Von Der Himmlischen Harmonie Zum Musicalischen Krieg Das Achtzehnte Jahrhundert Supplementa

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Von Der Himmlischen Harmonie Zum Musicalischen Krieg Das Achtzehnte Jahrhundert Supplementa Silvan Moosmüller Von der himmlischen Harmonie zum musicalischen Krieg Das achtzehnte Jahrhundert Supplementa Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts Band 28 Silvan Moosmüller Von der himmlischen Harmonie zum musicalischen Krieg Semantik der Stimmung in Musik und Literatur (1680–1740) Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung. Publiziert von Wallstein Verlag Geiststr. 11 D-37073 Göttingen www.wallstein-verlag.de Text © Silvan Moosmüller, 2020 Umschlagbilder: Johann Mattheson: Das Forschende Orchestre. Hamburg 1721. / Georg Philipp Harsdörffer: Delitiae Philosophicae et Mathematicae. Frankfurt am Main 1653. Gesamtherstellung: Wallstein Verlag, Göttingen ISBN (Hardback): 978-3-8353-3735-0 DOI: https://doi.org/10.46500/83533735 Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Lizenz: CC BY-NC-ND 4.0 Inhalt 1. Einleitung . 7 1.1. Die musikalische Herkunft der Stimmung . 9 1.2. Musikalische Stimmungsdiskurse zwischen Sphärenharmonie und Physiologie . 12 1.3. Aufbau der Monografie . 19 2. Prolegomena: Stimmungssemantiken zwischen Metaphorik und musikalischer Spezifik . 23 2.1. Lexikalische Bestandesaufnahme im deutschen Sprachraum 1680-1740 . 25 2.2. ›Stimmung‹, ›Zusammenstimmung‹, ›Harmonie‹, ›Temperatur‹. 29 2.3. Stimmungsmetaphorik und musikalischer Stimmungsdiskurs . 31 3. Konstellationen: Stimmung im Zeichen universaler Harmonie . 35 3.1. Sphärenharmonie und Weltenmusik im ausgehenden 17. Jahrhundert . 36 3.2. Epistemologische Signifikanz der Stimmung . 45 3.3. Stimmung, harmonia und musiktheoretische Vernunft . 55 3.4. Literarische Embleme und Topoi der Stimmung . 70 4. Transformationen: Temperierte Stimmungen zwischen Sphärenharmonie und Physiologie . 95 4.1. Musikalische Stimmungen in Theorie und Praxis des 17. und 18. Jahrhunderts . 96 4.2. Poiesis der temperierten Zahlen . 109 4.3. Stimmung und Schwingung . 125 4.4. Verinnerlichung der Stimmung . 140 5. Stimmungspoetiken: Fallstudien. 157 5.1. Andreas Werckmeisters Theologie der Temperatur . 158 5.2. Stimmung und Stimme bei Johann Mattheson . 173 5.3. Einstimmung in der Lyrik Barthold Heinrich Brockes’ . 192 6. Schluss . 207 6.1. Zusammenfassung . 207 6.2. Von den Grenzen der musikalischen Stimmung zum Transfer in die Neurophysiologie . 210 6.3. ›Dumme Semantik‹ und musikalische Nachspiele . 214 7. Literaturverzeichnis . 219 Dank . 237 Register . 239 1. Einleitung »Die Stimmung [war] eben alles«, heißt es in Rainald Goetz’ Roman Johann Holtrop.1 Und sie kann vieles bedeuten, möchte man ergänzen. Genau das Diffuse, rational nicht Einholbare erscheint als deutlichste semantische Gemeinsamkeit des deutschen Wortes ›Stimmung‹ im heu- tigen Sprachgebrauch – sei es, dass von der »Stimmung der Öffentlich- keit« oder der »Stimmung eines verlorenen Ortes« die Rede ist. Zwar wird Stimmung in den Fachsprachen der Ästhetik (»die Stimmung einer Landschaft«), der Musik (»die gleichstufige Stimmung«), der Psychologie (»in guter Stimmung sein«),2 der Philosophie (»Grundstimmung der Seinsgeschichte«)3 oder in politischen Zusammenhängen (»Stimmung machen«)4 zuweilen in begrifflicher Absicht verwendet und entsprechend theoretisch präzisiert. Gerade im ästhetischen Bereich scheint sich die Kategorie der Stimmung allerdings derart abgenutzt zu haben, dass Da- vid E. Wellbery in seinem begriffsgeschichtlichen Artikel konstatiert, die Semantik der Stimmung sei heute »dumm« geworden.5 Diesem Verdikt zum Trotz erlebte die Stimmung in den letzten zehn Jahren vor allem in der Literaturwissenschaft eine Rehabilitierung als ästhetischer Begriff.6 Das konzeptuelle Gepräge und die analytische 1 Goetz: Johann Holtrop (2014), S. 93 (Kursivierung im Original). In Goetz’ Roman reicht das Spektrum von der »innerbetrieblichen Stimmung« (S. 93) über die »ge- dämpft konzentrierte, inhaltistische Arbeitsstimmung« (S. 107) bis hin zur »Bar- schelstimmung« (S. 111). An anderen Stellen ist die »Stimmung« wiederum »absurd protestantisch« (S. 150) oder einfach »im Arsch« (S. 92). 2 Zur aktuellen Bedeutung in der Psychologie vgl. Häcker et al. (Hg.): Dorsch Psy- chologisches Wörterbuch, S. 964. Für den Hinweis danke ich Isabelle Gutzwiller. 3 Vor allem in Martin Heideggers Daseinsanalytik in Sein und Zeit (1927) spielt der Stimmungsbegriff eine zentrale Rolle. Otto Bollnow gab dem Begriff in seiner Studie Das Wesen der Stimmungen (1941) eine anthropologische Wendung. Ak- tuelle Rekonzeptualisierungen sind bei Giorgio Agamben (Vocation and Voice) und Angelika Krebs (Stimmung: From Mood to Atmosphere) anzutreffen. 4 Eine Analyse der Macht politischer Stimmungen präsentiert Heinz Bude in seinem Buch Das Gefühl der Welt. Über die Macht von Stimmungen (2016). 5 Wellbery: Art. ›Stimmung‹, S. 733. 6 Programmatisch hierzu vgl. Gisbertz (Hg.): Stimmung. Zur Wiederkehr einer äs- thetischen Kategorie. Des Weiteren vgl. Arburg et al. (Hg.): Concordia discors; Reents et al. (Hg.): Stimmung und Methode; Gumbrecht: Stimmungen lesen; Jacobs: Stimmungskunst von Novalis bis Hofmannsthal; Reents: Stimmungs- ästhetik. 7 einleitung Schärfung der Stimmungskategorie unterscheiden sich hierbei jedoch beinahe von Studie zu Studie. Verblüffend einig sind sich die einzelnen Darstellungen aber hinsichtlich des genealogischen Sachverhalts, dass die Stimmung »ursprünglich in einen musikalischen Sinnzusammenhang« gehörte.7 Mehr noch wird diese musikalische Bedeutungsdimension als Spezifikum hervorgehoben, wodurch sich das deutsche Wort ›Stim- mung‹ von anderssprachigen Pendants (französisch: ›atmosphère‹, ›hu- meur‹, ›accord‹; englisch: ›mood‹, ›humor‹, ›attunement‹; italienisch: ›umore‹, ›intonazione‹, ›atmosfera‹) nicht lediglich unterscheidet, son- dern woraus es erst das ihm eigene semantische Spektrum bezieht, das seine Unübersetzbarkeit ausmacht.8 Was es mit der »musikalische[n] Herkunft«9 der Stimmung auf sich hat, wurde in bisherigen begriffsgeschichtlichen Studien aber erst ansatz- weise untersucht. Zwar werden musikalische Konzeptionen der Stim- mung – namentlich der antik-christliche Vorstellungshorizont der Sphä- renharmonie und der Stimmungsvorgang bei Musikinstrumenten – als »semantische Ressource[n]« thematisiert.10 Wie man sich den Zusam- menhang dieser Ressourcen mit den späteren psychologischen, ästhe- tisch-atmosphärischen und politisch-agitatorischen Bedeutungsdimen- sionen der Stimmung im historischen Längsschnitt vorzustellen hat, bleibt dabei aber genauso vage wie die Auskunft, welche Bedeutungs- aspekte des Musikalischen hierbei von Belang sind. 7 Reents: Art. ›Stimmung‹, Sp. 109. Analog Reents: Stimmungsästhetik, S. 13. 8 Die These der Unübersetzbarkeit des deutschen Wortes ›Stimmung‹ hat Leo Spitzer als Erster formuliert. Spitzer: Classical and Christian Ideas of World Har- mony, S. 411: »It is a fact that the German word ›Stimmung‹ as such is untranslat- able«. Die These wird in den begriffsgeschichtlichen Artikeln von Friederike Reents, David E. Wellbery und Franz Josef Wetz übernommen und ist auch im Dictionnaire des intraduisibles (= Cassin (Hg.): Vocabulaire européen des philoso- phies, S. 1217-1220) dokumentiert. Erik Wallrup hat Spitzers Unübersetzbarkeits- These mit Hinweisen auf Äquivalente in anderen germanischen (niederländisch ›stemming‹, schwedisch ›stämning‹ und dänisch ›stemning‹) und slawischen (rus- sisch ›nastroenie‹, polnisch ›nastrój‹ und tschechisch ›nálada‹) Sprachen relati- viert. Wallrup: Being Musically Attuned, S. 16. 9 Wetz: Art. ›Stimmung‹, Sp. 173. 10 Wellbery: Art. ›Stimmung‹, S. 704. 8 die musikalische herkunft der stimmung 1.1. Die musikalische Herkunft der Stimmung Aus heutiger Sicht erscheint der Zusammenhang zwischen der Stim- mung in der Musik und den anderen Bedeutungsdimensionen des Wor- tes erklärungsbedürftig. Der musiktheoretische Terminus ›Stimmung‹ bezieht sich auf die mathematische Berechnung physikalischer, das heißt akustischer Intervalle.11 Entsprechend technisch lautet die Definition im deutschsprachigen Standardlexikon Die Musik in Geschichte und Gegen- wart, Stimmung sei die »Fixierung von Tönen eines Musikinstruments hinsichtlich ihrer absoluten und relativen Tonhöhe«.12 Der aktuelle mu- siktheoretische Terminus zielt somit darauf ab, eine fachspezifisch klar umrissene Bedeutung gegen die verschiedenen Bedeutungsvarianten ab- zugrenzen, die der Stimmung in der Philosophie, Psychologie, Ästhetik und Politik zukommen können. Wenn ein Zusammenhang zwischen Stimmung in der Musik und der vielschichtigen Bedeutung des Wortes in den anderen Bereichen besteht, kann er also nur historisch gegeben sein. Doch auch in historischer Perspektive liegt der Zusammenhang kei- neswegs auf der Hand. Das zeigt jene Studie, die die These überhaupt erst aufbrachte, dass allen Bedeutungsfacetten des Wortes ›Stimmung‹ »eine musikalische Metaphorik« zugrunde liege:13 Leo Spitzers Classical and Christian Ideas of World Harmony. Prolegomena to an Interpretation of the Word ›Stimmung‹ (1944/45; 1963).14 In dieser weit ausgreifenden his- torisch-semantischen Untersuchung argumentiert Spitzer, die Bedeutung des deutschen Wortes ›Stimmung‹ wurzele ideengeschichtlich in der antiken Theorie der Sphärenmusik. Entsprechend habe sich das Konzept einer sich musikalisch symbolisierenden Harmonie der Welt in der Semantik der Stimmung konserviert. Gleichzeitig betont Spitzer, dass die 11 Vgl. Fuhrmann: Schwingung und Stimmung bei Johann Gottfried Herder, S. 96. 12 Auhagen: Art. ›Stimmung und Temperatur‹, Sp. 1831 f. 13 Arburg: Leo Spitzer liest Denis Diderot, S. 88 (Kursivierung
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