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BAD 90 »Mir fehlt etwas, wenn ich keine Musik höre. Und wenn ich Musik höre, fehlt mir erst recht etwas. Dies ist das Beste, was ich über Musik zu sagen weiß.« Robert Walser Natürlich hat ein Roman, dessen Qualitäten dem Leser auf den ersten 500 Seiten nicht ins Auge springen, ein Problem. Ein wohlgeratenes Kunstwerk sieht anders aus. Aber wer hat gesagt, dass es die wohlgeratenen Kunstwerke sind, die uns aus dem dogmatischen Schlummer aufwecken und uns die Augen aufreißen? Ijoma Mangold Boucq + Jodorowsky - Mondgesicht Didier Daeninckx - Tod auf Bewährung [im Original "Le Der des Ders" und die Vorlage für Jacques Tardis "Den letzten beißen die Hunde"] Wolf Haas - Verteidigung der Missionarsstellung J. M. G. Le Clézio - Revolutionen; Der Afrikaner Maurizio Maggiani - Reisende in der Nacht Javier Marías - Dein Gesicht morgen 1: Fieber und Lanze David Markson - Wittgensteins Mätresse Richard Millet - Die drei Schwestern Piale Patrick Modiano - Gräser der Nacht Alberto Moravia - 1934 oder Die Melancholie Jose Muñoz + Carlos Sampayo - Alack Sinner 3: Begegnungen Irène Némirovsky - Feuer im Herbst Françoise Sagan - Blaue Flecken auf der Seele Ali Smith - Die Zufällige Hermann Ungar - Die Klasse Robert Walser - Der Räuber 2 Freakshow: Caterina Palazzi Sudoku Killer Der 6.5.2016 beschert dem Immerhin ein merklich volle- res Haus, als wäre das von einer Kontrabassistin ange- führte römische Quartett be- reits dadurch eine besondere Attraktion. Was es auch ist. Wenn nicht durch das sonore Pizzikato, mit der die reser- viert und leicht verfroren wirkende Italienierin in vichy- gemustertem Schwarz- weiß mit langen, knochigen Fin- gern die Fäden in der Hand hält, so doch durch ihre mu- sikalischen Ideen. Die führen nämlich über jazzige Kon- vention hinaus in raue Fahr- wasser und angedunkelte Stimmungen, für die die Büh- ne meist im Halbdunkel be- lassen bleibt. Als Frontmann hält Antonio Raia am Tenor- sax den Kopf hin, ein bärtiger, ohrberingter Typ, der von gespenstisch gefauchtem Hauch über dräuend geköchelte Spucke und spitzestes Altissimo den Furchtlosen gibt. Er stößt Schreie aus und steigert sich im Duett mit Maurizio Chiavaro an den Drums über abgehacktes Hin und Her in einen herrlich ayleresken Reib- eisengroove. Chiavaro zeigt sein Temperament mit einem furiosen Solo, mit filzigem Paukengewirbel und gepfeffertem Beckenrausch. Und besonders effektvoll als Dr. Jekyll und Mr. Hyde, der abrupt hin und her wechselt zwischen Blitz und Donner und Tönchen, die er wie mit Essstäbchen aufpickt. Noch Aufsehen erregender finde ich jedoch Giacomo Ancillotto, der die Gitarre so akribisch gegen den Strich spielt, wie ich es ähnlich nur von La STPOs Jim B her kenne. Der mürrisch wirkende Zausel lässt alles weg, mit dem Gitarrengötter prahlen. Er spielt rückwärts, scheinbar erratische und völlig 'unlogische' Kürzel, er knetet Drones und verbiegt Feedback, das er auch mit einem kleinen Radio forciert. Sein in Rot getauchtes Solo fingert er mehr von den Effektknöpfen als von den Saiten. Dazwischen betreibt er Stimmungsmache mit Desertrockriffs für Palazzis eigenwilliges Konglomerat aus druckvoll pulsierenden Hahnentritt- und Pepita-Mustern, wüsten- und doomrockig gerifftem Drive oder hymnisch geblasenen Schüben, schlep- pendem Groove, geräuschhaften Intermezzi, dröhnenden Spannungsbögen mit sogar mal einem leichten Exoticaanhauch und erneut freien Eruptionen. Das hat etwas Cineastisches, und ihre erste CD thematisiert ja auch eine Schwarze Witwe, Vampire, den 'Scharlachroten Buchstaben' und den 'Krieg der Welten'. Erst spät greift sie selber zum Bogen für knurrige Schraffuren und, nach ungnädigen Blicken zum Tonmischer, doch auch für die Zugabe. Dabei war der Raumklang absolut OK. Stört sie, was aus den Monitoren kommt, oder ist der stellenweise psyche- delisierende Hall unerwünscht? Der neuere Stoff, der, den wir geboten bekommen, hat über dem Motiv mathematischer Logik und über Nirvanas "Incesticide" als Anregung hinaus die Totenklage über den Verlust des Kindlichen und Unschuldigen als Beweggrund. Vielleicht erwarten sie betrübtes Shoegazing, nicht unsere Begeisterung. Aber nur vielleicht. 3 Freakshow: Schneller, Toller, Meier Was uns, die wir am Donnerstag, den 12. Mai, ins Immerhin gekommen sind, da von SCHNELLERTOLLERMEIER geboten wird, kommt mir vor, als wär's, analog IDM, Intelligent R Music, R wie Rock, R wie Repetition. Denn David Meier, der nickelbebrillte 'Nerd' des Trios, tickt wie ein Uhrwerk, er zertickelt die Zeit wie ein Zahlendreher. Dazu frickeln Manuel Troller, Jahrgang 1986 und aus Luzern und das Traumbild eines Indiegitarristen, wie er da so mit eingedrehter Hüfte auf der Bühne hängt wie ein in den Schaukasten gepinnter Hl. Sebastian, und Andi Schnellmann am E-Bass wie ineinander greifende Zahnräder, wie zwei Handvoll von Ligetis 100 Metronomen. Schnellmann mit seinen Kräusellocken und ausgedünntem Henriquatre lächelt dazu wie einer, der früher als Reisläufer ausgezogen wäre, nicht wegen dem Sold oder dem Pulverdampf, sondern ganz blauäugig wegen den Mädchen. Auf 'Rights' folgen 'Round' und 'Rong' (mein Vorschlag für das noch namenlose Stück), nur 'Massac-r-e du Printemps' als vertrackt geklopfter Zwitter aus Formel, Furor und flockigem Flickflack ist noch von "X", ihrer CD bei Cuneiform. Als würde das aus Troller verdrängte R umgehen, round 'n' round und "Rock 'n' roll!". Damit nämlich segnen wieder die Kenner enthusiasmiert ab, was die drei da in langen Arrangements voller innerer Spannung entfalten. In einem eindrucksvollen Mit- und Gegeneinander aus repetitiver Metronomik und dynamisch dröhnender, krachender Rockessenz. Sie finden bei 'Right' von einem zum anderen durch eine fein schraffierte, dröhnminimalistisch-psychedelische Brücke. Oder dann auch mit abruptem Hackebeilcut, wenn Meier auf einen Blick von Troller hin umschaltet zu scharfem Stakkato und knatterndem Riff. Er besticht an sich mit Feinarbeit wie mit Elfenbein oder Porzellan, setzt die Schläge oft gezielt auf die Trommelkante oder pingt an eine Metallscheibe. Wenn Schnellmann mit Cellobogen die E-Basssaiten dröhnen lässt, 'geigt' er über die Cymbalkante. Aber er darf auch rasant wirbeln, oder wirft, wie bei 'Riot', der ersten Zugabe, den Snareturbo an. Was prompt eine zweite Zugabe erfordert, die uns in Gestalt von '///\\\///' bewilligt wird, einem Drehwurm mit luftig flatternder Gitarre, der accelerierend so tut, als wäre er ein Tatzelwurm. Troller, der auch als Sideman bei Le Pot und Nik Bärtsch’s Ronin Rhythm Clan zu finden ist, nickt beim Smalltalk danach, wenn der Name Nancarrow fällt. Nicht zu vergessen Ligeti und Morton Feldman, auch wenn man letzteren nicht ganz so direkt hört, wenn seine Finger wie ein futuristischer Hundeschwanz über die Saiten flirren, wenn er bei 'Massacre...' mit Fußpedal einen schnarrenden Akzent setzt, wenn man gemeinsam den Geist von Sonic Youth oder Fugazi beschwört. Oder von den Battles. Meier, ein Jahr älter als Troller und mit interessanten Arbeits- nachweisen bei Things To Sounds, DAY & TAXI und dem eigenen Projekt Hunter-Gatherer, verweist auf Fabian Kuratli (1970-2008), der bei Christy Doran's New Bag und bei Don Li getrommelt hat, und auf eben diesen Berner Saxophonisten und Tonus- Music-Mastermind als Denkanstößen. Es scheint da eine Schweizer Schule zu geben, die, ohne dem Uhrwerk-Klischee aufzusitzen, da ja auch ein rituelles Moment und hypnotisierende Effekte mitspielen, repetitive Muster favorisiert - Sonar, Plaistow... Mit Spuren, die unweigerlich zu Nik Bärtsch und zu Don Li führen, mit dem Bärtsch ja 1996-2002 gespielt hat. Schnellertollermeier kreuzen diese Spuren mit einer rockigen Volte und knackig-kantigem Superoverdrive. 4 O Tempora, O Moers! * Zuvor die gute Nachricht. Komme eben heim vom SWITCHBACK-Konzert im Kreativ- quartier Duisburg-Ruhrort vom 18.05.16. Der absolute Brüller. Die Langweiler von Moers... dazu später. Mars Willliams und Kollegen haben derart Gas gegeben, dass Daueralarm angesagt war. Waclaw Zimpel trötete derart brachial in seine Bassklarinette, als dass das Altosax, geschweige denn das Sopranosax vom Mars überhaupt eine Chance gehabt hätten. Einfach grandezza. Der Hilliard Green am Kontrabass spielte zwischenzeitlich auf einer "Bassokulele". Habe ich so auch noch nicht erleben dürfen. Klaus Kugel an den Drums ist eh außen vor und hält die Truppe zusammen. Dieses Highlight tröstet über so manch "Grausliches" vom Moers Festival an den Tagen zuvor (13.-16.5.) hinweg. Womit wir beim Thema wären. Bin seit ca. 30 Jahren dort immer anzutreffen. Es gab immer Höhen und Tiefen. Ganz normal. Aber der Mainstream hält gewaltig Einzug ins Gebälk. Angefangen von der "Improviser in Residence" in Moers, Carolin Pook. Man sollte meinen, sechs bis sieben Violinen müßten doch für Spannung sorgen. Habe den überwiegend weiblichen Akteuren noch eine gewisse Auszeit gegeben - um zu konstatieren: So geht es nicht!!! Aber was dann geschah, entstellte sich meiner Vorstellungskraft in tutto: Weil Jóhann Jóhannsson, der Hauptakteur der nächsten Nummer erkrankte, wurde sein "Schwippschwager" Sam Amidon auf die Bühne beordert, der klassischen amerikani- schen Folk intonierte... Moers at it's WORST... Schlimmer geht wirklich nicht... aber - was die ganze Sache am Freitag auffing, waren in der Night-Session meine Lieblingsschweizer: SCHNELLERTOLLERMEIER!!! Abseits des Festival-Terrains - aber IMMERHIN, wie schon am Vortag in Würzburg. Der Rigo wird berichten... [ich hab's versucht, darf aber nicht unerwähnt lassen, da via Arte Livestream sichtbar: Die Schweizer haben auch @ Röhre wie Sau gerockt und, wie im