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SWR2 Tandem - Manuskriptdienst

Gefahren, gestaltet, überlebt

Der Rennfahrer wird 70

AutorIn: Eberhard Reuß

Redaktion: Rudolf Linßen

Regie: Eberhard Reuß

Sendung: Freitag, 02.05.16 um 10.05 Uhr in SWR2

Bitte beachten Sie:

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O-TON 1: „Ich hatte keine Vorbilder im Rennsport, ich habe die Leute bewundert, aber normal bewundert, weil sie einfach gute Typen waren. Und ich hatte keine Rennsportambitionen eigentlich die ganzen Jahre. Ich fuhr gut Auto, das wusste ich. Und das war so für mich der Hauptgrund. Ich hatte einen unglaublichen Spaß dran, ein Auto so zu bewegen, wie ich es wollte. Also das war einfach so passiert irgendwann, dass ich mir gedacht habe, ich fuhr schneller als alle meine Freunde und irgendwann dachte ich mir: oh, fahr halt mal Rennen. Ich bin mit einer Leichtigkeit gefahren, das war wirklich, die Freiheit etwas zu tun, mit dem du gut umgehen kannst und das war ein wunderbares Gefühl und das habe ich immer noch. Ich fahre gerne Auto, nach wie vor.“

Ein Leben im Schnelldurchlauf, stets auf der Suche nach Abenteuern und neuen Horizonten. Das ist Jochen Mass. Jahrgang 1946. Aufgewachsen in Frankenthal bei Ludwigshafen. Mit seiner Mutter und der älteren Schwester. Der Vater stirbt, als Jochen noch ein Kind ist.

O-TON 2: „Mein Vater fand es einigermaßen schwierig, wieder eine Richtung zur finden, nach diesem Krieg. Es war eine Generation, die in sich verloren war, das war schrecklich. Die haben alles gegeben, was sie konnten, auch ihr Leben und ihre Gesundheit und so weiter. Und dann war der Kriege vorbei und dann waren sie alle Verbrecher, die Wehrmacht. Furchtbar. Und er war bei der berittenen Artillerie, bei der bespannten, in Russland. Na ja, und dann kam er mal Nachhause. Als er dann starb, meine Mutter war 36 und hatte eben uns, zwei Kinder, meine Schwester und mich, und als er dann starb war ich natürlich tief traurig. Auf der anderen Seite – und das kling wirklich herb – da spürte ich eine gewisse Erleichterung. Ich habe das schon irgendwie so wahrgenommen. Und deswegen, meine Mutter hatte gegen die Sachen, die ich dann machte und treiben wollte, keine Macht und keinen Einfluss. Die hat dann irgendwann, sie hat’s auch aufgegeben und hat gesagt: Na Burli, dann pass halt auf, dass nix passiert, ne.“

Jochen Mass lernt, sich alleine durchzuschlagen. Schmeißt das Internat am Ott Heinrich-Stift in Mannheim, träumt von fernen Welten – und wird Matrose.

O-TON 3: „Seefahren, mein Großvater war ja Kapitän, und ich dachte mir: das könnst du auch mal machen. Und ich wollte dann einfach die Welt sehen und die Tropen und andere Kontinent. Und das gab natürlich mit dem Schiff dir die besten Möglichkeiten, Bananenfrachter, in die Tropen zu fahren, das war natürlich genial. Mit dem Flugzeug konntest du nirgendswohin damals, war ja nicht bezahlbar. Na ja, und dann fuhr ich eben auf einem normalen Frachter, Bananenfrachter, Küchenchef, ein wunderschönes Schiff, Ravensburg. 3

Na ja, und dann Panamakanal und dann Südamerika runter, die Küste nach Guayaquil und Ecuador und dann wieder rauf nach Kolumbien und Esmeralda, das sind solche Plätze, das war schon witzig. Also das hat mir sehr viel Freude gemacht. Und das sind so Eindrücke, die dich natürlich auch irgendwo prägen. Ich habe viele, viele Bücher gelesen und mir Sachen angeguckt.

Na ja, aber bei der Seefahrt war ich frei und dann natürlich kam die Bundeswehr wieder, ich war ja dann freigestellt, und danach kam natürlich wieder die Musterung, dann haben ich Marine wieder angegeben und möglichst Gorch Fock und solche Sachen. Worauf dies sagten: das gibt es eine endlose Warteliste für die Gorch Fock, aber wir brauchen jemanden für U-Boot. Dann habe ich gesagt: Hm. Da war gerade wieder Hai oder Hecht, wir hatten damals zwei U-Boote und eins davon war wieder untergegangen, mit Mann und Maus. Das war ein Drama. Das waren so späte Weltkriegs-U-Boote, das waren gute Boote, aber aus irgendeinem Grund hatten die schon mal ab und zu Probleme. Die war zweimal untergegangen, die hat man dann wieder gehoben, die armen Kerl rausgeholt, die es nicht überlebt haben, waren alle. Na ja, und auf so ein Boot sollte ich dann.“

Nein danke. Daheim in Mannheim gibt es eine Alternative für den 20 Jahre jungen Jochen Mass. Eine Lehre als Kfz-Mechaniker bei Meister Helmut Hähn.

O-TON 4: „Wie er da war, s’erschte Mal in der Werkstatt mit seiner Mutter, haben wir ihn gefragt: was will er werden? Er will Rennfahrer werden. Dann habe ich noch zu seiner Mutter gesagt: Das werre mer ihm schon austreiwwe. Aber es hat nedd geklappt middem austreiwwe (lacht).“

Helmut Hähn war nicht nur -Händler, er setzte in seinem eigenen Rennstall selbst frisierte italienische Renntourenwagen ein. Deshalb wollte Jochen Mass bei Helmut Hähn Lehrling werden.

O-TON 5: „Diese Ausbildung als KFZ-Mechaniker, die habe nur zwangsläufig gemacht, das hat mich nicht wirklich so interessiert. Irgendwie musste ja schauen wie du den Fuß reinkriegst, in die Tür. Und der Hähn war ja ein überaus großzügiger, großherzige Mann. Ich habe ihm zwei Autos kaputt gemacht, ein Rennwagen und einen auf der Straße. Das war enorm, dass er mich trotzdem dann ins Auto ließ.“

1968, beim Rossfeld-Bergrennen war Jochen Mass als Rennmechaniker mit dabei und durfte am Samstagabend den neuen Dienstwagen seines Chefs fahren.

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O-TON 6: „GTV-Cabrio, war ein wunderschönes Autos. Und als ich wieder zurückfuhr, in die Pension, ich hatte überhaupt keine Ambitionen, und da waren zwei Jungs, die waren am Trampen, habe ich gefragt: Wo wollt ihr denn hin? Oben in Internat. Und weil ich selber lange im Internat war, hatte ich natürlich ein großes Herz und habe gesagt: Einsteigen, ich bring euch hoch. Habe ich sie hochgefahren, oben ausgeladen. Fuhr die Straße wieder runter, und da war eine Linkskurve, die hatte ich beim Rauffahren natürlich ein bissel anders in Erinnerung als beim Runterfahren. Als es dann beim Runterfahren aussah, und da war ich zu flink und dann bin ich am Kurvenausgang rechts raus und flog den Berg runter, gegen einen Baum, da hatte ich sehr viel Glück natürlich.

Und ich erinnere mich noch gut, als Hähns Frau damals den Laden aufmachte und diese wunderschöne Bergkulisse sah, die guckte so nach oben und unten war das Wrack, und guckte da so hoch und irgendwann ging ihr Blick runter und dann kam dieser gellende Schrei: Helmut!

Ach Gott. Ich bin dann schnell ins Haus und dachte mir, mein Gott, wie machst Du das wieder gut?“ +

O-TON Helmut Hähn: „Da hat er sich am Ohr gehalte: Ich mach’s wieder gut, ich mach’s wieder gut. (lacht).“

Jochen Mass darf im selben Jahr sogar noch sein erstes richtiges Rennen fahren:

O-TON 7:

„Der Mannheimer Jochen Mass, ein 22-jähriger Nachwuchsfahrer, auf einem Alfa GTA, er fuhr ein hervorragendes Rennen.“:

Der junge Nachwuchsmann ist so gut unterwegs, dass er 1971 Werksfahrer bei Ford Deutschland wird. Sie schicken Jochen Mass nach England, dort fährt er Formel 3- Rennen, die harte Schule, um in den Grand Prix-Sport zu kommen.

O-TON 8:

„Ich hab mal beim Bergrennen zugesehen und der ganze Geruch und die ganze Atmosphäre, das gefiel mir dermaßen gut, dass ich mir dachte: probierst du’s eben auch mal.

Und wann haben Sie gemerkt, dass Sie Talent dazu haben? 5

Gleich nach den ersten Rennen oder bei den ersten Probefahrten hier in Hockenheim. Ich wusste es eigentlich schon immer. Es klingt so übertrieben, aber ich war immer ziemlich sicher, dass wenn ich mal anfange, dass ich damit auch weiterkomme.

Die Rennerei ist Geschäft mit der Angst. Auch Jochen Mass spürt das. Das Risiko, das ist eben so eine Frage, wie man’s empfindet, beim Fahren. Und ich hatte bisher noch keine schweren Unfälle, also.

Was trauen Sie sich zu?

Nun, ich traue mir eine ganz Menge zu, muss ich ganz ehrlich sagen. Aber ich habe keinen festen Plan, dass ich jetzt also sagen würde, ich will unbedingt bis da und dahin Weltmeister werden oder überhaupt, ich will Weltmeister werden. Das habe ich also nicht. Ich lass mich ein bisschen treiben und ich sehe, wenn es wirklich gut läuft, dann komme ich sowieso weiter, wenn’s nicht gut läuft, muss ich mir was einfallen lassen.“

1973 wechselt er in den Rennstall von Ex-Weltmeister John . Und fährt in Silverstone seinen ersten Formel 1-Grand Prix.

O-TON 9:

„Und dann stand ich da, geht der Start los und man fährt – erste Runde und ich komm zurück da im Pulk, brumm.“

Als bei Tempo 200 die Kontrolle über seinen McLaren-Rennwagen verliert und eine Massenkarambolage auslöst.

„Alles drehte sich und jeder kegelte jeden von der Strecke und ich fuhr dem Hailwood, der gerade von der Boxenmauer zurückprallte und bin gegen den Hailwood gefahren – und das war schon eine teure Angelegenheit und der einzige Verletzte war Andrea de Adamich, der sich nen Knöchel gebrochen hat. Aber das war normal, das war ein Unfall, wie er dauernd passieren konnte.“

Reuß: Beim nächsten Grand Prix in Zandvoort pausiert Jochen Mass. Was er nur als Zuschauer erlebt, wird er nie vergessen: Rennfahrer David Purley versucht, den verunglückten Kollegen Roger Williamson aus dessen brennenden Formel 1- Rennwagen zu retten.

„Ich habs im Fernsehen gesehen, in diesem 73er Jahr, ich konnts nicht glauben, was ich sah, das war zu furchtbar, weil der Williamson, der arme Kerl, kegelte sich raus und lag dann auf der Seite und der Wagen fing an zu brennen und nebendran steht ein Offizieller mit einem langen Ledermantel, mit einem Walkie-Talkie am Ohr und redet. Und der Purley hielt an und versuchte dem zu helfen, er wollte das Auto aufrichten, so ein bisschen, das war so ein bissel mehr auf der, der lag fast auf dem Kopf, und hat ihn gebeten da doch mitzuhelfen. Und der hat überhaupt nicht geholfen. Das war unglaublich.40 Meter weiter stand ein großer Löschwagen, er musste um die ganze Strecke fahren, weil er die 40 Meter nicht gegen den Strich 6 fahren durfte. Also es war eine hanebüchene Veranstaltung, Leitung. Das war schrecklich, es war nicht nachvollziehbar was in den Köpfen manchmal vorgeht. Keiner hilft und entweder sagt man sich: na gut, die wissen ja was sie tun und wenn sie verbrennen, dann ist es halt … So quasi. Das war schrecklich. Also, ich habe da über die Jahre, denke ich immer noch manchmal dran: warum, verdammt noch mal, warum…?

Darüber wurde eine Woche später in der ARD diskutiert. Mit einem Psychologen, einem Rennfunktionär und mit Jochen Mass zu Gast bei Rudi Michel:

O-TON 10 Rudi Michel: „Warum noch Motorsport in der heutige Zeit?“

Jochen Mass: „Na ja, es war halt so, wie die Medien damals waren, man hatte die Pflicht als Redakteur erst mal kritisch das Ganze zu betrachten. Was haben wir uns alles anhören müssen.“

Psychologe: „Nie wird brutaler gefahren als nach Autorennen im Fernsehen…“

Es werden auch Zuschauer gefährdet.

Die wollen das Spektakulum.

Aha, das Spektakulum.

Jochen Mass: „Und wenn was passierte, dann war auch bei uns erst mal die kritische Stimme, die erste die man hörte.“

Jochen Mass (1973): Der Motorsport befindet sich mit Sicherheit im Moment nicht auf dem gesündesten Weg, aber es ändert sich immer. Und der Motorsport wird auch wieder auf einen gesünderen Weg kommen, auch für die Allgemeinheit, ganz sicher.“

Jochen Mass: „Auch im Fernsehen bei der Berichterstattung war das immer, zwangsläufig erst mal musste das abgehakt werden, und dann kam man wieder in ein etwas normaleres Gespräch, wo’s dann wirklich um die Sache ging.“

1974 hörte sich das im Fernsehinterview so an:

O-TON 11: Jochen Mass – mit Interviewer (1974): „Was ist das Formel 1-Rennen heute? Ist das ein Zirkus? – Dass das ein Zirkus wurde liegt natürlich einfach daran, dass da eben 30 Mann sitzen, die eben in der ganzen Welt rumreisen. Der ganze Tross zieht immer mit. Und es sind eben nur 30 Mann, auf der ganzen Erde, die eben diese Autos fahren und darum wurde es wohl ein bisschen zum Zirkus. Und gewisse spektakuläre, oder eine gewisse spektakuläre Atmosphäre ist, glaube ich, auch notwendig, um das irgendwie interessant zu machen.“

O-TON 11 Collage Ende: Jochen Mass: „Aber wir wussten, wenn was ist, dann tut’s meistens weh.“ 7

Jochen Mass fährt in der Formel 1 die Rennwagen von Ex-Weltmeister . Doch die sind nicht besonders zuverlässig. In Monte Carlo weigert sich Jochen Mass zu starten.

O-TON 12: „Es war meine Entscheidung, das war mein erstes Jahr in der Formel Eins. Und man musste da schon ein bisschen konsequent sein sagen: John you can drive it yourself.“

Jochen Mass wechselt mitten in der Formel 1-Saison 1974 von Surtees zu McLaren.

O-TON 13: „Und dann flogen wir in die USA und Helmut saß im Flieger, und dann habe ich gesagt: Helmut, was fährst du denn, oder was machst du? Sagte er: Ich fahre den … Dann habe ich gesagt: Machs nicht, das Auto ist gefährlich und deswegen habe ich aufgehört. Dann sagte er: Passt schon, da muss man, und sonst bin ich gleich nicht mehr drinnen, nächste Jahr. Ich muss schon fahren. Dann habe ich gesagt: Tu es nicht, das Auto. Und er kommt in dem Rennen ums Leben, weil die linke Vorderachse brach. Das war passiert. Wir haben es gesehen warum und das war das Schlimme. Aber wir fuhren es wieder und es war weg, im Kopf, das war gar nicht da. Man konnte hinterher wieder drüber reden vielleicht. Aber das war in dem Moment kein Thema für uns, in keinster Weise, in keinster Weise.“

Bei McLaren ist Jochen Mass Teamkollege von Weltmeister Emerson Fittipaldi. Für den 28jährigen Deutschen Rennfahrer die Chance seines Rennfahrerlebens. Beim Großen Preis von Spanien auf dem Stadtkurs in Barcelona kommt es 1975 zur Nagelprobe.

O-TON 14 Jochen Mass: „Die haben aus irgendeinem Grund es nicht geschafft, die Leitplanken früh genug zu installieren und fest zu machen. Das heißt, die haben die Bolzen reingesteckt, dass sie nicht von alleine runterfielen, aber keine Muttern darauf gemacht. Und war natürlich blöd.“

Weltmeister Emerson Fittipaldi verzichtet auf den Start. Sein Teamkollege Jochen Mass nicht.

O-TON 15 Jochen Mass: „Und Streik als solcher war eigentlich keine gute Idee. Und ich hatte dann vorgeschlagen, wir fahren demonstrativ langsam. Gute Idee, machen wir. Na gut, dann kam die Flagge. Und die erste Ecke, da waren gleich die beiden , die sich da verhakten, und die flogen gleich raus. Ich meine, wir fuhren dann nicht richtig am Limit.“

In der 26. Runde bricht am Rennwagen von Rolf Stommelen trotzdem der Heckflügel.

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O-TON 16 Jochen Mass: „Der Rolf, flog dann über die Leitplanken und traf dann diese Leute.“ – (Reporter Dieter Damler) „Die Schreckensbilanz, drei Tote – Stommelen schwer verletzt.“ – Rennatmo – darüber:

Jochen Mass gewinnt das Rennen. Sein erster Grand Prix-Sieg in der Formel 1 wird auch sein einziger bleiben.

O-TON 17: „Aber, sind so Dinge, je älter am wird, desto schneller war man früher, und so. Aber es war wirklich, ich hatte Talent, ich hatte nur wenig Zeit, weil ich vom Alter her, wenn du mit 22 oder mit 25 zum ersten Mal Monoposter fährst, hat du zwangsläufig nicht viel Zeit. Mit 27 bist du in der Formel Eins, dann brauchst du zwei Jahre, bis du dich da eingefummelt hast. Ja, und dann bleiben dir noch 5, 6 Jahre, und die hatte ich genutzt, so bis 35/36. Ich habe immer damit gerechnet, dass was passieren kann und auch irgendwann passieren muss, so blöd das klingt. Und ich habe immer gedacht: irgendwann wird’s dich auch beißen, irgendwann mal. Und so war’s dann auch.

Nach äußerst schlechter Behandlung als Nummer 2 des McLaren Teams, wagt Jochen Mass den Sprung in ein Experiment.

Mit dem berühmten ATS, brach … Gelenk ab hinten und die Schubstrebe und das Rad klappte so bei 280 plus, klappte das so nach außen. Ich bin dann links in die Erdbefestigung darein, und dran entlang und habe ich gemerkt wie ich mir links alles brach, weil da Auto natürlich dann irgendwo eingeschlagen war, in einem dummen Winkel, sodass es abgeknickt und nach oben gebogen war. Und ich habe gemerkt wie das alles passierte und ich hab so mitgezählt, dachte mir: jetzt das, das, das, das. Der Motor war weggeflogen, hat nicht gebrannt. Keine Streckenposten, nichts, keine Feuerlöscher. Und dann war ich ohnmächtig, dann war ich wieder da. Und bis die kamen dann endlich. Dann andere Fahrer haben gesagt: Hey, Jürgen has an accident. Und dann sind die ins Auto und dann kamen sie langsam rum, die Mechaniker, und haben geholfen. Und das dauerte schon ziemlich lange. Und ich war dann mittlerweile schon im Krankenhaus, da war ein sehr guter Arzt, der Mr. Kopp. Na ja, gut. Und ich war dann im Krankenhaus, dann dachte ich mir: jetzt hast du dein Pflichtunfall gehabt, so quasi, und alles okay. Habe alles wieder bewegt und es war alles gut, also was ich bewegen konnte. Na ja, dann hatte ich noch eine kaputte Lunge, die war gerissen und so’n Blödsinn, naja.“

Ein halbes Jahr später fährt Jochen Mass wieder in der Formel 1. Erst für Arrows. Dann für March. Es geht für Jochen Mass nicht mehr um Siege. Er hat Spaß am Leben und an der Rennerei. Hat sich den Dreimaster „Aquila Marina“ zugelegt. Geht auf große Segeltouren, fährt Heißluftballon und startet weiter in der Spitzenklasse des Motorsports. Jochen Mass macht sein eigenes Ding.

O-TON 18: „Ich hatte schon viel Talent, ich hatte nur relativ wenig Zeit und habe natürlich auch irgendwo, weil ich eigentlich so ein … war, ich hatte ja keinen Manager, weil es auch nicht so viele gab und ich traute den wenigsten. Und die Mc… Leute, die hätten mich verkauft, die hätten meine Seele verkauft, bloß um an ihr Geld zu kommen. 9

Das ist leichter für eine große internationale Agentur einen Weltmeister wie Jacky Stewart zu vermarkten, das ist leicht. Aber jemanden zu vermarkten, der noch nicht da ist, der gerade anfängt, und die hätten mich dann mit x kleinen Jobs versehen, wo sie ihre 25 Prozent rausgezogen hätten und so weiter. Und dann hätte ich mich aber übervermarktet, und dann hätte mich keiner mehr gewollt nach einer Weile. Und das sind Dinge, die muss man nicht unbedingt machen. Also lieber auf einiges verzichten als allen nachzulaufen.“

1982 heiratet er die Mutter seiner beiden Kinder. In der Formel 1 fährt Jochen Mass hinterher. Beim Abschlusstraining zum Großen Preis von Belgien in Zolder ist - Werksrennfahrer Gilles Villeneuve auf einer schnellen Runde unterwegs.

O-TON 19: „Und ich hatte meine Auslaufrunde und fuhr über den Hügel hinten und fahr in der Mitte so ein bisschen rechts, weil links ist die schnelle Spur. Und sehe einen Fahrer hinten ankommen und fahre ein bisschen weiter nach recht, der war aber so schnell da, der bremste sicherlich noch, ich habe das nicht ganz verfolgen können. Aber der prallte mir dann aufs Hinterrad und aufs Vorderrad und wurde so abgewiesen von den Rädern, also es war ein weicher Touch, bei mir ging auch gar nichts kaputt am Auto. Und er hat sich dann x-mal überschlagen. Ich habe das natürlich alles hautnah, oder wirklich aus nächster Entfernung verfolgen können, wie er dabei ums Leben kam und das war furchtbar. Er wurde dann rausgerissen, mit der ganzen Rückenplatte von dem Auto und flog dann, nachdem der Helm vorher schon weggeflogen war, über die Straße, drüben in die Fangzäune, gegen die Pfosten. Ich bin dann rüber gerannt und guckte in seine großen Augen und dachte: kann ja wohl nicht wahr sein. Genick gebrochen und so weiter, also es war schrecklich.

Ich kannte die Familie gut, ich kannte die Kinder und alles, und das war natürlich etwas, wo ich mir wieder dachte: es ist jetzt Zeit, dass du dich davon entfernst. Ich habe dann viel später, ich konnte die Familie gar nicht kontaktieren, das war, also die Jana und die Jungs, ich habe dann später mit Jack gesprochen, im Flugzeuge haben wir lange drüber geredet, dann sagte er: Jochen, wir haben dir nie einen Vorwurf gemacht. Wir haben immer gesagt, das war ein Rennunfall, die Melanie auch, seine Schwester. Die kam mal an, in Monaco und sagte: Jochen, do you remember me? Dann sagte ich: Melanie. Dann sagte sie: Don’t look like that. It’s okay. Ich bin aber das Rennen ja noch gefahren, und dann am Sonntag trotzdem. Und bin dann genau an der Stelle ausgefallen. Und das war unglaublich. Und dann saß ich dann da mit kaputtem Motor, genau an der Stelle wo’s passiert war, wo er ums Leben kam, und saß dann da und guckte dann so rüber, und dachte mir: mein Gott, das ist alles nicht wahr. War‘s aber leider.“

Keine drei Monate später, beim Grand Prix auf dem Circuit Paul Ricard, ist Jochen Mass in seiner französischen Wahlheimat immer noch mit dabei in der Formel 1.

O-TON 20: „Wir fuhren alle in einer Schlange, Richtung Ziellinie, die voll geht, wir hatten, so 288 fuhren wir, und konntest du voll fahren, der hatte ja ziemlich viel Abtrieb und das ging auch ganz gut. Aber wie das so ist, so im Pulk, wenn man so ein bisschen, ganz leicht vom Gas, nicht ganz runter, aber nur so ein bisschen. Und der Bally war vorher rausgefahren, aus dem Windschatten, kam also auch nicht weiter. Aber er blieb dann da einfach, so ein bisschen versetzt neben mir, ein bissel weiter hinten. 10

Und er fuhr dann mit seinen Vorderrädern vor mein Hinterrad, sein linkes Vorderrad fuhr auf mein Hinterrad, worauf ich abflog. Und dann bin ich auf der Straße aufgeprallt, hatte den Überrollbügel abgebrochen, aber vorher noch den Tank eingedrückt, sodass er dann anfing zu brennen. Und ich flog dann so Hacke-Spitze, so über die ganzen Fangzäune und durch das Ganze, über eine Leitplanke weg, über einen Verbindungsweg, so einen Serviceweg für die Streckenposten, in die Zuschauer. Da war noch eine Betonmauer, so eine Erdbefestigung und oben ein Zaun, und da bin ich dann, und lag dann, Gott sei Dank, richtig rum, brennend, eingewickelt in Draht, konnte gar nicht raus. Und es wurde sehr heiß natürlich schnell, und dann dachte ich mir: das ist aber überhaupt nicht gut. Ich hatte so während des Flugs, gingen mir so die Kinder durch den Kopf und es war alles, es war ein wunderschönes Empfinden von Dingen, hätte ich nie für möglich gehalten, der Moment. Es lief alles ab, der Helm war durchgewetzt, bis auf den Kopf durchgescheuert und gerissen bis nach unten. Also ich muss schon ziemliche Schläge da eingesteckt haben, auf dem Kopf. Na ja, und dann saß ich da in meinem, in meinem Autochen da und weiter oben war eine Löschkanone, die kam dann schnell runter, war nicht weit, mit Schaum, die hat es dann, dann wurde es kühl, dann dachte ich mir: oh, wunderbar. Ja, gut, dann haben sie mich rausgeschnitten, dann bin ich ausgestiegen, dann haben sich die Leute gefreut, dass ich überhaupt noch lebe, weil die haben ja alle gesagt: das kannst du gar nicht überleben normalerweise. Da hatte ich ein solches Glück und dann dachte ich mir: da zeigt jemand auf die, dachte ich mir, jetzt musst du aufpassen, das geht nicht gut, das war zu nah. Und dann habe ich aufgehört eben mit der Formel Eins und fuhr dann Sportwagen weiter.“

Jochen Mass fährt im Werksteam von Porsche und sieht Manfred Winkelhock und Stefan Bellof sterben. Wird gewinnt im Werksteam von Mercedes-Benz die „24 Stunden von LeMans“ und wird Mentor des jungen Michael Schumacher. Und ist als Fernsehreporter dabei, als „Schumi“ Formel 1-Weltmeister wird und Roland Ratzenberger und Ayrton Senna 1994 in Imola tödlich verunglücken. Damals fragt Uli Wickert in den ARD Tagesthemen nach:

O-TON 21: „Guten Abend, Herr Mass. Ja, guten Abend. Kann man da wirklich nicht sagen, das Ganze ist eine Frage des Geldes, die Sensation bringt dieses Geld und die Fahrer werden diesem Geld geopfert? Nein, sicher nicht. Wir haben das ja in der Vergangenheit, das ist immer wieder das gleiche Thema, Unfälle passieren. Im Großen und Ganzen war eigentlich alles im Besten, nur jetzt, da passieren plötzlich Sachen, die wir nicht überschauen konnten vorher unbedingt, weil wir uns zu wenig drüber Gedanken gemacht hatten Vielen Dank, Herr Mass.“

Das Risiko lässt sich minimieren, aber nicht ausschalten. Bis heute nicht.

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O-TON 22: „Sicherer ist relativ natürlich, aber eben dieser Prozentsatz von Unsicherheit ist dummerweise immer noch geblieben, oben irgendwo. Und dieser Umgang mit dem Rennsport ist halt zwangsläufig entstellter gegenüber dem, was wir erlebt haben. Und dann kann man sagen: ha, das war toll bei euch. Natürlich war es nicht toll, wenn so viele Leute sterben, was soll daran toll sein? Und heute passiert, Gott sei Dank, wenig – aber.“

Dieses Jahr wird Jochen Mass 70. Lebt mit seiner zweiten Frau und zwei weiteren Kindern in Südfrankreich. Er ist nach wie vor ein gefragter Mann in der Automobilbranche, startet immer noch bei Oldtimerrennen, genießt den Nachruhm eines Formel 1-Rennfahrers, glücklich, überlebt zu haben.

O-TON 23: „Ich hätte mein Leben nicht anders leben können, so lebte ich nun mal und das hat mir sehr viel Freude gemacht. Wir waren Popstars, ja, nein, nicht Popstars, wir waren Formel Eins Fahrer, die zum Teil angehimmelt wurden, zum Teil verschrien wurden. Und aber im Großen und Ganzen stellten wir etwas dar, für eine große Anzahl Jugendliche, die das natürlich auch alle gerne machen würden die da nicht hinkommen so ohne weiteres. Und ich muss sagen, ich bin manchmal selbst überrascht, dass ich das überlebt habe, die ganzen Jahre. Und ich bin sehr dankbar, dass ich noch da bin natürlich und freue mich, dass das soweit ging. Manchmal dachte ich mir, es ist fast ungerecht, das Leben kann ungerecht sein, da sind andere Leute für viel weniger ums Leben gekommen. Also das so Sachen, das sagst du dir: mein Gott, wie viel Glück kann man haben?“