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REBECCA SAUNDERS (*1967) 1 choler (2004) 16:52 für zwei Klaviere 2 crimson (2004–05) 17:35 für Klavier 3 miniata (2004) 32:16 für Akkordeon, Klavier, Chor und Orchester TT: 66:49 1 2 3 Nicolas Hodges Klavier 1 Rolf Hind Klavier 3 Teodoro Anzellotti Akkordeon 3 licenced by col legno SWR Vokalensemble Stuttgart SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg Hans Zender Coverphoto: © Peter Oswald 2 Zwischen Klang und Dunkelheit, zwischen Stille und Licht Drei Werke für und mit Klavier von Rebecca Saunders Björn Gottstein Wer, wie Rebecca Saunders, mit Eltern aufwächst, für crimson, das in Anlehnung an das mittlerwei- die sich beide als Pianisten verdingen, in einem le zurückgezogene Solo (2002) und an das Piano Haus, das voller Klaviere steht, der verbringt als solo aus der Tanztheatermusik Insideout (2003) Kind ganze Nachmittage unter dem Flügel, um entstanden ist und das ihre pianistischen Arbeiten den Klang der vibrierenden Saiten über sich hin- auf ihren – so Saunders wörtlich: „Kern“ reduziert: weg strömen zu lassen. „Das Klavier war allge- „Es geht um eine ganz schmale Palette von Klang- genwärtig und allmächtig“, beschreibt Saunders farben, Klängen und Ausdrucksmöglichkeiten, die ihr gespaltenes Verhältnis zu einem Instrument, dann in diesem Stück miteinander verschmolzen das in ihrer Kindheit beides gewesen ist: Zuflucht werden.“ und Pantheon. Zu dieser Palette gehören zahlreiche Clusterva- Das Klavier ist für Saunders noch heute ein wich- rianten, stumm gedrückte Tasten mit frei reso- tiges, ja vielleicht das wichtigste Instrument. Mehr nierenden Saiten, extreme Lagen, dynamische noch als von ihr zur Signatur erkorene Instrumente Kontraste, vor allem aber der virtuose Umgang wie der Kontrabass, die E-Gitarre oder die Spiel- mit dem Sustain-, dem Sostenuto- und dem Una uhr, ist das Klavier so sehr in ihrem musikalischen corda-Pedal. Mal wird das Pedal mit dem Fuß nie- Denken verankert, dass sie mitunter mutwillig dar- der gestampft, mal schnellt es geräuschvoll nach auf verzichtet hat, „um sicher zu stellen, dass ich oben. Ganz selten fordert Saunders den Pianisten auch ohne klar komme“. auf, ins Klavier zu greifen oder aufs Holz zu schla- Entsprechend vielschichtig ist ihr Blick auf das gen: „Eigentlich“, begründet Saunders ihre Vorbe- Klavier. Dazu gehört nicht nur die fabelhaft-ani- halte, „sollten die Möglichkeiten, die die Tastatur malische Metapher vom „riesigen Tier“, die sie einem bietet, ausreichen.“ im Gespräch gelegentlich bemüht, sondern auch crimson ist ein Triptychon, dessen drei Teile für die Vorstellung eines Bühnenobjekts mit theatra- sich stehen, die aber gemeinsam eine Einheit lischen Implikationen: „Ein Pianist, der still und bilden. Im ersten Teil dominieren Cluster, die das schweigend am Klavier sitzt, ist bereits eine Aus- Klavier räumlich erschöpfen. Um die Kopfnoten sage.“ der Cluster rankt sich eine Melodie, die hervorzu- Vor allem aber ist der Flügel ein komplexer Re- heben den Pianisten zusätzlich herausfordern. sonanzkörper. Mit den drei Arbeiten für Klavier, „Spacious and expressive“ heißt es in der Partitur, die zwischen 2002 und 2005 entstanden, gräbt als habe Saunders die Gegensätzlichkeit des abs- Saunders sich tief in die Hohl- und Zwischenräu- trakten Klangraums einerseits und des Ausdrucks me des Instrumentenkorpus ein. Das gilt vor allem der pianistischen Geste andererseits fixieren 3 wollen. Im zweiten Teil gibt das Klavier seinen hörbar sind“, eine zentrale Rolle. Aber nicht nur perkussiven Charakter preis: „Ich nehme das als die zwei sich auf der Bühne spiegelnden Pianis- Schlagzeug wahr, das auch als Schlagzeug erlebt ten betonen den theatralischen Aspekt; denn werden sollte.“ Mit hohem, ersticktem Hämmern Saunders hat das Stück regelrecht aus den Be- treibt Saunders das Klavier in die Tonlosigkeit. wegungsabläufen heraus geschrieben. „Ich habe Die vertikale Dichte des Clusters weicht der ho- ausnahmsweise sehr lange am Klavier gesessen rizontalen Dichte des Pulses. Im letzten Teil his- und habe alle Klänge selbst ausprobiert und aus- torisiert Saunders den Klavierton, indem sie ihn in gemessen. Es ist wirklich ein sehr körperliches ein melancholisch-nostalgisches Gewand kleidet. Stück – zum Spielen, aber auch zum Hören und Besonnenheit und Ruhe dieses letzten Abschnitts zum Sehen.“ zähmen das wilde Ungetüm, als das das Klavier in Das hat natürlich auch etwas mit dem Sujet des den ersten beiden Sätzen erschienen war. Werks zu tun. Der cholerische Anfall ist etwas Dem Titel nach knüpft Saunders mit crimson heftiges, unbeherrschtes, beängstigendes und („Karmesinrot“) an eine Reihe von Stücken an, gewiss auch etwas befreiendes. Saunders Aus- die der Farbe Rot gewidmet sind und die in der brüche schlagen sich in dichten, akzentuierten Lektüre des Epilogs der Molly Bloom aus James Klangballungen nieder, in Clustern und dissonie- Joyces Ulysses ihren Ursprung haben. „Rot“ ist renden Akkorden, die sie mit Pausen durchsetzt, diese Musik aufgrund seiner Präsenz und seiner die die Spannung ob der Zwangsläufigkeit der Aggressivität. Aggressivität ist für Saunders eine nächsten Attacke noch steigern. Eine melodische Grundeigenschaft des Karmesinrot. „crimson Linie, die sie wiederum in die höchsten Töne der – das sind erstarrte Bilder der Aggression, die in Akkorde hineingewoben hat, verleihen den verein- der Zeit aufgelöst werden.“ zelten Attacken Fluss und Zusammenhang. Am Mehr noch als an der Theatralik des Flügels ist Ende des Stückes weicht das Stück der gelas- Saunders an den Gesten und den „sinnlichen“ senen Ruhe des Melancholikers, die die zügellose Bewegungsabläufen des Instrumentalisten in- Energie des Cholerikers zwar zähmt, die aber nicht teressiert, am wogenden Oberkörper, an ausla- als Ausweg und Heilung missverstanden werden denden Gebärden, an der rudernden und der sich darf: „Die Melancholie rahmt und akzentuiert die verschränkenden Choreografie der Arme, am Zu- Attacken des Cholerikers. Aber seine Wut findet cken des Fingergelenks: „Ich finde das ist reines kein Ventil. Das ist also keine Lösung. Von einer Theater. Es ist wunderschön.“ Auch wenn sie all Verbesserung kann keine Rede sein.“ ihre Werke mit einem Blick fürs Tänzerisch-Ges- Infolge der Verdoppelung des Klaviers werden tische entwirft, gilt das für choler in besonderem Klangfarbenkontraste möglich, die das einzelne Maße. Beim Komponieren spielte die Vorstellung Instrument nicht zulässt, darunter die Überlage- der sinnlichen Bewegungen der beiden Körper, rung extrem lauter und leiser Akkorde, die im Aus- die, so Saunders, „sichtbar und hoffentlich auch klang verschmelzen, oder Filtereffekte, die sich 4 einstellen, wo Saunders die verschiedenen Pedale aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. „Es kontrapunktisch gegeneinander setzt. Gleichzeitig ist immer dasselbe, aber immer anders“, fasst sie werden zwei Klaviere nicht zwangsläufig als zwei das Stück, dessen Titel abermals auf die Farbe diskrete Instrumente wahrgenommen. Sofern sich Rot (Zinnober) anspielt, zusammen. ein Ton nicht eindeutig einem der beiden Instru- Jedem Satz liegt eine kompositorische Fragestel- mente zuordnen lässt, entsteht mit choler ein ein- lung zugrunde. Der erste Satz gilt Kontrasten der ziges massives und erweitertes Instrument. Dynamik und des Timbres. Als Teil des Orchesters Dem Duktus nach erinnert choler, mit seinen begleitet der Chor die Instrumentalisten mit ver- kantigen Akkorden und seinen irisierenden Reso- haltenen Geräuschklängen, mit Vokalen, Konso- nanzen, gelegentlich an crimson. Tatsächlich sind nanten und wenigen Wortsilben. Im zweiten Satz crimson, choler und auch miniata miteinander gewinnt der Chor an Eigenständigkeit; er wird zu verwandt. Saunders hat sich in allen drei Stücken einem den Solisten ebenbürtigen Exponenten. auf einige, wenige Klangcharaktere beschränkt: „Careful, intimate and lyrical“, schreibt Saunders „Ich verwende dasselbe Material in unterschied- über den zweiten Satz. Und: „Explore warmth of lichen Konstellationen, die je anders gerahmt und this sound world.“ Wie in crimson und in choler wahrgenommen werden.“ So stimmt das Klavier liegt auch diesem Satz eine gedehnte, in die Ober- im ersten Satz aus miniata weitgehend mit dem stimme der Cluster und Akkorde verlegte Melodie zweiten Teil von crimson überein, während der zugrunde, die dem Material als Fluchtpunkt dient. zweite Satz aus miniata choler vorwegnimmt. Die Im dritten Satz wird das für das gesamte Stück hier versammelten Werke sind einander also qua maßgebliche Verfahren der Collage insofern viru- Familienähnlichkeit ähnlich, auch wenn miniata lent, als Saunders die Klangsituationen der Solis- aufgrund seiner Besetzung natürlich über die bei- ten und Instrumentalgruppen vollkommen unab- den reinen Klavierwerke hinaus weist. hängig voneinander entworfen hat, um sie dann Die Entstehungsgeschichte von miniata begann dem Gewicht, den Proportionen, der Form und mit zwei getrennt komponierten Soli für Akkorde- der Farbe nach gegeneinander zu setzen. In die- on und Klavier. Wieder hatte Saunders dabei die sem dritten Satz gilt der Fokus der Stille und den körperliche Beziehung des Musikers zu seinem Rändern des Klangs, um die akustische Periphe- Instrument und das bewegte Zusammenspiel der rie der Stör- und Nebengeräusche, der Ober- und Musiker untereinander vor Augen, ganz beson- Zwischentöne ins rechte Licht zu rücken. ders natürlich den „lang gezogenen Atem“ des miniata ist, nach Albescere (2001), erst Saunders Akkordeons. Vor dem Hintergrund des Chors und zweites Vokalwerk. Sie vertont keinen Text, son- des – allerdings rigoros ausgedünnten