ARCHITEKTURAMSPIEGLEIN RAND AN DERUND WAND VERBRECHEN

SPIEGLEIN AN DER WAND

4 Ein Wort voraus 25 Verkehrte Wirklichkeit Monica Hoffmann Hans Schuller 6 Wie wir so sind 28 Reflexionen Michael Gebhard Erwien Wachter 10 Nicht nur das Auge isst mit 30 In eigener Sache Sven Radtke 30 Leserbrief 12 Wilhelm Kücker: Das Ego 31 Brisant des Architekten Monica Hoffmann 36 Vom Bauen 16 Wer ist ...? 38 Seitenblicke Erwien Wachter 42 Sieben Fragen an 19 Short Cuts Wolfgang Lechner Erwien Wachter 44 BDA 61 Randbemerkt 23 Lauter alte Bekannte? 57 Persönliches 64 Impressum Irene Meissner EIN WORT VORAUS

Erst einmal denkt man an die Eitelkeit der Königin im Märchen Schneewittchen. Nein, darum soll es im Kontext mit Architekten nicht gehen. Obwohl…? Na ja, lassen wir das. Doch müssen sich die Architekten wahrlich nicht verstecken, stehen sie bei Frauen in Statistiken zu attraktiven Männerberufen sehr hoch im Kurs, wie übrigens auch ihre Kolleginnen, wenn auch von Männern nicht ganz so be- gehrt. Im Ranking der angesehensten Berufe rangieren Architekten allerdings nur noch im Mittelfeld oder werden erst gar nicht als eigene Gruppe geführt, sondern laufen unter der Kategorie der Ingenieure mit. Das war einmal besser, viel besser. Doch seit geraumer Zeit kann nicht geleugnet werden, dass eine Menge negativer Klischees über sie kursieren.

4 Die in komplexen Zusammenhängen zu betrachten und scheinbar Die Königin im Märchen hatte es mit einem schwierig auszuräumen sind, wie der Beitrag von Michael Geb- ehrlichen Spiegel zu tun, der nicht ein ge- hard nur zu deutlich macht (Seite 6). Aus Sicht eines Bauträgers wünschtes Bild bestätigt. Deswegen sollte beschreibt Sven Radtke so einige Probleme in der Zusammenarbeit es um Wahrhaftigkeit gehen, wenn wir in zwischen Auftraggeber und Architekt (Seite 10). Monica Hoffmann den Spiegel schauen, indem wir unbequeme erinnert an Wilhelm Kücker und fasst seine spitzfindigen Aussagen Fragen stellen und darauf ehrliche Antworten zur Entwicklung des Architekten zusammen (Seite 12). Über den geben. Im Bild des Spiegels haben wir die aktuellen Stand des Architektenbildes lässt sich Erwien Wachter Chance, unser Verhältnis zu uns selbst und aus und wünscht sich mehr Schalk im Getriebe (Seite 16). Weitere zur Welt zu ergründen. Das ist eine große Stimmen von innen und außen vervielfältigen den Blick in kurzer Herausforderung, wenn wir uns dabei von Illu- Form (Seite 19). Es wird selten darüber gesprochen, deswegen ist sionen verabschieden und unsere Schwächen es umso aufschlussreicher, von Irene Meissner zu erfahren, auf wel- erkennen. Kein einfacher Weg. Doch er dürfte che Vorgänger sich berühmte Architekten berufen (Seite 23). Wie sich lohnen. Auch für Architekten, um negati- ein Spiegelversuch die Wirklichkeit als solche infrage stellen kann, ve Klischees ab- und positive aufzubauen. beschreibt Hans Schuller (Seite 25). Den Spiegel als Medium der Wahrnehmung in der Umkehrwirkung der Wechselbeziehung von Monica Hoffmann Betrachter und Objekt in Bild und Selbstbild stellt Erwien Wachter anhand eines Ausstellungskonzepts dar (Seite 28).

5 SPIEGLEIN AN DER WAND

WIE WIR SO SIND Michael Gebhard

Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land? Spieglein, wer ist der Beste (Architekt)? Spieglein, wer ist die Coolste (Architektin)? Spieglein, bin`s etwa ich ...? Nein? Ach Spieglein, sag uns doch, wer sind wir?

Selbstreflexion, das Nachdenken über das eigene Tun und Handeln im Beruf, das Ein- schätzen seiner selbst und seiner Wirkung auf andere ist eine schwierige Aufgabe. Wenige sind bereit, diese Mühe überhaupt auf sich zu nehmen, besteht doch die Gefahr, dass sie kaum erfreuliche Resultate zutage fördert, man sich also auch noch mit seinen weniger glanzvollen Seiten auseinandesetzen muss.

6 Doch ganz egal wie realistisch dann das Bild wie überzeuge ich meine Bauherrn, wie gehe ich mit projektschäd- letztlich ist, das man von sich selbst gewinnt, lichen Wünschen und Ansprüchen um, ist von ausschlaggebender es gibt immer Aufschluss über den Reflektie- Bedeutung für unsere Einschätzung durch Dritte. renden, allein schon darin, wie nah er einer Einschätzung kommt, die auch von anderen Von den unterschiedlichen Ansätzen, die man in diesem Fall bei geteilt wird oder wie weit seine Selbstein- den Kollegen beobachten kann, sei nur einer herausgegriffen. Da schätzung davon entfernt ist. sind beispielsweise diejenigen, die alle Bedenken auch tatsächlich bedenkenswert finden, scheinbar alles einer eingehenden Be- Doch wo anfangen? Beginnen wir mit un- trachtung unterziehen, um letztendlich doch zu dem Schluss zu seren eigenen Ansprüchen. Jeder, der Archi- kommen, dass das, was sie schon immer vorhatten, wohl doch der tektur und auch Stadtplanung mit dem für einzig gangbare Weg ist. Dies können sie meist auch sehr überzeu- außergewöhnliche Leistungen erforderlichen gend vertreten. Ob das dann bei dem Gegenüber auch wirklich so Engagement betreibt, befindet sich schnell im überzeugend oder letztlich doch nur arrogant ankommt, darf dabei Spagat zwischen den Wünschen seiner Auf- zurecht gefragt werden. traggeber und dem eigenen Anspruch an das Resultat. Letzterer ist oftmals höher als der Alleskönner? – sind wir beileibe nicht, auch wenn manche von uns der Auftraggeber. Hinzu kommen zahlreiche so auftreten. Aber wir sind diejenigen, die alles unter einen Hut Partikularinteressen und Wünsche Dritter, die bringen müssen. Das ist, so banal es auch klingen mag, eine un- ohne Rücksicht aufs Ganze vorgebracht und serer wichtigsten Aufgaben. Zahlreiche, auch sich widersprechende durchzusetzen versucht werden. Selbstredend Anforderungen zusammenzuführen, so dass ein formal, funktional, ist es erforderlich, den Anspruch des Auftrag- ökologisch etc. überzeugendes Projekt entsteht, ist jedesmal eine gebers dem eigenen Anspruch anzunähern, Herkulesaufgabe. Da darf es nicht verwundern, wenn nicht jeder in ihn mitzunehmen und ihm die Vorteile dieses jeder Lage die ideale Bewältigungsstrategie dafür parat hat, wenn Anspruchs für ihn selbst vor Augen zu führen. in manch einer Situation einfach nur reflexartig gehandelt wird, un- Und ebenso selbstredend ist es notwendig, angemessene, teils widersinnige Ansprüche einfach nur abgebügelt Partikularinteressen in für das Projekt förder- und formale Vorlieben mit Argumenten, die manchmal sogar wider liche Kanäle einzuleiten ggf. auch einfach besseres Wissen vorgebracht, ja durchgesetzt werden. Dass das zurückzuweisen. Was so sinnfällig klingt und so vorkommt, wird kaum je über eines Kollegen Lippen kommen. ebenso selbstverständlich sein sollte, ist jedoch Letztlich heiligt der Erfolg die Mittel. Wer fragt schon hinterher, so leicht nicht getan. Das Wie des Umsetzens, wie was zustande gekommen ist. Wer rhetorisch gut drauf ist oder

7 die notwendige Erfahrung besitzt, wird immer gute Argumente schaften, die uns da zugesprochen werden, finden, seine Sichtweise überzeugend darzustellen, ob das der Au- und leider bei weitem nicht alle zu unrecht. ßenwirkung langfristig förderlich ist oder nicht. Und fürwahr, jeder Entgegenhalten ließe sich dem jedoch, dass von uns kennt sie, die Beispiele von Kollegen, die auch mit dem Ruf wir auch selbstlos, verständnisvoll, vertrauens- einer mehr oder weniger großen Skrupellosigkeit ganz gut über die würdig, engagiert, sachorientiert, gestaltsicher Runden kommen. Namen müssen wir da erst gar nicht nennen. etc. sind oder sein können.

Führungsstärke und Überzeugungskraft sind Eigenschaften, die Wer Architekten verstehen und sich nicht nur erwartet werden und die zurecht in unserem Beruf unabdingbar an Klischees abarbeiten will, der muss ein sehr sind. Wer nicht führen will, sich nur als Teil eines Puzzles sieht, komplexes, facettenreiches Bild ins Auge fas- wird schnell merken, dass er seine hehren Ansprüche nicht rea- sen, ein Bild, das nicht von allen Betrachtungs- lisieren kann, wird ebenso schnell einsehen müssen, dass, wenn seiten gleich aussieht, das vielmehr changiert Architekten diese Aufgabe nicht übernehmen, in der Regel keiner und schillert. Unser Beruf erfordert ein derart mehr da ist, der sich für die Gesamtgestalt eines Projektes, für das, weites Spektrum an Eigenschaften, dass es was man als Ergebnis sieht, verantwortlich fühlt. Ist es doch viel einen erstaunt, dass es überhaupt Personen einfacher, sich auf klar definierte Verantwortungsbereiche zurück- gibt, die diese alle in einer Person vereinen zuziehen, die undankbare Aufgabe von Gesamtverantwortlichkeit können. Müssen wir nicht kompetent und anderen zu überlassen. Das ist eine Gefahr, der wir selbst immer empathisch, gestaltsicher und geschäftstüch- mehr unterworfen sind, betrachten uns doch viele nur noch als die tig, präzise und sozialkompetent, entschieden Kosmetiker der Unzulänglichkeiten und Disparitäten ihrer Partiku- und kompromissfähig, außerdem vertrauens- larplanungen. Selbst wenn alle Teile eines Puzzles, alle Teile einer würdig, ehrlich, eloquent, medienerfahren, Planung zusammengetragen sind, ergeben sie noch kein Gan- intelligent und noch viel mehr sein? Das über- zes, erst wenn sie alle richtig ineinandergefügt sind, entsteht das trifft doch tatsächlich noch die eierlegende gewünschte Ganze, das Vorzeigbare und Vorbildhafte, das Langle- Wollmilchsau. bige und Wertbeständige. Unser Herz aber schlägt doch immer am hef- Viele Dinge werden uns nachgesagt, viele Eigenschaften zuge- tigsten für unser gerade frisch begonnenes, schrieben. Wir wären gerne selbstverliebt, auch egoistisch, abgeho- aktuelles Projekt. Dem ordnen wir fast alles ben, gar unrealistisch, kompromissunfähig und egozentrisch unter. Alles würden wir für sein Gelingen undsoweiterundsofort. Nicht gerade erstrebenswerte Eigen- geben. Das geht soweit, dass wir auch alles,

8 was uns und unserer Vorstellung im Wege steht, beiseite räumen nommen und gehen mit unterschiedlichem wollen, auch wenn dies nicht selten eine an die Säuberung eines Talent damit um. Das schillernde Bild, das Augiasstalls erinnernde Aufgabe zu sein scheint. Dass dabei im Ei- wir Architekten nach außen abgeben, muss fer des Gefechtes, im Beseitigen all der Probleme und Widrigkeiten prinzipiell kein Nachteil sein. Was schillert gilt manchmal teils übers Ziel hinausgeschossen wird, psychologisch als spannend, als interessant. Schön, dass das fragwürdig reagiert, der richtige Ton nicht ganz getroffen wird, Licht der öffentlichen Wahrnehmung nach scheint mir nachvollziehbar, ja teilweise verständlich. Ein Problem wie vor auf uns und unser Tun fällt, schöner in der Außenwirkung ist es trotzdem. Geht doch Vielen einfach der noch wäre, wenn dabei mehr unsere Scho- uns eigene Enthusiasmus und damit auch ein Verständnis dafür ab. koladenseiten im Licht stehen würden, als dass versucht würde, unsere Schwachstellen Last but not least gilt es hervorzuheben, wie selbstlos wir sind. auszuleuchten. Ja, tatsächlich. Dies geht oft so weit, dass wir eigene Bedürfnisse hinter die Erfordernisse des Projektes zurückstellen – bis hin zum Anspruch auf eine überlebenswichtige, adäquate Bezahlung. Leider wird dies von außen so nicht gesehen. Nein, vielmehr wird uns dies als Schwäche ausgelegt, die gerne entsprechend ausgenutzt wird. Das ist bedauerlich, nicht nur für den Einzelnen, sondern für den ganzen Berufsstand. Entgegen weitverbreiteter Meinung ist es nicht jedes Einzelnen persönliches Bier, welches Honorar er verlangt. Leider muss man in diesem Zusammenhang schon von einem beruflichen Gendefekt sprechen, so weitverbreitet ist dieser Missstand und so wenig ist ihm beizukommen – vererbt sich von Generation zu Generation und führt langfristig in den sozialen Abstieg eines Berufsstandes.

Aus all dem lässt sich schließen: Die Vielfalt an Eigenschaften und Kompetenzen, die von uns verlangt werden und die mit dem einen oder anderen Schwerpunkt auch alle in uns stecken, ist und bleibt eine der großen Herausforderungen unseres Berufs. Die meisten Kollegen, die mitten im Berufsleben stehen, haben sie ange-

9 NICHT NUR DAS AUGE ISST MIT Die Vielfalt dieser teilweise widersprüchlichen Sven Radtke Aufgaben scheinen einer Sisyphusarbeit gleichzukommen, und so setzt der Architekt Eine Leidenschaft, die erfahrungsgemäß viele Architekten mit ihren mit einem steigenden Komplexitätsgrad der Bauherren teilen, ist diejenige, in einem Restaurant der Spitzen- Projekte Schwerpunkte. Das ist auch richtig gastronomie ein hervorragendes Essen zu genießen. Auf den ersten so, nicht zuletzt, um die Qualität der Ergeb- Blick nichts Außergewöhnliches, eröffnen sich doch beim näheren nisse sicherstellen zu können. Hinsehen große Gemeinsamkeiten, die die Köpfe beider Genres miteinander haben. Dennoch ist es für den Projekterfolg des Bauträgers von Bedeutung, alle Anforderun- So müssen sowohl der Architekt wie auch der Spitzenkoch Künst- gen in Einklang zu bringen, und hier ist der ler, Top-Manager, Visionäre, Handwerker, Kundenbetreuer bezie- Architekt, egal für welche Leistungsphase er hungsweise Gastgeber, Projektleiter und noch vieles mehr sein. beauftragt ist, gefordert, in der Gesamtheit Dies sind schwer miteinander vereinbare Spannungsfelder und für das Projekt zu denken und zu agieren. doch ist jedes für sich essenziell, um ein optimales Ergebnis, sei es Wohlgemerkt bedeutet dies nicht, dass er der Hochgenuss auf dem Teller oder auf dem Baugrundstück, zu Leistungen erbringen soll, die nicht seiner erzielen. beauftragten Leistungsphase entsprechen. Aber in der Erarbeitung des eigenen Arbeits- Für den Architekten bedeutet dies, dass er auf der einen Seite ergebnisses müssen die Probleme zukünftiger Freidenker mit kreativem Spielraum sein soll und auf der anderen Leistungsphasen und der Bauausführung die Buchhaltung, Finanzen und IT im eigenen Unternehmen im erkannt werden und entsprechend einfließen. Griff haben muss. Er muss die Lebens- und Arbeitsgewohnheiten, Soweit der erste Wunsch für das Spieglein an Umwelteinflüsse und Verkehrsnutzung visionär voraussehen, dabei der Wand. aber alle DIN-Normen (inkl. Gelbdrucke) und Innungsvorgaben beherrschen und verinnerlichen. Einen einzigartigen neuen, qua- Der zweite Wunsch wäre die Umsetzung einer litätvollen Entwurf mit hohem Wiedererkennungswert erarbeiten, vernachlässigten Tugend, wohl wissend, dass der den Geschmack der breiten Masse trifft, ohne dabei das stets dazu immer mindestens zwei gehören: Die knappe Budget zu sprengen. Einerseits den Vorstellungen des Bau- Kunst der ausgewogenen Kommunikation. herrn gerecht werden und andererseits mit Überzeugungskraft die Häufig ist der Architekt die zentrale Koordi- eigene Planung vertreten. nationsstelle und damit auch Kommunikati-

10 onsstelle eines Bauvorhabens. Dabei werden wo die eigentliche Motivation für eine Anfrage oder auch nur die jeweils eigenen Vorstellungen erklärt, eine Kommentierung liegt. An der Stelle müssen sich alle Beteili- es findet Überzeugungsarbeit statt und im gten an die eigene Nase fassen und fragen, ob sie in diesen Situati- Idealfall verfolgt man motiviert und vielleicht onen zielführend handeln, um eine Sachebene aufrechterhalten zu mit Begeisterung gemeinsame Ziele. Ebenso können. gehören aus der Empfängersicht das Zuhören, Fragen stellen, das Verstehen und nach Mög- Nun zurück zur eingangs beschriebenen Leidenschaft, die Archi- lichkeit sogar das Einfühlen in das Gegenüber tekten und Bauträger teilen. Das gute Ende eines erfolgreichen dazu. Bauprojekts ist ja häufig, dass Architekt und Bauträger sich ge- meinsam zum erwähnten Spitzenkoch begeben, um zu genießen, Die Erfahrung zeigt, dass in Bauprojekten zu feiern und Pläne für neue Vorhaben zu schmieden. Was für scheinbar viel auf der Sachebene kommuni- Aussichten! In diesem Sinne: Wohl bekomm’s! ziert wird, am Ende aber die Beziehungsebene vorherrscht. Aus einer anfangs sachlichen Dis- kussion folgt viel zu häufig die Empfindung, dass der Bauträger glaubt, man wolle ihm nur an den Geldbeutel, und der Architekt ist der Überzeugung, man wolle ihm den Entwurf zerstören. Nachspüren können diese Situati- on wahrscheinlich nahezu alle Leser ebenso wie der Autor. Und so entstehen auf Dauer gegenseitige Vorurteile, die Vertrauen kosten und die Zusammenarbeit erschweren.

Wie kann man dies nun aber überwinden? Ein erster bescheidener Ansatz könnte sein, das Gegenüber wirklich verstehen zu wollen und sich nicht gleich der ersten persönlichen Emp- findung hinzugeben. Um das zu erreichen, muss man Fragen stellen, um zu ergründen,

11 WILHELM KÜCKER: DAS EGO DES einige ja auch bildende Künstler waren, wie ARCHITEKTEN Michelangelo oder Raffael. Der Theoretiker Monica Hoffmann und Architekt Alberti deklarierte die Baukunst schlichtweg zur Mutter der Künste. Mehr ging Das ist der Titel seines Buches, das vor zehn Jahren erschienen ist. nun wirklich nicht.“ Und nach der Berechtigung jener Architekten fragt, die städte- bauliche und soziale Kontexte ignorieren, die ihr Ego über alles zu Natürlich würden an den freien Architekten stellen scheinen. Nutzen wir also das aktuelle Thema, uns unseren hohe Ansprüche gestellt. So verlange auch 2014 unerwartet verstorbenen Autor in Erinnerung zu rufen und der Bund Deutscher Architekten nicht nur uns noch einmal an seinen prägnanten, kritischen und erfrischend- gute Architektur, sondern auch anständiges subjektiven Meinungen zu erfreuen. Wenn er den Abstieg des Benehmen. Moralischer Prüfstein sei ihr Berufsstands vom werkmeisterlichen Künstler zum Dienstleister Verhalten im Wettbewerb mit den Kollegen. beschreibt. Von den zehn Geboten „könnten etwa die Paragraphen sieben bis neun speziell auf Nachdem Kücker die Moderne messerscharf unter der Lupe seziert uns bezogen werden. Zur Erinnerung: nicht hat, nimmt er sich im zweiten Teil seines Buches die Architekten stehlen (geistiges Eigentum), nicht verleumden selbst genauer vor und schaut erst einmal tief in den Rückspiegel. (Konkurrenten), nicht begehren deines Näch- Um zunächst festzustellen, dass der erste namentlich bekannte Ar- sten Haus (sprich: Auftrag).“ chitekt, Imhotep (um 2600 v. Chr.) kein Baufachmann, sondern Or- ganisator war und viele bekannte, wie Palladiao, Borromini, Bernini Damit hat Kücker in aller Kürze den Grund- bis hin zu Wittgenstein als Autodidakten berühmte Bauwerke stein eines traditionellen Architekten gelegt, schufen. Zweitens klärt er den Unterschied zwischen Werk- und ein anständiger Mensch, „der seine Bauten Baumeister auf, Architekt war der Werkmeister, der Baumeister nur selbst entwarf und überwachte. Der je nach der Leiter der Bauhütte. Und drittens, dass der Werkmeister den Größe der Aufgaben sein Büro organisierte, Bauplan „im Kopf“ hatte. Einzelheiten, Details an den Wänden aber immer den Überblick behielt und das und auf dem Boden skizzierte. Werk ‚im Kopf‘ hatte.“ Und was ihm noch am Herzen liegtw: das Entwerfen mit Kopf und Erst in der Renaissance entwickelte sich der Baukünstler. „Ideal Hand. Nur so könne Neues entstehen, nur der Wiedergeburt war der ‚uomo universale‘. Das gefiel den nach so könnten Schwierigkeiten gelöst werden. künstlerischer Anerkennung lechzenden Architekten, von denen Selbst Zaha Hadid schwöre auf das Zeichnen

12 DACH- UND FASSADEN- GESTALTUNG MIT ALUMINIUM INTELLIGENTE LÖSUNGEN, DIE AUF GANZER LINIE ÜBERZEUGEN

Produkt: Falzonal Farbe: Sonderfarbe Objekt, Ort: Inselhalle, Architektur: Auer Weber Architekten München, Arch. Moritz Auer Verarbeiter: Täumer GmbH, Johannes Bernwieser WWW.PREFA.DE mit Tusche auf Papier. „Computer aided design“ habe mit Planen, Aber zurück zum aussterbenden Künstlerar- aber nichts mit Entwerfen zu tun. chitekten. Noch gebe es sie, einige wenige Unangepasste. Die trotz aller Erfolge nicht Nachdem er seine Messlatte für das Tun des Architekten hoch zum Unternehmer mutiert seien. Das sei nicht angelegt hat, untersucht er den Niedergang des Künstlerarchi- die Regel, denn so Kücker: „In dem Maße, tekten mit Beginn der Moderne. Als Beleg hier ein Zitat von Hannes wie der Umfang der Tätigkeit wächst, wird Meyer: „Bauen ist ein technischer, kein ästhetischer Prozess, und aus dem freien Architekten der Unternehmer. der zweckmäßigsten Funktion des Hauses widerspricht je und je die Das hat Konsequenzen für die Büroorganisa- künstlerische Komposition.“ Nur ein Beispiel für die vielen Moder- tion und die Ergebnisse (‚Output‘). Den freien nen, die auf Innovation setzten und mit allem brechen wollten, was Architekten charakterisiert die persönliche bisher war, ignorierend, dass das Neue allein kein Qualitätsmerk- Handschrift, die Firma das standardisierte mal und kein Wert an sich sei. Produkt. Sie firmieren, sofern nicht ein ‚big name‘ dahinterstehe, vorzugsweise mit ein Ein kurzer Exkurs: So verwundere es nicht, wenn das System Mo- paar Großbuchstaben nach dem Vorbild von derne an den Wünschen der Menschen vorbeigeplant habe und Weltunternehmen wie BASF oder BMW. von ihnen auch nicht verstanden wurde. In den Nachkriegsjahren Vermutlich soll das auf geschäftsfördernde habe sich diese Kluft weiter vertieft, worunter die Architektur noch Größe hinweisen.“ So gebe es auch einen heute leide. Dazu beigetragen habe die Selbstüberschätzung der Geschäftsführer, „was Sinn macht, da sie Architekten als Sozialreformer: „Wer, wenn nicht der Architekt, sich um’s Geschäft kümmern müssen. Damit weiß, was das Wohl der Menschheit ist.“ (Carte d’Athène) Des- haben sie genug um die Ohren.“ Verloren halb hätten sie es wohl auch nicht für notwendig befunden, die gehe der schöpferische Geist, und bedroht sei Betroffenen zu befragen. Was würde Kücker heute wohl über den das Werk. dänischen Architekten Bjarke Ingels denken, der als Pop-Star seiner Branche gehandelt wird und in einem Interview mit Antje Stahl in Nicht weit ist der Weg vom Unternehmer zum der NZZ hinsichtlich des Klimaproblems sagte: „Über unsere Zu- Dienstleistungsunternehmer. „Seit es eine kunft sollten aber nicht Politiker und Wissenschaftler entscheiden, EU-Dienstleistungsdirektive gibt, der sich auch sondern Architekten, Ingenieure und Investoren.“ Deshalb erar- die Architekten unterzuordnen hätten, ist ein beite sein Architekturbüro gegenwärtig einen „Masterplan für den Architekturbüro für die Architektenkammern Planeten“. Gut, das ist nun wirklich ein anderes Thema, hat jedoch auch ‚zunächst‘ (gemeint: in erster Linie) auch mit dem Spieglein an der Wand zu tun. einmal ein Dienstleistungsunternehmen. Sie

14 basteln also am – wie sie es nennen – ‚Selbst- gemacht: „Zum Trost: Außerhalb des Werkvertrages steht es dem bild des Architekten als Dienstleister‘ herum. Kollegen allerdings frei, sich als Dienstleister zu fühlen. Etwa, wenn … Der Architekt als Diener eines Herren (der er dem Bauherrn morgens frische Brötchen bringt.“ keiner mehr ist).“ Das Ganze eben gefördert durch die „Unperson des anonymen Inve- Natürlich lässt es sich Kücker nicht nehmen, den Begriff des Star- stors“, für den „das Bauen nur noch eine Architekten auseinanderzunehmen. „Aber was, zum Teufel, ist ein geschäftliche Transaktion ist, ein einträgliches Star? Eine Kategorie, die in den Architektengesetzen nicht aufge- Geschäft mit Immobilien. In diesem Spiel wird führt ist. Das Prädikat verleiht die Massenpresse. Es ist der höchste der Architekt nur noch als Vollzugsgehilfe Rang in der Gesellschaftsklasse der ‚Promis‘, die … in Klassen (Baugenehmigungsbeschaffer) gebraucht“. eingeteilt werden. Dieser obersten Stufe gehört auch der Star-Frisör Überhaupt Architektenkammer: Die Leser der an.“ Gefördert wird das Star-Wesen natürlich auch von der Globa- BDA Informationen wissen, dass Kücker seit lisierung, die so manchem westlichen Architekten großen Nutzen jeher mit der Kammer auf Kriegsfuß stand, gebracht, der Architektur jedoch eher geschadet habe. Wenn es an die von den Verbänden ohne Not wichtige eben nur noch um das Ringen von Aufmerksamkeit gehe. Kücker Aufgaben abgetreten wurden, zum Nachteil lässt es sich nicht nehmen, Rem Kohlhaas zu zitieren, der erfolg- der Profession, wie Honorarordnung und reich mitmischt in diesem Spiel: „Die Architektur von heute ist dem Wettbewerbswesen beweisen würden. „Das Markt und seinen Bedingungen unterworfen. Der Markt hat die propagierte Berufsbild changiert zwischen Ideologie ersetzt. Architektur ist ein Spektakel geworden, sie muss Geschäftsmann und Dienstleister. Aufgabe sich inszenieren und hat nur noch Bedeutung als Wahrzeichen.“ und Ziel ist die Kommerzialisierung der Ar- chitekten. Anders keine Marktchancen. Und: Natürlich weicht Kücker in diesem Kontext auch nicht der Frage Entwerfen ist nicht mehr das architektonische aus, wie es Architekt mit autoritären Regimes hält, ob man ihnen ‚Kerngeschäft‘, wird gesagt.“ Von Kammer- „planend die Hand reichen“ dürfe. Für ihn steht fest, dass Archi- vertretern. tektur und Politik sich nicht immer säuberlich trennen ließen und er sich deswegen die Frage stellt, „ob es immer noch oder schon Mahnend hält Kücker daran fest, dass der wieder Auftraggeber gibt, denen sich unser Berufsstand tunlichst Architekt immer noch auf der Basis eines verweigern sollte.“ Ohne einen Blick zurück zu versäumen und Werkvertrages arbeite und ein Werk schulde. auf Le Corbusier oder Mies van der Rohe oder Philipp Johnson zu Er leiste keinen Dienst. Diebischen Spaß hat verweisen, die sich ebenso manchen Diktatoren andienten. ihm wohl Joachim Langner mit der Aussage

15 Zu guter Letzt konstatiert Kücker in Anleh- WER IST …? nung an Erich Kästner, wo zum Teufel das Erwien Wachter Positive bleibe. Auch er weiß es nicht. So endet sein Buch. Ich setze an das Ende meines Der französische Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaft- Beitrags zur Erinnerung lieber ein Zitat von ler René Descartes machte den Zweifel zu seiner Pistole, und er Alberti, der den Baukünstler ins Leben gerufen feuerte auf alles. Einen historischen Volltreffer landete Descartes hat: „Eine große Sache ist die Architektur, mit seinen „Meditationes de prima Philosophia“. In diesem Werk … Einen hohen Geist, unermüdlichen Fleiß, schlussfolgerte er „cogito ergo sum“ – „Ich denke, also bin ich“. höchste Gelehrsamkeit und größte Erfahrung Nun, der Gebrauch von Waffen ist in unseren Tagen, in denen muss jener besitzen und vor allem ernste und Hass und Feindlichkeit nahezu an der Tagesordnung sind, schwer gründliche Urteilskraft und Einsicht haben, belastet. Selbst die Sprache ist aus den Fugen geraten, die be- der es wagt, sich Architekt zu nennen. Denn kanntlich in letzter Konsequenz sogar „töten“ kann. Welcher in der Baukunst gilt als oberstes Lob, genau Modus ist denn noch unbedenklich, um zielgenau und mit hoher beurteilen zu können, was not tut.“ Für den Treffsicherheit die Dinge beim Namen zu nennen? Was bleibt, ist nächsten Blick in den Spiegel. wohl doch die Sprache, die zumindest in ihrer Bedeutungsgenauig- keit unbedenklich die erforderliche Markierung von Erscheinungen und Entwicklungen duldet. Die Formulierung „Ich denke, also Zur Erinnerung: Kücker, Wilhelm, Das Ego des bin ich“ deutet durch ein Doppel-Ich auf die Möglichkeit einer Architekten. Die Moderne und die Folgen; Selbstbestätigung hin, die Fragen nach der Angemessenheit dieser Müry Salzmann Verlag, Salzburg 2010 Einschätzung offenlässt. Konkret könnte angenommen werden, dass auch Berufsbezeichnungen eine entsprechend einforderbare Leistung bedingen.

Die unüberhörbare Devise „Ich bin Architekt, also mache ich Architektur“ spiegelt eine Selbstverständlichkeit wider, in der das Gedachte zur Behauptung gefriert. Eine sinnentleerte Formel, die, wie ein Schuss ins Leere, kein Garant für das große Ganze ist, was Architektur im Ideal meint. Die Formel „wo Architektur draufsteht, ist auch Architektur drin“ wird zur Floskel, die jeglichen Nachweis missen lässt. Apropos Nachweis. Denken wir doch an die geschütz-

16 te Berufsbezeichnung „Architekt“ durch Eintrag in eine Archi- „Hurra, weiter so“ ausbleibt. Ist etwa mehr tektenliste. Dieses Fachlabel wird sozusagen zum Querschläger in im Argen, als die Selbsteinschätzung zulässt? der Entstehungsgeschichte unserer gebauten Umwelt. Das oben Wird mehr Unverständnis dem ach so enga- genannte Versprechen von Qualität setzt zwar die Ausbildung an gierten Tun entgegengeworfen als Worte fachspezifischen Institutionen – Hochschulen und Universitäten verfügbar sind, sie abzuwehren? Oder sind es – mit einem Abschlussdiplom, mit Bachelor oder Master entspre- schmerzliche Treffer, die Zweifel an der Gül- chend langer Studiendauer und vorgegebener Zeit praktischer tigkeit der Ergebnisse eigener Überzeugung Erfahrung voraus, deren Nachweis durch nichts weiter als eine heraufbeschwören und eine vielleicht herbe quantitative Erfüllung von Eintragungsvoraussetzungen in eine Kritik an der Selbstüberschätzung rüttelt? Architektenliste begründet wird. Den Begriff von Qualität ereilt hier eine Ladehemmung, verschleiert er doch den Kern, dass die Befä- Wir aber sind wehrhaft, wir schleudern den higung der Eingetragenen in einer bekanntlich breiten Spreizung Angreifern Inkompetenz, Unvermögen, nur ein dem Zufall überlassenes Querschnittswesen ist. Die Kata- Kulturferne und Verantwortungslosigkeit loge von Qualitätsbeschreibungen sind gefüllt mit vorformulierten entgegen, sogar Respektlosigkeit gegenüber technischen Details, die vorgeben, in Summe allein verantwortlich unserer Gestaltungskompetenz. Den Weg für für das genannte Versprechen zu sein. die schweren Wortgeschütze bahnt unsere Unfähigkeit, architektonische Qualität und In- Woher kommt also bei all diesen Zufälligkeiten diese selbstberech- tention nachvollziehbar zu erklären und nicht tigende Gewissheit? Sind denn die ökologischen, funktionalen, zuletzt unser Ausklammern einer Verständi- konstruktiven, gestalterischen, ästhetischen, soziologischen, gung über gesellschaftliche Verantwortung. philosophischen, ideellen, prospektiven und progressiven Aspekte Hierin wurzelt oft das allseits beklagte Desa- ohne Belang? Wo ist die Leidenschaft geblieben, die die Triebfeder ster der Gestalt des gebauten Lebensraums. dieser Profession immer war? Wohin sind Gesellschaftsbewusst- Mangelndes Verständnis für im Ergebnis nicht sein, Kunst, Philosophie und Poetik verschwunden, deren Abwe- nachvollziehbare Konzepte und prämierte senheit den Spiegel bei einer kritischen Selbstbetrachtung zersplit- Bauten befeuern den Widerstand gegen noch tern ließe? Ignorieren wir unser Spiegelbild, das – zur Gewohnheit so überragende Qualität von Ergebnissen geworden – nichts von der eigenen Befähigung mehr ahnen lässt? und lassen erster Bewunderung ein schnelles Fällt uns nicht mehr auf, dass unser Gegenüber kein glänzendes Vergessen folgen. Zu viel, zu wenig fassbar, Äußeres einer Erfolgsgeschichte mehr zeigt? Aber lassen wir das. zu teuer und schließlich von willkürlicher Deu- Hier ist kein Platz für Lamenti. Merkwürdig nur, dass ein breites tung. Ein Schuss ins Blaue, ein Schuss, der in

17 seiner Wirkung verpufft, und sei ein Entwurf in seiner Gestalt und seiner Gesamteinbin- dung noch so gut. Das Lamento fehlender An- erkenntnis, das Lamento fehlenden Respekts, das Lamento des Beschusses mit Regelwerken, das alles gehörte immer schon zum Vokabular der angeblich Unverstandenen, der Einge- bremsten, der Resignierenden, der Dienstlei- stenden, die sich kaum noch auf den Sockeln der Baugeschichte weiterentwickeln, sondern immer mehr bürokratische Papierhaufen da- neben stapeln.

Man wünschte sich gelegentlich den Blick in den Spiegel, den der umherstreifende Schalk Till Eulenspiegel bei sich trug, um der Dumm- heit gewahr zu sein, die es verbietet, bei allem Ernst immer wieder einmal einen Streich zu spielen. Einen Streich spielen kann aber nur die gewärtige Leidenschaft zum Beruf, die verhindert, dass schließlich die Baukunst das Opfer einer vagen Definition von Baukultur wird. SHORT CUTS den ich wirklich einnehme; vom Spiegel aus entdecke ich mich Architekten im Spiegel – als abwesend auf dem Platz, wo ich bin, da ich mich dort sehe; Innen- und Außensicht von diesem Blick aus: der sich auf mich richtet, und aus der Tiefe Erwien Wachter dieses virtuellen Raumes hinter dem Glas kehre ich zu mir zurück und beginne meine Augen wieder auf mich zu richten und mich Ein Bild sagt mehr als tausend Worte – heißt da wieder einzufinden, wo ich bin. Der Spiegel funktioniert als eine es. Das kann schon sein. Aber, lesen muss Heterotopie in dem Sinn, da er den Platz, den ich einnehme, wäh- man es trotzdem, sonst sieht man gar nichts. rend ich mich im Glas erblicke, ganz wirklich macht und mit dem Man muss sich anstrengen, dann wird man ganzen Umraum verbindet und daß er ihn zugleich ganz unwirklich belohnt. Wir blicken in den Spiegel, der scho- macht, da er nur über den virtuellen Punkt dort wahrzunehmen nungslos bewusstwerden lässt, wie wir über ist.“ die kleinsten Dinge der menschlichen Existenz stolpern. Das Leben ist kein Beinbruch, eher Nach diesem Einstieg enthalten wir uns einer tieferen Bewertung eine Laufmasche, die oft von den Stimmen der gesammelten Sichten und überlassen das folgende Kaleidoskop Anderer verursacht wird. Insofern müssen uns aus Selbstbild und Außensicht den Lesern. auch diese von Bedeutung sein.

Vorab jedoch eine Nachfrage bei Michel INSIDE Foucault, was es denn nun mit dem Spiegel auf sich hat: „Der Spiegel ist nämlich eine Wo werbewirksam ‚Architektur‘ draufsteht, soll Architektur drin Utopie, sofern er ein Ort ohne Ort ist. Im sein. Und das können nur Architekten gewährleisten, also als Spiegel sehe ich mich da, wo ich nicht bin: solche in die Architektenliste eingetragene Personen. So entschied in einem unwirklichen Raum, der sich virtuell erfreulich klar kürzlich auch ein hohes Gericht. hinter der Oberfläche auftut; ich bin dort, Sinah Marx, Stellvertretende Geschäftsführerin und Stellvertretende wo ich nicht bin, eine Art Schatten, der mir Justiziarin der Hamburgischen Architektenkammer meine eigene Sichtbarkeit gibt, der mich mich erblicken läßt, wo ich abwesend bin: Utopie Es macht uns doch aus, ein Ganzes zu schaffen. Je mehr unser Tun des Spiegels. Aber der Spiegel ist auch eine in Teilleistungen oder einzelne Leistungsphasen zersplittert wird, Heterotopie, insofern er wirklich existiert und je komplexer der Planungsprozess durch die Mitwirkung zusätz- insofern er mich auf den Platz zurückschickt, licher Experten und Sonderfachleute wird, je undurchsichtiger das

19 Dickicht der Normen und Regelwerke, umso weniger wird man in Verfremdung, als edge-design. Für uns zählt uns den Architekten erkennen. Stau vor dem Spiegel! das immer einzigartige Objekt – Ihr Objekt. Annemarie Bosch, Architektin, Wir treten ein: für eine Architekturtranspa- renz, die die Funktion der Gebäude offen legt. Die Architektur wird von jeher durch zwei gegensätzliche Extreme Die entmystifiziert, die schreit, wenn es in ihr beherrscht: eine Avantgarde voller verrückter Ideen aus Philosophie laut wird und die schweigt, wenn sie nicht oder Mystik und durch straff organisierte Beraterfirmen, die vor- gefragt ist. hersagbare, langweilige Schachteln von hohem Standard errichten. Homepage Stenger2 Die Architektur befindet sich anscheinend in einer Zwickmühle: entweder naiv utopisch oder lähmend pragmatisch. Wir glauben Wir verweigern uns den traditionellen, jedoch, dass es zwischen diesen diametralen Gegensätzen einen virtuellen und wirklichen Grenzen in der dritten Weg gibt: eine pragmatische utopische Architektur, die Arbeitswelt und sind so in der Lage mehr das konkrete Ziel verfolgt, sozial, ökonomisch und umweltmäßig Möglichkeiten und eine sich ständig ausdeh- perfekte Orte zu schaffen. BIG bemüht sich um die Schnittmenge nende Palette an Lösungen in unserer Arbeit zwischen Radikalem und Realem. anzubieten. Unerwartetes, überraschende Manifest von BIG, Klappentext zu ,,Yes is more!“ Missverständnisse, globaler Transfer räum- licher Qualitäten und die Produktion robuster Stenger2 steht für die Offenheit gegenüber der Aufgabe, ohne Bastarde – eine Architektur entstanden aus Konvention und ideologische Scheuklappen. Wir sind Teil eines ihren Umständen, die nur durch das GRAF- vielgestaltigen Netzwerks von starken Partnern, Bauherren und TEN verschiedener Realitäten möglich war. Freunden. Architektur ist für uns übergreifende Metastruktur. Sie Verstreut über die Kontinente, interdisziplinär bildet Raum, nimmt – über das Offensichtliche und Geschmäck- und in verschiedenen Erfahrungshorizonten lerische hinaus – subversiv und unbemerkt auf den Menschnutzer befindlich, ist in jeder Phase in jedem Projekt Einfluss. Als Architekten tragen wir die Verantwortung, damit von GRAFT etwas Bodenständiges sowie auch keinen Schaden anzurichten. Die Architekten von Stenger2 sind Fremdes beherbergt. Die konsequenten Ver- aufgewachsen in den 1980er Jahren, einem verwöhnten Jahrzehnt bindungen und Nachbarschaften produzieren der Orientierungs- und Reibungslosigkeit – und einer damit einher- und mutieren aus diesem Reichtum des Pro- gehenden Professionalisierung des Massenkonsums. Welche Rolle zesses, dieses inspiriert uns, treibt uns an und spielt diese Vergangenheit in unserer täglichen Praxis? Wir glauben ist der Grundstock aller Arbeit von GRAFT. Im heute an das Einfache – aber vielschichtig, mehrdeutig. Auch als Kontext der formal experimentierenden Ar-

20 chitekturszene zählt GRAFT zu jener international ausgezeichneten beeindrucken und in Erinnerung bleiben. Garde, die mit einem erweiterten und amorphen Formvokabular Homepage POOL LEBER ARCHITEKTEN experimentieren und sich mit neuen Möglichkeiten der Parametri- Isabella Leber, Martin Pool sierung von Volumen und Raum auseinandersetzen. Dies schließt die Gleichzeitigkeit verschiedener formaler Haltungen, Prinzipien des Fügens, des Hybridisierens und einer Methodik des Entwerfens OUTSIDE im Team genauso ein, wie die kulturelle Offenheit eines Büros, das heute auf drei Kontinenten in einer Vielzahl unterschiedlicher Die Architektur ist sicherlich derjenige Bereich Gesellschaften arbeitet und baut. der modernen Gesellschaft, in dem eine kre- Homepage GRAFT ativistische Haltung mit einer kaum zu über- schätzender Wirkung für die Lebenswelt kulti- Das Spannungsfeld zwischen rationaler Struktur und poetischem viert wurde und wird. Architekten sind in ihrer Ausdruck ist die Grundlage unseres Entwurfsprozesses, bei dem zur Massenwirksamkeit avancierten Disziplin Wissen ebenso notwendig ist, wie die Fähigkeit, Dinge neu und zumindest in der ersten Hälfte des 20. Jahr- anders zu denken. Die Bearbeitung verschiedenster Bauaufgaben, hunderts wesentliche Träger dieser Dispositi- vom Wohnungsbau über Museumsbauten bis zu Verkehrsbauten, on, Vorreiter einer neuen, „experimentellen“ in unterschiedlichen städtischen, ländlichen und kulturellen Kontex- Lebenshaltung (Robert Musil) und zugleich ten, mit privaten wie öffentlichen Bauherren hat unseren Umgang auch Gestalter von Räumen für das Leben. Im mit den komplexen Herausforderungen des Bauens geprägt, lebensphilosophischen Denken wäre Architek- verändert und erweitert. Wir lassen uns von dem Vorgefundenen - tur als ein aktives Element zu begreifen; wie dem Ort, der Aufgabe und dem Bauherrn - inspirieren und leiten, auch als Einbruchstelle der kreativen Imagina- um zu charaktervollen Entwürfen zu gelangen, die den Ort stärken tion von Gesellschaft. Statt Architektur als ein und dort fest verankert sind. Das ausgewogene und symbiotische Abziehbild des Sozialen zu verstehen, würde Zusammenführen von technischen und räumlichen Entwurfsa- man dann sagen: in der Architektur erschafft spekten soll zu angemessenen und selbstverständlich wirkenden sich das Soziale je auf unvorhersehbare Weise architektonischen und städtebaulichen Strukturen führen. Wir neu. Es geht um die Emergenz einer je neuen verstehen Architektur als einen kreativen und integrativen Prozess, Gestalt des Gesellschaftlichen und um die mit kultureller, sozialer, ökologischer und technischer Verantwor- Emergenz von Aktionen und Funktionen: tung, deren Ziel es ist ausdrucksstarke Orte mit hoher Identifikation und Verknüpfung zu schaffen, die durch Material, Licht und Raum

21 „bauen“ wäre dann in der Tat als „gestalten von lebensvorgän- selten die fest gemauerten eigenen Lebens- gen“ zu begreifen (Gropius 1927). entwürfe der jeweiligen Architekten. Delitz, Heike, Soziologin, aus ihrem Beitrag Architektur, Artefakt, S. H., Künstler, Seebruck Kreativität: Herausforderungen soziologischer Theorie

Eine fachgerechte Betreuung von der Planung bis zur Fertigstellung der Bauten, eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Fachpla- nern und Handwerkern sind die Grundlagen für ein stimmiges Ergebnis einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen dem Bauherrn und dem Architekten. C. M., Schreinermeister, Stöffling

Der Architekt ist ein 3-dimensionales Wesen: 1/3 Künstler, 1/3 Baumeister, 1/3 Schlaumeister. W. D., Erzählerin, Gräfelfing

Ein guter Architekt ist einer, wenn mit ihm nach der Fertigstellung des Bauwerks eine dauerhafte Freundschaft entsteht. Dr. H. B., Ökonom, Pullach an der Isar

Architekten sollten Räume komponieren. Ihre Häuser wären dann so etwas wie gefrorene Musik. Dr. M. S., Philosoph, München

Architekten haben immer die nicht einfache Aufgabe, ihre Haus- und Wohnungsentwürfe mit den Lebensentwürfen der bekannten oder unbekannten späteren Bewohner in Einklang zu bringen. Die größten Stolpersteine auf dem Weg dahin sind jedoch nicht

22 LAUTER ALTE BEKANNTE? umsehen: Die Michaelskirche variiert Il Gesù in Rom, Friedrich von Irene Meissner Gärtner „kopierte“ mit dem Siegestor den Konstantinbogen in Rom und mit der Feldherrnhalle die Florentiner Loggia dei Lanzi, Architekten ziehen vielfach landauf und am Max-Joseph-Platz variierte Leo von Klenze mit dem Königsbau landab mit Werkberichten, mit denen sie ihre der Residenz den Palazzo Pitti und mit der gegenüberliegenden Arbeiten vorstellen, allerdings zumeist ohne Residenzpost Filippo Brunelleschis Florentiner Findelhaus, die Pro- Verweis auf ihre Anregungen und Vorbilder pyläen Klenzes am Königsplatz nehmen Bezug auf den Torbau der und ohne Reflexion darüber, in welcher Tradi- Athener Akropolis. Der Rathausturm von Georg von Hauberrisser tion ihre Entwürfe stehen. Umso spannender ist nach dem Vorbild des Rathauses in Brügge gestaltet, beim Ju- war die von Uta Graff und Dietrich Fink im stizpalast orientierte sich Friedrich von Thiersch an österreichischen Sommersemester 2018 organisierte Vortrags- Barockklöstern, das „Schwarze Haus“ der SZ von Detlef Schreiber, reihe „architects on architects“ der Fakultät Herbert Groethyusen, Gernot Sachsse (2009 abgerissen) adaptiert für Architektur der Technischen Universität Mies van der Rohe und das Münchner Olympiagelände ist Frei München, in der sich heute praktizieren- Ottos kühner Zeltkonstruktion auf der Weltausstellung in Montreal de Architekten mit Werk und Theorie von nachempfunden. Das Wellenmotiv der Stützen an der Maxburg Architekten auseinandersetzten, die sie als von Sep Ruf und Theo Pabst ist eine Reminiszenz an Alvar Aalto, Vorbilder anerkannten. und die Rotunde in Stephan Braunfels’ Pinakothek der Moderne zi- tiert Schinkels Altes Museum. Die Beispiele lassen sich fast beliebig Wie für jede Gestaltung gilt auch für die erweitern. Die Zeitschrift Bauwelt zeigte einmal über viele Monate Architektur, dass sie aus einem Traditionskon- auf ihrer letzten Seite die „Anleihen“ moderner Architekten mit tinuum erwächst, und dass nur selten wirklich Verweis auf die Vorbilder, und Max Bächer schrieb, dass „der Arm Neues erfunden wird: „Nil novum sub sole“, erlahme, würde man all die Bekannten begrüßen wollen, die an das wussten schon die alten Römer. Dies zeigt den Haupt- und Nebenstraßen der Architekturszene aufgereiht jeder Blick in die Architekturgeschichte, die stehen und die man schon bei anderer Gelegenheit kennengelernt voll ist von Anleihen, Kopien, Referenzen, Va- hat.“ rianten und Zitaten, das gilt nicht nur für die Epoche des Historismus und die Postmoderne. Das Lernen nach Vorbildern ist ein Vorgang, der zum menschlichen Um davon Kenntnis zu erlangen, braucht Wesen gehört. Die Ausbildung von Architekten und Künstlern man gar nicht in die Ferne zu schweifen, basierte jahrhundertelang auf dem Abzeichnen und Kopieren von sondern muss sich nur einmal in München Vorbildern, die für die jeweiligen Zeitgenossen exemplarischen

23 Rang hatten. Auch an der Münchner Akade- Ruf, den er offensichtlich schätzt, würde er eine Ausnahme mie der Bildenden Künste und an der Tech- machen. nischen Hochschule wurde über 100 Jahre lang nach einer Vorbildsammlung zuerst In München sprachen unter anderem Arno Lederer über Sigurd einmal kopiert, um Bautypen und Proporti- Lewerentz, an dessen Werk ihm die Verwendung des Materials onen zu erlernen. Aus dieser Vorbildsamm- Backstein fasziniert, Hans Kollhoff über seinen Lehrer und Mentor lung erwuchs die Plansammlung des heutigen Oswald Mathias Ungers, Mario Botta über Louis I. Kahn, bei dem Architekturmuseums. In der Architektenaus- er als Student an dem Entwurf für den Palazzo dei Congressi in bildung gehört das Arbeiten mit Referenzen Venedig gearbeitet hatte, Donatella Fioretti, die mit Piero Bruno heute zu einer anerkannten didaktischen und José Gutierrez Marquez das Dessauer Meisterhaus von Walter Lehrmethode. Schon Johann Wolfgang von Gropius „rekonstruierte“, über Gropius und László Moholy-Nagy Goethe fragte: „Was kann die Nachwelt den- und Christian Kerez über Francesco Borromini, den er als einen ken, was nicht die Vorwelt schon gedacht?“ ihn faszinierenden Architekten bezeichnete, der „bestehende Vincenzo Scamozzi und Inigo Jones führten Gesetze weiterführt und an ihre Grenzen treibt“. Als Nachtrag die Ideen Andrea Palladios fort, Frank Llyod zu den Vorträgen ist nun ein Buch erschienen, das die zuvor, Wright fühlte sich im Büro von Louis Sullivan „privat“ geführten Gespräche dokumentiert. Eingeleitet wird das nur als „der Bleistift in der Hand seines lieben lesenswerte Werk von einem Beitrag von Mauro Marzo über die Meisters“, Mies van der Rohe zitierte Karl „Lesarten der Architektur“. Anhand einiger Fallbeispiele – wie die Friedrich Schinkel, Tadao Ando studierte und Beschäftigung Aldo Rossis mit Étienne Louis Boullée und Giorgio vermaß die Bauten von Le Corbusier, auf den Grassi mit Heinrich Tessenow – zeigt Marzo auf, wie sich entwer- sich auch die „New York Five“ um Richard fende Architekten dem Werk eines anderen Architekten nähern, Meier beriefen, Aldo Rossi übte Einfluss auf um daraus wieder Rückschlüsse auf die eigene Arbeit ziehen zu eine ganze Generation Schweizer Architekten können. Diese Betrachtungsweise ist nicht von einem historischen aus, er selbst verehrte Étienne Louis Boullée, Ansatz, sondern von einem gestalterischen Anliegen geleitet. Peter Alvaro Sizà setzte sich intensiv mit Alvar Aalto Eisenman beispielsweise fand in der Analyse von Guiseppe Terrag- und Rem Koolhaas mit El Lissitzky auseinander nis Casa del Fascio den Schlüssel zu seinem neuen interpretativen und Sep Rufs großes Vorbild war Mies van der Entwurfsansatz der Dekomposition. Rohe. Als Peter Zumthor Mitglied in der Sep Ruf Gesellschaft wurde, schrieb er, für Sep Wer mehr über Architekten und ihre Referenzen und Herangehens- weisen erfahren möchte, der sollte zu diesem Buch greifen. Was

24 Christian Kerez über Borromini sagte, kann auch als Quintessenz VERKEHRTE WIRKLICHKEIT der Auseinandersetzung mit Vorbildern gelesen werden: „Bereits Hans Schuller Bekanntes wird aus einem völlig neuen Zusammenhang gedacht und in dem Sinne wird unsere Wahrnehmung erweitert.“ Ich erinnere mich noch gut an meinen Selbst- versuch vor über 40 Jahren, mich mit einem architects on architecs, hrsg. von Dietrich Fink, Uta Graff, Nils gewöhnlichen Spiegel (ca. 40/50 cm) dem Rostek und Julian Wagner, München 2019 Thema „Raum und Wirklichkeit“ anzunähern.

Spiegel waagrecht auf Brusthöhe halten, parallel zur Decke gerichtet, darauf achten, dass das Gesichtsfeld möglichst nur aus der Spiegeloberfläche besteht, wenn man nun hineinblickt. Und los geht´s: der Spaziergang durch die eigene Wohnung. Wo man sonst auf den Boden blickt, sieht man nun die Decke, die obere Hälfte der Wände/Bilder/Fen- ster. Altvertraut, aber irgendwie verkehrt: De- ckenleuchten wachsen wie Pilze vom Plafond empor. Achtung! Türsturz in Sicht: man hebt das Bein und schreitet über die vermeintliche Schwelle. Doch man gewöhnt sich erstaun- lich schnell an die neuen Perspektiven, bis man vom Übermut gepackt zur Haustür geht, diese öffnet und plötzlich einen unendlichen Abgrund vor sich hat: den Himmel. Man weicht zurück, um nicht hinauszufallen ins Himmelsnichts. Man legt den Spiegel zur Seite und fühlt sich plötzlich wieder erdenschwer, und die unsichere Leichtigkeit des Schreitens ist schlagartig verflogen.

25 Hätte ich dieses Experiment mit meinem Spie- Wieviel Wirklichkeitsnähe zeigen da die alten Märchen, die in gel noch mehrere Tage weitergespielt, hätte ihrem verträumten „Es-war-einmal“-Duktus stets den Tod und die mir mein Gehirn diese Art der Wahrnehmung Grausamkeit der Menschen einflechten, um zu zeigen: Ruhe finden als die „Wirklichkeit“ angeboten, so wie es wir nur in unserer Phantasie, nicht im wirklichen Leben. amerikanische Psychologen in Versuchsreihen mit einer Winkelspiegelbrille in den 1930er Bei diesen Gedanken fühlt man sich wieder erdenschwer, wie vor Jahren des letzten Jahrhunderts mit ihren 40 Jahren, und die Leichtigkeit des Seins ist mal wieder schlagartig Probanden nachgewiesen haben. verflogen.

Wenn also meine Wahrnehmung anpassungs- fähig ist und aktiv an meinem Bild der Wirk- lichkeit mitwirkt, was ist dann die Wirklichkeit überhaupt? Und wie „wirklich“ ist sie? Sehen wir zum Beispiel ein Bauwerk alle gleich? Oder macht sich nicht jeder nur sein Bild von der Welt?

Und kann man heute den Bildern noch trau- en, die uns vorangestellt werden, als „Spiegel unserer Zeit“? Besteht unser Leben im Grun- de denn nicht nur aus Reflexionen? Sind die Spiegelbilder unserer Wirklichkeit nicht wie die tanzenden Schatten in Platons Höhlen- gleichnis? Was ist noch wirklich in einer Welt der Virtual Reality? Wollen wir noch Wirk- lichkeit – oder lassen wir uns nicht viel lieber von einer schmusewarmen, rosaleuchtenden Scheinwirklichkeit einlullen, als hätten wir unsere Plazenta im Mutterleib nie verlassen.

26 Fotos: Gerhard Hagen

MARIA WARD SCHULE, I Architekten: PECK.DAAM, München JEDES PROJEKT EIN UNIKAT.

Sandfarbene Klinker stellen bei der Erweiterung der Maria- HOCHWERTIGE FASSADEN Ward-Schule in Bamberg den Bezug zu den umliegenden Sand- stein- und Putzfassaden her. Feine Unregelmäßigkeiten in der Oberfläche des Klinker- und Fugengewebes sorgen für ein leben- MIT GIMA KLINKERN. diges Licht- und Schattenspiel bei diesem Neubau. GIMA - über 100 Jahre führend in Qualität, Innovation & Service.

www.gima-ziegel.de I [email protected] REFLEXIONEN aus. Grelle, fluoreszierende und phosphores- Erwien Wachter zierende Farben gehören zur Skala der Mittel. In psychedelischen Zeichnungen und Male- Ein Blick zurück sei erlaubt. Na ja, die „Alt-68er“ wird hier mancher reien finden sich zudem oft sehr detaillierte denken und sein Bild dieser Generation vor Augen haben. Verfrüht und stark stilisierte Figuren sowie verschwim- vielleicht, denn der Rest der Erinnerung oder der gängigen Erzäh- mende und sich immer neu bildende orga- lung ist kaum in der Lage, das damalige Geschehen umfassend zu nische Formen. beschreiben. Und, wie geläufig sind sie eigentlich noch, die vielen, vornehmlich aus dem englischsprachigen Raum stammenden Nun zur Sache. Ende der 1960er Jahre bekam Undergroundkünstler, die Designer, Maler, Schriftsteller und die ich kurz nach Abschluss meines Studiums Musiker, die sich in jenen Tagen auf die gegenkulturelle Bewegung eine besondere Aufgabe: Ich sollte im pro- der 1960er Jahre beriefen? Wer weiß denn heute noch, dass die visorischen Modern Art Museum – einem psychedelischen Erfahrungen der Beat-Generation und der Hippie- Vorläufer des von Gunter Sachs ambitioniert bewegung in eine psychedelische bildende Kunst als Pendant zum geplanten Museums für Moderne Kunst in Psychedelic Rock umgesetzt wurde. München – eine Ausstellung der aktuellen Werke des New Yorker Malers Peter Max Um genau diese psychedelische Kunst und deren Präsentation im gestalten. Peter Max war damals einer der konkreten Fall soll es hier gehen. Wobei wir beim Spiegel wären bekannteren Künstler der psychedelischen – oder auch beim Spieglein an der Wand, der oder das im Fol- Malerei, dessen bedeutendstes Werk „Psy- genden eine wichtige Rolle spielen wird. Zwar ist psychedelische chedelic Cloud“ von 1967 heute im MoMA in Kunst keine eindeutig definierte Stilrichtung der Gegenwartskunst. New York zu sehen ist. Was für eine Aufgabe: Dennoch hat sie durch die experimentelle Verwendung bewusst- in einer Traglufthalle – das war das proviso- seinserweiternder Drogen einen eigenen Stellenwert, deren verar- rische Museum – ohne Wände und Beleuch- beitete Sinneseindrücke in bildender Kunst, in Film, Musik und in tung psychedelische Kunst auszustellen. Hier der Literatur eine zusätzliche Stimulanz bieten. In der Kombination wird vielleicht der Umfang der vorangestellten aus akustischer und visueller Reizüberflutung kann psychedelische Ausführungen deutlich, die den Gestaltungs- Kunst nicht nur den Eindruck einer Drogenerfahrung simulieren. überlegungen notwendigerweise vorausgehen Diese Kunstrichtung zeichnet sich in der Regel auch durch eine mussten. kontrastreiche Verwendung von kaleidoskopartigen Strukturen, Fraktalen, Labyrinthen, Spiralen und meist heftigen Farbkontrasten

28 Die Bilder an Stellwände zu hängen, versagte sich von selbst – zu Information des Lichts simuliert die Anwe- normal, zu banal, um die ihnen innewohnende Stimulanzkraft senheit des Menschen im Raum: allerdings und das Reizpotential der Bilder adäquat mit dem Betrachter zu nicht da, wo er ist, sondern lässt ihn Teil einer konfrontieren. Die Wirkung der Bilder und die Wahrnehmung der räumlich wirkenden Instanz der Ausstellung Betrachter sollten sich gegenseitig in Schwingungen versetzen, und selbst werden. zwar im amorphen Raum einer düsteren Traglufthalle, der jegliche Orthogonalität für eine klassische Hängung von Bildern fehlte. Der Mensch ist das Wesen, das sich pausen- Betrachter und Bild, Bild und Betrachter, Bild und Gegenbild, Bild los selbst bespiegelt, nicht zuletzt, weil es an und andere Bilder in einer Wechselbeziehung zueinander – diese seine eigene Bedeutung glauben will. Das Vorstellung einer psychedelischen Stimulanz des Betrachters im Selbst wird hier jedoch Teil einer komplexen Grenzbereich von überbordenden Reizen aus Farben und Formen Bildkomposition der Diversität. Das Ich und begann Gestalt anzunehmen. Gleich psychotroper Stimulantien, das andere werden zum Forschungsfeld der wie durch das zur damaligen Zeit schon bekannte LSD, sollten sich Selbstbestimmung. Die Mehrseitigkeit von unerwartete Farben- und Formenspiele entfalten, die sich hinter Betrachtung, von Selbstbetrachtung, von geschlossenen Augen in kaleidoskopartig sich verändernden bunt- Wirkung und Gegenwirkung, von Wahrneh- phantastischen Gebilden entwickeln. men und wahrgenommenen Werdens fordert Antworten heraus, die im Wandel einer Be- Hier kommen nun die Medien Spiegel und Licht ins Spiel. Frei in wegungsdynamik initiiert werden. Die akzen- den Raum gestellte Spiegelplatten werden als Reflexionsstruktur tuierenden Spots steigern die Durchdringung zum Bildträger. Den Bildern zugeordnete Spots hauchen ihnen Le- multipler Bildebenen des Davor und Dahinter ben ein und heben sie aus dem Dunkel des Raumvolumens in einen in der dunklen Hülle des Raums zur Inszenie- Zyklus von Gegenübern. Spiegel sind, wenn wir einmal ehrlich sind, rung des Hinsehens und angesehen Werdens, Blickfänger, und wir ertappen uns immer wieder dabei, unser Au- fern von jeglicher Eitelkeit. genmerk darauf zu richten. Was aber sehen wir? Was unterschei- det die Wahrnehmung des eigenen Bildes von einem vielschichtig Das Geschehen im Gegenüber einer im Licht sich überlagerndem Hintergrund? Das kaleidoskopische Bild wird spiegelnden Oberfläche, vereint sich zu einer zur Verlockung, weckt das Interesse zum näheren Betrachten und vielschichtig sich zusammenfügenden Wahr- verführt zu einer Begegnung mit dem Selbst in einer sich wandeln- nehmung. Ein Standpunkt in Bewegung, zwei den Wahrnehmungswelt. Spiegel und Licht in ihrer Untrennbarkeit Standpunkte, viele Standpunkte, wechselnde verknüpfen Bild und Abbild gleichermaßen. Die zurückgeworfene Standpunkte, Wiederkehr von Scheinbar-

29 keiten, Ausdruck und Eindruck im Wechsel- IN EIGENER SACHE spiel, in wechselseitiger Begegnung und im Gegenseitigen zweier Wesen, vieler Wesen Die BDA Informationen 2.20 befassen sich mit dem Thema – alles Bestandteile einer Ausstellung, in der „Copyismus“. Und wie immer freuen wir uns über Anregungen, jeder Einzelne zum Teil der kaleidoskopisch über kurze und natürlich auch längere Beiträge unserer Leser. psychedelischen Bilderschau der Ausstellung wird. Ja, wie es euch gefällt, könnte man Redaktionsschluss: 25. Mai 2020 sagen.

LESERBRIEF EIN GRUSS AUS MÜNSTER

Hallo liebe Kollegen,

es ist an der Zeit, dass ich mich wieder einmal bei Ihnen für die stetige treue Versorgung mit den braunen Heften bedanke, die ich immer gerne lese, obwohl ich mit nun bald 92 Jahren aus dem ak- tiven Berufsleben etwas heraus bin. Mit Wünschen für ein gesun- des, friedliches, freiheitliches Jahr 2020 bin ich Ihr

Ulrich Schmidt von Altenstadt

30 BRISANT eine Nachverdichtung die Bruttogeschoßfläche von 164.000 Qua- dratmeter um bis zu 52,4 Prozent auf 210.000 bis 250.000 Qua- dratmeter erhöht werden kann. (1) Spätestens bei dieser Aussage sollte es klar sein, dass nun das weitere Geschehen von der Öffent- lichkeit wachsam verfolgt werden muss.

Der am Rande des Englischen Gartens unter der Federführung von Sep Ruf konzipierte Tucherpark (1971–1976 um Bauten von Uwe Kiessler und 2013–2015 von Hild und K Architekten erweitert) ist eine Insel im Grünen, ein einzigartiges Beispiel aus den späten 1960er-Jahren für einen Büropark in Verbindung mit Skulpturen MONOPOLY IM TUCHERPARK im Außenraum. Das weitläufige Areal mit einem „Sportparadies“ Irene Meissner für die Angestellten und schicken amerikanischen Großraumbüros rief bei der Fertigstellung Bewunderung hervor, und die glamou- Im Dezember letzten Jahres wurde mit dem röse Luxusherberge Hilton, deren Eröffnung 1972 sogar die New Verkauf des Münchner Büroquartiers „Am York Times ankündigte, wurde gefeiert als ein Stück Amerika, das Tucherpark“ an die Commerz Real und den den internationalen Jet-Set nach München brachte. Die modernen Projektentwickler Hines einer der größten Glaspavillons von Sep Ruf und von Uwe Kiessler repräsentierten Finanzdeals von Gewerbeimmobilien in der den damals bewunderten American Way of Life und dienten auch Geschichte der Bundesrepublik publik. Wie in den 1970er- und 1980er-Jahren ein Dutzend Mal als Kulisse für den Medienberichten zu entnehmen ist, soll Episoden der Krimi-Serie Derrick. das 15 Hektar große, unter Landschaftsschutz stehende Areal nachverdichtet und in den Die ersten Büroparks siedelten sich Anfang der 1950er-Jahre in den kommenden Jahren weiterentwickelt werden, USA an der Peripherie der Städte an und dieser Bautyp breitete sich unter anderem heißt es, es soll im Englischen rasch auch in Europa aus. Im Zuge des von grenzenloser Wachs- Garten geförderter und somit bezahlbarer tumseuphorie und technischem Fortschrittsglauben getragenen Wohnraum geschaffen werden. Im Vorfeld deutschen Wirtschaftswunder wichen vielerorts Großkonzerne auf hatten die Eigner, die TIVOLI Grundstücks AG Lagen am Stadtrand mit guter Verkehrsanbindung aus. 1959 fiel und die HypoVereinsbank, eine Potential-Ana- der Beschluss zum Bau der City Nord in Hamburg und 1961 für die lyse beauftragt, mit dem Ergebnis, dass durch Bürostadt Niederrad im Süden von Frankfurt am Main. Etwa zeit-

31 gleich wurde die Entscheidung zur Errichtung sowie als Anschluss zur projektierten John-F.-Kennedy-Brücke, einer Bürosiedlung am Rande des Englischen über die der 1963 fertiggestellte Isarring als Teilstück des Mittleren Gartens getroffen. Im Gegensatz zu den Rings führt, wurde parallel zur Isar die Ifflandstraße ausgebaut. Der Büroquartieren in Hamburg und in Frankfurt Isarring war zur Entlastung des stark wachsenden Verkehrs als eine zeichnet den Tucherpark aus, dass er nur 2,5 breite Schneise durch den Englischen Garten geschlagen worden. Kilometer vom Stadtzentrum entfernt liegt, Über diesen Kahlschlag in einem der bedeutendsten deutschen und dass dort ein harmonisches Zusammen- Landschaftsparks regte sich seinerzeit kaum Widerstand. Die Deut- spiel von Gebäuden und umgebender Park- sche Akademie für Städtebau und Landesplanung (Landesgruppe landschaft geschaffen wurde. Bayern) hatte sich zwar Mitte der 1950er-Jahre kritisch mit den Gefahren, die dem Englischen Garten durch eine moderne Stadt- Die Errichtung des Tucherparks geht auf eine entwicklung drohe, auseinandergesetzt, doch blieb dieses detail- Initiative von Christoph Freiherr von Tucher lierte Plangutachten weitgehend unbeachtet. Auch die konkrete – 1959–1968 Vorstandssprecher der Baye- Empfehlung der Akademie „das Gelände der Tivoli-Mühle links rischen Vereinsbank – zurück. Um die Ban- und rechts vom Eisbach unbedingt von einer weiteren Bebauung kenzentrale an der Kardinal-Faulhaber-Straße freizuhalten“, zeigte keinerlei Auswirkung. zu entlasten und als erste deutsche Bank ein technisches Zentrum für die elektronische Da- Das Tivoligelände, als Landschaftsschutzgebiet und im Flächennut- tenverarbeitung zu errichten, wurde ein neuer zungsplan als Grünfläche ausgewiesen, wurde zunächst westlich Standort gesucht. Die Wahl fiel auf das west- des Eisbachs in ein Kerngebiet umgewandelt, damit es mit der ge- lich der Ifflandstraße gelegene Tivoligelände, planten Bankenverwaltung überbaut werden konnte. Ein Großteil durch das der Eisbach fließt. Das nur mit der Gebäude wechselte mittlerweile die Besitzer und wurde saniert, einer Getreidemühle und den dazugehörigen darunter vorbildhaft und nur mit minimalen Eingriffen 2012 das Nebengebäuden bebaute Gelände befand sich Verwaltungsgebäude der Bayerischen Vereinsbank von Peck Daam im Besitz der Aktiengesellschaft Kunstmühle Architekten. Tivoli, deren Haupteigner die Bayerische Ver- einsbank war. Diese versprach sich durch eine Der Verkauf des Tucherparks und die angedachte Weiterent- neue Verwertung des wertvollen Grundbe- wicklung ruft große Besorgnis hervor. In der 1999 erschienenen sitzes eine höhere Rendite. Der Betrieb wurde München-Edition des populären Spieleklassikers Monopoly (siehe kurzerhand eingestellt und die Mühle im Mai BDA Informationen Bayern 4/2019, S. 13f.) sind die teuersten Stra- 1969 gesprengt. Zur Erschließung des Areals ßen nicht die Schlossallee und die Parkstraße, sondern die Maximi-

32 lianstraße und der Tucherpark. Dass dies auch Versäumnisse der Gegenwart“ fest, dass die Stadt wiederholt der Realität entspricht, belegt nicht nur der potenten Wirtschaftsunternehmen zuliebe ihre eigenen entwick- erzielte Rekordpreis von 1,1 Milliarden EUR lungspolitischen Ziele aufgegeben hatte. Unter seinen zahlreichen beim Verkauf des Areals im Dezember 2019, zusammengetragenen Beispielen befand sich auch der Tucherpark, sondern auch eine im Herbst 2019 annon- dessen Grundstücke sukzessive zu Kerngebieten umgewandelt cierte Mietofferte für eine luxuriöse 5-Zimmer- und dazu immer wieder neue Bebauungspläne mit immer höheren Etagen-Wohnung im 2015 von Hild & K neu Geschossflächenzahlen genehmigt worden waren. erbauten Wohnkomplex „Tivoli Garden“, die mit 269 qm für 13.000 EUR Miete/pro Monat Weiteren Eingriffen in das unter Denkmalschutz stehende und als zuzüglich Nebenkosten und Tiefgaragenstell- Landschaftsschutzgebiet ausgewiesene „Gartenbau-Kunstwerk“ platz angeboten wurde. (1) Die Wohnung ist Tucherpark sollte jetzt prinzipiell entgegengewirkt werden. mittlerweile vermietet. Damit kann im Luxus- segment Tucherpark mit 48,33 EUR/qm die 2,5fache Miete gegenüber dem im Dezember (1) HV-Bericht Tivoli Grundstucks AG, veroffentlicht bei www.gsc- 2019 in München bei durchschnittlich 19,34 research.de, https://veh.de/sites/default/files/2019-08/HVTivoli2019. EUR/qm liegenden Mietpreis für eine 100 pdf (Abruf: Dez. 2019) qm große Wohnung erzielt werden. Schwer (2) Duken & v. Wangenheim AG, Münchens Bestlagen, Immobilien vorstellbar, dass nun im Englischen Garten Herbst 2019, S. 64 Sozialwohnungen entstehen sollen.

Um die Demokratisierung der Landschaft wurde viele Jahre gerungen und inzwischen sind Grünanlagen als ein wesentlicher Kultur- gewinn für die Bewohnbarkeit von Städten erkannt. Nur durch bürgerschaftliches Enga- gement kann es also gelingen, den Begehr- lichkeiten der Investoren auf öffentliches Grün zu begegnen. Bereits 1992 hielt der Münchner Architekt Meinrad von Ow in einer Dokumentation „Sünden der Vergangenheit,

33 DAS BAUEN IM WÜRGEGRIFF liegen auf Konten, von denen sie nicht abge- Ulrich Karl Pfannschmidt rufen werden, weil Planer, Handwerker, Bau- recht und Planungen fehlen. Trotz höchster Von Zeit zu Zeit geistert eine Zahl durch die Medien: 20.000, in Nachfrage stockt der Bau von Wohnungen. Worten zwanzigtausend Gesetze und Verordnungen, Erlasse und Was kann man noch tun, wenn nichts mehr Normen sollen das Bauen in der Bundesrepublik Deutschland verfängt? regeln. Wer hat sie gezählt? Stimmt die Zahl? Wir nehmen sie als stimmig an, weil wir es nicht besser wissen. Hier an einer Schraube, dort an einer Mut- ter zu drehen, nützt nichts mehr, die Sache Seit der Geburt des Bundesbaugesetzes vor sechzig Jahren und ist verfahren. Die Lage ist ernst, aber nicht der Bayerischen Bauordnung wenig später sind beide unzählige hoffnungslos. Zur Rettung braucht es einen Male überarbeitet und ergänzt worden. Jahr für Jahr lagerte sich Durchbruch, einen vollkommenen Kahlschlag. ein neues Sediment ab. Aus ihren ständig wachsenden Schich- Nur radikale Maßnahmen ohne Rücksicht auf ten sprossen saftige Triebe mit unendlichen Blüten von Erlassen, jederlei Interessen können helfen, ein Lexit Richtlinien und Verordnungen hervor. Normen und technische muss her. Baubestimmungen strebten geilwüchsig zum Licht, lianengleich ein Geflecht um den Kern der Regeln spannend, einander stützend Vorgeschlagen wird, in drei Schritten vor- oder widerstrebend, bis zur Undurchdringlichkeit. Welche Sau in zugehen. Im ersten Schritt wird jede zweite folgenden Jahrzehnten auch immer durch den Dschungel getrieben Vorschrift außer Kraft gesetzt, und zwar ohne wurde, sie hinterließ ihre Abdrücke im Bauwesen. Ansehen von Wert oder Bedeutung der Regel, sine ira et studio. Jede ist auf einen Zettel Üppiges Futter für Kommentatoren und Verlage, vom Fleiß der zu schreiben, der gefaltet in eine Tonne zu Parlamente gedüngt, nährt es zahllose Existenzen, die natürlich ihr werfen ist, aus der unmündige Kinder unter Biotop verteidigen. Eine geheimnisvolle Kraft bewirkt, dass jeder notarieller Aufsicht immer zwei auf einmal Versuch, den Dschungel zu lichten, die Regeln zu vereinfachen und herausholen sollen, von denen einer ungeöff- zu entschlacken, das Gegenteil erzeugt. Heute haben wir einen Zu- net in eine kleinere Tonne für die erhaltens- stand nahezu totaler Verstopfung erreicht. Planer, Architekten und werten geworfen wird. Der zweite geöffnete Ingenieure stehen ermattet auf dem Feld, Planungs- und Bauzeiten Zettel führt ohne Verzug zur sofortigen dehnen sich. Juristen haben das Heft in die Hand genommen, mit Vernichtung der aufgeschriebenen Vorschrift. dem sie heftig in der Luft herumfuchteln. Milliarden an Geldmitteln Im ersten Schritt würde sich die Zahl der Vor-

34 schriften auf die Hälfte von 10.000 vermindern, was man immer noch als unübersehbar einschätzen muss. Ein zweiter Schritt nach gleichem Verfahren könnte den Bestand auf 5.000 eindampfen. Einen dritten Durchlauf könnte ein Rest von 2.500 überleben. Wer glaubt, diese Maßnahmen erzeugten ein totales Chaos, irrt. Im Gegenteil, die Gesellschaft würde frischen Atem holen, Aktivitäten freisetzen und ein frohes Schaffen allenthalben hervorlocken. Ein Duft von Freiheit und Unternehmenslust würde sich über den Stät- ten der Arbeit, des Lebens und der Freude ausbreiten. Das Fehlen vieler Regelungen würde den meisten Menschen gar nicht auffal- len. Und wenn sich der unwahrscheinliche Fall tatsächlich ereignen sollte, dass sich eine Vorschrift als unbedingt notwendig erwiese, könnte sie als Ausnahme bis zu einem festen Verfallsdatum noch einmal in Kraft gesetzt werden.

Hilfreich wäre auch, im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland zu verankern, dass für jede Zustimmung zu einer gesetzlichen Regelung dem Abgeordneten ein monatliches Salär entzogen wird. Eine solch strenge Maßnahme sollte aber erst dann ergriffen werden, wenn der Dreisprung nicht fruchtet.

35 VOM BAUEN dem Film die Welt, um herauszufinden, wer aus der Stadt gepusht wird und warum. Ihre Recherchen führen sie unter anderem in eine Sozialbausiedlung im schwedischen Uppsala, wo auf einen Schlag mehrere Tausend Wohnungen den Besitzer wechseln, in das hippe Londoner Stadtviertel Notting Hill, wo viele Stadtvillen leer stehen, nach Berlin und Valparaíso, aber auch in das grüne Hinterland von Seoul oder in den New Yorker Stadtteil Harlem, wo ein Mieter für seine 70 Quadratmeter von einem auf den anderen Tag nicht mehr 2.400 sondern 3.500 Dollar zahlen muss. Zu Wort kommen neben verzweifelten Bewohnern auch die Soziologin Saskia Sassen, der Ökonom und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und der Schriftstel- PUSH – FÜR DAS GRUNDRECHT ler Roberto Saviano. Sie erklären anschaulich, wie die Verwand- AUF WOHNEN lung von Immobilien in Kapitalposten, die auf den Finanzmärkten Erwien Wachter verschoben werden wie Aktien oder Rohstoffe, innerhalb weniger Jahre zu einer weltweiten sozialen Krise geführt hat. Der Film „Push – Für das Grundrecht auf Wohnen“ in Arte widmete sich jüngst 90 „Ich glaube, es gibt einen riesigen Unterschied zwischen Woh- Minuten der weltweiten Problematik em- nen als Handelsware und Gold als Handelsware. Gold ist kein porschnellender Mietpreise. Nicht nur in den Menschenrecht, Wohnen schon“, ist das Fazit von Leilani Farha. Städten, sondern auch in anderen vitalen Deshalb habe sie „The Shift“ gegründet, ein internationales Ak- Ansiedlungen zwingen unerschwingliche, das tionsbündnis aus Bürgermeistern und NGOs, die versuchen, sich Einkommen strapazierende Mieten nicht nur der enthemmten Verwandlung von Wohnraum in Wirtschaftsgüter einkommensschwache Menschen, sondern entgegenzustellen. „‚Push‘: ein fesselnder neuer Film darüber, wie auch die des Mittelstandes und der Ober- das globale Finanzsystem die Mietkrise befeuert und Städte unbe- schicht zum Verlassen ihrer Wohnungen wohnbar macht.“ beziehungsweise sie werden aus ihnen ver- drängt. Gekürzte Fassung aus „The Guardian“

Leilani Farha, die UN-Sonderberichterstatterin für das Menschenrecht auf Wohnen, bereist in

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KEIM. farbEn für IMMEr. www.keim.com SEITENBLICKE nahe Arezzo gingen in den Besitz der Familie Medici über. Die Welt verdankt Poggio die Entdeckung von Schriften aus den Händen Ciceros, Vitruvs oder Tacitus’. Zu den bedeutendsten seiner Funde gehört die einzige gut erhaltene Fassung des Gedichts von Lukrez „De Rerum Naturae“, dessen philosophische Thesen an den Fun- damenten des Christentums rütteln, was ihm unverzüglich den ehrenvollen Eintrag in den Index der verbotenen Bücher einbrachte. Poggio war mit Papst Johannes XXIII. als Sekretär zum Konzil nach Konstanz gereist (1414-1418) und nach dessen und zweier weiterer Päpste Absetzung suchte er als Arbeitsloser bis zur Wahl des neuen Papstes Martin V. in Klöstern nördlich der Alpen nach SKULPTURENPARKS TEIL 1 Schriften antiker Autoren. Er hatte als erster um 1483 in seinem Ulrich Karl Pfannschmidt Garten Skulpturen aufgestellt, damals noch von seinen Freunden ausgelacht und verspottet. Eines Tages war es Cosimo Medici leid, jener unermesslich reiche Bankier in Florenz, Cosimo tat es ihm nach. Die Gärten boten ihm die ersehnte Erleich- bekannt unter dem Beinamen Il Vecchio. Er terung. Er begann antike Figuren in seinen Gärten aufzustellen. Die wusste nicht mehr wohin mit all den marmor- Schätze zogen aus dem Inneren der Bauten ins Freie. So schmück- nen Männern und Frauen in seinem Besitz. te ein Marsyas die Tür zu seinem Florentiner Schloss. Sein Enkel Die Paläste, Villen, Häuser und Höfe waren Lorenzo Medici, der Prächtige, erweiterte die Sammlung beträcht- voll mit römischen und griechischen Skulp- lich. Er kaufte eigens in Florenz an der Piazza San Marco ein Kasino turen, ganze Körper, halbe Körper, Glieder als Witwensitz für seine zweite Frau, in dessen Gärten er seine jeder Art. Unablässig aber boten ihm Schatz- umfangreiche Sammlung unterbrachte, die in Michelangelo beim gräber neue Funde an, die sie aus dem Schutt Zeichnen und Anschauen der Skulpturen den Wunsch weckte, der Jahrhunderte in Fülle ausbuddelten. Selbst Bildhauer zu werden. komplette Sammlungen hatte er gekauft, wie die des Florentiners Niccolo Niccoli. Auch die Der Gedanke, antike Statuen in Gärten aufzustellen, breitete sich Figuren des Gianfrancesco Poggio Bracciolini, aus. Wer es sich leisten konnte, folgte der Idee. Selbst der be- einem der namhaftesten Humanisten der Re- rühmte Maler Andrea Mantegna stellte 1476 bei seinem Hausbau naissance, aus dessen Landgut in Terra Nuovo in Mantua antike Statuen in den ovalen Innenhof.

38 Was die Medici in Oberitalien ins Werk Sie sind aber weit über die Bewahrung hinaus auch Grundlage für setzten, fand wenig später ein Echo in Rom. die Kunst der Renaissance geworden. An ihnen wird sichtbar, wie Der Kardinal Giuliano della Rovere sammelte aus Anschauung der Antike eine neue, der Gegenwart zugewandte unermüdlich. Als er 1503 zum Papst gewählt Kunst erwuchs. Manchmal wiegen die Nebenwirkungen mehr als wurde, überführte er seine hoch gerühmte die Hauptwirkung. Die Mächtigen der Renaissance kämpften mit Sammlung in den Vatikan, wo sie im Hof des allen Mitteln um die besten Bildhauer, wie heute um Fußballspieler Belvedere aufgestellt zum Kern der Vatika- gerungen wird. Wer unter Vertrag steht, wird mit jedem Mittel am nischen Sammlungen wurde. Was damals Weggang gehindert. Die Bildhauer nehmen sich den Menschen im Freien platziert wurde, steht heute unter zum Thema. Nackt und frei im Raum stehend, allseitig sichtbar Dach. Als Papst Julius II., genannt der Schreck- wird er dargestellt, wie Michelangelos monumentaler David vor liche, „ll Terribile“, gestaltete er Rom um im dem Palazzo Vecchio zeigt. Sanfte Bewegung wie der Kontrapost Geiste der Renaissance. Nach dem Abriss der des David wechselt mit heftig verschlungenen Stellungen nach dem alten Peterskirche beauftragte er Bramante Vorbild des kämpfenden Laokoons. mit der Planung für den neuen Petersdom, Raffael durfte die Wohnräume, die Stanzen So tritt allmählich die Plastik der Renaissance hervor und erobert des Vatikans mit Fresken zieren, Michelangelo sich einen Platz neben den antiken Stücken. Sie besetzen öffent- sollte die Sixtinische Kapelle ausmalen und liche Orte, Straßen und Plätze, dringen in die Gärten. Es spannt sein Grabmal gestalten. Prüderie war damals sich ein großer Bogen an Bildhauern von Michelangelo über Do- noch kein integrierter Teil der Theologie. Das natello, Cellini und andere hinaus bis zu Giovanni da Bologna, der Laub sank erst später auf die Hot Spots seiner unermüdlich für die Medici arbeiten musste. Skulpturen von ihm paradiesisch Nackten. Als kriegerischer Papst in den Boboli Gärten von Florenz zeigen das Neue in der Kunst, rüstete er zu seinem Schutz die Schweizer das über zwei Jahrhunderte auf die Werke der Bildhauer wirkt. In Garde auf. Die Sammlungen der Familie Me- der Renaissance wächst das Ideal des italienischen Gartens, der dici und des Papstes Julius II. sind die ersten im Barock volle Ausprägung findet und sich über Europa verbrei- Skulpturenparks, echte Museumsgärten. Ihr tet; in Deutschland kommt es erst später an, nicht zuletzt wegen Hauptzweck war zunächst die Bewahrung der des Dreißigjährigen Krieges, wie man in Veitshöchheim sieht. Der lange missachteten Skulpturen der Römerzeit. ideale Garten ist erst mit Skulpturen vollendet, die an wichtigen Sie waren authentische Zeugen antiker Kunst. Punkten und Achsen ihre Akzente setzen. Die Überzeugung, dass Dies allein ist aus musealer Sicht eine Tat von ein schöner Garten neben den Pflanzen, Wassern, kleinen Mauern, außerordentlicher Bedeutung. Nischen, Loggien und Bauten auch Figuren braucht, hat sich mit

39 einem kleinen Hupfer über die Blüte des Englischen Landschafts- DER TISCH – EIN MYSTERIUM parks hinweg bis in das 20. Jahrhundert gehalten. Die Gärten der Erwien Wachter Villen in Tivoli, den Sabiner Bergen, in Bagnaia zeugen davon. Der Garten in Bomarzo mit bizarren, grotesken Figuren fällt ein biss- Der Alltag hat auch Alltägliches, das wir im chen aus dem Rahmen. Aber das ist ein anderes Kapitel. Gebrauch haben, aber selten der besonderen Betrachtung unterziehen. Nicht so Arthur Gärten und Parks sind empfindliche Erfindungen, ihre Pflege ist Stanley Eddington, ein Doye der Astrophysik teuer. Es kann also nicht verwundern, dass die antiken Statuen im 20. Jahrhundert. Warum immer in die Fer- und Spolien, die anfangs so wichtig waren, im Lauf der Zeit aus ne schauen, dachte er sich wohl einmal, oder den Gärten entfernt, häufig zerstreut oder in die Obhut gedeckter warum nur auf das Kleinste vom Kleinen. Bauten gebracht wurden. Was wir heute sehen, ist ein Abbild. Das Original müssen wir in der Phantasie rekonstruieren. Vor über neunzig Jahren wurde er fündig. Er widmete sich seinem Arbeitstisch und kam Der reine Skulpturenpark selbst tritt gleichsam nach Jahrhunderten dabei zu folgender Diagnose. Der Tisch war der Absenz im 20. Jahrhundert mit einer Volte wieder in Erschei- zwar aus einem gewöhnlichen, wenn auch nung. Nun in anderer Gestalt, als Ergebnis von Bildhauersympo- besonders schönen Holz. Es war auch ein be- sien, als Schöpfung herausragender Bildhauer oder als museale sonders schöner Tisch. Die Schönheit war für Sammlung. Eddington aber nicht der Inhalt des Interesses. Physikalisch gesehen ist der Tisch ein gewöhn- liches Stück Materie, dennoch eine stabile Unterlage für seine Tätigkeiten. In seinem Laboraufbau wurde der betrachtete Tisch zum Tisch Nummer eins, der physikalische Tisch wurde zum Tisch Nummer zwei. Bot Tisch eins eine ausgewogene, freitragende und stabile Konstruktion an, die sich vierbeinig über dem Boden in geeigneter Nutzhöhe spannt, unter- schied sich Tisch zwei von Tisch eins insofern, dass Tisch zwei aus der Sicht der Quantenthe- orie zum größten Teil aus Leere besteht, in die

40 zahlreiche elektrische Ladungen eingestreut sind, die mit großer Geschwindigkeit hin und her sausen. Ist denn Tisch wirklich Tisch, und warum erweist sich der quantentheoretische Tisch als eben- so funktionsfähig wie der handwerklich geschreinerte Holztisch? Bleibt also die Frage, wie bringt man die beiden Sichtweisen auf einen Nenner? Ja, jedes Ding besteht aus Atomen, trotzdem unter- scheiden sich unsere Alltagsgegenstände von jenen Strukturen, die wir von Atomen und anderen Quantenobjekten kennen. Und trotz- dem zeigen Alltagsgegenstände nicht das merkwürdige Verhalten, das man von Atomen und anderen Quantenobjekten kennt. Wo also verläuft die Grenze zwischen Quantenmysterium und Handfe- stigkeit? Eddington fand schließlich auch keine Formulierung zur Klärung dieser Frage. Doch gab er einen Rat mit auf den Weg: Wir denken oft, dass wir, wenn wir unser Studium der „Eins“ abge- schlossen haben, alles über „Zwei“ wissen, weil „Zwei“ gleich „Eins und Eins“ ist. Wir vergessen, dass wir noch eine Analyse des „und“ machen müssen. Ein Quantensprung?

41 SIEBEN FRAGEN AN 3. Was war Ihre größte Niederlage? Nachdem mir Idealisierungen und Verabsolutierungen fremd sind, war ich noch nie in Waterloo.

4. Was ist Ihr größter Erfolg? Ich werde trotz aller technischen Machbarkeit nie auf den Mond fliegen.

5. Was wäre Ihr Traumprojekt? Um ehrlich zu sein, der Bau eines wohlproportionierten Hoch- hauses im Stadtpark von Traunstein. WOLFGANG LECHNER 6. Inwiefern haben sich Ihre Vorstellungen erfüllt? 1. Warum haben Sie Architektur studiert? Seit Beginn des Architekturstudiums stehe ich bis heute jeden Tag Kein anderes Studium bietet ein derart breites gerne auf und mache mich mit Freude an die Arbeit. Spektrum an objektiver Wissenserfahrung und zugleich subjektiver Ausdrucksformen. 7. Was erwarten Sie vom BDA? Das und die Aussicht auf spätere berufliche Vereint, solidarisch und respektvoll den Stürmen der Zeit zu trotzen Selbständigkeit haben mich fasziniert. und mit Nachdruck für die unabdingbare gesellschaftliche Notwen- digkeit und Vielfalt von Architektur zu werben. 2. Welches Vorbild haben Sie? Theoretisch: Robert Venturi mit seinem Buch „Complexity und Contradiction in Architec- ture“. Praktisch: vielzählige berühmte wie unbekannte Kolleg_innen, die ihren eigenen Weg gegangen sind.

42 TranslaTUM, München Architekten: doranth post architekten, München Fotos: Stefan Müller-Naumann

MOEDING KERAMIKFASSADEN Das Fassadensystem der Zukunft. vorgehängt, hinterlüftet, wärmegedämmt www.moeding.de BDA Lothstraße ihrer kulturellen Umgebung und Identität beraubt wür- de. Weitere Orte und die Programmplanung werden aktuell von der Arbeitsgruppe des BDA-Kreisverbands München-Oberbayern in Abstimmung mit den Kooperationspartnern konkretisiert.

Pressemeldung

A7 – SIEBTE ARCHITEKTUR- WOCHE MÜNCHEN

2020 wird es vom 19. bis 25. Juni 2020 nach mehrjähriger Pause wieder eine Architektur- woche München geben. Die A7 wird ihren Blick auf Orte und Plätze in München richten, die besondere Aufmerksamkeit verdienen. Entweder, weil sie durch aktuelle Planungen bereits im Fokus der öffentlichen Diskussion stehen oder aber aufgrund der gesellschaft- lichen Entwicklungen stärker in diesen gerückt werden sollen.

Einer dieser Orte wird die Hochschule in der Karlstraße 6 in München sein, die − als älteste Bauschule ihrer Art im deutschsprachigen Raum − durch den beabsichtigten Umzug der Architekturfakultät auf den Campus in der

44 WA(H)RE WERTE Wie können und müssen diese Werte beim Planen und Bauen Eine Veranstaltung des BDA Kreisverbands eingefordert werden? Dem Bauen und bestenfalls der Architektur /Schwaben fallen eine besondere Bedeutung zu, die nicht allein von Einzelnen, Hans Schuller sondern nur gemeinsam von Politik und Gesellschaft getragen werden kann. Jegliches Bauen belastet Umwelt, Klima, Boden und Die Wirtschaftswissenschaftlerin Mariana Ressourcen. Durch die Bedarfsdeckung der gesellschaftlichen Be- Mazzucato veröffentlichte 2018 ein Buch mit lange wird zunehmend eine kritische Grenze erreicht. dem Titel „Wie kommt der Wert in die Welt“. In dieser Abhandlung zeigt die Autorin auf, Wie soll nun das Bauen der Zukunft aussehen, und wieviel Technik wie aus dem materiellen und ideellen Wertbe- verträgt dieses Bauen? Dieser Frage widmete sich mit Fakten und griff eines Renaissancemenschen die leicht- Ironie Kantonsbaumeister Werner Binotto (Architekt SIA) aus händig jonglierende Finanzwelt unserer Tage St. Gallen mit seinem Einführungsreferat: „Ana log, sie sei im zu einer Welt wird, deren Inhalte sich im Kon- Digi Tal“. sumieren zu erübrigen scheinen. Konsum hat unseren Alltag und unser Denken erobert und durch die Dominanz von Preis über Wert einer Impuls Wegwerfgesellschaft ohne Wertanspruch den Weg in ein ökologisches Dilemma geöffnet. Warum liebt der Mensch die Technik, fragte Binotto eingangs, und warum vertraut der Mensch der Technik mehr als seiner eigenen Mit dem ambivalenten Titel „WA(H)RE WER- Erfahrung? Mit einer Metapher zeigt er anhand der Alexandriner TE“ will der Bund Deutscher Architekten BDA und der Leoniker den Zwiespalt von nachhaltiger Lebensweise und die Bedeutung des Wertbegriffs in der Archi- Wegwerfgesellschaft auf. Was dies im Vergleich von Gebäudebe- tektur und im Bauen zur Diskussion stellen. stand, modernen Neubauten und neuen Gebäuden mit intelli- Der „Preis“ ist verhandelbar, der „Wert“ aber genten einfachen Strukturen in seinem Kanton St. Gallen bedeutet, basiert auf einer ideellen Vereinbarung zu belegte Binotto mit überraschenden Ergebnissen aktueller Untersu- Themen wie Nachhaltigkeit, Dauerhaftigkeit, chungen verschiedener Institutionen. soziale Akzeptanz und ökologische Verträg- lichkeit sowie ästhetische Qualitäten, welche Es zeigte sich: nicht verhandelbar sind. 1. dass der Stromverbrauch moderner Gebäude grösser ist als der Heizenergieverbrauch,

45 2. dass die Betriebs- und Unterhaltskosten moderner Gebäude Langlebigkeit durch einfache Strukturen war deutlich stärker steigen als die der teils 25 Jahre jüngeren Bauten, die Prämisse beim Bau des landwirtschaft- 3. dass die Technik jenseits der Hausmeisterei mehr externes Perso- lichen Zentrums in Salez und des Gymnasiums nal erfordert, Sargans. Die bauliche Umsetzung erfolgte laut 4. dass die Erneuerungskosten steigen und die Lebenszyklen fallen, Binotto unter folgenden Bedingungen: 5. dass die Energieeffizienz bei intelligent gebauten konventio- nellen Häusern eher besser als bei Hightech-Bauten ist. Als wesent- - Bebauungsdichte: Relation des technischen liches Problem zeigen sich die Verkürzungen der Lebenszyklusko- Aufwandes zum langfristigen Betrieb sten bei gleichzeitiger Steigerung der realen Betriebskosten. Eine - Außenräume: Klimatische Bedingungen Milchmädchenrechnung für eine reale Bilanz also. prüfen und definieren - Struktur: Raumhöhe mind. 3.50 m, Gebäu- In der Folge dieser Erkenntnisse begann der Kanton St. Gallen über deraster 8.00 x 8.00 m einfache Strukturen nachzudenken. Das Ziel waren nicht gün- - Beschattung: Bauliche Beschattung und ca. stigere Bauten in der Erstellung, sondern im langfristigen Betrieb. 25% Fensteranteil der Fassaden Als Planungsmaxime wurden geringer Stromverbrauch, keine Ge- - Belichtung: mind. 60% der Tagesnutzungs- bäudesteuerungen, keine Lüftungen (außer Küchen, Mensen, Säle), dauer ohne Kunstlicht langlebige Konstruktionen mit einfachem Unterhalt, Raumhöhen - Lüftung: Räume bis zu 100 Personen sind von 350 – 400 cm, natürliche Belüftung und Belichtung, bau- natürlich belüftet licher Sonnenschutz und natürlich verschattende Umgebung. Der - Investitionen: Heizen, Lüften, Kühlen unter wesentliche konzeptionelle Gedanke ist dabei der lange Lebens- 10% der Bauwerkskosten. zyklus. Gingen wir, als Faustregel, davon aus, so Binotto, dass der Energiebedarf für die Erstellung eines Bauwerkes ungefähr gleich Diese Neubauten stünden als Nachweis dafür, viel Energie benötige wie 30 Jahre Betrieb, werde die Lebensdauer dass mit „Lowtech“ auch im 21. Jahrhundert eines Hauses plötzlich entscheidend. Als Beispiel nannte Binotto: Lösungen zu finden sind. Ein Haus, das mit bescheidenem Aufwand zwei, drei oder mehr Lebenszyklen betrieben wird, ist dann per se energieeffizienter als Anhand Italo Calvinos „Die unsichtbaren ein Gebäude, bei dem alle 30 Jahre die Technik ausgewechselt Städte“ aus dem Jahr 1972 leistet sich Binotto werden müsse. abschließend einen Sozialexkurs zu unserer Gesellschaft, die sich nicht mehr über das, was sie leistet und schafft definiere, sondern

46 über das, was sie verbrauche. Diese Gesellschaft werde nicht mehr entsprechendes Monitoring sowie ein speziell durch freie Bürger getragen, sondern durch Verbraucher, so Binot- dafür geschultes Personal müsse dafür von Be- to. Bei allem Wiederspruch bleibt die Frage, ob ein Konsument, ein ginn der Planung an zur Seite stehen, um die Verbraucher überhaupt eine Wahl für die Nachhaltigkeit hat? Kann Balance der Planungsparameter zu wahren. er anders denken? Und entsprechend anders leben und bauen? Sind Nachhaltigkeit und Konsumgesellschaft ein Widerspruch in Der technische Schwerpunkt macht es der sich? Und haben wir überhaupt ein Energieproblem? Lowtech-Kon- Philosophin schwer, die Positionsdivergenz zu zepte sind nicht auf Rezept zu haben, sie sind immer wieder neu zu sezieren. Hausknotz änderte die Perspektive denken und zu entwickeln. und startete den Versuch, die Bedeutung der Bautechnik für den Stadtbewohner zu er- schließen. Und ob es in erster Linie um das Zu- Diskussion sammenspiel von Häusern, Orten, Siedlungen, Stadt und das darin herrschende Leben gehe? Die anschließende, von Moritz Holfelder (freier Redakteur BR) Nachhaltigkeit werde hier zur sozialen Insti- moderierte Diskussion mit Werner Binotto, der Philosophin Dr. Flo- tution. Technische Qualitäten allein könnten rentina Hausknotz aus Ottens bei Wien, mit Prof. Marcus Rommel, Orte sicher nicht verbessern, und darum ginge Hochschule Augsburg, und Frank Schwindling, Kreisbaumeister es doch. Oder sei es nur eine Frage der so in Augsburg, begann mit einer Provokation Binottos: Normen als oder so Auslegung für die wahre Qualität von Empfehlungen sind für Architekten und Planer lediglich Orientie- Gebäuden? rung, der gegenüber die übergeordneten Ziele vorrangig im Auge behalten werden dürfen. Kreisbaumeister Frank Schwindling stellte Prof. Rommel sieht die Lehre an Hochschulen dem gegenüber, dass komplexe Aufgaben (nur) mit zeitgemäßen im Spannungsfeld von Entwerfen und For- Technologien und Vorschriften verantwortungsvoll und ökologisch schen und dem Ausführen und Umsetzen im korrekt gelöst werden könnten. Sind Planer Sklaven von Maximal- Berufsalltag. Die Hochschule Augsburg biete werten, wandte Binotto ein, und fragte, ob Maximalforderungen mit den Fachbereichen Architektur, Bauinge- nicht zugunsten erreichter nachhaltiger Ziele obsolet wären? nieurwesen und energieeffizientem Design Schwindling sah dagegen in der technischen Optimierung von ein breites Spektrum an Lösungsangeboten Gebäuden die große Chance, durch ein fein austariertes Planungs- für den Architektur- und Planungssektor. Der konzept Funktionalität, Energieverbrauch und nachhaltige Baukon- Praxisbezug werde zwar durch ein Praktikum struktion zu einer äußerst zukunftsfähigen Lösung zu führen. Ein vertieft, aber im Rahmen der Regelstudien-

47 dauer könnten letztlich nur die Regelwerke in ihren Grundzügen tiefgreifenden technischen Umwälzungsge- vermittelt werden. Aber, Innovationen, Paradigmenwechsel, Experi- danken war es schwer, notwendige philoso- mente – Fehlanzeige? phische Betrachtungen in die Positionsdiver- genz angespannter Gemüter einzubringen. Die Philosophie ist zwar die Kunst, das richtige Nachbetrachtung von Erwien Wachter Sieb für die Essenz der analytischen Ortung der konzeptionellen Zielrichtungen zu benut- Daten gegen Wissen und Erfahrung oder Hightech versus Low- zen, sie braucht aber auch das noch so tech- tech, und die Problematik der Ausbildung in Anbetracht der nisch orientierte Gehör der an der Diskussion zunehmenden Komplexität der Anforderungen an bauliche Umset- Beteiligten, um die Architektur – um die es ja zungen. So die Fragen. Die Diskussion und die Argumentation biss geht – als die gemeinnützigste aller Künste in sich sozusagen an der Gebäudetechnik fest, obwohl daran zu er- ihrer Bedeutung zu platzieren. kennen war, dass die Beispiele, beides Bildungsbauten gegensätz- licher Konzeptionen, eher insgesamt „Laborergebnisse“ des Bauens Es geht um Verantwortung, es geht um Fra- darstellten. Denken sei das größte menschliche Potential und sein gen gesellschaftlicher Entwicklungen, es geht kreativstes Vermögen. Dagegen prallt die Beweiskraft von Zahlen- darum, Klima und Ressourcen zu schonen, es werten und die Funktionalität hochtechnischer Installationen, die geht um Lebensraum denken, dessen Zu- mit dem Glauben daran die Gebäudequalität angeblich allein zu kunftsbild aus der Offenheit für Entwicklungs- bestimmen vermögen. Lebenszyklusermittlungen und deren Rand- prozesse und der Bereitschaft für Experimente erscheinungen von Gelingen und Versagen können, wie Binotto in allen Lebensbereichen entspringt. Gebäude belegte, nicht Bestandswert und kontrolliertes manuelles Handeln und deren Entstehungsprozesse spiegeln den mit Vernunft an die Wand fahren. Die Minderbeanspruchung der kulturellen Geist einer Gesellschaft, und inso- Teile wirkt sich positiv auf die Lebensdauer der Gebäude aus. Und fern ist jeder sogenannte Fortschritt am Fort- Lebensdauer sei nun mal – so Binotto – die kostengünstigste und schritt im Schritt zurück zu messen. Erleuch- wichtigste Formel zur Verwirklichung zukünftiger Gebäude im tend sind solche Veranstaltungen allemal. Bewusstsein der Klima- und Ressourcenschonung. Der kluge Geist Alexandriner mit Erfindergeist haben Zukunft, und der Mut sind gefordert, um der Fortschreibung der Vorgaben die konsumierenden Leoniker gehören der in einem technischen Luxusmodus zu widerstehen. Die Entwicklung Vergangenheit an. in einem Schritt zurück vorwärts zu denken, kann eine wirkungs- volle Perspektive erschließen. Umdenken also. In Anbetracht der so

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QR code generated on http://qrcode.littleidiot.be BDA IN FAHRT mals bayerischen Kasernengebäuden, die noch bis in die 1980er Exkursion in die Südpfalz im August 2019 Jahre der Nachkriegszeit von französischen Truppen besetzt waren. Wolfgang Kuchtner Nun zur Fahrt: Erste Station war Mannheim-Rheinau, das zwar, „Wohin soll‘s denn diesmal gehen?“ „In die da rechtsrheinisch gelegen, eigentlich nicht mehr direkt zur Pfalz Pfalz!“ „In die Pfalz? Aha…“ Hätte ich nicht gehört, aber unmittelbar benachbart ist. Die evangelische Pfingst- ein gewisses Leuchten in den Augen von kirche, 1962 von Carlfried Mutschler erbaut und in einem Föh- Wolfgang Jean Stock wahrgenommen, hätte renhain gelegen, stellt ein Beispiel konsequent roher Sichtbetonar- ich vielleicht noch etwas nachgehakt, um das chitektur dar, die mit ihren nach drei Seiten aufgeglasten Wänden Reiseziel ein wenig zu hinterfragen. War mir bewusst die umgebenden Bäume als optische Begrenzung wirken dieses so urdeutsch-bieder klingende Länd- lässt und so eine skandinavisch erscheinende Anmutung erzeugt. chen doch eher als Ausflugs- oder Urlaubsort der Generation unserer Eltern, wenn nicht Im Zentrum Mannheims, wo sich eine prachtvoll ausgestattete Großeltern geläufig, mit rustikalem Ambiente, Grünanlage mit ihrem markanten, in historisierendem Stil errich- deftigem Essen, preiswertem Schoppen und teten Wasserturm darbietet, befindet sich in der umgebenden natürlich dem Pfälzer Wald, aber nicht als Randbebauung der Neubau der Kunsthalle von gmp (Gerkan, Sehnsuchtsort architekturaffiner Ästheten, die Marg und Partner), aufgrund eines Wettbewerbs 2017 errichtet. sich gerne als eher weltläufig wähnen. Aber Hier stieß Wolfgang Bachmann, vormals Chefredakteur des „Bau- er wird sich schon was gedacht haben, unser meister“, zu uns, dem wir die Konzeption, wertvolle Hinweise und Initiator und Reiseführer Stock, und deshalb Erläuterungen zur gesamten Exkursion verdankten. Das Gebäu- musste es doch etwas geben jenseits von de, schon äußerlich durch eine gewisse Sprödigkeit bemerkbar, Butzenscheibenfeeling und Saumagenselig- versprach mit seiner sich über mehrere Ebenen erstreckenden keit. Und so war es dann auch. Den Reisenden zentralen Halle doch etwas mehr, als es dann beim Durchwandern in die Pfalz erschloss sich eine Terra incognita über die Ebenen und die ringsum angeordneten Ausstellungsräume in vielfältiger Hinsicht in Sachen Gegenwarts- halten konnte. Eindrucksvoll war aber der dahinter sich anschlie- architektur, aber auch früher Moderne sowie ßende Jugendstil-Altbau mit seiner imposanten Treppenhalle. Die anschaulich erlebbaren Geschichtsbezügen Ausstellung über die Museumsgeschichte, das oft jüdische Mäze- vom Hambacher Schloss über die Villa Lud- natentum, die Verfolgungen moderner Kunst in der NS-Zeit und wigshöhe bis zu den Werkssiedlungen der die Rettungsversuche durch die damaligen Museumsleiter sowie BASF und den inzwischen umgenutzten ehe-

50 die Erforschung des Verbleibs vieler Exponate war sehr aufschluss- in das bauliche Ensemble ein, beanspruchen reich und allein schon besuchenswert. andererseits aber eine eigene Formensprache in minimalistischem Duktus. Des Abends kamen wir dann in unserem Hotel in Deidesheim an, wo man in dem historischen Ortskern in das gerade stattfindende Die in der Nähe gelegene Villa Ludwigshöhe Weinfest hineinschnuppern oder eines der bodenständigen Gast- in Edenkoben, ein schlossartiges Gebäude häuser aufsuchen konnte. Den Ort mit seinem historischen Flair von edlem Klassizismus, 1846 bis 1852 aus hat sich übrigens Wolfgang Bachmann, aus der Pfalz stammend, der Hand von Friedrich von Gärtner und Leo nach seiner Münchner Zeit inzwischen als Wohnsitz ausgesucht. von Klenze errichtet, ist eine architektonische Landmarke, die König Ludwig I. der Pfalz Der folgende Montag führte uns zum Hambacher Schloss, Neu- in ihrer Zeit der bayerischen Zugehörigkeit stadt an der Weinstraße, das als geschichtsträchtiger Ort und aufgesetzt hat. Die erhöhte Lage am Rande „Wiege der Demokratie“ neben der Paulskirche in Frankfurt zu des Pfälzer Waldes lässt den Blick über die den wichtigsten Stätten demokratischer Bewegungen in Deutsch- davor liegende weingesegnete Ebene schwei- land gehört. Das „Hambacher Fest“ von 1832 war eine gewaltige, fen, und so verzichtete der königliche Bauherr deutschlandweit und auch für freiheitsbewegte Polen initiierte dann auch auf einen Garten, da er das Land Volksversammlung von 30 000 Menschen, nachdem die aus der als Ganzes als seinen Garten Eden sah. französischen Besatzung der Pfalz von 1797 bis 1814 herrüh- renden, speziell pfälzischen Freiheitsrechte zwar vom Königreich Bevor es zum Mittagessen in eine traditionelle Bayern zunächst zugesichert, aber letztlich nicht eingehalten wur- Ausflugsgaststätte „Sesel“ (das Wort für ein den. Die republikanischen Farben Schwarz-Rot-Gold wurden dort hakenförmiges Winzermesser) in Rhodt unter zum ersten Mal eingesetzt. 1945 kam die Burg aus dem Wittelsba- Rietberg ging, besuchten wir kurz den Neu- cher Ausgleichsfonds in den Besitz des Landkreises Neustadt. In der bau einer Vinothek des Weinguts Borell-Diehl, Folgezeit und hauptsächlich 1982 gab es einige Umbauten und Re- das in Cortenstahl (inzwischen ein gängiges novierungen. Von 2006 bis 2015 schließlich erfolgte die Sanierung Must-have für moderne Weingüter) sich durch Max Dudler mit Rückbau unangemessener Einbauten der unauffällig-auffällig im beschaulichen Weinort Nachkriegszeit, dem Anbau eines Restaurants und der Errichtung Hainfeld einfügt, durchgeführt von Rheinwalt- eines Besucherzentrums. Die wie aus einem Block scharfkantig Architekten. ausgeschnittenen Baukörper sind aus dem gleichen Sandstein wie die bestehende Burg und fügen sich somit einerseits unauffällig

51 Der Nachmittag galt überwiegend dem Archi- ihrer ungezwungenen Sinnlichkeit eine für Viele erfassbare neue tekten Thorsten Holch in Landau/Pfalz, der Qualität eines attraktiven Lebensraums erzeugen. schon zu Studienzeiten als unternehmerischer Selfmademan und später mit seiner ARCHIme- Schließlich führte uns der Weg noch in die verbliebenen (eher ver- des GmbH als sein eigener Bauträger origi- blichenen) Reste der Gartenschau von 2015, die uns zeigten, wie nelle Initiativen ergriffen hat und ergreift. Sein wichtig die Standortfrage für eine funktionierende Nachnutzung Wohn- und Bürohaus, eine ehemalige Schule ist. Anlass für den Besuch war aber der ökumenische Kirchen- aus den 1950er Jahren, ist mit seinem Charme pavillon von Bayer Uhrig Architekten, dem mit seiner organischen dieser Zeit einschließlich originalgetreuer Strei- Form in durchaus nachhaltig stabiler Holzkonstruktion sicher ein fenmarkisen fast unverändert erhalten. Die längeres Verbleiben beschieden sein wird. Konversion der nach Abzug der Truppen frei gewordenen, noch aus bayerischer Zeit stam- Am Dienstag fuhren wir nach Ludwigshafen-Friesenheim, wo menden Kasernengebäude, im sogenannten die evangelische Friedenskirche mit Führung durch die Pfarrerin Lazarettgarten ist seine Initiative und sein und Matthias Ehringer, den Leiter der Unteren Denkmalschutzbe- Werk für Wohnungen und zum Teil Dienstleis- hörde der Stadt, auf uns warteten. Es handelt sich um eine 1932 tungsunternehmen. errichtete originelle Rundkirche in Stahlbeton-Skelett-Bauweise von Karl Latteyer und Hans Schneider, die im Krieg einschließlich eines Eindrucksvoll war dann der Philosophengar- ehemaligen monumentalen Altarbildes von Max Slevogt stark zer- ten, so genannt aufgrund von überdimensio- stört wurde. 1954 bis 1956 wurde sie von Ernst Zinsser wieder auf- nalen „Denkerportraits“ auf der Glasfassade gebaut unter weitgehender Aufnahme der baulichen Grundstruk- eines langgestreckten neuen Wohnblocks, tur. Die ab 1923 von der BASF errichtete Hohenzollernsiedlung der als Ergänzungsbau zu den ehemaligen im damaligen Heimatstil ist von den Architekten Stein Hemmes Generalstabsbauten aus den 1950er und Wirtz / Lerch inzwischen saniert worden mit Ergänzungsbauten 1960er Jahren zusammen mit diesen ein jetzt zur Nachverdichtung. Bei den Werkswohnungen gab es damals, neu geschaffenes Quartier mit sehr schönen wie uns gezeigt wurde, strenge Hierarchien zwischen Arbeitern, Wohnungen ergibt, energetisch optimiert einfachen und höheren Angestellten, die auch Größe und Komfort und dennoch von einer gewissen Leichtigkeit der Wohnungen definierten. und Beschwingtheit, die vielleicht nicht die für Architekturmagazine übliche spektakuläre Ein- Die anschließend besichtigte Ebertsiedlung aus den Jahren zigartigkeit beanspruchen können, aber mit 1928/29 von Hermann Trum und Wilhelm Scholler sowie Stadtbau-

52 meister Markus Sternlieb ist konsequent im Der Nachmittag wurde auf allgemeinen Wunsch hin dann noch Kanon der neuen Sachlichkeit errichtet. Die mit einem Besuch der Multihalle in Mannheim verbracht, die Anlage mit ihrer die Symmetrie bestimmenden 1975 zur damaligen Gartenschau von Carlfried Mutschler und Haupterschließungsachse hat etwas durch- Joachim Langner in Zusammenarbeit mit Frei Otto entstanden war. aus Monumentales, birgt aber im Innern der Diese Hügellandschaft aus einem selbsttragenden Holzgitterwerk Höfe großzügig gestaltete und sozial nutzbare war gewissermaßen eine Paraphrase auf das hängende Tragwerk Grünflächen, ehemals sogar mit einem großen des Olympiadachs in München, nur in Umkehrung des statischen Planschbecken für Kinder. Eine mit Fernwärme Prinzips. Beinahe schon dem Abriss anheimgefallen, fristet das Ge- gespeiste Zentralheizung sowie eine zentrale bäude derzeit ein Zwischendasein, an den Rändern leider notwen- Rundfunk-Empfangsstation waren für dama- digerweise mit stützenden Krücken versehen und einer noch nicht lige Verhältnisse luxuriös. Die Siedlung war endgültig definierten Zukunft harrend. auch eher für höhere Angestellte der BASF bestimmt. Der letzte Tag diente nun der flüssigen Kulinarik mit Besuch von zwei Weingütern. Das Weingut Gaul in Grünstadt-Sausenheim Der nahe gelegene Ebertpark bietet eine nur wartet mit einem markant gesetzten Kubus auf, natürlich aus Cor- noch sehr selten erlebbare formale Gartenge- tenstahl von Focht und Partner, 2015 errichtet. Mit seiner warmen staltung aus den 1920er Jahren einschließlich rostroten Farbe bietet er einen reizvollen Kontrast zu den hellgrü- des 1925 errichteten und inzwischen restau- nen Reben der angrenzenden Weinanbaufläche. Das Weingut rierten Turmrestaurants im Art-Deco-Stil, das Kreutzberger in Kindenheim überraschte uns mit einem von einen reizvollen Blickpunkt am Ende einer 1929 stammenden Ansitz, der in reinster Bauhaus-Manier damals axialsymmetrischen Beetanlage mit sternför- erst recht wie heute als ein vom Himmel gefallener Fremdkörper migem Springbrunnenbecken bietet. In der in der dörflichen Umgebung gewirkt haben muss. Sein Architekt Nähe gibt es die Eberthalle von Roland Rainer Otto Prott ist nicht weiter in dieser Weise bekannt geworden. Als aus dem Jahr 1965, die zurzeit saniert wird. jetzt der Bedarf einer Sanierung anstand, wollte der Eigentümer Sie erinnert in ihrer expressiv dynamischen, zunächst ein Walmdach auf das Flachdachgebäude setzen, bis der in Beton gegossenen Form etwas an das beauftragte Architekt ihn überzeugen konnte, dass man nur die JFK-Flughafengebäude in New York von Eero nie erneuerte Dachhaut mit modernen Materialen ersetzen müsste. Saarinen, und man würde sie gerne auch mal Und so konnte sich der hemdsärmelige Pragmatismus des Bauherrn von innen erleben. ebenso unkompliziert in eine sich inzwischen stolz präsentierende Identifikation mit der Besonderheit des Gebäudes verwandeln.

53 Zum Schluss gab es noch einen Besuch des historischen Städtchens FÖRDERBEITRÄGE 2019 Freinsheim, deren von einer geschlossenen Stadtmauer umge- bende Altstadt sich dem Besucher beschaulich präsentiert. Sie wird Der BDA Bayern dankt folgenden Mitgliedern maßvoll seit 1993 saniert und dient nach wie vor als Wohnstandort für die Unterstützung der Arbeit des Ver- und nicht nur als Touristenkulisse, betreut von Peter Rittmanns- bandes: berger und Jürgen Kleebank. Beim Durchgehen wird einem eine wohltuende Normalität vermittelt, die ansonsten herausgeputzte Gunter Henn Altstadtbereiche in Deutschland meist nicht mehr besitzen. Dazu Henn GmbH trägt vielleicht auch eine gewisse Laissez-faire-Haltung eines Men- schenschlags wie den Pfälzern bei, die einem Perfektionismus auf Rainer Post diesem Gebiet wohl eher abhold sind. Doranth Post Architekten GmbH

Wenn etwas wirklich absolut perfekt erscheint, dann sind es die Rudolf Hierl sorgfältig schnurgerade aufgereihten und penibel zurechtgestutz- Architekt BDA DWB ten Rebstöcke, die wie die Soldaten stramm stehen und auf ihre Bestimmung warten, dem Menschen Gutes angedeihen zu lassen. Kann man sich friedlichere und angenehmere irdische Heerscha- Axel Altenberend ren (abgesehen von den himmlischen) vorstellen, die das Land auf DMP Architekten diese Weise besetzt halten? Georg Brechensbauer Brechensbauer Weinhart + Partner

Christian Brückner und Peter Brückner Brückner & Brückner Architekten GmbH

Henning Dickhoff a+p Architekten

Thomas Eckert Dömges Architekten AG

54 Robert Fischer Ludwig Wappner Dömges Architekten AG Allmann Sattler Wappner Architekten GbR

Eric Frisch Claus Weinhart Dömges Architekten AG Brechensbauer Weinhart + Partner

Robert Hösle Behnisch Architekten Philipp Auer Auer Weber Assoziierte GmbH Rainer Hofmann und Ritz Ritzer Bogevischs Büro GmbH Moritz Auer Auer Weber Assoziierte GmbH Ludwig Karl karlundp Stephan Suxdorf Auer Weber Assoziierte GmbH Johannes Müller H2M Architekten Stefan Niese Auer Weber Assoziierte GmbH Hans Nickl Nickl & Partner Architekten AG Peter Ackermann Wolfgang Obel Ackermann Architekten Obel-Architekten GmbH Anne Beer Amandus Samsøe Sattler Beer Bembé Dellinger Architekten und Allmann Sattler Wappner Architekten GbR Stadtplaner

Peter Schwinde Felix Bembé Schwinde Architekten Beer Bembé Dellinger Architekten und Stadtplaner

55 Manfred Blasch Eckhard Kunzendorf Blasch Architekten Regensburg Architekt

Sebastian Dellinger Walter Landherr Beer Bembé Dellinger Architekten und Landherr Architekten Stadtplaner Philip Leube Peter Dürschinger F64 Architekten PartGmbH Dürschinger Architekten Rainer Lindermayr Michael Feil F64 Architekten PartGmbH Michael Feil Architekten Christoph Maas Volker und Wolfram Heid Architekturbüro GmbH Heid + Heid Architekten BDA PartmbH Thomas Meusburger Michael und Matthias Hetterich F64 Architekten PartGmbH Hetterich Architekten BDA Stephan Walter Markus Hilpert F64 Architekten PartGmbH Architekturbüro Jürgen Zschornack Wolfgang Illig K+P Planungsgesellschaft mbH Illig Bauer + Assoziierte

Martin Kopp F64 Architekten PartGmbH

Peter Kuchenreuther Kuchenreuther Architekten/Stadtplaner

56 PERSÖNLICHES

... UND SIE LÄUTEN FÜRDERHIN. FRANZ LICHTBLAU VERSTORBEN Erwien Wachter

Ein außergewöhnliches Konzert wäre zu hören gewesen, wenn landauf und landab gleichzeitig die Glocken der 44 bemerkens- wert hoch und schlank über ihren Kirchenbau aufragenden Türme die traurige Kunde von der Heimholung ihres Schöpfers verbreitet hätten. Doch stehen die Kirchenensembles mit ihren meist freistehenden Türmen nun als blei- bende Zeugen des Werks eines unermüdlich Schaffenden in der Zeit. Das Werkbuch „Klei- ne Kirchen” berichtet darüber und erschließt die feine Bescheidenheit eines Architekten, der dieser Bauaufgabe sein Leben verschrie- ben hatte.

57 1928 wurde Franz Lichtblau im voralpenlän- weckte; Lichtblau lernte durch ihn auch die Bedeutung des Ein- dischen Bad Tölz als Sohn eines Steinmetzes fachen in der Architektur zu schätzen. Zahlreiche Reiseskizzen und geboren. Der Vater vererbte ihm das bestän- die Reduktion der Mittel für die Entwicklung der architektonischen dige wohltemperierte Wesen und das Ge- Gestalt zeugen von diesem Einfluss, der den Kern des protestan- schick im Umgang mit Menschen, die Mutter tischen Wesens von Lichtblau traf. Um sein enges Verhältnis zum das Behutsame und Beide die ihm eigene Glauben und vertiefende Einsicht zu befördern, drängte es Licht- Zielstrebigkeit. Lichtblau wuchs in Bad Tölz blau in die Vorlesungen des bedeutenden Religionsphilosophen und München auf, wo er das Realgymnasi- Romano Guardini, dessen Einfluss auf sein architektonisches Werk um besuchte. Zum Abitur zog es ihn wieder spürbar ist. zurück nach Bad Tölz, in dessen Nähe er im Haus seiner Großeltern bis zu seinem Tod Mit 23 Jahren war Franz Lichtblau bereits freier Architekt in Mün- immer wieder Ruhe und Kontemplation meist chen. Fünf Jahre später baute er von 1956 bis 1958 nach einem auch im Kreise seiner Kollegen und Freunde Wettbewerb trotz anfänglicher Vorbehalte seine erste Kirche in suchte. Von klein an faszinierten ihn die Oberaudorf. Schon jetzt zeigte sich Lichtblaus Gespür für die Einfü- Bauern- und Bürgerhäuser des Voralpenlandes gung und Gruppierung von Baukörpern. Die um einen Hof ange- und des Marktes Bad Tölz. legte Gebäudeformation überzeugte viele und nicht zuletzt Otto Bartning, einen Meister des protestantischen Kirchenbauwesens, Wundern kann es also nicht, dass er Architekt der spontan dieses Erstlingswerk in sein Handbuch für den Kir- werden wollte. Und so kam es auch. Er erhielt chenbau aufnahm. Damit rückte der junge Franz Lichtblau in den seinen ersten Studienplatz in Karlsruhe, wo er Kreis bereits anerkannter Kollegen wie Olaf Andreas Gulbransson, betreut von Egon Eiermann die ersten tieferen Johannes Ludwig und Reinhard Riemerschmid auf. Die Organisa- Einblicke in die Fragestellungen der Architek- tion von Kirchenbau, Campanile, Pfarrhaus und Gemeinderäume tur gewann. Die Liebe zur Bayerischen Heimat um einen Hof gruppiert finden sich als Gebäudetypologie in ver- veranlasste ihn dann doch, an die TH in Mün- schiedensten Varianten in vielen seiner Bauten wieder und wurden chen zu wechseln, wo er sein Studium bei den zum Ausdruck seiner Handschrift. An dieser Stelle darf die wich- Professoren Franz Hart, Robert Vorhoelzer, tige Begegnung mit Ludwig J. N. Bauer nicht unerwähnt bleiben. , Hermann Leitenstorfer und Eine Begegnung kongenialer Geister, die sich über eine 25-jährige Friedrich Krauss fortsetzte. Ein entscheidender konstruktive Partnerschaft hinaus zu einer innigen Freundschaft Einfluss ging schließlich von Hans Döllgast verwob. aus, der in ihm nicht nur die Lust am Zeichnen

58 Große, repräsentative Gotteshäuser sind zwar DER GRENZGÄNGER. FRANZ FÜEG GESTORBEN in seinem Werk eher eine Ausnahme, aber Erwien Wachter ein Netz von Orten religiösen Lebens evan- gelischer Christen von im Norden Lichtdurchlässige Marmorplatten umhüllen den Kirchenraum der Bayerns bis Mittenwald im Süden, von Passau Piuskirche in Meggen am Vierwaldstättersee. 1960 bis 1966 ist im Osten bis Lindau im Westen spricht mit 44 dieses berühmteste Werk von Franz Füeg entstanden. Was dieses Neubauten und 87 Renovierungen für sich. Bauwerk wegweisend macht, ist nicht nur die Stahlkonstruktion Harmonisch fügen sich die Gemeindezentren des hohen Glockenturms und des Tragwerks des Kirchenbaus, son- überall in die Alltagswelt ein und lassen doch dern dass es keine Fenster hat. Zwischen Stahlstützen lassen 888 das nicht Alltägliche ahnen, das in ihnen transluzente Platten aus griechischem Marmor das Gebäude außen geschieht. von fahlweiß bis bläulich erscheinen, während der Innenraum, den äußeren Lichtverhältnissen folgend, in kühles bis warmes Licht „Unsere Kirchen müssten die Welt lehren, getaucht wird. dass zum Wesentlichen sehr wenig gehört.“ Mit diesen Worten des französischen Domini- Füeg war Professor in Lausanne und gilt als einer der wichtigsten kaners Pie-Raymond Régamey signiert Franz Vertreter der Nachkriegsmoderne in der Schweiz. Er wird sowohl Lichtblau in feiner Handschrift auf der letzten der Solothurner Schule mit Alfons Barth, Hans Zaugg, Fritz Haller Seite das Werkbuch und dokumentiert damit und Max Schlup als auch der Zürcher Gruppe um Werner Frey, eindrücklich die Richtschnur seines Schaffens. Jacques Schader und Jakob Zweifel zugeordnet. Bemerkenswert Franz Lichtblau ist am 25. November 2019 im ist, dass er zwar zu den Schweizer Pionieren des standardisierten Alter von 91 Jahren in München verstorben. Bauens zählt, dabei allerdings die Gabe besaß, scheinbar Unverein- bares wie Rationalität mit atmosphärischen Belangen zusammen- zufügen. Den technischen Fortschritt voranzutreiben, hieß für ihn immer, an dessen Grenzen zu rühren. Schnelligkeit kann man or- ganisieren, Langsamkeit auch, sagte er einmal, aber Qualität nicht. Kaum ein Architekt seiner Generation hat sich so viele Gedanken über Systeme und Standardisierung gemacht und ist dabei so frei im Denken geblieben wie Füeg. Systeme interessierten ihn in allen Facetten, von der Konstruktion bis zur Proportion. Ästhetisches und Technisches zu verknüpfen, bildete in seinem Denken die Basis für

59 eine Architektur im Dienst des Menschen. Standardisierung sollte YONA FRIEDMAN IST 96-JÄHRIG den Gestaltungsspielraum öffnen und nicht einschränken. Normie- GESTORBEN rung von Bauelementen tendiert auf Endzustände hin, weswegen er 1959 auf einer Architektentagung zum industriellen Bauen für Der französische Architekt und Architek- eine differenzierte Rationalisierung plädierte und damit bereits früh turvisionär Yona Friedman wurde 1923 in Kritik am engstirnigen Einsatz von Effizienz übte. Budapest geboren, wo er auch an der Tech- nischen Hochschule studierte. Nach seiner Mit wenigen Bauten und knappen Sätzen hat der Architekt, Flucht setzte er seine Ausbildung in Israel Redaktor und Hochschullehrer die Schweizer Architektur und die fort. 1957 zog er nach Paris. Dort lebte er bis Diskussionen darüber für vier Generationen geprägt. Nun ist Franz zuletzt. 1958 veröffentlichte er das Manifest Füeg am 24. November 2019 im Alter von 98 Jahren verstorben. „L’Architecture Mobile”, zugleich Gründungs- Mit ihm haben die BDA Informationen einen treuen und kritischen dokument der „Groupe d’etude d’architecture Leser verloren. mobile” (GEAM), und entwickelte Raumstadt- konzepte wie „La Ville Spatiale”. Er lehrte u.a. am Massachusetts Institute of Technology, an der Harvard University und Princeton Universi- ty. Seine Arbeiten umfassen städteplanerische Modelle, theoretische Texte sowie (Anima- tions-)Filme und waren bei mehreren Kunst- biennalen sowie der documenta 11 (2002) in Kassel vertreten. Seine Themen, die er seit dem Beginn seiner Arbeit betont, gewinnen in den heutigen Tagen, bedingt durch die derzei- tigen Entwicklungen der Migration und einer Art von neuem Nomadentum, immer mehr an Bedeutung. Sein Engagement für eine zutiefst menschliche Architektur und Gesellschaft qua- lifizieren sein Werk als ein politisches.

Gekürzte Pressemeldung

60 RANDBEMERKT

Über 75.000 neue Wohnungen für Ba- yern! 2019 haben die Bauämter im Freistaat insgesamt 75.542 Baugenehmigungen erteilt oder Genehmigungsfreistellungsverfahren abgeschlossen – drei Prozent mehr als noch im Vorjahr. Bayerns Bauministerin Kerstin Schreyer: „Das ist die höchste Zahl seit über 20 Jahren! Damit übertreffen wir deutlich das Ziel von 70.000 neuen Wohnungen jährlich und zeigen, dass sich unsere Wohnraumof- fensive und unsere starken Investitionen in den Wohnungsbau auszahlen.“ Besonders deutlich ist der Aufwärtstrend bei neuen Mehrfamilienhäusern. Allein hier entstehen über 37.000 Wohnungen – ein Plus von vier Prozent. Noch mehr Schwung soll der Miet- wohnungsbau durch die sogenannte befri- stete Sonder-AfA bekommen. Wer neuen Wohnraum schafft und vermietet, kann durch

61 diese zeitlich befristete Sonderabschreibung von fünf Prozent der zählt zu den wichtigsten zeitgenössischen Ex- Kosten für Anschaffung und Herstellung steuerlich geltend machen ponentinnen lateinamerikanischer Baukunst. – zusätzlich zur bestehenden Neubau-Afa von zwei Prozent. Im Gegensatz zu anderen nationalen Haupt- Die Richtlinien zur Durchführung von Hochbauaufgaben des Frei- städten zeigt sich Rijeka als neue Kultur- staates Bayern (RLBau) sind die Verwaltungsvorschriften, auf deren hauptstadt Europas im Kleid der Beschei- Basis der Staatliche Hochbau Baumaßnahmen durchführt. Ziel der denheit. Die kleine kroatische Stadt an der Novellierung ist es, dass insbesondere bei großen Baumaßnah- Adria hat sich das Erreichen der Klimaziele auf men eine höhere Kostensicherheit gewährleistet wird. So wurden die Fahnen geschrieben. Bestandserhalt und in die RLBau 2020 neue Instrumente zur Optimierung der Verfah- Entwicklung spielen dabei eine große Rolle. rensabläufe von Baumaßnahmen integriert. Ferner sind die Be- Eine alte Zuckerfabrik, ein ehemaliges Kinder- tonung der Projektentwicklung als dem „Fundament“ des Bau- heim und ein Kriegsschiff wurden zu Museen vorhabens sowie die Stärkung der Verantwortung des jeweiligen und Veranstaltungsorten umgebaut. Viele der Bedarfsträgers (in der Regel das jeweils zuständige Staatsministeri- Gebäude wären in Mitteleuropa längst als um) in dieser frühen Projektphase entscheidende Änderungen. Der Schandflecken beseitigt worden. Nun aber jeweilige Bedarfsträger kann nun zu seiner Unterstützung freiberuf- zeigen sie sich in neuem Glanz. Kulturmeile lich Tätige beauftragen, um eine abgeschlossene und verbindliche und ökologisches Nachhaltigkeitsdenken Bedarfsplanung zu erstellen. Die Eckpunkte wurden im Februarheft bilden eine Symbiose, die beispielhaft für die des DABregional ausführlich vorgestellt. Stadtentwicklung andernorts sein kann.

Lateinamerika erlebt derzeit eine große Welle von Bürgerunru- Frankreichs Präsident Emanuel Macron hen: Von Venezuela über Kolumbien, von Brasilien bis Chile und verordnet allen öffentlichen Gebäuden in auch in Argentinien ist es nicht zuletzt die schmerzhafte Spaltung seinem Land, die von der Regierung finan- der Gesellschaften in Superreich und Bitterarm. Auch die örtliche ziert werden, ab 2022 die Verwendung Architektenschaft ist zerrissen zwischen Entwürfen für Millionärs- von mindestens 50% Holz oder anderen villen und Sozialwohnungen für die Ärmsten. Nirgendwo klaffen ökologischen Baustoffen. Sein Ziel ist es, die Extreme so deutlich auseinander wie im Œuvre der mexika- führendes Land bezogen auf den Klimawan- nischen Architektin Tatiana Bilbao, die an beiden Enden des del zu werden. Auslösend für diese Verord- Spektrums arbeitet. Sie macht Furore mit einfachen Wohnbauten nung war die Vorgabe, dass jegliches Gebäu- für die Ärmsten. Rund 6500 Dollar kostet ein Haus. Tatiana Bilbao de von mehr als acht Geschossen, die für die

62 Olympiade 2024 in Paris errichtet werden, Dependancen – Taliesin West in Arizona und Taliesin in Wisconsin hauptsächlich aus Holz sind. Julien Denorman- – wird zum Ende des laufenden Semesters im Juni der Schulbe- die, der zuständige Minister für Stadtplanung trieb eingestellt. Die aktuell 30 Studenten haben die Möglichkeit, und Wohnungsbau, sagte dazu: „Was für die anschließend ins Design Department der Arizona State University Olympiade möglich ist, sollte auch für normale zu wechseln. Dan Schweiker, Vorsitzender des Verwaltungsrats, Gebäude gelten“. erklärt die Schließung damit, dass keine Einigung mit der Frank Llo- yd Wright Foundation zur Erhaltung der Lehranstalt erzielt werden Die 17. Architekturbiennale Venedig findet konnte. Die Schule wurde bereits 2017 aus dem Fonds ausgegli- vom 23. Mai bis 29. November 2020 statt. edert, weil in den Vereinigten Staaten eine besondere Gesetzes- Der deutsche Beitrag mit dem Titel „2038. lage herrscht: Staatlich anerkannte Bildungseinrichtungen dürfen The New Serenity“, sollte es dabei bleiben, finanziell nur von akademischen Einrichtungen abhängig sein. spricht wieder einmal für eine politische Ambi- Zur gleichen Zeit wurde die Institution von „Frank Lloyd Wright tion, lässt aber nicht unbedingt ein Feuerwerk School of Architecture“ in „The School of Architecture at Taliesin“ der Architektur erwarten. Der voraussichtige umbenannt. Rückblick aus dem Jahr 2038 auf 2020 basiert auf der These, dass im Jahr 2038 die groß- Zusammengestellt von Erwien Wachter en Krisen gemeistert sein werden. Mit dem „Rückblick aus der Zukunft“ setzt das Team um die Kuratoren Arno Brandlhuber, Olaf Grawert, Nikolaus Hirsch und Christopher Roth auf die positive Devise, es ist nochmal alles gut gegangen, und oft waren Architek- tinnen und Architekten mit alten und neuen Modellen und ganzheitlichen Ansätzen an den Erfolgsgeschichten beteiligt.

Die Taliesin School of Architecture, die Frank Lloyd Wright vor fast 90 Jahren im amerikanischen Wisconsin gegründet hatte, wird diesen Sommer geschlossen. In beiden

63 IMPRESSUM

Herausgeber: Bund Deutscher Architekten BDA Landesverband Bayern Türkenstraße 34 80333 München

Die BDA Informationen erscheinen in unregel- mäßiger Folge viermal im Jahr.

Redaktion: Dipl.-Ing. Erwien Wachter (V.i.S.d.R.), Dipl.- Ing. Klaus Friedrich, Dipl.-Ing. Michael Geb- hard, Dipl.-Päd. Monica Hoffmann, Dr.-Ing. Irene Meissner, Dr.-Ing. Cornelius Tafel

Autoren: Dipl.-Ing. Wolfgang Kuchtner, München; Dipl.-Ing. Ulrich Karl Pfannschmidt, Gerbrunn;

64 Sven Radtke MRICS lic. rer. pol., Immobilien- ökonom (IRE|BS), Starnberg; Dipl.-Ing. Hans Schuller, Augsburg

Für den Inhalt der Beiträge ist ausschließlich der jeweilige Autor und die jeweilige Autorin verantwortlich.

Layout: Sabine Seidl Textredaktion und Gestaltung: Monica Hoffmann Druck: Ortmaier Druck GmbH, Frontenhausen

Umschlag: 170 g/qm Fedrigoni Woodstock Noce FSC Schrift: Frutiger

Einsendungen werden an den BDA Bayern erbeten als Word-Datei per E-Mail an [email protected], per Fax an 089-184148 oder per Post an den BDA Bayern, Türkenstraße 34, 80333 München.

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BUND DEUTSCHER ARCHITEKTEN LANDESVERBAND BAYERN