Ein Recherche- und Ausstellungs- projekt zur Basler Kolonial- geschichte

A Research and Exhibition Project on ’s Colonial History Stimmen aus einer Druck Publikation / Stimmen aus einer archivierten Stille archivierten Stille / Print Publication: Voices from an Multicolor Print, Baar Anfertigung Ein Recherche- und Ausstellungsprojekt Archived Silence zur Basler Kolonialgeschichte Stoffdruck / Cloth Printing: Foyer Grosse Bühne, Big Image Systems, Potsdam Theater Basel, Voices from an Archived Silence Theaterstrasse 7, Druck Displaytafeln, Klebefolien / A Research and Exhibition Project 4051 Basel Print Display Panels, Adhesive Foil: on Basel’s Colonial History Creaplot AG, Münchenstein

Kuratorinnen, Herausgeber- 3D-Modell und 3D-Druck / innen / Curators, Editors: 3D-Model and 3D-Print: Vera Ryser, Sally Schonfeldt CL-Y GmbH, Daniel Lütolf, Prashant Marthak Von / By Künstler*innen / Artists: Vera Ryser, Sally Schonfeldt Rahmat Arham, Art Finishing 3D-Druck / Angela Wittwer, 3D-Print Art Finishing: Mit / With Julia Sarisetiati, Moises Bürgin Jimged Ary Sendy Trisdiarto, Rahmat Arham, Deneth Piumakshi Deneth Piumakshi Leihgabe / Loan: Wedaarachchige, Julia Sarisetiati, Wedaarachchige, Pultvitrinen / Exhibition display Bernhard Schär, Jimged Ary Sendy Duo Ryser + Schonfeldt vitrines (ca 1910) Museum der Kulturen Basel Trisdiarto, Angela Wittwer Wissenschaftliche Beratung / (VI 70411, VI 70412) Scientific Advice: Bernhard Schär Für das Theater Basel / Wissenschaftliche Assistenz / For Theater Basel: Research Assistant: Rahmat Arham, Rahel Gutmann Ausstellungsbau / Exhibition Installation: Produktionsleitung, Rahmen­ Werkstätten Theater Basel programm / Production Management, Public Programme: Werkstätten Leitung Sabrina Hofer Ausstellungsbau / Workshop Management: Szenografie / Scenography: Gregor Janson, René Matern Lisa Dässler Technische Leitung Foyer / Assistenz Szenografie / Technical Direction Foyer: Assistant Scenography: Beat Weissenberger Daniel Felgendreher Veranstaltungstechnik u. Logistik / Grafik / Graphic Design: Event Technicians and logistics: Aude Lehmann Patrick Soland, Maximilian Herber (Video), Philipp Sanwald (Licht), Fotografie / Photography: Thierry Bohnenblus, Nicolas Futsch Flavio Karrer Intendant / General Directorat: Übersetzung / Translation: Andreas Beck, vertreten durch Alexandra Berlina, Mirjam Bitter Pavel B. Jiracek, Almut Wagner, Richard Wherlock Korrektorat / Proofreading: Philine Erni, Leila Peacock, Kaufmännische Direktion / Angela Wittwer Administrative Directorat: Henriette Götz Foyer Grosses Haus, Theater Basel 12. 01.–30. 05. 2020 Eine Koproduktion des Theater Basel mit Bernhard Schär und dem Duo Ryser + Schonfeldt / A Co-production by Theater Basel with Bernhard Schär and Duo Ryser + Schonfeldt: Öffnungszeiten / Opening Hours: Geöffnet jeweils 90 Minuten vor Vor­stellungsbeginn auf der Grossen Bühne Open 90 minutes before the start of the performance on the big stage

Gefördert von / Supported by: Bildnachweis / Photo Credits Inhaltsverzeichnis

Publikation / Publication: 10 Angela Wittwer; 6 Stimmen aus einer archivierten Stille MKB, Fll.c, 2159; Vera Ryser und Sally Schonfeldt Angela Wittwer 10 Bildessay Dan Dia Bilang Gitu 11 Angela Wittwer; Ryser + Schonfeldt Rahmat Arham und Angela Wittwer 12 MKB, Fll.c, 2104; 14 Geschichte in einer postkolonialen, Collection Nationaal Museum postdiszipli­nären und polyglotten Welt van Wereld­culturen, Coll.no. 10001625; Bernhard Schär mongabay.co.id / 20 Bildessay 136 Years Ago and Now Eko Rusdianto Deneth Piumakshi Wedaarachchige 13 The Jakarta Post / Seto Wardhana; 24 Postkoloniale Gedächtnisstützen mongabay.co.id / Vera Ryser und Sally Schonfeldt Eko Rusdianto 33 Bildessay Die verwobenen Geschichten 20 Deneth Piumakshi Wedaarachchige von drei Modellfiguren und einem Vogel 21 Deneth Piumakshi Vera Ryser und Sally Schonfeldt Wedaarachchige 38 Künstler*innenbiografien 22 Deneth Piumakshi Wedaarachchige 42 Bildessay A Possibility of Owning Other’s Text 23 Deneth Piumakshi Julia Sarisetiati und Jimged Ary Sendy Trisdiarto Wedaarachchige 33 Ryser + Schonfeldt 34 Ryser + Schonfeldt 46 Kurze Werkbeschreibungen 35 Flavio Karrer Ausstellungsplan im Umschlag 36 Flavio Karrer; Ryser + Schonfeldt 37 Ryser + Schonfeldt 42 Collection Nationaal Museum van Wereldculturen, Coll.no. 10001625; Pustaka Sawer Gading 43 Ahmat Saransi; Julia Sarisetiati 44 Rahmat Arham; Contents Julia Sarisetiati 45 Julia Sarisetiati; Julia Sarisetiati 6 Voices from an Archived Silence Umschlag / Cover: Vera Ryser and Sally Schonfeldt MKB FIIc.2325 10 Image Essay Dan Dia Bilang Gitu Foyer Grosses Haus, Theater Basel Rahmat Arham and Angela Wittwer Objektbiografien Grossformat / 14 History in a Postcolonial, Postdiscipli­nary Object Biographies Large Format: and Polyglot World , v.l.n.r. / f.l.t.r.: Bernhard Schär Flavio Karrer, 2019; 20 Image Essay 136 Years Ago and Now Adelhausermuseum Freiburg i.Br., 4758, 4844 / 4945; Deneth Piumakshi Wedaarachchige Flavio Karrer, 2019; 24 Postcolonial Mnemonics MKB, X 4558; Vera Ryser and Sally Schonfeldt Flavio Karrer, 2019; Ryser + Schonfeldt, 2018; 33 Image Essay The Entangled Histories MKB, FII.a, 573; of Three Exhibition Figures and a Bird MKB, FII.a, 579; Vera Ryser and Sally Schonfeldt MKB, FII.a, 527; Flavio Karrer, 2019; 38 Artist Biographies Flavio Karrer, 2019; 42 Image Essay A Possibility of Owning Other’s Text Flavio Karrer, 2019. Julia Sarisetiati and Jimged Ary Sendy Trisdiarto Zosterops, v.l.n.r. / f.l.t.r.: Flavio Karrer, 2019; 46 Short Work Descriptions Kantonale Denkmalpflege Exhibition Plan in the cover Basel-Stadt, Isenschmid 1963; commons; MKB, FIIc.D.2,2159; Flavio Karrer 2019; Flavio Karrer 2019; Flavio Karrer 2019; Flavio Karrer 2019. 5 Als Duo beschäftigen wir uns im Rahmen von men mit der Dramaturgin Sabrina Hofer und lieferten rassistischen Denkweise und nach Stimmen langjährig angelegten Recherchen mit The- dem Dramatiker Thiemo Strutzenberger ini- der Repräsentation einer pluralistischen Ge- men im Spannungsfeld von kolonialer Theo- tiierten. Entstanden ist ein dreiteiliges immer- sellschaft in den Schweizer (Kultur-)Institu­ tio­ ­ rie und migrantischen Diskursen. Als wir vor sives Projekt mit einer Uraufführung, einer ­nen nachgehen. Die drei verschiedenen Pro- aus einer mehr als drei Jahren Bernhard Schär kennen- Ausstellung und einem Rahmenprogramm: jekte ermöglichen es den Besucher*in­­ ­nen, lernten und seine Studie Tropenliebe lasen, Thiemo Strutzenberger beschäftigt sich in sich durch unter­ schied­ liche­ künstle­ ri­ sche­ archivierten realisierten wir bald, dass wir uns wohl noch seinem auf der Kleinen Bühne uraufgeführ- Heran­ge­hens­­weisen und auf verschie­denen länger mit diesem Buch auseinandersetzten­ ten Stück Die Wiederauferstehung der Vögel Bedeutungsebenen mit diesen Themen aus- Stille werden. Seine globalhistorische Analyse über mit der privaten Lebensgeschichte von Fritz einanderzusetzen. die kolonialen Verflechtungen der Schweiz an­ und Paul Sarasin und ihren imperialen Verstri­ Der Ausstellung Stimmen aus einer ar­ ­hand der Basler Naturforscher Paul und Fritz ckungen. Unsere Ausstellung Stimmen aus chivierten Stille geht eine zweijährige Re- Vera Ryser Sarasin, die um 1900 koloniale Forschungs­ einer archivierten Stille bespielt das Foyer cherche voraus, in der wir uns vertieft mit den ­ex­­peditionen tätigten, hat uns begeistert. Die des Grossen Hauses und verhandelt das ko- Archivbeständen von Fritz und Paul Sarasin Aus­einandersetzung mit den umfangreichen loniale Erbe von Basler Museen und Archiven aus und Indonesien im Naturhisto­ und Sally kolonialen Sammlungen der beiden Sarasin kritisch, vielstimmig und im Dialog mit Künst- rischen Museum, im Museum der Kulturen Grosscousins in Basler Museen und Archi- ler*innen aus Sri Lanka, Indonesien und der sowie in anderen Sammlungen und Archiven Schonfeldt ven ermöglichten es uns, an diesem Beispiel Schweiz. Schliesslich hat Sabrina Hofer ein in Basel auseinandergesetzt haben. Aus dem Schwei­zer Verstrickungen in koloniale Un- dichtes Rahmenprogramm mit öffentlichen kolonialisierten Gebieten Ceylon (heute Sri terfangen aufzuzeigen, den Umgang mit Kul­ Diskussionsveranstaltungen, nationalen und Lan­­ka) und Celebes (heute Sulawesi in Indo­ tur­gü­tern aus kolonialen Kontexten hier in internationalen Gästen aus Wissenschaft, nesien)­­ hatten Fritz und Paul Sarasin zwischen der Schweiz zu verhandeln sowie Formen Poli­tik und Kultur zusammengestellt. Ge­mein­ 1883 und 1903 neben mehreren tausend Pflan­ einer po­lyzentrischen­ Ausstellungspraxis zu ­­­sam möchten wir am Theater Basel eine ver- zen und Tieren, knapp 2000 teilweise unter erproben. tiefte Reflexion über die kolonialen Verstri- Gewaltanwendung hergestellte Fotografien, Schärs Arbeit bildete schliesslich den ckungen Basels führen und damit verbundene über 2000 Alltags- und Kultgegenstände so- Ausgangspunkt für ein grossangelegtes Pro- Fragen nach der Wirkungsweise einer über­ wie 88 menschliche Schä­­del und Skelette jekt am Theater Basel, welches wir zusam- nach Basel gebracht.

tion and a supporting programme. Thiemo As an artistic duo, we use long-term research Strutzenberger deals with the private life sto- Lanka and Indonesia at the Natural History Voices to deal with topics situated in the field of ten- ry of Fritz and Paul Sarasin and their imperi- Museum, the Museum der Kulturen and oth- sion between colonial theory and migrant al entanglements in his play Die Wiederaufer­ er collections and archives in Basel. Between discourses. When, over three years ago, we stehung der Vögel, premiered on the Kleine 1883 and 1903, Fritz and Paul Sarasin brought from an met Bernhard Schär and read his study Tro­ Bühne. Our exhibition, Voices from an Archiv­ several thousand plants and animals, almost pen­liebe, we soon realized that this book ed Silence, in the foyer of the theatre, nego- 2000 photographs (some taken by force), Archived would become an object of long-term interest tiates the colonial heritage of Basel museums over 2000 everyday and cult objects as well for us. His global historical analysis of Swit- and archives—critically, polyphonically and as 88 human skulls and skeletons from the Silence zerland’s colonial interdependencies based in dialogue with artists from Sri Lanka, Indo- colonised areas of Ceylon (now Sri Lanka) upon the Basel naturalists Paul and Fritz nesia and . Finally, Sabrina Hofer and Celebes (now Sulawesi in Indonesia) to Sarasin—second cousins who conducted has put together an event-packed programme Basel. Confronted with these extensive and colonial research expeditions around 1900— with public discussions featuring Swiss and often sensitive archival holdings, we had to Vera Ryser deeply inspired us. By reflecting on the ex- international guests from academia, politics ask ourselves how to deal with this material. tensive colonial collections of the Sarasins in and culture. Together, we will generate an in- How can these holdings be decolonised? Is and Sally Basel’s museums and archives we could use depth reflection on Basel’s colonial entangle- this even possible? The exhibition is intend- this example to demonstrate Swiss involve- ments at the Theater Basel, pursuing ques- ed to refer not only to the past but also to Schonfeldt ment in colonial endeavours, to negotiate tions about the effects of handed-down racist present and future debates. It was important questions around cultural heritage from co- thought patterns and the representation of a for us to recognize the blind spots of these lonial contexts here in Switzerland and to pluralistic society in Swiss (cultural) institu- archives and to fill their gaps with perspec- engage in polycentric exhibition practices. tions. The three projects enable viewers to tives from beyond Basel and Switzerland. We Schär’s work formed the starting point engage with these themes through different therefore invited artists from Sri Lanka and for a large-scale project at Theater Basel, artistic approaches operating at different lev- Indonesia to examine the archive material which we co-initiated with the dramaturge els of meaning. from their perspectives and to propose new Sabrina Hofer and the playwright Thiemo The exhibition Voices from an Archived ways of dealing with it. Strutzenberger. The result is a three-part im- Silence is based on two years of researching This resulted in diverse artistic works, mersive project with a première, an exhibi- the Fritz and Paul Sarasin archives from Sri all of which activate previously absent voices.

6 7 Voices from an Archived Slience Kon­fron­tiert mit diesen umfangreichen, teil- setiati, Jimged Ary Sendy Trisdiarto, Angela weise sensiblen Archivbeständen stellte sich Wittwer und Rahmat Arham beschäftigen­ uns von Anfang an die Frage, wie wir mit die- sich mit Widerstandgeschichten während sem Archivmaterial umgehen können. Wie der indonesischen Kolonialzeit und verhan- können diese Bestände dekolonialisiert wer- deln unter anderem die Gedichte von Colliq diese auch zu erweitern. Die verschiedenen den und ist das überhaupt möglich? Die Aus- Pujié, Schriftstellerin und antikoloniale sula- künstlerischen Perspektiven befragen, er- stellung sollte nicht nur auf die Vergangenheit wesische Intellektuelle, die sich gegen die gänzen und kommentieren sich in ihrer räum- verweisen, sondern ebenso auf gegenwärti- niederländische Kolonialmacht auflehnte. In lichen Anordnung und fordern sich dabei ge und zukünftige Debatten Bezug nehmen. unserer eigenen Arbeit beschäftigen wir uns gegenseitig heraus. Es war uns wichtig, die Lücken, die blinden vertieft mit zwei einzelnen Objekten aus den Dieses Projekt wäre nicht möglich ge­ Flecken dieser Archive zu kennzeichnen­ und Sarasinischen Sammlungen und erstellen wesen­ ohne die grossartige Zusammenarbeit mit anderen Sichtweisen, die aus der Basler jeweils eine Objektbiografie. Wir werfen die mit ganz vielen engagierten Menschen in und der Schweizer Perspektive ausbrechen, Frage auf, was diese beiden Objekte über der Schweiz, in Indonesien und in Sri Lanka. zu besetzen. Wir luden des­halb Künstler*in- sich selbst und die verschie­de­nen kolonialen Wir danken unserem Team und den vielen nen aus Sri Lanka und Indonesien ein, das Kontexte, in die sie verwickelt sind, vermit- Hel­fer*­­innen von Herzen: Rahmat Arham, Archivmaterial aus ihren Perspektiven zu un- teln, wenn sie uns ihre eigene Geschichte Andreas Beck, Alexandra Berlina, Mirjam tersuchen und einen neuen Umgang damit erzählen könnten. Zudem kehren wir den Bitter, Moises Bürgin, Lisa Dässler, Güneş vorzuschlagen. exoti­sie­renden Blick der Sarasins um und Direk, Philine Erni, Katrin Hammerl, Sabrina Entstanden sind verschiedene eigen- fokussie­ren in einem fiktionalisierten Muse- Hofer, Jorge von Känel, Flavio Karrer, Aude ständige künstlerische Arbeiten, die allesamt umsdisplay auf die Darstellung der Sarasins Lehmann, Daniel Lütolf, Prashant Marthak, Stimmen aktivieren, die vorher in den Archi- selbst. Deneth Piumakshi, Julia Sarisetiati, Bernhard ven nicht vorhanden waren. Deneth Piumak­ Gemeinsam erzeugen diese verschie- Schär, Thiemo Strutzenberger, Jimged Ary shi reiste nach ausgiebigen Recherchen in denen Herangehensweisen im Foyer des Sendy Trisdiarto, Almut Wagner, Angela Witt- den Basler Archiven im Sommer 2019 nach Theater Basel eine visuelle Welt, welche die wer, allen Mitarbeiter*­in­nen der Werkstätten Sri Lanka und interviewte Menschen in den kolonialen Verbindungen zwischen Sri Lanka, des Theater Basel und na­türlich auch den Dörfern, in welchen die Sarasins vor über 130 der Schweiz und Indonesien um 1900 auf- äusserst hilfsbereiten Teams vom Naturhis­ Jahren geforscht und gesammelt hatten. Auf- zeigen und zeitgenössisch verhandeln. Mit to­rischen Museum Basel, vom Museum der zeichnungen von diesen Begegnungen sowie der Szenografin Lisa Dässler haben wir Mög- Kulturen Basel, vom Staatsarchiv Basel-­ weitere Interviews, die sie mit Schweizer*in- lichkeiten gefunden, diese Arbeiten in die Stadt, vom Historischen Museum Basel und nen mit tamilischer Herkunft hier in Basel Architektur des Foyers zu integrieren und von der Denkmalpflege Basel. führte, sind Teil der Ausstellung. Julia Sari-

the exoticizing gaze of the Sarasins by cre- Bürgin, Lisa Dässler, Güneş Direk, Philine After extensive research in the Basel archives, ating a fictitious museum display focusing on Erni, Katrin Hammerl, Sabrina Hofer, Jorge Deneth Piumakshi travelled to Sri Lanka in the a representation of the Sarasins themselves. von Känel, Flavio Karrer, Aude Lehmann, summer of 2019 and interviewed people in the Together, the different approaches ex- Daniel Lütolf, Prashant Marthak, Deneth villages where the Sarasins had researched hibited in the foyer of the Theater Basel cre- Piumakshi, Julia Sarisetiati, Bernhard Schär, and collected their materials over 130 years ate a visual world that shows the colonial Thiemo Strut­zen­­berger, Jimged Ary Sendy ago. Records of these encounters, as well as connections between Sri Lanka, Switzerland Trisdiarto, Almut Wagner, Angela Wittwer, all interviews that Deneth Piumakshi conducted and Indonesia around 1900, negotiating them employees of the Theater Basel workshops with Swiss citizens of Tamil origin in Basel, from a contemporary perspective. In coop- and, of course, the extremely helpful teams are part of the exhibition. Julia Sarisetiati, eration with the scenographer Lisa Dässler, from the Natural History Museum of Basel, Jimged Ary Sendy Trisdiarto, Angela Wittwer we have found ways to integrate these works the Museum der Kulturen Basel, the City Ar- and Rahmat Arham deal with resistance sto- into the existing architecture, thus “expand- chive of Basel, the Basel Historical Museum ries during the Indonesian colonial period— ing” the foyer. Through their spatial arrange- and the historical preservation association for instance, the poems of Colliq Pujié, a ment, the various artistic perspectives ques- Denkmalpflege Basel. writer and Sulawesi intellectual who rebelled tion, complement and challenge each other. against Dutch colonial power. In our own This project would not have been pos- work, we deal in depth with two individual sible without the wonderful collaboration objects from the Sarasin archive, creating a with many committed people in Switzerland, biography for each. If these two objects could Indonesia and Sri Lanka. We thank our team talk, what would they tell about themselves and the many helpers from the bottom of and the various colonial contexts in which our hearts: Rahmat Arham, Andreas Beck, they were involved? Moreover, we reverse Alexandra Berlina, Mirjam Bitter, Moises

8 9 Rahmat Arham and Angela Wittwer Dan Dia Bilang Gitu

Reisbauer und Aktivist Asfriyanto Daeng Rewa zeigt auf einer Karte auf den Berg Bohong Langi, be­ stiegen von Fritz und Paul Sarasin am 24. April 1902. Makassar, Sulawesi, 23. Juli 2019.

Rice farmer and activist Asfriyanto Daeng Rewa points on a map at the mountain Bohong Langi, climbed by Fritz and Paul Sarasin on April 24, 1902. Makassar, Sulawesi, July 23, 2019.

Die Expeditionsmannschaft der Sarasins mit Trägern (sitzend), Obmann, Über­setzern, Führern und wissen­schaftlichen Sammlern (stehend im Hintergrund). Zentralsulawesi, 1902.

The Sarasins’ expedition crew with carriers (sitting), foreman, trans­lators, guides, and scientific collectors (standing in the back­ ground). Central Sulawesi, 1902. Wandbild einer Karstlandschaft neben dem Parkplatz eines Minimarkts. Gowa, 19. Juli 2019.

Mural of a karst landscape next to the parking lot of a mini market. Gowa, July 19, 2019.

Mikrofilmscanner und Bildschirm zur Sao-Sao, Fürst von Laiwoi mit Manuskript-Digitalisierung und Resident J.A.G. Brugman auf dem -Wie­der­gabe in einem Abstellraum Gouverneursdampfer «Schwan», des Regionalarchivs der Provinz Süd­ wo Fritz und Paul Sarasin am Ende sulawesi. Makassar, 23. Juli 2019. ihrer 7. Expedition empfangen wurden. Kendari, 1903. Microfilm scanner and screen for manuscript digitization and reproduc­ Sao-Sao, king of Laiwoi with tion in a storage room of the Regional resident J.A.G. Brugman on the Archives of South Sulawesi Province. Governor’s Steamer “Schwan,” Makassar, July 23, 2019. where Fritz and Paul Sarasin were received at the end of their 7th expedition. Kendari, 1903.

10 11 We Tenri Ollé, Königin von Tanette und Tochter von Colliq Pujié, umgeben von ihrem We Tenri Ollé (1855–1919), Gefolge. Fotografiert von Fritz Königin von Tanette. Dieses Neun Bäuerinnen aus Kendeng, Nine female farmers from Mount und Paul Sarasin, Makassar, Foto von Hendrik Veen wird Zentraljava, protestieren gegen Kendeng, Central Java, protest zwischen 1893 und 1896. fälschlicherweise oft als Porträt den Bau von Zementwerken against the construction of von Colliq Pujié (1812–1876), in ihrer Region, indem sie ihre cement plants in their area by We Tenri Ollé, queen of Tanette Mutter von We Tenri Ollé und Füsse vor dem Staatspalast embedding their feet in concrete and daughter of Colliq Pujié, intellektuelle­ antikoloniale in Holzkisten einbetonieren. Sie in front of the State Palace. surrounded by her entourage. Widerstandskämpferin, repro­ forderten ein Treffen mit dem They demanded to meet with Photographed by Fritz and Paul duziert. Südcelebes, ca. 1870. Präsidenten um ihre Besorgnis the President to voice their Sarasin, Makassar, between darüber zum Ausdruck zu concerns over how the plants 1893 and 1896. We Tenri Ollé (1855–1919), bringen, wie die Zementwerke would harm the environment and Queen of Tanette. This photo­ die Umwelt schädigen und ihren threaten their agricultural liveli­ graph by Hendrik Veen is landwirtschaftlichen Lebens­- hoods. On the banner in front of often falsely reproduced as ­­un­­­ter­­halt gefährden würden. them, they call themselves a portrait of Colliq Pujié Im Banner vor ihnen bezeichnen Kendeng Kartinis in reference to (1812–1876), mother of We sie sich als Kendeng-Kartinis Kartini, the Indonesian feminist Tenri Ollé and intellectual in Referenz auf Kartini, feminis­ icon. Jakarta, April 13, 2016. anti­colonial resistance fighter. tische Ikone Indonesiens. South Celebes, ca. 1870. Jakarta, 13. April 2016.

Vier Personen sammeln Reste Kontrollierte Sprengung von von Zement auf der Deponie Karststein zur Gewinnung des des Bosowa-Zementwerks, Rohmaterials für die Zement­ um den Zement unauthorisiert produktion im Bosowa-Zement­ weiterzuverkaufen. Maros, werk. Die Erschütterung der 14. Dezember 2018. Explosion ist bis in die umlie­ gende Wohngegend zu spüren Four people collect cement und hat die Kraft, Fenster und waste at the disposal site of the Geschirr zerspringen zu lassen. Bosowa cement quarry, for the Maros, 14. Dezember 2018. purpose of unauthorized resale. Maros, December 14, 2018. Controlled blasting of karst stone to extract the raw materi­ al for cement production at the Bosowa cement quarry. The vibration of the explosion reaches the surrounding resi­ dential area and is able to break windows and tableware. Maros, December 14, 2018.

12 13 Als ich im Jahr 2006 mit den Recherchen für Vorfahren, welche die Zeit des Zweiten Welt- ten Weltkrieg mit der Welt, insbe­ ­son­de­re mit Geschichte mein Buch Tropenliebe begann, war ich Teil kriegs nicht in der Schweiz oder in Europa der damals noch kolonisierten Welt in Über- eines losen Netzwerkes von zumeist jünge- erlebt hatten, erschienen diese wichtigen De­ see, verbunden? Welche Folgen hatte das in ren Forscher*innen, die vor allem eins einte: batten allerdings immer auch ein wenig als diesen Regionen in Übersee? Welche Folgen in einer post- Ein Problem. Die meisten von uns hatten ent- In­sider-Debatten. Es stritten sich verschiede­ hatte es für Menschen mit nicht weisser Haut- weder längere Zeit im nicht-europäischen ne Fraktionen einer vermeintlich alteingeses- farbe oder nicht-christlichen Glau­bens in der kolonialen, Ausland gelebt oder sind familiär mit Latein- senen Schweiz um die richtige Interpretation Schweiz? Und welche Folgen hatte­ es für die amerika, Afrika, dem Nahen Osten oder Asi- ihrer Geschichte, die vermeintlich nur sie et- mehrheitlich weisse, christlich so­­zialisierte, postdiszip­li­ en verbunden. Unser Problem war, dass die was angehe. Dieses Muster hat sich seither alt­eingesessene Schweiz selber? Fächer, die wir an den Universitäten studier- einige Male wiederholt: Auch die Debatten Mit diesen Fragen bewegten wir uns nären und ten, zwar sehr relevante neue Einsichten in im Jahr 2015 rund um die Schlacht von Ma- fernab des akademischen Mainstreams in Geschichte und Gegenwart vermittelten. Der rignano oder im Jahr 2018 über den Landes- kleinen Nischen. Dennoch, oder vielleicht ge- Fokus blieb allerdings eng auf Europa und streik wurden stark als Debatten von, für rade deswegen, erfuhren wir allmählich von polyglotten die Schweiz bezogen. Mit unseren eigenen und über eine vermeintlich alteingesessene einander. Wir begannen uns zu vernetzen und Geschichten und Erfahrungen liess sich das Schweiz ausgetragen. uns selbständig zu organisieren. Unser «Co- Welt Gelernte daher oftmals nur partiell verbinden. Unser Problem war, dass wir zwar par- ming Out» war der 2012 von Patricia Purt- Ich begann mein Studium in den späten tiell, aber nie ganz zu dieser vermeintlich klar schert, Barbara Lüthi und Francesca Falk he- 1990er Jahren, als ein heftiger Streit über die konturierten alteingesessenen Schweiz dazu­ rausgegebene Sammelband Postkolo­nia­­le Bernhard Verwicklungen der Schweiz in die Verbrechen gehör(t)en. Auch fehlte in diesen Geschichten Schweiz. Der Name steht für ein interdiszipli- des Nationalsozialismus durch das Land feg- oft etwas, das viele von uns am eigenen Leib näres Programm, das eine schlichte, aber bis Schär te. Diese Kontroversen brachten eine längst und in den eigenen Familien in unterschied- dahin weitgehend ignorierte Tatsache zum fällige Klärung im historischen Selbstver- licher Weise erleb(t)en: subtilere und grö­bere Ausgangspunkt der Analyse nimmt: Die mo- ständnis der Schweiz: Diese sah sich bis da- Formen der Ausgrenzung und Benach­ tei­ li­­ derne Schweiz entstand im 19. Jahrhundert hin vor allem als neutrale Beobachterin der gung aufgrund von Hautfarbe, «exotischer» in der Blütezeit des europäischen Imperialis- Weltgeschichte und keinesfalls als Mitge- Namen oder nationaler Herkunft. In verschie­ mus. Und sie ist seither immer hochgradig­ stalterin derselben. Für jene unter uns mit de­nen Disziplinen begannen wir uns daher mit Europa und deren (ehemaligen) Kolonien mit Fragen zu befassen wie: in welcher Weise verflochten geblieben. Daraus ergibt sich war die Schweiz schon lange vor dem Zwei- eine Reihe neuer Fragen, die bis dahin noch kaum systematisch untersucht worden wa- When I started research for my book Tropen­ History in a liebe in 2006, I was part of a loose network of mostly younger scholars united by a shared they were, always appeared to some degree problem. Most of us either had lived in non-­ reserved for insiders. Various factions of a World War? What consequences did these Postcolonial, European countries for a long time or were supposedly long-established Switzerland connections have for these overseas regions closely connected to Latin America, Africa or were fighting over the correct interpretation and for people in Switzerland whose skin was Post­disci­- Asia through family members. Our problem of their history, which was implied to concern not white or whose faith was not Christian? was that, while the subjects we studied at our only them. This pattern kept repeating: the And what consequences did they have for pli­n­ary and universities provided important new insights debates about the Battle of Marignano in the pre­dom­inantly white, Christian-social- into history and the present, the geographic 2015, for instance, or about the national strike ized establishment in Switzerland itself? Polyglot World focus remained mostly on Europe and Swit- in 2018, were also conducted as a discussion With these questions, we found our- zerland. We could therefore only partially by, for and about the Swiss and Switzerland, selves in small niches outside of the academ- connect what we learnt with our own lived defined as an long-established country. ic mainstream. Nevertheless, or perhaps pre- experiences and stories. Our problem was that we only partly be- cisely because of this, we gradually learned Bernhard I began my studies in the late 1990s, longed to that supposedly clearly contoured about each other. We began networking and when a fierce public dispute about Switzer- traditional Switzerland. Something was miss- organizing ourselves independently. Our Schär land’s entanglement with the Nazi regime ing from these stories, something that many “coming out” was the anthology Postkolonia­ was sweeping through the country. These of us had experienced personally or via the le Schweiz (Postcolonial Switzerland) pub- controversies brought an important clarifica- family in different ways: exclusion and dis- lished in 2012 by Patricia Purtschert, Barbara tion into the country’s historical self-image. crimination based on skin colour, “exotic” Lüthi and Francesca Falk. The title represents Until then, Switzerland had seen itself most- names or “foreign” origin—sometimes subtle, an interdisciplinary programme that takes a ly as a neutral observer of world history, by sometimes clear and coarse. Thus, we, schol- simple but long-ignored fact as the starting no means an active participant. Yet, for those ars of various disciplines, began to deal with point for its analysis: modern Switzerland of us whose ancestors had not experienced questions such as: how was Switzerland con- emerged in the 19th century during the hey- the Second World War in Switzerland or else- nected to the world, especially to the colo- day of European imperialism. Since then, it where in Europe, these debates, important as nized overseas world, long before the Second has always remained highly intertwined with

14 15 History in a Postcolonial, Postdiscipli­nary and Polyglot World ren: Wie und warum hat sich die Schweiz in Ge­schichten verschiedener Regionen in Eu- feldes überzeugt werden mussten. Entspre- drei Schauplätzen Sri Lanka, Sulawesi und die imperiale Welt integriert? Welche Folgen ropa, Süd- und Südostasiens unwiderruflich chend überrascht war ich, als mich 2016 der Schweiz gleich viel Gewicht. Damit kön- hatte dies in Übersee, in Europa und der miteinander verzahnte. die palästinensische Künstlerin Inas Halabi nen sie die historischen Verbindungen, aber Schweiz selbst? Wie lebt das koloniale Erbe Ein Charakteristikum der postkolonialen kontaktierte. Sie hatte eine Einladung in die auch die Folgen der kolonialen Ungleichhei- aus der Gründerzeit in der Gegenwart fort? Forschung – nicht nur in der Schweiz – ist ihre Schweiz erhalten und wollte diese dazu nut- ten zwischen diesen Schauplätzen themati- Mein Buch Tropenliebe war zusammen Internationalität, Transdisziplinarität und dass zen, sich näher mit den rassenanthropologi- sieren. Im Unterschied zu mir und dem was mit Studien von Gleichgesinnten, wovon et- sie sich als kritische Wissenschaft versteht, schen Fotografien von Fritz und Paul Sarasin in der historischen Forschung noch stets gän­ liche im Rahmenprogramm zu dieser Aus- die sich auch in öffentliche Debatten ein- zu beschäftigen. Meine Überraschung dauer­ gi­ge Praxis ist, betrachten sie diesen poly- stellung auftreten werden, ein Beitrag zu die- bringt. Als mich Harald Fischer-Tiné 2014 an te nur solange, bis ich realisierte, dass die zentrischen Raum allerdings nicht vorwie- sem neuen Forschungsfeld. Ich habe mich seine Professur für Globalgeschichte an der kolonialen­ Dimensionen von Geschichte, gend aus einer europäisch-schweizerischen darin – bildlich gesprochen – an die Fersen ETH Zürich holte, wurde ich Teil eines inter- selbst wenn sie die Schweiz betreffen, für Perspektive.­ Ryser und Schonfeldt haben der beiden Basler Naturforscher und heimli­ nationalen Teams, das seine Expertise ver- Menschen, die selber in besetzten Gebieten Künst­ler*innen aus Sri Lanka und Indonesien chen Liebhaber Paul und Fritz Sarasin gehef­ mehrt auch in der Schweiz einbringen wollte. leben, alles andere als Nischenthemen sind. einge­laden, Arbeiten zu entwickeln, die eine tet. Die beiden haben um 1900 ausgedehnte Das gab mir im Verlauf der Jahre die Möglich- Inas Halabis Ausstellung Letters to Fritz and eigenständige Perspektive auf die Rolle der Forschungsreisen in der britischen Kronko- keit, mit Forschenden und Künstler*in­ nen­­ aus Paul wurde schliesslich erfolgreich in Jeru- Sarasins in Sri Lanka und Sulawesi entwer- lonie Ceylon (heute Sri Lanka) und Celebes Palästina, Sri Lanka, Australien, Indonesien salem gezeigt. fen. Das heisst: Die Idee der Ausstellung ist in Niederländisch Indien (heute Sulawesi in und der Schweiz zusammenzuarbeiten. Die- Die Erfahrung, dass Schweizer Koloni- nicht bloss die Schweiz in räumlicher Hin- Indonesien) unternommen. Sie prägten­ da- se Erfahrungen haben meine Perspektiven­ algeschichte von Forschenden und Kunst- sicht zu «dezentrieren», in dem diese nicht mit insbesondere die «Rassenwissenschaft» auf die Geschichtswissenschaft und das Pro- schaffenden ausserhalb der Schweiz und als einziger, sondern nur als einer von drei in Deutschland und wurden zu den einfluss- gramm der Postkolonialen Schweiz nochmal Europas mühelos verstanden wird und auf gleichberechtigten Schauplätzen inszeniert reichsten Wissenschaftlern der Schweiz, wo verändert. erhebliches Interesse trifft, hat sich seither wird. Die Ausstellung macht auch mehrere sie unter anderem den Nationalpark in Grau- mehrfach wiederholt. Am Eindrücklichsten Stimmen sicht- und hörbar, die sich zuweilen bünden gründeten. In meinem Buch unter- Mehr als die Schweiz während der Arbeit an der Ausstellung Stim­ ergänzen, aber auch in einem Spannungs- suchte ich, wie ihre Reisen für Menschen und Wer sich in den 2000er Jahren mit Schweizer men aus einer archivierten Stille, die nun im verhältnis zueinander stehen. Schauplätze in Sri Lanka, Sulawesi, den Nie- Kolonialgeschichte beschäftigte, lernte vor Foyer des Theater Basels zu sehen ist. Die Was mir nun die Arbeit an dieser poly­ derlanden, Grossbritannien, Deutschland und allem, dass Dritte in der Schweiz («das ist beiden Kuratorinnen und Künstlerinnen Vera phonen,­ multiperspektivischen Ausstellung der Schweiz einerseits ganz unterschiedliche doch ein ideologisches Nischenthema») aber Ryser und Sally Schonfeldt übernehmen da- vor Augen führte, ist dies: Sowohl Deneth und oftmals gewaltsame Folgen hatten. Ich auch im europäischen Ausland («ihr hattet rin die polyzentrische Struktur meines Bu- Piumakshi Wedaarachchige, die den Teil zu stelle aber auch dar, wie diese Reisen die doch keine Kolonien!») erst mal grundsätzlich ches Tropenliebe. Das heisst, sie geben den von der Relevanz des eigenen Forschungs-

themes for people who themselves live in Europe and its (former) colonies. This raises from Palestine, Sri Lanka, Australia, Indone- occupied territories. Inas Halabi’s exhibition a number of new questions that had previ- scientists of their generation establishing, for sia and Switzerland. These experiences have Letters to Fritz and Paul was finally shown ously hardly been systematically investigat- example, the National Park in the Southeast- once again changed my perspective on the successfully in Jerusalem. ed: How and why did Switzerland integrate ern Alps. historical sciences and the programme of The experience that Swiss colonial his- into the imperial world? What consequences In my book, I investigate the different Postcolonial Switzerland. tory has been easily understood and met with has this had overseas, in Europe and in Swit- and often violent consequences of their trav- considerable interest by researchers and art- zerland itself? How does the colonial legacy els for people and places in Sri Lanka, Su- More than Switzerland ists outside Switzerland and Europe has been from the time of the founding of the modern lawesi, Britain, the Netherlands, Germany and If you worked on Swiss colonial history in the repeated several times since then—most im- Swiss Federal State live on in the present? Switzerland. But I also show how these trav- early 2000s, you learned above all how to ar- pressively while working on the exhibition My book Tropenliebe (Tropical Love) was els irrevocably intertwined the histories of gue with third parties in Switzerland and oth- Voices from an Archived Silence, which can a contribution to this new field of research, several regions in Europe, South and South- er European countries about the relevance now be seen in the foyer of Theater Basel. In one among a number of studies by like-mind- east Asia. of your research field. Often you got to hear it, the curators and artists Vera Ryser and ed people, many of whom will appear in the Postcolonial research—not only in Swit­ reactions like “oh, what an ideologized niche Sally Schonfeldt adopt the polycentric struc- discussion programme for this exhibition. In zer­land—tends to be international and trans- topic!” and “but you didn’t have any colo- ture of my book Tropenliebe. This is to say, my book, I followed the trajectories of two disciplinary and regards itself as a critical nies!” respectively. All the greater my surprise they give equal weight to the three locations Basel naturalists and secret lovers, Paul and scholarship necessitating involvement in pub- then when the Palestinian artist Inas Halabi of Sri Lanka, Sulawesi and Switzerland. In Fritz Sarasin. Around 1900, they undertook lic debates. When professor Harald Fischer-­ contacted me in 2016. She had received an this way they thematise the historical con- extensive research trips to the British Crown Tiné invited me to work at his chair for Glob- invitation to Switzerland and wanted to use nections but also the consequences of colo- colony of Ceylon (now Sri Lanka) and Cele- al History at the ETH Zurich in 2014, I became it to take a closer look at Fritz and Paul Sara- nial inequalities between these sites. Unlike bes in the Dutch Indies (now Sulawesi in In- part of an international team eager to become sin’s anthropological photographs. My sur- the common (and my own) practice in histor- donesia). Their work considerably shaped more involved with its expertise in Switzer- prise only lasted until the moment I realised ical research, however, they do not view this the “racial sciences” in Germany. In Switzer- land. Over the years, this gave me the oppor- that the colonial dimensions of history, even polycentric space predominantly from a Eu- land they became two of the most influential tunity to work with researchers and artists of Swiss history, are anything but niche ropean-Swiss perspective. Ryser and Schon-

16 17 Geschichte in einer postkolonialen, postdisziplinären­ und polyglotten Welt­ Sri Lanka erarbeitet hat, als auch Rahmat sozialen und kulturellen Kontexten ausser- irgendwie an eine breite Öffentlichkeit zu «ver­ Arham und Angela Wittwer, die in Indone­ halb der Schweiz und Europas Sinn ergeben. mitteln» haben. Vielmehr – darauf scheinen sien arbeiten,­ haben während ihren eigenen mir meine Erfahrungen hinauszulaufen – ist Re­cher­chen neue Figuren und Kontexte ent- Geschichtswissenschaft die universitäre Geschichtswissenschaft le- deckt, auf die ich mit meinen limitierten dezentrieren diglich ein Zentrum unter vielen, das histori- Sprachkenntnissen­­ und mit meiner europäi- Mit dieser transdisziplinären und grenzüber- sches Wissen herstellt. Andere Disziplinen schen Ausbildung gar nie hätte stossen kön- schreitenden Zusammenarbeit dämmerte mir aus Kunst, Theater oder Film – insbesondere nen. Alle haben die Arbeit aber auch so wei- noch eine weitere Einsicht. Nämlich die, dass aus nicht-europäischen Räumen – sollten da- terentwickelt, dass sie auch für ein Publikum Geschichtswissenschaft nicht bloss das ko- her als Partnerinnen bei der Herstellung ei- in Sri Lanka oder Sulawesi relevant wird. lonialen Erbe ihrer eigenen Geschichte ab­ nes grösseren narrativen Rahmens betrach- Diese Erfahrung war für mich in zweierlei strei­fen muss, das sie lange daran hinderte tet werden, in welchem sich ein Publikum Hinsicht aufschlussreich. Erstens: Schwei- zu erkennen, dass die moderne Welt zu gros- ein­brin­gen kann, das längst nicht mehr nur zer Kolo­ nial­­­ geschichte­ betrifft weit mehr als sen Teilen in Übersee entstanden ist. Die Ge- alteingesessen und europäisch, akademisch nur ein schwei­zerisches – alteingesessenes schichtswissenschaft wird auch ihr Verhältnis und bibliophil ist. Es ist ein Publikum, das oder migrantisches­­ – Publikum. Sie betrifft zu anderen Feldern der Wissensproduktion nebst der alteingesessenen und der diaspo- auch grosse Öffentlichkeiten in Übersee, wo überdenken müssen. Das heisst, sie kann sich rischen Schweiz auch Gemeinschaften in wenn wir mit nicht-europäischen Kolleg*in- Schwei­­­zer Akteur*innen, Institutionen oder nicht länger als das einzige Zentrum der Her- Bra­silien, Südafrika, Sri Lanka, Sulawesi und nen und nicht-akademischen Geschichts­ Investitionen ihre Spuren hinterlassen haben. stellung von historischem Wissen begreifen. vielen weiteren Schauplätzen aus der noch profis zusammenspannen.­ Das bedeutet Zweitens: Ein solches Publikum kann nur in Und sie kann auch ihre seit dem 19. Jahrhun­ weitgehend unbekannten Geschichte der aber auch, nebst dem dicken Buch in einer Zusammenarbeit mit Partner*innen vor Ort dert praktisch unverändert gebliebene Kom- schweizerischen Expansion nach Übersee der Schweizer Lan­dessprachen noch wei­ erreicht werden. Nur sie können die Geschich- munikationsstrategie—die Herstellung eines mitumfasst.­ Eine solche weltumspannende tere Kommunikationsmöglichkeiten kennen te noch stärker aus der schweizerisch-euro- dicken, meist bilderlosen Buches—nicht mehr und polyglotte Öffentlichkeit erreichen wir nur, und beherrschen zu lernen. päischen Erzählperspektive herauslösen, mit als Hauptmedium begreifen, das andere Spe­ Fakten und Kontexten ergänzen und sie so zialist*innen aus Kunst, Medien oder Schule erzählen, dass sie in den aktuellen politischen, the history of the modern world. Academic only reach such a global and polyglot public, history writing also needs to clarify its rela- however, if we cooperate with non-academ- over, they all developed the work in such a tion to non-academic history producers. That ic and non-European partners and learn to feldt invited artists from Sri Lanka and Indo- way as to make it relevant for an audience in is to say that university-based historians can master means of communication beyond nesia to develop works that offer an indepen- Sri Lanka or Sulawesi. The experience of this no longer see themselves as the only centre writing thick books in one of the Swiss na- dent perspective on the role of the Sarasins polyphonic, multi-perspective exhibition was of historical knowledge production. And they tional languages. in Sri Lanka and Sulawesi. In other words, the revealing to me in two ways. First: Swiss co- can no longer rely exclusively on their com- idea of the exhibition is to “decentre” Swit- lonial history affects not only the Swiss au- munication strategy, which has remained zerland not only in spatial terms but also by dience, be it long-established or migrant. It practically unchanged since the 19th centu- multiplying voices and perspectives. Hence, can also matter to much larger communities ry—the production of thick, mostly unillus- Ryser + Schonfeldt show Switzerland as one overseas, where Swiss actors, institutions, or trated books. Historians can no longer as- of three interconnected spaces in which vis- investments have left their mark. Secondly, sume that specialists in art, media or schools itors can hear and see multiple voices and such audiences can only be reached in coop- will somehow “communicate” their findings perspectives from Europe, South and South- eration with local partners. They can free his- to a broader public. Rather, as my experience east Asia. While these voices sometimes torical narratives even further from Swiss- seems to suggest, the academic study of complement each other, they often also build European perspectives, supplementing them history is merely one centre among many tensions– beyond this, the exhibition also at- with additional facts and contexts to tell the that produce historical knowledge. Other tempts to decentre authorship. It lets sever- story in such a way that it makes sense in the disciplines such as art, theatre and film, es- al perspectives and voices be seen and current political, social and cultural contexts pecially from non-European regions, should heard, which sometimes complement each beyond Switzerland and Europe. therefore be regarded as partners in the pro- other and sometimes build tensions. duction of a larger narrative framework—a Deneth Piumakshi Wedaarachchige, Decentring Historical framework that can accommodate and invite who worked on the Sri Lankan part, as well Scholarship participation from audiences that are no lon- as Rahmat Arham and Angela Wittwer, who Thanks to this transdisciplinary and cross-­ ger exclusively long-established and Euro- worked on Indonesia, discovered new char- border cooperation, yet another thing dawn­ pean, academic and bibliophilic. In addition acters and contexts during their research, ed on me: namely, that historical scholarship to the long-established and diasporic Swit­ which proceeded from my book. They found needs, in its own interest, to continue decen- zerland,­ this audience also includes commu- characters and contents I could never have tralising itself. Not only by reflecting its own nities in Brazil, South Africa, Sri Lanka, Su- discovered with my limited knowledge of lan- colonial heritage that has blinded it for so long lawesi and many other locations involved in guages and my European education. More- to the role non-European contexts played in the colonial history of Switzerland. We can

18 19 Deneth Piumakshi Wedaarachchige 136 Years Ago and Now

Batticaloa, “Tamil man” Dambana, “Vedda woman”

Batticaloa, “Coastal Vedda woman” Batticaloa, “Coastal Vedda”

20 21 Batticaloa, “Tamil woman” Batticaloa, “Indo Arab man”

Batticaloa, “Coastal Vedda” Danigala, “Vedda woman”

22 23 Das koloniale Erbe in der schichtsverständnisses anzusiedeln, in dem solchen geschichtskritischen Nachdenkens Postkoloniale Schweizer Erinnerungspolitik die Schweiz Mitschuld an der Kolonialisie- provinzialisieren, während wir es zugleich In den letzten rund 15 Jahren ist in der Schweiz rung trägt. globalisieren, wie Bernhard Schär es in sei- ausgehend von den Geschichtswissenschaf- Unsere Ausstellung Stimmen aus einer nem Buch Tropenliebe vorschlägt? Gedächtnis- ten, künstlerischen Auseinandersetzungen archivierten Stille verortet sich in einem Ver- so­wie öffentlichen Debatten ein zunehmen- ständnis von Schweizer Geschichte als im- Postkoloniales Gedächtnisstützen stützen der Druck zu beobachten, sich endlich mit mer schon Teil transnationaler historischer Führende Kulturinstitutionen spielen eine der eigenen kolonialen Vergangenheit aus­ Prozesse, also innerhalb eines Konzepts von wichtige Rolle im postkolonialen Nachden- ein­anderzusetzen. Lange wurde die Ausein­ Geschichte als entangled history. Das heisst, ken über die Frage, wie mit dem Erbe der Vera Ryser an­der­setzung mit der eigenen kolonialen dass zum Erfassen der Schweizer kolonialen Schweizer kolonialen Verstrickungen um­­­zu­ Mit­schuld durch den anhaltenden National- Verstrickungen die Vernetzungen und die glo- gehen­ ist. Die Gründungsgeschichten und mythos vernachlässigt, in keinerlei Weise in- balen Verflechtungen des Schwei­zer Kolo- Sammlungen vieler Museen, insbesondere und Sally volviert zu sein, da die Schweiz schliesslich nialismus betont werden müssen. Am Bei- von Schweizer ethnografischen Museen, sind keine Kolonien besass. Um diesem Mythos spiel Basel stellt sich so etwa die Frage: Wie im 19. Jahrhundert angesiedelt, dem Höhe- Schon­feldt entgegenzutreten, bringt die Schweizer post- können wir die transnationalen Netzwerke punkt der europäischen Kolonialherrschaft. koloniale Geschichtsschreibung zwei Kon- des wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und Schweizer Wissenschaftler, Missionare, zepte ein: Erstens einen «Kolonialismus ohne kulturellen Austauschs zeigen, die Basel im- Händ­­­ler und Sammler nutzten die ko­lo­ni­­­- Kolonien», der die Verstrickungen der Schweiz plizit mit der früheren niederländischen Ko- sierten­ Gebiete,­ um Sammlungen ethnogra­ ­ in koloniale Machtverhältnisse anerkennt, lonie in Indonesien, der britischen Kolonie in fischer Objekte aus aller Welt anzuhäufen obwohl sie formal keine eigenen Kolonien Sri Lanka sowie mit europäischen kolonialen sowie menschliche Überreste zahlreicher besass – weil sie innerhalb des Kolonialis- Hauptstädten wie London, Paris oder Bevölkerungsgruppen für Rassenforschung mus eine aktive Rolle spielte. Zweitens den verflochten? Welche Folgen hat das Heraus- zu sammeln und in die Schweiz zu bringen. Gedanken, das Verhältnis der Schweiz zum arbeiten eines verflochtenen Verständnisses Die Notwendigkeit, dieser kolonialen Prove- Kolonialismus innerhalb eines globalen Ge- der Schweizer kolonialen Involvierung für das nienz zahlreicher Schweizer Sammlungen ins heutige Basel oder die Schweizer Gesell- Auge zu sehen, wird jedoch erst in den letz- schaft? Können wir Basel im Rahmen eines ten Jahren öffentlich debattiert. Genau in dieser aufkeimenden Ausein- Swiss Colonial Memory Politics andersetzung mit kolonialen Sammlungspro- Postcolonial Over the past 15 years or so Switzerland has witnessed an increased urgency within its globally entangled nature of Swiss colonial- national historiography, artistic production ism. Taking the example of Basel, how can Mnemonics and public debate, to reckon with its colonial we show the trans-national scientific, eco- colonial domination. Swiss scientists, mis- past. Underpinning a broader Swiss reluc- nomic and cultural networks of exchange sionaries, traders and collectors took advan- tance to re-appraise its own colonial complic- that entangled Basel implicitly with the for- tage of colonized spaces to amass vast col- Vera Ryser ity has been the enduring Swiss national myth mer Dutch colony of Indonesia, the former lections of ethnographic objects from all over of not having had any colonies of its own and British colony of Sri Lanka as well as other the globe, as well as collecting the human and Sally therefore not having any colonial culpabili- European colonial metropoles such as Lon- remains of numerous peoples for scientific ties. To counter this myth Swiss postcolonial don, Paris or Berlin? What are the implica- racist studies, which they brought back to historiography proposes two ideas. One, a tions of elaborating on an entangled under- Switzerland with them. However, it is only Schonfeldt “colonialism without colonies,” which recog- standing of Swiss colonial involvement for within the past few years that public atten- nizes Switzerland’s involvement in colonial contemporary Basel or Swiss society? Can tion has been drawn to the need to confront power regimes, despite having no formal col- we provincialize Basel within such a critical the colonial provenance of numerous Swiss onies of its own, as having therefore played historical reflection whilst simultaneously collections. an active role within colonialism. Two, the globalizing it, as Bernhard Schär proposes It is precisely within this nascent con- idea that the Swiss relationship to colonial- in his book Tropenliebe? frontation with colonially provenanced col- ism is situated within a global historical un- lections that our exhibition in the foyer of derstanding, in which Switzerland was com­ Postcolonial Mnemonics Theater Basel situates itself. The point of plicit in colonisation. Major Swiss cultural institutions play a sig- departure for Voices… is the colonially ac- Our exhibition Voices from an Archived nificant role in this debate and in the process quired collections of two major museums Silence is situated in an understanding of of postcolonial reflection on how to deal with located in Basel—one in the Museum der Swiss histories as always being part of trans-­ the legacies of Swiss colonial involvement. Kulturen (MKB), the other in the Natural His- national historical processes that conceptu- Museums, in particular Swiss ethnographic tory Museum (NMB). In particular it revolves alise history as being “entangled.” That is, to museums, more often than not have founda- around two local Basel-born Swiss natural situate Swiss colonial involvement one must tional histories and collections grounded in scientists, Fritz and Paul Sarasin, who con- emphasize the inter-connectedness and the 19th century, at the height of European tributed significantly to both museums’ col-

24 25 Postcolonial Mnemonics venienzen verortet sich unsere Ausstellung en), ihrer kolonialen Mittäterschaft an diesen eine kritische Ausstellung zu machen, die die Bilder neu zu kontextualisieren? Sodass sie, im Foyer des Theaters Basel. Der Ausgangs- Orten sowie auf den Sammlungen, die sie mit Geschichte der Basler kolonialen Verstrickun- aus der Gegenwart betrachtet, ein Nachden- punkt für Stimmen … sind die kolonial erwor­ nach Basel brachten. gen sichtbar machen sollte, überlegten wir ken ermöglichen über das Vermächtnis von benen Sammlungen zweier wichtiger Museen Ein kritisches, postkoloniales Heraus- selbstkritisch, ob wir das überhaupt allein tun Bildern und Epistemologien für das heutige, in Basel – zum einen des Museums der Kultu­ arbeiten der transnationalen, koloniale Ver- können. Könnten wir eine solche geteilte, ver- allgegenwärtige Fortbestehen rassistischer ren (MKB), zum anderen des Naturhisto­ri­ flechtungsgeschichten, die den Sarasins Zu- flochtene Geschichte als zwei privilegierte Stereotype, wie sie in der Schweizer Gesell- schen Museums (NMB). Insbesondere be- gang zum niederländisch besetzten Sulawesi weisse Frauen, die beide in westlichen epis- schaft immer noch vorhanden sind? Solche schäftigt sich die Ausstellung mit zwei in und britisch besetzten Sri Lanka verschafften, temologischen Traditionen aufgewachsen Fragen führten uns schnell zu den grösseren Basel geborenen Schweizer Naturwissen- fungiert als einer der zwei Pole, um die sich sind, allein angehen? Mit all unserer damit Fragen rund um die uns umgebenden Erin- schaftlern, Fritz und Paul Sarasin, die mass- Stimmen … dreht. Das Vermächtnis dieser verbundenen Macht, Arroganz und Ignoranz? nerungspolitiken, die nicht nur in die Archive geblich zu beiden Museumssammlungen beiden Basler Sammlungen für die gegen- Eine Schweizerin mit persönlichen Verbin- selbst eingebettet sind, sondern sich auch in beitrugen. Sie waren zudem eng mit den wärtige Schweizer postkoloniale Reflexion dungen zu Basel und eine Deutsch-Australie- der Gesellschaft um uns spiegeln – wer wird Gründungsgeschichten der beiden Basler bildet den anderen Pol, der uns uns zu einer rin, die seit vielen Jahren in der Schweiz lebt? dargestellt, wie werden sie dargestellt und in Museen verwoben und darüber hinaus auch zweijährigen Recherche innerhalb dieser bei- In früheren Zusammenarbeiten waren welchem Ausmass werden sie dargestellt? an zahlreichen anderen wichtigen Kulturinsti­ den Institutionen führte. Während der Recher- wir bereits mit ähnlichen Fragen der Reprä- Als wir kritisch auf unsere eigene privi- tutionen in Basel tätig – Fritz Sarasin war 1918 che ergaben sich schnell zahlreiche komple- sentations- und Erinnerungspolitik konfron- legierte Position mit Zugang zu diesen bei- der Gründungsdirektor des Museums für Völ- xe Fragen: Wie geht man möglichst feinfühlig tiert. Und auch im aktuellen Projekt mussten den wichtigen Basler Institutionen blickten, kerkunde (dem heutigen Museum der Kultu- mit dem zugleich gewalttätigen und verletz- wir uns fragen, wie wir es schaffen, – zum erkannten wir die entscheidende konzep­ ren). Ausserdem war er von 1896 bis 1920 lichen Archivmaterial um? Wie nähert man Beispiel im Umgang mit anthropometrischen tuelle Bedeutung, Wege zu finden, die die Direktor des Naturhistorischen Museums. sich einem archivalischen Erbe, das rassis- Fotos von Sri-Lanker*innen, die die Sarasins Gren­zen eurozentrischen Ausstellungsma- Beide Sarasins kamen aus reichen Basler Pa- tische Prozesse des «othering» zeigt – einem auf ihren Ceylon-Expeditionen machten –, chens überwinden. Ja, wir können der weis- trizierfamilien und erlangten wissenschaftli- «othering» kolonisierter, marginalisierter Ak- nicht die rassistische Gewalt zu reproduzie- sen Schweizer Gesellschaft einen Spiegel che Abschlüsse angesehener europäischer teur*innen, während die weissen, westlich ren, die ihnen eingeschrieben ist. War nicht vorhalten und über die Sarasinischen und Universitäten. Ihr Reichtum ermöglichte es ausgebildeten reichen Wissenschaftler ver- unser Blick im Fotoarchiv des MKB ein Basler institutionellen kolonialen Verstrickun- ihnen, ihre Forschungsexpeditionen in kolo- herrlicht werden? Wie stellt man sich der ko- «other­­ ing­­­ » betreibender Blick, ähnlich dem gen nachdenken, aber können wir dasselbe nial besetzte Länder um die Jahrhundertwen- lonialen epistemischen Gewalt, die in Bilder, der Sarasins? Trotz des zeitlichen Abstands, auch für das heutige Indonesien oder Sri Lan- de selbst zu finanzieren. In Stimmen … liegt Texte und Objekte eingeschrieben ist? Wie sich verändernder wissenschaftlicher Werte ka tun? Im Bewusstsein, dass sich eurozen- der Fokus auf den Sarasinischen Expeditio- bearbeitet man die geschichtliche Erinne- und Meinungen und all unserer emotionalen trische Geschichtsschreibungen meist im nen nach Ceylon (das heutige Sri Lanka) und rungskette, die die rassistische Vergangen- Empörung vor den gewaltsamen kolonialen Zentrum verorten und häufig dieselben kolo- Celebes (das heutige Sulawesi in Indonesi- heit mit der rassistischen Gegenwart verbin- Machtverhältnissen des Sarasinischen ge- nialen Machtstrukturen verfestigen, die sie det und ineinander verkettet? Im Bestreben schichtlichen Moments? Reicht es, diese kritisieren, beschlossen wir, dass wir das Reproduzieren eines euro-monozentrischen lections. Both are also closely intertwined with the foundational histories of the two Ba- A critical postcolonial examination of the torical chain of memory linking and interlac- sel museums, not to mention being intimate- trans-national, colonially complicit and en- ing the racist past with the racist present? Ceylon expeditions. Even with the remove of ly involved with numerous other important tangled histories that gave the Sarasins ac- While thinking about how to make a critical time, the changing scientific values and opin- cultural institutions in Basel. Fritz Sarasin cess to Dutch-occupied Sulawesi and Brit- exhibition illuminating Basel’s history of co- ion, and our own emotional disgust at the was the founding Director of the Museum für ish-occupied Sri Lanka acts as one of two lonial involvement we reflected on whether violent colonial power dynamics of the Sara- Völkerkunde (today’s Museum der Kulturen) poles around which Voices… revolves. The we could do this alone? Could we approach sins’ historical moment, was not our gaze in in 1918, he was also the Director of the Nat- second of which is the contemporary legacy such a shared, entangled history as two priv- the MKB’s photo archive an “othering” gaze ural History Museum from 1899 to 1919. The of these two Basel collections for pres- ileged white women—­one Swiss with per- similar to the Sarasins? Is it enough to con- Sarasins both came from wealthy Basel pa- ent-day Swiss postcolonial reflection, which sonal connections to Basel and the other a textualize these images anew? To seek a way trician families and obtained scientific de- led to two years of institutional research in German-Australian Swiss resident—both to confront them from the present and en- grees from prestigious European universi- both the MKB and NMB. Out of this research raised in Western epistemological traditions, able a reflection on the contemporary legacy ties. Their considerable wealth afforded them numerous complex questions quickly arose. with all their accompanying presumptive ar- of images and epistemologies on the perva- the ability to self-fund their scientific collect- Namely how to most sensitively engage with rogance, violence and ignorance? sive continuance of racist stereotypes still ing expeditions in colonially occupied coun- material that is simultaneously violent and In our previous collaborations we have present in Swiss society? This quickly led us tries at the turn of the 19th century. In Voic­ injurious? How to approach an archival leg- been confronted with similar questions of the to the bigger questions surrounding the pol- es… the focus is not only on the Sarasins’ acy that demonstrates racist processes of politics of representation, of mnemo-­politics. itics of memory encircling us and embedded, expeditions to Ceylon (today’s Sri Lanka) and «other­ing» of colonized, marginalized actors We had to ask ourselves again, how not to not only in the archives themselves, but mir- Celebes (today’s Sulawesi in Indonesia) and whilst glorifying the white, wealthy Western reproduce the racial violence embedded in rored in the society around us—who is being their colonial complicity within those locali- trained scientists? How to confront the co- colonial images by re-exhibiting them, imag- represented, how are they being represented ties, but also on the collections they brought lonial epistemic violence inscribed in images, es such as anthropometric photos of Sri any in which way are they being represented? back with them to Basel. texts and objects? How to process the his- Lankan people taken by the Sarasins on their Gazing critically on our own privileged posi-

26 27 Postkoloniale Gedächtnisstützen Ansatzes nur durch einen polyzentrischen aufnehmen können. Teilen wurde zu einem dass sowohl unsere eigene (Schweizer) künst- die damals dem «othering» ausgesetzt wa- verhindern konnten. Einen Ansatz, der es er- Weg, eine Gegen-Lesart der Museumsarchi- lerische Position als auch Positionen aus In- ren, für sich selbst reklamiert, bietet sie uns laubt, verschiedene Narrative miteinzubezie- ve zu fördern, und erlaubte eine Pluriversali- donesien und Sri Lanka auf dialogische Art eine subversive zeitgenössische Konfronta- hen und einem Schwerpunkt auf den Samm­ tät an Positionen, die die historischen Doku- und Weise einbezogen werden. tion mit dem eigenen exotisierenden Blick. lern oder sammelnden Institutionen statt auf mente mit der Gegenwart verweben. Eine Als Künstlerinnen und Kuratorinnen wur­ Um künstlerische Positionen aus Indo- denjenigen, die gesammelt wurden, zu legen. polyzentrische Ausstellung als postkoloniale den Narrative indonesischer und sri-lanki- nesien zu finden, sprachen wir Angela Witt- Herausgekommen ist das aktuelle Aus­ erinnerungspolitische Geste, die der in die scher Künstler*innen, die mit postkolonialen­ wer an, eine Freundin und soziokritische stellungskonzept. Wir gelangten zu dem Basler Archive eingelagerten Stille und den erinnerungspolitischen Ansätzen arbeiten, Künst­lerin, die in Indonesien lebt. Auf Angelas Schluss, dass wir, um eine geteilte Geschich- blinden Flecken entgegentritt. für uns entscheidend. Wir kannten Deneth Empfehlung traten wir dann an Jimged Ary te zu zeigen, die sich mit der Schweizer An- Piumakshis Arbeit aus ihrer Ausstellung im Sendy Trisdiarto und Julia Sarisetiati heran, wesenheit im kolonial besetzten Sulawesi Belebung der Stille in Projektraum Les Complices* im Jahr 2017 in die beide in Jakarta leben, sowie an Rahmat oder Sri Lanka beschäftigt, unsere eigenen Schweizer Archiven Zürich und luden sie ein, eine sri-lankische Arham, der in Makassar lebt. Da das Sarasi- Recherchen, Privilegien und Zugänge öffnen Im Zentrum von Stimmen … steht die Frage: Stimme widerzuspiegeln. Piumakshi präsen- nische Forschungs- und Archivmaterial vor- und genau das tun sollten: sie teilen. Wir woll- Wie kann man der Vielstimmigkeit, die im kul- tiert verschiedene Arbeiten in der Ausstel- nehmlich auf Deutsch verfasst ist, stellte die ten diese in Basler Institutionen beherbergten turellen Gedächtnis unhörbar gemacht und lung, die alle die brutale rassis­tische Gewalt Frage ein akutes Dilemma dar, wie wir den Geschichten mit unseren Zeitgenoss*innen in Archiven versteckt wurde, aktiv begeg- der Deutschschweizer wissenschaftlichen Zugang dazu teilen konnten; ein, wie wir bald in den Ländern teilen, die von den kolonialen nen? Dieser Stille, welche über ein Jahrhun- Stimmen um 1900 in Basler Archiven kon- feststellten, erinnerungspolitisches. Um die- Verstrickungen der Sarasins betroffen waren. dert schlum­mer­te und welche die impliziten textualisieren wie auch die Schweizer Prä- sem Dilemma zu begegnen, entstand die Zeitweise zögerten wir, weil wir uns fragten, Machtstruk­turen in den Archiven, in den Ins­ senz im kolonialisierten Sri Lanka. In einer Idee einer kollektiven Position, in der Angela ob das scheinheilig war? Uns beschäftigte titutionen, ja, in der Schweizer Gesellschaft ihrer Arbeiten, Voices of the Ancestors, un- gleich­zeitig als künstlerische Partnerin, Dol- die Frage, ob es überhaupt möglich ist, je­ selbst bezeugt. Einer Stille, die belebt und terminiert sie den wissenschaftlichen Ras- metscherin und Übersetzerin agierte und so man­dem eine Stimme zu «geben»? Und was geteilt und der dringend mit postkolonialen sismus, der 1909 zur Herstellung dreier Ved- eine Mikro-­Restitution des Sarasinischen ist dabei unsere Rolle? Und auf welche Art Erinnerungs­politiken entgegengewirkt wer- da-Modellfiguren zu Ausstellungszwecken deutschsprachigen Archiv­materials von Ba- können wir andere Stimmen innerhalb einer den muss – aus der Notwendigkeit heraus, im MKB führte. Sie setzt ihn ausser Kraft, sel nach Indonesien ermöglichte. Aus diesem Ausstellung zeigen oder miteinbeziehen? Wissen, Bilder und Objekte aus den Archiven indem sie eine 3D-Version einer zeitgenössi- kollektiven Prozess entstanden zwei ver- Schliesslich sahen wir es als Angebot an – und Sammlungen zu übersetzen und zurück- schen Modellfigur herstellt, die auf ihrem ei- schiedene künst­lerische Positionen: Wittwer eine Geste in Richtung dynamischer, poly- zugeben. Unsere erinne­rungs­politische Ges- genen Körper basiert. Auf diese Weise reflek- und Arham schufen eine gemeinsame Arbeit zentrischer Ausstellungsräume, die vielfälti- te, dieser archivierten Stille zu begegnen, lag tiert sie nicht nur gewaltsame Praktiken des und Sarisetiati und Trisdiarto ein andere. ge Narrative in einem verbundenen Ganzen darin, diese Ausstellung so zu konzipieren, «othering», die der Herstellung solcher Figu- Beide indonesischen Arbeiten drehen ren eingeschrieben sind, sondern auch über sich darum, indonesische Widerstandsge- das heutige Nachwirken solch rassistischer schichten hervorzuheben. Sie entstanden Praktiken. Indem sie die Position derjenigen, tion of access to these two significant Basel tory dealing with Swiss presence in colonial- institutions, we identified the crucial concep- ly occupied Sulawesi or Sri Lanka we should tual importance of exploring ways to move open up our own research, privilege and ac- As artists-cum-curators, including narratives beyond the limitations of Eurocentric exhibi- cess and do precisely that—share it. Share Activating Silences in from Indonesian and Sri Lankan artists work- tion making. Yes, we could hold a mirror up these histories housed in Basel institutions Swiss Archives ing within postcolonial mnemonic-political to white Swiss society and reflect upon the with our contemporaries in the countries af- At the heart of Voices… is the question: How approaches became paramount. We knew Sarasins’ and Basel’s institutional colonial fected by the Sarasins’ colonial involvement. to actively confront silences in cultural mem- Deneth Piumakshi’s work from her exhibition involvement, but could we do the same for At times we hesitated, asking ourselves if it ory and recover those inaudible voices hid- at Les Complices* in Zurich in 2017 and invit- contemporary Indonesia or Sri Lanka? In was too tokenistic to do so? Questions of den in archives? Silences that have lain dor- ed her to reflect a Sri Lankan voice. Piumak- awareness of the fact that Eurocentric histo- voice, of our own position in showing works mant for over a century, silences attesting to shi presents multiple works in the exhibition riographies more often than not situate them- about or including voices not our own, that is implicit power structures within the archives, that all actively contextualize the brutal racist selves at the centre, and often serve to rein- of giving voice to… preoccupied us. We came within the institutions, indeed within Swiss violence of 19th century Swiss German sci- force the same colonial power structures they to see it as a proposition—a gesture towards society itself. Silences that need to be acti- entific voices in the Basel archives, as well are criticising, we decided the only way to creating dynamic and polycentric exhibition vated, shared and countered with urgent as Swiss presence in colonial Sri Lanka. In avoid reproducing a Euro-monocentric ap- spaces able to accommodate multiple nar- postcolonial mnemo-politics—the­ need for one of her works Voices of the Ancestors she proach was with a polycentric one. A poly- ratives within an integrated whole. Sharing knowledges, images, and objects kept in the actively subverts and repeals the scientific centric approach that allows for diverse nar- became a way to activate a counter-reading archives and collections to be translated, racism that led to the production of three ratives to be incorporated in an attempt to of the institutional archive and allowed for a restituted and returned. Our mnemo-political Vedda exhibition figures in the MKB collec- shift the emphasis on to those collecting or pluriversality of positions, interweaving the gesture towards confronting archival silenc- tion by producing a contemporary 3D version the collecting institutions rather than those historical record with the contemporary. A es was to design this exhibition to include of them, based on her own self. In doing so, who had been collected. polycentric exhibition as a postcolonial mne- both our own (Swiss) artistic position with she not only reflects on the violent racialized The current exhibition concept is the mo-political gesture confronting the silences positions from Indonesia and Sri Lanka in a “othering” practices embedded in the fig- result. We decided that to show a shared his- embedded in the Basel archives. dialogic way. ures’ construction, but also on the contem-

28 29 Postcolonial Mnemonics aus einer gemeinsamen Recherche zu Colliq kaler Arbeiter*in­ nen­ im sulawesischen Hafen titutionen. In Practising the “Othering” stellen Gegenwärtige Vermächtnisse Pujié, einer Schriftstellerin und antikolonialen von Parepare wiederaufgeführt und nach­ wir in einer ehemaligen Museumsvitrine des des Schweizer Kolonialismus sulawesischen Intellektuellen sowie Mutter gesungen. Parepare ist heute bedeutender MKB die teilweise fiktionalisierte Geschichte und Forderungen für der Königin We Tenri Ollé, deren Dynastie zur Schau­platz zahlreicher Widerstandskämpfe der Sarasins selbst aus, um den exotisieren- eine dekolonisierte Zukunft Zeit der Sarasinischen Expeditionen über gegen prekäre Arbeitsbedingungen wie auch den und «othering» betreibenden Blick um- Stimmen … ist fest in der heutigen Schweiz Teile Sulawesis herrschte. Pujié stiftete aktiv aktueller (nicht erfasster) Arbeitsmigration zudrehen, den die Baseler Wissenschaftler in verortet. Die Ausstellung zeigt ein genealo- Widerstand gegen die niederländischen Ko- von Indonesien nach Malaysia. Geschichtlich ihren Forschungen und ihrer museologischen gisches Kontinuum, das den historischen lonialmächte an, und zwar mittels einer kodi- war er wichtig als Hafen für den lokalen Skla- Arbeit anwandten. Begleitend zu dieser Mu- Rassismus mit dessen gegenwärtigen Er- fizierten Geheimsprache, die sie in Form von venhandel, der aus den internen Bürgerkrie- seumssvitrine gibt es zwei 3D-Abdrücke von scheinungsformen in der Schweizer Gesell- Sureqs, mündlichen Gedichten, verbreitete gen der Insel resultierte, wie auch als grosser Sarasin-Büsten, die die Praxis des «othering» schaft verbindet. Der wissenschaftliche und und mit der sie die örtlichen Bevölkerungen niederländischer Handelshafen während der derer, die historisch «othering» betrieben, um- kulturelle Rassismus, den wir in den Basler anspornte, sich gegen die Kolonisator*innen Kolonisierung. Durch die Aktualisierung ein- dreht. Die Büsten stehen im Blickfeld von Piu- Museumsarchiven, sowie im Werk der mit zu erheben. In Wittwer und Arhams audio-vi- heimischer Stimmen des historischen Wider- makshis 3D-Selbst­ ­reproduktion und schaf- ihnen verbundenen Sammler vorgefunden sueller Arbeit Dan Dia Bilang Gitu wird Pujiés stands schreibt die Arbeit ein trotziges Kon- fen damit beispielhaft einen polyzentrischen haben, provozierte eine Auseinandersetzung Stimme des Widerstands in die Gegenwart tinuum des Widerstands und antikolonialer Dialog zwischen zwei verschiedenen Arbei- darüber, wie tief Rassismus in den kolonialen gebracht, eingesprochen­ auf Indonesisch Kämpfe in den Hafen ein und hält so der ten und innerhalb des Foyerraums. Insge- Verstrickungen der Schweiz verankert ist. In und auf Deutsch, mit vorgelesenen Auszü- westlichen Geschichtsschreibung ihr indo- samt bietet die Pluriversalität der Stimmen der Ausstellung wird das zeitgenössische gen aus ihren Texten gemischt und einer kri- nesisches Gegenstück entgegen. aus der Schweiz, Sri Lanka und Indonesien, Erbe von diesem historischen Rassismus tische Auswahl aus den historischen Sarasi- Unsere eigenen Arbeiten konzentrieren die in Stimmen … zu hören ist, eine widerstän­ verhandelt. nischen Beobachtungen der kolonisierten sich darauf, ein Narrativ einer Schweizer dige, alternative Lesart des Sarasinischen Eine grundlegende Frage kam während sulawesischen Gesellschaft gegenüberge- Selbstreflexion vorzuschlagen. Sie thema­ kolonialen Erbes. Die archivierte Stille wird in der Arbeit an Stimmen … auf – und zwar: Wie stellt. In Sarisetiatis und Trisdiartos Video- tisie­ren die transnational verflochtenen kolo- ein Polyphonie forderndes Nachenkenn über stellen wir uns eine dekolonisierte Zukunft arbeit A Possibility of Owning Other’s Text nialen Geschichten rund um die Sammlungen die kolonialen Vermächtnisse der Schweiz vor? Was würden wir von den Sammlungen, werden Pujiés Sureqs von einer Gruppe lo- des MKB und NMB und reflektieren dabei verwandelt. auch Praktiken des «othering» in beiden Ins­

Basel, Swiss, Sri Lankan and Indonesian porary legacy of racist practices. In reclaim- ment. Historically Parepare was significant voices activated in Voices… offer a count- ing the position for herself of someone who stems from an investigation into Colliq Pujié, as a local slave-trading port resulting from er-reading of the Sarasinian colonial legacy. would have historically been “othered” she a writer and anti-colonial Sulawesi intellec- the island’s internal civil wars, as well as be- Archival silences are transformed into a po- offers us a poignant subversion. tual and mother of Queen We Tenri Ollé, ing a major Dutch trading post during colo- lyphony demanding reflection on Swiss co- To find Indonesian artistic positions we whose dynasty ruled over parts of Sulawesi nization. By actualizing local voices of his- lonial legacies. approached Angela Wittwer, a friend and at the time of the Sarasins’ expedition. Pujié torical resistance the work embeds a defiant socio-critical artist based in Indonesia. On actively instigated resistance against the continuum of resistance and anti-colonial Contemporary Legacies of Swiss Angela’s recommendation we subsequently Dutch colonial powers by means of a codi- struggle at the port, countering Western his- Colonialism Today and Demands approached Jimged Ary Sendy Trisdiarto and fied secret language that she distributed in toriography with its Indonesian counterpart. for a Decolonizing Future Julia Sarisetiati, both based in Jakarta, and the form of sureqs, or oral poems, and which Our own works concentrate squarely on Voices… is firmly situated within a contem- Rahmat Arham, based in Makassar. As the incited local populations to rise up against proposing a narrative of Swiss self-reflection. porary Swiss present. A genealogical contin- Sarasins’ research and archival material is their colonizers. In Wittwer and Arham’s au- The works directly address the trans-nation­ ­ uum is made explicit, linking the racism, both predominantly written in German the ques- dio-visual work, Dan Dia Bilang Gitu, Pujié’s ally entangled colonial histories revolving scientific and cultural, buried in the archives tion of how to share access to it presented voice of resistance is brought into the pres- around the MKB and NMB collections, whilst of two of Basel’s cultural institutions, their an urgent dilemma, one which we also came ent, vocalized by contemporary Indonesians also self-reflecting on “othering” practices collections, as well as in the collectors’ work to realize was a mnemo-political one. To con- then mixed with excerpts read aloud from her within both institutions. In Practising the associated with them. The connection be- front this dilemma a collective position was texts and juxtaposed with a critical selection “Othering,” a fictionalized museum display tween historical racism and its contemporary proposed, in which Angela could act simul- of the Sarasins’ historical observations of exhibits the Sarasins themselves to reverse manifestations in Swiss society provokes a taneously as an interpreter, translator and colonial Sulawesian society. In Sarisetiati the exoticizing and “othering” gaze the Basel reflection on how embedded racism is in artistic partner, enabling a micro-restitution and Trisdiarto’s video works, A Possibility of scientists employed in their research and Swiss colonial entanglements allowing us to of the Sarasins’ German-language­ archival Owning Other’s Text, Pujié’s sureqs are per- museological work. Accompanying this fic- confront its legacies for today’s society. material from Basel to Indonesia. Two dis- formed and re-sung in the present by a group tional museum display are two 3D copies of A fundamental question arose during tinct artistic positions emerged out of this of local workers at the Sulawesian port of the Sarasins that again activate a practice of the making of Voices…­—namely how can we collective process, with Wittwer and Arham Parepare. Parepare is significant today as a “othering” those who historically “othered.” imagine a decolonized future? What would creating one work and Sarisetiati and Trisdi- site of numerous resistance struggles against The busts are placed within the gaze of we demand of the collections we have been arto another. precarious labour conditions as well as of Piumakshi’s 3D self-reproduction creating privileged to examine for the past two years The Indonesian works revolve around contemporary Indonesian (undocumented) an example of a polycentric dialogue within in order to decolonize them? In pondering shaping histories of resistance. Each work migrations to Malaysia in search of employ- the foyer space. Overall the pluriversality of this, the realization that our first demand is

30 31 Die verwobenen Geschichten von drei Modellfiguren und einem Vogel zu denen wir in den letzten zwei Jahren privi­ Innenaufnahme aus einem der beiden Aus­ senlager der Objektsammlung des Museums le­gierten Recherchezugang hatten, verlan- der Kulturen Basel. Diese Infrastruktur macht gen, um sie zu dekolonisieren? Als wir darü- sichtbar, wie viel Aufwand für die Erhaltung ber nachdachten, stellten wir fest, dass sich und die Pflege der hier eingelagerten Objekte betrie­ben wird, damit die Sammlungen über­ unsere erste Forderung an uns selbst richtet: haupt konserviert werden können. Wie ginge uns selbst und unsere eigenen Privilegien zu es den Objekten heute, wenn sie nicht hier dekolonisieren, kritisch über unser Weiss- gelagert worden wären? sein nachzudenken. Dazu bedarf es viel Ler- Interior image of one of the Museum of Cul­ nen und Umlernen – aber wir fordern es von ture’s off-site collection storage facilities. The uns selbst als notwendigen Prozess beim infrastructures makes visible just how much expense, effort and care is needed to preserve Hinterfragen der westlichen Erkenntnistradi- and conserve such collections. What would tion, in der wir aufgewachsen sind und aus- have happened to these objects if they hadn’t gebildet wurden, damit wir keine sprachlich been stored here? oder visuell unsensiblen, beleidigenden oder gar gewalttätigen Räume eröffnen. Nach aus- sen gedacht fordern wir dieselbe Verantwor- Kul­­tur­güter von Felwine Sarr und Bénédicte tung zur Selbstreflexion von der Schweizer Savoy wichtige Auswirkungen und es lässt Alle Kurator*innen im Museum der Kulturen und im Naturhistori­ Gesellschaft im Allgemeinen und von Schwei­ sich eine wachsende Dringlichkeit in der öf- schen Museum haben uns die zer Kultur- und Bildungsinstitutionen im Be- fentlichen Debatte beobachten, einen Weg Sammlungen von Fritz und sonderen. zu finden, mit den Vermächtnissen der ko­ Paul Sarasin aus Sri Lanka und Sulawesi breitwillig geöffnet und In der Schweiz fühlte sich das Verant- lonial verstrickten­ Schweizer Sammlungen sich viel Zeit genommen, sie wortungsbewusstsein im Umgang mit kolo- umzugehen. uns im Detail zu zeigen. Hier in nial erworbenen Sammlungen lange eher re- In einer dekolonisierten nahen Zukunft der Vogelsammlung im Naturhis­ aktionär an, da wir uns noch immer mit der fordern wir, dass dies in eine erhöhte Trans- torischen Museum Basel. grundlegenden Frage nach der Existenz eines parenz, Offenheit gegenüber Restitution so- All the curators of the Museum eigenen kolonialen Erbes umtreiben. In der wie digitalisierte und für alle online zugänglich of Cultures and the Natural His­ Schweizer Museumslandschaft allerdings gemachte Sammlungen übersetzt wird – also tory Museum generously allowed us access to the Fritz and Paul hat­te der 2018 erschienene Bericht Zurück­ in eine pro-aktive statt reaktionäre Herange- Sarasin collections from Sri geben. Über die Restitution afrikanischer hensweise. Lanka and Sulawesi, also taking the time to show us them in detail. Here in the ornithological collection of the Natural History Museum. of us—to decolonize ourselves, our own priv- growing urgency within public debate to find ilege and to critically reflect on our white- a way to deal with the legacies of colonially ness. A lot of learning and un-learning is re- entangled Swiss collections. quired to enable this—but we demand it of In a decolonized near future we demand ourselves as a necessary process in ques- that this is translated into an increased trans- tioning the Western epistemological tradition parency, an openness towards restitution, to Während der Recherche in der Sulawesi- we were raised in so as to not enter into lin- collections being digitalized and made avail- Objektsammlung von Fritz und Paul Sarasin im guistically or visually insensitive, offensive or able for all online—namely into a pro-active Aussenlager Lyonstrasse des Museums der Kulturen Basel sind wir auf diesen Hut gestos­ even violent spaces. Thinking outwards we approach rather than a reactionary one. sen. Wir konnten lediglich in Erfahrung bringen, demand the same responsibility to self-re- dass er aus «Südwest Sulawesi» stammt und flect from Swiss society in general and, in als «Kriegshut» verwendet wurde. Fritz und Paul Sarasin haben ihn 1904 dem damaligen particular, from Swiss cultural and education- Museum für Völkerkunde geschenkt. Haben al institutions. die Sarasins dem Besitzer oder der Besitzerin In Switzerland the feeling of responsi- etwas dafür bezahlt? bility to deal with colonially acquired collec- During our research on Fritz and Paul Sarasin’s tions often feels rather reactionary, as we are object collection from Sulawesi in the off-site still playing catch up with the need to con- storage of the Museum of Culture on Lyon­ strasse we came upon this hat. We found out front our own colonial legacy. Within the that it comes from southwest Sulawesi and Swiss museum landscape however the im- was used as war helmet. Fritz and Paul Sarasin pact of the significant 2018 report The Resti­ donated it to the then Museum of Ethnography in 1904. Did the Sarasins pay the helmet’s tution of African Cultural Heritage by Felwine owner for it? Sarr and Bénédicte Savoy has made an im- portant impact. And we are witnessing a

32 33 In der anthropologischen Sammlung des Natur­ historischen Museums werden menschliche Schädel und Skelette aus Basel und aus der ganzen Welt gelagert. Es ist eine der sensibels­ ten Sammlungen des Museums, da die Prove­ nienz von vielen menschlichen Überresten unklar ist. Im kolonialen Kontext wurden Schä­ del und Skelette von der lokalen Bevölkerung – oftmals mit unlauteren Methoden – für For­­- schungen­ im Kontext eines wissenschaftlichen Rassismus gesammelt.

In the Anthropological Collection of the Natural History Museum human remains from both Basel and all over the world are stored. It is one of the Museum’s most sensitive collections as the provenance of many of the human remains is still unclear. In colonial contexts human crania and skeletons were “collected” from local populations, often using dubious methods. Such research was conducted within a context of scientific racism.

Beim Durchstöbern des Fotoarchivs im Porträt der beiden Forschungs­ Museum der Kulturen stossen wir auf ein reisenden Fritz und Paul Sarasin, Bild von einer Vogelausstellung mit Bildern vermutlich aus der Zeit, als sie von Bälgen des indonesischen Vogels auf Sammelreise nach Sri Lanka Cui-Cui. Er wurde zu Ehren von Fritz und und Sulawesi gingen. Paul Sarasin «Zosterops sarasinorum» getauft, den Makassarischen Namen des Portrait of the two explorers Vogels haben wir in keiner Quelle der Fritz and Paul Sarasin, probably Sarasins gefunden. Wir entschliessen uns taken around the time they left eine Objektbiografie von diesem Vogel on their collecting expeditions to zu erstellen. Sri Lanka and Sulawesi.

Whilst going through the photo archive of the Museum of Culture we stumbled upon an image of an ornithological exhibition with the dead skins of the Indonesian Cui-Cui bird. In honour of Fritz and Paul Sarasin the bird was named “Zosterops sarasinorum,” we didn’t find the original Makassarian name in any of the Sarasin sources.

Wir lesen den Reisebericht aus Celebes von Fritz Sarasin. Die Karte zeigt die Reise­ route von Fritz und Paul Sarasin auf ihren Expe­ditio­nen auf der Insel. Das Lesen ihrer Expedi­tionsberichte war für unser Vers­ tändnis ihrer Forschungen in kolonialen In der anthropologischen Sammlung des Natur­ In the Anthropological Collection of the Natural Räumen sehr wichtig. historischen Museums zeigt uns der Kurator History Museum the curator showed us the die menschlichen Überreste von einer Vedda-­ human remains of a Vedda woman and man. Reading Fritz Sarasin’s travel report from Frau und einem Vedda-Mann. Zum Zeitpunkt At the time we viewed them they had already Celebes. The map shows Fritz and Paul als wir die Schädel und Skelette sehen, lagern been kept in storage for 130 years. Viewing Sarasin’s travel route during their expedition sie bereits seit fast 130 Jahren im Depot. Es this collection was both a heavy and emotional on the island. Revisiting their expeditions ist für uns ein sehr emotionaler und schwerer moment for us. reports was crucial for us in understanding Moment, diese Sammlung zu sichten. their research in colonial spaces.

34 35 «Ganz wilde lebende, sogenannte ‹Rock-Wed­ das› kennen wir nur noch vom Hörensagen…» Dieser Ausschnitt aus dem Buch «Reisen und Beobachtungen in Ceylon» von Fritz Sarasin zeigt uns die koloniale Vorstellung von den «primitiven Anderen», nach denen die Sarasins gesucht haben. Diese Zeilen lesen wir in der Bibliothek des Museums der Kulturen Basel nach tagelangen Recherchen in den Publika­tio­ nen von Fritz und Paul Sarasin.

“So-called ‘Rock Vedda’ savages living in the wild we only know of from hearsay...” This excerpt from Fritz Sarasin’s “Travels and Ob­ servations in Ceylon” demonstrates the colonial idealization of “primitive Others” who the Sarasins were searching for. We came across these lines after long days researching Fritz and Paul Sarasin’s publications in the Museum of Culture’s library.

Erkundung eines Zosterops-Balgs und einer Etikette in der ornithologischen Sammlung im Naturhistorischen Museum Basel. Fritz Sarasin war einst Direktor hier und hat den Grossteil seiner persönlichen Sammlung dem Museum überlassen. Am Ende unserer Recherchen erkannten wir seine persönliche Handschrift.

Inspecting the skin of a Zosterops and it’s label in the Ornithological Collection of the Natural History Museum in Basel. Fritz Sarasin was once the Director here and donated a signifi­ cant part of his personal collection to the museum. By the end of our research we could recognise his personal handwriting.

Auf der Suche nach der Entstehungs- und Aus­ Whilst tracing the origin and exhibition history stellungsgeschichte der Vedda-Modellfiguren of the Vedda exhibition figures we came across sind wir auf diese Inszenierung gestossen. Sie this scenario. It was set up for production wurde für die Produktion einer Ansichtskarte of postcards. Our faces are reflected in the Nahaufnahme der Plattenkamera von Fritz und erstellt. Unsere Gesichter spiegeln sich auf der image, transposed over the exhibition figures. Paul Sarasin. Wir reflektieren den Blick durch Aufnahme und legen sich über das Bild der Ruminating over our own fascination for pro­ das historische Objektiv, mit dem die beiden Modellfiguren. Beim Nachdenken über unsere cesses of “Othering.” Are we doing the same? in Sri Lanka und Sulawesi u. a. rassistische eigene Faszination für den Prozess der Konst­ anthro­ pometrische­ Bilder von verschiedenen ruktion des «Anderen» stellt sich die Frage: Bevöl­kerungsgruppen aufgenommen haben. «machen wir dasselbe?» Vor dieser Kamera inszenierten die Sarasins die vermeintlich «primitiven» Naturvölker und hielten diese Szenen für ein westliches Publikum­ fest.

Close up of Fritz and Paul Sarasin’s plate cam­ Diese wissenschaftlichen Instrumente beglei­- era. We reflected on this historical lens, which te­ten Fritz und Paul Sarasin auf ihren Expe­- the two scientists used to take photos of local di­­tio­nen ins kolonial besetzte Sri Lanka und populations in Sri Lanka and Sulawesi, includ­ Sulawesi. Die Sarasins trugen die Instrumente ing racist anthropometric photos. In front of jedoch nicht selbst – auf den tagelangen Mär­ this camera the Sarasins staged supposedly schen durch oft unwirtliches Gelände wurden “primitive Natives,” capturing them for Western sie von lokalen Trägern transportiert. audiences. The scientific instruments that accompanied Fritz and Paul Sarasin on their expeditions in colonially occupied Sri Lanka and Sulawesi. The Sarasins did not carry the instruments themselves however—local porters schlepped them on day-long marches, often through inhospitable territory.

36 37 Rahmat Arham Grenze zwischen Kunst und Aktivismus. Ihre bung steht im Zentrum ihrer Auseinander- Künstler* (geb. 1990 in Ujung Pandang, Indonesien), Arbeiten beschäftigen sich mit sri-lankischen setzung und ist auf historische Prozesse in machte seinen Abschluss in Informatik an Einwander*innen in Europa und deren Identi- den Themenfeldern postkoloniale Theorie der Bina Nusantara Universität in Jakarta, tät in der zeitgenössischen Kultur, Hausan- und migrantische Diskurse fokussiert. 2016 innen­ Indonesien. Derzeit organisiert er in Makas- gestellten im Nahen Osten, Kindern, die in war ihre Rechercheausstellung Wir fordern! sar einen Projektraum namens SIKU, in dem Kriegsgebieten aufwachsen, und der soge- über ein feministisches Migrantinnenmanifest biografien technologische, künstlerische und kulturelle nannten Flüchtlingskrise in Europa. Zu ihrem von 1975 im Les Complices*­ in Zürich zu se- Aktivitäten stattfinden. Zu seinen Veröffentli- Performance- und Ausstellungswerk gehö- hen. 2018 initiierten Ryser + Schonfeldt in der chungen zäh­len A Mechanism of State Power ren: 2019 Your faith is in your hand in der Ga- Raum*station­­ Zürich das Diskussions- und in Women’s Correctional Faculty (Jakarta Arts lerie Municipale Jean-Collet in Ivry-sur-Seine; Ausstellungsprojekt Über die Herstel­ lung,­ Council, 2016); Indonesia Fine Art Heritage 2018 PANCH im Rahmen des Performing Art Wie­derholung und Aktua­lisierung des ‹Ande­ Book Series (General Directorate of Culture, Network CH an der Liste Art Basel; 2017 ren› in und durch Bilder, über ein koloniales Republic of Indonesia, 2017) und 20KULDE­ Sandwich im Projektraum Les Complices* in Wand­gemälde, das im Bahnhof Wiedikon in SAK: Networking, Moving, Maneuvering, Re­ Zürich und I am not guilty in der Galerie Balzer Zürich hängt. Von 2018 bis 2019 re­cherchier­ belling (Kuldesak Network, 2018). Projects (Cabinet) in Basel sowie Your faith is ten sie mit Unterstützung von SNF-­Agora die in your hand in der Al Ma’mal Foundation in kolonialen Verstrickungen von Bas­ler Mu- Deneth Piumakshi Wedaarachchige Ostjerusalem, Palästina. 2016 erhielt sie den seumssammlungen und kuratieren 2020 die (geb. 1980 in Kurunegala, Sri Lanka) studier- International Emerging Artist Award bei der Aus­stellung Stimmen aus einer archivierten te an der New York School of Visual Arts Co- World Art Dubai in Dubai. Stille im Foyer des Theater Basel. Vera Ryser lombo in Sri Lanka und der Kathmandu Art und Sally Schonfeldt leben und arbeiten in University in Nepal. Von 2012 bis 2014 war sie Duo Ryser + Schonfeldt Zürich. Artist in Residence in der Cité Internationale Das Duo Ryser + Schonfeldt bestehend­ aus des Arts Paris sowie der Stadt Paris. Derzeit Vera Ryser (geb. 1982 in Basel)­­ und Sally Julia Sarisetiati arbeitet sie an Projekten zum Thema Femi- Schonfeldt (geb. 1983 in Ade­laide, Australi- (geb.1981 in Jakarta, Indonesien) machte nismus in Sri Lanka und Europa. Ihre künst- en) arbeitet seit 2015 gemeinsam an einer ihren Abschluss in Fotografie an der Fakultät lerische Praxis bewegt sich auf der schmalen recherchebasierten Ausstel­ lungs­ praxis­ und für Kunst und Design der Trisakti-Universität. realisiert langjährig angelegten Projekte an Sie ist Teil des 2000 in Jakarta gegründeten der Schnittstelle von Forschung, Kunst und Künstler*innenkollektivs ruangrupa, das in- Wissensvermittlung. Die Reflexion und künst- zwischen eine informelle Bildungsplattform Rahmat Arham lerische Darstellung von Geschichtsschrei- für Kunstschaffende namens Gudskul mitbe- Artist Born in 1990 in Ujung Pandang, Indonesia. treut, auf der sie einen Kurs zum Thema ‹Kol- Graduated from Bina Nusantara University, lektive Nachhaltigkeit› anbietet. Ein Schwer- Jakarta, Indonesia with a degree in informa- Biographies tion systems. Currently active in managing rates art and activism. Her works focuses on an alternative space called SIKU that accom- Sri Lankan immigrants in Europe and their modates contemporary technological, artis- identity in contemporary culture, domestic The duo has realized long-term projects at the tic and cultural activities in Makassar. Some workers in the Middle East, children growing interface of scholarship, art and knowledge of his writings include A Mechanism of State up in war conflicts and the refugee crisis in transfer since 2015. At the centre of their work Power in a Women’s Correctional Facility (Ja- Europe. Her performative and exhibition work is a reflection on artistic representations of karta Arts Council, 2016); Indonesia Fine Art includes 2019 Your faith is in your hand at la historiography, focused on historical pro- Heritage Book Series (General Directorate of Galerie Municipale Jean-Collet at Ivry-sur- cesses in the fields of postcolonial theory and Culture, Republic of Indonesia, 2017); and Seine; 2018 PANCH at Performing Art Net- migrant discourse. In 2016, their research ex- 20KULDESAK: Networking, Moving, Maneu- work CH at Liste Art Fair in Basel; 2017 Sand­ hibition Wir fordern! (We demand!), based on vering, Rebelling (Kuldesak Network, 2018). wich at Les Complices* in Zürich and I am a feminist manifesto of migrant women from not guilty at Balzer Projects (Cabinet) in Ba- 1975, was shown at Les Complices* in Zurich. Deneth Piumakshi Wedaarachchige sel and Your faith is in your hand at Al Ma’mal In 2018, Ryser + Schonfeldt initiated the dis- Born 1980 in Kurunegala, Sri Lanka Graduat- Foundation in East Jerusalem, Palestine. In cussion and exhibition project Über die Her­ ed from the New York School of Visual Arts in 2016 she received the International Emerging stellung, Wie­der­holung und Aktualisie­rung Colombo, Sri Lanka and Kathmandu Art Uni- Artist Award at The World Art Dubai in Dubai. des ‹Anderen› in und durch Bilder (On the pro- versity, Nepal. She was an artist in residence duction, repetition and actualisation of the at the Cité Internationale des Arts Paris and Duo Ryser + Schonfeldt ‘Other’ in and through images) at Raum*­­sta­ for the City of Paris from 2012–2014. Current- The artist duo Ryser + Schonfeldt, consisting tion Zürich. The project reflected on a colonial ly she is working on projects focusing on of Vera Ryser (born 1982 in Basel) and Sally mural in Zurich’s Wiedikon station. From 2017 feminism in Sri Lanka and Europe. Her artis- Schonfeldt (born 1983 in Adelaide, Australia), to 2019, with the support of SNF-Agora,­ they tic practice runs along a thin line that sepa- have a research-based exhibition practice. researched on the colonial entanglements of

38 39 Artist Biographies punkt ihrer künstlerischen Praxis ist das Öko- Veränderungen der Welt interessiert er sich Angela Wittwer system indonesischer Arbeitsmigrant*innen für die Konsummuster städtischen Lebens. (geb. 1987 in Bern). 2010 Bachelor of Arts in und dessen­ Nachhaltigkeit.­ Zu ihren wichtigs­ Jimged beobachtet sie durch die soziale, Kulturtheorie, 2013 Master of Arts in Fine Arts ten Ausstellungen / Projekten gehören: Siasat politische, geografische und geschichtswis- an der Zürcher Hochschule der Künste. Sie (Ja­­karta Biennale, 2013); Hacking Urban senschaftliche Linse. In seiner künstleri- arbeitet in kollaborativen Zusammenhängen Real­ity Series (Kopenhagen, 2016); We’re in schen Praxis finden sich vielfältige Arten von und interessiert sich derzeit für semifiktive this, together (The Factory Contemporary Art Bildaufnahmen. So erzeugen seine Beobach- Szenarien als Möglichkeit queerfeministi- Space, Saigon, 2018); Migration: Speaking tungen eine Sichtweise, die unsere Einsicht scher und postkolonialer Kritik. Seit 2011 ist Nearby (Asia Culture Center, Gwangju, 2019); in die Machtkonstella­tionen unserer heutigen sie als Co-Redaktorin an diverser Publikatio- und Choreographed Knowledges (Cemeti In- Lebensräume einfordert. Zu seinen wichtigs- nen beteiligt, u. a. für Maria Eichhorn, die stitute for Art and Society, Yogyakarta, 2019). ten Ausstellungen / Projekten zählen: Migra­ Shedhalle Zürich, das Bundesamt für Kultur 2017 wurde sie Kuratorin des Medienkunstfes­ tion: Speaking Nearby (Asia Culture Center, und die Zürcher Hochschule der Künste. tivals OK.Video, das Werke zum Thema «Pan­ Gwangju, 2019); FOMO / JOMO, (RUBANAH 2011 Kuratorische Assistenz für die Shed- ­gan» (Essen) ausstellte und Ideen für la­bor­ Underground-­Hub, Jakarta, 2019); Local Ge­ halle Zürich. 2013–2016 Wissenschaftliche gestützte Forschungsprojekte entwickelte, nius (Taman Budaya Palu, Central Sulawesi, Mitarbeiterin an der Zürcher Hochschule der um ihre wirtschaftliche und soziale Nachhal- 2018); OK Pangan: OK.Video—Indonesia Me­ Künste. Gruppenausstellungen u. a. 2011 im tigkeit zu demonstrieren und zu erforschen. dia Arts Festival (Gudang Sarinah Ekosistem, Neuen Berliner Kunstverein n.b.k., 2015 im Jakarta, 2017); mit Julia Sarisetiati in What Helmhaus Zürich und 2016 in der Kunsthalle Jimged Ary Sendy Trisdiarto Does Art Do? (Gwangju Biennale, South Ko- Zürich. 2016 entwickelte sie zusammen mit (geb. 1978 in Jakarta, Indonesien) studierte rea, 2016) und 125.660 Specimens of Natural Stefanie Knobel bei Les Complices* die Aus- Fotografie an der Fakultät für Film und Fern- History (Galeri Salihara, Jakarta, 2015). Seine stellung a heavy, heavy duty u. a. über kolo- sehen des Jakarta Institute of Arts. Ange- Ein­zel­ausstellung Daur Amanat wurde Ende nialen Verstrickungen von Schweizer Baum- sichts der schnellen und unvermeidlichen 2018 im RUBANAH Underground-Hub, Jakar­ wollhändlern am Beispiel der Gebrüder Vol- ta, gezeigt und von Grace Samboh kuratiert. kart. Seit 2017 lebt sie in Zürich und Yogya- karta / Jakarta. museum collections in Basel and curated the exhibition Voices from an Archived Silence ideas into laboratory-based research proj- in the foyer of the Theater Basel in 2020. Vera ects to demonstrate and explore their eco- Salihara, Jakarta, 2015). At the end of 2018, glements of Swiss cotton traders using the Ryser and Sally Schonfeldt live and work in nomic and social sustainability. his latest solo exhibition entitled Daur Ama­ example of the Volkart brothers. Since 2017 Zurich. nat was exhibited at RUBANAH Underground-­ her home has been in Zurich and Yogyakar- Jimged Ary Sendy Trisdiarto Hub, Jakarta, curated by Grace Samboh. ta / Jakarta. Julia Sarisetiati Born 1978 in Jakarta, Indonesia. Graduated Born 1981 in Jakarta, Indonesia. Graduated from photography at the Faculty of Film and Angela Wittwer from the Arts and Design Faculty of Trisakti Television, Jakarta Institute of Arts. He is in- Born in Bern in 1987. She has a Bachelor of University with a photography degree. She terested in consumption patterns in urban life Arts in Cultural Theory 2010, and completed is part of ruangrupa, an artist collective es- associated with rapid and inevitable world a Master of Arts in Fine Arts at the Zurich tablished in 2000 in Jakarta. The collective changes. Jimged observes these things University of the Arts 2013. She works in col- co-runs Gudskul, an informal educational through social, political, geographic, and his- laborative contexts and is currently interest- platform for art practitioners, in which Sari torical lenses. A variety of image-recording ed in semantic scenarios as possibilities for teaches a course entitled ‘Collective Sustain- actions are embodied in his artistic practice. queer-feminist and postcolonial critiques. ability.’ A major focus of her artistic practice Within this framework his observations result Since 2011 she has been co-editing various is the ecosystem of the Indonesian migrant in a point of view that demands our under- publications i.e. for Maria Eichhorn, Shedhal- workforce and the sustainability thereof. standing the power constellations operating le Zurich, the Federal Office of Culture and Some of her major exhibits / projects include: in our living spaces today. Some of the major the Zurich University of the Arts. In 2011 she Siasat (Jakarta Biennale, 2013); Hacking Ur­ exhibits / projects: Migration: Speaking Near­ was curatorial assistant at Shedhalle Zurich. ban Reality Series, (Copenhagen, 2016); We’re by (Asia Culture Center, Gwangju, 2019); FO­ From 2013–2016, she was a research assis- in this, together (The Factory Contemporary MO / JOMO, (RUBANAH Underground-­Hub, tant at the Zurich University of the Arts. Se- Art Space, Saigon, 2018); Migration: Speaking Jakarta, 2019); Local Genius (Taman Budaya lected group exhibitions include: 2011, at the Nearby (Asia Culture Center, Gwangju, 2019) Palu, Central Sulawesi, 2018); OK.Pangan: Neuer Berliner Kunst­verein n.b.k.; 2015, at and Choreographed Knowledges (Cemeti In- OK.Video—Indonesia Media Arts Festival Helmhaus Zürich and 2016, at Kunsthalle stitute for Art and Society, Yogyakarta, 2019). (Gudang Sarinah Ekosistem, Jakarta, 2017); Zürich. In 2016, Angela Wittwer and Stefanie In 2017, she became a curator of the media with Julia Sarisetiati in What Does Art Do? Knobel developed the exhibition a heavy, art festival OK.Video, exhibiting works on the (Gwangju Biennale, South Korea, 2016) and heavy duty at Les Comp­lices*, which dealt, theme of ‘pangan’ (food), which developed 125.660 Specimens of Natural History (Galeri among other issues, with the colonial entan-

40 41 Julia Sarisetiati and Jimged Ary Sendy Trisdiarto A Possibility of Owning Other’s Text

Während ihres Exils in Makassar kom­ Whilst exiled in Makassar Colliq Pujié munizierte Colliq Pujié mit Hilfe von continued to communicate with her geheimen Botschaften im Bilang Bilang followers—carried out through secret Alphabet, einer von ihr erfundenen messages in the Bilang Bilang alphabet, Geheimschrift, weiterhin mit ihren Anhän­­ which she had herself created and that ger*innen. Neben der Geheimschrift­ not everyone can read. Besides using schuf sie auch eine Reihe von Wider­ the alphabet as a secret language, she standsgedichten, die bis Mitte des also created a number of resistance 20. Jahrhunderts­ von Widerstandskämp­­ poems, which until the mid-20th century fer*innen als Inspirationsquelle für were still used by resistance fighters ihren Kampf gegen die Holländer ver­ as a source of inspiration in their fight wendet wurden. against the Dutch.

Reinszenierung eines alten Gedichts (Sureq) von Colliq Pujié. Die eingelade­ nen Personen sind unter anderen Fischer, Arbeitslose, Arbeiter in einer Reissack-­ Siebdruckfabrik, eine Kosmetikladenbe­ sitzerin, ein Sprühfarbenladenbesitzer, ein Gelehrter und ein ehemaliger Wander­ arbeiter. Die gewählte Sureq thematisiert unseren täglichen Widerstand, sei es gegenüber dem Regierungssystem, der We Tenri Ollé, Königin von Tanette. Für die Übersetzung der 122 Gedichte globalen Wirtschaft oder in Klassen­ Diese Fotografie von Hendrik Veen wird von Colliq Pujié für sein Buch «Lontara kämpfen. oft fälschlicherweise als Porträt von Bilang: Mosaic on Inner Upheavals Colliq Pujié, der Mutter von We Tenri of a Noble Woman» (2008) benötigte Reviving an old poem (sureq) by Colliq Ollé, Intellektuelle und Kämpferin im Ahmad Saransi zwei Jahre. Er betrachtet Pujié. The invited people are, among antikolonialen Widerstand, benutzt. ihre Texte als Sureq (dt.: vorzulesende others, fishermen, unemployed, labour­ Süd-­Celebes, ca. 1870. Ge­dichte). Grundlage für die Überset­ ers from a rice sack screen printing zung war ein Bilang-Bilang-Skript, eine factory, a cosmetic shop owner, a spray We Tenri Ollé, Queen of Tanette. This von Colliq Pujié verfasste Geheim­schrift, paint shop owner, a scholar and an photograph by Hendrik Veen is often um während der Kolonialzeit vertrau­- ex-migrant worker. The chosen sureq is falsely reproduced as a portrait of liche Nach­richten im Widerstand aus­ relatable to our daily and contemporary Colliq Pujié, mother of We Tenri Ollé zutauschen. resistance, be it towards the governmen­ and intellectual anticolonial resistance tal system, global economy, or class fighter. South Celebes, ca. 1870. It took Ahmad Saransi two years to trans­ struggles. late 122 poems written by Colliq Pujié for his book “Lontara’ Bilang: Mosaic on Inner Upheavals of a Noble Woman” (2008). He considers her texts as sureq (poems to be read) and trans­lated them from the bilang-bilang script that Colliq Pujié herself made in order to be able to send confidential messages to encourage resistance amongst her peers during colonial times.

42 43 Anwar Toshibo analysiert in seinem Buch (2002) die Geschichte der Sklave­ rei in Süd-Sulawesi im 19. Jahrhundert. Dabei hinterfragt er die gängige euro­ zentrische Sichtweise, die unter anderem durch die Ex­peditions­berichte der Sarasins entstanden ist, und stellt fest, dass zu wenig Quellen aus indonesi­ scher Perspektive existieren, welche die Sklaverei aus der Logik der damaligen Gesellschaften heraus erforschen.

Anwar Toshibo’s book (2002) deals with a historiography of slavery in South Sulawesi in the 19th century. His main concern is the scarcity of resources that describes slavery from an ‘Indonesia-­ centric,’ or ‘ethnic-centric’ perspective, encouraging it to explore the phenome­ non ‘from within.’ His examination on slavery resisted the European perspec­ tives that were developed in the Sarasins’ expedition notes.

Während unseres Besuchs der Toraja- Coffee beans being dried in the sun Gebiete (Juli 2019) werden Kaffeebohnen during our visit to the Land of Toraja in der Sonne getrocknet. Kaffee ist dort (July 2019). Coffee is a contested eine umstrittene Ware und verschie­dene commodity in the Land of Toraja (even Versuche ihn zu monopolisieren haben before Dutch colonials had ever reach­- immer wieder zu kriegerischen Auseinan­ ed this area, which is in Central Sula­- dersetzungen geführt – bereits bevor die we­si) and has led to various wars over holländischen Kolonialherren das Gebiet attempts to monopolize it, where­-by in Zentral Sulawesi jemals erreicht hatten. the consequences for those who lost Den Unterlegenen drohte unter den the war was to become slaves to the neuen Macht­habern die Degradierung new power holders. zu Sklav*innen.

Die Sureq wird im Hafen von Pare­pare rezitiert – ein Hafen, der in der Zeit der Bürgerkriege um Kaffee in den Tora­ ja-Gebieten für die Entsendung von Sklav*innen genutzt wurde. Diese Krie­ ge markierten den Beginn der Ära des Sklaven­handels, in der die Unterlege­ nen degradiert und in der Region ge­ handelt wurden. Auf dem Gebiet des heutigen Hafens waren früher die Plan­ tagen der Kolo­nialherren.

The sureq being re-sung at the Port of Parepare – a port that in the past was used for sending slaves as a conse­ quence of civil wars over coffee in the Land of Toraja. The wars marked the beginning of the era of the slave trade where the losers must become slaves Der Hafen von Parepare wird heute häufig The Port of Parepare today is frequently to be traded in the area. An area used von indonesischen Arbeitsmigrant*­­ innen­ used by Indonesian migrant workers to cultivate plantations belonging to (oftmals ohne gültige Reise­papiere) (many of them undocumented) in transit colonial governments of other countries benutzt, die auf der Suche nach Arbeits­ to Malaysia where they look for job some of which have been transformed möglichkeiten nach Malaysia migrieren. opportunities. Given the close connec­ into today’s Port of Parepare. Angesichts der engen Verbindung von tion of the past and present day reality Vergangenheit und Gegenwart haben wir we chose this port as the location to diesen Hafen als Ort gewählt, um das re-sing the resistance poem (sureq) of Widerstandsgedicht (Sureq) von Colliq Colliq Pujié. Pujié neu zu inszenieren.

44 45 1. Die verwobenen Geschichten Sekundärquellen beinhaltet. Indem Ryser + gegen den Kolonialismus zu ermutigen. Aus Werk- von drei Modell­figuren Schonfeldt die Objektbiografien in einem der Faszination für die direkte Beziehung zwi- und einem Vogel komp­lexen Feld translokaler Netzwerke ver- schen Text und (dem Akt des) Widerstand(s) Duo Ryser + Schonfeldt orten, wird die koloniale Provenienz der bei- heraus versucht die Arbeit eine physische beschrei- Was würde uns ein Objekt aus einem Mu­ den Objekte, wie auch der Museumssamm- und performative Aneignung des Textes in- seums­depot über sich selbst und all die ver- lungen selbst, deutlich. nerhalb unserer zeitgenössischen Gegeben- ­bungen schiedenen Kontexte verraten, in die es ver­ heiten. In A Possibility of Owning Other’s Text wickelt war, wenn es seine eigene Geschichte 2. A Possibility of Owning versammeln sich im Hafen von Parepare un- erzählen könnte? Diese Frage bildete die Other’s Text sere «Held*innen des Alltags», die vielfältige Stimmen Grund­lage für eine zweijährige Archivrecher- Jimged Ary Sendy Trisdiarto Arten des Widerstands praktizieren und in che in zwei Basler Museumssammlungen – und Julia Sarisetiati verschiedene Kämpfe rund um prekäre Arbeit aus einer die des Naturhistorischen Museums und die Zu Beginn der Arbeit unterhalten sich sieben und Arbeitsbedingungen involviert sind. des Museums der Kulturen –, auf deren Basis Menschen über eines von Colliq Pujiés Su­ Die Verlierer*innen des Toraja-Bürger- Ryser + Schonfeldt zwei sogenannte Objekt­ reqs – ein zu singendes Gedicht –, das sich kriegs wurden als Sklav*innen unter anderem archivierten biografien schufen. Am Beispiel eines einzel- mit unserem täglichen Widerstand in Verbin- über den Hafen von Parepare verkauft. Wäh- nes Objekts aus jeder Sammlung – eines prä­ dung bringen lässt, sei er nun gegen das Re- rend der niederländischen Besetzung wiede- Stille parierten Vogels aus dem Naturhistorischen gierungssystem gerichtet, gegen die globale rum war das Zwangsplantagen-Gesetz der Museum und drei lebensgrosser Modellfigu- Ökonomie oder seien es Klassenkämpfe. Die Kolonialregierung von den Geschäften ab- ren aus dem Museum der Kulturen – zeigt das Menschen kommen aus unterschiedlichen hängig, die über diesen Hafen abgewickelt Duo die verschiedenen kolonialen Verflech­ Zusammenhängen: Sie sind Wissenschaft- wurden. Heute hat der Hafen den Ruf, die tun­gen, die in jedem Objekt steckt. Auf zwei ler*innen, Fischer, Arbeiter*innen, Mütter, Ju- Drehscheibe für indonesische Arbeitsmig- grossen Vorhängen und begleitenden Infor­ gendliche, Geschäftsfrauen, Arbeitslose. Sie rant*innen zu sein, die nach Malaysia wollen, mationstafeln,­ die in die bestehende Architek­ proben den Gesang und führen schliesslich insbesondere für diejenigen ohne Papiere. tur des Foyers eingreifen, bieten die beiden ein Mitsingkonzert des Sureq auf. Colliq Pujié Es scheint fast, als sei Widerstand ein dem Objektbiografien eine Auswahl an Archivbil- war Mitte des 19. Jahrhunderts Adelige auf Hafen von Parepare innewohnender Modus. dern und texten, die sowohl Primär- als auch Sulawesi und verfasste Briefe (sogenannte Sureqs), um zu anhaltendem Widerstand

within our contemporary realities. Gathering 1. The Entangled Histories these heroes of everyday-life, along with their Work of Three Exhibition Figures trans-local networks, the colonial provenance various resistance qualities, the work was and a Bird of the two objects, as well as the museum made in the Port of Parepare, a landmark­ for Duo Ryser + Schonfeldt collections themselves, are revealed. different struggles surrounding the precari- Descriptions What could an object lying in a museum ousness of labour and working conditions. storeroom tell us about itself and all the dif- 2. A Possibility of Owning During the Torajan civil war, the losers had ferent contexts it has been entangled in, if it Other’s Text to become slaves and were hence traded Voices could tell us its own story? Using this ques- Jimged Ary Sendy Trisdiarto through this port. During the Dutch times, the tion as a foundation for a two year long ar- and Julia Sarisetiati colonial government’s forced plantation act from an chival research in two of Basel’s museum The work begins with a conversation amongst was also dependent on trades happening collections, the Natural History Museum and seven people about one of Colliq Pujié’s through this port. Today, the port has a rep- Archived the Museum der Kulturen, Ryser + Schonfeldt sureqs—a poem to be sung— that is relat- utation for being the exit gate for Indonesian have created two so-called Object Biogra­ able to our daily resistance, be it towards the migrant workers wanting to reach Malaysia, phies. Selecting an individual object from governmental system, global economy or particularly those who are undocumented, Silence each collection, a preserved bird from the class struggles. They come from different hence illegal. It is almost as if resistance is an Natural History Museum and a pair of life- professions: scholars, fishermen, labourers, embedded mood at the Port of Parepare. size exhibition model figures from the Muse- mothers, youngsters, businesswomen, and um der Kulturen, the duo shows the different unemployed. They rehearsed singing it and 3. Voices of the Ancestors colonial entanglements encircling each ob- eventually performed a sing-along of the Deneth Piumakshi ject. On two large-scale stage curtains and sureq. Coming from the mid 19th century, Wedaarachchige accompanying museum boards intervening Colliq Pujié was a noble woman who wrote Ceylon? Sri Lanka? Where is it? Who lives in the existing architecture of the Foyer, the letters to her peers encouraging them to keep there? Who are these Ceylonese people? Are two objects biographies offer a comprehen- on resisting colonialism. Fascinated with the they a “primitive disappearing race?” Should sive selection of both primary and secondary direct relationship between text and (the act they be called a “race” or “varieties” of peo- archival images and texts. By situating each of) resistance, the work tries to formulate an ple? I found during my research that files and object’s trajectory within a complex field of embodiment, a form of ownership, of the text images marked “Ceylon” at both the Basel

46 47 Work Descriptions Werkbeschreibungen 3. Voices of the Ancestors Grund dieser Schädel einmal um die halbe für Völkerkunde Basel (heute Museum der der sie mit politischem Kalkül bei der Pla- Deneth Piumakshi Welt gereist und in einer Plastikbox gelandet Kulturen) verfolgten, kehren Ryser + Schon- nung und Umsetzung ihrer Expeditionen un- Wedaarachchige war, aber ich spürte eine unerwartete Verbin­ feldt um und spiegeln den exotisierenden terstützte, während sein jüngerer Bruder, Ceylon? Sri Lanka? Wo ist das? Wer lebt da? dung. Meine Skulptur zielt darauf­ ab, all mei- Blick auf die Sarasins selbst zurück. Mit 3D- W. H. Brugman, sie auf ihren Expeditionen Wer sind diese Ceylones*innen? Sind sie nen entwurzelten Vorfahr*­in­nen und ihrem Kopien zweier Büsten von Fritz und Paul Sa- begleitete. – Das Hörstück widmet sich die- «primitiv und vom Aussterben bedroht»? Sol- missachteten Lebensstil Respekt zu zollen. rasin, die in der Eingangshalle des Naturhis- sen Komplexitäten und Verstrickungen. Es len sie als «Rasse» oder als «Menschen-­Va­ – Ein Lebensstil, der in Einklang mit der Natur torischen Museums Basel stehen, fordern verleiht­ Colliq Pujié eine zeitgenössische rietät» bezeichnet werden? Während meiner war und jedoch in dieser schnelllebigen Welt Ryser + Schonfeldt eine dringend erforderli- Stimme und adressiert die Spannungen in der Recherchen bemerkte ich, dass mit «Ceylon» so leicht trivialisiert wird. Statt das Bild von che Selbstreflexion, die sich historischen und royalen Familie als Resultat zweier gegen- verschlagwortete Akten und Bilder, sowohl in jemandem zu reproduzieren, der oder die, als zeitgenössischen Formen des «othering» in sätzlicher Strategien im Umgang mit der hol- Basel als auch im Staatsarchiv in Paris falsch das Bild gemacht wurde, keine Stimme hat- der Schweiz stellen sollte. ländischen Kolonialpräsenz. Weiter zitiert es zugeordnet waren, fanden sich doch manche te – wie es bei den Fotos der Sarasins der Passagen von Colliq Pujié’s subversiven Tex- im Afrika-Order des Archivs und andere wa- Fall ist, auf denen mehrere Menschen deut- 5. Dan Dia Bilang Gitu— ten wie auch Textstellen aus den Reiseberich- ren mit Bildern aus Samoa, Neukaledonien lich Ausdrücke von Angst, Ir­ri­ta­tion und Ent- The Past Is Still Processing ten der Sarasins. Im begleitenden Video sind oder Indien vermischt. fremdung zeigen –, entschloss ich mich, mei- Rahmat Arham und ausgewählte historische Dokumente (u. a. Bei meinem ersten Besuch im Archiv nen eigenen Körper als Ausgangspunkt für Angela Wittwer Foto­grafien der Sarasins aus dem Archiv des des Naturhistorischen die Skulptur zu verwenden. Die künstlerische Arbeit von Rahmat Arham Museums der Kulturen in Basel und aus der wurde ich eingeladen, mir Aadivasin-Gebei- und Angela Wittwer folgt den Spuren von Sammlung des Tropenmuseums Amsterdam) ne (ehemals bekannt als Vedda-Menschen) 4. Praktiken des «othering», Teil 1 Colliq Pujié (1812–1876), Schriftstellerin und mit Fotografien neueren Datums collagiert. anzusehen. Nachdem ich blaue Plastikhand- Duo Ryser + Schonfeldt antikoloniale sulawesische Intellektuelle. schuhe übergezogen hatte, durfte ich den Wie haben Praktiken des «othering» traditio- Colliq Pujié war Mutter von We Tenri Ollé 6. Beginning of You, Schädel eines Ahnen in den Händen halten, nell funktioniert? Eine historische Strategie (1855–1919), Königin des Königreiches Ta- Me and Others und diese Erfahrung bewegte mich zutiefst. von ethnografischen Museen war die Pro- nette. Fritz und Paul Sarasin trafen 1893 und Deneth Piumakshi Sein Schädel befand sich unter Dutzenden duktion stereotyper Modellfiguren, die eine 1896 in Makassar zufällig auf die Königin und Wedaarachchige skrupellos entwendeter menschlicher Über- bestimmte «Rasse» in der Logik des späten fotografierten sie mit ihrem Gefolge. In ihrem Die «Pariser Hautfarbentafel» wurde von Paul reste, die die Sarasins während ihrer Zeit in 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts als eine Reisebericht verwiesen sie nur beiläufig auf Broca, dem Gründer der Anthropologischen Sri Lanka ausgegraben und nach Europa ge- bestimmten­ «Rasse» von als «primitiv» erach­ ­ die Begegnung. Offenbar entging ihnen, Gesellschaft von Paris erstellt. Er skizzierte bracht hatten. Ich wusste nicht, aus welchem teter Menschen darstellen sollte. Diese Logik, dass die Tochter dieser Königin, Prinzessin eine spezifische Farbskala für die Sarasins, die Fritz und Paul Sarasin bei der Anfertigung Daëng Magasjing Tjah Nope, mit J. A. G. Brug­ deren Bedürfnissen entsprechend, um auf dreier Vedda-Modellfiguren für das Museum man verheiratet war. J. A. G. Brugman war ein ih­ren Forschungsreisen die Menschen Cey- Kolonialbeamter mit dem hohen Rang des lons in verschiedene «Varietäten» zu untertei­ and Paris National Archives were misplaced, Residenten – und ein Freund der Sarasins, some being in an Africa folder of the archive and others mixed in with images of Samoa, ly have marked expressions of fear, confu- New Caledonia or India. During my first visit sion, and alienation, I decided to use my own Fritz and Paul Sarasin referred only inciden- to the archive of the Natural History museum body as the basis for the sculpture. of Basel’s Natural History Museum honouring tally to the encounter. Apparently they missed in Basel, I was invited to see the remains of Fritz and Paul Sarasin, Ryser + Schonfeldt de- that the daughter of this queen, Princess Aadivasin (people formerly known as Vedda). 4. Practicing the “Othering,” Part 1 mand an urgent self-reflection from today’s Daëng Magasjing Tjah Nope, was married to After putting on blue plastic gloves, I had the Duo Ryser + Schonfeldt Swiss society in confronting historical and J. A. G. Brugman. J. A. G. Brugman was a opportunity to hold the skull of this ancestor How have practices of “othering” tradition- contemporary forms of “othering.” high-­ranking colonial official—and a friend of and this experience moved me deeply. His ally functioned? One historical strategy in the Sarasins. He assisted them with their po- skull was among dozens of unethically re- ethnographic museums was the production 5. Dan Dia Bilang Gitu­— litical calculations in planning and imple- moved human remains that were dug up by of racialized stereotypical exhibition figures The Past Is Still Processing menting their expeditions, while his younger the Sarasins during their time in Sri Lanka used to represent a certain “race” of people Rahmat Arham and brother W. H. Brugman accompanied them and brought to Europe. I did not know why often deemed “primitive” in the logic of the Angela Wittwer on their expeditions. The audio piece is ded- he had ended up halfway across the world in late 19th century up until the mid 20th cen- The artistic work of Rahmat Arham and An- icated to these complexities and entangle- a plastic box, however I felt an unexpected tury. Fritz and Paul Sarasin used this logic in gela Wittwer follows in the footsteps of Colliq ments. The radio play gives Colliq Pujié a connection. The sculpture aims to pay re- the production of three plaster exhibition fig- Pujié (1812–1876), writer and anti-colonial contemporary voice and addresses the ten- spect to all my uprooted ancestors and to ures depicting Vedda people that they com- Sulawesi intellectual. Colliq Pujié was the sions in the royal family resulting from two their disregarded way of life, so in tune with missioned for display in the Völkerkunde Mu- mother of We Tenri Ollé (1855–1919), Queen opposing strategies in dealing with the Dutch nature yet so easily trivialized in this fast- seum (today’s Museum der Kulturen) in Basel of the Kingdom of Tanette at the time of the colonial presence. It also quotes passages paced world. Instead of reproducing the im- in the early 20th Century. Ryser + Schonfeldt expeditions of Fritz and Paul Sarasin. Fritz from Colliq Pujié’s subversive texts as well age of someone who had no say in the taking reverse and reconfigure this “othering” gaze and Paul Sarasin met the queen by chance as from the Sarasins’ travelogues. In the ac- of their image, as in the case of the Sarasins’ on the Sarasins themselves. By producing 3D in Makassar in 1902 or 1903 and photograph­ companying video, selected historical doc- photographs, in which several people clear- copies of two busts, which stand in the lobby ed her with her entourage. In their travelogue uments (including photographs of the Sara-

48 49 Werkbeschreibungen Work Descriptions len. Die Farben waren gruppiert nach «Vedda Fritz und Paul Sarasin nach Ceylon im Jahr Entwicklungsprojekten und jahrelangem Bür- Community wie auch einige Materialproben Männer Hautfarben, Vedda Männer Brustfar- 1883 die Stirn zu bieten. Neugierig gemacht gerkrieg haben sie erneut marginalisiert. aus jedem Dorfgebiet, beispielsweise Erde ben, Vedda Frauen Hautfarben, Vedda Frau- von den Sarasinischen Schriften und Expe­ Zurück in Basel interviewte ich Mitglie- oder Steine. Als Spiegel der historischen en Brustfarben, Tamilen Männer Hautfarben, di­tionen sowie um über ihre simplifizierenden der der sri-lankischen Diaspora (seit den Sammlung von Skeletten und anderem eth- Ta­milen Männer Brustfarben, Tamilen Frauen Ka­tegorisierungen hinauszugehen, beschloss 1990ern beheimatet die Schweiz 30’000 bis nografischem Material, das die Sarasins bei Hautfarben, Tamilen Frauen Brustfarben, Sin­ ich, 136 Jahre später ihren Spuren zu folgen. 40’000 sri-lankische Tamil*innen, die ihr Land ihren Expeditionen nach Sri Lanka zusam- ­ghalesen Männer Hautfarben, Singhalesen Wie sie reiste ich mit einer Kamera, aber während des langen Bürgerkriegs verlassen mengetragen haben, installierte ich ein zeit- Männer Brustfarben, Singhalesen Frauen das Wichtigste in meinem Gepäck waren Re- mussten) und hörte mir ihre Sichtweisen auf genössisches Reenactment dieser Samm- Hautfarben­­­ und Singhalesen Frauen Brust­ produktionen alter Fotografien, die die Sara- die archivierten Fotos und Objekte im Muse- lungspraxis in den Vitrinen im Foyer des far­ben». Irgendwann reichte diese Farbskala sins gemacht hatten. Diese Bilder meiner um der Kulturen in Basel an. Es war mir wich- Theater Basel. nicht mehr aus, um die erforschten Men- Vorfahr*innen aus Sri Lanka sind Teil einer tig, ihre zeitgenössischen Stimmen und Reak­ schen zu unterteilen, und die Sarasins muss- ver­gessenen kolonialen Vergangenheit. Mein tionen miteinzubeziehen. 9. Praktiken des «othering», Teil 2 ten die Farben der ursprünglichen Skala er- Ziel war also, sie aus den verstaubten Archiv- Für 136 Years Ago and Now interviewte Duo Ryser + Schonfeldt weitern. Für Beginning of You, Me and Others kisten herauszuholen und die Bilder sprechen ich auch Mitarbeiter*innen in den Museen in In zwei historischen Museumsvitrinen zeigen beschloss ich, drei Farben aus der ursprüng- zu lassen, indem ich sie wieder ans Licht Basel, Colombo, Dambana und Paris; als be- Ryser + Schonfeldt ein fiktionalisiertes All- lichen Sarasinischen Hautfarbentafel auszu­ ­ brachte und ihre Porträts in einer zeitgenös- gleitendes Video fügte ich Filmaufnahmen tagsleben von Fritz und Paul Sarasin in Basel wäh­len, die , Tamil*innen und Singha- sischen sri-lankischen Umgebung wiederan- von Basler Architektur hinzu, die mit den Sa- um 1900 und stellen dieses in Kontrast zur les*innen darstellen sollten. eignete. Die Fotos wurden hervorgehoben rasins und ihrer Familie in Beziehung steht. Geschichte der Sarasinischen Forschungs- und rückten die Vergangenheit in den Fokus, reisen in das kolonial besetzte heutige Indo- 7. 136 Years Ago and Now wobei meine Aufnahmen zugleich die sie um- 8. Sensitive Expedition nesien und Sri Lanka. In den Vitrinen, die Deneth Piumakshi gebende Gegenwart zeigten, verschwom- Deneth Piumakshi früher in Ausstellungen des Museums für Wedaarachchige men, von weitem. Wedaarachchige Völkerkunde (dem heutigen Museum der Kul- Meine Arbeiten sind von einem persönlichen Während ich in Sri Lanka war, führte ich Während meiner Expedition nach Sri Lanka turen) für konstruierte ethnographische Dar- Wunsch als Sri Lankerin inspiriert, Missver- Interviews mit Singhales*innen, Tamil*innen dokumentierte ich auch den ökologischen stellungen von exotisierten «Anderen» ver- ständnisse aus dem Weg zu räumen und der und Aadivasin (Veddas). Manche Aadivasin und ökonomischen Wandel, der seit den Sa- wendet wurden, kehren Ryser + Schonfeldt Arroganz der Forschungsreisen der Doktoren leben heute unter schwierigen Bedingungen. rasinischen Reisen nach Ceylon stattgefun- diesen «othering» betreibenden Schweizer Die Folgen von Landnahme, wirtschaftlichen den hat. Ich sammelte Objekte der Vedda-­ Blick um und werfen ihn auf sich selbst zu- rück. Neben Objekten, Bildern und Dokumen­ sins from the archive of the Museum der Kul- turen in Basel and from the collection of the examined and the Sarasins had to extend the portraits in a contemporary Sri Lankan envi- Tropenmuseum Amsterdam) are collaged colours of the original chart. For this work I ronment. The photographs were highlighted 8. Sensitive Expedition with more recent photographs. decided to select three colours from the orig- and brought into focus the past, while also Deneth Piumakshi inal Sarasinian skin colour chart used to rep- showing the surrounding present, blurred, at Wedaarachchige 6. Beginning of You, resent Vedda, Tamil and Sinhalese people. a distance. During my expedition to Sri Lanka I also doc- Me and Others Whilst in Sri Lanka, I conducted inter- umented the environmental and economical Deneth Piumakshi 7. 136 Years Ago and Now views with Sinhalese, Tamil and Aadivasin changes that have occurred since the Sara- Wedaarachchige Deneth Piumakshi (Veddas). Today some Aadivasin live in diffi- sins’ journey to Ceylon. I collected objects ‘The Parisian colour chart’ was created by Wedaarachchige cult conditions. The impact of land-seizures, from the Vedda community, as well as some Paul Broca, the founder of the Paris Anthro- My works are inspired by a personal desire, economic development projects, and years sample materials from each village area, pological Society. He had specifically created as a Sri Lankan, to set the record straight and of civil war, has marginalized them once such as earth and rocks. Mirroring the Sara- a skin colour chart for the Sarasins according to defy the indifference of Fritz and Paul Sara- again. Back in Basel I interviewed members sins’ historical collection of ethnographic and to their needs in dividing the people of Cey- sin’s scientific expedition to Ceylon in 1883. of the Sri Lankan diaspora (since the 1990s, skeletal material during their expeditions to lon into different races during their scientific Going beyond reductive categorizations of Switzerland is home to 30,000 to 40,000 Sri Sri Lanka, I have installed a contemporary expedition in the 1900s.The colours were people and intrigued by their writings and Lankan Tamil who left the country during the re-enactment of this practice of collection in grouped into Vedda Men skin colours, Vedda expeditions, I decided to follow in their tracks long civil war) and listened to their views on the vitrines in the Foyer of the Theater Basel. Men chest colours, Vedda Women skin co- 136 years later. Like them I travelled with a the photo and object archives that are kept lours, Vedda Women breast colours, Tamil camera, but the most important objects I car- in the Museum of Cultures in Basel, Switzer- 9. Practicing the “Othering,” Part 2 Men skin colours, Tamil Men chest colours, ried with me were copies of old photographs land. It was important for me to include their Duo Ryser + Schonfeldt Tamil Women skin colours, Tamil Women taken by the Sarasins’ themselves. These im- contemporary voices and reactions. For these Two historical display vitrines offer a fiction- breast colours, Singhalese Men skin colours, ages of my ancestors from Sri Lanka were audio-visual works, I also interviewed people alized imaginary of Fritz and Paul Sarasin’s Singhalese Men chest colours, Singhalese part of a forgotten colonial past. So my goal in the Museums of Basel, Colombo, Dambana everyday life in Basel around 1900 as a coun- Women skin colours & Singhalese Women was to bring them out of the dusty box of and Paris and added filmed visuals of Basel terpoint to the history of their scientific expe- breast colours. At some point this colour archived history and let the images speak by architecture related to the Sarasins and their ditions to colonially occupied Indonesia and chart was not enough for dividing the people bringing them back to light, recapturing their family. Sri Lanka. In the vitrines, which were histor-

50 51 Work Descriptions ten, die koloniale Präsenzen in Basel attes- tieren, beispielsweise Teedosenwerbung mit ethnisierenden Darstellungen kolonialisierter Subjekte, ist das reiche Interieur von Fritz und Paul Sarasins Wohnhaus in Basel zu sehen; so regen die Vitrinen zum kritischen Nachden­ ­ ken an – weniger über die Gesammelten als vielmehr über die Sammler. Ryser + Schonfeld­ drehen den Blick um, wobei sie sich auf Ideen von Critical Whiteness stützen und die Not- wendigkeit der Schweizer Gesellschaft be- tonen, über ihre eigenen kolonialen Verstri- ckungen nachzudenken. Damit fragt das Duo, wie eine Ausstellung über uns und un- sere Praktiken des Exotisierens «Anderer» aussehen könnte.

10. Bibliothek der Gegenstimmen Duo Ryser + Schonfeldt Die Bibliothek ist als konzentrierter Raum ge- dacht, der es Besucher*innen ermöglicht, auch historischer Literatur zur Verfügung über die in der Ausstellung herausgearbeite- stellt, fungiert die Bibliothek als Gegen-Ort, ten kolonialen Verflechtungen der Schweiz der eine alternative Lesart der Schweizer Ge- vertieft nachzudenken. Indem sie eine kura- schichte bietet. Bücher können vor Ort kon- tierte Auswahl sowohl zeitgenössischer als sultiert oder zum Mitnehmen kopiert werden.

ically used in museum displays constructing glements elaborated on in the exhibition. ethnographic views of exoticized “Others” Through the provision of a curated selection at the Museum für Völkerkunde (formerly of both contemporary and historical litera- Museum der Kulturen), Ryser + Schonfeldt ture the library acts as a counter-space, in subvert a Swiss “othering,” gaze and turn it which an alternative reading of Swiss history back on itself. Through an assemblage of ob- is offered. Books can be consulted on-site jects, images and documents attesting to or copied to take away. colonial presences in Basel, such as Tea tins advertising with racial depictions of colo- nized subjects, juxtaposed with the wealthy interiors of Fritz and Paul Sarasin’s Basel abode, the vitrines provoke a critical reflec- tion on those collecting, rather than on those being collected. Grounded in ideas of critical whiteness and the need for white Swiss so- ciety to self-reflect on its own significant role in colonial enterprises, Ryser + Schonfeldt turn the mirror around with their fictionalized display. In doing so the duo asks what a mu- seum display of ourselves and our own prac- tices of exoticizing “Others” might look like?

10. Counter Library Duo Ryser + Schonfeldt The library is conceived of as a concentrated space that offers visitors a chance for in- depth reflection on the Swiss colonial entan-