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Schachgesellschaft 1868-Aljechin Solingen e.V.

Reise-Tagebuch vom European Club Cup 2006 in Fügen

von Oliver Kniest

Samstag, 07.10.2006: Anreise nach Fügen

Um 9.00 Uhr beginnt das Unternehmen »Europacup« für die Mannschaft der SG 1868-Aljechin Solingen. Erstmalig seit 1992 nimmt ein Team unseres Vereins an diesem Wettbewerb teil. Während sich in früheren Zeiten der Europacup in klassischem Hin- und Rückspielmodus über zwei Jahre hinzog, findet er seit 2000 als Turnier im Schweizer System innerhalb einer Woche statt und erfreut sich steigender Beliebtheit. Von absoluten Weltklasseteams mit einem Elo-Schnitt um 2700 bis hin zu reinen Amateurmannschaften ohne Elo-Träger ist alles vertreten. Aus Deutschland sind neben unserer Equipe noch Werder Bremen und die Schachfreunde Berlin am Start. Während die Werderaner fast mit ihrem besten Bundesligapersonal antreten und somit zu den Topmannschaften gehören, nutzen die Berliner den Europapokal traditionell zum Einspielen auf die Bundesligasaison. Unsere Mannschaft dürfte sich im Mittelfeld des Turniers bewegen. Mit Alexander ,aumann, Sipke Ernst und Michael Hoffmann stehen nur drei Bundesligaspieler im Kader, die durch Jörg Wegerle, Markus Schäfer, Martin Becker, Oliver Kniest und Andreas Peschel ergänzt werden. Auf diese Weise soll die Teilnahme an der »Champions League« des Schachs auch ein wenig als Belohnung für den sensationellen Erfolg im Deutschen Mannschaftspokal und die geleistete Organisationsarbeit für den Verein dienen.

Dennoch sind natürlich auch sportliche Ziele vorhanden: Sipke Ernst (GM) sowie Jörg Wegerle und Martin Becker (IM) sind auf der Jagd nach der finalen Norm für den endgültigen Titelerwerb, da im Europapokal ausnahmsweise auch Titelnormen in einem siebenrundigen Turnier möglich sind. Als Team streben wir einen Platz unter den ersten 20 an und wollen vor allem ein schönes Turnier gegen starke Gegner mit einer Woche Urlaub im Zillertal verbinden.

Dennoch gibt es natürlich unverbesserliche Optimisten im Team, die bereits im ICE nach München in Anlehnung an die beiden Europapokalsiege durch unseren Verein und im Vertrauen auf das Gesetz der Serie einen nicht ganz unbekannten WM-Song mit dem leicht abgewandelten Titel »76, 91, 2006« anstimmen und von einer Dokumentation mit dem Titel »Fügen – ein Herbstmärchen« träumen …

In jedem Fall ist für exzellente Stimmung im Team gesorgt. Auch die Anreise per Zug verläuft über die Stationen Solingen-München-Jenbach absolut reibungslos. In den Zügen werden bereits weitere »Artgenossen« wie Wladimir Akopjan, Rafael Waganjan oder Michail Prusikhin gesichtet, und die Zillertal-Bahn dürfte auf der 20-minütigen Fahrt von Jenbach nach Fügen wohl noch nie mit so vielen Elo-Punkten beladen gewesen sein. So erreichen wir pünktlich um 17.43 Uhr das malerische Städtchen Fügen im Zillertal, das ca. 3.000 Einwohner hat und zusätzlich noch etwa 5.000 Betten für Touristen besitzt.

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Am Bahnhof machen wir allerdings dann erstmalig mit einer Fügener Eigenart Bekanntschaft: Offenbar gibt es in dieser Ortschaft nur eine Standard-Maßeinheit, was die Entfernungen und Distanzen von Zeit und Raum anbelangt. Auf die Frage nach unserer Unterkunft, dem »Kohlerhof«, werden uns nämlich am Bahnhof ein Weg von 1 km und eine Gehzeit von ca. 10 Minuten vorhergesagt. Als wir diese Strecke – natürlich immer nur bergauf – bereits deutlich hinter uns gebracht haben, wird uns auf erneutes Nachfragen von den Einheimischen stets die gleiche Antwort erteilt …

So erreichen wir schließlich nach einem mehr als halbstündigen Gewaltmarsch bei Nieselregen mit Gepäck, Laptops etc. ziemlich erschöpft unser direkt an einer Bergbahnstation gelegenes Hotel, an dem bereits Spitzenbrett Alexander Naumann auf uns wartet, der zusammen mit seiner Freundin ,adine Ziemann mit dem PKW angereist ist.

Das Mannschaftsquartier: Der »Kohlerhof«

Das Hotel »Kohlerhof« entschädigt uns für die Strapazen des Anstiegs mit geräumigen Zimmern, einem großen Schwimmbad inklusive Wellnessbereich und vor allen Dingen seinem exzellenten Essen, das wir in der kommenden Woche dank der gebuchten Halbpension ausgiebig genießen werden. So besteht das Abendessen grundsätzlich aus vier Gängen, wobei im Hauptgang grundsätzlich aus drei Menüs ausgewählt werden kann. Nicht umsonst lautet das spätere Fazit von Sipke Ernst, dass er noch nie in einem Hotel so gutes Essen bekommen habe. Den einzelnen Mannschaften werden feste Tische zugeordnet, wobei auf unsere Delegation ein Schild mit der Aufschrift »Schachgesellschaft 1886 Aljechin Solingen« wartet. Das Hotel ist übrigens komplett mit Schachspielern ausgebucht, was zum einen für das überaus freundliche und zuvorkommende Personal die eine oder andere Begegnung mit der »Spezies Schachspieler« beschert, zum anderen für uns den Nebeneffekt hat, z. B. am Frühstücksbüffet diversen Ausnahmekönnern wie etwa Peter Svidler oder Alexej Schirow und zudem zahlreichen hübschen Weltklassespielerinnen zu begegnen, die beim parallel ausgetragenen Damenwettbewerb am Start sind.

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Der Anreisetag klingt dann mit einem Mannschaftsspaziergang zum Spielort, der Fügener Festhalle, aus. Diese wirkt im Dunkeln so unscheinbar und klein, dass wir mehrfach an ihr vorbeilaufen, wobei sich ihre Größe am kommenden Tag tatsächlich noch als Problem herausstellen wird.

Sonntag, 08.10.2006: ,ervenflattern gegen Monte Carlo

Der erste Turniertag beginnt für Oliver Kniest bereits am Vormittag mit dem »Captains Meeting«. Was sich nach großer Schachorganisation auf europäischer Ebene anhört, entpuppt sich aber schnell als äußerst chaotische Veranstaltung mit nur minimalem Informationsgehalt. Am Start sind bei den Herren 56 Mannschaften aus 41 Ländern, die in 7 Runden Schweizer System in Sechser-Mannschaften (bei zwei möglichen Ersatzspielern) um den Europacup kämpfen werden. Glücklicherweise findet nicht die schreckliche alte FIDE-Bedenkzeit von 90 min/Partie + 30 sec/Zug Anwendung, sondern eine deutlich gemäßigtere Variante mit 90 min/40 Züge + 30 min/Rest + 30 sec/Zug. Zudem gibt es eine Demonstration über das neue – bei diesem Turnier testweise genutzten – elektronische Notationssystem »Monroi«, bei dem statt des Partieformulars die Züge in einen Minicomputer eingegeben werden, der diese dann sofort ins Internet übermitteln kann. Danach verliert sich die Veranstaltung in einem babylonischen Sprachgewirr und dem Warten auf die Auslosung, die wegen eines defekten Druckers (!) erst nach einstündiger Wartezeit bekannt gegeben wird. Unser Setzlistenplatz 21 beschert uns ein Amateurteam der unteren Hälfte des Teilnehmerfeldes und mit einem »Heimspiel« gegen den C.E. Monte Carlo ein überaus interessantes Los. Anders als in Deutschland bedeutet Heimspiel, dass wir die weißen Steine an den ungeraden Brettern haben.

Hinter dem italienischen GM Igor Efimov (2412) besteht das Team der Monegassen ausschließlich aus lupenreinen Amateuren, so dass ein hoher Sieg angestrebt wird. Alexander verzichtet dabei freiwillig auf den Auftakt, um Sipke einen vernünftigen Gegner für sein GM-Norm-Vorhaben zu ermöglichen. Zudem drückt Oliver nach dem nervigen Meeting am Vormittag die Reservebank.

An der Festhalle wartet bereits Bundesliga-Teamchef Herbert Scheidt auf die Mannschaft, der seine Kur am Tegernsee zu einem kurzen Abstecher ins Zillertal genutzt hat. Auch er ist – wie alle Spieler – über die vorgefundenen Spielbedingungen alles andere als begeistert. Die Halle vermittelt mit ihren Holzwänden zwar eine urige, typisch österreichische Atmosphäre, ist jedoch für 70 Mannschaften in beiden Turnieren schlichtweg zu klein. Somit sind die Bretter für die Zuschauer und die anderen Mannschaftsmitglieder nur schwer einsehbar, und auch die Spieler erfreuen sich einer an Openturniere erinnernden Platzknappheit. Die ersten sechs Kämpfe des Herrenturniers finden auf der Bühne statt, auf der jedoch außer den Spielern und Mannschaftsführern der dort agierenden Teams keine Zuschauer oder andere Spieler zugelassen sind. Zwar werden alle dortigen 36 Partien ins Internet übertragen, doch der in einer Turnhalle untergebrachte Presse- und Analyseraum enthält gerade einmal zwei Rechner, die ständig blockiert sind. Auf diese Weise wird man vor Ort kaum Fans für den Schachsport gewinnen können, auch wenn der Internet-Auftritt sicherlich als vorbildlich gelobt werden muss.

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Vor der ersten Runde gegen Monte Carlo

Nach einigen Eröffnungsansprachen beginnt endlich mit leichter Verspätung die erste Runde, in der zunächst alles nach Plan für unser Europapokal-Debütantenteam läuft (lediglich der pausierende Alexander Naumann war bereits 2003 einmal mit seinem österreichischen Team Hohenems am Start). Als Herbert nach ca. zwei Stunden Spielzeit die Rückreise zum Tegernsee antritt und Alexander sich zu einem kleinen Spaziergang aufmacht, lautet die übereinstimmende Prognose 5:1. Wir sind an keinem Brett in Schwierigkeiten und Markus Schäfer sowie Andreas Peschel haben jeweils mit den schwarzen Steinen einen Mehrbauern bzw. deutliche positionelle Vorteile vorzuweisen. Wenig später erzielt Jörg Wegerle in einem blitzsauber vorgetragenen Abtausch-Spanier durch Abwicklung ins gewonnene Bauernendspiel unseren ersten vollen Zähler in diesem Wettbewerb. Danach erhöht Sipke Ernst am Spitzenbrett gegen GM Efimov durch eine hübsche Kombination mit Turmopfer auf 2:0.

Was jedoch in der kommenden Spielstunde passiert, lässt sich nur mit Premieren- Fieber erklären. Markus findet gegen seinen klar schwächeren Gegner überhaupt keinen sinnvollen Plan und verwandelt seinen Mehrbauern in einen Minusbauern. Michael Hoffmann verliert in dynamischer Position völlig den Faden und muss eine Qualität opfern, um überhaupt im Spiel zu bleiben. Zu allem Überfluss vergisst Andreas einen unabdingbaren Zwischentausch, weshalb die Stellung seines jungen Kontrahenten plötzlich statt eines Minusbauern deutliche positionelle Vorteile aufweist. So können wir vom Glück sagen, dass der Kontrahent von Michael so fixiert auf einen möglichen halben Zähler gegen einen fast 400 Punkte stärkeren Gegner ist, dass er zielsicher ins Dauerschach abwickelt, statt einen Mattangriff zu starten.

So ist der Kampf nach einem vollen Zähler von Martin Becker, der seinen Gegner staubtrocken im Endspiel überspielt, zumindest gewonnen, so dass wir auch die völlig überflüssige Niederlage von Andreas verkraften können. Markus rettet sich im Turmendspiel noch ins Unentschieden, so dass ein äußerst mageres 4:2 als Endergebnis feststeht. Für etwas bessere Stimmung sorgt wenigstens die Tatsache, dass unsere drei Normaspiranten alle gewonnen haben.

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SG 1868-Aljechin Solingen C.E. Monte Carlo 4 : 2 IM Sipke Ernst (2512) GM Igor Efimov (2412) 1 : 0

IM Michael Hoffmann (2477) Patrick Lebel (2149) ½ : ½ FM Jörg Wegerle (2411) Christophe Roussiere (2118) 1 : 0

IM Markus Schäfer (2379) Eric-Andre Birens (2007) ½ : ½ Martin Becker (2315) Daniel Sabo-Benke 1 : 0

Andreas Peschel (2155) Julien Botto 0 : 1

Montag, 09.10.2006: Exzellente Vorstellung gegen »Bank King«

Mit der zweiten Runde wird es ernst: Die Auslosung beschert uns den an Position 8 gesetzten armenischen Meister »Bank King« , der mit GM (2634), GM (2634) und GM (2596) gleich drei aktuelle Olympiasieger im Team hat. Zudem ist bekannt, dass die uns ohnehin im Schnitt 150–200 Elopunkte überlegenen Armenier in Mannschaftsturnieren traditionell besonders stark aufspielen. Etwas Hoffnung macht lediglich, dass wir in der vergangenen Saison gleich zweimal gegen die SG Porz mit ihrem armenischen Herzstück GM Rafael Waganjan (2587) gewinnen konnten. Beim Bundesliga-Coup waren seinerzeit Alexander, Michael und Sipke mit seinem Glanzsieg über Erik van den Doel dabei, während Jörg, Martin und Oliver zum Pokalteam gehörten, das die Domstädter um Spitzenbrett Waganjan sensationell im Pokal ausschaltete. Logisch, dass auch diese sechs Spieler das heutige Team bilden, um vielleicht die erneute Sensation zu schaffen.

Doch Waganjan hat seine Kameraden offenbar gewarnt, die gegen uns in Bestbesetzung antreten. Zudem geht der armenische Mr. Bundesliga mit sehr gutem Beispiel voran. Michael Hoffmann verpatzt mit Schwarz die Eröffnung völlig und strebt nach der Eröffnungsphase nur noch das Ziel an, die zweite Spalte seines Partieformulars zu erreichen. Dies misslingt und als Michael nach 19 Zügen die Waffen streckt, kommentiert Waganjan bestens gelaunt, dass die Aufgabe der mit Abstand stärkste Zug in der schwarzen Stellung gewesen sei. Doch seine Hochstimmung hält nicht lange an: Spitzenbrett Asrian hat zu großen Respekt vor Alexander ,aumanns Najdorf-Künsten, holt jedoch aus einer sizilianischen Nebenvariante mit Weiß überhaupt nichts heraus, so dass der von der morgendlichen Massage im Wellness-Bereich noch zusätzlich entspannte Alex sehr locker Remis hält. Leider ist aber in unserer dritten Schwarz-Partie Martin Becker der Übergang ins Mittelspiel missraten, so dass er frühzeitig einen Bauern verliert, den der routinierte Ashot Anastasian (2580) äußerst souverän in einen vollen Zähler ummünzt.

Doch trotz des klaren Zwischenstandes sehen die etwas später eingetroffenen Markus Schäfer und Andreas Peschel, die sich nach ihren schwachen Auftaktvorstellungen eine Bergwanderung als Disziplinarmaßnahme auferlegt hatten, ihre nominell so klar unterlegene Mannschaft an den drei Weiß-Brettern um ein Unentschieden kämpfen. Ein Grund hierfür ist Sipke Ernst, der bereits am

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Vormittag in seinem unerschütterlichen Optimismus angekündigt hatte, gegen die bevorzugte Tartakower-Variante von Lputian eine 38-zügige (!) Fritz-Vorbereitung zu haben. Noch erstaunlicher ist allerdings, dass er davon tatsächlich 26 Züge aufs Brett bekommt und danach faktisch auf Gewinn steht. Zwar findet der langjährige armenische Nationalspieler noch ein Damenopfer, das ihm gewisse Remischancen einräumt, doch nach einem weiteren Versehen in der Verteidigung muss Lputian aufgeben und Sipke ist um einen 2600er-Skalp reicher. Da Minasian seinen Kaffeehaus-Stil wieder etwas übertrieben hat, steht auch der knochentrocken agierende Jörg Wegerle mit zwei Mehrbauern glatt auf Gewinn.

Sipke Ernst, der in Fügen mit einer Performance von 2725 GM wurde und die Goldmedaille am zweiten Brett gewann!

So sind die Armenier mehr als erleichtert, als ihr berühmter Namensträger (2573) gegen Oliver Kniest ein nur minimal besseres Endspiel dank Ollis schwacher Verteidigung sicher zum 3½:1½ verwertet. Die letzte halbe Stunde verbringen wir dann nur noch mit Verwunderung darüber, wie lange Minasian seine Ruine gegen Jörg noch weiterschleppt, bevor das aus unserer Sicht exzellente 2½:3½ feststeht. Dennoch stehen wir viele andere Teams nur bei 2:2-Punkten, können uns aber über die 2½/3 gegen die drei Olympiasieger freuen, was zudem die Normchancen von Sipke und Jörg deutlich erhöht.

Bank King SG 1868-Aljechin Solingen 3½ : 2½ GM Karen Asrian (2634) GM Alexander Naumann (2542) ½ : ½ GM Smbat Lputian (2634) IM Sipke Ernst (2512) 0 : 1 GM Rafael Waganjan (2587) IM Michael Hoffmann (2477) 1 : 0 GM Artashes Minasian (2596) FM Jörg Wegerle (2411) 0 : 1 GM Ashot Anastasian (2580) Martin Becker (2315) 1 : 0

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GM Tigran L. Petrosian (2573) FM Oliver Kniest (2262) 1 : 0

Dienstag, 10.10.2006: Kantersieg über finnischen Meister

Vor der dritten Runde herrscht schnell Einigkeit darüber, dass erstmalig die Bestbesetzung ans Brett muss. Denn der finnische Meister Joensuun Shakkikerho weist mit seinem estnischen Spitzenbrett IM Kalle Kiik (2444) durchaus solides Zweitliga-Niveau auf, so dass wir eine konzentrierte Leistung benötigen, um den Aufwärtstrend aus der vorherigen Runde mitzunehmen. So können Andreas und Oliver entspannt an einem Ausflug zu den beeindruckenden Wasserfällen in Krimml teilnehmen und noch einen kurzen Abstecher ins mondäne Kitzbühel unternehmen, der dank des die gesamte Turnierwoche über anhaltenden Traumwetters mit unzähligen herrlichen Postkartenmotiven des Alpenpanoramas aufwartet.

Als sie nach zwei Stunden im Turniersaal auftauchen, kann Ersatz-Kapitän Jörg Wegerle bereits zahlreiche gute Nachrichten überbringen. Er selbst hat sich mit den schwarzen Steinen gegen einen ambitionslos alles abtauschenden Kontrahenten nach 12 Zügen auf Remis geeinigt, um sich voll seinen neuen Funktionärspflichten widmen zu können. Dies gelingt ausgezeichnet, denn der Lauf von Sipke Ernst hält unvermindert an. Gegen seinen ersten Nicht-GM-Gegner gewinnt Sipke bereits kurz nach der Eröffnung die Qualität und fährt danach einen sicheren vollen Zähler ein. Auch Michael Hoffmann ist sehr erpicht darauf, in seiner ersten Weiß-Partie seinen Fehlstart wettzumachen. Dabei kommt ihm sehr entgegen, dass es sich offenbar noch nicht nach Skandinavien herumgesprochen hat, dass man als nominell schwächerer Schwarz-Spieler gegen Michael besser nicht Sizilianisch spielen sollte. So kann auch sein junger Kontrahent dem Hoffmannschen Offensivdrang nicht viel entgegensetzen und es steht noch vor der Zeitkontrolle 2½:½.

Jörg Wegerle, der in Fügen seine letzte IM-Norm holte, und Markus Schäfer.

Danach hat Markus Schäfer das Glück auf seiner Seite, als er mit den weißen

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Steinen in einer sehr verdächtigen Stellung bereits unter Qualitätsopfer nach taktischen Gegenchancen suchen muss, in denen sich sein Kontrahent nur zwei Züge selbst »umbringt«. Mit dem gewonnenen Kampf im Rücken, bastelt auch Martin Becker gegen seinen mit Weiß sehr passiv agierenden Gegner ein hübsches Mattnetz, wobei ihm zugutekommt, dass dieser relativ unmotiviert seinen König bis nach f4 treiben lässt. Danach sind Material- und Partieverlust unvermeidlich, was Martin zurück auf Norm-Kurs bringt. Den krönenden Abschluss bildet dann Alexander ,aumann, der zwar in der Eröffnung nichts erreicht hatte, dann jedoch seinen Gegner mit großmeisterlicher Technik souverän noch überspielt und den 5½:½ -Kantersieg vollendet.

Dies bleibt nicht sein letztes Erfolgserlebnis an diesem Tage, denn Alex kann sich in der abendlichen Pokerrunde nicht nur gegen Nadine und Martin durchsetzen, sondern auch »Profi« Andreas im »Heads Up« bezwingen und damit den üppig ausgestatteten Jackpot von 75 Cent einheimsen.

SG 1868-Aljechin Solingen Joensuun Shakkiherho 5½ : ½ GM Alexander Naumann (2542) IM Kalle Kiik (2444) 1 : 0 IM Sipke Ernst (2512) Sergei Ivanov (2354) 1 : 0 IM Michael Hoffmann (2477) Aleksandr Volodin (2339) 1 : 0 FM Jörg Wegerle (2411) FM Yrjo Markus Joukhi (2298) ½ : ½ IM Markus Schäfer (2379) FM Markku Lahtinen (2257) 1 : 0 Martin Becker (2315) Timo Porrasmaa (2210) 1 : 0

Mittwoch, 11.10.2006: Keine Chance gegen Werder Bremen

Der Mittwoch beginnt mit großer Aufregung, denn Andreas erwacht mitten in der Nacht mit großen Schmerzen, nur um festzustellen, dass er seinen linken Arm nicht mehr vernünftig bewegen kann. Des Rätsels Lösung erfährt er erst am kommenden Vormittag, als ihm der Arzt im Nachbarort mitteilt, dass er sich im Schlaf die Schulter ausgekugelt und durch die verkrampfte Armposition auch alle Bänder völlig überdehnt hat. Der Lohn dieses Missgeschicks besteht in einem schönen Verband inklusive Schlaufe, in welcher der Arm in den kommenden Wochen ruhig zu halten ist. Zumindest der Aufmerksamkeit des Hotelpersonals ist er sich fortan gewiss, da dieses zwar derartige Verletzungen bei ihren Gästen gewohnt ist, sie aber eher bei Skifahrern als bei den Schachspielern erwartet …

Während der Mannschaftsführer im Wartezimmer moralischen Beistand leistet, befindet sich das Team in konzentrierter Vorbereitung, denn die vierte Runde hält das Prestigeduell gegen Werder Bremen bereit. Natürlich sind wir gegen die mit sechs GM antretenden Bremer klarer Außenseiter, wollen in diesem deutschen Derby aber an die Leistung gegen die Armenier anknüpfen. Zudem ist gestern Abend unsere Fangruppe in Gestalt von Präsident Frank Borkott, Europa-Cup-Routinier Bernd Schneider, Michael Pommeranz und Kurt Rist zur moralischen Unterstützung eingetroffen. Außerdem hat sich für heute nochmals BL-Teamchef Herbert Scheidt angesagt. Diesen Schlachtenbummlern soll natürlich etwas geboten

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werden, doch sehen können sie vom Kampf leider nichts … Erstmalig hat es uns an Tisch 6 auf die Bühne verschlagen, so dass zwar die Zuschauer vor den heimischen Bildschirmen bestens informiert sind, unsere Fans vor Ort sich aber auf die »Wasserstandsmeldungen« von Captain Olli verlassen müssen, da der Zutritt auf die Bühne für Zuschauer untersagt ist.

Alexander Naumann vor dem Match gegen Bremen

Die Meldungen fallen aber zunächst sehr positiv aus: Alexander ,aumann wählt am Spitzenbrett eine von ihm selten gewählte Spanisch-Variante, mit der er bei völlig symmetrischer Bauernstruktur im Schnellverfahren außer einem Turmpaar und ungleichfarbigen Läufern alle Figuren vom Brett nimmt, so dass GM Zahar Efimenko (2612) etwas angewidert ins Remis einwilligt. Wenig später ist auch die Punkteteilung bei Michael Hoffmann perfekt: GM Zbynek Hracek (2614) umgeht mit einer trickreichen Zugfolge zwar Michaels übliches Najdorf-System, dafür landen aber beide in einer forcierten Variante, in der Hracek nur unter großem Risiko mit Schwarz dem Dauerschach ausweichen könnte, was er nicht tut. Bei einem schnellen Zwischenstand von 1:1 machen sich Hoffnungen auf ein weiteres knappes Ergebnis breit, da auch Jörg Wegerle mit Schwarz in einem Nimzo-Inder gegen Vlastimil Babula (2584) zufriedenstellend steht und Markus Schäfer eine völlig akzeptable Position gegen den Finnen Tomi Nyback (2575) auf dem Brett hat.

Dann bricht die Mannschaft jedoch ein: Sipke Ernst wird vom ukrainischen Jungtalent GM Alexander Areshchenko (2640) in der Eröffnung überrascht und dann so übel überspielt, dass Sipke später anerkennen muss, dass dies die erste Partie in diesem Jahr gewesen sei, in der er absolut chancenlos war. Auch Martin Becker kämpft in einem Damengambit mit Schwarz gegen den Dänen GM Lars Schandorff (2534) stets um Ausgleich, den er jedoch niemals erreicht. In einer Isloani-Stellung erhöht Schandorff permanent den Druck und verwertet seinen Vorteil schließlich mit der Zeitkontrolle zum 3:1. Markus Schäfer greift in einer extrem taktischen Stellung gegen den finnischen »Iceman« fehl und landet in einem verlorenen Endspiel, das Nyback souverän zum Sieg führt und damit seine Serie zur späteren Goldmedaille mit exzellenten 6½/7 startet.

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Den bittersten Verlauf nimmt die abschließende Partie von Jörg, der sich gegen Babula sehr umsichtig verteidigt, um kurz vor Partieende durch einen für ihn ungewöhnlichen Endspielfehler schließlich doch noch den angestrebten halben Zähler zu verpassen, so dass die bittere 1:5 -Schlappe perfekt ist.

Dennoch gelingt es unserem Vorsitzenden Frank Borkott beim gemeinsamen Abendessen mit dem Team, die enttäuschten Gemüter wieder zu aufzurichten. Spätestens bei der gemeinsamen Betrachtung der guten deutschen Leistung beim Fußball-Länderspiel in der Slowakei ist die Moral für einen starken Endspurt wieder intakt.

SG 1868-Aljechin Solingen Werder Bremen 1 : 5 GM Alexander Naumann (2542) GM Zahar Efimenko (2612) ½ : ½ IM Sipke Ernst (2512) GM Alexander Areshchenko (2640) 0 : 1

IM Michael Hoffmann (2477) GM Zbynek Hracek (2614) ½ : ½ FM Jörg Wegerle (2411) GM Vlastimil Babula (2584) 0 : 1 IM Markus Schäfer (2379) GM Tomi Nyback (2575) 0 : 1 Martin Becker (2315) GM Lars Schandorff (2534) 0 : 1

Donnerstag, 12.10.2006: Souveräner Erfolg über Sipkes Landsleute

In Runde 5 wartet zumindest auf Sipke Ernst das nächste Lokalderby, da mit dem HMC Calder die erste Mannschaft aus der ersten niederländischen Liga auf uns wartet. Die junge Mannschaft der Oranjes mit ihrem dänischen Spitzenbrett IM Nikolaj V. Pedersen (2510) ist etwas stärker als unsere finnischen Kontrahenten aus der 3. Runde einzuschätzen, so dass auch von unserem Fan-Anhang ein nur knapper Sieg prognostiziert wird.

Dabei haben sie jedoch nicht mit dem herausragenden Sachverstand von unserer Nadine gerechnet. Diese hatte sich bisher nicht nur in ihrer Funktion als Mental-Coach von Alexander und Team-Fotografin, sondern vor allem als unser einziges weibliches Delegationsmitglied und damit »Chefin der Delegation mit Guter- Laune-Garantie« verdient gemacht. Heute findet sie jedoch ihre wahre Berufung und wird fortan nur noch »das Orakel« genannt. Bereits frühzeitig legt sie sich trotz skeptischer Betrachtungen der anderen Solinger Zuschauer auf einen 5:1-Sieg fest und bleibt auch trotz Punkteteilungen von Markus Schäfer und Michael Hoffmann, welche beide mit den schwarzen Steinen Ausgleich, aber nicht mehr erreichen, bei ihrer Prognose.

Den Bann bricht dann Alexander ,aumann, der in einer zweischneidigen Variante im c3-Sizilianer mit Schwarz das bessere Positionsverständnis beweist und nach sehr kompliziertem Mittelspielkampf schließlich unter wohlwollender Betrachtung des Präsidenten sehr elegant in ein gewonnenes Turmendspiel zur Solinger Führung abwickelt. Kurz nach der Zeitkontrolle erhöht Sipke Ernst gegen den für sein bunt gefächertes Eröffnungsrepertoire sehr bekannten IM Gerard Welling (2371) in einer wilden Partie auf 3:1. Zwischenzeitlich agiert Sipke dort im altbekannten

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Cowboy-Stil, wickelt aber letztlich doch einigermaßen souverän ins gewonnene Endspiel ab.

Martin Alexander Becker, der ebenfalls seine dritte IM-Norm erfüllen konnte und nun »nur noch« die Hürde von 2400 Elopunkten meistern muss.

Wesentlich geradliniger verläuft die Partie von Martin Becker, der endlich wieder auf die weißen Steine zurückgreifen kann. In einer königsindischen Partie bewahrt er konstant einen minimalen Positionsvorteil bis ins Endspiel und bastelt im Turm- und Springerendspiel ein sehr ästhetisches Mattbild zum 4:1. Den passenden Abschluss im Sinne von Nadines Prognose liefert dann Jörg Wegerle, der mit den weißen Steinen in einem Anti-Sweschnikow-System experimentiert, aber überhaupt nichts erreicht. Mit seiner bekannten Zähigkeit erreicht er schließlich ein Turmendspiel mit dem für ihn typischen mikroskopischen Vorteil, der in Teamkreisen mit »ein Wegerle« bezeichnet wird. Mit guter Technik und der tätigen Mithilfe seines Kontrahenten kann er diesen noch in einen vollen Zähler verwandeln, womit er den gestern verschenkten halben Zähler wieder hereinholt und gleichzeitig zum 5:1 vollendet.

Dieses Ergebnis wird am Abend in unterschiedlicher Form gewürdigt: Während ein Teil der Mannschaft das Resultat zusammen mit den vier unermüdlichen Fans in einer netten Bar im Dorf feiert, sorgen Michael und Martin im Hotel noch für einige weitere Siege am Kickertisch über holländische Abordnungen.

HMC Calder SG 1868-Aljechin Solingen 1 : 5 IM Nikolaj V. Pedersen (2510) GM Alexander Naumann (2542) 0 : 1 IM Gerard Welling (2371) IM Sipke Ernst (2512) 0 : 1 FM Niels Onderstejn (2288) IM Michael Hoffmann (2477) ½ : ½ Jasper Broemeulen (2273) FM Jörg Wegerle (2411) 0 : 1

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Paul Span (2278) IM Markus Schäfer (2379) ½ : ½ Willem Muhren (2260) Martin Becker (2315) 0 : 1

Freitag, 13.10.2006: Zweiter Sieg in Folge

Freitag, der 13. – das ruft selbst in unserem nicht abergläubischen Team gemischte Gefühle hervor. Bereits kurz nach Mitternacht beginnen die ersten merkwürdigen Ereignisse, als ein doppelter (Fehl-)Feueralarm die Bewohner des Kohlerhofs aus dem Schlaf reißt. Dennoch sind alle Teammitglieder beim Frühstück hoch motiviert: Wir sind überraschend zum norwegischen Meister Oslo Shakselskap runtergelost worden, der in etwa der Stärke vom Vortagesgegner Calder entspricht, mit dem für Wattenscheid spielenden GM Leif Erlend Johannessen (2552) jedoch ein starkes und prominentes Spitzenbrett besitzt.

So bieten sich realistische Chancen, endlich aus dem Schweizer-System-Rhythmus von abwechselnden Siegen und Niederlagen auszubrechen. Zudem könnten Sipke und Jörg mit vollen Zählern bereits vorzeitig ihre Normen perfekt machen; Martin braucht in jedem Fall einen vollen Zähler, um reale Normmöglichkeiten zu wahren. Außerdem möchte unser Rekonvaleszent Andreas unbedingt vor seiner heutigen Rückreise mit der Delegation Borkott noch einen positiven Ausklang des Turniers schaffen. Folglich stellt sich die Mannschaft fast von selbst auf und Markus und Olli nehmen auf der Ersatzbank Platz.

Die Mannschaft beim Kampf gegen Oslo Shakselskap

Die Schlachtenbummler erleben dann den bisher spannendsten Kampf unserer Mannschaft. Jörg Wegerle beklagte bereits nach der Vorbereitung, das sein Kontrahent wie eine Kopie von ihm agiere. (Kommentar von Markus: »Wie? Ihr stellt Euch beide hinten rein?«) In der Partie bewahrheiten sich dann Jörgs Befürchtungen: trotz der weißen Steine erreicht er in einem Taimanov-Sizilianer gar nichts und willigt bereits beim Übergang ins Mittelspiel enttäuscht ins Unentschieden

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ein. Michael Hoffmann hat es mit den schwarzen Steinen mit dem besten Freund von Magnus Carlsen, FM Jon Ludwig Hammer (2380), zu tun. Dieser bereitete sich gewohnt akribisch gleich auf vier verschiedene Schwarz-Eröffnungen von Michael gegen 1.d4 vor, um dann vom Hoffmannschen 3… Sc6 und dem Übergang in den »Tango« überrascht zu werden.

Zwar kann der junge Norweger Michaels Bedenken (Zitat: »Wir werden sehen, ob er auch tanzen kann!«) nicht völlig entkräften, erreicht aber zumindest sicher den angestrebten Remishafen. Beim Stande von 1:1 sieht der Kampf ziemlich kritisch aus: Alexander ,aumann steht mit den schwarzen Steinen in einer Damengambit- Abtauschvariante gegen Johannessen stark unter Druck, Sipke Ernst besitzt mit Weiß nur mikroskopische Vorteile und Andreas Peschel hat sich in einem Katalanen mit Weiß völlig verzettelt und einen Bauern verloren. Realistische Gewinnaussichten bestehen lediglich bei Martin Becker, der mit Schwarz gegen einen norwegischen FM in einem scharfen Sizilianer alles riskiert, in der Eröffnung drei Mehrbauern ergattert hat, dafür aber in einen gefährlichen Königsangriff hineingeraten ist.

Die Vorentscheidung fällt dann passend zum besonderen Datum ausgerechnet bei dem Spieler, der in der bisherigen Woche vom Pech verfolgt war: Andreas Peschel kann mit ungleichfarbigen Läufern ein paar vage Remischancen in seiner schlechten Stellung kreieren, als sein Kontrahent plötzlich einen Turm einstellt, was die glückliche Führung zum 2:1 bedeutet. Nach der Zeitkontrolle glänzt Martin, der zuvor bereits exzellent die gegnerische Initiative unter Rückgabe seines Mehrmaterials neutralisiert hatte, mit starker Technik in einem Damen- und Leichtfigurenendspiel, in dem er mit einem hübschen Mattbild seine bisher stärkste Leistung krönt.

Beim Stande von 3:1 hält unser Lauf weiter an, denn Alexander bewahrt sich selbst nach einem bei ihm vermutlich alle fünf Jahre vorkommenden Qualitäts-Einsteller kleine Pfuschchancen und entwischt tatsächlich ins Dauerschach, als Johannessen etwas zu optimistisch agiert. Den passenden Tagesabschluss liefert dann Sipke, der bei knapper Bedenkzeit seines erfahrenen Kontrahenten selbst mit sehr reduziertem Material ein hübsches Mattnetz bastelt. Damit steht der sicherlich zu hoch ausgefallene 4½:1½ -Sieg fest, der uns mit 8:4-Zählern nahe an die Top Ten katapultiert. Noch wichtiger: Sipke Ernst hat seine letzte Norm und darf sich ab sofort Großmeister nennen!

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Sipke Ernst hat den GM-Titel schon sicher, die beiden anderen müssen noch enthaltsam sein.

Oslo Schakelskap SG 1868-Aljechin Solingen 1½ : 4½ GM Leif Erlend Johannessen (2551) GM Alexander Naumann (2542) ½ : ½ IM Leif Ogaard (2395) IM Sipke Ernst (2512) 0 : 1 FM Jon Ludwig Hammer (2380) IM Michael Hoffmann (2477) ½ : ½ FM Kristian Trygstad (2327) FM Jörg Wegerle (2411) ½ : ½ FM Christian Ole Moen (2244) Martin Becker (2315) 0 : 1 Daniel Kovachev (2132) Andreas Peschel (2155) 0 : 1

Samstag, 14.10.2006: Drei ,ormen und eine Goldmedaille

Vor der Schlussrunde bestimmt eine gemischte Gefühlslage die Szenerie: Zum einen freuen wir uns über das starke Zwischenergebnis, zum anderen erwischen wir mit dem israelischen Meister Ashdod City Club, der an Position 5 gesetzten Mannschaft mit zahlreichen Weltklassegroßmeistern, den stärksten möglichen Gegner. Zwar freuen wir uns, in der letzten Runde am vierten Tisch inmitten illustrer 2600er-Gesellschaft live ins Internet übertragen zu werden, aber es herrscht auch die Sorge, mit einer echten Klatsche vor den zu Hause mitfiebernden Anhängern ins Mittelfeld durchgereicht zu werden.

Wieder einmal zeigt sich der exzellente Teamgeist, als sich Markus zum sofortigen Aussetzen bereit erklärt, da Martin den notwendigen halben Zähler lieber mit den weißen Steinen anstreben möchte. Als dann die Paarungen bekannt gegeben werden, ist auch bei unseren Youngstern die Stimmungslage zweigeteilt: Die Elo von Jörgs

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Gegner GM Igor Khenkin (2620) ist gut genug, so dass Jörg bereits vor ihrer Begegnung seine letzte IM-Norm erfüllt hat, und wir den nächsten Titelträger im Team begrüßen können. Dagegen war bei Martin klar, dass er gegen jeden Kontrahenten über Elo 2511 ein Remis benötigen würde, so dass der bärenstarke und vermutlich unterbewertete GM Alexander Moiseenko (2632) nicht gerade als Wunschgegner bezeichnet werden kann.

Was am Nachmittag folgt, kann guten Gewissens als der absolute Höhepunkt einer schönen Europapokal-Woche bezeichnet werden, da wir den nominell haushoch überlegenen Israelis, die bei einem hohen Sieg und Unentschieden in den Spitzenduellen noch auf die Bronzemedaille hoffen können, einen tollen Fight auf Augenhöhe bieten. Michael Hoffmann liefert sich mit dem Ex-Europameister Emil Sutowsky (2607) ein packendes Duell in einer seiner Najdorf-Hausvarianten, die Michael mit beiden Farben spielt. Auch wenn es der stets sehr optimistisch agierende Sutowsky nicht einsehen will, muss er am Ende eher froh über das Dauerschach sein, da höchstens Michael noch reale Gewinnversuche unternehmen könnte. Den krönenden Abschluss seines tollen Turniers liefert Sipke Ernst: Dessen Gegner, Weltklassegroßmeister Ilya Smirin (2659), vermeidet mit 5.d3 erstmals in seiner Karriere den detailliert von Sipke präparierten offenen Spanier. Doch weder die missglückte Vorbereitung noch ein zwischenzeitlicher Bauernverlust können unseren »fliegenden Holländer« davon abhalten, ein remisliches Turmendspiel zu erreichen, so dass die Punkteteilung auch hier bald perfekt ist.

Die vier übrigen Partien gehen über die Zeitkontrolle hinaus: Oliver Kniest zeigt bei seinem zweiten Einsatz eine starke Vorstellung und erreicht gegen GM Artur Kogan (2564) mit den schwarzen Steinen eine problemlose Punkteteilung, wobei sich seine Ambitionen auf den vollen Zähler in der Schlussphase der Partie leider nicht realisieren lassen. Die erste Niederlage muss dann ausgerechnet unser Spitzenbrett Alexander ,aumann quittieren. Gegen den Olympiasieger von 2004, GM Pavel Eljanov (2658), kommt ihm in einem zweischneidigen Sweschnikow-Sizilianer ein Bauer abhanden und es gelingt Alex trotz zähem Widerstand leider nicht mehr, die Partie gegen die herausragende ukrainische Technik zu retten, so dass er seine erste Niederlage in einem Kampf für Solingen seit 2004 (!) quittieren muss.

Beim Stande von 1½:2½ liefern dann unsere beiden Youngster ihr Meisterstück ab. In packenden Verteidigungsschlachten spielen sie zusammen mit der Partie Grischuk-Babula die drei letzten Partien des Turniers und werden in der Schlussphase für eine große Zahl von Zuschauern auf der Großbildleinwand im Turniersaal übertragen. Der gesundheitlich bereits angeschlagene Jörg Wegerle lässt sich von einem Bauernverlust in guter Stellung ebenso wenig beeindrucken wie vom ebenfalls erkälteten und ständig schniefenden Khenkin. Während dieser verzweifelt über mehrere Stunden versucht, seinen Mehrbauern gegen die Auffangstellung von Jörg zu verwerten und dabei häufig seine Bedenkzeit auf wenige Sekunden ablaufen lässt, produziert Jörg das am Vorabend von Markus Schäfer geforderte beste »Wegerle-Schach« und liefert eine herausragende Verteidigungsleistung ab. Als Khenkin das Risiko fast übertrieben hat, schiebt er schnell ein Remisangebot ein, das Jörg schließlich mangels eines greifbaren Mannschaftsführers annimmt, worüber er sich wenig später bereits ärgert, da ihm das Weiterspielen vermutlich sogar gute Gewinnchancen geboten hätte.

Doch dieser kleine Ärger ist bald verflogen, da wenige Minuten später sein Zimmerkollege Martin Becker das Husarenstück wiederholt: Er setzt in dieser entscheidenden Partie alles auf eine Karte und eröffnet mit 1.e4 in der Hoffnung, eine umfangreiche Sweschnikov-Vorbereitung aufs Brett zu bekommen. Doch

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Moiseenko »riecht« eine Überraschung und spielt stattdessen Kalaschnikow, so dass Martin bereits ausgangs der Eröffnung eine sehr verdächtige Stellung aufweist. Doch er kämpft sich in die Partie zurück, verteidigt ein schlechteres Endspiel, in dem er oft am Abgrund balanciert, mit großer Zähigkeit und wird nach 5½ Stunden in einem Bauernendspiel für seine großartige Leistung mit einem Remis belohnt, das für ihn die letzte notwendige IM-Norm bedeutet, so dass er nun nur noch die 2400-Marke für die Titelverleihung überspringen muss.

Am Abend wundert sich Martin zwar etwas, dass keine Glückwünsche zur Norm aus der Heimat eintreffen, was die (später ermittelte) Ursache hat, dass auf der Turnierseite seine Performance nur mit 2368 angegeben ist, da das dortige Programm seinen Elo-losen Gegner aus der Auftaktrunde nicht wie die FIDE mit 2100, sondern mit 1600 ansetzt.

Die Mannschaft bei Après-Échec.

Dafür ist die ganze Mannschaft bei der abschließenden Siegerehrung nach dem herausragenden 2½:3½ gegen Ashdod in Feierlaune, auch wenn vielleicht sogar noch mehr drin gewesen wäre und wir dadurch zum Abschluss auf Rang 18 mit 8:6 Zählern zurückfallen. Die Schlussfeier hat ihren uneingeschränkten Höhepunkt im Auftritt von Vasily Ivanchuk, der bei der Verleihung seiner Goldmedaille spontan zum Mikrofon greift, um sich in etwas hölzernem Englisch für die exzellente Organisation und das schöne Turnier zu bedanken. Dabei sorgt »Chucky« für den Spruch des Tages, als er auf das große Potential des Schachlandes Österreich hinweist, da es dort so viele »Amateure« gäbe …

Auch die Solinger Delegation ist an der Siegerehrung aktiv beteiligt, denn Martin, Jörg und Sipke erhalten nicht nur die begehrten Norm-Zertifikate der FIDE, sondern Sipke Ernst wird für seine herausragende 2725-Performance auch noch mit der mit 800 Euro dotierten Goldmedaille am zweiten Brett belohnt, worauf er die Getränkerechnung der Mannschaft am Abschlussabend übernimmt …

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SG 1868-Aljechin Solingen Ashdod City Club 2½ : 3½ GM Alexander Naumann (2542) GM Pavel Eljanov (2658) 0 : 1 IM Sipke Ernst (2512) GM Ilya Smirin (2659) ½ : ½

IM Michael Hoffmann (2477) GM Emil Sutowsky (2607) ½ : ½ FM Jörg Wegerle (2411) GM Igor Khenkin (2620) ½ : ½

Martin Becker (2315) GM Alexander Moiseenko (2632) ½ : ½ FM Oliver Kniest (2262) GM Artur Kogan (2564) ½ : ½

Sonntag, 15.10.2006: Rückreise und Fazit

Am Sonntag zerstreut sich der Schachtross wieder in alle Himmelsrichtungen, unzählige Bus-Shuttle fahren zwischen Fügen und den Flughäfen Innsbruck und München hin und her, während unsere Mannschaft die Heimreise über die traditionelle Route mit der Deutschen Bahn antritt.

Abschied vom lieblichen Zillertal

Auch wenn fast die komplette Mannschaft von dem am Vortag beim Kampf zahlreich umherschwirrenden Erkältungsviren betroffen ist, fällt der Rückblick dennoch uneingeschränkt positiv aus: Star der Woche war natürlich Sipke Ernst (5½/7), der vielleicht das Turnier seines Lebens spielte und hoch verdient den GM-Titel erringen konnte. Die beiden Youngster Jörg Wegerle (4½/7) und Martin Becker (4½/7) begeisterten vor allem durch großen Kampfgeist und verdienten ihre letzten Normen schon aufgrund der Vorstellung in der letzten Runde. Hier deutete Martin auch an, dass das Erklimmen der 2400 und die damit verbundene Titelverleihung für ihn nur noch eine Frage der Zeit sein dürfte.

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Eine absolut überzeugende Vorstellung bot am Spitzenbrett Alexander ,aumann (3½/6), der wieder einmal klar machte, dass er das Potential für 2600 besitzt, wenn er sich in Zukunft etwas mehr auf Schach wird konzentrieren können. Michael Hoffmann (3½/7) und Markus Schäfer (2/4) blieben mit 50 % etwas unter ihren Möglichkeiten, wobei allerdings berücksichtigt werden muss, dass sie aus mannschaftstaktischen Gründen wesentlich häufiger mit Schwarz antreten mussten und dort sehr stabil agierten.

Die Ersatzspieler Andreas Peschel (1/2) und Oliver Kniest (½/2) konnten in den Schlussrunden noch wichtige Zähler beisteuern und erzielten beide einen kleinen Elo-Gewinn.

Nicht vergessen darf man natürlich ,adine Ziemann, die in der Mannschaft stets für gute Stimmung sorgte, unsere Siege in der Regel als »Orakel« punktgenau vorhersagte und zudem umfangreiches Fotomaterial anfertigte, wofür ihr an dieser Stelle nochmals herzlich gedankt sei. Fotos und Videos von der Siegerehrung wurden vom Berliner Christoph Nogly angefertigt, dem auf diesem Wege gedankt und zur Silbermedaille am 6. Brett gratuliert sei.

Die angereisten Fans Frank Borkott, Bernd Schneider, Michael Pommeranz, Kurt Rist und Herbert Scheidt boten der Mannschaft auch vor Ort moralische Unterstützung und verliehen dem Europapokal auch den Charakter einer kleinen Vereinsfahrt.

Zum Abschluss kann deshalb nur gesagt werden, dass es eine tolle und sportlich erfolgreiche Woche im Zillertal war, die ohne die großzügige finanzielle Unterstützung von Frank Borkott und Herbert Scheidt nicht möglich gewesen wäre. In diesem Sinne bleibt zu hoffen, dass das »Fügener Herbstmärchen 2006« im Jahre 2007 in der Türkei eine Fortsetzung erfahren wird.

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