Kulturerhalt in Ostdeutschland Andreas Hoffmann (Hrsg.) in Ostdeutschlandin Kulturerhalt Kulturerhalt Andreas Hoffmann (Hrsg.)Hoffmann Andreas Ebelin und BuceriusEbelin Gerd ZEIT-Stiftung ZEIT-Stiftung

Inhaltsverzeichnis

4 Zum Geleit 50 Denkmalgeschützte Sakralbauten aus dem Programm »Kulturerhalt in 6 Denkmalschutz in Ostdeutschland seit 1945 Ostdeutschland« 8 Denkmalschutz in der DDR 58 Die Kirche St. Stephani zu Aschersleben, 12 Denkmalschutz in den neuen Bundesländern Sachsen-Anhalt nach der Wiedervereinigung 60 Die Unterkirche St. Georg in Bad Frankenhausen, Thüringen 14 Wirkungsstätten bedeutender Komponisten 62 Die Kirche St. Nikolai zu Bauer, in Ostdeutschland Mecklenburg-Vorpommern 20 Das Bach-Archiv Leipzig mit dem Bach-Museum, 64 Die Kirche St. Petri in Erfurt-Büßleben, Sachsen Thüringen 24 Das Händel-Haus in Halle, Sachsen-Anhalt 66 Die Kirche St. Marien zu , 28 Das Heinrich-Schütz-Haus in Weißenfels, Mecklenburg-Vorpommern Sachsen-Anhalt 70 Die Alte Synagoge Hagenow, Mecklenburg-Vorpommern 32 Domschätze und historische Bibliotheks- 72 Die Dorfkirche in Kloster Wulfshagen, bestände an der Straße der Romanik in Mecklenburg-Vorpommern Sachsen-Anhalt 74 Die Kirche St. Michael in , 38 Die Merseburger Domschatzkammer Mecklenburg-Vorpommern 42 Die Naumburger Domschatzkammer 76 Die Stadtkirche »Unserer Lieben Frauen« 46 Die Stiftsbibliothek in Zeitz in Meiningen, Thüringen 80 Die Kirche St. Georgen in Parchim, Mecklenburg-Vorpommern 84 Die Kirche St. Marien in Plau am See, Mecklenburg-Vorpommern 88 Die Kirche St. Marien zu Rostock, Mecklenburg-Vorpommern 92 Das ehemalige Zisterzienserinnenkloster in Rühn, Mecklenburg-Vorpommern 96 Die Kirche St. Cyriakus in Tauhardt, Sachsen-Anhalt

2 98 Die Ausstattung denkmalgeschützter 116 Anhang Sakralbauten aus dem Programm 118 Übersichtskarte »Kulturerhalt in Ostdeutschland« 119 Weitere Projekte des Programms 104 Die barocken Deckenmalereien und die »Kulturerhalt in Ostdeutschland« Empore in der Kirche St. Nikolai in Bösenrode, 120 Impressum / Bildnachweis Sachsen-Anhalt 106 Die Kanzel in der Kirche Dargitz, Mecklenburg-Vorpommern 108 Der Passionsaltar von Jan Borman dem Jüngeren in der Pfarrkirche St. Marien in Güstrow, Mecklenburg-Vorpommern 110 Das Epitaph für den Rechtswissenschaftler Benedict Carpzov aus der Universitätskirche St. Pauli in Leipzig, Sachsen 112 Der Orgelprospekt in der Kirche St. Nikolai in Serrahn, Mecklenburg-Vorpommern 114 Die barocke Inneneinrichtung der Kirche in Tribohm, Mecklenburg-Vorpommern

3 Zum Geleit

Mit ihren Denkmalpflegeaktivitäten will die ZEIT-Stif- und damit auf Dauer zu erhalten. Mit ihrem in dieser tung Ebelin und Gerd Bucerius aus der Fülle erhaltens- Publikation dokumentierten Engagement für die Wir- werter Kulturzeugnisse jene gezielt bewahren, die auch kungsstätten großer Komponisten in Ostdeutschland, die kulturelle Gegenwart und Zukunft bereichern. Des- mit ihrer Förderung der Restaurierung und Neupräsen- halb engagiert sie sich für die Denkmalpflege in Ost- tation der Domschätze an der Straße der Romanik in deutschland, sie initiiert und unterstützt Projekte, die Sachsen-Anhalt einschließlich des Engagements für die denkmalgeschützte Gebäude in den neuen Bundeslän- historischen Bibliotheksbestände in Zeitz und schließ- dern restaurieren; zudem fördert sie konservatorische lich mit dem Programm »Kulturerhalt in Ostdeutschland. Maßnahmen in Bibliotheken mit bedeutenden histori- Denkmalpflegemaßnahmen« hat die ZEIT-Stiftung ei- schen Beständen. nen Beitrag dazu geleistet. Zeitnah und unbürokratisch Ein Blick auf die ostdeutsche Kulturlandschaft ist sie auf Anfragen zum Kulturerhalt eingegangen, um zeigt, dass auch nach mehr als 20 Jahren deutscher Ein- Vorhaben unterschiedlicher Dimension zu unterstützen. heit die Auswirkungen der Teilung Deutschlands auf Dabei ging es vor allem um die Restaurierung denkmal- denkmalpflegerischem Gebiet längst noch nicht behoben geschützter Objekte wie Kirchen, Klosteranlagen und sind. In der DDR wurde 1975 ein Denkmalschutzgesetz Synagogen, aber auch um kulturelle Gedächtnisorte erlassen, wonach die Erhaltung eines Objekts im Inter- wie die Wirkungsstätten bedeutender Komponisten esse der sozialistischen Gesellschaft liegen musste. und ihre Ausstattung. Denkmäler sollten »der Entwicklung des sozialistischen Die Liste der Förderprojekte umfasst keineswegs Bewußtseins, der ästhetischen und technischen Bil- nur die Leuchttürme ostdeutscher Denkmalkultur aus dung sowie der ethischen Erziehung dienen«. Für den dem Kanon des Blaubuches, das seit 2001 die wichtigs- Denkmalschutz in der DDR waren das zentrale Institut ten Kulturdenkmäler in einer Liste zusammenfasst. für Denkmalpflege und seine Außenstellen sowie der Ebenso nahm das Förderprogramm besondere Klein- angegliederte VEB Denkmalpflege zuständig. ode abseits des Weges in den Blick. Dazu gehört insbe- Sosehr die DDR bemüht war, die Kultur als staat- sondere die Gruppe der Dorfkirchen, deren besondere liche Aufgabe zu pflegen, sosehr hat man, gerade dort, Schönheit sich dem Betrachter vielleicht erst auf den wo im Falle der Dorfkirchen und Sakralbauten politi- zweiten Blick und nach längerer Fahrt auf Umwegen sche und ideologische Implikationen Zurückhaltung jenseits der Hauptstraßen erschließt. nahelegten, festzustellen, dass die Denkmalpflege in Ausgehend von ihrer vorausgehenden Förderung Ostdeutschland einen Rückstand von Jahrzehnten ge- von Restaurierungs- und Neueinrichtungsprojekten genüber der Situation in Westdeutschland hat. 40 Jahre von Komponistenmuseen in Leipzig, Halle und Weißen- DDR-Vergangenheit haben den Kulturdenkmälern in fels sowie der Domschätze in Merseburg und Naumburg den neuen Bundesländern besonderen, teils irreversiblen und der historischen Bibliotheksbestände in Zeitz hat Schaden zugefügt. Auch heute sind zahlreiche denkmal- die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius mit dem geschützte Objekte in den ostdeutschen Bundesländern Programm »Kulturerhalt in Ostdeutschland. Denkmal- in ihrem unmittelbaren Erhalt gefährdet, manche gar pflegemaßnahmen« in den Jahren 2007 bis 2011 zur vom Einsturz bedroht. Es bleibt eine gewaltige Aufgabe, Restaurierung bedeutender Kulturdenkmäler in den die so vielfältige Kulturlandschaft in den fünf neuen Bun- ostdeutschen Bundesländern beigetragen. Das Kurato- desländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, rium der ZEIT-Stiftung hat dafür seit dem Frühjahr Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zu sanieren 2007 eine Gesamtsumme von 350.000 Euro bewilligt,

4 um einen Denkmaletat aufzulegen, mit dem schnell und gen nach einer einvernehmlichen Lösung gesucht werden unbürokratisch geholfen werden kann. Das Programm müssen. Für alle anderen Denkmäler hätten in Zukunft nahm seinen Ausgang aber nicht nur in den verschie- nur noch die unteren Denkmalschutzbehörden, in der denen Einzelvorhaben zum Erhalt der Dom- und Musik- Regel die Bauverwaltungen der Städte und Kreise, zu- schätze, sondern auch im Programm »Für die Zukunft ständig sein sollen. gerettet« zur Restaurierung von 36 historischen Orgeln Die vorliegende Publikation möchte die einzigartige in den einzigartigen Orgellandschaften Mecklenburg- Vielfalt des kulturellen Erbes in den neuen Bundeslän- Vorpommerns, Sachsen-Anhalts und Brandenburgs mit dern einem breiten Publikum vorstellen, Anregung einem Volumen von mehr als 1,1 Millionen Euro, das sein zur intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema 2006 abgeschlossen wurde. Denkmalpflege in Ostdeutschland, die Vielfalt und Be- Bei ihrem Engagement im Rahmen der unterschied- sonderheit der Denkmallandschaft in den neuen Bundes- lichen, in dieser Publikation zusammengefassten Projek- ländern in Wort und Bild vor Augen führen und zum te und Programme war die ZEIT-Stiftung nicht allein Besuch einladen. Sie möchte mit ihrem Blick auf aus- tätig. Gemeinsam mit vielen anderen öffentlichen, kirch- gesuchte restaurierte Kulturdenkmäler und kulturelle lichen und privaten Förderern wie der Deutschen Stif- Gedächtnisorte aber zugleich auch Stiftungen, Unter- tung Denkmalschutz, der Deutschen Bundesstiftung nehmen und private Förderer anregen, mitzuhelfen, Umwelt, der Hermann Reemtsma Stiftung, der Rudolf- eine einzigartige Kulturlandschaft in ihrer reizvollen August Oetker-Stiftung, der Katharina und Gerhard Vielfalt zu erhalten! Hoffmann Stiftung und zahlreicher weiterer Stiftungen hat sie einen wichtigen Beitrag dazu leisten können, Der Denkmalschutz in Ostdeutschland bleibt eine ge- dass die ostdeutsche Kulturlandschaft nachhaltig er- waltige Aufgabe! halten bleibt. Insgesamt 31 denkmalgeschützte Objek- te konnten allein durch das Restaurierungsprogramm Dr. Andreas Hoffmann »Kulturerhalt in Ostdeutschland« gerettet werden. Wie gefährdet die denkmalgeschützten Kulturgüter in den ostdeutschen Ländern nach wie vor sind, zeigt Vorstand und Kuratorium der ZEIT-Stiftung Ebelin nicht zuletzt die im Sommer 2010 geführte Diskussion und Gerd Bucerius danken Dr. Andreas Hoffmann, um eine geplante, aber letztlich nicht umgesetzte No- dem Geschäftsführer des Bucerius Kunst Forums und vellierung des Sächsischen Denkmalschutzgesetzes. Programmleiter Kunst und Kultur, für die Konzeption Schätzungsweise 80 Prozent der derzeit anerkannten und Realisation des vorliegenden Bandes. Kulturdenkmäler des Bundeslandes sollten demnach aus der besonderen Fürsorgepflicht des Staates entlassen Prof. Dr. Michael Göring werden. Premiumobjekte von internationaler, nationaler Vorsitzender des Vorstands und territorialer Bedeutung sollten binnen einer sechs- monatigen Meldefrist in ein Denkmalbuch eingetragen werden. Nur um diese Objekte sollten sich die staat- lichen Denkmalpfleger noch kümmern. Nur für diese Objekte sollte der staatliche Schutz in vollem Umfang bestehen, hätte bei zustimmungspflichtigen Bauanträ-

5 Denkmalschutz in Ostdeutschland seit 1945

Die Kirche in Tribohm mit ihrem vermutlich 1421 zugefügten hölzernen Turm

6 ( 7 ) Denkmalschutz in der DDR

Vom »European Architectural Heritage Year« 1975 ging Denkmal zu regeln, konnte das DDR-Recht es sich natur- für die Denkmalpflege in Westdeutschland ein allge- gemäß einfacher machen, da private Eigentumsrechte meiner Aufbruch aus. Schon im Jahr 1971 hatte Baden- an Immobilien nur einen geringen Stellenwert besaßen. Württemberg ein Denkmalschutzgesetz verabschiedet, Ein markanter Unterschied zu den westdeutschen Ge- die anderen Bundesländer folgten bis 1980. setzen lag in der Klassifizierung der Denkmäler in der Im Jahr 1975 wurde auch das Denkmalschutzge- DDR: Es gab eine Republikliste für die bedeutendsten setz der DDR verabschiedet. Schon in den ersten, beson- Denkmalobjekte, darunter, hierarchisch abgestuft, die ders problematischen Jahren der sowjetischen Besat- Listen der Bezirke und der Gemeinden. Alle Listen be- zungszone und seit 1949 bestand eine wichtige Leistung durften der Bestätigung durch politische Gremien: Im der frühen DDR-Denkmalpflege nicht zuletzt im Schutz Fall der Republikliste war dies der Ministerrat, also die von Ruinen, die vor dem Abriss bewahrt wurden und Regierung. Diese Struktur trug stark dazu bei, dass somit auf bessere Zeiten warten konnten. Dazu gehörte nur relativ wenige herausragende Objekte, die nicht auch die Dresdner Frauenkirche, die eine Doppelexis- zuletzt auch politisch genehm sein mussten, wirklichen tenz führte: Einerseits wurde der Trümmerhaufen zum Schutz und Pflege genossen. Mahnmal gegen den Krieg erklärt und erwarb in die- Der Schutz der Denkmäler auf den Listen der Be- ser Rolle zweifellos eine neue Denkmalbedeutung, an- zirke und Gemeinden war überwiegend theoretischer dererseits sahen engagierte Denkmalpfleger in dieser Natur. Es fehlten in der DDR weniger die rechtlichen Funktion nur eine Überwinterung bis zu dem Tag, an Regelungen als vielmehr die Möglichkeit zu ihrer Um- dem der Wiederaufbau möglich sein würde. setzung in die Realität. Einige bedeutende Altstädte Während die westdeutsche Denkmalpflege in den auf dem Gebiet der DDR waren aufgrund ihrer geographi- eineinhalb Jahrzehnten nach dem Denkmalschutzjahr schen Lage nahezu unzerstört durch den Bombenkrieg 1975 ihre stärkste Phase erlebte, bot die DDR in diesem gekommen, doch die politischen und wirtschaftlichen Zeitabschnitt ein ambivalentes Bild. Das 1975 erlasse- Grunddefizite des sozialistischen Staates bedingten ne Denkmalschutzgesetz kam in vielerlei Hinsicht den einen schleichenden Abnutzungsprozess der Denkmal- westdeutschen Definitionen und Regelungen sehr nahe, substanz. Wo selbst minimale Bauunterhaltungsmaß- wies aber auch einige signifikante Unterschiede auf. nahmen – wie das Nachstecken von Dachziegeln oder Wo westdeutsche Gesetze durchweg formulierten, dass das Reinigen von Regenrinnen und Fallrohren – jahr- Denkmalschutz für ein Objekt ein Erhaltungsinteresse zehntelang ausblieben, weil sich niemand zuständig der Öffentlichkeit voraussetze, verlangte das Denkmal- fühlte oder die elementarsten Baumaterialien nicht zu- schutzgesetz der DDR, dass die Erhaltung des Objekts gänglich waren, musste die historische Bausubstanz im im Interesse der sozialistischen Gesellschaft liegen großen Stil verkommen, selbst wenn einzelne prominente müsse. Denkmäler sollten »der Entwicklung des sozia- Objekte mit großer Kompetenz restauriert wurden. listischen Bewußtseins, der ästhetischen und techni- Der zentralistische Staat war zwar in der Lage, schen Bildung sowie der ethischen Erziehung dienen« enorme Neubauprogramme zu betreiben, doch das sys- (DDR-Gesetz 1975 §1). Diese politische Funktionalisie- tembedingte Misstrauen gegenüber Einzelinitiativen, rung konnte bei der Entscheidung über die Denkmal- gegenüber der Verlagerung von Entscheidungsbefugnis- würdigkeit von Objekten durchaus problematisch wer- sen auf untere Ebenen vor Ort machte es unmöglich, den. Wo westdeutsches Denkmalrecht sich bemühen Erhaltungs- und Sanierungsprogramme für die histori- musste, die Beschränkung der Eigentumsrechte am sche Bausubstanz der mittelalterlich geprägten Stadt-

8 kerne, etwa in Görlitz oder Stralsund, oder auch der in Westdeutschland lange stiefmütterlich behandelt kaiserzeitlichen Wohnquartiere in Leipzig oder in Prenz- wurde, in der DDR geradezu vorbildhaft. Die Potsdamer lauer Berg in Berlin zu organisieren. Altstadtsanierung Gärten, die Gärten in Wörlitz, Dresden und Muskau sah in der Regel so aus, dass Stadtquartiere, die bis zur konnten zwar nur mit beschränktem materiellen Ein- absoluten Unbewohnbarkeit abgewirtschaftet waren, satz, dafür aber mit umso größerer Fachkenntnis erhal- flächig abgeräumt und im günstigsten Fall durch ten und restauriert werden. historisch angepasste Plattenbauten ersetzt wurden. Den Sakralbauten kam denkmalpflegerisch in der Nicht selten wurden an sogenannten Protokollstrecken, DDR eine besondere Bedeutung zu. Schon in den 1960er exponierten Strecken, an denen auch auswärtige Be- Jahren traten Schadensbilder, insbesondere an den gro- sucher entlangfuhren, Fassadensanierungen durch- ßen Stadtkirchen, infolge jahrzehntelanger Vernach- geführt, die dem Fürsten Potemkin Ehre gemacht hät- lässigungen in der Bauunterhaltung immer deutlicher ten: etwa in Meißen, wo unbewohnbare mittelalterliche zutage. Für den immensen Nachholbedarf im Kirchen- Häuser so weit hergerichtet wurden, dass sie zumin- bau der DDR stand aber nur eine sehr begrenzte Bauka- dest vom Auto aus intakt zu sein schienen. pazität zur Verfügung. Das kirchliche Bauen war nicht Das zentrale Institut für Denkmalpflege der DDR, nur dem in der »Volkswirtschaft« der DDR praktizierten seine Außenstellen und der angegliederte VEB Denk- Planungssystem, sondern auch kirchenpolitischen Vor- malpflege konnten in ihren Einzelrestaurierungen na- gaben und Entscheidungen ausgesetzt. Das wirkte sich turgemäß nur eine geringe Anzahl von prominenten für die Kirchen in Bilanzzuweisungen von vielleicht Objekten versorgen. Sowohl die Objektauswahl als zehn Prozent zu den tatsächlich getätigten jährlichen auch die Restaurierungsprinzipien, die dabei verfolgt Gesamtinvestitionen aus. Der größte Anteil der Arbeiten wurden, deuten immer wieder auf dasselbe Grundsatz- wurde in sogenannten Feierabendtätigkeiten sowie zu- problem hin: Da die notwendigen Ressourcen immer nehmend durch kircheneigene Bauhöfe, Baubrigaden wieder aufs Neue den Vertretern der allmächtigen Par- und Werkstatteinrichtungen geleistet. Mit derartigen tei abgerungen werden mussten, konnte man letztlich Eigeninitiativen und Aktionen konnten im Einzelfall nur Objekte bearbeiten, die auch politisch durchsetz- erstaunliche Ergebnisse erzielt, nicht aber fortschreiten- bar waren, und auch die Art der Wiederherstellung der Verfall der kulturell bedeutsamen Kirchengebäuden musste in erster Linie den Machthabern zu vermitteln insgesamt aufgehalten werden. Um Verluste zu vermei- sein und nicht primär fachlichen Interessen entspre- den und wirksame Abhilfen zu schaffen, bedurfte es chen. In Cottbus etwa konnte man die mittelalterliche eines besonderen kirchlichen Bauprogramms. Stadtmauer sanieren, weil man den Vertretern der Par- Langwierige Verhandlungen der Kirchen auf Regie- tei die Parallele zur Kremlmauer nahelegte. Schlösser rungsebene hatten schließlich Erfolg. Am 13. Dezember dagegen waren, als vermeintliche Monumente des Im- 1972 traf der Ministerrat der DDR die Entscheidung, perialismus und Militarismus, lange Zeit einem wahren ein Sonderbauprogramm zunächst für 45 Kirchen im Bildersturm ausgesetzt, dem die kriegsbeschädigten Zeitraum von 1973 bis 1975 durchzuführen. Durch die Königsschlösser in Berlin und Potsdam, aber auch zahl- großzügige Bereitstellung finanzieller Mittel aus den reiche Herrenhäuser auf dem Land zum Opfer fielen. Gliedkirchen der EKD der Bundesrepublik Deutschland Besonders problematisch war die Sprengung der völlig wurde die Realisierung eines Valuta-Programms ermög- intakten spätgotischen Universitätskirche in Leipzig. licht, eines kirchlichen Sonderbauprogramms, bei dem Hingegen entwickelte sich die Gartendenkmalpflege,die staatliche Dienststellen der DDR aufgrund von DM-Geld-

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leistungen der Gliedkirchen der EKD der Bundesrepu- sen. Einige Kirchen wurden abgebrochen oder gesprengt blik Deutschland den evangelischen Kirchen in der DDR wie die Garnisonkirche in Potsdam oder die Sophien- Baukapazitäten bereitstellten. Die Abwicklung erfolgte kirche in Dresden. Zu den Kirchen, die durch eine erwei- über das Außenhandelsunternehmen LIMEX GmbH, terte Nutzung oder eine Umnutzung im Wiederaufbau Berlin. Daneben entwickelte sich das sogenannte Klein- neu gestaltet wurden, gehören die barocke Dreikönigs- projektprogramm, basierend auf individuellen partner- kirche in Dresden, deren Wiederaufbau 1984 bis 1990 schaftlichen Hilfen zwischen Kirchen der EKD und Kir- als übergemeindliches Haus der Kirche unter Aufteilung chen des Bundes. Ein eigener Einfuhrsektor von Mate- des Inneren mit verkleinertem Kirchenraum und zahlrei- rial, Gerüsten, Maschinen und Geräten entstand. In den chen Veranstaltungsräumen erfolgte. Schließlich wurden 1970er Jahren kam es zu einer Periode kirchenbaulicher seit Mitte der 1970er Jahre auch Umnutzungen von Kir- Konjunktur in der DDR. Die kirchlichen Bauämter konn- chen vorgenommen – wie bei der Kirche St. Katharinen ten trotz personeller Aufstockung den Anforderungen in Stralsund, die zum Meeresmuseum ausgebaut wurde. kaum gerecht werden. Die Zeit war geprägt von vertrau- Einen besonderen, kontrovers diskutierten Fall bil- ensbildenden Maßnahmen zwischen Staat und Kirche. det die Restaurierung des Doms St. Nikolai in Greifswald. Angesichts der kleiner werdenden Gemeinden drängte Die Frage der Erhaltung dreier großer gotischer Kirchen sich zugleich aber verstärkt die Frage nach der Notwen- für die Stadt Greifswald wurde in diesem Zusammen- digkeit auf, alle Kirchengebäude zu erhalten. hang zwar kritisch erörtert, aber doch unter den aufge- In den 1970er und 1980er Jahren wurden zahlreiche zeigten Voraussetzungen eindeutig beantwortet. Infolge- Kirchengebäude in der DDR aufwendig restauriert. dessen wurde bei einer im Rahmen des Sonderbaupro- Dazu zählen beispielsweise die Kirche St. Nikolai in Pots- gramms realisierten Instandsetzung der St.-Marien-Kir- dam, der Schweriner Dom, die Peterskirche in Görlitz, che in Greifswald (vgl.S. 66–69) im Januar 1977 auch mit die Kirche St. Annen in Annaberg, der Dom St. Marien in der vom baulichen Zustand her wirklich dringend notwen- Freiberg, aber auch die Kirchen St. Marien in Prenzlau, digen Außensanierung des Greifswalder Doms begonnen. St. Trinitatis in Neuruppin oder das Doberaner Münster. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde St. Nikolai zur Kirchen wurden im Wiederaufbau rekonstruiert oder in Bischofskirche der Pommerschen Landeskirche bestimmt. zeitgenössischer Formensprache und mit neuer Grund- Das Äußere wie das Innere des Doms blieben jedoch rissdisposition wiederaufgebaut, wie die katholische unverändert im Zustand von 1832. Erst mit der Verbes- St.-Hedwigs-Kathedrale in Berlin durch den Düsseldor- serung des Klimas zwischen evangelischer Kirche und fer Architekten Hans Schwippert (1899–1973). Auch die DDR-Machthabern konnte Ende der 1970er Jahre mit Dresdner Kreuzkirche wurde in dieser Zeit als Proviso- einer umfangreichen Sanierung begonnen werden. Nach rium wiedererrichtet. Ihr Innenraum wurde nach der vierjähriger Bauzeit konnte die Maßnahme Ende 1980 schweren Beschädigung durch den Bombenangriff auf mit einem Umfang von ca. 3 Millionen Valutamark und Dresden im Februar 1945 in einer vereinfachten Form ca. 0,25 Millionen Mark der DDR abgeschlossen werden. durch den Architekten Fritz Steudtner (1896–1986) in Damit war nicht nur die Entscheidung für die weitere Rauputz neu gestaltet. Erhaltung und kirchliche Nutzung des Doms gefallen, Das Bild vom Umgang mit der sakralen Bausubstanz sondern auch die Voraussetzung für eine weitreichende in der DDR ist heterogen. Es gab Kirchen, die Ruinen Innenrenovierung geschaffen. blieben, da sich alle Bemühungen um den Wiederaufbau Am 11. Juni 1989 wurde der Dom nach umfangreicher aus den verschiedensten Gründen als vergeblich erwie- Sanierung mit einem Festakt in Anwesenheit des Gene-

10 ralsekretärs des Zentralkomitees der SED und DDR- Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker wieder einge- weiht. Das Projekt war in Kirchenkreisen umstritten, weil für viele andere Kirchenbauten Geld fehlte. Beson- ders die von Bischof Horst Gienke ohne Rücksprache mit Synode und Kirchenleitung erfolgte Einladung Hone- ckers stieß auf Ablehnung. Der Festgottesdienst, der einer der letzten großen öffentlichen Auftritte Honeckers vor seinem Sturz am 18. Oktober 1989 war, wurde daher von vielfältigen Protesten begleitet. Zum Problem und zum Gegenstand zahlreicher innerkirchlicher und außerkirchlicher Kontroversen wurde die Innenrenovierung des Greifswalder Doms aber auch vor dem Hintergrund des allgemeinen Ver- falls der Städte in der DDR. Bereits bei der Fertigstel- lung der Restaurierung der Außenhaut 1980 hatte der Dom St. Nikolai in einem deutlichen städtebaulichen Kontrast gegenüber dem allgemeinen Verfall der um- liegenden Wohnquartiere gestanden, der sich in den letzten Jahren der DDR fortsetzte und nicht unwesent- lich verschärfte.

11 Denkmalschutz in den neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung

Nach dem Ende der DDR und der deutschen Vereini- erhaltenen Kirchen ist die im Rahmen des Programms gung wurde die Denkmalpflege auch in Ostdeutschland »Kulturerhalt in Ostdeutschland« der ZEIT-Stiftung föderalistisch strukturiert, mit neuen Behördenstruk- Ebelin und Gerd Bucerius restaurierte Kirche St. Cyria- turen in den fünf neuen Bundesländern anstelle der kus in Tauhardt, 35 km westlich von Naumburg (Saale) vorherigen zentralistischen Organisation und mit jeweils in Sachsen-Anhalt (vgl. S. 96 f.). Nach dem Abriss der eigenen Denkmalschutzgesetzen, die sich oft an denen Kirche in Billroda ist diese Kirche die einzige verblie- der jeweiligen »Paten«-Bundesländer im Westen ori- bene in den beiden Ortsteilen der Gemeinde Finne. entierten. Diese neuen Denkmalbehörden sahen sich Dass sich mit der Restaurierung und Sanierung kul- mit einer einzigartigen Aufgabe konfrontiert. Tausende tureller Leuchtturmprojekte eine erhöhte Aufmerksam- Baudenkmäler in Ostdeutschland waren zum Zeitpunkt keit für eine Region verbindet, ist weithin bekannt. Wie der Vereinigung materiell und technisch in einem kata- solche touristischen Komponenten konkret nutzbar ge- strophalen Zustand. Aber sie waren andererseits in macht werden können, zeigt nicht zuletzt die Entwick- einem unvergleichbar reichen und vielfältigen Bestand lung der Marke »Schütz-Stadt Weißenfels«. In dem Maße, erhalten geblieben, wie man ihn in Westdeutschland wie sich Förderer und Sponsoren zunehmend für die Res- schon längst nicht mehr kannte. Es gehört zu den un- taurierung des Heinrich-Schütz-Hauses in Weißenfels bestreitbaren Erfolgsgeschichten der deutschen Verei- (vgl. S. 28–31) einsetzen, wächst hier auch das Bewusst- nigung, dass ein Großteil dieser historischen Substanz sein für die mögliche Vermarktung des berühmten Kom- gesichert werden konnte durch den Einsatz vieler Mil- ponisten als Sohn der Stadt. lionen Euro aus öffentlichen Mitteln, aber auch dank Welche nicht zu unterschätzende Bedeutung gera- der Spenden aus der Öffentlichkeit. Vor allem die Stadt- de die Dorfkirchen für die Aufwertung einer ländlichen denkmäler wie Görlitz, Stralsund und viele andere im Region unter touristischen Aspekten haben können, zei- Kern mittelalterliche Ensembles konnten praktisch in gen nicht zuletzt die sommerlichen Musikfestivals in letzter Minute vor der völligen Auflösung bewahrt wer- den neuen Bundesländern wie beispielsweise die Fest- den, wenngleich deren notwendige Wiederbelebung durch spiele Mecklenburg-Vorpommern. Die Dorfkirchen und neue Nutzung ein langwieriges Problem bleiben wird. Herrenhäuser als ungewöhnliche Spielorte der Festival- Erst mit der Wiedervereinigung kamen auch Wiederauf- konzerte leisten neben dem musikalischen Programm bauarbeiten an kriegszerstörten Kirchen und Schlössern einen wichtigen Beitrag zum Festivalerfolg. in Gang, die während der vier Jahrzehnte der DDR Trotz aller erreichten Ergebnisse bleibt der Kultur- politisch wie finanziell nicht möglich gewesen waren. erhalt in Ostdeutschland gerade vor dem Hintergrund Insbesondere der Restaurierung von Dorfkirchen der aktuellen finanziellen Entwicklung schwierig. Die in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sach- Situation der Denkmalpflege in Deutschland hat sich sen-Anhalt kommt eine große soziale Bedeutung in der in den vergangenen zehn Jahren verschlechtert. Länder- Erhaltung einer sakralen Topographie in den ostdeut- parlamente haben die Zuschussetats und die personelle schen Bundesländern zu. Nachdem die Zahl der Gläubi- Ausstattung ihrer Landesdenkmalämter überproportio- gen stark gesunken ist, bemühen sich viele Förderverei- nal zu anderen Bereichen reduziert. Ein weiteres Problem ne darum, die Kirchen für kulturelle Zwecke zu nutzen, gerade bei den Sakralbauten stellen die zu DDR-Zeiten da sonst den Dörfern der einzige kommunikative Mit- im Rahmen des Kirchenbauprogramms der EKD oder telpunkt sowie der Anreiz für den Bildungstourismus mit staatlichen Mitteln geförderten Restaurierungen verloren geht. Ein Beispiel für diese besondere Rolle der dar. An zahlreichen geförderten Baudenkmälern tre-

12 ten schon jetzt gravierende Schäden auf, weil seiner- zeit keine qualifizierten Handwerker zur Verfügung standen und fehlerhaftes Material eingesetzt wurde. Besonders gravierend sind diese Schäden im Dom St. Nikolai in Stralsund, wo im Sommer 2011 die Innen- sanierung der Kirche zugunsten einer Neueindeckung des kupfernen Kirchendaches aufgegeben werden muss- te, weil die wohl zu dünnen und falsch verlegten Kupfer- bleche schon seit den 1980er Jahren zahlreiche Löcher aufweisen. Es regnet bereits in den Dachraum hinein, so dass die kostbare Innenausstattung mit den gotischen Altären und die bereits weit fortgeschrittene Restau- rierung der Wände und Gewölbe mit ihren Malereien erneut gefährdet sind. Unter den im Programm der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius geförderten Sakralbauten zeigt die Kirche St. Michael in Krummin (vgl. S. 74 f.) die nega- tiven Folgen der in der DDR-Zeit vorgenommenen Res- taurierungen für die Bausubstanz besonders deutlich. Der 1980 erfolgte Neuverputz der Chorwände hatte zu erheblichen Feuchtigkeitsschäden geführt, die eine er- neute Sanierung erforderlich machten.

13 Wirkungsstätten bedeutender Komponisten in Ostdeutschland

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18 Bach – Händel – Schütz: Alle drei Komponisten, die zu den großen Gestalten der europäischen Musikgeschichte gehören, haben ihre Wurzeln in Mitteldeutschland. Mit dem Bach-Archiv und -Museum in Leipzig und dem Händel-Haus in Halle wur- den schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg zwei bedeutende Kultureinrichtungen gegründet, die an das Wirken und Leben der Komponisten erinnern. Mit dem Heinrich-Schütz-Haus in Weißenfels eröffnete das einzige original erhaltene Wohn- haus von Heinrich Schütz 1985 zum 400. Geburtstag des Komponisten nach umfassender Rekonstruktion als Musiker- gedenkstätte. Alle drei Institutionen wurden im Rahmen der Denkmalpflegeaktivitäten der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius in den vergangenen Jahren umfassend gefördert.

Seite 15: Die Bohlenstube im Händel-Haus in Halle, Beispiel eines bürgerlichen Repräsen- tationsraumes, 2. Hälfte 16. Jahrhundert

Seite 16–17: Das Bosehaus in Leipzig, Sitz des Bach-Archivs mit dem Bach-Museum

Seite 18: Fragment einer Abschrift der Chromatischen Fantasie BWV 903 von J. C. F. Bach, um 1748, Bach-Archiv Leipzig

19 Das Bach-Archiv Leipzig mit dem Bach-Museum Sachsen

Das Bach-Archiv Leipzig versteht sich als musikali- Leipzig wurden aus Fördermitteln zahlreicher gemein- sches Kompetenzzentrum am Hauptwirkungsort Johann nütziger Stiftungen und privater Förderer realisiert: Sebastian Bachs. Sein Zweck ist, Leben, Werk und Wir- Das Programm »Städtebaulicher Denkmalschutz« der kungsgeschichte des Komponisten und der weitverzweig- Bundesrepublik Deutschland, der Freistaat Sachsen ten Musikerfamilie Bach zu erforschen, sein Erbe zu und die Stadt Leipzig sorgten gemeinsam mit dem bewahren und als Bildungsgut zu vermitteln. Im Bewusst- Packard Humanities Institute, Los Altos, CA (USA), der sein der Bedeutung Bachs erfüllt es einen umfassenden Ostdeutschen Sparkassenstiftung und der Sparkasse und vielfältigen Auftrag für eine breite internationale Leipzig sowie Dr. Arend Oetker, Berlin, Susanne Klat- Öffentlichkeit. Zugleich leistet es damit einen Beitrag ten, München, und zahlreichen weiteren Unternehmen zur Profilierung der Musikstadt Leipzig, deren kulturelle und privaten Förderern für die denkmalgerechte Sa- Identität der Name Bach maßgeblich prägt. Die wissen- nierung und Aufbereitung des so wichtigen Komplexes. schaftliche Arbeit des Bach-Archivs bildet die Grund- Die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius hat lage für die Gestaltung des Bach-Museums und prägt sich im Rahmen dieses Gesamtprogramms für die Er- auch das jährliche Bachfest und den zweijährlichen weiterung der Räumlichkeiten für das Bach-Museum Bach-Wettbewerb. und die Einrichtung einer Schatzkammer engagiert. Das Bach-Archiv Leipzig befindet sich im 1586 er- Das Museum hat es sich zur Aufgabe gemacht, Bachs richteten Bosehaus am Thomaskirchhof. Im Jahr 1711 Leben und Wirken nicht nur allgemeinverständlich wurde dieses als barockes Wohnhaus des Handelsherrn darzustellen, sondern auch Einblicke in die Quellen, Georg Heinrich Bose umgebaut. Die Familien Bach und Fragen und Methoden der Bach-Forschung zu geben. Bose waren miteinander befreundet und durch Paten- Die Schatzkammer und das unmittelbar angrenzende schaft eng verbunden. Vermutlich war der Komponist Forschungslabor tragen diesem Anspruch Rechnung. häufiger Gast im Haus der benachbarten Kaufmanns- Ziel war eine Präsentationsmöglichkeit der kostbaren familie. Seit seinem Umzug aus dem Gohliser Schlösschen Bestände, die höchsten licht- und klimatechnischen An- im Leipziger Norden ins Zentrum im Jahr 1985 anläss- forderungen genügen sollte. Erzählende Ausstellungs- lich des 300. Geburtstags des Komponisten hatte sich das bereiche wechseln sich im Bach-Museum mit solchen Bach-Archiv das Bosehaus bis 2007 mit dem internatio- ab, in denen die Besucher selbst aktiv werden können. nal bekannten Kabarett »Leipziger Pfeffermüle« geteilt. Die klingende Musik ist in Klangrohren, Hörstationen Mit seiner feierlichen Eröffnung im März 2010 zu oder als Raummusik im gesamten Museum präsent. Johann Sebastian Bachs 325. Geburtstag wurde das Im Hörkabinett ist gar jedes einzelne Werk aus dem ge- Bach-Archiv Leipzig alleiniger Nutzer der Räumlichkei- samten bachschen Œuvre abrufbar. ten am Thomaskirchhof. Nach umfassender Renovie- Nach modernsten Sicherheitskriterien für die Samm- rung entstand in den Jahren 2008 bis 2010 gegenüber lungen und modernsten pädagogischen Erkenntnissen der Thomaskirche ein einzigartiges Bach-Zentrum, das ausgebaut, präsentiert das erweiterte Bach-Museum neben einem Forschungsinstitut, einer Spezialbiblio- auf mehr als verdoppelter Ausstellungsfläche nicht mehr thek und einem künstlerischen Betriebsbüro auch das nur die Leipziger Jahre des Komponisten, sondern die Bach-Museum Leipzig beheimatet. gesamte Schaffenszeit. Besondere Kostbarkeiten aus Die Renovierung und Modernisierung des Bose- dem Bestand des Bach-Archivs wie Ausschnitte der 44 hauses mit der Neugestaltung und Erweiterung des originalen Stimmsätze aus Bachs Leipziger Choralkan- Bach-Museums und der Bibliothek des Bach-Archivs taten-Jahrgang, die in einem umfassenden Restaurie-

20 Bosehaus mit Erweiterungs- bau des Architekturbüros Fuchshuber & Partner, 2010

21 rungsvorhaben ebenfalls mit Hilfe der ZEIT-Stiftung republik Deutschland, der Freistaat Sachsen und die für die Zukunft gerettet wurden, können in der Schatz- Stadt Leipzig die Institution getragen. Seit 2008 ist sie kammer des Museums bewundert werden. Die Schatz- zudem An-Institut der Universität Leipzig. 2001 ist das kammer ist in einem eingeschossigen Anbau mit klima- Bach-Archiv in das Blaubuch, eine Liste der 20 bedeu- tisierten Ausstellungsräumen am hinteren Querflügel tendsten Kultureinrichtungen in Ostdeutschland, aufge- der barocken Hofanlage untergebracht. nommen worden. Mit der Eröffnung des ausgebauten Forschungs- Das Bach-Archiv widmet sich heute dem Leben und zentrums wurde im März 2010 ein neues Kapitel in der Wirken der gesamten weitverzweigten, thüringisch-säch- wechselvollen Geschichte des Bach-Archivs aufgeschla- sischen Musikerfamilie, die vom 16. bis ins 19. Jahrhun- gen: Gegründet im Jahr 1950, dem 200. Todesjahr des dert hinein wirkte, sowie deren musikalischem Umfeld. Komponisten, als wissenschaftliche Sammel- und Ar- Ein vielfältiges Publikationsprogramm vermittelt die beitsstätte, um die weltweit verstreuten Quellen zum Forschungsergebnisse aus Wissenschaft und Praxis. Das Leben und Wirken Johann Sebastian Bachs zusammen- Forschungsinstitut arbeitet eng mit anderen nationalen zutragen und in Publikationen zugänglich zu machen, und internationalen Forschungseinrichtungen zusammen, wurde es 1979 in die Nationalen Forschungs- und Ge- insbesondere mit der Staatsbibliothek zu Berlin und der denkstätten J.S. Bach der DDR eingegliedert. 1991 als Sächsischen Akademie der Wissenschaften. In regelmäßi- städtische Einrichtung und seit 1998 als Stiftung bürger- gen Abständen werden wissenschaftliche Fachtagungen, lichen Rechts weitergeführt, haben seither die Bundes- Vorträge und Konzerte veranstaltet.

Bach-Archiv Leipzig Bach-Museum Leipzig Thomaskirchhof 15/16 Thomaskirchhof 15/16 04109 Leipzig 04109 Leipzig Telefon: 0341-9137-0 Telefon: 0341-9137-202 E-Mail: [email protected] E-Mail: [email protected] Öffnungszeiten: Öffnungszeiten: dienstags bis freitags dienstags bis sonntags 10–16 Uhr 10–18 Uhr Internet: www.bach-leipzig.de

22 Die Schatzkammer, Herzstück des Bach-Museums, mit wertvollen Originalhand- schriften von Johann Sebastian Bach

Johann Sebastian Bach, Marmorbüste von Carl Seffner, 1897

Orgelspieltisch von Johann Scheibe aus der Leipziger Johanniskirche, die Bach im Herbst 1743 prüfte

23 Das Händel-Haus in Halle Sachsen-Anhalt

Das Händel-Haus in Halle ist der zentrale Ort der Hän- führte nicht nur zu hervorragenden Festspielbeiträgen, del-Forschung und der -Pflege. Als Musikermuseum ver- sondern trug dazu bei, dass an vielen Bühnen Europas folgt es seit 1948 die Aufgabe, das Andenken an den in Händel-Opern in das Repertoire Eingang fanden. England zu Ruhm und Ansehen aufgestiegenen Kom- Eine neue Qualität bekamen die Händel-Festspiele ponisten zu bewahren und zu vermitteln. nach der Gründung der Georg-Friedrich-Händel-Gesell- Das Händel-Haus ist Ausrichter der seit 1952 jähr- schaft, die sich mit dem Ziel konstituierte, das Werk lich stattfindenden Händel-Festspiele Halle und zugleich, Händels »allseitig zu erforschen und zu propagieren«. Seit gemeinsam mit der Martin-Luther-Universität und der ihrer Gründung 1955 gibt sie die Händel-Jahrbücher Internationalen Georg-Friedrich-Händel-Gesellschaft, und die Hallische Händel-Ausgabe heraus. Dabei arbei- deren Geschäftsstelle sich ebenfalls im Händel-Haus tet sie eng mit dem Institut für Musikwissenschaft der befindet, Ort wichtiger Forschungs- und Editionspro- Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und mit jekte wie der Hallischen Händel-Ausgabe. Seit dem Jahr namhaften Händel-Forschern aus dem In- und Ausland 2001 ist es im Blaubuch der 20 wichtigsten Kulturin- zusammen. Unter ihrer Verantwortung werden auch stitutionen der ostdeutschen Bundesländer vertreten. die wissenschaftlichen Konferenzen mit internatio- 2008 ist das Händel-Haus in eine Stiftung öffentlichen naler Beteiligung vorbereitet, die jährlich im Rahmen Rechts umgewandelt worden. der Festspiele stattfinden. Aufführungen händelscher Werke gehörten zu den Ähnlich wie das Bach-Archiv und -Museum in Leip- ersten musikalischen Veranstaltungen, die – von der zig hat auch das Händel-Haus in Halle unmittelbar mit sowjetischen Militäradministration genehmigt – nach dem Leben und Wirken des Komponisten zu tun. Am 23. 1945 in Halle durchgeführt werden durften. Einzelnen Februar 1685 wurde Georg Friedrich Händel im Haus Konzerten folgten im Februar 1948 Händeltage, die von zum Gelben Hirschen, dem heutigen Händel-Haus, ge- der gerade durch Max Schneider neu gegründeten Halli- boren. Im Jahr 1558 fand das Haus mit seinem Kreuz- schen Händel-Gesellschaft, der Staatlichen Hochschule gratgewölbe aus dem 12. Jahrhundert, dessen Grund- für Theater und Musik, den Städtischen Bühnen, der mauern bis ins Mittelalter zurückreichen, erstmals Evangelischen Kirchenmusikschule und der Robert- Erwähnung. Das Stammgebäude ist ein historisches Franz- Singakademie veranstaltet wurden. Fruchtbare Bauwerk, hauptsächlich aus dem 17. und 18. Jahrhun- Arbeit leistete auch die Arbeitsgemeinschaft für Händel- dert. Am 30. Juni 1666 hatte der Vater des Komponis- Pflege des Kulturbundes zur demokratischen Erneue- ten, der Hofchirurg Georg Händel (1622–1697), das An- rung Deutschlands unter der Leitung des engagierten wesen, ein stattliches Eckhaus »Am großen Schlamm«, Musikalienhändlers Arno Rammelt (1902–1981), unter von der Witwe Susanna Bley für 1.310 Gulden erwor- anderem auch durch Konzerte in dem 1948 als Museum ben, die es seit 1630 gemeinsam mit ihrem Ehemann, eröffneten Händel-Haus. dem Kammerdiener Georg Bley, besessen hatte. Bei wachsender Breitenwirkung fanden auch in Das Haus lag in der Nähe der Residenz und besaß den folgenden Jahren Händeltage statt. 1952 wurden ein Weinschankprivileg, von dem der neue Eigentümer die ersten Händel-Festspiele durchgeführt. Sie waren aber nur wenige Jahre Gebrauch machen durfte. Nach vor allem auch der Ausgangspunkt einer umfassenden dem Tod des Vaters 1697 ging das Eigentum auf die Erschließung des Opernwerkes Georg Friedrich Händels Erben über. Mit dem Tod der Mutter 1730 erbte des für die Gegenwart. Die hallische Händelopern – Arbeit Komponisten Nichte Johanna Friderica Michaelsen. hatte in der Folge eine große Ausstrahlungskraft. Sie Ein Verwandter Händels, der Ratsmeister Friedrich

24 Unter der Sonne Arkadiens: die italienische Pergola mit Guckkästen

Das Händel-Haus nach Ab- schluss der Sanierungsarbeiten an Dach und Fassade 2009

Das romanische Keller- gewölbe wurde zum Händel- Jahr 2009 rekonstruiert

25 August Reichhelm, plante 1771 die Wiederherrichtung erausstellung und einer Sonderausstellung mit Händel- des Gebäudes. Sein plötzliches Ableben hatte die Zwangs- Handschriften aus der British Library in London wieder- versteigerung zur Folge. eröffnet. »Händel – der Europäer«, unter diesem Motto Die Stadt Halle erwarb das Geburtshaus 1937 und steht die neue Dauerausstellung des Händel-Hauses in begann mit dem Aufbau einer Sammlung von Bildern, Halle. Händel wird hier erstmals als europäische Er- Musikinstrumenten, Musikalien usw. Erst 1948 konn- scheinung interpretiert, darin vergleichbar Leonardo, te das im Zweiten Weltkrieg stark beschädigte Haus Kant oder Beethoven. nach zweijähriger Bauzeit als Gedenkstätte für den So versteht sich die neue Dauerausstellung im Hän- Komponisten und als Musikmuseum der Stadt Halle del-Haus als Versuch, die Bedeutung Händels – auch eingeweiht werden. Zum Händel-Jahr 1985 wurde das jenseits seiner Musik – als Europäer einer breiten Öffent- Museum um das Nachbargebäude, ein Wohnhaus eben- lichkeit vorzustellen. Händel hat sich als in Deutschland falls aus dem 17./18. Jahrhundert, erweitert und die aufgewachsener, in Italien erfolgreicher und schließlich Ausstellung neu gestaltet. 2001 wurde anstelle der in England heimisch gewordener Künstler zeitlebens ehemaligen »Schützei« ein Neubau errichtet, in dem das der nationalen Fesseln zu entledigen gewusst. Händel-Haus seit 2003 dauerhaft historische Musik- Gemeinsam mit dem Beauftragten der Bundesre- instrumente zeigt. Die Sammlung umfasst ca. 700 In- gierung für Kultur und Medien, dem Land Sachsen- strumente und etwa 1000 Handschriften. Anhalt und der Ostdeutschen Sparkassenstiftung mit Das Händel-Haus wurde am 14. April 2009 zum der Saalesparkasse hat die ZEIT-Stiftung Ebelin und 250. Todestag des Komponisten nach achtmonatigen Gerd Bucerius die Ausstellung und den Ausstellungs- Renovierungsarbeiten mit einer neu gestalteten Dau- führer ermöglicht.

Händel-Haus Halle Öffnungszeiten: Große Nikolaistraße 5 1. April bis 31. Oktober 06108 Halle (Saale) dienstags bis sonntags Telefon: 0345-50090-221 10–18 Uhr E-Mail: [email protected] 1. November bis 31. März dienstags bis sonntags 10 –17 U hr Internet: www.haendelhaus.de

26 Blick in den Raum »Musik zur öffentlichen Repräsentation«. Im Vor- dergrund ein barockes Notenpult

Blick in Raum 206 »Händel und Halle« im Dachgeschoss mit dem Modell des Händel-Denkmals

Die Bohlenstube mit ihrer origina- len Ausstattung und Wandmalereien aus dem 16. Jahrhundert

27 Das Heinrich-Schütz-Haus in Weißenfels Sachsen-Anhalt

Das Heinrich-Schütz-Haus Weißenfels war der Alters- schützscher Werke und historische Musikinstrumente. sitz des Komponisten. Schütz hatte das Haus 1651 er- Die umfassende Einbeziehung von Tonbeispielen, inter- worben und verbrachte hier von 1657 bis 1672 seinen aktiven Stationen und Filmen erlaubt dem Besucher, Lebensabend, bevor er im Alter von 87 Jahren in Dres- sich in die Klangwelt des 17. Jahrhunderts einzufühlen, den starb und in der alten Dresdner Frauenkirche bei- und bietet kurzweilig aufbereitetes »Fachwissen« zum gesetzt wurde. Schon seine Kindheits- und Jugendjah- Verstehen lutherischer Kirchenmusik. re (1590–1599) hatte Schütz in Weißenfels verbracht. Das Haus verfügt über ein Archiv mit originalen Wichtige Werke des Komponisten sind in den späten Musikhandschriften und Drucken des 17. bis 19. Jahr- Weißenfelser Jahren 1657 bis 1672 entstanden: Seine hunderts. Eingerichtet wurde eine Musikwerkstatt für drei Passionen nach Lukas (um 1664), Matthäus (1665) die museumspädagogische Arbeit. Zu den zahlreichen und Johannes (1666), seine Weihnachtshistorie (1664) Aktivitäten gehören regelmäßige Konzerte, die jährlich sowie als letztes Werk die vollständige Vertonung des stattfindende Weißenfelser Musikwoche sowie die unter 119. Psalms (1671), der sogenannte Schwanengesang. dem Dach der Mitteldeutschen Barockmusik e. V. und Das Heinrich-Schütz-Haus wurde als Renaissance- im Verbund mit den anderen beiden mitteldeutschen haus um 1550 erbaut. Der hohe Anteil original erhaltener Schützstätten Bad Köstritz und Dresden ausgerichte- Bausubstanz gibt dem Besucher einen authentischen ten Heinrich Schütz Musikfeste. Eindruck von der Architektur und der Raumgestaltung In seinen wissenschaftlichen Publikationen widmet aus der Schützzeit. Das Heinrich-Schütz-Haus in Wei- sich das Heinrich-Schütz-Haus dem regionalen Musik- ßenfels ist das einzige original erhaltene Wohnhaus leben vom 16. bis zum 19. Jahrhundert und der Schütz- des Komponisten. Zu seinem 400. Geburtstag im Jahr Sammlung. Das Heinrich-Schütz-Haus ist Mitglied der 1985 wurde es nach umfassender Rekonstruktion als Internationalen Heinrich-Schütz-Gesellschaft. Die japa- Musikergedenkstätte eröffnet. Das Gebäude befindet nische Künstlerin Yuriko Ashino hat im Schütz-Haus sich im Besitz der Stadt. Im Februar 2003 hat der Wei- eine Heimstatt gefunden. ßenfelser Musikverein »Heinrich Schütz« e. V. zehn Jah- Das Heinrich-Schütz-Haus Weißenfels wird seit 2010 re nach seiner Gründung die Trägerschaft der Gedenk- umfassend saniert. Bei der Sanierung werden zahlreiche stätte von der Stadt übernommen. bauliche Details der Schützzeit wiederhergestellt. Die Ein besonderer Schwerpunkt der Dauerausstellung, Baumaßnahmen mit einem Gesamtumfang von insge- die derzeit neu gestaltet und 2012 wiedereröffnet wird, samt 1,8 Millionen Euro werden mit Fördergeldern des liegt auf dem in Weißenfels entstandenen Spätwerk Bundes, des Landes Sachsen-Anhalt, der Stadt Weißen- des Komponisten. Die neue Ausstellungskonzeption ver- fels, der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, der knüpft die umfassende Darstellung von Leben und Werk Wüstenrot Stiftung, der Lotto-Toto GmbH Sachsen-An- von Heinrich Schütz mit bauhistorischen Erkenntnis- halt und durch Spenden finanziert. Der Schwerpunkt sen zur Nutzung des Hauses und der sozial- und kultur- der Förderung der ZEIT-Stiftung liegt dabei auf dem Aus- geschichtlichen Einbettung des Themas. Höhepunkt bau des ersten Dachgeschosses mit der Nachbildung der der Ausstellung wird die wiederhergestellte Komponier- historisch belegten Komponierstube von Heinrich Schütz. stube sein. Hier werden die im Haus aufgefundenen Im Oktober 2010 wurden dort bei den Sanierungs- Noten- und Schriftfragmente aus der Hand Heinrich arbeiten zwei Handschriftenfragmente von Heinrich Schütz’ als wertvollster Schatz des Hauses präsentiert. Schütz gefunden. Von besonderer Bedeutung ist ein No- Das Museum zeigt außerdem zahlreiche Frühdrucke tenfragment, das zu einem zweiten, bereits 1985 aufge-

28 Die Fassade des Heinrich-Schütz-Hauses in der Nikolaistraße in Weißenfels

29 fundenen Notenfragment gehört. Hierbei handelt es sich Läusekämme und eine Nähnadel geborgen. »Ein Teil um die Reste einer nicht mehr erhaltenen Vertonung der Gegenstände könnte zum Haushalt von Schütz ge- des 10. Psalms von Heinrich Schütz. Die um 1650/60 hört haben«, sagt die Geschäftsführerin des Heinrich- geschriebenen Noten entstammen einem gemeinsamen Schütz-Hauses, Henrike Rucker. Doppelblatt mit der Basso-continuo-Stimme der Kom- Die Papierfunde im Weißenfelser Haus belegen, position, wie Dr. Ann-Kathrin Zimmermann und Dr. dass noch lange nach dem Tod von Schütz ein größerer Matthias Kirchhoff von der Eberhard-Karls-Universität Dokumentenbestand aus dem Nachlass des Komponis- Tübingen nachwiesen. Die zweite neu aufgefundene ten existierte. »Erst bei einem Umbau um 1878 kamen Schütz-Handschrift ist ein Textfragment, in dem drei die jetzt gefundenen Fragmente unter die Dielung«, so Kammerjungfrauen namentlich genannt werden. Außer- Restaurator Bernd Dombrowski. Zudem ließen mit dem dem wurden zahlreiche Scherben von Keramikgeschirr Papier verklebte Putzreste darauf schließen, dass das und Ofenkacheln aus dem 15. bis 19. Jahrhundert so- Material im 18. und 19. Jahrhundert auch als Tapeten- wie weitere Gebrauchsgegenstände wie ein Krug, drei makulatur verarbeitet wurde.

Heinrich-Schütz-Haus Öffnungszeiten: Führungen auf Anfrage Weißenfels dienstags bis freitags Internet: www.schuetzhaus- Nikolaistraße 13 10 –17 Uhr weissenfels.de 06667 Weißenfels samstags, sonntags Telefon: 03443-302835 13–17 Uhr 1.1., 24.12., 25.12. und 31.12. geschlossen

30 Textfragment (»Kammerjungfrauen«) von Heinrich Schütz, aufgefunden im Heinrich-Schütz-Haus 2010

Komponierstube von Heinrich Schütz, Handzeichnung Miroslav Kulko

31 Domschätze und historische Bibliotheks- bestände an der Straße der Romanik in Sachsen-Anhalt

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36 Die Straße der Romanik in Sachsen-Anhalt verbindet die be- deutenden mittelalterlichen Dome in Halberstadt, Merseburg und Naumburg sowie die Stiftskirche in Quedlinburg und zählt zu den faszinierendsten deutschen Tourismusrouten. Mit der Domschatzkammer in Merseburg, dem Domschatzgewölbe in Naumburg und der Stiftsbibliothek in Zeitz mit ihren einzig- artigen historischen Buchbeständen sind drei Institutionen an der Straße der Romanik im Rahmen der denkmalpflege- rischen Aktivitäten der ZEIT-Stiftung in den vergangenen Jahren umfassend unterstützt worden. Alle drei Institutionen werden von den Vereinigten Domstiftern zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz verwaltet.

Seite 33: Lucas Cranach der Ältere, Der Apostel Jacobus der Ältere und Maria Magdalena, Altarretabel, um 1518/19

Seite 34–35: Der Kistritzer Altar, Dauerleihgabe der Gemeinde Kistritz, im Naumburger Domschatzgewölbe

Seite 36: Merseburger Zaubersprüche im Kodex 136, 10. Jahrhundert

37 Die Merseburger Domschatzkammer Sachsen-Anhalt

Das beeindruckende, auf einer Hochfläche am linken verbergen sich 5.687 Pfeifen. Die Ladegast-Orgel im Dom Ufer der Saale gelegene Ensemble mit dem Dom und gehört zu den größten und klangschönsten romanti- dem Schloss von Merseburg zeugt noch heute weithin schen Orgeln in ganz Deutschland. Aber nicht nur der sichtbar von der großen Bedeutung, die mit der einsti- Dom selbst, sondern auch das östlich der Klausur gele- gen Pfalz- und Bischofsstadt im Mittelalter verbunden gene, im 12. Jahrhundert begründete Kapitelhaus zählt war. Der Dom zu Merseburg St. Johannes der Täufer mit seinen zu Beginn des 16. Jahrhunderts repräsenta- und St. Laurentius zählt aufgrund seiner hervorragen- tiv mit Wandmalereien ausgestalteten Räumen zu den den Ausstattung mit mittelalterlichen und neuzeitli- schönsten spätgotischen Gebäuden in Deutschland. chen Kunstwerken zu den herausragenden Baudenk- Nach der Restaurierung des Kapitelhauses hatte sich mälern an der Straße der Romanik. gezeigt, dass die dort neu hergerichteten Räume zur Im 10. Jahrhundert erwarb König Heinrich I. Mer- Präsentation des Merseburger Domschatzes nicht aus- seburg und das umgebende Gebiet und baute es zur reichten, deshalb erfolgte 2008 die Sanierung der Süd- Pfalz aus. Unter den ottonischen Königen und Kaisern klausur. Sie birgt heute die Schatzkammer sowie die erhielt Merseburg überregionale Bedeutung. Im Jahr Zauberspruch- und Handschriftengewölbe. Realisiert 968 gründete Otto I. (der Große) gemäß einem vor der wurde das Vorhaben von zahlreichen Förderern und Schlacht auf dem Lechfeld 955 geleisteten Gelübde das Sponsoren, darunter das Land Sachsen-Anhalt, die Bistum Merseburg, das dem heiligen Laurentius ge- Stadt Merseburg, die Hermann Reemtsma Stiftung, weiht wurde. In Anknüpfung an eine Johanniskirche die KLARON AG sowie die ZEIT-Stiftung Ebelin und entstand der Merseburger Dom St. Johannes der Täu- Gerd Bucerius. fer und St. Laurentius. 981 erfolgte die Auflösung des Bischof und Domkapitel von Merseburg verfügten Bistums, 1004 wurde es durch Kaiser Heinrich II. neu bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts über einen heraus- begründet. Bischof Thietmar legte 1015 den Grund- ragenden Domschatz. Seine Grundlage bildet die bedeu- stein für den Dom St. Johannes und St. Laurentius, tende Ausstattung, die Kaiser Heinrich II. dem von ihm der im Laufe der Jahrhunderte mehrfach grundlegend im Jahr 1004 wiederbegründeten Bistum angedeihen verändert wurde. ließ. Ein Verzeichnis von 1564 führt mehr als 130 Vor- Der Dom zu Merseburg zählt zu den herausragen- hänge, Antependien, Teppiche, Tücher, Mitren, Mess- den Sehenswürdigkeiten in Mitteldeutschland. Die gewänder, Diakonröcke, Kaseln, Stolen und Manipel Ende des 11. Jahrhunderts geschaffene und aufwendig auf. Vor der Reformation besaß der Dom fast 50 eigen- gestaltete Grabplatte Herzog Rudolfs von Schwaben, ständige Altäre bzw. Kapellen. der 1080 als Gegenkönig Heinrichs IV. in der Schlacht Von dieser einstigen Pracht ist nur ein Bruchteil er- bei Hohenmölsen fiel, ist die älteste europäische Bildnis- halten geblieben. Im Schmalkaldischen Krieg wurde grabplatte in der Technik des Bronzegusses. Ein monu- der Dom 1546/47 geplündert. Die vom Domkapitel zur mentales Zeugnis barocker Grabkunst ist die Fürsten- sicheren Verwahrung nach Leipzig gebrachten Kleinodien gruft. Die Herzöge der wettinischen Sekundogenitur wurden von Herzog Moritz von Sachsen zur Besoldung Sachsen-Merseburg nutzten den Dom als fürstliche seines Kriegsvolkes missbraucht. Auch die erhoffte Hofkirche und Grablege. Bekannt geworden ist der sichere Verwahrung des noch verbliebenen Merseburger Merseburger Dom schließlich nicht zuletzt wegen der Silberschatzes in Dresden während des Dreißigjährigen zwischen 1853 und 1855 von Friedrich Ladegast ge- Krieges endete im Totalverlust. Immerhin erhielt der schaffenen Domorgel. Hinter ihrem barocken Prospekt Bestand während der Herrschaft der Herzöge von Sach-

38 Merseburg: Dom-Schloss-Ensemble und Kapitelhaus

39 sen-Merseburg (1656–1738) nicht unbedeutenden Zu- Das Zauberspruchgewölbe wurde eigens für die Merse- wachs. Noch heute zählen einzigartige Stücke zum »Rest« burger Zaubersprüche geschaffen. Sie gelten als das äl- des Domschatzes. In der Schatzkammer ist ein romani- teste Schriftzeugnis der althochdeutschen Sprache. Sie scher Tragaltar aus Eichenholz und Silberblech aus dem sind in einer Sammelhandschrift überliefert, die im 9. ersten Drittel des 13. Jahrhunderts mit Szenen aus dem und 10. Jahrhundert im Skriptorium des Klosters Fulda Leben Christi, den Aposteln Petrus und Paulus sowie entstand. Offenbar gelangte sie unter Bischof Wigbert dem heiligen Sixtus in getriebenem Relief zu sehen. In (1004–1009), der als Begründer der Domstiftsbibliothek die Oberseite der Eichenholztafel ist zur Aufnahme gilt, nach Merseburg. von Reliquien eine sechseckige Kammer eingelassen. Die Merseburger Zaubersprüche stellen das ein- Ein im 12. Jahrhundert in einer arabischen Werk- zige bekannte althochdeutsche Sprachzeugnis dar, in statt in Sizilien entstandenes Kästchen, das außen und in- dem Gestalten der germanischen Götterwelt (Wodan, nen mit 35 dünnen Elfenbeinplatten ausgekleidet war, die Balder, Frija, Volla, Sunna, Phol, Sinthgunt) agieren. im 13. Jahrhundert wohl nördlich der Alpen mit einer Be- Die erste der beiden magischen Beschwörungsformeln malung von bemerkenswerter Qualität versehen wurden, aus vorchristlicher Zeit wurde gesprochen, um Gefan- diente wahrscheinlich zur Aufbewahrung von Reliquien. gene aus ihren Fesseln zu befreien, mit der zweiten Zu sehen ist aber auch die mumifizierte Hand, die ver- sollte die Heilung einer Fußverletzung bewirkt werden. mutlich Rudolf von Rheinfelden im Verlauf der Schlacht Die beiden Sprüche wurden im ersten oder zweiten Drit- bei Hohenmölsen abgeschlagen wurde. Sie wird nebst tel des 10. Jahrhunderts auf ein leeres Blatt der Hand- einem Etui aus der Mitte des 16. Jahrhunderts gezeigt, schrift nachgetragen, ihr Inhalt gehört wohl in das 7. das wahrscheinlich den Ersatz für ein kostbares Behält- oder 8. Jahrhundert. nis darstellt, das infolge der Plünderung des Domschat- Zu den kostbarsten Handschriften, die im Handschrif- zes 1547 verloren ging. Unter den zahlreichen kostbaren tengewölbe verwahrt werden, gehört die dreibändige, mit erhaltenen liturgischen Gewändern ist der sogenannte farbenprächtigen Illustrationen ausgemalte Mersburger Mantel Ottos des Großen, wohl aus dem 10. bis 12. Jahr- Bibel. Sie ist ein herausragendes Zeugnis der deutschen hundert, besonders erwähnenswert. Buchmalerei an der Wende von 12. zum 13. Jahrhundert.

Merseburger Dom Öffnungszeiten: November bis Februar Domplatz 7 März bis Oktober montags bis samstags 06217 Merseburg montags bis samstags 10–16 Uhr Telefon: 03461-210045 9–18 Uhr sonn- und feiertags sonntags 12–16 Uhr 12–18 Uhr Internet: www.vereinigtedomstifter.de

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Sogenannter Ottomantel, 10.–12. Jahrhundert, Seidensamit

41 Die Naumburger Domschatzkammer Sachsen-Anhalt

Der Dom St. Peter und Paul in Naumburg an der Saale Frankreichs in spiriert, schuf der Naumburger Meister ist die ehemalige Kathedrale des Bistums Naumburg. mit dem Westlettner im Mainzer Dom sein erstes Haupt- Der Dom zählt zu den bedeutendsten Beispielen der werk. In der Mitte des 13. Jahrhunderts gelangte er nach Baukunst der späten Romanik und der frühen Gotik Naumburg, wo er für die Planung, Ausstattung und Aus- in Deutschland. Mit dem Kreuzgang und den umlie- führung des Westchores verantwortlich war. genden Kuriengebäuden bildet er eines der herausra- Nach der Reformation wurde 1542 mit Nikolaus genden Architekturensembles in Mitteldeutschland. von Amsdorf zum ersten Mal im Reich ein evangelischer Mit der Verlegung des Bistumssitzes von Zeitz nach Bischof eingesetzt. Nach dem Tod des letzten Bischofs Naumburg im Jahr 1028 beginnt die Baugeschichte der Julius von Pflug 1564 wurde das Bistum aufgelöst und Naumburger Kathedrale. Der Naumburger Dom ent- fiel an Kursachsen, die Kirche verlor ihre Funktion stand 1210 als Nachfolgebau einer Marienstiftskirche als Bischofssitz. Sie blieb die Kirche der evangelischen und eines frühromanischen Doms aus der ersten Hälf- Domgemeinde. Heute wird der Dom von den Vereinig- te des 11. Jahrhunderts. Der heute erhaltene Bau wur- ten Domstiftern zu Merseburg und Naumburg und des de weitgehend in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts Kollegiatstifts Zeitz verwaltet. errichtet. Der im 14. Jahrhundert im Osten erweiterte Am 29. Juni 2006 wurde im Kellergewölbe der West- Bau birgt die Krypta des ersten Doms aus den Jahren klausur des Doms die Naumburger Domschatzkammer 1160/70. Die dreiteilige Kryptenanlage unter dem Ost- eröffnet, die aus Mitteln des Landes Sachsen-Anhalt, chor ist der älteste erhaltene Teil des Doms. Ein romani- der Lotto-Toto GmbH Sachsen-Anhalt, der Ostdeutschen sches Kruzifix aus der Zeit um 1160/70 ist in der östlichen Sparkassenstiftung im Land Sachsen-Anhalt gemein- Kryptenerweiterung erhalten. Der um 1230 geschaffene sam mit der Sparkasse Burgenlandkreis, der Stadt Naum- Ostlettner ist das älteste Beispiel eines Hallenlettners. burg, des Saale-Unstrut-Tourismus e. V., der STRÖER Der berühmte Westchor des Doms entstand nach Deutsche Städte Medien GmbH, der Gertrud und Albert der Mitte des 13. Jahrhunderts und ist mit dem West- Stewing-Stiftung, der Dr. Axel Vulpius Stiftung sowie lettner und den Stifterfiguren aus der Werkstatt des des Förderkreises für den Naumburger Dom e.V. und der Naumburger Meisters, eines namentlich unbekannten ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius finanziert wurde. deutschen Architekten und Steinbildhauers, eines der Das Naumburger Domschatzgewölbe zählt mit einer wichtigsten Bauwerke der Frühgotik. Die beiden Haupt- Fläche von 285 Quadratmetern zu den größten roma- stifterpaare, Markgraf Ekkehard II. von Meißen und nischen Gewölben in Mitteldeutschland. 2003 bis 2006 seine Frau Uta sowie vermutlich sein Bruder Hermann wurden die Räumlichkeiten unter dem Westflügel der und dessen Frau Reglindis, stehen betont gemeinsam Klausur für die Präsentation der Kunstwerke vorberei- am Beginn des fünfseitigen Polygons der Apsis. Zwei tet. Mehr als 30 erlesene Kostbarkeiten des Mittelalters weitere Paare, getrennt jeweils vor einen der Dienste ge- und der Renaissance, die seit der Gründung des Dom- stellt, folgen nach Osten. Vermutet werden Konrad und stifts 1028 in die Saalestadt kamen, werden in der Gepa, Dietrich und Gerburg. Im Polygon stehen die Domschatzkammer präsentiert. Dazu zählen Altäre, Standbilder der Grafen Dietmar, Syzzo, Wilhelm und Tafelbilder, sakrale Plastiken, Urkunden und Hand- Thimo. Die Reliefs zur Passionsgeschichte am Westlett- schriften aus dem Bestand des Domstifts. Zu den heraus- ner und die zwölf überlebensgroßen Stifterfiguren über- ragenden Kostbarkeiten gehört das von Lucas Cranach zeugen durch ihre Wirklichkeitsnähe und individuelle dem Älteren um 1518/19 gemalte Altarretabel mit der Ausdruckskraft. Durch die gotische Kathedralkunst Darstellung der Maria Magdalena. Sie ziert einen von

42 Naumburger Domschatzgewölbe vor und nach der Restaurierung 2006

43 zwei erhaltenen beidseitig bemalten Flügeln des eins- Hedwig und des heiligen Johannes verborgen waren. Zum tigen Hauptaltars des Naumburger Westchores. Die- neu präsentierten Bestand zählt auch ein prachtvoll illus- ser war in den Jahren 1542 bis 1546 unter dem ersten triertes Chorbuch aus Meißen mit farbenfrohen Minia- evangelischen Bischof Nikolaus von Amsdorf zerstört turen. Es gehört zu einem achtbändigen Werk, das 1500 worden. Die beiden Seitenflügel blieben verschont, wohl bis 1504 für das Meißner Domkapitel gefertigt wurde. weil sie zwischen Heiligen die Bildnisse zweier Vorgän- 1580 kamen die Bücher nach Naumburg, sie enthalten ka- ger des Bischofs zeigen, die den Altar gestiftet und die tholische Riten und Gesänge. Malerei bei Lucas Cranach dem Älteren in Auftrag ge- Die Schatzkammer erlaubt es nun auch, einige der geben hatten. Dokumente im Original zu zeigen, die auf das Engste Zu den wichtigsten Exponaten des Domschatzge- mit der Gründungsgeschichte des Doms verknüpft sind. wölbes zählt auch die Naumburger Pietà aus dem frühen Dazu zählen die Urkunden von der Verlegung des Bis- 14. Jahrhundert, die schmerzvoll um Christus weint, tums von Zeitz nach Naumburg im Jahr 1028 und de- den sie in ihren Händen hält. Diese Beweinung Christi ren Bestätigung durch Papst Johannes XIX. sowie ein zählt durch ihre erhaltene Farbgebung zu den bedeu- Aufruf von Bischof Dietrich II. von 1249, mit dem er um tendsten ihrer Art in Europa. Spenden zur Vollendung des Doms warb. Elf der zwölf Die Naumburger Johannesschale aus Holz, die aus Domstifter, deren Abbilder im Dom zu sehen sind, wer- dem ersten Drittel des 13. Jahrhunderts stammt und das den in diesem Dokument genannt, darunter auch die abgeschlagene Haupt Johannes’ des Täufers mit geschlos- berühmte Uta. senen Augen auf einem Teller präsentiert, ist eines der Ebenfalls zum Domschatz gezählt wird die testa- ältesten erhaltenen Beispiele für die im Mittelalter weit mentarische Gabe des Domherrn Immanuel von Am- verbreiteten Johannesschalen. Vermutlich wurde die pach, auch wenn sie gesondert in einer Andachtska- Schale bei Prozessionen vorangetragen. Im Kopf befin- pelle präsentiert wird. Von Ampach hatte 1820 einen det sich ein dem Betrachter nicht sichtbares Geheimfach, Zyklus von Christus-Bildern beim deutsch-römischen in dem bis zum 17. Jahrhundert Reliquien der heiligen Malerbund der Nazarener in Auftrag gegeben.

Naumburger Dom Öffnungszeiten: November bis Februar Internet: Domplatz 16/17 März bis Oktober montags bis samstags www.vereinigtedomstifter.de 06618 Naumburg montags bis samstags 10–16 Uhr Telefon: 03445-2301-133 9–18 Uhr sonn- und feiertags E-Mail: sonn- und feiertags 12–16 Uhr [email protected] 12–18 Uhr 24.12. und 31.12. 9–12 Uhr

44 Naumburger Johannesschale mit dem Haupt Johannes’ des Täufers, 13. Jahrhundert

Naumburger Pietà, frühes 14. Jahrhundert

45 Die Stiftsbibliothek in Zeitz Sachsen-Anhalt

Die Ursprünge der Stiftung in Zeitz gehen auf die von Parallel dazu bildete sich am Zeitzer Kollegiatstift St. Otto dem Großen im Jahr 968 initiierte Gründung des Peter und Paul eine Institutsbibliothek heraus. Sie hat Bistums zurück. Eindrucksvollstes Zeugnis dieser Epo- sich nahezu geschlossen erhalten und ist mit ihren 500 che ist der mit hervorragenden Kunstwerken ausgestat- Handschriften und Druckausgaben des 14. bis frühen tete Dom St. Peter und Paul mit seiner ottonischen Kryp- 16. Jahrhunderts im deutschen Sprachraum in dieser ta. Heute befindet sich der Dom im Besitz der Stadt Zeitz Form nahezu einzigartig. und wird von der katholischen Gemeinde genutzt. Die Den mit Abstand bedeutendsten historischen Teil- 1154 erstmals erwähnte Kirche St. Michael inmitten der bestand stellt jedoch die Privatbibliothek des letzten, Altstadt beeindruckt durch ihre weitgehend romanische 1564 verstorbenen Naumburger Bischofs Julius Pflug Doppelturmfront im Westen. Heute bildet die zum Stif- dar. Julius Pflug darf mit Recht als der wohl bedeu- tungsbesitz gehörende Hallenkirche den Mittelpunkt tendste Gegenspieler Martin Luthers bezeichnet wer- des evangelischen Lebens in Zeitz. Der zwischen der Mit- den. Er war einer der letzten katholischen Würdenträger te des 13. und dem 16. Jahrhundert entstandene Komplex im mitteldeutschen Raum. Seine bereits von den Zeitge- des Franziskanerklosters birgt in sich die den Heiligen nossen als bedeutend bezeichnete Bibliothek hinterließ Franziskus, Antonius und Clara geweihte Klosterkirche er testamentarisch seinen Amtsnachfolgern in Zeitz. und die weitgehend original erhaltene Klausur. Das ehe- Mit knapp 1.200 Bänden gehört Pflugs einzigartige Bi- malige Kloster ist in Erbpacht an die Stadt Zeitz vergeben. bliothek europaweit zu den wenigen Beispielen, in denen Die Zeitzer Stiftsbibliothek – die bedeutendste der sich ein derartiger Bestand nahezu geschlossen am ur- drei Büchersammlungen der Vereinigten Domstifter – sprünglichen Bibliotheksstandort erhalten hat. wurde, weil die Sammlung am alten Standort akut be- Von größeren Verlusten in den letzten Jahrhunder- droht war, einschließlich ihrer Archivbestände im Mai ten verschont, gehören heute knapp 400 mittelalter- 2005 nach umfangreichen baulichen Vorbereitungen liche und 450 frühneuzeitliche Handschriften ebenso geschlossen in das im 17. Jahrhundert errichtete Tor- zum Bestand der auch in den sich anschließenden Jahr- haus des Schlosses Moritzburg in Zeitz verbracht. Un- hunderten systematisch erweiterten Sammlung wie zureichende klimatische und sicherheitstechnische Zu- ungefähr 400 Inkunabeln und rund 30.000 Drucke stände am alten Bibliotheksstandort, denen bereits des 16. bis 18. Jahrhunderts. Hervorzuheben ist die einzelne Bücher unwiederbringlich zum Opfer gefallen Geschlossenheit der historisch gewachsenen Bestände. waren, bedrohten den Fortbestand des einzigartigen Das gilt insbesondere für die Sammlungsteile mit Dru- Bücherschatzes substantiell. cken des 16. und 17. Jahrhunderts. Die Zeitzer Stiftsbibliothek vereinigt einzigartige Die Ptolemäus-Handschrift von 1470 mit der Zeit- Schätze aus 1500 Jahren Buchgeschichte und kann auf zer Weltkarte gehört zu den Höhepunkten der umfang- eine siebenhundertjährige Geschichte zurückblicken. reichen Kartensammlung der Zeitzer Stiftsbibliothek Die heute institutionell unter einem Dach zusammen- und ist eine der wenigen erhaltenen mittelalterlichen gefassten Buchbestände setzen sich aus verschiede- Kartenwerke. Die berühmte Weltkarte (»mappa mundi nen, ursprünglich eigenständigen Büchersammlugen Ciziensis«) ist Teil einer mutmaßlich im süddeutschen zusammen. Es ist einmal die sich im Verlauf des 14. Raum entstandenen Papierhandschrift. Der großfor- Jahrhunderts institutionalisierende bischöfliche Bib- matige, aus über 20 meist doppelseitigen Karten gebil- liothek mit ihren wertvollen Handschriften, Inkuna- dete und in seiner Zusammensetzung einzigartige beldrucken und Drucken des frühen 16. Jahrhunderts. Kodex (Hist. Fol. 497) ist im letzten Drittel des 15. Jahr-

46 Torhaus des Schlosses Moritzburg in Zeitz bei Nacht

Stiftsbibliothek und Stiftsarchiv im zweiten Obergeschoss des Torhauses der Moritzburg

47 hunderts entstanden, große Teile wurden um 1470 voll- ten, wurden 2007 mit Hilfe der ZEIT-Stiftung Ebelin endet. Den Grundstock der Handschrift bildet das achte und Gerd Bucerius dringend notwendige restauratori- Buch »Geographia« des spätantiken Geographen und sche Maßnahmen durchgeführt. Die Alterung hatte an Mathematikers Claudius Ptolemäus mit seinen 26 Kar- der Ausmalung der einzigartigen Karten sichtbare ten, die die in der Spätantike bekannte Welt erfassten. Spuren hinterlassen. Es bedurfte einer gründlichen Darüber hinaus umfasst der Zeitzer Kodex weitere, für Reinigung und einer restauratorischen Behandlung das Wissen über die moderne Kartographie einzigartige der einzelnen Karten. Die gesamte Handschrift muss- Karten, um die das Werk des Ptolemäus im Laufe des 15. te auseinandergenommen, der im 18. Jahrhundert Jahrhunderts erweitert wurde. Zwei Karten ragen unter ­erneuerte, für die Aufbewahrung der Karten aber diesen heraus. Die erste zeigt Skandinavien und geht ­wenig geeignete Einband ersetzt werden. auf eine um 1430 entstandene Vorlage zurück, während Darüber hinaus konnte durch eine Förderung der die zweite, singulär überlieferte das Italien des ausge- ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius in den Jahren henden Mittelalters in einer aufsehenerregenden Detail- 2007 und 2008 ein Nachwuchswissenschaftler beschäf- treue wiedergibt. Die kreisrunde spätmittelalterliche tigt werden, um die Bibliotheksbestände in Zeitz, aber Weltkarte, die »mappa mundi Ciziensis«, welche kon- auch in Naumburg wissenschaftlich zu erschließen. trastierend zu den antiken Karten des Ptolemäus die Ein Schwerpunkt lag dabei auf der systematischen Sicht des Mittelalters präsentiert, bildet den Abschluss Aufarbeitung der umfangreichen Archivmaterialien und gewissermaßen auch den Höhepunkt der Hand- sowie auf der wissenschaftlichen Erschließung von Tei- schrift. Um sie für die folgenden Generationen zu erhal- len der bedeutenden Bibliothek Julius Pflugs.

Stiftsbibliothek und Öffnungszeiten nur für Stiftsarchiv wissenschaftliche Nutzung Torhaus Schloss Moritzburg mit Voranmeldung: Schlossstraße 6 dienstags 9–12 Uhr und 06712 Zeitz 13–16 Uhr sowie nach Telefon: 03441-212060 / Vereinbarung 0177-7449574 Internet: www.vereinigte- domstifter.de

48 Zeitzer Weltkarte aus der Ptolemäus-Handschrift, um 1470

49 Denkmalgeschützte Sakralbauten aus dem Programm »Kulturerhalt in Ostdeutschland«

50 51

Mit dem Programm »Kulturerhalt in Ostdeutschland. Denk- malpflegemaßnahmen« hat die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius in den Jahren 2007 bis 2011 zur Restaurierung von insgesamt 31 bedeutenden Kulturdenkmälern in den ostdeut- schen Bundesländern beigetragen. Die Stiftung hat mit dem Programm einen Denkmaletat aufgelegt, um Hilfe schnell und unbürokratisch dort zu ermöglichen, wo Fördermittel kurzfris- tig nötig sind, und damit zur Realisierung dringend notwendi- ger Rettungsmaßnahmen beigetragen – von der Rettung be- drohter Kirchtürme bis zur Dachsanierung ganzer Kirchen- schiffe. Das Kuratorium der ZEIT-Stiftung hat dafür eine Gesamtsumme von 350.000 Euro bewilligt.

Seite 51: Kirche St. Marien zu Greifswald: Mittelgeschoss des Turms mit Spitzbogen- blenden und Ansatz des Vorhallendachs

Seite 52–53: Dorfkirche in Kloster Wulfs- hagen: Langschiff mit Tonnendecke und Blick auf den Schnitzaltar (um 1500)

Seite 54–55: Kirche St. Marien in Plau am See: Blick von den Emporen auf das gotische Kreuzrippengewölbe

Seite 56: Ehemaliges Zisterzienserinnen- kloster in Rühn: Blick auf das barocke Prunkepitaph der Regentin Sophie Agnes

57 Die Kirche St. Stephani zu Aschersleben Sachsen-Anhalt

Aschersleben im Salzlandkreis ist die älteste urkund- send restauriert wurde, zählen Bilder aus der Cranach- lich erwähnte Stadt in Sachsen-Anhalt mit einer sehr Schule, eine Barockkanzel aus dem 17. Jahrhundert so- gut erhaltenen mittelalterlichen Stadtbefestigungsan- wie ein altes Bronzetaufbecken aus dem 15. Jahrhundert. lage und einer weitgehend intakten Innenstadt. Erwähnt Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Teile der wird der Name Aschersleben erstmals in einer Schen- Innenausstattung erneuert. Eine Röver-Orgel ersetz- kungsurkunde von 748, in welcher ein ansonsten unbe- te 1907 die alte, von Georg Nothnagel 1655 bis 1657 ge- kannter Madalwin aus Aschersleben seine Besitzungen baute und 1712 von Christoph Concius aus Wernigerode dem Kloster Fulda überträgt. überholte Orgel. Im Jahr 2011 wurde die Kirche in das Die St.-Stephani-Kirche ist das Wahrzeichen der Programm »Kulturerhalt in Ostdeutschland« der ZEIT- Stadt. Sie wurde in ungewöhnlich langer Bauzeit von Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius aufgenommen. Fi- 1406 bis 1507 als gotische Hallenkirche erbaut, die eine nanzmittel des Landes Sachsen-Anhalt, der Kirchenge- kleinere romanische Basilika ersetzte. 1406 hatte man meinde und der ZEIT-Stiftung ermöglichten, dass im die Türme der romanischen Basilika abgebrochen und März 2012 mit der dringend notwendigen Instandset- mit ihrem Baumaterial mit der Errichtung eines neuen zung des undicht gewordenen Nordturmdaches begonnen Südturmes begonnen. Er wurde nur bis zur ersten Etage werden konnte. Die Dachziegel aus Schiefer wurden zum fertiggestellt und blieb dann für etwa 30 Jahre unvoll- Teil von rostigen Nägeln gehalten und drohten bei star- endet. Eine Setzung des Baugrundes unter dem Turm- kem Sturm vom Dach zu fallen. Bereits im Juli 2010 war werk führte dazu, dass man nach seiner Fertigstellung ein Dachziegel über 50 Meter in die Tiefe gefallen und den Gedanken aufgab, auch den Nordturm zu vollenden. hatte ein auf dem Kirchhof abgestelltes Auto getroffen. Während der Chor gleichzeitig mit dem Südturm Zwar fehlen, so der Pfarrer der Kirche, Matthias entstand, wurde mit dem Bau des Kirchenschiffes erst Büdke, um die Sanierung des sechsstimmigen Geläuts 1480 begonnen. Man baute die gotische Kirche um die im Glockenturm mit einem Finanzvolumen von 260.000 kleinere romanische Basilika herum und riss sie im Euro in Angriff nehmen zu können, immer noch meh- Verlauf der Bauarbeiten Stück für Stück ab. Zur rei- rere zehntausend Euro, dennoch ist die Instandset- chen Innenausstattung der Kirche, die bereits umfas- zung des Nordturmdaches ein erster wichtiger Schritt.

Kirche St. Stephani zu Ansprechpartner: Öffnungszeiten: Gottesdienste: Aschersleben Ingrid Schulz montags bis freitags Juni bis September Stephanikirchhof 1 Gemeindebüro 10–16 Uhr sonntags 10.30 Uhr 06449 Aschersleben Stephanikirchhof 9 Führungen auf Anfrage Internet: www.evangelische- Telefon: 03473-888130 06449 Aschersleben kirche-aschersleben.de Telefon: 03473-888-147 Pfarrer Matthias Büdke Telefon: 03473-888130 E-Mail: [email protected]

58 Kirche St. Stephani zu Aschers- leben mit Südturm und unvollendetem Nordturm

Gotisches Kirchenschiff mit Bildern aus der Cranach-Schule, Barockkanzel (17. Jahrhundert) und Altarraum

59 Die Unterkirche St. Georg in Bad Frankenhausen Thüringen

Die Unterkirche St. Georg ist die evangelische Haupt- den Denkmalorgeln in Mitteldeutschland. Sie wurde kirche der Stadt Bad Frankenhausen im thüringischen 1703 von Johann North aus Rudolstadt errichtet und Kyffhäuserkreis. Der eindrucksvolle Bau ist die dritte 1843 von der Orgelbauwerkstatt von Johann Friedrich Kirche an dieser Stelle. Er zeugt von der Bedeutung der Schulze aus Paulinzella umgebaut. 1886 setzte Julius Stadt, die seit dem frühen 13. Jahrhundert das Stadt- Strobel aus Bad Frankenhausen ein hochromantisches recht besitzt und Hauptort der Unterherrschaft im Für- Instrument hinter den barocken Orgelprospekt. stentum Schwarzburg-Rudolstadt war. Zeugnisse umfassender Veränderungen des Innen- Die Unterkirche steht auf den Ruinen eines goti- raums im 19. Jahrhundert sind der neugotische Blattfries schen Zisterzienserinnenklosters aus dem Jahr 1215. unter dem Deckengewölbe des Chores, die neugotischen Im Jahr 1550 wurde die Klosterkirche zur evangeli- Chorfenster aus dem Jahr 1884 und die neue Farbfas- schen Hauptkirche Bad Frankenhausens erhoben. 1596 sung des Innenraums in kräftigem Grün und Braun musste sie wegen Baufälligkeit, 1703 nach einem Stadt- aus dem Jahr 1894. brand neu aufgebaut werden. Nachdem mit Unterstützung des 1999 gegründeten Die 1703 eingeweihte neue barocke Hallenkirche Fördervereins »Unterkirche Bad Frankenhausen« im besitzt einen polygonalen Chor mit Spitzbogenfenstern Winter 2009 die Sakristei neu verputzt worden war, und Strebepfeilern. Das Sockelmauerwerk des Lang- folgte, finanziert aus Mitteln der Kirchengemeinde und hauses, die beiden spitzbogigen Seitenportale und Tei- der ZEIT-Stiftung, Anfang 2011 im Chor eine Drainage le des Westgiebels stammen noch vom ersten spätgoti- zur Austrocknung des Sockelmauerwerks. Die Maßnah- schen, die unteren Teile des Glockenturms vom zweiten me war notwendig geworden, weil die Lage im Franken- Renaissance-Bau. Das Kirchenschiff wird von einer häuser Ried, einem Feuchtgebiet, dazu geführt hatte, flachen Tonne überwölbt. Zur barocken Ausstattung dass die Fassade der Unterkirche im unteren Viertel der gehören die zweigeschossigen Emporen mit den Fürsten- Fassadenoberfläche einen umlaufenden Feuchtehori- logen zu beiden Seiten des Chores, der barocke Altar und zont aufwies, der vor allem den ältesten und wertvolls- die barocke Kanzel. Die Orgel zählt zu den bedeuten- ten Mauerwerksbereichen dauerhaften Schaden zufügte.

Unterkirche Bad Franken- Öffnungszeiten: Schlüssel im Büro der Gottesdienste: hausen sonntags nach den Superintendentur sonn- und feiertags Kantor-Bischoff-Platz 7 Gottesdiensten Kantor-Bischoff-Platz 8 9.30 Uhr 06567 Bad Frankenhausen Mai bis Oktober auch (gegenüber der Unterkirche) Internet: www.kirche-bad- Telefon: 034671-62614 samstags Führungen auf Anfrage frankenhausen.de E-Mail: pfarramt@kirche-bad- frankenhausen.de [email protected]

60 Unterkirche St. Georg in Bad Fran- kenhausen: Blick auf die Südfassade der barocken Hallenkirche

Beginn der Restaurierung des polygo- nalen Chors nach der Drainage zur Austrocknung des Sockelmauerwerks

Blick vom Altarraum in das unrestaurierte Kirchenschiff auf die nur zum Teil spielbare Orgel

61 Die Kirche St. Nikolai zu Bauer Mecklenburg-Vorpommern

Etwas abseits der Orte Bauer und Wehrland auf einer grund Insektenbefalls und Fäulnis ausgebaut, numme- Anhöhe mit Blick auf den Peenestrom und den Wei- riert und auf dem Dachboden der Kirche eingelagert ßen Berg der Insel steht die Kirche St. Nikolai. worden. Im Jahr 2007 wurden die einzelnen Bretter zu- Die Anfänge des rechteckigen Feldsteinbaus mit geradem nächst gesichtet und dokumentiert, dann gefestigt und Chorabschluss reichen in das 13. Jahrhundert zurück. ergänzt. Nach dem Wiedereinbau der Decke des Chores Die Spitzbogenfenster sind mit Backsteingewänden ver- Ende Juni 2008 folgte Anfang August 2008 die Decke sehen. Das Eingangsportal auf der Westseite ist abge- über dem östlichen Kirchenschiff und im Frühsommer stuft und weist einen Kämpferwulst in Backstein auf. 2009 die restliche Fläche bis zum Westgiebel. Eine neue Zur ersten Bauphase der Kirche gehört der einge- Laufebene über den historischen Bohlen verschont die zogene Chor, zur zweiten die spätere Erweiterung mit historische Decke von Belastungen. Im Juni 2010 wurde dem westlich angefügten größeren Kirchenschiff. Der die Bemalung des Feldes über dem Taufbecken mit dem Westgiebel wird oberhalb des Feldsteinmauerwerks Schriftzug »Gloria in excelsis Deo« wiederhergestellt. als Backsteinblendgiebel mit Spitzbögen und Raufen Möglich wurde die Restaurierung durch Mittel der weitergeführt. Eine stützenfreie Balkendecke mit ba- Kirchengemeinde, des Dorfkirchenfonds der Deutschen rocker Rankendekoration und fünf Engeln im Chor Stiftung Denkmalschutz und der Stiftung zur Bewah- aus den Jahren 1700/07 überspannt das Kirchenschiff rung kirchlicher Baudenkmäler in Deutschland, der und den Chor. Über dem Taufbecken befand sich der Rudolf-August Oetker-Stiftung, des Fördervereins zur Spruch »Gloria in excelsis Deo«. Erhaltung von St. Nikolai zu Bauer, der Hermann Reemts- Von der mittelalterlichen Ausstattung haben sich der ma Stiftung, der Marlis Kressner Stiftung, des Lepel- Taufstein, der Altartisch und eine Sakramentsnische schen Familienverbandes, der Dr. Weisbrod-Russ-Stiftung, mit mittelalterlicher Tür erhalten. Die Orgel des Ber- der G. u. L. Powalla Bunny’s Stiftung, der Wittig’schen liner Orgelbaumeisters Wilhelm Remler aus dem Jahr Stiftung für Menschen und Tiere in Notsituationen so- 1866 auf der Westempore ist eine von zwei bekannten wie der Katharina und Gerhard Hoffmann Stiftung, der Remler-Orgeln in Mecklenburg-Vorpommern. 1965 war ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius und durch die barocke Decke wegen fehlender Tragfähigkeit auf- Patronatsmittel der Pommerschen Evangelischen Kirche.

Kirche St. Nikolai zu Bauer Ansprechpartner: Schlüssel bei Küster Herrn Zum Bauerberg Förderverein zur Erhaltung Humrich gegenüber der Kirche 17440 Bauer-Wehrland von St. Nikolai zu Bauer in Gottesdienste jeden Wehrland e. V. 4. Sonntag im Monat Frau Birgit Berge Internet: www.kirche-bauer.de Lindenallee 12 17440 Bauer-Wehrland Telefon: 038374-82244

62 Die Feldsteinkirche St. Nikolai zu Bauer aus dem 13. Jahrhundert mit eingezogenem Chor, Backsteinblendgiebel und Kirchturm

Bemalte barocke Holzdecke der Kirche mit Engeln und dem Schriftzug » Gloria in excelsis Deo« im Deckenfeld über dem Taufbecken

63 Die Kirche St. Petri in Erfurt-Büßleben Thüringen

Das Dorf Büßleben am Rande von Erfurt wurde im 9. gebaut wurde, steht seit 1811 in der Büßlebener Kirche. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt. Die Grafen Die Gemeinde Büßleben hatte die Orgel, die wie andere von Gleichen, die den Ort anfangs besaßen, übergaben Inventarstücke des Klosters von der napoleonischen ihn zunächst lehensweise, am Anfang des 15. Jahrhun- Besatzungsmacht zum Verkauf angeboten wurde, für derts dann käuflich an die Stadt Erfurt. 900 Taler ersteigert. In der Erfurter Umgebung ist die Die evangelische Pfarrkirche St. Petri ist ein oktogo- Stertzing-Orgel die einzige erhaltene Orgel aus der Zeit naler Zentralbau. 1769 wurde der Grundstein gelegt, der um 1700 und in ihrer Größe sogar die Älteste in ganz gesamte Bau war 1774 beendet, nachdem die Kirche schon Thüringen. 1998 begann Alexander Schuke mit der Re- am 8. November 1773 geweiht worden war. Die Kirche be- staurierung der Orgel, 2002 wurde sie wieder einge- sitzt ein mächtiges Mansarddach mit rustizierter Eckqua- weiht, 2005 wurde die noch fehlende Posaune ergänzt. derung. Im Westen findet sich ein Portal mit tympanon- Als die Kirche im Sommer 2010 in das Programm artigem Aufsatz. Der mächtige Turm im Osten der Kirche »Kulturerhalt in Ostdeutschland« der ZEIT-Stiftung ist ein Rest des spätmittelalterlichen Vorgängerbaus. Ebelin und Gerd Bucerius aufgenommen wurde, war die Im Innenraum hat sich eine einheitliche spätba- Sanierung der Dachmansardflächen die dringlichste rocke Ausstattung erhalten. Dazu zählen eine zweige- Aufgabe. Es galt, die wertvolle Stertzing-Orgel und den schossige Empore sowie ein um 1770 entstandener Kan- Baukörper gegen Einlaufschäden zu schützen und die zelaltar mit hoher Säulenstellung und aufwendigem Dachentwässerungsanlage zu erneuern. Schon 2007 Roncailleschmuck. hatte sich die Gemeinde vorgenommen, die Mansard- Zu den kostbarsten Ausstattungsgegenständen der dachflächen komplett zu erneuern. Trotz intensiver Kirche zählt die Orgel des Orgelbauers Georg Christoph Voruntersuchungen waren damals so massive Schäden Stertzing mit ihrem reich verzierten Prospekt. Das zutage getreten, dass die vorhandenen Mittel nur für 1702 erbaute Instrument, das ursprünglich für das Bene- ca. ein Drittel der Dachfläche ausreichten. Danach hatte diktinerkloster St. Petri auf dem Erfurter Petersberg man die Arbeiten einstellen müssen.

St. Petrikirche Büßleben Ansprechpartner: Öffnungszeiten: Am Peterbach 15 Pfarrer Uwe Edom nach Vereinbarung 99198 Erfurt Pfarramt Ev. Kirchspiel Gottesdienste: Windischholzhausen-Büßleben jeden 1. und 3. Sonntag Haarbergstraße 118 im Monat 9.15 Uhr 99102 Erfurt Führungen auf Anfrage Telefon: 0361-413616 Internet: E-Mail: [email protected] www.stertzingorgel.de

64 Kirche St. Petri in Erfurt-Büßleben: Blick von Süden auf die Kirche mit dem mächtigen Mansarddach und dem Turm im Osten

Schäden an den Dachbalken

65 Die Kirche St. Marien zu Greifswald Mecklenburg-Vorpommern

Die Kirche St. Marien im Ostteil der Innenstadt ist hat die dendrochronolgische Untersuchung im Zusam- die jüngste der drei mittelalterlichen Pfarrkirchen in menhang mit der Turmsanierung der Jahre 2010 und Greifswald. Der 67 Meter lange Backsteinbau trägt auf- 2011 gezeigt, dass es im Bestand des Dachstuhls aus grund seiner gedrungenen Form im Volksmund den dem Mittelalter stammt. liebevollen Spitznamen »Dicke Marie«. Der Anbau der großen zweichorigen sogenannten Die im Jahr 1280 erstmals urkundlich erwähnte Annenkapelle prägt das Gebäude. Die Zwillingsapsiden Kirche stand unter dem Patronat des Klosters Eldena. sind einmalig für den norddeutschen Raum. Die Kapelle Bei Baubeginn um 1275 war zunächst ein dreijochiger besitzt ein sechsteiliges Gewölbe mit polygonalen Rippen. und dreischiffiger Backsteinbau mit einem zweijochi- Schon Anfang des 15. Jahrhunderts wurden zwischen gen Chor im Stil der französischen Hochgotik im Osten die Strebepfeiler der südlichen Turmhalle und die Annen- geplant. Bis um 1300 wurden die Seitenschiffe auf die kapelle im Südwesten drei schmale kreuzrippengewölbte Flucht der Chorostmauer verlängert, das zweite Turm- Kapellen eingefügt. Die mittlere wurde 1411 geweiht. geschoss mit einer reichen Gliederung durch Friese und Zugleich wurden die Turmseitenhallen auf die Höhe Blenden ausgeführt und ein basilikaler Aufriss vorbe- der Gewölbe der Seitenschiffe erhöht. Mitte des 15. Jahr- reitet. Um 1310 jedoch erfolgte die Umgestaltung zur hunderts entstand die Vorhalle vor der Westfront. heute bestehenden Halle. Nach der Errichtung des Lang- 1779 wurde die Sakristei im Nordosten erneuert. hausdaches und der Aufmauerung des monumentalen Nach der für die 1360er Jahre ebenfalls urkundlich Ostgiebels war der mächtige Kirchenbau um 1330/40 belegten Errichtung des dritten und vierten Turmge- so gut wie vollendet. schosses erhielt das Langhaus um 1400 seine Einwölbung Der hoch aufragende Ostgiebel ist durch seine mit Kreuzrippengewölben. Vier Pfeilerpaare tragen die Spitzbogenblenden mit aufgemauerter Maßwerkfüllung, flachen Kreuzrippengewölbe des 21 Meter hohen Kir- durchbrochenen Strebepfeilern und zierlichen Fialen chenschiffes. Die heute wieder sichtbare mittelalterli- reich gegliedert und ein gelungenes Beispiel der nord- che Bemalung ist bei Restaurierungsarbeiten in den deutschen Giebelornamentik. Jahren 1977 bis 1984 freigelegt worden. Besonderen Die als Einturmanlage angelegte St.-Marien-Kir- Stellenwert haben die Wandmalereien in der östlichen che besitzt einen vierstöckigen Turm mit einem mäch- der südlichen Turmseitenkapellen mit Passionsszenen tigen Satteldach. Das Untergeschoss des wuchtigen, in aus dem Jahr 1411 und die lebensgroße zeitgenössische den Bau einbezogenen Turms mit seinen bis zu vier- Darstellung eines 1545 in Wieck bei Greifswald gestran- einhalb Meter starken Mauern war bereits Anfang des deten Wales in der nördlichen Turmseitenhalle. 14. Jahrhunderts fertiggestellt. Es ist durch eine Vor- Den größten Teil der Innenausstattung hat die halle verdeckt. Im Inneren befindet sich ein mit auf- Kirche während der Zeit der napoleonischen Besat- wendigen Stuckelementen und Wandmalerei verzier- zung verloren. Erhalten geblieben sind aber die Kanzel ter gewölbter Raum, die sogenannte Gerichtshalle, in aus dem Jahr 1587 mit reichem Schnitzwerk und Intar- der geistliches Recht gesprochen wurde. Das Mittel- sien des Rostocker Kunstschreiners J. Mecklenburg geschoss ist mit Spitzbogenblenden versehen, der ein- sowie die Darstellung der Grablegung Christi. gerückte Oberteil besitzt Schalllöcher. Galt das Zelt- Der spätgotische Schnitzaltar wurde vermutlich dach noch bis vor kurzem als Werk aus dem Jahr 1780, Anfang des 16. Jahrhunderts von einem schwäbischen von dem man glaubte, dass es einen Spitzhelm ersetzte, Künstler hergestellt. Von diesem Altar ist die Darstel- der 1678 durch Kriegsschäden zerstört worden war, so lung der Grablegung Christi erhalten geblieben und

66 Blick von der Greifswalder Innenstadt auf den vierstöckigen Turm der Kirche St. Marien

Mittelgeschoss des Turms mit Spitzbogenblenden

67 befindet sich heute links vom Hauptaltar mit einer Turmgeschosses waren weitere Arbeiten am Turm not- kunstgeschichtlich bedeutsamen Kopie von Correggios wendig. Alle vier Seiten des Turms waren von Rissen »Heiliger Nacht« von Friedrich August Klinkowström, durchzogen, die zum Teil schon sehr alt waren und in einem Weggefährten Caspar David Friedrichs. Die Ma- der Vergangenheit immer wieder verfugt und über- rienkirche muss bereits Anfang des 15. Jahrhunderts mauert worden waren. Obwohl bereits in älteren Restau- eine Orgel besessen haben. Die heutige Orgel stammt rierungsphasen Mauerwerksanker in die Wände ein- aus dem Jahr 1866 und wurde von dem Stralsunder gezogen worden waren, waren die Risse weiterhin aktiv. Orgelbauer Friedrich Albert Mehmel erbaut. Sie ist das 2010 und 2011 wurde mit Fördermitteln der ZEIT- größte noch erhaltene Instrument Mehmels. Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius das äußere Mauer- Zahlreiche Sanierungen und Restaurierungen sind werk komplett aufgearbeitet. Es wurden Zuganker ver- der von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius un- spannt, Mauerrisse verpresst und geschlossen, beschä- terstützten Sanierung des Westturms vorausgegangen: digte Ziegel ausgetauscht und die Verfugung in den 1885 bis 1887 erfolgte die Wiederherstellung nach einer stark verwitterten Bereichen aufgearbeitet. Auch die vorhergehenden Umnutzung, 1935 bis 1937 weitere Siche- Putzflächen in den Blenden und die Dachanschlüsse rungs- und Renovierungsarbeiten. 1953/54 wurde die an den Turm mussten überarbeitet werden. Am 23. Annenkapelle, 1974 bis 1977 die Außenfassade instand Oktober 2011 wurde die Vollendung der Turmrestau- gesetzt, der Dachstuhl saniert, die Dacheindeckung er- rierung mit einem Dankgottesdienst gefeiert. neuert sowie eine Turmfassadensanierung auf der Süd- Weitere Bauabschnitte zur Komplettsanierung der seite vorgenommen. 1977 bis 1984 schloss eine Innen- Kirche sind für die kommenden Jahre geplant. Ange- raumsanierung an. 2009 wurde der Ostgiebel saniert. sichts gravierender Feuchtigkeitsschäden im mittelal- Nach der Vollendung der Arbeiten am Ostgiebel 2009 terlichen Dachstuhl des Hauptschiffes steht dessen Sa- sowie der Sicherung des Turmdaches und des obersten nierung gegenwärtig im Mittelpunkt.

Evangelische Kirchengemeinde Ansprechpartner: Öffnungszeiten: Gottesdienste: St. Marien Pfarrer Dr. Bernd Magedanz montags bis samstags sonn- und feiertags 10.15 Uhr Brüggstraße 35 Telefon: 03834-8477052 10–18 Uhr Internet: 17489 Greifswald Pfarrerin Dr. Ulrike Schäfer- Oktober 10–17 Uhr www.marien-greifswald.de Telefon: 03834-2263 Streckenbach November bis Ostern E-Mail: kgm.st.marien@ Telefon: 03834-886104 montags bis freitags kirchenkreis-greifswald.de 11–15 Uhr sonntags nach dem Gottesdienst bis 13 Uhr

68 Blick in das Kirchenschiff (um 1400) mit flachem Kreuzrippengewölbe und wieder freigelegter mittelalterlicher Bemalung auf den Hauptaltar

69 Die Alte Synagoge Hagenow Mecklenburg-Vorpommern

Die Ursprünge des kleinen Städtchens Hagenow gehen nacht am 9. November 1938 wurde der gesamte Innen- bis ins 12. Jahrhundert zurück. Aufgrund verschiedener raum der Synagoge verwüstet. Der völligen Zerstörung Brände sind mehrfach fast alle Häuser zerstört worden. infolge von Brandstiftung entging das Gebäude-Ensem- Die ältesten heute noch erhaltenen Gebäude wurden ble lediglich, weil es mitten im Stadtzentrum liegt. 1942 um die Mitte des 18. Jahrhunderts erbaut. Zu den Fach- wurde es zwangsweise verkauft. Danach wurde das Ge- werkhäusern im denkmalgeschützten Altstadtkern bäude mehrfach umgebaut und zweckentfremdet, diente gehört auch die Alte Synagoge von Hagenow. Sie ist Be- als Lagerhalle, beherbergte Büros und sogar eine Woh- standteil eines Gebäude-Ensembles, das in seiner Ge- nung unter dem Dach. Eine denkmalpflegerische Erhal- schlossenheit einmalig ist in Mecklenburg-Vorpommern. tung erfolgte bis 1989 nicht. Es besteht aus dem Haupthaus mit dem Betraum der Nach der Wende wurden die Synagoge und die dazuge- Synagoge, dem Gemeindehaus mit der Religionsschule, hörenden Gebäude zunächst der Jewish Claims Confe- der Lehrerwohnung, der Gemeindewohnung und einer rence übertragen. Im Jahr 2001 erwarb die Stadt Hage- Mikwe sowie einem Wagenschauer. now den seit dem 3. Februar 1982 denkmalgeschützten Bis 1907 fanden in der Synagoge regelmäßig Gottes- Komplex. Mit Unterstützung der Landesregierung, des dienste statt. Nach dem Tod des letzten in der Gemein- Landesamtes für Kultur und Denkmalpflege, der Deut- de beschäftigten Lehrers, Vorbeters und Schächters, schen Stiftung Denkmalschutz, der ZEIT-Stiftung, des Marcus Juda, wurde der Religionsunterricht nur noch NDR und privaten Spendern konnte die Restaurierung durch Wanderlehrer bestellt. Die Gemeinde verlor bis in Angriff genommen werden. Während der Restaurie- in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts durch Wegzug rungsarbeiten wurde die Mikwe entdeckt, und es wur- viele Mitglieder, die für den Gottesdienst notwendige den hebräische Schriften im Dachgebälk der Synagoge – Anzahl von zehn Männern konnte sie nicht mehr auf- der Rest einer sogenannten Genisa – gefunden. Am 17. bringen. Da sich der Unterhalt der Synagoge für die November 2006 wurde der sanierte Wagenschauer über- restlichen Gemeindemitglieder zu aufwendig gestalte- geben. Die Alte Synagoge wurde im September 2007 wie- te, schlug der letzte gewählte Vorsteher, Samuel Meinun- dereröffnet. Heute gehört das Gebäude-Ensemble zum gen, eine Umnutzung vor, die aber bis zu seinem Tod Museum für Alltagskultur in der Griesen Gegend, einer 1937 nicht mehr zustande kam. Während der Pogrom- kommunalen Einrichtung der Stadt Hagenow.

Museum für Alltagskultur Alte Synagoge Öffnungszeiten: Führungen auf Anfrage in der Griesen Gegend Hagenstraße 48 dienstags und donnerstags Internet: www.freundeskreis- Lange Straße 79 19230 Hagenow 9–12 und 14–17 Uhr hagenower-museum.de 19230 Hagenow Telefon: 03883-663662 sonntags 14–17 Uhr Telefon: 03883-722042 E-Mail: [email protected]

70 Alte Synagoge in Hagenow: Gesamt- ensemble mit Bethaus, Gemeindehaus und Remise für den Leichenwagen

Blick von der Frauenempore, restauriert mit Gemeindehaus mit Religionsschule, Lehrer- Hilfe von Prof. Jobst Plog und dem NDR wohnung, Gemeindewohnung und Mikwe Landesfunkhaus Mecklenburg-Vorpommern

71 Die Dorfkirche in Kloster Wulfshagen Mecklenburg-Vorpommern

Die kleine Kirche in Kloster Wulfshagen in der Gemein- Balken neben der Glocke trägt die Inschrift »Anno 1696 de Marlow befindet sich in schöner Lage am nördlichen den 8. Octobris«. Eine flache, hölzerne Tonnendecke über- Rand – für Mecklenburg-Vorpommern ungewöhnlich – wölbt das Langschiff der Kirche. Zur Ausstattung ge- fast außerhalb des Ortes auf einem kleinen Hügel. Die hört ein Schnitzaltar mit zwölf Reliefs zur Marien- Kirche ist von einem Kirchhof umgeben, der von einer geschichte und zur Passion Christi. Er wurde 1500 Natursteinmauer begrenzt wird. Das Gut in Kloster gefertigt. Die schöne Kanzel mit ihrem Schalldeckel, die Wulfshagen, zu dem die kleine Kirche gehörte, war seit ehemalige Patronatsloge, der Pastorenstuhl, das Ge- 1730 im Besitz des Klosters Ribnitz. Zuvor hatte es der meindegestühl und die Empore auf der Westseite sind Familie Zeppelin gehört. in der Zeit um 1800 entstanden. Die einschiffige Fachwerkkirche mit dem nach Nachdem die Kirche 1998 aufgegeben worden war, Westen gerichteten niedrigen hölzernen Glockenturm konnten dank privater Spenden in den Jahren 2002/03 ist in der Mitte des 18. Jahrhunderts errichtet worden. zunächst der Dachstuhl saniert und das Dach mit alten Sie geht auf eine ältere Vorgängerkirche zurück, deren Klosterbibern neu eingedeckt werden. Im September Material für den Nachfolgerbau teils wiederverwendet 2011 wurde nach einer insgesamt zehnjährigen, durch wurde, wie bemalte Ziegel an der Nordseite belegen. zahlreiche kirchliche und öffentliche Geldgeber sowie Der verbretterte Glockenturm aus Eichenholz trägt ei- Unternehmen und Stiftungen, darunter die ZEIT-Stif- nen Helm in Form einer vierseitigen Pyramide und war tung Ebelin und Gerd Bucerius, ermöglichten Restau- mit Knopf und Wetterfahne ausgestattet. Im Turm be- rierung die vollständige Wiederherstellung der Kirche findet sich eine Glocke aus dem 14. Jahrhundert. Der in Kloster Wulfshagen feierlich begangen.

Dorfkirche in Ansprechpartner: Pastorin: Öffnungs- und Gottesdienst- Kloster Wulfshagen Margritta Kurp Cornelie Simon zeiten auf Anfrage Bei der Kirche Guthendorfer Weg 1 Telefon: 038221-301 Internet: 18337 Kloster Wulfshagen Telefon: 038224-44335 www.kloster-wulfshagen.de oder Gestüt Nordvorpommern Telefon: 038224-44558

72 Die Fachwerkkirche in Kloster Wulfshagen, Mitte 18. Jahrhundert

Blick in das Langschiff mit seiner Tonnendecke in Richtung Westempore

73 Die Kirche St. Michael in Krummin Mecklenburg-Vorpommern

Die Kirche St. Michael zu Krummin liegt etwas erhöht tert. Noch im Dreißigjährigen Krieg wurde das Haupt- über der Krumminer Wiek auf der Insel Usedom. Der haus auf der Westseite eingekürzt. Im 18. Jahrhundert gotische Backsteinbau ist die ehemalige Klosterkirche wurden die Dachkonstruktion erneuert und die Fassade des um 1302 gegründeten Zisterzienserinnenklosters barock überformt. Aus dieser Zeit stammen auch die Krummin. Die Kirche wurde auf den alten Feldsteinla- ausladenden Strebepfeiler des Chores. gen eines um 1230 erstmals urkundlich erwähnten Vor- Nach einem Entwurf von Friedrich Wilhelm IV. wurde gängerbaus um 1260/70 unter dem Patronat von Ritter der gesamte Bau von 1855 bis 1862 neugotisch restauriert. Johann Voss aus dem Gefolge des Pommernherzogs Der quadratische Kirchturm im Westen sowie die bei- Bogislaw IV. errichtet. Der flachgedeckte Saalbau aus den querhausähnlichen Anbauten für die Sakristei Backstein mit geradem Chorabschluss wurde 1302/03 und die Patronatsloge wurden ergänzt. in die Neugründung des Zisterzienserinnenklosters 1980 wurde das Kircheninnere neu verputzt, in den Krummin einbezogen. Jahren 1992/93 wurden die Dach- und Deckenbalken Ausschlaggebend für die Klostergründung war, dass saniert. Der Außenputz der Kirche wurde abgenommen sich der Herzog von Pommern- Bogislaw IV. nach und der Bau steinsichtig verfugt. Nur die Queranbauten der Teilung Pommerns im Jahr 1295 ein Frauenkloster blieben verputzt. Der bei diesen Sanierungen verwendete in der Nähe seiner Residenz wünschte. Seine Wahl fiel Wandputz führte insbesondere im Chor zu einem Feuch- auf Krummin. Die Gründung erfolgte im Hinblick auf testau, der durch die jüngsten Dispersionsanstriche noch die geistliche Laufbahn seiner Tochter Jutta, die als verstärkt wurde. Der Putz sprengte teilweise auf und junge Nonne im Zisterzienserinnenkloster Wollin erzo- platzte ab. In den Fensterlaibungen zeigte sich Algen- gen wurde. Im Jahr 1302 schenkte der Herzog der Nonne und Moosbewuchs. Niederschlag drang in das Mauer- Jutta und dem Wolliner Konvent das Patronatsrecht werk ein und führte zu Frostschäden. Es galt, den ze- über die Kirche in Krummin unter der Voraussetzung, menthaltigen Putz vollständig zu entfernen. Der Außen- dass dort ein Tochterkloster entstehen sollte. Die Kloster- bereich an den Strebepfeilern musste mit einem hy- bauten wurden im Dreißigjährigen Krieg zerstört. draulischen Kalkmörtel neu ausgefugt werden. Diese Die dreijochige, chorlose Kirche wurde im 15. Jahr- Maßnahmen wurden im Winter 2010/11 mit Mitteln der hundert um einen spätgotischen Polygonalchor erwei- ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius begonnen.

Kirche St. Michael Krummin Ansprechpartner: Öffnungszeiten: Dorfstraße 22 Pfarrerin Christa Heinke täglich 10–20 Uhr 17440 Krummin Telefon: 038377-42045 Gottesdienstzeiten auf Anfrage E-Mail: @kirchen- Internet: www.kirche-zinnowitz.de kreis-greifswald.de

74 St. Michael, ehemalige Klosterkirche des Zisterzienserinnenklosters Krummin

Blick in den Chor mit abgeplatztem Wandputz vor der Restaurierung

75 Die Stadtkirche »Unserer Lieben Frauen« in Meiningen Thüringen

Die Stadtkirche »Unserer Lieben Frauen« erhebt sich ßerer Dimension als das weiter bestehende romanische an prominenter Stelle im Zentrum der Meininger Alt- Langhaus. Auch das an der Nordseite erbaute Quer- stadt an der Südseite des Marktes. Die dreischiffige haus entstand in dieser Zeit, um dort die Sakristei und Hallenkirche ist ein Wahrzeichen der Stadt und ihr die Bibliothek unterzubringen. Den neuen Chor setz- bedeutendster Sakralbau. ten die Baumeister zunächst vor den alten romani- Heinrich II. soll nach seiner Krönung zum König schen Chor, um diesen erst nach der Fertigstellung des während der Huldigungsreise bei seinem Aufenthalt neuen Chores einzureißen. in Meiningen Anfang Januar 1003 den Baubeginn der Gesellschaftliche Umwälzungen, mehrere große Kirche veranlasst haben. Im Jahr 1008 ist die Kirche Stadtbrände Ende des 15. Jahrhunderts sowie Straf- zum ersten Mal urkundlich erwähnt worden. gelder und der Deutsche Bauernkrieg ließen die Pläne Nachdem die Kirche zunächst als turmlose vorroma- für ein neues Langhaus vorerst scheitern. nische Basilika mit einfacher Apsis begonnen und der 1542 gelangte Meiningen in den Herrschaftsbereich Mutter Jesu, Maria, geweiht worden war, veranlasste der Grafen von Henneberg. Sie führten 1544 die Refor- Bischof Bruno von Würzburg Ostern 1034 die Errich- mation ein, und die Stadtkirche wurde evangelisch. 1546 tung eines Chores und eines Querschiffes. 1045 waren erhielt das Gotteshaus seine erste Orgel. Im ausgehen- die Bauarbeiten abgeschlossen. Nach 1100 begann man den 16. Jahrhundert kam die Grafschaft in den Besitz an der Westfront mit dem Bau der beiden Türme und der des sächsischen Herzoghauses, und die Wettiner wähl- Marienkapelle an der Südseite der Kirche. ten Meiningen zum Verwaltungssitz des Henneberger Es gehört zur besonderen Tragik in der Geschich- Landes, was ein neues Aufblühen der Stadt bewirkte. So te der Kirche, dass sie gleich mehrfach Opfer von Brän- konnten in dieser Zeit wieder größere Bautätigkeiten an den wurde und folglich immer wieder neu aufgebaut der Kirche durchgeführt werden. 1594 entfernte man die werden musste: Am 3. Juni 1175 zerstörte ein Blitz- alten Turmhauben, und die Kirchtürme bekamen weite- schlag den Kirchturm und ließ die dort angebrachte re Obergeschosse in Form eines Oktogons im Stil der Re- Glocke schmelzen. Der Brand vernichtete das Kirchen- naissance. Dabei erhielt der Nordturm ein Geschoss mehr dach und die Marienkapelle. als der Südturm und dazu zwei übereinandergesetzte La- Daraufhin musste erneut mit der Errichtung der ternen. Ein geplanter dritter Turm, der südlich neben Westfront begonnen werden, die 1278 ihren Abschluss dem Südturm entstehen sollte, wurde nicht verwirklicht. mit zwei gleich hohen Türmen fand. Nach der Vollendung Im Dreißigjährigen Krieg plünderten und verwüs- des Erweiterungsbaus weihte am 7. Juni 1278 der Würz- teten marodierende Truppen mehrmals die Kirche. burger Bischof Berthold II. von Sternberg die romani- Nach der Gründung des Herzogtums Sachsen-Meinin- sche Kirche zum zweiten Mal auf den Namen »Unserer gen 1680 wurde Meiningen Haupt- und Residenzstadt, Lieben Frauen«. 1296 zerstörte wiederum ein Blitzschlag und die Stadtkirche erfüllte bis zur Fertigstellung der den Glockenturm nebst Glocke und das Kirchendach. neuen Schlosskirche 1692 die Funktion einer Hofkir- Auch die neu erbaute Marienkapelle ging dabei verloren. che. Noch 1680 erbaute man zum diesen Zweck eine Im 15. Jahrhundert plante die Kirchengemeinde Krypta unter der Sakristei, in der Marie Hedwig von der wachsenden Stadt eine Vergrößerung der Kirche Hessen-Darmstadt, die im selben Jahr verstorbene erste im gotischen Stil nach dem Vorbild der französischen Gemahlin von Herzog Bernhard I., beigesetzt wurde. Kathedralen. So entstand in den Jahren 1443 bis 1455 1763 musste die oberste Laterne des Nordturms wegen der bis heute bestehende gotische Chor in weitaus grö- Baufälligkeit wieder entfernt werden. Nach den stetigen

76 Stadtkirche »Unserer Lieben Frauen« an der Südseite des Marktes im Zentrum der Meininger Altstadt

77 Um- und Ausbauten im Lauf der Jahrhunderte, die oft- firma Martin Schlimbach & Sohn eingebaut. Bei seinen mals wegen Geldmangels oder Kriegseinflüssen nicht letzten Aufenthalten in Meiningen spielte Johannes vollendet wurden, beschlossen das Herzoghaus und die Brahms oft auf dieser Orgel. Auch Max Reger kompo- Kirchengemeinde einen Umbau der Kirche, der vom Ar- nierte während seiner Zeit als Meininger Hofkapell- chitekten und Oberbaurat Otto Hoppe konzipiert und meister von 1911 bis 1914 regelmäßig auf der Orgel und unter der Bauleitung des noch jungen Architekten Carl gab Hinweise zur Erweiterung und Verbesserung des Göbel (1858–1940) von 1884 bis 1889 durchgeführt Orgelwerkes. Auf Anregung Regers wurde die Orgel wurde. In diesen Jahren erfuhr die Kirche die größte von der Firma Eberhard Friedrich Walcker um ein Veränderung in ihrer wechselvollen Geschichte. Schwellwerk als drittem Manual erweitert. Sie wurde Nach dem Abriss des alten Langhauses erhielt das somit zur Reger-Orgel und am 10. Oktober 1932 von Er- Gotteshaus 1884/85 ein neues neugotisches Langhaus. hard Mauersberger eingeweiht. Über dem Mittelschiff, der Sakristei und dem beste- Bei der Bombardierung Meiningens am 23. Febru- henden Chor wurde 1888/89 ein neues Kirchendach er- ar 1945 wurden das Dach, alle Fenster und die Orgel richtet, das nach dem Vorbild des Stephansdoms in Wien teilweise zerstört. Seit 1993 wurde die Stadtkirche um- mit farbigen glasierten Ziegeln gedeckt wurde. Den Süd- fassend saniert. Die Steinfassaden wurden gründlich turm ließ der Baumeister um 3,5 Meter nach Süden ver- gereinigt und ausgebessert und die Reger-Orgel wie- setzen. Beide Türme wurden in Höhe und Erscheinungs- der instand gesetzt. 2002 erhielten die Seitenschiffe bild angeglichen. Die zwischen den Türmen entstandene teilweise neue farbige Bleiglasfenster anstelle der pro- Lücke schloss man mit dem neuromanischen Hauptpor- visorischen Glasfenster, die seit dem Zweiten Weltkrieg tal, der alten romanischen und der neuen gotischen Ro- die zerstörten Originalfenster ersetzt hatten. sette und einem neuromanischen Giebel. Im Zuge der von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Der Innenraum wurde inklusive einer neuen Orgel Gerd Bucerius 2010 finanzierten Restaurierungsmaß- komplett neu gestaltet. Im Langhaus sind an den Seiten- nahmen erhielt die Kirche eine neue Elektroausstat- schiffen und der Westwand Emporen entstanden. Über tung. Die alte war so marode geworden, dass sich die der Westempore und den Aufbauten für den Kirchen- lange Reihe der Kirchenbrände in der Geschichte der chor wurde die Orgel im Jahr 1889 von der Orgelbau- Kirche zu wiederholen drohte.

Stadtkirche Meiningen Öffnungszeiten: Gottesdienste: Schlüssel gegenüber der Neu-Ulmer-Straße 25b 1. Mai bis 31. Oktober sonn- und feiertags 10 Uhr Kirche in der »Bilderbude 98617 Meiningen dienstags bis freitags Mai bis Oktober Erdmann« Ansprechpartner: 10 –17 U h r dienstags 12–12.15 Uhr Führungen auf Anfrage Pfarrer Christoph Knoll samstags 10–14 Uhr Orgelmusik und Meditation Internet: www.kim-net.de Telefon: 03693-840900 sonntags 10–12 Uhr mittwochs 14–18 Uhr E-Mail: geschaeftsfuehrer@ Turmcafe ev-kirche-meiningen.de [email protected]

78 Stadtkirche »Unserer Lieben Frauen« in Meiningen: neugotisches Langhaus aus dem Jahr 1884/85 mit Blick in den Chor

79 Die Kirche St. Georgen in Parchim Mecklenburg-Vorpommmern

Die ursprünglich wohl slawische Burganlage Parchim Metern wiederaufgebaut. Ein klassisches Kreuzrippen- wurde 1170 erstmals urkundlich erwähnt. Sie erhielt gewölbe im Innenraum wird von ungegliederten, im 1225/26 das Stadtrecht. Der Bau der gotischen Georgen- Querschnitt meist achteckigen Pfeilern getragen. Die kirche, der ehemaligen Ratspfarrkirche im Zentrum Scheidarkaden des Langhauses sind im Gegensatz zu der Altstadt, wurde um 1290 begonnen und 1307 ge- denen des Chores kunstvoll profiliert. Über dem Bin- weiht. Es handelt sich um eine mächtige dreischiffige nenchor befindet sich ein Sterngewölbe. Backsteinhalle aus neun Jochen mit quadratischem Ein 1421 entstandener Hochaltar des Wismarer Westturm auf einem Feldsteinsockel. Meisters Henning Leptzow, von dem neben einigen Ta- Der gotischen Hallenkirche ging eine spätromani- feln auch die Apostelfiguren erhalten sind, gilt als das sche Backsteinbasilika ohne Turm voraus, die zwischen kostbarste Ausstattungsstück der gotischen Backstein- 1220 und 1240 errichtet und um 1289 durch einen Brand kirche. Kunstvolle Schnitzereien schmücken die um 1580 zum größeren Teil zerstört wurde. Sie wurde vermutlich in einer Lübecker Werkstatt gefertigte Renaissance- zwischen 1180 und 1190 von Bischof Berno errichtet Res- kanzel. Erhalten hat sich darüber hinaus das Ratsge- te dieses Vorgängerbaus aus dem zweiten Viertel des stühl aus den Jahren 1608 und 1623. Im Chorumgang 13. Jahrhunderts sind außen an der Westwand und im erwarten den Betrachter eine um 1400 entstandene ge- Inneren der Kirche erkennbar. Um 1289 brannte diese schnitzte Holzplastik des dornengekrönten Christus Basilika ab, sodass nach Aussage der Parchim-Chronik und eine Triumphkreuzgruppe aus der Zeit um 1480. des Georgenpfarrers Cordesius (1634–1676) von Papst Nach vorausgehenden Renovierungen in den Jah- Nikolaus IV. (1288–1292) für die Aufbauhilfe ein Ablass ren 1711 und 1806 wurden 1844 sämtliche Stühle und erteilt wurde. Die Parchim-Chronik berichtet auch, dass Chöre mit Ausnahme des Ratschores ausgebrochen. Papst Nikolaus IV. zu den Franziskanern gehörte und Die Kirche wurde ausgeweißt, der Fußboden mit Stei- dieser Mönchsorden seit 1246 in Parchim sesshaft war. nen gepflastert, der Altar erhöht, die Orgel und Kanzel Die ursprünglich vierjochige, möglicherweise gerade mit Farbe versehen. Aus dem Hauptaltar von Henning geschlossene Kurzhalle wurde bereits in den Jahren Leptzow wurden Apostelfiguren herausgebrochen und 1420/30 um den Chorraum und den Chorumgang erwei- in einen neuen Altarschrein versetzt. In einer weiteren tert. In dieser Zeit erhielt sie ihren schlichten, eingezo- Restaurierung 1897/98 wurde der Kalkputz wieder ent- genen Turm, den Umgangschor und die rechteckigen, fernt, der Altar abgesenkt und ein neugotischer Altar- an der Südseite mit einem kunstvoll verblendeten aufsatz von Baurat Gotthilf Ludwig Möckel installiert. Schaugiebel ausgestatteten Anbauten. Der ansonsten Erneut entfernte man alle Chöre und Einbauten. Der sehr schlichte Außenbau ist unterhalb seines weit in Fußboden wurde mit farbigen Platten gefliest, sämtliche die Höhe gestreckten Daches nur durch die zweistufi- Grabplatten wurden in die Seitenwände umgesetzt. gen Strebepfeiler sowie ein umlaufendes Kaffgesims ge- Max Salomon aus Berlin malte Gewölbe und Wände aus. gliedert. Die Chorumgangsjoche sind, wie bei den großen In der Zeit der DDR erfolgten nur die notdürftigs- Basiliken der Küstenstädte in Mecklenburg-Vorpom- ten Erhaltungsmaßnahmen. In den Jahren 1979 bis mern, mit den Chorkapellen zu überwiegend sechsecki- 1983 konnten die Außenhaut und das Dach durch Spen- gen Raumzellen umgebildet. Nach der Zerstörung des denmittel der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bay- Turms, des Glockenstuhls und der Glocken während des ern im Rahmen des Sonderbauprogramms für die Kir- großen Stadtbrandes 1612 wurde der Turm in seiner chen der DDR teilweise restauriert werden. Ein am 28. heutigen Gestalt mit einer geringeren Höhe von 48,50 Oktober 1996 gegründeter erster Förderverein verfolgte

80 Kirche St. Georgen in Parchim: Blick auf den Blendgiebel des Südanbaus

Blick auf die mächtige Backsteinhalle mit dem quadratischem Westturm

81 zunächst das Ziel, die äußerst dringliche Sanierung der balkens im südwestlichen Teil des Kirchenschiffs im maroden Friese-Orgel von 1871 zu realisieren. Dieses Dezember 2007 wurde deutlich, dass eine Sanierung Vorhaben, das im Rahmen des Orgelrestaurierungspro- des gesamten Dachstuhls des Nordanbaus nötig war. gramms »Für die Zukunft gerettet« von der ZEIT-Stif- Finanziert aus dem Sonderprogramm Denkmal- tung gefördert wurde, wurde am 31. Oktober 2001 abge- schutz des Bundes, aus Eigemitteln der Kirchengmein- schlossen. Zwischen 1999 und 2006 gelang es der Kirch- de und des Fördervereins, Mitteln der Marlis Kressner gemeinde und den Fördervereinen, den Einbau eines Stiftung und Patronatsmitteln der Landeskirche sowie Küchen- und Sanitärtraktes, einer Winterkirche und mit Unterstützung der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd einer Gasheizung zu realisieren. Der Leptzow-Altar wurde Bucerius wurden die Dacheindeckung erneuert, der ebenso restauriert wie 40 denkmalgeschützte Wandleuch- Wandanschluss zum Giebelmauerwerk hergestellt und ten. Am 30. September 2007 wurde das Geläut der Kir- das Mauerwerk der Verblendfassade instand gesetzt. che wieder in Betrieb genommen. In den Jahren 2006 Ferner wurden die Putzflächen des Ziergiebels und die und 2007 wurden die vorhandene Elektroanlage ersetzt runden Türmchen aus Formziegeln überarbeitet sowie und der Glockenstuhl umfassend gesichert und ver- die Bleiverglasung des Nordgiebels möglichst unter Wei- stärkt. Nach dem Einsturz eines tragenden Decken- terverwendung der alten Verglasung restauriert.

St. Georgen Parchim Ansprechpartner: Öffnungszeiten: Gottesdienste: Lindenstraße Pastor Peter Stockmann Christi Himmelfahrt bis sonntags 10 Uhr 19370 Parchim Gemeindebüro Erntedank Internet: www.kirchenkreis- Hakenstraße 7 montags bis freitags parchim.de Telefon: 03871-213423 10–16 Uhr E-Mail: parchim-st.georgen@ samstags 10–12 Uhr kirchenkreis-parchim.de und auf Anfrage

82 Reste von Wandmalereien an den Chorpfeilern mit Darstellungen der Kirchenväter Gregor und Ambrosius

Kirche St. Georgen in Parchim: Blick in das Mittelschiff und auf die Empore mit der Friese-Orgel aus dem Jahr 1871

83 Die Kirche St. Marien in Plau am See Mecklenburg-Vorpommern

Nachdem Sachsenherzog Heinrich der Löwe in einem mönch, als ersten evangelischen Pastor ein. Die Kirche Feldzug 1160 die slawischen Stämme im Gebiet des heu- hat seit dem 17. Jahrhundert immer wieder unter Zer- tigen Mecklenburg gewaltsam unterworfen hatte, setzte störungen und Brandschatzungen gelitten. 1631 ver- er in den Hauptzentren des Landes Vögte ein, um seine schanzten sich schwedische Truppen im Kirchturm und Herrschaft zu festigen, so auch auf der Burg Quetzin. beschossen die Burg, während kaiserliche Truppen auf Der mecklenburgische Fürst Heinrich Borwin I. die Kirche zielten. 1696 brannte der Turm vollständig übergab 1223 die wendischen Burgbezirke Quetzin und aus. 1726 verbrannten der alte Marienaltar und 1756 Gaarz an das Domkapitel von Havelberg, um in die- das Dach. In den Jahren 1877 bis 1879 unterzog man die sem Gebiet die Besiedlung und Pfarrorganisation in Kirche einer umfassenden Restaurierung, dabei wurde die Wege zu leiten. Als neuer Siedlungsort wurde der der romanische Chor weitgehend abgetragen und im Stil alte slawische Ort Plawe (= Flößort, Ort am Wasser) der Neugotik wiederaufgebaut, das 1696 zerstörte Turm- gewählt und kurze Zeit später dort die Stadt Plau ge- gewölbe erneuert, der Turmraum durch ein zweites Por- gründet. Quetzin verlor nach der Gründung der für den tal geteilt, die Ausmalung völlig erneuert und ein neues Handelsverkehr weitaus günstiger gelegenen Siedlung Gestühl mit umfangreichen Emporen eingebaut. Plau zunehmend seine Bedeutung. Wenn man heute in den Kirchenraum tritt, öffnet Um 1225 wurde der Grundstein für die Kirche ge- sich der Blick in die dreischiffige, dreijochige Hallenkir- legt. Der märkischen Bautradition und Baukunst ver- che mit einer weitgehend erhaltenen neugotischen Aus- pflichtet, errichtete man zunächst einen Chor aus Feld- stattung. Vier mächtige romanische Bündelpfeiler mit steinmauerwerk. Große Teile dieses Feldsteinchores Trapezkapitellen tragen ein gotisches Kreuzrippengewöl- wurden zwischen 1877 und 1879 abgebrochen und als be aus dem 14. Jahrhundert. Einer der beiden 16-armigen Backsteinbau wiederaufgebaut. Die gut erhaltene Nord- Leuchter ist mit einem doppelköpfigen Adler bekrönt. wand des Chores aus Feldstein sowie das ebenfalls er- Er ist eine Stiftung des Güstrower Kupferschmiedes haltene alte Portal an der Südwand des Chores legen bis Johann Christian Richter aus dem Jahr 1728. Der zweite heute Zeugnis von dieser Bauphase ab. Mit dem Zuzug Leuchter ist ein Werk des Plauer Gelbgießers Theodor von Siedlern und Baumeistern aus westfälischen und Lippert, er ist 1885 entstanden. lauenburgischen Gebieten und der Zuordnung des Plau- Zu den Besonderheiten der Kirche gehört die Orgel er Gebietes unter die Aufsicht des Schweriner Bischofs des Schweriner Orgelbaumeisters Friese aus dem Jahr im Jahr 1252 wurden die entscheidenden Impulse für 1879. Im Jahr 1980 wurde sie von der Plauer Firma Nuß- den Bau einer Hallenkirche westfälischen Typs gegeben. bücker (Mecklenburger Orgelbau) umgebaut und auf In einem Mischstil vom Übergang der Romanik zur Gotik 27 Register erweitert. aus Backsteinen errichtet, wurde der Bau der Marien- Den Altar schmückt ein 1863 gestiftetes, in Rom kirche Ende des 13. Jahrhunderts vollendet. Der große entstandenes Bild der Kreuzigung Christi des in Plau Turm der Kirche, das weithin sichtbare Wahrzeichen geborenen Malers Friedrich Lange. In der Mitte des Al- der Stadt, erhielt sein jetziges Aussehen nach einem tarraumes steht ein mit zahlreichen Reliefs und nieder- Stadtbrand 1696. Eine Urkunde aus dem Jahr 1235 deutschen Inschriften verziertes bronzenes Taufbecken, nennt Pfarrer Hermann als ersten Geistlichen von Plau. das Evert Wichtendal 1570 in der Geschützgießerei der Als 1532 die Reformation die Stadt erreichte, setzte Plauer Burg gegossen hat. Ein neunarmiger Marien- Herzog Heinrich V., der Friedfertige, seinen Hofpredi- leuchter mit der Mutter Gottes in einer Strahlenmandorla ger Johann Wegener, einen ehemaligen Franziskaner- über dem Taufbecken stammt aus vorreformatorischer

84 Kirche St. Marien in Plau am See: Südfassade der Kirche (Ende des 13. Jahrhunderts) mit Turm (nach 1696) und Backsteinchor (1874 bis 1879)

85 Zeit. Als zweijochiger Anbau aus dem 14. Jahrhundert das Kirchenschiff wurden inzwischen an Dach und hat die Sakristei ihren ursprünglichen Charakter bis Fassade instand gesetzt. Die Gesamtkosten der Maßnah- heute bewahrt. Nach ihrer Renovierung wird sie seit men werden sich auf eine Summe von fast einer Million 2004 als Winterkirche wieder genutzt. Ein in Teilen Euro belaufen. überlieferter Schnitzaltar, der um 1480 wahrschein- Aus Städtebaufördermitteln, Eigenmitteln der lich in der Lübecker Werkstatt Henning von der Heides Kirche St. Marien, Spendengeldern des Fördervereins entstand, wurde 1976 neu geweiht. und einer Zuwendung der ZEIT-Stiftung Ebelin und Seit der Restaurierung in den Jahren 1877/79 wur- Gerd Bucerius wurde 2008 im Bereich der Nordsakristei den an der Kirche keine wesentlichen Instandsetzungen die Dacheindeckung erneuert. Dazu wurde die alte vorgenommen. In den Jahren von 1945 bis 1990 fehlte Dacheindeckung aufgenommen und die Dachfläche mit es schlichtweg an Geld und Material; man musste sich einem Unterdach versehen. Ferner mussten die Dach- auf notdürftige Reparaturen beschränken. Eindringen- rinnen und der Fußpunkt des Dachstuhls komplett er- de Nässe verursachte so große Schäden an den Außen- neuert und beschädigte Ziegel ersetzt werden. Auch der mauern und am Dach, dass eine umfangreiche Restau- nördliche Giebel des Kirchenschiffes wurde im Zuge rierung notwendig wurde. Der Chor, die Sakristei und dieser Maßnahmen saniert.

St.-Marien-Kirche Ansprechpartner: Öffnungszeiten: Kirchplatz 3 Pastoren täglich 10–19 Uhr 19395 Plau am See Hannah und Stephan Poppe Gottesdienste: Telefon: 038735-40200 Telefon: 038735-40200 sonn- und feiertags 10 Uhr E-Mail: plau@kirchenkreis- parchim.de

86 Zweijochige Nordsakristei mit 2008 erneuerter Dacheindeckung, seit 2004 als Winterkirche genutzt

St. Marien in Plau am See: Blick in die dreischiffige Hallenkirche mit neugotischer Ausstattung

87 Die Kirche St. Marien zu Rostock Mecklenburg-Vorpommern

Die Rostocker Marienkirche an der Nordwestecke des den ehemals vorgesehenen Doppelturm verzichteten Neuen Marktes ist eine hochaufragende, kreuzförmige die Rostocker Stadtväter jedoch, nachdem sich das süd- Backsteinbasilika mit einem Umgangschor und einem liche Turmmauerwerk im Laufe der Bauzeit ein wenig wuchtigen Westbau. Der bedeutende Bau der nord- nach Osten geneigt hatte. Aus Furcht, dass die geplan- deutschen Backsteingotik war anfangs Pfarrkirche des ten Spitzen den Turm allzu sehr belasten und möglicher- mittleren der drei Altstadtkerne und wurde nach deren weise zum Einsturz bringen könnten, beendete man Zusammenschluss Hauptpfarrkirche. In mehreren Bau- den Turmbau mit einem gewaltigen Zeltdach und mit phasen entstand einer der repräsentativsten Bauten der einer zierlichen Spitze über dem Mittelturm, der zu Stadt. Mehr als 150.000 Besucher aus aller Welt verzeich- diesem Zweck um eine Etage erhöht wurde. Vielleicht net das national bedeutsame Baudenkmal jährlich. aber fehlte es auch nur an den finanziellen Mitteln für Zunächst war die Kirche der Mittelstadt eine früh- das riesige Doppelturmwerk. gotische Hallenkirche. Nach ihrer Erhebung zur Rats- Als während des Zweiten Weltkriegs die Stadt Ros- und Hauptpfarrkirche wurde beschlossen, die Kirche zu tock 1942 und 1944 das Ziel angloamerikanischer Bom- einer Basilika mit einem aus fünf Kapellen bestehenden benangriffe war, verhinderte nur das beherzte Eingrei- Chorumgang umzubauen. Östlich des bereits bestehen- fen einiger weniger Menschen unter Führung des Turm- den Hallenbaus baute man zuerst den Kapellenkranz dieners Friedrich Bombowski, dass die Marienkirche und vereinte diesen dann nach und nach mit dem zur Ba- das gleiche Schicksal erlitt wie die drei anderen großen silika umgestalteten Baukörper. Auch an dem wuchtigen Stadtkirchen, die vollständig ausbrannten. Westwerk wurde weitergebaut. Der Plan, einen Doppel- Dennoch wurden die Fenster von Bombensplittern turm zu errichten, bestand zu dieser Zeit offenbar noch. durchlöchert, ebenso das Kupferdach. Durch die schwe- Dieses Baugeschehen zog sich über einen Zeitraum von ren Detonationen entstanden tiefe Risse in den Gewöl- insgesamt rund 100 Jahren hin. 1398 wurden die Bauplä- ben und im Mauerwerk. Insgesamt gesehen aber über- ne nochmals geändert: Mitten durch die Basilika sollte stand die St.-Marien-Kirche als einzige der Rostocker ein mächtiges Querhaus gebaut werden, das den Grund- Pfarrkirchen das Inferno des Bombardements, das we- riss einer einschiffigen Hallenkirche besaß. Was letztlich sentliche Teile der Stadt in Schutt und Asche legte. diese neue Konzeption auslöste, ist nicht bekannt. Nach Kriegsende wurden Dach und Fenster not- Noch im Jahr 1398 begann der Bau des Querschif- dürftig geflickt, damit das Gotteshaus benutzt werden fes. Auf die zuvor noch geplanten Strebebögen, die den konnte. An eine planmäßige Sanierung des gesamten Schub der Gewölbe abfangen und an die tiefergelegenen Bauwerks war erst nach der politischen Wende 1989/90 Außenwände der Seitenschiffe und deren Stützpfeiler zu denken. Seitdem gibt es auch den Förderverein ableiten sollten, verzichtete man gänzlich. Die Stellen, »Stiftung St.-Marien-Kirche zu Rostock« e. V., dessen an denen sie gebaut werden sollten, kann man aber bis Mitglieder ehrenamtlich tätig sind. heute im Mauerwerk des Mittelschiffes sehen. Die neu- Seit 1992 wurden durch die Arbeit des Förderver- en Bauteile prangen mit Wechselschichten aus grün- eins, durch die finanzielle Unterstützung von Bürgern, lich glasierten und unglasierten Backsteinen im Außen- Bund und Land Mecklenburg-Vorpommern, der Stadt mauerwerk. Am 12. November 1419 wurde in der noch Rostock, der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, der im Bau befindlichen Kirche die älteste Universität Deutschen Stiftung Denkmalschutz und anderer Stif- Norddeutschlands feierlich eröffnet, 35 Jahre später tungen statische und Substanzsicherungen am Bau- waren dann auch die letzten Gewölbe geschlossen. Auf werk vorgenommen. In naher Zukunft sollen dringende

88 Blick auf die Hansestadt Rostock mit Westturm Kirche St. Marien zu Rostock: Hochchor mit Kapellen- und Nordquerhaus der Kirche St. Marien kranz und Nordquerhaus. Älteres Bauteile sind in rotem Backstein, die jüngeren mit farbigen Ziegeln gemauert.

89 Arbeiten zur Bestandssicherung an den Gewölben, den für die Öffnungen des Querhauses geschaffen, sondern Fenstern und am Mauerwerk des Kapellenkranzes und diesen angepasst wurden. Nicht auszuschließen ist aber der Seitenschiffe umgesetzt werden. Ein Abschluss die- auch, dass die Bauelemente von einer anderen Kirche ser Sicherungsmaßnahmen ist bis 2018 zur 800-Jahr- stammen und am nördlichen und südlichen Querhaus Feier Rostocks geplant. Danach soll die Restaurierung der Marienkirche einen neuen, herausgehobenen Platz der Kunstwerke im Inneren der Kirche in Angriff ge- an dieser wichtigen Hansekirche erhielten. nommen werden. Gemeinsam mit der Rudolf-August Oetker-Stiftung Seit 2004 sind die Kirchendächer wieder abgedichtet, hat die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius in den das Mauerwerk gesichert und die Gewölbe restauriert. Jahren 2009 bis 2011 den Förderverein »Stiftung St.- 2008 wurde die Sanierung der Hochgewölbe sowie der Marien-Kirche zu Rostock« e. V. bei der Restaurierung Fenster im Chorraum und im Südquerhaus abgeschlos- des Nord- und Südportals unterstützt. Die evangelisch- sen. Anschließend begann die Sanierung des Westbaus, lutherische Innenstadtgemeinde Rostock erhielt für die 2010 beendet wurde. dieses Vorhaben von der Deutschen Bundesstiftung Um- Die St.-Marien-Kirche verfügt über zahlreiche welt als Hauptförderer Unterstützung. mittelalterliche Portale. Während die vier Portale im Bereits im späten 19. Jahrhundert waren die Portale Turm und am Kapellenkranz aus Backstein gemauert restauriert und dabei mit einer Betonschlämme über- wurden, bestehen die Portale im Nord- und Südquer- zogen worden, die inzwischen vielerorts Risse aufwies. haus aus Werkstein. Vor allem das Nordportal ist be- Oberflächenwasser drang zu den mittelalterlichen Kalk- achtenswert. Es besticht durch seine Gliederung und steinportalen vor. Das Steinmaterial begann, sich abzu- seine frühgotische Ornamentik. Möglicherweise stam- lösen. Einer Nachricht, die in einer im östlichen Beton- men die beiden Kalksteinportale vom Vorgängerbau kapitell eingegossenen Flasche gefunden wurde, ist zu der Hallenkirche und wurden als Spolien wiederver- entnehmen, dass die Reparatur des Nordportals 1870 wendet und an die neuen Öffnungen im Querhaus an- vorgenommen wurde. Im Herbst 2011 wurde die Res- gepasst. Möglich ist aber auch, dass die Portale nicht taurierung der Portale abgeschlossen.

Kirche St. Marien zu Rostock Ansprechpartner: Gottesdienste: Oktober bis April Am Ziegenmarkt 4 Förderverein sonntags 9.30 Uhr montags bis samstags 18055 Rostock »Stiftung St.-Marien-Kirche Mittagsgebet: 10–12.15 Uhr und 14–16 Uhr Telefon: 0381-4923396 zu Rostock« e. V. montags bis samstags 12 Uhr sonn- und feiertags 0381-453325 Telefon: 0381-3 750763 Öffnungszeiten: 11–12.15 Uhr E-Mail: Mai bis September Führungen: [email protected] montags bis samstags montags bis samstags 11 Uhr 10–18 Uhr Internet: sonn- und feiertags www.marienkirche-rostock.de 11.15–17 Uhr www.rettet-st-marien-rostock.de

90 Fürstenempore mit Barockprospekt der Marienorgel des Rostocker Orgelbauers Paul Schmidt, 1770 Kirche St. Marien zu Rostock: Sterngewölbe Nordportal aus nach der Restaurierung im Jahr 2008 Kalkstein vor seiner Restaurierung

91 Das ehemalige Zisterzienserinnenkloster in Rühn Mecklenburg-Vorpommern

Das ehemalige Zisterzienserinnenkloster in Rühn im weitere Herzogstöchter als Äbtissinnen den Vorsitz des Landkreis Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern wurde Klosters. Im 17. Jahrhundert wurde aus der Mädchen- 1232 vom Schweriner Bischof Brunward gegründet. Das schule eine Art Volkshochschule. Mit dem Verzicht von Kloster erwarb im Lauf des 13. Jahrhunderts zahlreiche Ulrike Sophie auf die Regentschaft endete am 8. März Einkünfte. Insgesamt 18 kleinere Dörfer gehörten zum 1756 das klösterliche Leben. Das Kloster wurde Sitz klösterlichen Besitz. Während zunächst auch Bürger- des herzoglichen (Domanial-)Amtes Bützow-Rühn. liche in das Kloster eintraten, waren es seit 1500 fast aus- Von 1849 bis 1927 befand sich das Kloster in Privat- schließlich adlige Frauen. besitz und wurde zunächst ein Erholungsheim für jun- Frauenklöster trugen zur Adelskultur Norddeutsch- ge Mädchen, dann eine Hotel-Pension mit öffentlichem lands wesentlich bei. In Frauenkonventen fanden sich Restaurant. 1927 wurde das Kloster an die Ortskranken- nach dem Vorbild der adligen Männerklöster adlige kasse Rostock verkauft, die hier ein Sanatorium einzu- Frauen standesgemäß zusammen – anfangs zumeist richten beabsichtigte. Nach dem Zweiten Weltkrieg war unter der Benediktinerregel, oft später zisterziensisch es Waisenhaus, später Wohnstätte für Umsiedlerfami- reformiert. Die Frauenklöster führten ausgedehnte lien und ab 1950 Jugendwerkhof. Gutswirtschaften, bewirteten den Hochadel, betrieben Nach der Wende standen die Gebäude ab 1991 fast Mädchenschulen und produzierten Textilkunst für Kir- 15 Jahre leer. Seit Mitte 2008 ist der Klosterverein Rühn chen und Höfe, in deren Themenwelt eine literarische e.V. Besitzer des Klosters. Unter seiner Schirmherr- Bildung aufscheint. schaft werden die Gebäude denkmalgerecht saniert. Mächtige Abteien wie Doberan und Dargun verhal- Traditionelle Kunsthandwerks- und Lebensmittelmanu- fen den Zisterziensern zu einer gewissen Vormachtstel- fakturen sollen auf dem Gelände angesiedelt werden. Die lung im Land. Emsig kultivierten die Ordensmitglie- Klosterschänke und die Öl- und Senfproduktion sind der Sümpfe und Brachland, verpflichteten neue Siedler bereits seit April 2010 verpachtet. als Bauern und Handwerker. Gesammeltes Pflanzen- An der Nordseite der Klosteranlage erstreckt sich wissen verwandelten sie in segensreiche Klostermedi- die 1250 bis 1270 entstandene Klosterkirche, eine unge- zin. Die weltlichen Fürsten schätzten die frommen Ge- wöhnlich lange einschiffige Saalkirche mit geradem lehrten als kluge Berater. Als geschickte Landwirte Chorabschluss. Die Kirche lässt noch die innere Drei- und Händler versorgten die Zisterzienser die hungri- teilung in Altar-, Nonnen- und Laienraum ahnen, ihre gen Städter mit den Früchten ihrer Feld- und Garten- Portale den Einzug des Bischofs von Westen, der Dorf- arbeit. Auch förderten sie die Pferde- und Fischzucht. bevölkerung von Norden und der Laienschwestern von Nach der Reformation erhielt Elisabeth von Däne- Süden. Elisabeth von Dänemark gestaltete nach der mark das Kloster in Rühn von ihrem Ehemann Herzog Reformation den Innenraum der Kirche um. Der heute Ulrich als Geschenk. Sie wandelte es in ein evangeli- vorhandene hölzerne Glockenturm entstand erst nach sches Frauenkloster um und gründete die erste Mäd- der Reformation im 16. Jahrhundert. chenschule Mecklenburgs. Zur Ausstattung der Kirche gehört ein bedeuten- Im Dreißigjährigen Krieg wurde das Kloster zer- der Renaissancealtar aus dem Jahr 1578. Die Fürsten- stört und während der Amtszeit der Herzogin Sophie empore mit aufwendigen Schnitzereien und Bleiglas- Agnes von Mecklenburg (1625–1694), die im ehemali- fenstern und die Kanzel stammen ebenfalls aus dieser gen Klostergarten einen Park mit einer Lindenallee er- Zeit. Im Altarbereich befindet sich das barocke Prunk- richten ließ, wiederaufgebaut. Nach ihr übernahmen epitaph der Äbtissin Sophie Agnes. Im späten 19. Jahr-

92 Ehemaliges Zisterzienserinnenkloster in Rühn: Klosterkirche (1250 bis 1270) mit frühgotischem Ostflügel des Klosters

Rückseite des Ostflügels mit Klausurräumen

93 hundert wurde die Kirche im neugotischen Stil umge- Brand in der Klosteranlage durch Brandstiftung im baut. Die Friese-Orgel aus dem Jahr 1870 wurde 1999 Jahr 1292 entstand der Südflügel. Er enthielt das Refek- umfassend restauriert. torium (Speisesaal), einen hohen zweischiffigen Saal mit An die langgestreckte Saalkirche schließt sich im einer Grundfläche von 9 mal 12 Metern, der das gesamte Osten der 60 Meter lange, früher vermutlich zweistöckige Erdgeschoss einnahm und dessen gotisches Dachwerk Ostflügel des Klosters an, der durch einen flachgedeckten, erhalten ist. Dieser Flügel war wahrscheinlich früher wohl hölzernen Gang mit der Kirche verbunden war. In über ein Konventsgebäude oder einen Kreuzgang mit diesem frühgotischen, um 1250/60 entstandenen Flügel der Kirche verbunden. befanden sich die Klausurräume, der Kapitelsaal (Ver- Nach der Auflösung des Klosters und dem Umbau sammlungsraum), das Kalefaktorium, die Küche und durch das Amt Bützow im Jahr 1756 blieben nur noch die Wirtschaftsräume sowie darüber das Dormitorium. die Außenwände erhalten. Die ehemaligen Gewölbe wur- Der Gründungbau des Klosters in Rühn folgte damit noch den entfernt, neue rechteckige Fenster ergänzt und eine nicht dem vierflügeligen Klausurideal, sondern barg alle Balkendecke eingezogen. Klosterfunktionen unter dem Dach eines Konventshauses. Mit finanziellen Mitteln des Landesamtes für Kul- An der Südseite der Backsteinkirche schließen Reste tur und Denkmalpflege, des Klostervereins Rühn e. V. eines Kreuzgangs an, der im Lauf der Zeit ein Oberge- sowie der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius schoss erhielt, so dass die Nonnen aus den Dormitorien wurden im Jahr 2009 die Dachsanierung des Süd- und in den Ost- und Südflügeln ungesehen auf eine Empore Ostflügels der Anlage sowie die Erneuerung der Fenster im Kirchenraum gelangen konnten. Erst nach einem im Dachgeschoss realisiert.

Kloster Rühn Ansprechpartner: Klostergelände jederzeit Gottesdienstzeiten Klosterhof 1 Pastorin Helga Müller zugänglich auf Anfrage 18246 Rühn Telefon: 038462-22223 Kirchenschlüssel im Internet: Klosterverein Rühn e.V. Hofladen täglich 10–18 Uhr www.klosterverein-ruehn.de Telefon: 038461-447435 www.kirche-ruehn.de

94 Ehemaliges Zisterzienserinnenkloster in Rühn: Prunk- epitaph der Regentin Sophie Agnes, Altar, Fürstenloge sowie Grabsteine aus dem 14. bis 18. Jahrhundert

95 Die Kirche St. Cyriakus in Tauhardt Sachsen-Anhalt

Die Kirche St. Cyriakus in Tauhardt, einem Ortsteil der den beiden Ortsteilen der Gemeinde ist, wird sie von den Gemeinde Finne, 35 km westlich von Naumburg (Saale) evangelischen Kirchgemeinden Tauhardt, Billroda und unmittelbar an der Landesgrenze von Sachsen-Anhalt Rothenberga, die sich zum Kirchspiel Rothenberga zu- zu Thüringen, befindet sich im Zentrum des Dorfes. Die sammengeschlossen haben, gemeinsam genutzt. Kirche ist von einem Friedhof umgeben und bildet mit 2008 wurde die Kirche in das Programm »Kultur- der ehemaligen Schule und dem ehemaligen Pfarrhaus erhalt in Ostdeutschland« der ZEIT-Stiftung Ebelin in unmittelbarer Nachbarschaft ein schönes Gesamten- und Gerd Bucerius aufgenommen, um die Sanierung semble. Das ursprünglich ebenfalls zum Ensemble ge- des Turmdaches zu ermöglichen. Sie wurde gemeinsam hörende Gutshaus wurde vor wenigen Jahren wegen mit Mitteln aus dem ALFF Entwicklungsprogramm Baufälligkeit abgerissen. Ländlicher Raum, Eigenmitteln sowie Mitteln der Ka- Die ehemalige romanische Wehrkirche und spätere tharina und Gerhard Hoffmann Stiftung in Hamburg Patronatskirche mit einem massiven Kirchturm un- und der Rudolf-August Oetker-Stiftung realisiert. Durch mittelbar über dem Altarraum im Osten des Kirchen- die undichte Schieferdeckung drang Nässe ein. Im Zuge schiffes wurde nach einem Brand in den Jahren 1770 bis der Vorbereitungen der Restaurierungsmaßnahme zeig- 1778 unter Einbeziehung des mittelalterlichen quadra- te sich, dass auch tragende Holzbauteile sowie die An- tischen Chorturms mit polygonaler Apsis an der Ost- schlüsse an die Laterne ausgewechselt werden mussten. seite barock umgebaut. Der Turm erhielt einen Zwie- Das Bauvorhaben erwies sich als wesentlich umfangrei- belaufsatz mit Haube und Laterne, das Kirchenschiff cher als ursprünglich gedacht. eine doppelgeschossige Hufeisenempore mit einer Guts- Mit der inzwischen abgeschlossenen Sanierung des herrenloge und eine Orgel, die noch im historischen Zu- Turmdaches sind die Arbeiten an der Kirche noch nicht stand erhalten ist. Ein schlichter säulenflankierter ba- beendet. Im Herbst 2011 wurde mit der Wiederherstel- rocker Kanzelaltar mit seitlichen Durchgängen gehört lung des Kirchendaches begonnen. Auf der Nord-, Süd- bis heute zur Ausstattung der Kirche. und Ostseite des Kirchturms sind Sanierungsarbeiten Da die Kirche im Ortsteil Billroda vor über 20 Jahren im inneren Fachwerk notwendig. Da das Kirchenschiff wegen Baufälligkeit abgerissen werden musste und die mit DDR-Betondachziegeln gedeckt ist, soll auch dieses St.-Cyriakus-Kirche die einzig verbliebene Kirche in im Zuge der Gesamtrestaurierung erneuert werden.

Kirche St. Cyriakus Ansprechpartner: Schlüssel bei Andreas Ilse Gottesdienstzeiten und 06647 Finne Pfarrer Lutz Gitter Dorfstraße 28 Führungen auf Anfrage Ortsteil Tauhardt Telefon: 036377-83856 neben der Kirche (keine Adresse, E-Mail: [email protected] Telefon: 036377-83636 Kirche in der Ortsmitte)

96 Kirche St. Cyriakus in Tauhardt: barocker Umbau einer romanischen Wehr- kirche mit mittelalterlichem Chorturm

97 Die Ausstattung denkmalgeschützter Sakral- bauten aus dem Programm »Kulturerhalt in Ostdeutschland«

98 99

102 Nicht nur die Architektur bedeutender Sakral- und Profan- bauten in Ostdeutschland ist in ihrem Bestand akut bedroht. Der Denkmalbestand in den ostdeutschen Bundesländern birgt unzählige kultur- und kunsthistorisch bedeutende Ausstat- tungsgegenstände: Altäre, Kanzeln, Emporen, Orgelprospekte, Deckenmalereien und Wandfresken sowie Grabmäler und Epitaphe. Auch diese kostbaren Innenausstattungen in der ostdeutschen Denkmallandschaft für die Nachwelt dauerhaft zu erhalten, hat sich die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Buce- rius mit ihrem Programm »Kulturerhalt in Ostdeutschland« zur Aufgabe gemacht.

Seite 99: Dorfkirche Tribohm: barocker Altar, Kanzel und Patronatslogen

Seite 100–101: Pfarrkirche St. Marien in Güstrow: Passionsaltar von Jan Borman dem Jüngeren, 1522, Grab- legung und Auferstehung Christi

Seite 102: Kirche St. Nikolai in Bösenrode: barocke Deckenmalerei, frühes 18. Jahrhundert

103 Die barocken Deckenmalereien und die Empore in der Kirche St. Nikolai in Bösenrode Sachsen-Anhalt

Gemeinsam mit dem Pfarrhaus und der alten Schule in Ovalmedaillons, und Szenen aus dem Alten und Neu- prägt die Kirche St. Nikolai das Dorfbild von Bösenro- en Testament mit der Arche Noah, Elias (?) und Johan- de im Landkreis Mansfeld-Südharz. nes dem Täufer (?). Die einschiffige Kirche mit eingezogenem östlichen Die bemalten Bretter der Holztonne waren durch Chorturm ist mittelalterlichen Ursprungs und vermut- Feuchtigkeit infolge des eindringenden Niederschlags lich im 13. Jahrhundert entstanden. Neben dem quad- stark geschädigt. Ein großer Teil der Bemalung war ratischen Chorturm mit seinem heute von außen ver- bereits verloren, die noch vorhandenen Partien waren putzten Fachwerkaufsatz stammt auch das Walmdach durch Fehlstellen und abblätternde Malschichten ge- aus Schiefer noch aus der Entstehungszeit. kennzeichnet. Finanziert aus Eigenmitteln der Kirchen- Eine Hufeisenempore verbindet das Kirchenschiff, gemeinde und des Kirchenkreises sowie aus Mitteln den Chor und den Altarraum miteinander. Die West- der Landeskirche, der Klosterkammer Hannover, der empore ist zweigeschossig und trägt den kleinen Orgel- Stiftung zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler prospekt. Die 1703/04 durch den Stolberger Orgelbau- in Deutschland (Stiftung KiBa), der Ostdeutschen Spar- meister Georg Papenius erbaute Orgel ist heute nicht kassenstiftung und der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd mehr funktionsfähig und in Teilen ausgelagert. Erhal- Bucerius wurde im Herbst 2010 mit der Wiederherstel- ten hat sich hingegen der geschnitzte Kanzelaltar aus lung der Deckenmalereien begonnen. Zusätzlich wurde der Entstehungszeit der Kirche, der im frühen 19. und die Hufeisenempore der Kirche in die Restaurierungs- im 20. Jahrhundert mehrfach überarbeitet wurde. maßnahmen einbezogen. Die Tragkonstruktionen der Das Turmuntergeschoss und das Schiff der kleinen Emporen wiesen schwere Schäden auf, die Holzkonstruk- Saalkirche sind durch eine hölzerne Tonne überwölbt. tionen waren in Mitleidenschaft gezogen. Nur durch den Sie ist mit Malereien überdurchschnittlicher Qualität Einbau temporärer Abstützungen konnte der drohende aus dem frühen 18. Jahrhundert dekoriert. 1911 wurden Einsturz verhindert werden. Am 4. Juni 2011 feierte die sie einer umfassenden Restaurierung unterzogen. Dar- Gemeinde mit einem Dankgottesdienst den Abschluss gestellt sind das Jüngste Gericht, die vier Evangelisten der Restaurierungsarbeiten.

Kirche St. Nikolai Ansprechpartner: Silvia Beyreis-Schneider Öffnungszeiten auf Anfrage in Bösenrode Pfarrer Thomas Ahlhelm Kirchenvorstandsvorsitzende Gottesdienste: jeden Kirchstraße 2 Telefon: 036333-70825 Telefon: 034651-499163 2. Sonntag im Monat 14 Uhr 06536 Bösenrode E-Mail: [email protected] E-Mail: Internet: www.ev-kirchenkreis- [email protected] suedharz.de

104 Kirche St. Nikolai in Bösenrode: Tonnengewölbe mit barocker Malerei, frühes 18. Jahrhundert

105 Die Kanzel in der Kirche Dargitz Mecklenburg-Vorpommern

Die Kirche Dargitz im Landkreis Uecker-Randow, ein riert. Dringender Restaurierungsbedarf führte zur Auf- kleiner Saalbau aus Granitquadern, ist in der zweiten nahme in das Programm »Kulturerhalt in Ostdeutsch- Hälfte des 13. Jahrhunderts entstanden. Die Sakristei land« der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, stammt ebenfalls aus der Erbauungszeit und wurde denn an den Säulen des Kanzelkorbes blätterte die letzte später leicht verändert. Das Nordportal ist vermauert. Farbfassung ab, der Firnis an den Tafelbildern mit den Der verbretterte Dachreiter wurde 1978 zugefügt. Apostelfiguren war verbräunt und fleckig. Die Bemalung der Balken im flachgedeckten Innen- Mit Mitteln des Kirchenkreises, der ZEIT-Stiftung raum der Kirche stammt aus dem 18. Jahrhundert. 1913 Ebelin und Gerd Bucerius, des Restaurierungsfonds freigelegte, 1978 restaurierte Wandfresken aus dem 14./15. der Pommerschen Evangelischen Kirche, des Vereins Jahrhundert zeigen das Jüngste Gericht mit dem Höllen- zum Erhalt der Kirchen in Uecker-Randow und der Kir- rachen, Apostelfiguren und die vier weiblichen Heiligen chengemeinde mit Hilfe von Patronatsmitteln wurde die Katharina von Alexandria, Barbara, Margareta und Ger- Kanzel 2011 in der Werkstatt der Restauratorin Anja- trud von Nivelles. Die Wandmalerei im westlichen Be- Maria Gundermann in wieder hergerich- reich ist noch nicht freigelegt. Die Feldsteinkirche zählt tet. Weil Pigmentreste der Erstfassung nicht ausreichten, damit zu den wenigen Kirchen, in denen eine spätmittel- um einen Rückschluss auf die vollständige Bemalung alterliche Freskomalerei erhalten geblieben ist, die nicht der Kanzel zuzulassen, wurde bei der Rekonstruktion durch spätere Fenstererweiterungen gestört wurde. der Bemalung auf die datierte Zweitfassung von 1698 Die farbenprächtige Kanzel aus der Zeit um 1600 zurückgegriffen. Nach der jetzigen Untersuchung ist da- ist das älteste erhaltene Ausstattungsstück der Kirche. von auszugehen, dass die Entstehungszeit des Kanzelkor- Lediglich die Seitenwange stammt aus dem 19. Jahrhun- bes etwa 100 Jahre vor der bisher frühsten Datierung dert. Der Kanzelkorb weist Spätrenaissanceformen auf an der Kanzel liegt. Nach Abschluss der Restaurierungs- und ist mit Apostelgemälden – unter ihnen Jakobus, arbeiten im Sommer 2011 hat die Kanzel wieder Einzug Johannes und Philippus – zwischen Säulenarkaden deko- in die Dorfkirche gehalten.

Kirche Dargitz Ansprechpartner: Schlüssel bei Frau Gottesdienste: 17309 Schönwalde-Dargitz Frau Warnke Lindenstraße 41 jeden 1. Sonntag im Monat Telefon: 03973-441159 schräg gegenüber der Kirche und feiertags E-Mail: pasewalk2@kirchen- Telefon: 03973-432854 kreis-.de

106 Kirche Dargitz: Kanzel (um 1600) mit Seiten- wange aus dem 19. Jahrhundert, nach der Restaurierung in der Zweitfassung von 1698

107 Der Passionsaltar von Jan Borman dem Jüngeren in der Pfarrkirche St. Marien in Güstrow Mecklenburg-Vorpommern

Die Kirche St. Marien in Güstrow wurde 1308 erstmals Schergen, der auffälligen Rückenfigur in der Kreuztra- als Pfarr- und Marktkirche erwähnt. Nach der Zerstö- gungsszene links neben dem Kalvarienberg, ist der rung der Güstrower Innenstadt durch einen Brand im Schriftzug »JAN BORMAN« zu erkennen. Durch Be- Juni 1503 wurde die gotische Hallenkirche wiederauf- schaumarken, die nach Brüssel verweisen, ist die Her- gebaut und 1508 geweiht. Ihre jetzige Gestalt erhielt kunft gesichert. Der Bildschnitzer und Steinmetz Jan I. sie nach einer Restaurierung und einem Umbau in den Borman verstarb im letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhun- Jahren 1880 bis 1883. Es entstanden drei gleich hohe derts. Sein Sohn Jan II. Borman führte die Werkstatt Schiffe, die mehr dem ursprünglichen Bauplan als Hal- sehr erfolgreich weiter, erwarb 1479 das Bürgerrecht der lenkirche entsprechen. Stadt Brüssel und trat der dortigen Steinmetzzunft bei. Das wichtigste Ausstellungsstück der Kirche ist Die stilistischen Details des Wandelaltars schließen ein großer spätgotischer Wandelaltar, den die Güstro- Jan II. Borman als Autor aus. Ein jüngeres Familien- wer Katharinenbruderschaft im Jahr 1522 stiftete. In mitglied mit dem Namen Jan Borman (Jan III. Bor- geöffnetem Zustand bietet sich dem Betrachter eine ge- man oder der Jüngere genannt), dessen Mitgliedschaft waltige Retabelwand mit 13 sehr anschaulichen Dar- in der Brüsseler Bildschnitzergilde für das Jahr 1499 stellungen der Passion Christi. Darunter befindet sich bezeugt ist, gilt als ausführender Meister. Daneben ar- die Predella mit Christus und den zwölf Aposteln. Die beiteten mindestens zwei weitere Bildschnitzer an dem Kammfiguren, wahrscheinlich von einem früheren Al- Bildzyklus mit, von denen einer die ersten vier Passi- tar, zeigen Christus als Schmerzensmann mit 13 weib- onsereignisse und wohl auch die Apostelfolge in der lichen Heiligen. Predella schuf, und der zweite die Bildnischen im rech- Hinter den Seitenflügeln befinden sich sechs große ten Flügel ausführte. Bildtafeln, die bisher Bernaert van Orley zugeschrie- 1991 wurden starke Schäden in der Altarfassung ben wurden. Gegenwärtige Untersuchungen sollen die festgestellt, außerdem war die gesamte Oberfläche stark Autorenschaft endgültig klären. In der ersten Wand- verschmutzt. 1992 begann die Restaurierung. Seit 1997 lung werden auf der linken Seite Maria mit dem Kind bemüht sich ein Förderverein um die Finanzierung der und Szenen aus ihrem Leben dargestellt. Auf der rech- Maßnahmen unter der Leitung des Diplom-Restaura- ten Seite werden Katharina von Alexandria und ihr tors Volker Ehrlich. Mit Fördermitteln der ZEIT-Stif- Martyrium gezeigt. In der zweiten Wandlung sind Pet- tung Ebelin und Gerd Bucerius wird gegenwärtig die rus und Paulus zu sehen. An der Schwertscheide eines Predella restauriert.

Pfarrkirche St. Marien in Öffnungszeiten: 1. November bis 15. April Gottesdienste: Güstrow 1. Juni bis 30. September dienstags bis samstags sonntags 10 Uhr Markt 31 montags bis samstags 11–12 Uhr und 14–15 Uhr Internet: 18253 Güstrow 10–17 Uhr sonntags 14–15 Uhr www.borman-altar.de. Ansprechpartner: sonntags 14–16 Uhr 15. April bis 31. Mai Pastor Ortmann 1. Oktober bis 30. Oktober dienstags bis samstags Telefon: 03843-682077 dienstags bis samstags 10–12 Uhr und 14–16 Uhr 10–12 Uhr und 14–16 Uhr sonntags 14–16 Uhr sonntags 14–16 Uhr

108 Passionsaltar Jan Bormans des Jüngeren, 1522, Pfarrkirche St. Marien in Güstrow

Erste Wandlung, Szenen aus dem Marienleben und Martyrium der heiligen Katharina von Alexandria

109 Das Epitaph für den Rechtswissenschaftler Benedikt Carpzov aus der Universitätskirche St. Pauli in Leipzig Sachsen

Benedikt Carpzov der Jüngere leistete als bedeutender wie die sächsischen Gesetze einer modernen Handha- Professor der Jurisprudenz in der Zeit des Dreißigjäh- bung zuführte. Nach seinem Tod am 30. August 1666 rigen Krieges Wegweisendes für die Begründung des in Leipzig wurde er in der Universitätskirche beigesetzt. deutschen Strafrechts. Am 27. Mai 1595 in Wittenberg Das Zentrum des noch zu Lebzeiten von Benedikt als Sohn des Rechtsgelehrten Benedikt Carpzov des Älte- Carpzov selbst beauftragten Holzepitaphs bildet die auf ren (1565–1624) geboren, wurde er nach Studien der Leinwand gemalte Kreuzigung Christi mit knienden Rechte und der Theologie in Wittenberg, Leipzig und Stifterfiguren in einem reich verzierten, schwarz und Jena 1616 zum Doktor beider Rechte promoviert. Kur- gold gefassten Architekturrahmen. Ovale Porträts in fürst Johann Georg I. von Sachsen bot ihm eine Stelle den seitlichen »Ohren« zeigen die beiden Ehefrauen Carp- am sächsischen Schöppenstuhl in Leipzig an, wo er 1620 zovs, sein Bildnis im Giebel ist seit 1968 verschollen. außerordentlicher, 1623 ordentlicher Assessor wurde Das Gedächtnismal gehört zu einer Gruppe von und 1632 zum Senior der Einrichtung aufstieg. Ab 1636 rund 40 wertvollen Epitaphien berühmter Persönlich- wirkte er am Oberhofgericht in Leipzig und wurde am keiten der Leipziger Universität aus der Zeit zwischen 25. Juni 1639 Rat am Appellationsgericht. 1550 und 1770, die innerhalb weniger Tage gerettet Im August 1644 berief ihn der Kurfürst als Hof- wurden, als die im Zweiten Weltkrieg unversehrte Uni- und Justizienrat nach Dresden. Er trat aber sein Amt versitätskirche auf Geheiß der SED am 30. Mai 1968 nicht an, sondern übernahm eine Professur an der gesprengt wurde. Die geborgenen Epitaphien nahmen juristischen Fakultät der Universität Leipzig, am 24. Feb- aufgrund mangelhafter Lagerung in den Jahren der ruar 1648 das Ordinariat der Fakultät und den Vorsitz DDR großen Schaden. Gemeinsam mit der Kustodie der am Schöppenstuhl. 1653 als Geheimrat nach Dresden Universität engagiert sich insbesondere das Ortskura- berufen, kehrte er 1661 nach Leipzig zurück, wo er sein torium Leipzig der Deutschen Stiftung Denkmalschutz Richteramt wieder aufnahm. Eine erste Ehe ging er mit bei der Spendensuche. Regina von Clausbruch († 1637), eine zweite mit Katha- Die Restaurierung des Carpzov-Epitaphs wurde durch rina Burchard († 1651) ein. eine Zuwendung der ZEIT-Stiftung ermöglicht. Bei den Mit seiner Gesamtdarstellung des Straf- und Straf- Gemälden gewährte die Fachklasse Restaurierung der prozessrechts gilt Carpzov als Wegbereiter des deut- Hochschule für Bildende Künste in Dresden ihre Unter- schen Strafrechts. Er wirkte ferner entscheidend an der stützung. Die Epitaphien sollen als Gesamtkomplex im Gestaltung der sächsischen Rechtsprechung mit, indem künftigen Paulinum des niederländischen Architekten er die unter Karl V. geschaffene Halsgerichtsordnung so- Erick van Egeraat am Augustusplatz Aufstellung finden.

Kustodie/Kunstsammlung Telefon: 0341-9730170 Ansprechpartner: Gottesdienste: der Universität Leipzig E-Mail: [email protected] Dr. Simone Schulz (Öffentlich- sonntags 11 Uhr Augustusplatz keitsarbeit) Internet: (geplante Fertigstellung 2013) www.uni-leipzig.de/kustodie

110 Epitaph des Rechtswissenschaftlers Benedict Carpzov († 30. August 1666)

111 Der Orgelprospekt in der Kirche St. Nikolai in Serrahn Mecklenburg-Vorpommern

Die Nikolaikirche in Serrahn im Landkreis Güstrow ist gen am Turmmauerwerk. Mit ihrem um 1740 entstande- auf einer kleinen Anhöhe gelegen. Sie wurde bereits nen, reich ausgestalteten Orgelprospekt beherbergt die 1240 geweiht. Die Grundmauern des kreuzförmigen kleine Dorfkirche ein barockes Kleinod, das ein unge- Baus bestehen aus Feldstein, die Wände und der Turm wöhnliches Stück Orgelgeschichte darstellt. Flankiert sind aus Backstein errichtet. Das Turmdach hat die von acht musizierenden Engeln bekrönt eine fast lebens- Form einer vierseitigen Pyramide. große Figur König Davids mit Harfe den Prospekt, der Die Baugeschichte der Kirche in zahlreichen Kapi- reich mit Akanthusblattwerk und Girlanden geschmückt teln ist ungeklärt: Um die Mitte des 13. Jahrhunderts ent- ist. Ein vergleichbarer, mit Figuren bestückter Pro- stand wohl zunächst ein längsrechteckiger Backstein- spekt findet sich an der Orgel in der Kirche von Recknitz, bau mit Ecklisenen und einem Kreuzrippengewölbe. östlich von Güstrow. Wohl im 14./15. Jahrhundert wurde dieser Bau dann Die Orgel wurde bereits um 1850 komplett erneu- um ein kreuzrippengewölbtes querrechteckiges Joch ert und 1999 im Rahmen einer Notreparatur wieder und den Turm in Feldsteinmauerwerk verlängert. bespielbar gemacht. Der einzigartige Prospekt war in In den Jahren 1872/73 wurde die Kirche von Th. seinem Bestand akut gefährdet. An den Figuren und Krüger erweitert und zu einer Kreuzkirche umgebaut. an der Architektur waren durch Holzschädlingsbefall Dabei entstanden der in Backstein ausgeführte Chor, bereits massive Verluste entstanden, die Farbfassung die Leichenhalle im Norden und die Sakristei im Süden. großflächig verloren. Finanziert durch die Deutsche Gleichzeitig erhielt die Kirche eine neugotische Holzaus- Stiftung Denkmalschutz, die Kirchengemeinde und stattung. Das qualitätvolle signierte Kreuzigungsge- die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius wurden mälde von C. Pfannschmidt entstand 1874. 1963 wurde 2009/10 Konservierungsmaßnahmen vorgenommen. die Kirche noch einmal umfassend renoviert, 2004 wur- Nachdem bereits 2006 an einer Musterfläche die Ober- de bei Restaurierungsarbeiten an der nördlichen Innen- fläche gereinigt, die Farbfassung gefestigt und die Hand seite eine farbige Wandmalerei aus dem Mittelalter einer der Figuren bildplastisch ergänzt worden war, freigelegt. 2005 wurde der Innenraum neu ausgemalt, folgte in den Jahren 2009 und 2010 die Rettung der übri- und im Jahr 2006 erfolgten notwendige Instandsetzun- gen sieben Figuren.

Kirche St. Nikolai in Serrahn Schlüssel bei Familie Hinze Gottesdienste: 18292 Serrahn (Dorf) An der Kirche 36 sonntags 10.30 Uhr Ansprechpartner: 18292 Serrahn Internet: www.kirchenkreis- Pastor Markus Holmer Telefon: 038456-60182 guestrow.de/klaber-serrahn.html Telefon: 038456-60972 E-Mail: klaber-serrahn@ kirchenkreis-guestrow.de

112 Kirche St. Nikolai in Serrahn von Osten: 1872/73 zu einer Kreuzkirche erweiterter Bau

Musizierende Engelsfiguren (Detail) und Orgelprospekt (um 1740): bekrönt mit König bemalte Holzdecke über der Orgelempore David und acht musizierenden Engeln

113 Die barocke Inneneinrichtung der Kirche in Tribohm Mecklenburg-Vorpommern

Der Ort Tribohm wurde 1268 erstmals erwähnt, als ein rocke Kanzel ist am Korb mit Sitzfiguren der Evangelis- Eckard von Dechow (möglicherweise Dechow bei Rat- ten, der Schalldeckel mit dem Auge Gottes und mehre- zeburg) dem Kloster Neuenkamp Land vermachte. Das ren Engeln verziert. Ebenfalls Teil der barocken Neu- Kloster übernahm 1272 das Patronat über die Kirche. ausstattung sind die beiden Patronatslogen. Die Dorfkirche in Tribohm ist eine der ältesten Zwischen 1845 und 1847 wurden das Kircheninnere Kirchen Nordvorpommerns. Der frühgotische Saalbau renoviert, farblich geändert und eine Orgel von Carl mit einem eingezogenen Rechteckchor ist um 1250 als August Buchholz eingebaut. Wehrkirche aus Feldsteinen errichtet worden und weist Im Jahr 2000 galt die Dorfkirche von Tribohm als große stilistische Ähnlichkeiten zu gleichzeitigen Bau- einsturzgefährdet. Schon 1997 hatte die kleine Kirchen- ten in der Altmark auf. gemeinde das Dach notdürftig neu gedeckt. 1998 folgte Vermutlich 1421 wurde der hölzerne Turm zuge- eine Notsicherung des Dachstuhls, finanziert aus Mit- fügt. 1456 fiel das Patronat als Geschenk des Klosters teln der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Neuenkamp an die Universität Greifswald. Im Zuge Seit dem Jahr 2002 wurden mit Mitteln des Lan- des Dreißigjährigen Krieges wurde die Inneneinrich- des Mecklenburg-Vorpommern, der Deutschen Stiftung tung um 1628 durch kaiserliche Soldaten zerstört.1745 Denkmalschutz, der Stiftung zur Bewahrung kirch- wurden die wahrscheinlich im Nordischen Krieg zer- licher Baudenkmäler in Deutschland (Stiftung KiBa), störte Kirche und der Turm wiederaufgebaut und die der Hermann Reemtsma Stiftung, der ZEIT-Stiftung Inneneinrichtung barock gestaltet. Ebelin und Gerd Bucerius, der Katharina und Gerhard Der Altar besitzt eine hölzerne Säulenarchitektur Hoffmann Stiftung, der Kirchengemeinde und des Kir- mit einem Abendmahlsrelief im Sockel und einem Ge- chenkreises sowie mit privaten Spenden Turm und mälde des auferstandenen Christus darüber, das Ende Turmhelm, Mauern, Innenausstattung und Boden sa- des 19. Jahrhunderts zugefügt wurde und das als Altar- niert. Ziel des im April 2010 abgeschlossenen Förder- kreuz gebrauchte Kruzifix ersetzte. Die seitlich ange- projektes, an dem sich die ZEIT-Stiftung beteiligte, war setzten Schnitzfiguren zeigen Mose und Johannes den die umfassende Restaurierung der stark beschädig- Täufer, die darüber angebrachten Medaillons Jesus ten barocken Inneneinrichtung aus dem Jahr 1745 mit im Garten Gethsemane und die Auferstehung. Die ba- Altar, Kanzel und Patronatslogen.

Kirche in Tribohm Ansprechpartner: Schlüssel bei Familie Peters Am Tribohmer Bach 29 Pastor Wehring gegenüber der Kirche 18320 Tribohm Telefon: 038225/223 Internet: www.kirchengemeinde- E-Mail: ahrenshagen@ ahrenshagen.de kirchenkreis-stralsund.de

114 Barocke Innenausstattung (1745) der Dorfkirche in Tribohm mit Altar, Kanzel und Patronatslogen

Sitzfiguren der Evangelisten am Kanzelkorb

115 Anhang

Die Dorfkirche in Tribohm, eine der ältesten Kirchen in Nordvorpommern, ist um 1250 als Wehrkirche aus Feldsteinen errichtet worden

116 117 geförderte Projekte

Tribohm Kloster Wulfshagen

Greifswald Krummin Rostock Bauer Lüskow Güstrow Levin Rühn Basedow Klein Luckow Dargitz Mecklenburg- Serrahn Vorpommern Dammwolde Plau am See Sonnenberg Schwerin Parchim Neuendorf Pinnow

Hagenow

Brandenburg Berlin

Brandenburg

Magdeburg Isterbies Sachsen-Anhalt

Aschersleben Döblitz

Bösenrode Halle Merseburg Leipzig Bucha Naumburg Tauhardt Weißenfels Bad Frankenhausen Flemmingen Zeitz Dresden Thüringen Sachsen Erfurt-Büßleben Erfurt

Gehren

Meiningen

118 Weitere Projekte des Programms »Kulturerhalt in Ostdeutschland«

Sakralbauten St.-Cecilien-Kilian-Kirche Bucha, Sachsen-Anhalt Dorfkirche in Döblitz, Sachsen-Anhalt Dorfkirche in Isterbies, Sachsen-Anhalt Dorfkirche in Klein Luckow, Mecklenburg-Vorpommern St.-Johanniskirche in Levin, Mecklenburg-Vorpommern Dorfkirche in Lüskow, Mecklenburg-Vorpommern Dorfkirche in Neuendorf, Mecklenburg-Vorpommern Dorfkirche in Pinnow, Mecklenburg-Vorpommern Dorfkirche in Rothenklempenow, Mecklenburg-Vorpommern Kirche Sonnenberg, Mecklenburg-Vorpommern

Ausstattungselemente von Sakralbauten Orgelempore in der Dorfkirche in Gehren, Thüringen Grabplatte in der Kirche von Basedow, Mecklenburg-Vorpommern Barocke Deckenmalereien in der Kirche von Dammwolde, Mecklenburg-Vorpommern Romanische Wandfresken in der Dorfkirche Flemmingen, Sachsen-Anhalt

119 Impressum Bildnachweis

Herausgeber: 7 Michael Zapf 63 Klaus Berge Dr. Andreas Hoffmann / 15 Horst Fechner 65 Uwe Edom ZEIT-Stiftung 16 Brigitta Kowsky 67 Michael Zapf Ebelin und Gerd Bucerius 18 Bach-Archiv Leipzig 69 Foto Peters (Greifswald) 21 links: Brigitta Kowsky 71 Michael Zapf Feldbrunnenstraße 56 rechts oben: Jens Volz 73 Berthold Brinkmann 20148 Hamburg rechts unten: Jens Volz 75 Berthold Brinkmann Telefon: 040-413366 23 oben: Bach-Archiv Leipzig, 77 Ursula Brichta Telefax: 040-41336700 Foto: Homann Güner Blum 79 Ursula Brichta E-Mail: [email protected] (Hannover) 81 oben: Christine Johannsen Internet: www.zeit-stiftung.de unten links: Bach-Archiv unten: Förderverein St. Georgen Die ZEIT-Stiftung Ebelin und Leipzig, Foto: Daniela Friebel Parchim, Foto: Manfred Arndt Gerd Bucerius ist Mitglied unten rechts: Bach-Archiv Leipzig, 83 links: Förderverein St. Georgen des Bundesverbandes Deutscher Foto: Homann Güner Blum Parchim, Foto: Manfred Arndt Stiftungen e. V. und des European (Hannover) rechts: Christine Johannsen Foundation Centre, Brüssel 25 oben: Horst Fechner 85 Christine Johannsen Mitte: Thomas Ziegler 87 Michael Zapf Verantwortlich: unten: Thomas Ziegler 89 Berthold Brinkmann Prof. Dr. Michael Göring 27 Horst Fechner 91 Berthold Brinkmann Dr. Andreas Hoffmann 29 Peter Lisker 93 Michael Zapf Text und Redaktion: 31 Heinrich-Schütz-Haus Weißenfels 95 Michael Zapf Dr. Andreas Hoffmann 33 Bildarchiv der Vereinigten 97 Andreas Ilse Redaktionelle Mitarbeit: Domstifter zu Merseburg und 99 Michael Zapf Anna-Maria Grust Naumburg und des Kollegiatstifts 100 Michael Zapf Bildredaktion: Zeitz, Bildarchiv Naumburg, 102 Ingenieurbüro Hermanns GmbH Anna-Maria Grust Foto: Sarah Weiselowski 105 Ingenieurbüro Hermanns GmbH Axel Schuster 34 Bildarchiv der Vereinigten 107 Michael Zapf Lektorat: Anke Beck Domstifter zu Merseburg und 109 Michael Zapf Gestaltung: Naumburg und des Kollegiatstifts 111 Kustodie – Foto: Marion Wenzel www.qart.de Zeitz, Bildarchiv Naumburg, 113 Heiko Brandner Produktion: Foto: Sarah Weiselowski 115 Michael Zapf Anja Uhlich, Hamburg 36 bis 49: Bildarchiv der Vereinigten 117 Michael Zapf Lithographie: Domstifter zu Merseburg und Naum- Appel Grafik, Hamburg burg und des Kollegiatstifts Zeitz Druck: 51 Michael Zapf BerlinDruck, Achim 52 Berthold Brinkmann 54 Michael Zapf ZEIT-Stiftung 56 Michael Zapf Ebelin und Gerd Bucerius, 59 Michael Zapf Hamburg, im Frühjahr 2012 61 Michael Zapf

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