Jahrbuch 2006
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www.doew.at Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.) JAHRBUCH 2006 Schwerpunkt Erinnerungskultur Redaktion: Christine Schindler Wien: LIT Verlag 2006 Inhalt – Jahrbuch 2006 www.doew.at Redaktionelle Vorbemerkung 7 Ludwig Steiner Die Vorbereitung zur Reise nach Moskau im April 1955 Zur Vorgeschichte des Staatsvertrags 13 Schwerpunkt Erinnerungskultur Brigitte Bailer-Galanda Das Gedenkjahr 2005 und die österreichischen Entschädigungsleistungen 23 Karin Stögner Erinnern und Vergessen Zum Begriff des Eingedenkens bei Walter Benjamin 37 Claudia Kuretsidis-Haider Gedächtnislandschaften in Niederösterreich 48 Lisa Rettl Erinnerungskultur im Burgenland Tendenzen und aktuelle Entwicklungen 66 Peter Gstettner Die Legende von der Selbstbefreiung Kärntens Alte Töne und neue Varianten am Rande des „Gedankenjahres 2005“ 80 Elke Renner / Grete Anzengruber Von den Mühen der Erinnerung 1983–2005. Beiträge der pädagogischen Taschenbuchreihe schulhefte 106 Inhalt Brigitte Bailer-Galanda – Jahrbuch 2006 www.doew.at Die neue ständige Ausstellung des DÖW im Alten Rathaus 113 Wolfgang Neugebauer / Peter Schwarz Nobelpreisträger im Zwielicht Zur historisch-politischen Beurteilung von Julius Wagner-Jauregg (1857–1940) 124 Varia Wolfgang Form Politische NS-Strafjustiz in Österreich 1938 bis 1945 Die Verfahren vor dem Volksgerichtshof und den Oberlandesgerichten Wien und Graz 170 Wilhelm Lasek Rechtsextreme Einflüsse auf die Musikszene am Beispiel des Black Metal 186 Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes Tätigkeitsbericht 2005 212 AutorInnen 233 Redaktionelle Vorbemerkung – Jahrbuch 2006 www.doew.at Das Gedenk- und Gedankenjahr 2005 hat viele Jubiläen begangen: 60 Jahre Befreiung, Zweite Republik und ÖGB, 50 Jahre Unabhängigkeit, Staats- vertrag und Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen sowie 10 Jahre Mit- gliedschaft in der Europäischen Union, um die bedeutendsten zu nennen. Ausstellungen, Publikationen, Rednerinnen und Redner thematisierten auch die „Vorgeschichte“ der Zweiten Republik — vielen kam denn doch und dennoch die Erinnerung zu kurz, wie es zur Diktatur, zur Täter- und Mit- täterschaft, zum Krieg, zum Massenmord gekommen war, ebenso wie das Gedenken an die ZwangsarbeiterInnen und Häftlinge, die die Grundlage für die so gefeierte Erfolgsgeschichte der Zweiten Republik mitgelegt hatten und danach vergessen und verdrängt wurden. So manchen war die vielfach identitätsstiftend inszenierte Erinnerung eine Umschreibung, zumindest eine Reduktion der Geschichte. So ist dieses Jahrbuch dem Thema gewidmet, wie nicht nur 2005 erinnert wurde, was von wem warum erinnert und was von wem warum verdrängt und beiseite geschoben wird. In und nach einem lan- gen Jahr, das mehr Events als Gedanken gesehen hat, gehen die Emotionen hoch — wir haben in dieser Ausgabe Platz dafür gelassen, ebenso wie für nur allzu oft ungehörte kritische Stimmen, die sich seit Jahren und über 2005 hinaus für Entschädigung, Aufarbeitung und Gedenken eingesetzt haben und engagieren werden. Ohne die Jahre der Diktatur und die Befreiung durch die Alliierten außer Acht zu lassen, berichtet der Widerstandskämpfer, Zeitzeuge und Teilnehmer an den Staatsvertragsverhandlungen Botschafter Ludwig Steiner in seinem in diesem Band abgedruckten Festvortrag Die Vorbereitung zur Reise nach Moskau im April 1955. Zur Vorgeschichte des Staatsvertrags anlässlich der Jahresversammlung des DÖW im März 2005 über die Situation in Österreich nach der Befreiung und den mühevollen Weg bis zum Abschluss des Staats- vertrages 1955. Ludwig Steiner, auch Vizepräsident des DÖW, zeichnet als Vorsitzender des Komitees des Versöhnungsfonds gemeinsam mit den kompetenten Mit- arbeiterInnen und den Verantwortlichen und Engagierten aus Politik und Wirtschaft verantwortlich für die erfolgreiche Arbeit des Österreichischen 7 Redaktionelle Vorbemerkung Redaktionelle Vorbemerkung Fonds für Versöhnung, Frieden und Zusammenarbeit. Der Fonds, der 2000 – Jahrbuch 2006 www.doew.at – Jahrbuch 2006 www.doew.at ins Leben gerufen wurde, um ehemalige ZwangsarbeiterInnen auf österrei- chischem Gebiet spät, aber doch mit symbolischen Beträgen, die von Staat und Wirtschaft getragen wurden, anzuerkennen, konnte in nur fünf Jahren mit hoher Effizienz, Augenmaß und Sensibilität dieses Vorhaben durchfüh- ren und abschließen. Rund 130.000 Menschen haben diese Anerkennung annehmen können. Brigitte Bailer-Galanda, wissenschaftliche Leiterin des DÖW, skizziert im Beitrag Das Gedenkjahr 2005 und die österreichischen Entschädigungsleistungen die Versäumnisse und Leistungen der Zweiten Republik, unter denen insbesondere die Arbeit des Versöhnungsfonds, Na- tionalfonds, Entschädigungsfonds und der Historikerkommission der Re- publik Österreich positiv herausragen. Vor dem aktuellen Hintergrund der Jahrzehnte verschleppten Rückgabe von entzogenen Gemälden Klimts an die rechtmäßigen Erben und verstörender offizieller Reaktionen berichtet Bailer- Galanda, ehemals stellvertretende Vorsitzende der Historikerkommission, über die Geschichte der Kommission und die Ergebnisse ihrer jahrelangen Forschungen zur Rückstellungs- und Entschädigungsgesetzgebung seit 1945 sowie die späte Errichtung und unentbehrliche Arbeit der Fonds. Karin Stögner vom Institut für Konfliktforschung beleuchtet in ihrem Artikel Erinnern und Vergessen. Zum Begriff des Eingedenkens bei Walter Benjamin Benjamins kapitalismuskritische Geschichtsphilosophie, die auf- zuzeigen versucht, wie der Unterdrückung und der Unterdrückten gedacht und an den Widerstand und die Widerständigen erinnert werden kann und soll, ohne für partikulare Herrschaftsinteressen missbraucht werden zu können. Benjamin, der nach jahrelanger Flucht vor den Nationalsozialisten 1940 beim gescheiterten Versuch, die französisch-spanische Grenze zu über- schreiten, zu Tode kam, wendet sich insbesondere gegen die historistische Auffassung einer geradlinigen sinnvollen Geschichtsentwicklung hin zum Fortschritt, die auch dem Unrecht Sinnhaftigkeit unterstellt. Stögners Analyse ist ebenso aufschlussreich bezüglich der sich ausbreitenden Event(un)kultur auch in Bezug auf die NS-Vergangenheit, die vergleichbar Benjamins „Erleb- nissen“ geschichts- und erinnerungslose „Events“ zusammenhanglos anei- nanderreiht. Seit Anfang der 1990er Jahren beschäftigt sich das DÖW mit der Erfor- schung der Erinnerungskultur, des Umgangs der österreichischen Gesell- schaft mit ihrer Vergangenheit. Als erstes Ergebnis von wissenschaftlichen Kooperationsprojekten mit einschlägigen Institutionen ist der Band der Reihe „Gedenken und Mahnen in Österreich 1934 bis 1945“ 1998 über Wien erschienen, der Erinnerungszeichen vielfältigster Art zu Widerstand 8 9 Redaktionelle Vorbemerkung Redaktionelle Vorbemerkung www.doew.at – Jahrbuch 2006 www.doew.at und Verfolgung, Exil und Befreiung dokumentiert und sowohl den histo- – Jahrbuch 2006 www.doew.at rischen Kontext als auch Gegenwartsbezüge der Denkmallandschaft Wiens beschreibt. Derzeit laufen die Erfassungsprojekte der Gedenk- und Erinne- rungszeichen im Burgenland, in Niederösterreich und der Steiermark. Claudia Kuretsidis-Haider, wissenschaftliche Ko-Leiterin der Zentralen österreichi- schen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz und DÖW-Mitarbeiterin, informiert über Gedächtnislandschaften in Niederösterreich, die Historikerin Lisa Rettl über Erinnerungskultur im Burgenland. Tendenzen und aktuelle Entwick- lungen. Wie im theoretischen Artikel von Stögner eingefordert, werden Denkmalsetzungen und Erinnerungsrituale in den Kontext jeweils aktu- eller politischer Interessen von 1945 bis heute gestellt, die sich manifes- ter in den Denkmälern zeigen als das erinnerte Ereignis selbst. Während Kuretsidis-Haider die Erinnerungskultur in einem weithin katholisch ge- prägten Niederösterreich beschreibt, geht Rettl der Frage nach, wie sich die Verarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit und die entspre- chenden materiellen Zeichensetzungen, insbesondere für die in der NS-Zeit verfolgten und ermordeten Jüdinnen und Juden, Romnia und Roma, in das Narrativ der — friedvollen — ethnischen und kulturellen Vielfalt des Bur- genlandes fügen. Der vertriebenen und ermordeten Jüdinnen und Juden wird kaum, noch weniger der verfolgten und ebenso hingemordeten Roma-Be- völkerung des Burgenlandes gedacht, der Anschlag auf die Oberwarter Romasiedlung 1995, der vier Todesopfer forderte, zeigte einen manifesten Rassismus, der als latenter doch bestritten worden war, und führte zu insbe- sondere von den burgenländischen Kirchen getroffenen und forcierten und vom Land mitgetragenen gedächtnispolitischen Stellungnahmen und Initia- tiven. Die Verdrängung der NS-Vergangenheit im Bundesland Kärnten, vor allem der Geschichte von Verfolgung und Widerstand der slowenischen Bevölkerung beschreibt Peter Gstettner, der seit vielen Jahren unermüdlich und engagiert für die Erhaltung der Gedenkstätte Loibl KZ Nord kämpft, im Artikel Die Legende von der Selbstbefreiung Kärntens. Alte Töne und neue Varianten am Rande des „Gedankenjahres 2005“. Angesichts des frappie- renden und politisch gesteuerten Konflikts um zweisprachige Ortstafeln in Kärntner Gemeinden oder der Beschimpfung von Wehrmachtsdeserteuren als „Kameradenmörder“ und andere Entgleisungen durch (nicht nur) Kärntner Personen des öffentlichen Lebens wird die aufgebrachte Anklage Gstettners gegen die „heimattreue“ Geschichtsauffassung des offiziellen Kärnten, so mancher Journalisten und Politiker verständlich und nachvoll- ziehbar. Jedoch gesteht Gstettner dem modernen Zeitgeschichte- und Reli- 8 9 Redaktionelle Vorbemerkung Redaktionelle