vom 5. bis 19. Mai die „Rote Für diejenigen, die eine Aktion am Fußballproduktion sein. Karte für ausbeuterische Kinderarbeit“ Weltladentag planen, bietet es sich also Seit dem Atlanta Agreement von 1997 unterschreiben. an, Schüler einzuladen. Des Weiteren haben sich zwar die Bedingungen in der kann man im Vorfeld des Aktionstages Sportballindustrie weitgehend gebessert, ein Schülerpraktikum anbieten und ge- Aktionsideen für Kids es bleiben aber genügend Probleme, für meinsam mit den Jugendlichen den die der Faire Handel die bessere Alterna- Die Materialien und ein Großteil der Ak- Weltladentag vorbereiten. Unterstüt- tive darstellt. Nur wenige der weltweit tionsideen für den Weltladentag richten zung in der Planung und Durchführung 40 Millionen verkauften Bälle stammen sich insbesondere an die 8- bis 12-Jäh- des Weltladentags 2006 erhaltet ihr bei aus fairen Handelspartnerschaften wie rigen. Sie können sich am besten mit den Fair-Handels-Gruppenberatern, die von Talon Sports aus Pakistan. Die Be- ihren Altersgenossen im Süden identifi- dazu Vorbereitungsseminare anbieten reitschaft von Sportlern und Fußball- zieren, von denen immer noch 250 Mil- (Infos: [email protected]).

II WELTLADEN-Brief 57 • März 2006 Weltladen-Brief 57 Kicken fürs Patenland Im Juni findet das Finale des Wettbewerbs der WM-Schulen in Potsdam statt

„Die Welt zu Gast bei Freunden“ – unter nentalmeisterschaften im vergangenen ihrem Patenland und vertreten ihre Nati- diesem Slogan starteten im November Herbst qualifizierten sich 32 Mann- on als Botschafter in der Öffentlichkeit. 2005 Bundestrainer Jürgen Klinsmann schaften für das große WM-Schulfinale Vom 8. bis 11. Juni werden sie beim und das Bundesministerium für wirt- im Juni in Potsdam. Zentrales Anliegen großen Finale in Potsdam gemeinsam schaftliche Zusammenarbeit und Ent- des Projektes ist eine intensive Ausein- mit „NEWS!“ die europaweit gesam- wicklung unter Heidemarie Wieczorek- andersetzung der SchülerInnen mit ent- melten „Roten Karte für ausbeuterische Zeul das Projekt der WM-Schulen. 205 wicklungspolitischen und friedenspäda- Kinderarbeit“ vom Weltladentag präsen- Schulen in ganz Deutschland vertreten gogischen Inhalten, die sie durch beglei- tieren. Es werden rund 1.000 Kinder und bis zur Fußball-WM im Juni jeweils eine tende Bildungsarbeit kennenlernen. Sie Erwachsene erwartet. FIFA-Nation. Während der vier Konti- beschäftigen sich dabei ausführlich mit Weitere Infos: www.wmschulen.de

Sylke Klemm Großer Erfolg für „fair plus regional“ Schon über 4.000 Liter Apfel-Mango-Saft in Mecklenburg-Vorpommern verkauft

Die Überraschung war groß, als Mitte tigen Entwicklungsorganisation „PRE- und damit vielen Familien eine sichere Januar der am 15. Dezember letzten DA“ vermarktet. PREDA arbeitet seit Existenz zu ermöglichen. Den Rohstoff Jahres eingeführte neue Saft bereits aus- über 30 Jahren erfolgreich für die Rechte für das Püree liefern Kleinbauern mit ein verkauft war. Die Mosterei Satow bei von Kindern und Jugendlichen. Gründer bis zwei Mangobäumen. Die Vermark- Rostock hatte damit über 2.000 Liter von PREDA ist der irische Priester und tung zu fairen Konditionen läuft über abgesetzt und das ausschließlich in der Menschenrechtspreisträger Shay Cullen, die Importorganisation „Dritte-Welt- Verkaufsstätte ihres Hauses. Das übertraf der mit Mut und Entschlossenheit gegen Partner“ in Ravensburg. Die Organisati- alle vorherigen Erwartungen. Auch von Armut und deren Folgen, wie Kinderpros- on entwickelte 2001 auch die Idee, dem der neuen Produktion verkauften sich titution und Landflucht, kämpft. Püree regionalen Apfelsaft zuzusetzen. im darauf folgenden Monat 2.000 Liter. Das Beispiel hat Schule gemacht. Der Saft soll nun noch im Frühjahr in den Supermärkten in Rostock, Schwerin Zusammenarbeit mit regionalen und anderen Städten in Mecklenburg- Mostereien Vorpommern zu haben sein, in denen die Mosterei gelistet ist. Die Weltläden Die Landeskampagne läuft noch bis En- in Schwerin und Rostock führen das de 2006. Entscheidend für den großen faire und regionale Saftgemisch bereits Erfolg des Projekts „fair plus regional“ ist im Sortiment. Und bei Güstrow hat die Zusammenarbeit mit verschiedenen der Verein Gutshaus Hermannshagen regionalen Mostereien. Grundsätzlich im Dezember 2005 ebenfalls einen Saft wird neben dem fairen Mangopüree nur kreiert, der das faire Mangopüree mit Most aus Äpfeln der Region für den Saft Äpfeln von heimischen Streuobstwiesen verwendet. Gerade kleinere und mittlere verbindet. Mostereien können dies garantieren. So Der Apfel-Mango-Saft ist das erste kann der Saft in jeder Region des Landes Produkt von „fair plus regional“. Dies ist hergestellt werden und darf dann zu eine Initiative des Eine-Welt-Landesnetz- Recht den Zusatz „regional“ tragen. werks von Mecklenburg-Vorpommern Im Vergleich zu anderen Apfel-Man- und läuft im Rahmen der Landeskampag- go-Saft-Projekten in Deutschland setzt ne „Nachhaltigkeit genießen“. Das Pro- die Initiative in Mecklenburg-Vorpom- jekt will den Fairen Handel im Land be- mern stark auf ein einheitliches Erschei- kannter machen und neue Zielgruppen nungsbild der unterschiedlichen Saft-Ab- gewinnen. Außerdem soll die regionale füllungen im Land. Außerdem wurden Wirtschaft unterstützt werden. verschiedene attraktive zielgruppenspe- zifische Öffentlichkeitsmaterialien (wie Foto: Andrea Kiep Flaschenanhänger, Broschüre, Tischauf- Mangopüree von den Philippinen Dieser Kampf kann aber nur gewon- steller, Produkt-Folder und Poster) er- Der neue Saft ist exotisch, lecker und nen werden, wenn sich die Lebensbedin- stellt und ein umfangreiches Bildungs- gesund und er verbindet zwei Regionen gungen der Menschen auf den Philippi- konzept geplant. miteinander. Das verwendete Mangopü- nen nachhaltig verbessern. Die faire Ver- Sylke Klemm ist die Koordinatorin des ree stammt aus kontrolliertem Anbau auf marktung der Mangos ist eine Möglich- Projekts „Nachhaltigkeit genießen” des den Philippinen und wird von der dor- keit, Einkommensquellen zu verbessern Eine-Welt-Landesnetzwerks M-V.

WELTLADEN-Brief 57 • März 2006 III Weltladen-Brief 57

Dana Künne-Schubert Nichts ist so beständig wie die Veränderung Trotz personeller Veränderungen geht die Fair-Handels-Gruppenberatung kontinuierlich weiter

„Nichts ist so beständig wie die Verän- Thüringen sind aus unterschiedlichen tinuierlich beraten. Damit dies in Zu- derung.“ Dieses geflügelte Wort scheint Gründen nur bis Ende Mai beziehungs- kunft besser und gezielter geschehen im Moment für die Fair-Handels-Grup- weise bis Ende Juni als Berater tätig. kann, wird im Laufe des Jahres eine Po- penberatung unter der Anstellungsträ- Barbara Timmel wird im Juli noch ein- tenzialanalyse bei ostdeutschen Weltlä- gerschaft des INKOTA-netzwerks zu- mal Mutter werden und anschließend den durchgeführt. Ziel ist es, einen fun- zutreffen. Im Norden wird sich dieses Erziehungszeit nehmen. Thomas George dierten Einblick in die Arbeitsweise von Jahr voraussichtlich personell nichts wird seinen Arbeitschwerpunkt ab Juni Weltläden zu bekommen und daraus ändern: Andrea Kiep für Mecklenburg- auf die Geschäftsführung des Eine-Welt- Beratungsangebote zu entwickeln, die Vorpommern und Lutz Heiden für Netzwerks Thüringen EWNT legen. die unternehmerische Kompetenz und Berlin/Brandenburg stehen weiterhin die Bildungs- und Kampagnenarbeit der für Beratung und Informationen zur Läden und Gruppen stärken. Neue BeraterInnen gesucht Verfügung. Des Weiteren wird es im Laufe des Im Süden jedoch gab und gibt es eini- Die freigewordenen Stellen sollen ab An- Jahres für Weltläden und Aktionsgrup- ge Veränderungen. Mathias Höppner hat fang Mai neu besetzt werden. Demnächst pen Unterstützung bei den bewährten zum Ende des Jahres 2005 nach zwölf gehen dafür die Ausschreibungen her- Aktionen zum Weltladentag und der Jahren seine Tätigkeit als Gruppenbe- aus. Wer Lust hat und sich als Fair-Han- Fairen Woche, sowie das Weltladentref- rater in Sachsen beendet. Er widmet dels-GruppenberaterIn berufen fühlt, sei fen Ost, die Fair Tour, Regionaltreffen, sich nun intensiver den Aufgaben als hiermit ermutigt, sich zu bewerben. Seminare und Weiterbildungen geben. Geschäftsführer des Chemnitzer Weltla- Trotz dieser Veränderungen werden dens und seiner Familie. wir die Weltläden und Aktionsgruppen Dana Künne-Schubert ist INKOTA-Fair- Die beiden GruppenberaterInnen für nach Kräften unterstützen und kon- Handels-Gruppenberaterin in Sachsen.

Aktionen, Events, Weiterbildungen 2006

1.April Vorbereitungsseminar zum 15.Mai Fortbildungsreihe für Multi- 8.-11.Juni Endspiel der Fußball-WM- Weltladentag Infos: Lutz Heiden, 030/ plikatorInnen zur Gestaltung von Vor- Schulen in Potsdam (siehe Beitrag) In- 44 0 42 0 67, [email protected] trägen „Fairer Handel/Welthandel“ fos: www.wmschulen.de anhand ausgewählter Produktbeispiele 8.April Seminar „Weltladen als au- Infos: Infos: Andrea Kiep, 0381/490 24 17.Juni Jubiläumsfest Zehn Jahre ßerschulischer Lernort“ in Leipzig In- 10; [email protected] (weitere Termine: F.A.I.R.E. in Dresden Infos: 0351/889 23 fos: Barbara Timmel, 0341/425 13 54, 29. Mai und 6. Juni) 80, [email protected] [email protected] 20.Mai Studientag „Welthandel“ in 17.Juni Regionaltreffen Brandenburg 21.-23.April Weltladentreffen Ost in Leipzig Infos: STUBE/ENS, 0351/492 33 und Berlin Infos: Lutz Heiden, 030/44 Brotterode am Rennsteig (Programm 64/5, [email protected] 04 20 67, [email protected] wird an alle Gruppen versendet) Infos: Thomas George, 03641/35 65 26, geor- 20.Mai Seminar „Methoden in der September: „Fairer Handel und Nach- [email protected] entwicklungspolitischen Bildungsar- haltige Entwicklung in Mecklenburg- beit“ in Weimar Infos: Barbara Timmel, Vorpommern“ – Workshop für Akteure 8.Mai Info-Veranstaltung mit dem Ge- 0341/425 13 54, [email protected] der Agenda 21 Infos: Andrea Kiep, 0381/ schäftsführer der gepa Thomas Speck im 490 24 10; [email protected] Fair Trade Zentrum Berlin, Beginn: 19 Uhr Juni „Schüler und Fairer Handel“ – Workshop für VertreterInnen aus Bil- 1.September Seminar „Bildungsar- 13.Mai Europäischer Weltladentag dungsinstitutionen Infos: Andrea Kiep, beit im Weltladen“ Infos: Lutz Heiden, Kidz@work: Fairer Handel stützt Kinder- 0381/490 24 10; [email protected] 030/44 04 20 67, [email protected] rechte – Kampagne der europäischen Weltläden gegen ausbeuterische Kinder- Juni Aktion „Radioballett“ an Veran- 18.-30.9.Faire Woche Infos: www.faire- arbeit und für Fairen Handel • Produkt- staltungsorten der Fußball-WM in woche.de schwerpunkt 2006: Faire Fußbälle • Akti- Leipzig und Dresden (siehe Beitrag) In- onsschwerpunkt 2006: Unterschriften- fos: Barbara Timmel, 0341/425 13 54, 14.Oktober Regionaltreffen für Welt- sammlung „Rote Karte für Ausbeute- [email protected], ENS/Anne Schicht, läden und Gruppen in Mecklenburg- rische Kinderarbeit“ (s.Beitrag) Infos u. 0351/49 23 364, ens@infozentrum-dres- Vorpommern Infos: Andrea Kiep, 0381/ Materialbestellung: www.weltladen.de den.de 490 24 10; [email protected]

IV WELTLADEN-Brief 57 • März 2006 REZENSIONEN

weltumspannende „Koalition williger Multilateralisten“ dagegen. Die kommenden Kriege Die UNO, so Zumach, hat eine Menge Schwächen, aber wir Andreas Zumach analysiert die Zukunft haben nichts Besseres. Zumach hofft auf die Reformen, die Kofi der Weltinnenpolitik Annan jüngst auf den Weg gebracht hat. Leider kann auch er wenig anführen, was diese Hoffnung nähren könnte. Kurzfristig Es gehörte zum guten Ton unter Kritikern des Irak-Kriegs von 2003, muss er vor allem auf eine neue US-Regierung hoffen. Denn Bush dass die Blut-für-Öl-These der Komplexität des Geschehens nicht ge- und sein UN-Botschafter Bolton lassen keinen Zweifel daran, dass recht würde. Insofern registriert man zunächst überrascht, dass die Annans UNO nicht die ihre ist. Sie wollen eine UNO, die die USA These in Andreas Zumachs neuem Buch „Die kommenden Kriege“ nicht behindert, sondern ihr den völkerrechtlichen Segen erteilt für ihr Ostern erlebt. Auch die völkerrechtlich-moralischen Knifflig- eine Politik, die sich normativ vom Völker- und Menschenrecht ver- keiten des Krieges – Krieg ohne UN-Mandat, aber gegen einen der abschiedet hat. schlimmsten Schlächter der Gegenwart – wischt Zumach beiseite: Es steht viel auf dem Spiel, und wir könnten kurz vor einer Zeiten- Der Krieg war der schlimmste Anschlag auf das Völkerrecht. So ein- wende zum sehr Ungemütlichen stehen. Genau deshalb braucht es fach sie scheinen, beide Aussagen werden plausibel im Lichte der Analysen und Warnungen wie die von Zumach. Doch wie bereits der beiden Grundthesen des Buches. Mit diesen stößt der langjährige Untertitel des Buches vermuten lässt, geht ihm dabei die Stringenz ver- taz-Korrespondent in Genf mitten hinein in die großen Debatten um loren. Das ist leider üblich, wenn Journalisten ihre Kurztexte in einem die internationale Politik von heute und morgen. Buch bündeln wollen. Sicher, irgendwie hängen Erdölknappheit, der Zumachs erste These ist zunächst eine zu wenig beachtete Bosnien-Krieg, der 11. September und das iranische Atomprogramm Tatsache: Das Ende des Ölzeitalters hat längst begonnen. Welt- zusammen. Wie, weiß man nach der Lektüre aber auch nicht ge- weit reichen die fossilen Energievorräte – und auch das Uran, nauer. Und der Titel führt auch ein wenig in die Irre: Zumachs Sorge der Treibstoff der AKWs – nur noch ein paar Jahrzehnte. Schon gilt nämlich, und sehr zu Recht, der Zukunft der Weltinnenpolitik und bald wird Energie drastisch teurer werden, und die Sicherung der der Frage, wie sich die USA und die EU darin positionieren werden. verbleibenden Energiereserven wird die Kriege der Zukunft bestim- Dass Kriege als Mittel der Ressourcensicherung in den nationalen Si- men. USA wie EU stehen mitten in den Vorbereitungen, um diese cherheitsstrategien des Westens weit aufgerückt sind, ist bedeutsam. Sicherung notfalls militärisch durchzusetzen; die Szenarien sind Die Weltpolitik wird sich darin nicht erschöpfen. geschrieben. Man soll Bücher nicht für das kritisieren, was in ihnen nicht geschrieben steht. Aber wenn es schon um die kommenden Kriege geht – diese werden vielerorts schon geführt: Kriege um Weide- land, um Wasser – einem Rohstoff, dessen geostrategische Bedeu- tung im Regionalen dem des Öls im Globalen gleichkommt – und um der Profitabilität des Krieges selbst willen. Krieg ist Teil der glo- Andreas Zumach: balisierten Ökonomie – das immerhin kann man einsichtsbringend Die kommenden Kriege. bei Münkler nachlesen. Ressourcen, Menschenrechte, Machtgewinnn – Präventivkrieg Dawid Danilo Bartelt als Dauerzustand? Kiepenheuer &Witsch, Köln 2005, 208 Seiten, 8,90 Euro.

Armes reiches Deutschland Ein kirchlicher Herausgeberkreis kritisiert das Armuts- und Reichtumsgefälle in Deutschland

„Armes reiches Deutschland“ lautet der Titel des ersten Jahrbuchs These Zwei: Der Irak-Krieg stellte Völkerrecht und UNO grund- Gerechtigkeit, erschienen im Jahr eins von Hartz IV. Der kirchliche sätzlich in Frage und war insofern der Tiefpunkt eines Prozesses, Herausgeberkreis ist ungewöhnlich groß: Arbeitsgemeinschaften dessen Beginn Zumach mit dem Kosovokrieg 1999 ansetzt. Des mehrerer Konfessionen, Brot für die Welt, Diakonische Werke, Autors Credo: Es gibt zu einer völkerrechtlich gebundenen, koo- einzelne Landeskirchen, aber auch entwicklungspolitisch orientierte perativen internationalen Politik unter dem Dach der UNO keine Dienste wie das INKOTA-netzwerk und sozialwissenschaftliche Ins- Alternative. titute gehören dazu. Nun bietet die UNO nicht notwendig ein vertrauenseinflößendes Der erste Teil des Jahrbuchs ist ein kirchlicher Diskussionsbeitrag, Bild für derartige Erwartung, und Zumach ist für sein Prinzip UNO- der öffentliche Armut im reichen Deutschland als unnötig und un- Hoffnung auch schon verlacht worden. Neo-Imperialisten wie Her- tragbar zurückweist. Er wirbt für eine christliche Ethik, in der „alles fried Münkler – der heute ebenfalls die Sicherung des Ölflusses am Handeln und Entscheiden in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft an Golf als Hauptgrund für den Irakkrieg nennt – sprechen der UNO der Frage gemessen werden muss, inwiefern es die Armen betrifft, die Reformierbarkeit ab, vor allem die Fähigkeit, entschlossen ihnen nützt und sie zu eigenverantwortlichem Handeln befähigt.“ und notfalls schnell-intervenierend zu agieren und dabei eine um- Diese kühne Forderung geht über einen karitativen Umgang mit spannende Hegemonie zu etablieren. Solch imperiale Hegemonie Armut erfreulich weit hinaus. Ihre Umsetzung dürfte spannend wer- befriede und stablisiere nach innen und schütze nach außen vor den. Sie ist keineswegs so utopisch, wie es zunächst klingt. supranationalen Bedrohungen wie der des Terrorismus. Während Die AutorInnen haben zum Schwerpunktthema Deutschland Münkler also der EU empfiehlt, imperialer zu werden und bis dahin gründlich recherchiert und widerlegen Vorurteile über den angeb- der USA für den hegemonialen Schutz dankbar zu sein, prangert lich schlechten Wirtschaftsstandort. 2003 war Deutschland nach Zumach die „Militarisierung“ der EU als „Irrweg“ an. Er setzt eine den USA und Japan das drittreichste Land. Während aber das

INKOTA-Brief 135 • März 2006 39 REZENSIONEN oberste Zehntel der westdeutschen Haushalte über einen Vermö- gensanteil von fast 45 Prozent verfügte, lag er für die unteren fünf Die Hoffnungsträger Zehntel nur bei 4,4 Prozent. Immer weniger Menschen können Südamerikas ihren Lebensunterhalt selbst verdienen, Leistungskürzungen ver- schärfen die Armut. Das Jahrbuch Lateinamerika nimmt die aktuellen Als wesentliche Ursache für leere öffentliche Kassen analysieren Reformregierungen in den Blick die Herausgeber, dass die Steuereinnahmen trotz des Wirtschafts- wachstums rückläufig sind. Vor allem wegen der vielen legalen Ist ein anderes Lateinamerika möglich? Diese Frage durchzieht das Möglichkeiten zur Steuervermeidung wurde Deutschland im EU-Ver- 29. Jahrbuch Lateinamerika, das die politische und gesellschaft- gleich zur Steueroase für Reiche. Das zeigen zahlreiche übersicht- liche Entwicklung des Subkontinents seit 1977 kritisch begleitet. liche Schaubilder im dritten Teil des Buches. Soll der notwendige In den vergangenen Jahren ist eine ganze Reihe von linken und Umbau des Sozialstaates gelingen, muss er sich wieder am Bedarf progressiven Regierungen in Lateinamerika ins Amt gekommen der von Armut und Ausgrenzung Bedrohten orientieren und nicht – von Venezuela über Brasilien bis jüngst Bolivien. Doch was eint an dem, was bei leeren öffentlichen Kassen noch für finanzierbar die Ansätze von Chávez oder „Lula“, und wo gibt es graduelle gehalten wird. Diese Umkehrung der Fragestellung ist im Sozial- oder auch gravierende Unterschiede? Diese „Neue(n) Optionen staatsprinzip verfassungsrechtlich verankert. Das erfordert lediglich lateinamerikanischer Politik“ – so der Titel – nimmt der Band in den Blick. Entsprechend der Fragestellung sind die Länder im Fokus, in denen Reformbewegungen aktiv oder an der Regierung sind: Ar- gentinien, Bolivien, Brasilien, Uruguay und Venezuela. Auch die Entwicklungen in den zapatistischen Gemeinden in Mexiko werden analysiert und Gaby Küppers macht den Versuch einer Zwischen- Kirchlicher Herausgeberkreis Jahrbuch Gerechtigkeit: bilanz nach fünf Jahren Weltsozialforum. Insgesamt geben die Armes reiches Deutschland. Jahrbuch AutorInnen auf hohem Niveau einen facettenreichen Überblick über Gerechtigkeit I. Druck- und Verlagshaus die behandelten Länder. Aus dem Rahmen fällt dabei, dass die Frankfurt am Main/Publik-Forum Verlag, Beiträge nicht nur wissenschaftlich solide, sondern auch stilistisch Frankfurt/Oberursel 2005, 255 Seiten, 13,90 Euro. ansprechend geschrieben sind.

Karin Gabbert u.a. (Hg.): eine angemessene Beteiligung des Reichtums an der Finanzierung Jahrbuch Lateinamerika 29. notwendiger staatlicher Aufgaben. Dafür werden eine Reihe detail- Neue Optionen lateinamerikanischer lierter Vorschläge gemacht. Politik. Analysen und Berichte. Verlag Westfälisches Dampfboot, Das Jahrbuch bleibt trotz der entschiedenen Position im Sinne Münster 2005, einer Option für die Armen offen für unterschiedliche Sichtweisen. 201 Seiten, 24,80 Euro. 20 Zwischenrufe im zweiten und umfangreichsten Teil stehen jeder für sich als Beitrag für die theologische, politische, wirtschaftliche und ethische Diskussion. Insbesondere sozialgeschichtliche Ansätze der Bibellektüre zeigen, welches ethische und heilsame Potenzial für die Lösung der Fragen unserer Zeit einzubringen ist. Hier hat die Kirche ihre spezifische Aufgabe. Reichtum muss theologisch gesehen danach Einem der heißesten politischen Eisen der südamerikanischen beurteilt werden, wie er entstanden ist und wie er verwendet wird. und internationalen Debatte widmet sich gleich der erste Beitrag: Davon hängt ab, ob er zum Segen wird oder zum Fluch. Brasiliens Präsident Luiz Inácio „Lula“ da Silva und seinen linken In diesem Sinn sollten weitere Fragen gestellt werden, die über KritikerInnen. Kaum ein Regierungswechsel war in den vergan- eine gerechtere Geldverteilung hinausgehen: Wie steht es zum Bei- genen Jahren mit derartig hohen, fast messianischen Erwartungen spiel um die soziale und ökologische Verträglichkeit von Produkti- verknüpft gewesen, wie die Wahl von Lula 2002. Dem ehemaligen onsweisen, auch jener, die aus Deutschland ausgelagert sind, aber Stahlarbeiter und Gewerkschafter wurde zugetraut, die sozialen durchaus zum Reichtum hier beitragen? Könnten kirchliche Ein- Verhältnisse des Landes grundlegend zu ändern, endlich etwas richtungen nicht schon heute stärker als bisher Konsumentinnen im für die Rechte der Landlosen und Indígenas und gegen Armut und fairen Handel werden? Wie halten es die Kirchen mit der ethischen Hunger zu unternehmen. Doch in der Wirtschaftspolitik setzte die Vertretbarkeit ihrer Geldanlagen? Stehen da nicht Gewinn und Regierung Lula eine stabilitätsorientierte Schuldendienstpolitik fort. Sicherheit bei weitem im Vordergrund? Verrat? Dawid Bartelt widerspricht: „Der Verrats-Topos entbehrt Ohne den Mut zu solchen und anderen Lücken, die den Au- der analytischen Grundlage.“ Es gebe keine Anzeichen dafür, torInnen durchaus bewusst sind, hätte das Buch nicht entstehen dass Lula seine Ideale verraten habe. Vielmehr seien er und sei- können. Weitere Bände mit anderen regionalen Schwerpunkten ne Chefstrategen zu dem Ergebnis gekommen, dass eine solide sind geplant. Zu wünschen ist ihnen, dass der kirchliche Heraus- wirtschaftliche Entwicklung zukunftsweisender sei, als eine perma- geberkreis noch größer wird. Damit das Umdenken in Kirche und nente gesellschaftliche Mobilisierung, die Kritiker als Alternative Gesellschaft gelingt. vorschlagen. Friedrich Brachmann Auch der Beitrag von Andreas Boeckh über das venezolanische

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Reformprojekt von Präsident Hugo Chávez scheut sich nicht vor chen aber beispielsweise in Soweto rund ein Viertel aller Frauen einem klaren Standpunkt: Chávez´ Projekt eines „Sozialismus des Missbrauchserfahrungen; und es werden mehr. 21. Jahrhunderts“ bringe im Grunde nichts Neues und sei kein er- Rita Schäfer untersucht in ihrer Studie zunächst die historischen folgversprechender Ansatz, um Armut und Ungerechtigkeit zu über- Wurzen der Gewalt gegen Frauen in Südafrika. Anschließend wid- winden, und somit eine Alternative zum Neoliberalismus darzustel- met sie sich dem Thema der Maskulinität in Südafrika – und arbeitet len. Zudem seien neue rechtliche Elemente eingeführt worden, mit heraus, dass Gewalt und Macht untrennbar verbunden sind: Schon denen bei Bedarf „ein gleitender Übergang zu einem autoritären immer wurde Vergewaltigung von den männlichen Beteiligten als System bewerkstelligt werden kann.“ Harter Tobak, sehen doch Mittel der Demütigung und Unterdrückung eingesetzt, und danach viele Linke heute in Chávez einen der größten Hoffnungsträger welt- zugleich verharmlost und tabuisiert. weit für eine emanzipatorische Politik. Doch Boeckh verweist zu Recht auf Fehlentwicklungen, ohne Erfolge zu verschweigen. Das gewichtigste Argument ist, dass die Erfolge der venezolanischen Sozialpolitik der vergangenen Jahre ausschließlich mit den Einnah- men aus der Erdölförderung gedeckt werden. Gleichzeitig wird nicht an einer alternativen wirtschaftlichen Entwicklung gearbeitet, sondern die produktive Basis der Gesellschaft nimmt ab. Eine zu- kunftsfähige Politik sieht anders aus. Rita Schäfer: Was eint nun die verschiedenen „linken“ Reformregierungen in Im Schatten der Apartheid. Frauen-Rechtsorganisationen Lateinamerika? Das Projekt eines „souveränen lateinamerikanischen und geschlechtsspezifische Gewalt Wohlfahrtsstaats“, lautet die Antwort von Albrecht Koschützke im in Südafrika. Lit Verlag, Münster 2005, Editorial. Vielen wird das vergleichsweise wenig erscheinen. Doch 480 Seiten, 29,90 Euro. angesichts der aktuellen Armut und Ungleichheit in Lateinamerika wäre das schon viel. Zudem können auch Präsidenten großer südamerikanischer Länder die Regeln des globalen Kapitalismus nicht allein verändern. So bemerkt Ingo Malcher am Schluss seines Beitrags über Argentinien treffend: „Der Begriff ‚Macht‘ ist etwas zu groß für Kirchner, Lula oder Vázquez. Denn Macht hat die nationale Bourgeoisie, haben ausländische Investoren, haben die Galt der Fokus von Frauenrechtsorganisationen bis zum Ende der internationalen Finanzmärkte und haben die Disziplinarinstitutionen Apartheid vorwiegend der Beendigung des rassistischen Regimes, wie der IWF.“ so haben sie sich seit 1994 verstärkt auf Frauenrechte konzentriert. Armin Massing Rita Schäfer bedauert zu Recht, dass Frauenrechtsorganisationen heute zu ANC-regierungsnah arbeiteten und dabei mehr auf Re- formen setzten, statt eine grundsätzliche Veränderung der Kultur zu fordern. Sie ist sich einig mit anderen Analytikerinnen, dass der Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt auch damit verbunden sein muss, „insbesondere männlichen Jugendlichen neue identitäts- stiftende Rollenbilder zu vermitteln.“ Denn insgesamt verstärken sich Im Schatten der Gewalt die unterschiedlichen Gewaltformen und Legitimationsmuster von Ein historischer Abriss geschlechtsspezifischer Gewalt Gewalt, und die Bearbeitung geschlechtsspezifischer Gewalt ist ein in Südafrika Schlüssel zur Analyse anderer Gewaltformen. Vorsichtig differenziert sie die Gewalterfahrungen in den ver- Südafrika gilt als Musterland der friedlichen Transformation von der schiedenen ethnischen und sozialen Gruppen in Südafrika und Apartheid zu einer funktionierenden Demokratie mit modernster übernimmt damit nicht die wissenschaftlich auch verbreitete Paralle- Verfassung, in der gleiche Rechte für Männer und Frauen festge- lisierung von kolonialer Unterdrückung und der Unterdrückung von schrieben sind. Ein beim Präsidialamt eingerichtetes Büro soll das Frauen. Vielmehr beschreibt sie die hohen Missbrauchsraten von Gender-Mainstreaming überwachen und die nationale Genderkom- Frauen in der burischen Community, die historisch wenig beleuchte- mission die Einhaltung der Frauenrechte. Aber geschlechtsspezi- ten Emanzipationsbemühungen von Burinnen Anfang des 20. Jahr- fische Gewalt macht weltweit nirgendwo mehr Frauen zu Opfern hunderts und die fehlende Analyse der spezifischen Erfahrungen als in Südafrika. Beides hat miteinander zu tun, denn „im Schatten von Frauen in der so genannten ‚Coloured’ oder der ‚indischen’ der Apartheid“, so der Titel einer Studie von Rita Schäfer zu die- Community Südafrikas. Missbrauch trifft alle Frauen, aber materiell sem Thema, hat sich ein für südafrikanische Frauen hochbrisanter und sozial mehrheitlich besser gestellte weiße Frauen haben viele Gewalt-Cocktail aus afrikanischen und europäischen, von den Ko- Möglichkeiten zum Eigenschutz oder Zugang zu Hilfeleistungen, lonisatorInnen mitgebrachten patriarchalen Unterdrückungspraxen Beratung und Therapie. zusammengebraut. Die Lektüre dieser Untersuchung ist aufschlussreich und nicht nur Die Wurzeln der Gewalt reichen in den Beginn der Kolonialisie- für feministische Südafrikafans wichtig, weil eine differenzierte, rung zurück, lange vor dem formalen Beginn der Apartheid 1948. multidisziplinäre, multikulturelle und nicht stereotypisierende Ana- Religionen trugen ihr Scherflein dazu bei, den Mann als Herrn des lyse von geschlechtsspezifischer Gewalt in der hoch komplexen Hauses und Ernährer der Familie zu etablieren. Doch die industria- südafrikanischen Gesellschaft viele Parallelen zu Deutschland zu lisierungsbedingte Wanderarbeit entzog den schwarzen Männern ziehen erlaubt. Denn Banden- oder Gang-Gewalt von männlichen zunehmend diese Rolle. Die heutige Realität ist so widersprüchlich Jugendlichen auf der Suche nach Sinn und Spaß und einer eigenen wie die Geschichte. Denn mit Frauenquote und homosexueller Identität ist ein Phänomen, das nicht nur in Gugulethu und Sandton, Elternschaft mit gleichen Versorgungsansprüchen ist Südafrika im sondern auch in Cottbus und Regensburg anzutreffen ist. Vergleich zu vielen anderen Staaten vorbildlich. Gleichzeitig ma- Dorothea Giesche

INKOTA-Brief 135 • März 2006 41 REZENSIONEN

ligionspraxis zum zentralen Thema macht: Seine Dorfgesellschaft ist Der Kosmos eines liberalen eine religiöse Gesellschaft. Dass diese Frömmigkeit ausgesprochen Islam gemäßigt daherkommt, macht ihn heute, wo sich der islamische Abdalhakim Kassem taucht tief in die ägyptische Fundamentalismus vielerorts gegen offenere Glaubensformen durchgesetzt hat, besonders lesenswert. Den eifernden Missionaren Provinz ein gilt Kassems Kritik: Nur wer aus freien Stücken glaubt, glaubt rich- tig; nur wer freiwillig zu Hagg Karims abendlichen Versammlungen In Tanta, einer Großstadt im Nildelta, befindet sich das Grab von kommt, gehört hierher. Sajjid Achmad al-Badawi. Jahr für Jahr ziehen am Geburtstag Das Buch ist raffiniert aufgebaut: Die sieben Kapitel erzählen dieses bedeutenden Heiligen aus dem 13. Jahrhundert Scharen von die Pilgerfahrt nach Tanta von den Vorplanungen bis zur Rückkehr; Pilgern nach Tanta, bis heute. So auch die dörfliche Bruderschaft, zugleich vergehen zwischen jedem Kapitel einige Jahre, in denen von der der ägyptische Schriftsteller Abdalhakim Kassem (1934- Abdalasis vom Jungen zum Mann reift und die Bruderschaft altert. 90) in seinem Roman „Die sieben Tage des Menschen“ erzählt. Diese Struktur, die die wenige Tage dauernde Pilgerfahrt zu einer Er stellt eine muslimische Gemeinschaft vor, die die Pilgerreise als Höhepunkt eines jeden Jahres feiert. Das restliche Jahr über versam- meln sich die Brüder Abend für Abend, nach getaner Feldarbeit, im Haus ihres Oberhaupts, des wohlhabenden Bauern Hagg Karim. Dort lesen sie religiöse Texte, sie führen anregende Gespräche – oder plaudern über Alltägliches. Ganz unterschiedlich sind die Männer, die sich da zusammen-

finden: Der zurückhaltende, strenggläubige Krämer kommt, es ist Abdalhakim Kassem: einer darunter, der gut vorlesen, einer, der gut die Gesänge leiten Die sieben Tage des Menschen. Aus dem Arabischen von kann. Auch merkwürdige Typen wie ein ständig zu Witzeleien auf- Hartmut Fähndrich. gelegter Kleptomane gehören dazu, oder ein Taubstummer, dessen Lenos Verlag, Basel 2005, bruchstückhafte Sprechversuche belächelt, aber respektiert werden. 279 Seiten, 22,50 Euro. Sie stören das geistliche Gespräch dieser Dörfler nicht, denen alles Eifernde oder Elitäre ganz fremd zu sein scheint. Dafür sorgt nicht zuletzt Hagg Karim, der als großzügiger Hausherr ein liberales Regiment führt. Unter ihnen sitzt aber auch Abdalasis, Hagg Karims Sohn. Aus der Perspektive dieses Jungen verfolgen wir den Fort- gang der Geschichte. Mit ihm lernen wir auch die weiblichen Seiten des häuslichen Lebens kennen, den großen Backtag beispielsweise. Der ganze Reise durchs Leben werden lässt, ist zudem noch die Geschichte dörfliche Kosmos wird erzählt, was den Autor – wie dem Nachwort eines Generationswechsels: Abdalasis hat inzwischen das Dorf zu entnehmen ist – berühmt gemacht hat, als der Roman 1969 im verlassen, sich von seiner Familie entfremdet, und studiert in Alex- Original erschien. Berühmt vor allem deshalb, weil Kassem die Re- andria; als er wieder heimkommt, erscheint ihm das Dorf alt und verwahrlost. Wir können nicht ausmachen, ob dies nur der Ein- druck des jungen Mannes ist, der inzwischen die moderne Groß- stadt erlebt hat, oder ob sich das Dorf tatsächlich im Niedergang ANZEIGE befindet. Feinheiten wie diese weisen Abdalhakim Kassem als großen $)%-/.!43:%)43#(2)&4:5,!4%).!-%2)+! Erzähler aus, auch wenn sich das Buch als Ganzes eher mühsam liest: Es gibt eigentlich keinen fortlaufenden Erzählstrang, sondern wir lesen eine lange Folge von Mikrogeschichten. Situationen und alltägliche Abläufe werden geschildert, vorangegangene Ereignisse 0OLITIK eingeschoben, alles nur ein paar Sätze lang, dann geht es woan- ders weiter. Dialoge sind kaum mehr als kurze Wortwechsel ohne 3OLIDARITËT Entwicklung, und nur der große Bogen hält das Buch zusammen. +ULTUR Wer den Spannungsaufbau europäischer Romane sucht, wird ent- -EINUNG täuscht. Diese Erzählweise ist jedoch keineswegs auf Kassems Un- vermögen zurückzuführen: Dass er auch nach heutigen Maßstäben 'ESELLSCHAFT packend zu erzählen versteht, hat er in den beiden hervorragenden Novellen, die 2004 in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Vom Diesseits und vom Jenseits“ ebenfalls im Lenos Verlag veröffentlicht wurden, unter Beweis gestellt. Der Sinn der Handlungsarmut in „Die sieben Tage des Menschen“ erschließt sich (mir) dennoch nicht; vielleicht wollte er die Allgemeingültigkeit der beschriebenen 0ROBEABO  %URO  !USGABENUNVERBINDLICHINS(AUS Verhältnisse unterstreichen, die tatsächlich sehr plastisch werden. ,ATEINAMERIKA.ACHRICHTEN IM-EHRINGHOF ONLINE Über das Leben der einfachen Leute in der ägyptischen Provinz ist 'NEISENAUSTRA”EA$ "ERLIN jedenfalls so Genaues zu erfahren, dass man den Niedergang des FON  ;=  MAIL,. IPNDE BESTELLEN WWWLATEINAMERIKANACHRICHTENDE Dorfes und der Bruderschaft zutiefst bedauert. Valentin Schönherr

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„Das Gemeinschaftsgefühl ist wieder stärker geworden“ Ein Gespräch mit den MacherInnen der entwicklungspolitischen Bildungs- und Informationstage in Ostdeutschland

In Sachsen heißen sie SEBIT, in Brandenburg BREBIT und in Thüringen Birgit Laue: Ergänzend zum schulischen THEBIT. Was bei aller Unterschiedlichkeit bleibt, das sind die „BITs“: die Bildungsprogramm ist uns wichtig, den entwicklungspolitischen Bildungs- und Informationstage – auch wenn es Schulen ein außerschulisches Angebot zu in Mecklenburg-Vorpommern dafür noch keinen griffigen Namen gibt bieten, wo sie Beispiele aus der Praxis sowie das breite Spektrum der Organisati- und sich das ganze in Berlin „Bildungsprogramm auf der Importshop- onen und deren Arbeit kennen lernen. Messe“ nennt. Alljährlich im Herbst werden innerhalb weniger Wochen zwischen Rostock, Zittau und Erfurt rund 450 entwicklungspolitische Thomas George: Das wichtigste ist, Öffent- Veranstaltungen mit mehreren tausend TeilnehmerInnen durchgeführt. lichkeit zu gewinnen. Breite Öffentlichkeit Erstmalig fanden die Bildungstage 1994 in Thüringen statt, erstmalig heißt für mich vom Kindergarten angefan- sollen sie 2006 auch in Sachsen-Anhalt stattfinden. Und erstmalig haben gen bis hin zur Berufsschule, von Leuten, die nun – auf Einladung der Stiftung Nord-Süd-Brücken – die Organisato- einfach nur in eine Kneipe gehen bis hin zu rInnen aus allen Bundesländern an einem Tisch gesessen und ihre Er- solchen, die abends in eine Kulturveranstal- tung gehen. fahrungen ausgetauscht. Mit dabei waren Anne Schicht vom Verein aha – anders handeln aus Dresden, Adina Hammoud von der Gesellschaft Wenn ihr in die breite Öffentlichkeit für Solidarische Entwicklungszusammenarbeit/Brandenburg, Birgit Laue hinein wollt, müsst ihr dann nicht auch von KATE aus Berlin, Sibylle Gundert-Hock vom Eine-Welt-Landesnetz- die breite Öffentlichkeit in die Vorbe- werk Mecklenburg-Vorpommern und Thomas George vom Eine-Welt- reitung reinholen und ganz neue Alli- Netzwerk Thüringen. anzen und Kooperationen eingehen?

Wenn ihr die letzten Bildungstage Re- Wissenschaftler und einem NRO-Vertreter George: Wir in Thüringern probieren, Bünd- vue passieren lasst, was war der Hö- aus Sachsen. nisse wieder aufzufrischen und gehen auch hepunkt oder ein einmaliger Moment, neue Allianzen ein. Allianzen zum Beispiel den ihr gerne herausstellen würdet? Wo und wie unterscheiden sich denn mit der Grünen Liga, einem starken Umwelt- die Bildungstage von normalen Veran- verband in Thüringen, der auch Themen der Sibylle Gundert-Hock: Wir hatten die staltungsreihen? Gibt es da besondere entwicklungspolitischen Bildungsarbeit auf- altgediente Ausstellung „Entwicklungsland Synergien oder Dynamiken? greift. Ein anderer Partner in Thüringen ist D“ für zwei Wochen ins Bildungsministe- die DED-Bildungsstelle in Weimar. Allein in rium gehängt. Da war der Aufschrei der Gundert-Hock: Ein Punkt, der die landes- diesem Jahr sind durch den Katalog schon Empörung bei einigen Damen und Herren weiten entwicklungspolitischen Bildungs- wieder Synergien entstanden. So wurden schon während des Aufhängens groß. Die tage von anderen Reihen unterscheidet, ist nicht nur im Zeitraum der THEBIT Ange- Ausstellung hat Anstoß erregt, und genau die viel stärkere Einbindung anderer Ak- bote an Schulen gemacht, sondern es sind das wollten wir. Dies hat schließlich zu teure. Bei uns sind das etwa die politischen darüber hinaus Kontakte zu den Schulen einem Gesprächstermin im Ministerium zum Stiftungen, die Europäische Akademie, das entstanden. Der DED kann hier mit seinen Thema Bildung für nachhaltige Entwicklung kommunale Kino, ein Theater oder so et- Rückkehrern Angebote machen, die auch geführt. was wie das Kulturhaus Kornhaus in Bad finanziert sind. Und das ist fantastisch. Doberan. Adina Hammoud: Worauf wir bei der Schicht: Die breite Öffentlichkeit versuchen BREBIT ziemlich stolz sind, waren die Eröff- Hammoud: Das kann ich nur unterstrei- wir zu gewinnen, indem wir Partner anspre- nungs- und Abschlussveranstaltung. Es ist chen. Das Gemeinschaftsgefühl ist wie- chen, die nicht so nah am Thema Entwick- gelungen, ohne sehr große Überzeugungs- der ein bisschen stärker geworden. Hinzu lungspolitik dran sind. Die Beat-Akademie arbeit den Bildungsminister von Branden- kommt die beginnende Vernetzung mit den in Bautzen ist so ein Beispiel: Traditionell burg, Holger Rupprecht, als Schirmherrn zu anderen Bundesländern, in denen ja zeit- im Oktober veranstalten die immer eine gewinnen. gleich auch Bildungstage stattfinden. Das Beat-Akademie. Da haben wir uns einge- war dieses Jahr richtig schön, denn Meck- klinkt und haben dort Straßenkinder aus Anne Schicht: Ein Höhepunkt der SEBIT lenburg-Vorpommern war auf unserer Ab- Kolumbien, die Musik machen und ohnehin war sicherlich die Eröffnungsveranstaltung, schlussveranstaltung vertreten, und es gab im Rahmen der Bildungstage in Sachsen die wir in Zusammenarbeit mit der TU Dres- auch einen Austausch mit dem Bildungspro- waren, untergebracht. Die Jugendlichen den durchgeführt haben. Es gab einen sehr gramm der Importshop-Messe in Berlin. aus Bautzen haben sich mit Jugendlichen guten Vortrag eines angolanischen Journa- aus Kolumbien zusammengetan. Die haben listen und, was ich sehr spannend fand, Was ist denn für euch das wichtigste zusammen Musik gemacht und nebenbei jede Menge Workshops, die jeweils ge- Anliegen der Bildungstage und des Bil- haben sie sich darüber ausgetauscht, wie meinsam gestaltet worden sind von einem dungsprogramms des Importshops? ihr Leben so ist.

INKOTA-Brief 135 • März 2006 43 NETZWERK

Birgit, du hast erwähnt, dass es euch nicht immer nur in Dresden, sondern auch überfordert waren. drauf ankommt, Schulklassen andere in anderen größeren Städten wie Leipzig Formen und auch andere Inhalte des und Chemnitz. Und natürlich versuchen wir Gundert-Hock: Ich glaube, dass Antiras- Lernens zu vermitteln. Bleibt es bei auch, viele Veranstaltungen in Großenheim, sismusarbeit und Präventionsarbeit gegen diesen einmaligen bildungspolitischen in Bautzen oder in Aue stattfinden zu las- rechte Gewalt nicht mal eben nebenher Interventionen oder wird nach Been- sen. gefahren werden kann. Und für MeckPom digung des Importshops daran ange- ist Antirassismus zurzeit kein Fokus der knüpft? Hammoud: Gerade in richtig kleinen Dör- entwicklungspolitischen Tage. Aber bei uns fern kann ziemlich viel laufen, wenn die finden zeitgleich die bundesweiten multikul- Laue: Schulklassen kommen tatsächlich Leute sich angesprochen fühlen. Ein Beispiel turellen Wochen statt. Es wäre ein guter An- wieder. Lehrerinnen und Lehrer bauen die aus dem vergangenen Jahr: Da war das satz, wenn man sich da noch mal vernetzen Thematik immer mehr in den Unterricht ein. Thema „Lesen und lesen lassen“, und es würde und auf diese Weise beide Themen Wir geben ja vorher auch ein Begleitheft gab eine Initiative, einen Leseklub aus einer stärker koppelt. heraus, so dass sich wirklich im Unterricht Schule irgendwo in Südbrandenburg. Da darauf vorbereitet werden kann. Und wir waren mehr Zeitungsseiten voll über den George: Die BITs haben relativ wenig mit tauschen mit den anderen Organisationen Leseclub in Uebigau und seine Aktivitäten Antifa-Arbeit zu tun. Aber entwicklungspo- Kontaktlisten von interessierten Lehrerinnen während der BREBIT als über die große litische Bildungsarbeit kann hier auf jeden und Lehrern aus. Lese-Veranstaltung mit Herrn Stolpe in Pots- Fall einen Beitrag leisten. Wenn ein Entwick- dam. lungshelfer in eine Klasse geht und dort von Hammoud: In Brandenburg sind wir in der seiner Arbeit erzählt, dann wirken solche glücklichen Lage, dass wir einige Schulen In der Außendarstellung der BITs wer- Erfahrungsberichte. haben, die selbst auch sehr aktiv werden den diese auch mit einem Engagement können. Es gibt einen Katalog mit the- gegen Rechtsextremismus und für To- Gundert-Hock: Ich finde, dass wir das matischen Angeboten, die innerhalb der leranz begründet. Ist das vielleicht nur teilweise recht unreflektiert handhaben. Al- BREBIT „gebucht“ werden können. Auf der ein Etikett oder schlägt sich das tat- lein die Tatsache, dass da ein Süd-Vertreter anderen Seite gibt es einige Schulen, die sächlich konzeptionell in den Veran- agiert, heißt doch noch nicht, dass ich da- mit Antirassismusarbeit fördere, überhaupt nicht. Das ist keine Garantie für gar nichts.

Hammoud: Ja, sicher ist das schwierig. Du kannst nicht per se antirassistische Arbeit leisten, nur weil du einen Afrikaner, Indianer oder Chinesen auf das Podium setzt. Aber für mich besteht der Ansatz eben darin, die Leute aus den Ländern des Südens einfach für sich selbst sprechen zu lassen.

Zum Abschluss: Denkt ihr, dass es Be- reiche gibt, in denen man sich in den nächsten Jahren stärker zusammen- schließen könnte?

Laue: Eine Möglichkeit wäre ein metho- discher Austausch. Das Konzept des Bil- dungsprogramms auf dem Importshop ist jetzt fünf Jahre alt, das ist mal ein guter Bildungstage in Neubrandenburg mit entwicklungspolitischem Theater Zeitpunkt, es noch mal grundsätzlich zu Foto: Marion Berlauer überdenken. sehr lebendige Schulpartnerschaften haben. staltungen der Bildungstage nieder? In Brandenburg gibt es allein drei Schulen, Gundert-Hock: Ich fände die Idee eines die bei der BREBIT mitmachen und Schul- Laue: Ich würde zustimmen. Entwicklungs- Fortbildungsthemas „Rassismus und entwick- partnerschaften mit dem Senegal haben. politische Arbeit ist in irgendeiner Form im- lungspolitische Bildung als Spannungsfeld“ mer auch antirassistische Arbeit, wenn auch für alle BIT-Veranstalter sehr spannend. Anne, ihr habt den Kongress „Was nicht so explizit, und von daher sollte man heißt hier arm?“ bewusst nicht in Dres- es auch nicht überbewerten. Uns ist aber Hammoud: Da fällt mir ein: Bei der Auftakt- den oder Leipzig, sondern in Görlitz aufgefallen, dass es schon wichtig wäre, in veranstaltung war Jörg Schreiber vom Lan- veranstaltet. Wie wichtig ist es, die ent- der Vorbereitung über Rassismus zu reden. desinstitut für Lehrerbildung aus Hamburg wicklungspolitischen Themen nicht nur Während des Bildungsprogramms gab es dabei, und der war so beeindruckt, dass in die Zentren, sondern auch aufs Land Schüler, die Bemerkungen machten, wo er meinte, derartige Bildungstage würde er und in die kleinen Orte zu tragen? man merkte, die haben aus dem Elternhaus jetzt in Hamburg vielleicht auch mal einfüh- oder sonst woher rechtsradikale Denkwei- ren wollen. Ist doch nicht übel, oder? Schicht: Es gibt ja verschiedene Großver- sen übernommen. Da kam dann auch die Die Fragen stellte Andreas Rosen von der Stiftung- anstaltungen bei der SEBIT. Die Eröffnung Rückmeldung von den einzelnen Ständen, Nord-Süd-Brücken. Das Gespräch wurde transkribiert zum Beispiel wechselt auch ständig. Die ist dass sie angesichts solcher Äußerungen von Marion Berlauer und redigiert von Tina Mayr.

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ABSCHIED VON SCHAFIK HANDAL am 16. Januar 1992 unterzeichnet wurde. Die Kontakte des INKOTA-netzwerks zu Schafik Seit einiger Zeit schon befindet sich die Linke in La- Handal datieren aus dieser Zeit, als er 1991 in teinamerika im Aufschwung, in immer mehr Ländern Berlin zu Gast war und INKOTA die Möglichkeit werden rechte Regierungen abgewählt. Zuletzt über- zu intensiven Gesprächen mit ihm hatte und eine raschte Bolivien, als im Dezember der Bauernführer Veranstaltung über die Friedensverhandlungen or- Evo Morales mit großem Vorsprung die Präsident- ganisierte. Die 90er Jahre sahen eine erstarkende schaftswahl gewann. An der Amtseinführung im FMLN, die aber zugleich mehrere Abspaltungen Januar nahm auch Schafik Handal teil, historischer hinnehmen musste. Zuletzt brach der parteiinterne Führer der Linken in El Salvador. Bei der Rückkehr Streit in offenen Flügelkämpfen aus, nachdem Scha- aus Bolivien am 24. Januar erlitt der 76-Jährige fik Handal 2004 bei den Präsidentschaftswahlen noch am Flughafen einen schweren Herzinfarkt, an deutlich gegen den Kandidaten der regierenden dem er kurz darauf verstarb. Es folgten bewegende rechten ARENA-Partei unterlag. Der linke Flügel Tage des Abschieds. Zehntausende erwiesen dem Schafik Handal um Schafik Handal setzte sich Ende 2004 bei der Foto: Annette Berger langjährigen Chef der Kommunistischen Partei El Neuwahl des Parteivorstands durch. Doch Partei- Salvadors die letzte Ehre und kamen in die Nationaluniversität, wo ausschlüsse und der Austritt hunderter Parteimitglieder sowie meh- er aufgebahrt wurde. Zum Begräbnis am 29. Januar kamen je nach rerer Abgeordneter schwächten die FMLN. Gestritten wurde unter Schätzung zwischen 100.000 und 200.000 Menschen. anderem um die Frage, ob die Aufstellung eines Kandidaten wie Schafik Handal engagierte sich schon seit den 40er Jahren in der Schafik Handal mit deutlich linkem Ruf die Hauptursache für die Politik und beteiligte sich 1944 an einem Streik gegen den Diktator Wahlniederlage war oder nicht, und ob sich die FMLN personell Hernández Martínez. Er trat der Kommunistischen Partei bei, de- und inhaltlich mehr zum Zentrum öffnen müsste. ren Generalsekretär er Ende der 60er Jahre wurde. Nach langen Schafik Handal verteidigte eine klar linke Positionierung der FMLN Diskussionen um die richtige Strategie im Kampf gegen die sich und erfuhr dafür auch Ablehnung. Doch mit seinem Tod war diese abwechselnden Militärdiktaturen im Land begann auch die KP mit Kritik verschwunden. Auch wer zuletzt im Streit mit ihm und sei- dem Aufbau bewaffneter Einheiten und gründete im Herbst 1980 nen Positionen lag, rühmte nun seine Verdienste um die Linke und mit anderen Guerillaorganisationen die „Nationale Befreiungsfront das Land. Bald schon wurde vom „Schafik-Effekt“ gesprochen, es Farabundo Martí“ (FMLN). Schafik Handal wurde Mitglied der fünf- bahnte sich ein politisches Erwachen im Land an. Die FMLN legte köpfigen Generalkommandantur der FMLN. Zum Ende des zwölf- in den Umfragen zu den Parlaments- und Kommunalwahlen am jährigen Bürgerkriegs (1981-1992) hin war er Chef der FMLN- 12. März zu, der zuletzt deutliche Abstand zu ARENA begann Kommission, die unter Vermittlung der Vereinten Nationen mit der zu schmelzen. So ist das gute Abschneiden der FMLN bei diesen Regierung über ein Friedensabkommen verhandelte, das schließlich Wahlen auch ein letzter Verdienst von Schafik Handal.

GRUPPENBERATUNG er dann Anfang 2006 von uns Abschied Für seine Kritik an den Großgrundbesit- und konzentriert sich seitdem voll auf den zern, aber auch an ausländischen Minen- Der Dienstälteste auf neuen We- Chemnitzer Laden. konzernen, die sich mit zweifelhaften Me- gen. Mathias Höppner, der dienstälteste Dennoch will er auch zukünftig mit INKOTA thoden in San Marcos und anderen Regi- Gruppenberater im Osten Deutschlands, in Verbindung bleiben. So arbeitet er wei- onen des Landes breit machen, hat er schon ist seit Anfang 2006 nicht mehr bei INKO- terhin im Beirat für die Gruppenberatung in mehrmals Todesdrohungen erhalten. Aber TA tätig. Er war seit April 1994 bei uns Sachsen mit und liebäugelt auch mit einem auch mit seiner deutlichen Kritik am mit den angestellt und hat in dieser Zeit die Arbeit Einsatz bei der diesjährigen INKOTA-Fair- USA und den anderen Ländern Zentralame- der Gruppenberatung wesentlich geprägt. tour. Uns sollte es freuen! rikas vereinbarten Freihandelsabkommen Wir danken ihm für diese fast zwölfjährige CAFTA hat er sich keine Freunde bei den engagierte Basisarbeit bei INKOTA ganz Mächtigen des Landes gemacht. GUATEMALA herzlich. Gleichzeitig wünschen wir ihm Umso größer war die Freude bei sei- für seine jetzige Tätigkeit „ein glückliches Alvaro Ramazzini ist neuer Vorsit- nen guatemaltekischen Freunden und bei Händchen“. Wir sind sehr gespannt auf zender der Bischofskonferenz. Seit INKOTA, als Alvaro Ramazzini Ende Januar deren zukünftige Ergebnisse; denn Mathias 17 Jahren ist Alvaro Ramazzini Bischof zum neuen Vorsitzenden der Guatemalte- ist zwar bei INKOTA, nicht aber aus seiner der Diözese San Marcos. In dieser Zeit kischen Bischofskonferenz gewählt wurde. Arbeit im Fairen Handel ausgeschieden. hat er sich immer wieder deutlich für die Seine Stimme für die Armen wird in Zukunft Der Weltladen in Chemnitz, jahrelang im arme Bevölkerungsmehrheit in San Mar- in Guatemala noch mehr Gewicht haben. Umweltzentrum beheimatet, hat Ende 2004 cos eingesetzt. Dafür gründete er unter Wir gratulieren herzlich nach San Marcos! den Sprung in das attraktive Kulturkaufhaus anderem auch Anfang der 90er Jahre in im Zentrum der Stadt gewagt. Mathias, der seiner Diözese eine Landpastorale, mit der den Weltladen im Jahr 1990 mit aufgebaut INKOTA seit 1998 zusammenarbeitet. Die AGRARSUBVENTIONEN hat, wurde nach dessen Umzug Geschäfts- Landpastorale unterstützt die Organisierung Neue Initiative für Transparenz bei führer, zunächst parallel zur Gruppenbe- der Landbevölkerung und bietet Kredite und EU-Agrarsubventionen. Dass die EU- ratung mit einer halben Personalstelle. Er Weiterbildungen für Kleinbauern an. Bei Agrarpolitik jährlich mehr als 40 Milliarden musste jedoch schnell erkennen, dass die Landkonflikten versucht sie zu vermitteln, Euro verschlingt, ist vielen bekannt. Unklar Professionalisierung eines Weltladens „mit unterstützt dabei aber klar die Belange der ist hingegen, wofür welche Unternehmen halber Kraft“ nicht zu leisten ist. So nahm Landlosen. und landwirtschaftlichen Betriebe wie viel

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Agrarsubventionen erhalten. Das soll sich gebunden werden. Darauf zielt die Initi-

jetzt ändern! In der „Initiative für Trans- ative ab, wenn sie die Offenlegung der IMPRESSUM parenz bei EU-Agrarsubventionen“ haben Verwendung von EU-Agrarsubventionen ISSN 1613-1789 sich 21 Organisationen – darunter das fordert. Die „Initiative für Transparenz bei 34. Jahrgang/März 2006/Heft 135 INKOTA-netzwerk – zusammengeschlossen, EU-Agrarsubventionen“ setzt sich für eine Erscheinungsdatum: 23. März 2005 um die Veröffentlichung der Verteilung der Wende in der Förderpolitik ein hin zu einer Der Innenteil des INKOTA-Briefs ist auf 100 Prozent Altpapier gedruckt, der Umschlag auf einem Papier Agrargelder einzufordern, wie es in einigen sozial gerechten, bäuerlichen, regionalen, mit 80 Prozent Recycling-Anteil. EU-Staaten bereits üblich ist. ökologisch verträglichen und tiergerechten Der nächste INKOTA-Brief erscheint im Juni 2006 mit Gemäß den letzten verfügbaren Zahlen Landwirtschaft. dem Schwerpunkt: Die Macht der Konzerne erhalten in Deutschland 0,5 Prozent der Hintergrund- und Presseinformationen, das Redaktionsschluss: 1. Mai 2006 Betriebe jeweils mehr als 300.000 Euro, gemeinsame Positionspapier der Kampag- Herausgeber: INKOTA-netzwerk e.V. Geschäftsstelle Berlin, Greifswalder Str. 33a, 10405 während 70 Prozent der Betriebe jeweils ne, einen Überblick über aktuelle Aktivitäten Berlin, Tel.: 030/4289111, Fax: 030/4289112, bis zu 10.000 Euro erhalten. Der überwie- sowie eine Liste der Unterstützer gibt es un- E-Mail: [email protected], www.inkota.de gende Teil der Gelder ist nicht an wirksame ter www.wer-profitiert.de/de/kampagne. Regionalstelle Sachsen, Kreuzstr. 7, 01067 Dresden, soziale und ökologische Kriterien gekop- Telefon: 0351/4923366, Fax: 0351/4923360, E-Mail: [email protected] pelt. Einige rationalisierte flächenstarke Be- TERMINE Redaktionskreis: Dawid Bartelt, Hans-Joachim triebe kommen somit auf Prämienzahlungen Döring, Dorothea Giesche, Martin Herrbruck, von umgerechnet bis zu 120.000 Euro je 2. bis 3. Mai, Fohrde: Kinder entde- Michael Krämer (V.i.S.d.P.), Hartmut Lorenz, Armin Arbeitskraft, während der Durchschnitt der cken eine Welt. Das Auftaktwochenende Massing, Thomas Ruttig, Peter Steudtner, Stefan Thimmel Betriebe weniger als ein Zehntel davon je zu einer Fortbildungsreihe für ErzieherInnen Layout: Olaf von Sass, Telefon: 0170 8446466 Arbeitskraft erhält. und PädagogInnen aus Kita und Grund- Herstellung: h&p Druck, Telefon: 030/69578416 Diese Verteilung der Gelder bringt mehr schule bietet eine thematische und metho- Redaktionsanschrift und Bestelladresse: INKOTA- Verlierer als Gewinner mit sich. Verlierer dische Einführung in das Thema „Globales netzwerk e.V., Greifswalder Str. 33a, 10405 Berlin, Tel.: 030/4289111, Fax: 030/4289112, sind kleinere Betriebe, die ums Überleben Lernen“. Die darauf folgenden Termine am e-mail: [email protected] kämpfen, die Umwelt, die unter den Folgen 29. Juni 2006 und am 31. August 2006 Einzelheft: 3 Euro (plus Porto) Jahresabo: 11 Euro der Intensivlandwirtschaft leidet, und die sollen dem Erfahrungsaustausch bzw. der (inkl. Porto) Förderabo: 15 Euro (inkl. Porto) Kleinbauern in den so genannten Entwick- Reflexion dienen. Ort: Villa Fohrde. Teilnah- Bankverbindung: Konto-Nr. 155 500 0010, lungsländern, die mit den billigen, subven- mebeitrag: 40 Euro. Weitere Informationen KD-Bank, BLZ: 350 601 90, Kennwort: INKOTA-Brief tionierten Lebensmitteln aus der EU nicht und Anmeldung: HochVier – Gesellschaft Namentlich gekennzeichnete Artikel müssen nicht konkurrieren können. für politische und interkulturelle Bildung, mit der Ansicht der Redaktion übereinstimmen. Die Prämien müssen an den sozialen und Tel.: 0331/5813210, E-Mail: hochvier@ Nachdruck von Beiträgen mit Genehmigung der Redaktion und Zusendung eines Belegexemplares. ökologischen Nutzen für die Gesellschaft gmx.de. Ordentliche Mitglieder im INKOTA-netzwerk: aha – anders handeln e.V., Kreuzstraße 7, 01067 Dresden AK Entwicklungshilfe, c/o INKOTA-Re- gionalstelle, Kreuzstraße 7, 01067 Dresden Aktion ANZEIGE Verantwortlich Leben e.V., Schillerstraße 6, INKOTA texte 3 99976 Struth Aktionsgruppe Eine Welt e.V., Puschkinstraße 18, 19055 Schwerin BAOBAB- Quick fix – Die Suche nach der schnellen Lösung Infoladen Eine Welt e.V., Christburger Straße Was bringen Sozial-Audits den Näherinnen der Sweatshops? 38, 10405 Berlin EINE WELT Info LADEN, Kirch- straße 4, 12555 Berlin Eine-Welt-Gruppe der In dieser Studie wurde durch die Partner der internationalen Kampagne für ‚Saubere’ Sophiengemeinde, c/o E. Gringmuth-Dallmer, Große Hamburger Straße 31, 10115 Berlin Eine- Kleidung untersucht, ob mittels Kontrollen und Sozial-Audits in den Weltmarktfabriken Welt-Haus e.V., Unterm Markt 13, 07743 Jena der Textilindustrie das Problem zwangsweiser Überstunden und zu niedriger Löhne Eine-Welt-Laden am Dom, c/o Gisela Schwerin, beendet werden kann. Lilienweg 7, 14772 Brandenburg Eine-Welt-La- Dazu wurden Manager und Inspekteure von Sozial-Audits und insgesamt 670 Arbei- den Cottbus e.V., Straße der Jugend 94, 03046 terInnen aus etwa 40 Fabriken in Bangladesch, China, Kenia, Indien, Indonesien, Cottbus Eine Welt – Nueva Esperanza, c/o Eine Marokko, Pakistan und Rumänien befragt. In Interviews berichteten die befragten Welt Laden, 2. Ringstraße 203, 17033 Neubranden- ArbeiterInnen über ihre Angst, Informationen über ihren Arbeitsplatz preiszugeben, da burg Informationszentrum WELT-Laden e.V., sie Repressionen befürchten. Henriettenstraße 5, 09112 Chemnitz Initiative Neben dem ausführlichen Überblick über aktuelle Initiativen und Trends wird ein Fazit Rumänien e.V. Dresden, Prof.-von-Finck-Straße 6, 01109 Dresden Initiative zur Förderung durch zahlreichen Inter- INKOTA-netzwerk (Hg.): der Afrikaarbeit in Nord- und Ostdeutsch- viewzitate dokumentiert: land e.V., c/o Just Moting, Friedensallee 263, Quick fix – Die Suche nach der Sozial-Audits entwickel- 22763 Hamburg Kontaktstelle für Umwelt schnellen Lösung. Was bringen ten sich zum blühenden und Entwicklung e.V. (KATE), Greifswalderstra- Sozial-Audits den Näherinnen Geschäft in der Textil- ße 4, 10405 Berlin Mittelamerika- Initiative der Sweatshops? Übersetzung und Sportbekleidungsin- Leipzig e.V., Kochstraße 109, 04277 Leipzig Oi- aus dem Englischen. INKOTA dustrie. Ein ganzer Indus- kocredit – Förderkreis der ökumenischen Entwicklungsgenossenschaft im östlichen texte 3, 112 Seiten, 5 Euro triezweig von kommer- ziellen Prüfgesellschaften Deutschland, c/o einewelt haus Magdeburg, plus Porto. Schellingstraße 3-4, 39104 Magdeburg Ökohaus mit den verschiedensten Rostock, Hermannstraße 36, 18055 Rostock Richtlinien ist entstanden. Bestellungen an: INKOTA- Puerto Alegre e.V., Franz-Mehring-Straße 20, Ist das der Durchbruch 15230 Frankfurt/Oder Verein zur Förderung netzwerk, Greifswalder Stra- bei der Verbesserung des Verständnisses für die Probleme der ße 33a, 10405 Berlin, Tel.: der Arbeitsbedingungen Einen Welt e.V., Straße des Friedens 28, 98693 030/4289111, E-Mail: hinz- oder nur ein „Quick fix“ Ilmenau 2/3-Welt-Arbeitskreis, c/o Friedrich [email protected], Web: www. – eine schnelle, aber un- Brachmann, Jacobistr. 19, 01309 Dresden Rund inkota.de. zureichende Lösung? 130 Einzelmitglieder

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20. Mai, Leipzig: WTO macht Hun- ger. Ein Studientag zur Handelspolitik der Materialliste Welthandelsorganisation WTO und ihrer Ex. Auswirkungen auf die Menschen im Süden. INKOTA allgemein Themen sind unter anderem die Funktions- Q Jahresbericht 2004, 36 S. kostenlos weise der WTO, der aktuelle Stand der Q Faltblatt INKOTA kostenlos WTO-Verhandlungen und die Forderungen Q INKOTA-Stiftung, Faltblatt kostenlos der Entwicklungsländer in diesen Verhand- Q INKOTA-Aufkleber: Ich habe es satt, dass andere hungern 0,50 $ lungen. Ein Schwerpunkt der Beschäftigung Q Soñadores – Unsere Träume sind der Anfang einer neuen Wirklichkeit 14,00 $ ist dabei der Agrarhandel. Außerdem soll Die 30 Jahre INKOTA-Jubiläums-CD ab 3 Exemplare je 10,00 $ diskutiert werden, welche Alternativen es Auslandsprojekte zum Freihandel um jeden Preis gibt und wie Q Die Zukunft Träumen. Ein Video über die Arbeit Ausleihe kostenlos man sich für faire Regeln im Welthandel des Frauenzentrums Xochilt Acalt in Nicaragua als VHS 10,00 $ / als DVD 5,00 $ einsetzen kann. Es referieren Arndt Massen- Q Faltblatt INKOTA-Projekte kostenlos bach (INKOTA), Michael Frein (EED) und Q Projekt-Info Juni 2004: Nicaragua kostenlos Christiana Schuler (Attac-Agrar-Netz). Q Projekt-Info Juni 2005: Mosambik kostenlos Projekt-Info Dezember 2005: Zentralamerika, Mosambik kostenlos Ein Studientag (10 bis 17 Uhr) zu Inter- Q nationaler Handelspolitik und Ernährungs- Entschuldung souveränität. Veranstalter: ENS, INKOTA- Q INKOTA (Hg.): „Entschuldung für die Armen? Fünf Jahre nach Köln – eine Bilanz netzwerk und Arbeitsstelle Eine Welt in der der HIPC-Initiative. INKOTA texte 2, 2004, 148 S. 6,00 $ Ev.-Luth. Kirche Sachsen. Anmeldung und Q erlassjahr.de, INKOTA, philippinenbüro (Hg.): weitere Informationen: INKOTA-netzwerk, Handbuch Illegitime Schulden. 2003, 64 S. 4,00 $ „Entschuldung fair ändern“. Aktionshandbuch von erlassjahr.de. 58 S. 2,50 Arndt Massenbach, Tel.: 030/4289111, Q $ Q „Schulden im Sinne der Anklage“ – Einführung in das Thema FTAP. E-Mail: [email protected]. Video. Ausleihe kostenlos

Internationale Handelspolitik und WTO Q EED, WEED (Hg.): Freie Fahrt für freien Handel? Die EU-Handelspolitik ANZEIGE Solidaritäts- zwischen Bilateralismus und Multilateralismus. April 2005, 56 S. kostenlos Q EED (Hg.): Verraten und verkauft? Entwicklungsländer in der WTO. März 2005, 44 S. kostenlos Q Forum Umwelt und Entwicklung, EED (Hg.): In Cancún gestrandet? brigade Welthandelspolitik im Nord-Süd-Konflikt, 64 S. kostenlos Q Gerechtigkeit jetzt! Die Welthandelskampagne. Faltblatt kostenlos

nach Kampagne für ‘Saubere’ Kleidung Q NEU:INKOTA (Hg.): Quick fix. Die Suche nach der schnellen Lösung. Was bringen Sozial-Audits den Näherinnen der Sweatshops? INKOTA texte 3, März 2006, 112 S. 5,00 $ Nicaragua Q Tchibo – jede Woche eine neue Welt. Postkarte kostenlos Q Tchibo – jede Woche eine neue Welt. Faltblatt kostenlos Q Video: Tschibo und die billige Kleidung 12,00 $ von Anfang August bis Q CCC-D (Hg.): Textileinkauf bei Kommunen und Gemeinden, 2004, 20 S. 12,00 $ September 2006 Q Play Fair bei Olympia. Arbeitsbedingungen in der Sportbekleidungsindustrie, 80 S. 3,00 $ Q Südwind: Nadelstiche von VerbraucherInnen. Modemultis in Bewegung, 2003, 28 S. 4,00 $ Q Aktueller Rundbrief der Kampagne für ‘Saubere’ Kleidung kostenlos - andere Lebenssituationen Q Aktionsflyer „Coole Klamotten“ und Kundenkarten kostenlos kennenlernen Vom Süden lernen - Austausch politischer Q Vom Süden lernen. Erfahrungen mit einem Antidiskriminierungsprojekt und Erfahrungen Anti-Bias-Arbeit. INKOTA texte 1, 2002, 112 S. 6,00 $

- praktische Solidarität INKOTA-Brief (aus)üben Q Einzelhefte (bis Ausgabe 110 – Dezember 1999) je 1,00 $ Q Einzelhefte (bis Ausgabe 124 – Juni 2003) je 2,00 $ Q Einzelhefte (ab Ausgabe 125 – September 2003) je 3,00 $ Q Alle lieferbaren Ausgaben bis Heft 134 (Titel unter www.inkota.de) 25,00 $ Q Die letzten 5 Ausgaben (130 – 134) 10,00 $

Außerdem Q Friedensfahnen aus Italien: Regenbogenfarben, Aufdruck „PACE“ 10,00 $ Q Armes reiches Deutschland. Jahrbuch Gerechtigkeit I. 2005, 255 S. 13,90 $

Ausstellungen (gegen Transportkosten) INKOTA-Ausstellung und Medieneinheit „Gemeinsam für eine gerechtere Welt“. 12 Tafeln mit Ständersystem • „fresco alemán“ – Impressionen von einem INKOTA-workcamp im Westen Nicara- guas. 12 Bildtafeln, 1995 • „Leben in Vietnam“ – Bilder von Rolf Walter erzählen vom alltäglichen Leben in Vietnam und der Situation zweier Sonderschulen für Hör- und Sprachgeschädigte in der Provinz Vinh (43 großformatige Fotografien) • „Erbe“ – Bilder des Malers João Reginaldo Tinga, Infos über: Mosambik. 12 Ölgemälde zeigen in ihrer Abstraktion Lebenssituationen des heutigen Mosambik Ökumenisches Büro e. V. • Aktions- und Medienkiste „Textilien“ mit Videos, CD-Roms, Informations- u. didaktischem Material Pariser Str. 13 • 81667 München und einer Ausstellung auf der Wäscheleine Tel: 089 / 448 59 45 BESTELLADRESSE Fax: 089 / 48 76 73 INKOTA-netzwerk e.V., Greifswalder Str. 33a, 10405 Berlin, Tel: 030/4289 -111, [email protected] Fax: -112, E-Mail: [email protected]. Alle Bestellungen zzgl. Porto. www.oeku-buero.de

INKOTA-Brief 135 • März 2006 47 Jon Cortina,SJ 8.12.1934 – 12.12.2005 Wir singen für dich, weil es nicht stimmt, Te cantamos porque no es cierto dass du gestorben bist. que te hayas muerto. Wir singen für dich, weil du lebst, Jon, Te cantamos porque estás vivo Jon und nicht weil du gestorben bist. y no porque te hayas muerto. Weil du in den Seelen deiner Leute lebst Porque estás vivo en el alma de tu gente und im Lächeln der Mädchen y en la risa de las niñas im Grün der Ceiba- und der Amate-Bäume en el verde de las ceibas y los amates in den Hütten und Werkstätten en las champas y talleres und in den Maisäckern und Zuckerrohrfeldern y en las milpas y cañales auf den Straßen und Wegen en las calles y veredas und in den Kaffeepflanzungen. y en los cafetales. Wir singen für dich, weil du lebst, Jon, Te cantamos porque estás vivo Jon und nicht weil du gestorben bist. y no porque te hayas muerto. Eben, weil du in den Gesichtern deiner Leute Porque estás vivo en los rostros de tu gente, weiterlebst, Jon. pués, Jon. Foto: CIR 1974 kam der baskische Jesuit Jon Cortina an die Jesuiten- universität UCA in San Salvador, wo er bis kurz vor seinem Tod an der Fakultät für Ingenieurwesen unterrich- tete. Schon bald engagierte er sich in der Volkskirche, die sich an der Seite der Armen gegen die Unterdrückung in El Salvador stellte. Die Ermordung des Pfarrers Rutilio Grande 1977 und von Erzbischof Oscar Arnulfo Romero 1980 bestärkte ihn noch in der Überzeugung, dass in diesem Land grundlegende Veränderungen notwendig sind. Über viele Jahre hinweg begleitete der Befreiungs- theologe Gemeinden in den Kriegsgebieten El Salvadors. Seit 1987 arbeitete er als Pfarrer in Guarjila, einer Rück- siedlungsgemeinde in dem von der Guerilla FMLN kont- rollierten Teil des Departements Chalatenango.

1994 gründete er in Guarjila mit anderen die „Asocia- ción Pro-Busqueda de Niñas y Niños Desaparecidos“ („Vereinigung für die Suche nach verschwundenen Kindern“), um das Schicksal und den Verbleib von wäh- rend des Krieges in El Salvador (1980-92) meist durch das Militär entführte Kinder aufzuklären. Fast 300 von knapp 750 Fällen konnte „Pro-Busqueda“ bis Ende 2004 aufklären und häufig ein Wiedersehen innerhalb der Familie organisieren. Bis zuletzt steckte Jon Cortina seine enorme Energie in die Arbeit von „Pro-Busqueda“.

Ende November 2005 erlitt Jon Cortina in Guatemala ei- nen Schlaganfall, an dessen Folgen er am 12. Dezember 2005 starb. „Wir werden das Andenken an Jon Cortina lebendig erhalten, damit das Volk Hoffnung und Mut bewahrt“, sagte Jon Cortinas langjähriger Freund und Kollege Jon Sobrino, SJ. In der bundesdeutschen El Sal- vador-Solidaritätsbewegung kannten viele Jon Cortina und bewunderten seinen unermüdlichen Einsatz für „Pro-Busqueda“. Gemeinsam mit vielen anderen Orga- nisationen der Solidaritätsbewegung veröffentlichte IN- KOTA das oben stehende Gedicht für Jon Cortina in der salvadorianischen Tageszeitung Co Latino. Mit Jon Corti- na verliert INKOTA einen guten Freund in El Salvador.