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„Schabernack über Schabernack.“ Till Eulenspiegel in deutschsprachigen Komödien des 19. und 20. Jahrhunderts.

Masterarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts (MA)

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von Andrea SCHABERNACK

am Institut für Germanistik

Begutachterin: Ao.Univ.-Prof. Mag. Dr.phil. Beatrix Müller Kampel

Graz, 2012 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung...... 3 2. Das Eulenspiegel-Buch und sein Held...... 4 2.1. Anmerkung zur Quellenlage...... 4 2.2. Frühe Drucke und Zeugnisse, Verfasserschaft und stoffliche Grundlagen...... 4 2.3. Form und Inhalt der Schwanksammlung...... 8 2.4. Till Eulenspiegel – Ein Widerspruch in Person...... 11 3. Zur Rezeptionsgeschichte der Schwanksammlung...... 19 3.1. Ein Überblick über die Rezeptionsgeschichte des Eulenspiegel-Buches...... 19 3.2. Rezeptionstypen der Eulenspiegelfigur...... 24 A Eulenspiegel als harmloser Spaßmacher...... 24 B Eulenspiegel als Sozialkritiker und Revolutionär...... 24 C Eulenspiegel als weiser Narr und Individualist...... 25 D Eulenspiegel als resignierender Außenseiter...... 25 4. Till Eulenspiegel in Komödien des 19. und 20. Jahrhunderts...... 26 4.1. Kotzebue, Stegmayer, Nestroy – Die Eulenspiegelfigur der Possentradition...... 27 4.1.1. August von Kotzebue: „Eulenspiegel“ (1806)...... 27 4.1.2. „Eulenspiegel oder: Schabernack über Schabernack“ - Eulenspiegel bei Nestroy (1835) und dessen Vorlage von Matthäus Stegmayer (1808)...... 31 4.2. Eulenspiegel als Funktionär des Jungen Deutschland: „Tyll Eulenspiegel“ (1840)...... 37 4.3. Georg Fuchs: „Till Eulenspiegel“ (1899)...... 41 4.4. Exkurs: Frank Wedekind: „Oaha“ (1908)...... 45 4.5. Felix Braun: „Till Eulenspiegels Kaisertum“ (1911)...... 46 4.6. Harry Vosberg: „Till Eulenspiegel“ (1912)...... 50 4.7. Adam Kuckhoff: „Till Eulenspiegel“ (1941)...... 53 4.8. Wolf von Niebelschütz: „Eulenspiegel in Mölln“ (1950)...... 57 4.9. Alexander von Bernus: „Spiel um Till Eulenspiegel“ (1951)...... 62 4.10. Werner Schneyder: „Till bevor er hing“ (1963)...... 66 5. Zusammenfassung...... 69 Literaturverzeichnis...... 74 Primärliteratur...... 74 Sekundärliteratur...... 75

2 1. Einleitung

In einer Zeit des Umbruchs zwischen Spätmittelalter und früher Neuzeit, einer Zeit großer sozialer und kultureller Veränderungen und der , begegnet man zum ersten Mal in schriftlich fixierter Form einem Helden, dessen Streiche und vor allem dessen Name auch noch rund 500 Jahre später weitläufig bekannt sind. Kaum eine Figur der deutschsprachigen Literatur durchlebt eine derartig erfolgreiche Rezeption über eine vergleichbar lange Zeitspanne und eine derart große Zahl an Bearbeitungen und Interpretationen wie Till Eulenspiegel.

Wird heutzutage Till Eulenspiegel thematisiert, bezieht sich der Sprecher meist auf jenen gewitzten Streiche-Spieler, der mit seinen Streichen zwar Schwächen anderer Menschen bloßlegt, aber niemals bösartig agiert – in erster Linie auf einen Helden der Kinderliteratur, vor allem beeinflusst durch Erich Kästners Bilderbuch, das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erschien.1 Tatsächlich aber ist diese Sammlung von Kurzgeschichten für Kinder nur eines von unzähligen Bearbeitungs- und Rezeptionsdokumenten der Eulenspiegelfigur. Till Eulenspiegel ist Held von Romanen, Dramen, Gedichten, Filmen, sogar von musikalischen Werken und nicht nur das – sein Name wird auch in alltagskulturellem Kontext, in Gastgewerbe und Wirtschaft verwendet.

Im 19. und 20. Jahrhundert entstanden einige Komödien mit Till Eulenspiegel als Protagonisten, die, mit Ausnahme von Johann Nepomuk Nestroys Posse „Eulenspiegel oder: Schabernack über Schabernack“, in der literaturwissenschaftlichen Forschung kaum Beachtung gefunden haben und auch beim Publikum nicht zu anhaltendem Erfolg geführt haben. Eine Auswahl von zehn dieser Komödien sollen im Rahmen der vorliegenden Arbeit vorgestellt werden und im Hinblick auf ihre Eulenspiegelfigur untersucht werden. Dabei stellt sich die Frage nach der ursprünglichen Eulenspiegelfigur der spätmittelalterlichen Schwanksammlung und deren Rezeptions- und Bearbeitungsgeschichte. Dieser soll im ersten Teil der Arbeit nachgegangen werden. Der zweite Teil der vorliegenden Arbeit beschäftigt sich mit den Komödientexten und deren Autoren. Auf welche Weise und in welchem zeitgenössischen Kontext greifen die Autoren in ihren Werken auf die Eulenspiegelfigur zurück? Welche Schwerpunkte werden in der Figurenkonzeption gesetzt? Und zu guter Letzt: Bringt Till Eulenspiegel auch in Komödien das Publikum zum Lachen?

1 Erich Kästner: Till Eulenspiegel. Zwölf seiner Geschichten frei nacherzählt. Wien u.a. Ueberreuter 1955.

3 2. Das Eulenspiegel-Buch und sein Held

2.1. Anmerkung zur Quellenlage

Um die Bearbeitungs- und Rezeptionssituation des Eulenspiegel-Stoffes im 19. und 20. Jahrhundert darstellen zu können, ist es notwendig, unter Einbeziehung der aktuellen Forschungslage, einen ausführlichen Blick auf die älteste erhaltene schriftliche Quelle zu werfen. Dieses Zeugnis aus der Zeit um 1510/11 (S1510/112), das zu einem Teil von Peter Honegger im Jahr 1969 entdeckt wurde, liegt allerdings, trotz einer Ankündigung durch Bernd Ulrich Hucker im Jahr 19763 noch nicht in editierter Form vor. Deshalb muss der vorliegenden Arbeit der Druck aus dem Jahr 1515 (S15154) als Quelle und Zitiergrundlage dienen, das in erster Linie aus drucktechnischen Gründen inhaltlich und formal ein wenig von S1510/11 abweicht, wie unter anderem auch Peter Honegger in seiner Arbeit feststellen konnte.5 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll und kann allerdings nicht auf diese Abweichungen eingegangen werden. Für die Darstellung des Helden des spätmittelalterlichen Eulenspiegel- Buches soll der Druck von 1515 als ausreichend angesehen werden.

2.2. Frühe Drucke und Zeugnisse, Verfasserschaft und stoffliche Grundlagen

Lange galt der Forschung ein aus dem Jahr 1519 stammender, vollständig erhaltener Druck (S1519) als der älteste Druck der Schwanksammlung6. Erst 1868 wurde der deutschen Literaturwissenschaft die Existenz eines Druckes aus dem Jahr 1515 im Britischen Museum in

2 Eine Systematisierung der erhaltenen Drucke durch Signaturen hat Peter Honegger erarbeitet. S steht hier für den Druckort Straßburg, danach steht das Druckjahr. Vgl. Peter Honegger: Ulenspiegel. Ein Beitrag zur Druckgeschichte und Verfasserfrage. Neumünster: Karl Wachholz 1973 (= Forschungen. Reihe B. 8.) S. 14- 15. 3 Vgl. Bernd Ulrich Hucker: Eine neuentdeckte Erstausgabe des Eulenspiegels von 1510/11. In: Philobiblion. Eine Vierteljahrsschrift für Buch- und Graphiksammler. 20 (1976), S. 78-120. 4 Ein kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel. Nach dem Druck von 1515. Hrsg. von Wolfgang Lindow. Bibl. Erg. Ausg. Stuttgart: Reclam 2001. (= RUB. 1687.) 5 Vgl. Honegger, Ulenspiegel, S. 37f. Beispiele auch bei Dieter Arendt: Eulenspiegel – ein Narrenspiegel der Gesellschaft. Stuttgart: Ernst Klett 1978. (=Literaturwissenschaft-Gesellschaftswissenschaft. 37.) S. 8f. und bei Georg Bollenbeck: Till Eulenspiegel. Der dauerhafte Schwankheld. Zum Verhältnis von Produktions- und Rezeptionsgeschichte. Stuttgart: Metzler 1985. (=Germanistische Abhandlungen. 56) S. 175f. et al. 6 In der aktuelleren literaturwissenschaftlichen Forschung wird der lange auf das Werk angewandte Begriff Volksbuch kritisiert und durch den formal treffenderen Ausdruck Schwanksammlung ersetzt. (Vgl. Bollenbeck, Eulenspiegel, 1985 et al.) Synonym wird in vorliegender Arbeit verwendet: Ulenspiegel(-), Eulenspiegel-Schwanksammlung, Eulenspiegel-Buch. Diese Begriffe beziehen sich in diesem Fall auf den vorliegenden Druck S1515. Die einzelnen Historien der Schwanksammlung werden im Fließtext durch (H. Nummer der Historie) gekennzeichnet und werden ebenfalls aus S1515 zitiert. „Eulenspiegel“ bezeichnet den Helden der Schwanksammlung sowie der später bearbeiteten Dramen.

4 London bekannt, 1911 wurde die Faksimile-Ausgabe herausgegeben. Von beiden Drucken existiert jeweils nur ein Exemplar.7 Der entscheidende Durchbruch in der Eulenspiegel- Forschung gelang erst 1969 dem Schweizer Juristen und Bibliophilen Peter Honegger. Nachdem er aufgrund von 16 zufällig gefundenen Blättern8 eines Ulenspiegel-Druckes Druckdatum und Ort (1510/11, Straßburg, gedruckt bei Johannes Grüninger), sowie den Namen des Autors und eines Überarbeiters herausgefunden haben wollte, scheint dies trotz einiger Kritik die jahrhundertelange Frage der Forschung nach Druck und auch Autorschaft des Ulenspiegel abgeschlossen zu haben. Nach teilweiser Umstellung der Historien und Vergleichen mit jüngeren Drucken entdeckte Honegger das Akrostichon „HERMAN B“ an den Anfangssätzen der Historien 90 bis 95 und konnte den Ulenspiegel-Druck so dem Braunschweiger Autor Hermann Bote zuordnen.9

Bevor der Name Botes im Kontext der Verfasserschaft des Ulenspiegel fiel, wurde von Martin Lappenberg10 , Theologe und Dichter der frühen Reformationszeit, als der Verfasser genannt. Er berief sich auf einen Martin Bucer zugeordneten Dialog „Pfarrer und Schultheiß“11 aus dem Jahr 1521, in dem Murner als Verfasser des Ulenspiegel genannt wird. Mittlerweile wird Murner neben Bote nur noch eine mögliche Rolle als Überarbeiter des Ulenspiegel zugeschrieben, so auch durch Honegger.12 Er wird besonders für jene Stellen des Ulenspiegel verantwortlich gemacht, in denen Kritik an Missständen im klerikalen Bereich geübt wird.

Über den Verfasser Hermann Bote selbst war bis vor hundert Jahren kaum etwas bekannt, da er in keinem seiner literarischer Werke offen seinen Namen nannte. Nur ein berufsbedingt verfasstes, handgeschriebenes Zollverzeichnis trägt den Vermerk: „Hermen bote me fecit 1503.“13 Aufgrund dieser Handschrift konnte auf andere Werke aus seiner Hand geschlossen werden, so zum Beispiel das Schichtbuch (Dat schichtboick, 1515/13-14) und das Radbuch

7 S1515 liegt in London, British Library; S1519 in der Forschungsbibliothek Gotha. Zit. nach: Die Wandlungen des Till Eulenspiegel. Texte aus fünf Jahrhunderten Eulenspiegel-Dichtung. Hrsg. von Siegfried Sichtermann. Köln, Wien: Böhlau 1982. S. 7. 8 „Beim Ablösen des Vorsatzblates vom Einband einer lateinischen Reineke-Fuchs-Ausgabe, die aus dem Besitz des Zürcher Glasmalers und Kartographen Jos Murer stammt, kam das oberste Blatt einer Anzahl Makulaturblätter eines alten Ulenspiegel-Drucks, die den Deckelinhalt bildeten, zum Vorschein.“ Honegger, 1973, S. 9. 9 Vgl. ebda. 10 Vgl. Johann Martin Lappenberg: Dr. Thomas Murners Ulenspiegel. Leipzig: Weigel 1854. (Nachdruck 1975.) Zit. nach: Arendt, 1978, S. 31. 11 Vgl. Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Hrsg. von Burghart Wachinger u.a., Bd. 9., 2. völlig neu bearb. Aufl. Berlin, New York: Walter de Gruyter 1995. Sp. 1226. 12 Vgl. Honegger, 1973, S.83ff. 13 Vgl. ebda, S. 63 et al.

5 (Boek van der veleme rade, 1493 ), in dem das Akrostichon „HERMEN BOTE“ gefunden wurde. Weitere Werke sind De Köker (1520), ein Wappenbuch und zwei Weltchroniken14. Bote war Zollschreiber der Stadt . Dieser fiel zur damaligen Zeit unter die unehrlichen Berufe, bei einem Aufstand der Gilden gegen das Patriziat verlor Bote seine Anstellung.15 Aufgrund seines Berufes, aber auch aus innerer Überzeugung, hält Bote in seinem Werk mit der gesellschaftlichen Ordnung der städtischen Obrigkeit, was ihn zum Feind der Gilden und Handwerker macht.16 Er beschäftigt sich eingehend mit der zeitgenössischen Gesellschaftsordnung, übt aber keinesfalls klare Kritik an jener aus. Deshalb würde im Gesamtzusammenhang seines Werkes ein ständekritischer Ulenspiegel zumindest auffallen. Als Autor bzw. Bearbeiter kann Hermann Bote weder ausgeschlossen, noch eindeutig bewiesen werden. Tenberg fordert in seiner Abhandlung dazu auf, den Bearbeiter des Ulenspiegel eher in zeitgenössischen Humanistenkreisen zu suchen.17 Hinzu kommt, dass „der Text [den Honegger gefunden und editiert hat, Anm. d. A.] verrät, daß der niederdeutsche Dichter das Ulenspiegel- Buch in hochdeutscher Sprache schrieb, die er nicht geläufig beherrschte, so daß er des öfteren Worte und Wendungen seiner niederdeutschen Muttersprache einfügen mußte.“18

Die Tatsache, dass der Ulenspiegel sich nicht ohne Widersprüchlichkeit in die Werksammlung Botes einordnen lässt, dass der Autor nicht in einer ihm offensichtlich geläufigen Sprache schrieb sowie der doch bis heute hypothetische Ordnungsversuch der Historien durch Honegger, führt dazu, dass eine Verfasserschaft Botes bis heute umstritten bleibt. Im Großen und Ganzen scheint zwar der Forschungsansatz Honeggers von der Mehrheit der Eulenspiegel- Forschung angenommen worden zu sein19, Gegenstimmen in den 1980ern20 und 90ern21, wollen Bote allerdings die Autorenschaft gänzlich absprechen, den Begriff Autor auf die Schwanksammlung nicht anwenden bzw. vermuten zusätzlich zu oben genannten Gründen auch noch aufgrund zweier historischer Quellen ein noch älteres Eulenspiegel-Dokument, auf das der Ulenspiegel zurückgehen soll. Tatsächlich wird bereits in einem Briefwechsel zwischen dem Historiker Dietrich von Niem und dem Abbreviator Johannes Stalberg im Jahr 1411 auf die

14 Zu Botes Leben und Werk vgl. u.a. den entsprechenden Abschnitt von Werner Wunderlich: Till Eulenspiegel. München: Wilhelm Fink 1984. (=Uni-Taschenbücher. 1288) S. 16-32. 15 Vgl. ebda, S. 25. 16 Vgl. ebda, S. 21. 17 Vgl. Reinhard Tenberg: Die deutsche Till Eulenspiegel-Rezeption bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. Würzburg: Königshausen&Neumann 1996. (=Epistemata. 161.) S. 24-27. 18 Arendt, 1978, S. 61. 19 U.a. von Wunderlich, Eulenspiegel, 1984; Arendt, 1978; Sichtermann, 1982. 20 Vgl. Bollenbeck, 1985, S. 12-18. 21 Vgl. Tenberg, 1996, S. 14-27.

6 Existenz einer literarischen Eulenspiegel-Figur hingewiesen.22 In der Braunschweiger Weltchronik (1493-1502), verfasst von Hermann Bote selbst, gibt es eine Eintragung betreffend den Ort Mölln zum Tode einer Person mit dem Namen „Ulenspeygel“ im Jahr 1350: „Pestilencien was sere grühwelick över de ghansen werlde, dat de lüde so sere storven, dat yt geheten de grote dot; […] Dosülvest starv Ulenspeygel zu Möllen.“23 Diese zwei Zeugnisse lassen darauf schließen, dass Geschichten um einen Eulenspiegel bereits vor Erscheinen der heute bekannten Ulenspiegel-Drucke vorhanden und bekannt waren, noch dazu führten sie zu der Annahme, dass eine Person mit dem Namen Eulenspiegel eventuell sogar real existiert hat.

Der Ulenspiegel erschien anonym, was für zeitgenössische Texte keine Seltenheit war. Die Frage nach einem Autor bzw. Verfasser des Ulenspiegel ist aufgrund der Quellenlage letztlich die Frage nach einer Körperschaft, die kursierende, mündlich und schriftlich überlieferte Geschichten und Erzählungen – nicht nur aus deutschsprachigem Raum – gesammelt hat, und im Bezug auf einen Helden, Till Eulenspiegel, umgeformt hat.

In der Vorred des Ulenspiegel erwähnt der Verfasser die „Zulegung etlicher Fabulen des Pfaff Amis und des Pfaffen von Kalenberg“24. Und tatsächlich gelten der Forschung nicht nur diese beiden Werke als stoffliche Grundlagen für den Ulenspiegel. Das Eulenspiegel-Buch knüpft insgesamt an alte mündliche Erzähltraditionen an, die sich bis in persische und indische Erzählliteratur zurückverfolgen lassen.25 Solche Stoffe haben dann auch in lateinische, französische, italienische und deutsche Vorlagen Eingang gefunden, derer sich der Bearbeiter bedient hat und die sich auch bei anderen zeitgenössischen deutschen Autoren wiederfinden.26 Das Ineinander von Produktion und Rezeption ist typisch für die Schwankliteratur des 15. und 16. Jahrhunderts.27

Wie man anhand seiner Druckgeschichte28 erkennen kann, erfreute sich das Straßburger Eulenspiegel-Buch großer Beliebtheit beim Lesepublikum, es erlebte innerhalb kurzer Zeit eine Vielzahl an Wiederauflagen und Neudrucken. Die Fassung S1515 fiel aus kostentechnischen

22 Vgl. Arendt, 1978, S. 51. Übersetzung des Briefwechsels nach Arendt: Niem: „... weil dort die fruchtbaren Saaten nicht gedeihen, gleichwie Eulenspiegel (Ulenspegel) nur zum Schaden anbaute.“ Antwort Stalberg: „Wie ich sehe, durchforscht ihr sogar die Bücher des Sokrates, Ciceros, Alanus und anderer heidnischer Geschichten und belastet euren Geist mit vielen Schriften, Ulenspeygel nicht ausgenommen.“ 23 Gerhard Cordes (Hrsg.): Auswahl aus den Werken von Hermann Bote. Wolfenbüttel, Hannover: Wolfenbütteler Verl.-Anst. 1948. S. 16. Zit. nach Wunderlich, Eulenspiegel, 1984, S. 24. 24 Ein kurtzweilig Lesen, 2001, S. 8. 25 Vgl. Wunderlich, Eulenspiegel, 1984, S. 41. 26 Vgl. hierzu eine ausführliche Darstellung der Quellen: Ebda, S. 41. 27 Vgl. ebda, S. 43. 28 Für einen Überblick über erhaltene Drucke: Vgl. Honegger, 1973, S. 40-82.

7 und Platzgründen knapper aus als der Druck S1510/11. Es kommt dadurch auch zu Textabweichungen. Insgesamt enthält jene Fassung 96 Historien, von der Geburt bis zum Tode Eulenspiegels. Bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts erscheinen zahlreiche Übersetzungen des Eulenspiegel-Buches, es existieren flämische, französische, englische und polnische Drucke aus jener Zeit. Text und Illustrationen weisen alle eine unverkennbare Ähnlichkeit mit den Ulenspiegel-Drucken des Johannes Grüninger auf.29 Im 16. Jahrhundert sind insgesamt rund 28 deutsche Drucke und Ausgaben30 belegt, die Historienzahl bleibt annähernd gleich, es ist aber üblich, dass einige Historien weggelassen und durch sogenannte Zusatzhistorien ersetzt werden.31

2.3. Form und Inhalt der Schwanksammlung

Formal handelt es sich beim Ulenspiegel um eine Sammlung einzelner Schwänke, eine „Schwanksammlung“. Seit dem 15. Jahrhundert steht die Bezeichnung Schwank32 für komische oder scherzhafte Erzählungen in Reimpaarversen oder Prosa, erst seit dem 19. Jahrhundert werden mit dieser Bezeichnung auch komische Theaterstücke gemeint. Die Schwankliteratur im Mittelalter ist gekennzeichnet durch linearen, einsträngigen Handlungsverlauf, Ausrichtung auf eine Pointe am Schluss, schematisierende Verallgemeinerung und Überzeichnung der sozialhistorischen Realität.33 „Die Schwankhandlung basiert meist auf der Auseinandersetzung menschlicher Protagonisten zweier Parteien, die für gewöhnlich als Angehörige typisierter (z.B. geschlechtlicher oder sozial-ständischer) Gruppen konkretisiert sind, wobei eine thematische Affinität zu Normverstößen und Tabubrüchen besteht.“34

Das Ulenspiegel-Buch besteht aus 96 sogenannten „Historien“ (wobei die 42. Historie fehlt), von denen jede einzelne inhaltlich und formal dem Schwankmuster folgt, das in einer Pointe endet: Der sozial Niedriggestellte legt mit List einen Mächtigeren herein. Die Historien sind in sich geschlossen und aus sich selbst heraus verständlich, was auch ein Mitgrund für die Vielzahl an Bearbeitungen des Stoffes sein kann. Im Gesamtzusammenhang des Ulenspiegel kann kein Handlungsverlauf in Form von Steigerungen oder Wendungen erkannt werden.

29 Ebda, S. 39. 30 Vgl. hierzu die Auflistung aller Drucke und Erwähnungen im 15. und 16. Jahrhundert in: Tenberg, 1996, S. 209-212. 31 Näheres zu Drucken und Zusatzhistorien bei Bollenbeck, 1985, S. 177-179. 32 mhd. swanc zu swingen = schwingende Bewegung, Schlag, Hieb, Streich oder die Erzählung davon. Vgl. Cordula Kropik: „Schwank“ In: Metzler Lexikon Literatur. Hrsg. von Dieter Burdorf, Christoph Fasbender, Burkhard Moenninghoff. Stuttgart, Weimar: Metzler 1998. Sp. 694. 33 Vgl. ebda. 34 Ebda.

8 Honegger rekonstruiert für die Handlung der Druckversion S 1510/11 eine formale Anordnung nach Akrosticha, er folgt dabei den Prinzipien des Ständespiegels. Es ergibt sich eine inhaltliche Anordnung der Historien nach einzelnen Lebensabschnitten des Helden: Eulenspiegels Kindheit (H. 1-9); Eulenspiegels Jünglingszeit (H. 10-19, [H. 21]), Eulenspiegels Mannesalter (H. 20, [H. 88]-89, [H. 17]), Eulenspiegels Alter und Tod (H. 89-96).35 Dadurch bekommt die Schwanksammlung den Charakter einer Schwankbiografie36 oder kann nach Arendt sogar als Vorläufer des Schelmenromans37 bezeichnet werden.

Till Eulenspiegel, „ein behend listiger und durchtribener, eins Buren sun“38, wird geboren im Braunschweigischen. Seine Eltern verzweifeln angesichts der Streiche des Sohnes, die Nachbarn schimpfen, deshalb zieht die Familie Eulenspiegel in das Dorf der Mutter (Vgl. H. 2). Der Vater stirbt bald, die Mutter ist verzweifelt, weil der Sohn kein Handwerk lernen will, sondern lieber Unfug treibt. Nach einer durchzechten Nacht schläft der mittlerweile jugendliche Till in einem leeren Bienenkorb, der von zwei Dieben in der Nacht davongetragen wird. Als Till aufwacht, weiß er nicht wo er ist, er spaziert einfach weiter. (Vgl. H. 9) Das ist der Beginn von Eulenspiegels Wanderschaft. Die Historien 10 bis 93 handeln von den unterschiedlichsten Stationen dieser Wanderschaft, er begegnet dabei allen Schichten der spätmittelalterlichen Gesellschaft, Geistlichen39, Adel40, Universitätsprofessoren und Studenten41, (Stadt-)Bürgern42 und verdingt sich als Geselle bei Handwerkern43 unterschiedlichster Art. Die Schwanksammlung endet mit dem Tod Eulenspiegels in schalkhafter Manier, er hinterlässt der Gesellschaft als Erbe eine Kiste voll mit Steinen (H. 93), und wird schließlich stehend begraben (H. 95). Historische Persönlichkeiten und reale Orte, die in den Historien erwähnt werden, ergeben bei genauerer Untersuchung einen Handlungszeitraum von ca. 400 Jahren.

„Für Inhalt und Absicht des Eulenspiegel-Buches ist es allerdings auch gar nicht entscheidend, ob alle historischen Anspielungen schlüssig und realistisch sind. Bote hat die Erzählform des Schwanks gewählt, dessen hoch stilisierte Darstellungsweise Raum und Zeit einerseits durchaus wirklichkeitsnah, andererseits aber auch zeitlos, ubiquitär und allgemeingültig schildert. [...] Absichtsvoll verwischt Bote in seiner Darstellung die Grenze zwischen Realität und Fiktion, um die besondere Handlungsweise des Schalks als Bedrohung historischen Ausmaßes erscheinen zu lassen.“44

35 Vgl. Honegger, 1973, S. 134f. 36 Vgl. Wunderlich, Eulenspiegel, 1984, S. 57f. 37 Vgl. Arendt, 1978, S. 133. 38 Ein kurtzweilig Lesen, 2001, S. 7. 39 Vgl. H. 11, 12, 13, 31, 34, 37, 38, 65, 67, 89, 92. 40 Vgl. H. 10, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 63. 41 Vgl. H. 15, 28, 29. 42 Vgl. H. 14, 58, 73. 43 Vgl. H. 6, 19, 20, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53 54, 55, 56, 59, 60, 61, 62, 63, 66, 69, 74. 44 Wunderlich, Eulenspiegel, 1984, S. 39.

9 Der Name Till Eulenspiegel ist mehrdeutig, die Interpretationen des Namens sind vielfältig, konzentrieren sich aber in erster Linie auf folgende drei Punkte45: Erstens ist Ulenspiegel in der damaligen Zeit ein durchaus üblicher Nachname im Raum Braunschweig. Das Kompositum Ulenspiegel kann zweitens vom niederdeutschen Verb ulen = nhd. fegen, reinigen und dem Wort nd. spegel, was bis heute in der Jägersprache als Bezeichnung für Hinterteil verwendet wird, hergeleitet werden. Nd. Ul en spegel würde also wörtlich übersetzt nhd. Reinige den Hintern bedeuten und als Hinweis auf Eulenspiegels fäkale Komik gedeutet werden. Drittens bedeutet nd. ul nhd. Dummkopf oder Schurke, ein Bezug auf einen Spiegel der Dummköpfe.

Spiegel war zur damaligen Zeit ein häufig angewandter Begriff für Sammlungen von Gesetzen oder einer Sammlung von Lehrbeispielen für Bevölkerungsgruppen oder Länder.46 „In allen diesen Spiegeln erkennt, wer mit Ernst hineinsieht, seine Pflichten und mit ihnen sich selbst, wie er ist und wie er sein soll, d.h.: Man erkennt sich in seiner wirklichen und in seiner wahren Gestalt.“47 Im Spiegel der Dummköpfe würden also dementsprechend die Gegenspieler des Protagonisten als solche entlarvt.

45 Vgl. Honegger, 1973, S. 129; Wunderlich, Eulenspiegel, 1984, S. 51-54 und Arendt, 1978, S. 52. 46 Vgl. Arendt, 1978, S. 53. 47 Ebda, S. 55.

10 2.4. Till Eulenspiegel – Ein Widerspruch in Person

Wie bereits angedeutet, ist eine eindeutige Charakterisierung des Helden des Eulenspiegel- Buches relativ schwierig. In der Schwanksammlung selbst finden sich nur wenige konkrete Kommentare des Verfassers bezüglich der Charakterisierung ihres Helden. H. 21 sticht hervor, weil sie nichts anderes erzählt, als von drei Dingen, die Eulenspiegel vermeidet:

„Ulenspiegel, der was allezeit gern bei Gselschafft, und dieweil er lebt, da hatt er dreierlei Sach an ihm, die er flohe. Zum ersten reit er kein graw Pferd, sunder alweg ein val Pferd von Gespot wegen. Daz ander, er wolt nienen bleiben, wa Kinder waren, wann man acht der Kinder mer ihr Nötlichkeit dann sein. Die drit Sach waz, wa ein alter milter Wirt waz, bei dem waz er nit gern zu Herberg, wan ein alter milter Würt, der achtet seines Gutes nit und wer gewönlich ein Bott. Da was auch sein Gemeinschafft nit, dann da wär auch Gelt bei zu gewinnen […].“48

Dass Eulenspiegel aber immer in Besitz eines Pferdes wäre, wird allerdings nicht oft erwähnt, in H. 25 schneidet er dem Pferd den Bauch auf und stellt sich darunter, um einer Gefangennahme zu entgehen, nach dem Sprichwort: "Ein jeglicher sol Frid haben in seinen vier Pfälen"49, es gelte also Hausfrieden innerhalb der vier Begrenzungspfähle. In Historie 41 wird dann aber wieder ein Pferd in seinem Besitz erwähnt, was auch auf die bestehende Inkonsistenz der Historien im Gesamtzusammenhang hindeutet. In H. 40 wird es als eine Angewohnheit Eulenspiegels bezeichnet, dass er, nachdem er einen Streich gespielt hat, eine Eule und einen Spiegel auf die Tür des betroffenen Hauses malen und darüber schreiben würde: „Hic fuit!“ Der betroffene Schmied in H. 40 muss sich die Zeichen von einem Pfarrer vorlesen lassen. Dieser meint dann, es müsse Eulenspiegel gewesen sein und er hätte ihn gerne gesehen. Eulenspiegel ist bei den Protagonisten der Historien also durchaus auch teilweise bekannt und zwar nicht nur im negativen Sinne. Gegen Ende der Schwanksammlung, in der 89. Historie, findet man im Text die kurze Erwähnung einer Gefühlsregung Eulenspiegels. Eulenspiegel überkommt hier, „zu einer Zeit, in der er alle Lande umlaufen hat und er alt und verdrossen ist“,50 späte Reue und er will sich in ein Kloster begeben, um für seine Sünden Gott zu dienen. Die Reue hält allerdings nicht lange an und Eulenspiegel dreht wiederum den Spieß in altbewährter schalkhafter Manier um. Er wird als Pförtner eingestellt, befolgt aber die ungefähre Anweisung „du sollt nit jederman in lassen, den driten oder den fierden, laß kum in“ wörtlich, woraufhin er aus dem Kloster verwiesen wird. Hier wird auch das Ende Eulenspiegels bereits vorweggenommen: „Also kam er geen Mollen, da ward er mit Kranckheit umbgeben, das er kurtz darnach starb.“51

48 Ein kurtzweilig Lesen, 2001, S. 63-64. 49 Ebda, S. 74. 50 Übersetzung aus dem Niederdeutschen d. d. Autorin. Vgl. ebda, S. 253. 51 Ein kurtzweilig Lesen, 2001, S. 255.

11 Die Schwänke um den Pfaffen Amîs sind in der Eulenspiegel-Schwanksammlung nicht nur als Textgrundlage zentral, auch in seiner Charakterisierung ist Eulenspiegel stark an die Figur des Pfaffen Amîs angelehnt:

„'wisheit' und 'list' machen die Überlegenheit des Pfaffen aus, der mit 'liegen' und 'triegen' über die Torheit seiner Mitmenschen triumphiert und sich so seine Existenzgrundlage, das 'guot' verschafft. In seiner Daseinsform des Strickerschen Schwankhelden, der für seine Streiche in verschiedene Rollen schlüpft, ist die Figur des Boteschen Helden vorgezeichnet.“52

Eulenspiegel aber geht es im Gegensatz zum Pfaffen Amîs nicht um eine materielle Absicherung in der Gesellschaft, er kämpft ausnahmslos ohne materielles Interesse, sein zerstörerisches Handeln liegt nicht in der Geldanhäufung begründet. Wenn er doch einmal an Geld kommt, versäuft oder verprasst er es sogleich.

Der Eulenspiegel des 16. Jahrhunderts „ist ein durchtriebener, böshafter Halunke und nicht jener sympathische Schelm, zu dem ihn die Nachwelt umkostümiert hat."53 Wenn man einen genauen Blick auf die Illustrationen der Grüninger-Drucke (S1510/11, S1515, S1519) wirft, fällt ins Auge, dass Ulenspiegel gerade eben nicht in Narrenkleidung dargestellt ist. Im Gegenteil, Eulenspiegel trägt die sogenannte Zaddeltracht (auch: Zatteltracht), eine Modeerscheinung des 14. Jahrhundert, die aller Wahrscheinlichkeit nach im 15. Jahrhundert von Landstreichern getragen wurde.54 Die typische Narrenkleidung trägt im Ulenspiegel der echte Narr, dem Eulenspiegel in H. 24 begegnet. Das Kostüm wurde unserem Helden erst 1532 übergezogen, nämlich in einer Eulenspiegel-Ausgabe des Melchior Sachs in Erfurt.55

Eulenspiegel ist, in zeitgenössischem Zusammenhang, nicht nur Narr. Abgesehen von dem Berufsstand der Hofnarren unterschied man im Mittelalter grundsätzlich zwischen zwei unterschiedlichen Ausprägungen des Narren. Einerseits bezeichnet der Begriff debile, geistig zurückgebliebene Menschen, die aus der Gesellschaft ausgeschlossen waren, andererseits jene, die aus geistiger Überlegenheit Späße machten, und in der Gesellschaft ein positives Ansehen genießen konnten und andere mit einfallsreichem Witz an der Nase herumführten.56 Im Zusammenhang mit der Schwankform der Historien, die immer wieder dem gleichen Muster folgen – Ulenspiegel legt einen Gegenspieler herein – lässt, laut Wunderlich, auf eine Schalksfigur schließen und deren Drang dazu, ständig die eigene gewitzte Überlegenheit zu

52 Wunderlich, Eulenspiegel, 1984, S. 44. 53 Ebda, S.8. 54 Vgl. Honegger, 1973, S. 133: „Kleidung war zur damaligen Zeit ein längerfristiger gedachtes Konzept.“ 55 Vgl. Werner Wunderlich: Ein Schalk, der Böses dabei denkt: Till Eulenspiegel. In: Literarische Symbolfiguren. Hrsg. von Werner Wunderlich. Bern, Stuttgart: Haupt 1989. (= Facetten deutscher Literatur. 1.) S. 125. 56 Vgl. Wunderlich, Schalk, 1989, S. 125.

12 demonstrieren.57 „Dieses Wort ,Schalk' wandelte sich nun gerade um die Wende des 15. zum 16. Jahrhundert aus der Bedeutung eines arglistigen, ungetreuen Menschen von knechtischer Art und knechtischem Sinn zu der uns jetzt im allgemeinen geläufigen Bedeutung eines mutwilligen losen Menschen, der mehr oder minder harmlosen Spott und Neckereien treibt.“58 Eulenspiegel ist Narr und Schalk zugleich, ein Schalksnarr – ein Narr, der schalkhaft sein Unwesen treibt.59

Die Figuren rund um Eulenspiegel sind in der Schwanksammlung von vornherein als komische Typen festgelegt, die zum Personenkreis des Schwanks zählen. Die Charakterisierung ist eindeutig und einfach. Die Personen nehmen typenhafte Stellvertreterfunktion für verschiedene Berufsstände ein, so trifft Eulenspiegel zum Beispiel auf „den geizigen Pächter“, „die alte Wirtin“, „den schlauen Pfaffen“, „den Schmied“, etc. Und auch Eulenspiegel selbst ist von Anfang an auf typenkomische Weise bestimmt, nämlich in der Schilderung seiner Taufe (H. 1), nach der ihn seine angetrunkene Taufpatin von einer Brücke in einen dreckigen Fluss fallen lässt, und er wieder gewaschen wird - „schon ehe Eulenspiegel selbst reden und handeln kann, ist ihm schon die Rolle des sprachlichen und sozialen Normverletzers zugewiesen.“60 Die erste wortwörtliche Typisierung als Eulenspiegel erfährt der Held dann gleich in der zweiten Historie der Schwanksammlung: „Ein Schalck ist daz!“ (Vgl. H. 2) Auch die Situationskomik der Eulenspiegel-Schwänke ist eng verknüpft mit der linearen, auf eine Pointe ausgerichtete Schwankform der einzelnen Historien und folgt immer dem grundlegenden Muster: Eulenspiegel trifft auf einen Vertreter/eine Vertreterin eines bestimmten Standes, es kommt zu einem Konflikt, der Konflikt wird gelöst – meistens indem Eulenspiegel einfach weiterzieht. Die Schwankform und die formale Aneinanderreihung der Historien unterstreichen so ein zentrales Charakteristikum Eulenspiegels, nämlich das der Wanderschaft, der „listigen Lebenssicherung ohne Arbeit.“61 Eulenspiegel entzieht sich zwar immer wieder der Arbeit, aber nur der längerfristigen Anstellung und der sinnvollen, ertragreichen Arbeit. Um seine Streiche durchzuführen, nimmt Eulenspiegel dennoch einiges an Anstrengung auf sich. Klassisches Beispiel hierfür ist wohl eine der bekanntesten Historien, nämlich jene, in der er, wiederum einen Befehl, in diesem Falle den eines Bäckermeisters, wörtlich nehmend, eine ganze Nacht hindurch „Eulen und Meerkatzen“ bäckt (H. 19).

57 Vgl. ebda, S. 126. 58 Werner Hilsberg: Der Aufbau des Eulenspiegel-Volksbuches von 1515. Ein Beitrag zum Wesen der deutschen Schwankliteratur. , Diss. 1933. S. 21. Zit. nach Arendt, 1978, S. 134. 59 Vgl. Wunderlich, Schalk, 1989, S. 125. 60 Wunderlich, Eulenspiegel, 1984, S. 78. 61 Bollenbeck, 1985, S. VI et al.

13 Wortkomik spielt eine zentrale Rolle in der Charakterisierung Eulenspiegels, ist er ja letztlich auch heute noch vor allem bekannt durch jene Geschichten, in denen er redensartliche Befehle wörtlich nimmt und damit Zerstörung und Verwirrung schafft. Dabei gibt es eine Historie, in der Eulenspiegel durch Gleichklang zwei Wörter (H 10: md. hennep, sennep: Hanf, Senf) verwechselt. Eulenspiegel versucht aber auch Redewendungen zu überprüfen, wie zum Beispiel in H. 18, wo er die Redewendung „Wer Brot hat, dem gibt man Brot“ testet, aber Pech hat und erkennen muss, dass diese Redewendung in der Realität nicht gilt. Bekannt sind hier auch jene zwei Historien, in denen Eulenspiegel Redewendungen dazu nutzen kann, sich selbst in Sicherheit zu bringen, wie in H. 25 („ein jeglicher sol Frid haben in seinen vier Pfälen“, Eulenspiegel weidet sein Pferd aus und stellt sich darunter) und in H. 26, wo er eine Gesetzmäßigkeit ad absurdum führt, indem er einen Haufen Erde in einer Scheibtruhe als sein eigenes Land bezeichnet und so das Aufenthaltsverbot in Lüneburg umgehen kann. Die meisten Historien, in denen Wortkomik eine Rolle spielt, betreffen aber jene, in denen sich Eulenspiegel bei Vertretern des Handwerkerstandes als Geselle verdingt und ihre Befehle wörtlich nimmt62. So bäckt er reinen Gewissens „Eulen und Meerkatzen“ (H. 19), schmiedet allerlei Schmiedswerkzeug aneinander (H. 40), und siedet als Brauereigeselle „Hopf“, den Hund des Hauses, als er Hopfen sieden sollte (H. 47). In zwei Historien dreht sich sogar das Verhältnis um, und Eulenspiegel wird selbst beim Wort genommen. In H. 45 sollen Schuhmacher „seine Stiefel spicken“, der Knecht meint, sie sollten ihn wörtlich nehmen, weil es ja Eulenspiegel war, der den Befehl gegeben hat - er ist scheinbar schon bekannt und hat sich einen Ruf gemacht mit seiner Art Dinge wörtlich zu nehmen -, also spickt der Schuhmacher die Stiefel wie man einen Braten spickt. Eulenspiegel spielt mit der Sprache, stellt Bedeutungen in Frage, führt leichtfertige gesprochene Redewendungen ad absurdum.

„Eulenspiegels Wortwitz, der buchstäbliche Gehorsam gegenüber metaphorischer oder allegorischer Rede, entlarvt das Machtwort als Ohnmachtswort. […] Eulenspiegel richtet sein Handeln nicht […] gegen das Sprichwort als solches, aber er lehrt, daß dessen Wahrheit nicht von ihm selbst abhängt, sondern von dem Kontext der in konkreter Situation sprechenden und handelnden Subjekte.“63

Der Eulenspiegel der Schwanksammlung zeichnet sich aber vor allem durch die durchgängige skatologisch-fäkalische64 Sprache und Gestik seines Protagonisten aus. Historien, in denen Eulenspiegel mit seinen eigenen Exkrementen oder mit Ausscheidungen anderer Figuren oder auch Tieren Verwirrung oder Schaden stiftet, sind häufig.65 Gerade Historien mit dieser Motivik

62 Vgl. H 11, 19, 20, 30, 33, 37, 39, 40, 43, 44, 47, 48, 51, 53, 54, 60, 62, 64, 66, 69, 74, 81, 82. 63 Peter Rusterholz: Till Eulenspiegel als Sprachkritiker. In: Wirkendes Wort 27 (1977), H.1, S. 20. Wunderlich, Eulenspiegel, S. 76. 64 Vgl. Arendt, 1978, S. 86ff. 65 Vgl. H. 2, 10, 12, 15, 16, 24, 46, 51, 52, 58, 66, 69, 72, 75, 76, 77, 79, 81, 85, 88, 90, 92.

14 sind heute nicht mehr weitläufig bekannt. Auf den heutigen Leser können solche Späße brutal und wenig unterhaltsam wirken. Das zeitgenössische Urteil über die Derbheit der Historien mag sogar in Gelehrtenkreisen durchaus ein anderes gewesen sein, da „der humanistische Umgangston sowohl literarisch-indirekt als auch kommunikativ-direkt wenig zimperlich war.“66

Warum Eulenspiegel häufig zu manch drastischem Mittel greift, ist nicht immer ersichtlich. Auf Figurenebene sind die Motive, die Eulenspiegel bei seinen Streichen leiten, höchst divergent. Wie Rüdiger Schnell in seinem Aufsatz darlegt, handelt Eulenspiegel entweder aus Rache, als Abwehrhandlung, um den Angriff eines Mächtigeren abzuwehren, oder er handelt aus Freude an der Boshaftigkeit, wenn er andere hereinlegt, ohne von einer vorangegangenen Provokation dazu herausgefordert worden zu sein.67 Dass Eulenspiegel mit seinen Streichen ausnahmslos zum eigenen Vorteil handelt, wie es ihm von so manchem Forschenden zugeschrieben wird, trifft also nicht durchgehend zu. Er macht sich nämlich durch seine Streiche nicht nur Feinde, sondern gewinnt durchaus auch Sympathien, wie in H. 23, 25, 41, 72. Bei H. 29 und 50 handelt es sich um gewitzte Streiche, die keinen Schaden verursachen, und in H. 45 und 67 ist Eulenspiegel sogar selbst Opfer bzw. bleibt Unterlegener.

Eulenspiegels Mittel, um seine Streiche durchzuführen sind laut Schnell, abgesehen vom bereits erwähnten Wortwitz, auch „Betrug und arglistige Täuschung“68, „die Wahrheit sagen“69, „Gewaltanwendung“70 und „List“71. Und letztendlich bescheißt Eulenspiegel, indem er wortwörtlich Exkremente ausscheidet72 oder der Welt das Hinterteil entgegenstreckt, wie am Anfang der Schwanksammlung (H. 2), wo er mit dem Vater ausreitet, und am Ende, als er mit dem Hinterteil nach oben in seinem Sarg zu liegen kommt (H. 94).

Wie auch Schnell darlegt, sind es vor allem die moralischen Schwächen der Gegenspieler Eulenspiegels, die den Schalksnarren herausfordern, und die in vielen Fällen auch überhaupt erst dazu führen, dass es ihm gelingt seine Mitmenschen hereinzulegen: Habgier (H 51, 92), Angst (H 78), Aberglaube (H 14, 17, 35, 41), Dummheit (H 31, 36), Fressgier (H 37, 86),

66 Vgl. Arendt, 1978, S. 93. 67 Vgl. Rüdiger Schnell: Das Eulenspiegel-Buch in der Gattungstradition der Schwankliteratur. In: Hermann Bote. Städtisch-hansischer Autor in Braunschweig 1488-1988. Beiträge zum Braunschweiger Bote- Kolloquium 1988. Hrsg. v. Herbert Blume und Eberhard Rohse. Tübingen: Max Niemeyer 1991. S. 171- 196. 68 H 6, 27, 31, 35, 36, 38, 55, 57, 65, 78, 88. Vgl. ebda. 69 H 14, 41, 50. Vgl. ebda. 70 H 45, 84. Vgl. ebda. 71 H 29, 32, 34, 87, 89. 72 H 10, 12, 15, 16, 24, 35, 46, 51, 52, 69, 77, 79, 81, 85, 88, 90, 92.

15 Leichtgläubigkeit (H 50), Dünkel und Hochmut (H 15, 57, 69).73 In diesen Historien findet sich mit hoher Wahrscheinlichkeit die Grundlage einer möglichen Interpretation von Eulenspiegels Verhalten als Moral und Gesellschaft der Zeit. Dabei wäre aber die rein moralisch-didaktische Sichtweise viel zu kurz gegriffen, gibt es doch Historien, in denen Figuren zu Opfern werden, denen gerade kein falsches Verhalten und keine moralische oder soziale Schwäche anzulasten ist, wie in den Historien 44, 68, 70, 72, 74, 76, 88.74

Ein weiteres zentrales komisches Element, auf das allerdings in der literaturwissenschaftlichen Forschung kaum eingegangen wird, ist jenes der ständigen mimikryartigen Anpassung und Verkleidung des Protagonisten. Gerade die Anpassung an verschiedenste Lebensumstände, Berufsgruppen bzw. soziale Stände ist ein durchgängiges Charakteristikum Eulenspiegels. Eulenspiegel schlüpft ständig in andere Rollen, um seine Gegenspieler vorzuführen, dabei scheint es ihm aber selber nicht relevant, sich zu definieren: In H. 64 findet ein reicher Kaufmann Eulenspiegel in seinem Garten liegend vor. Eulenspiegel erzählt ihm, er sei ein Küchenknabe auf der Suche nach Arbeit. Der Kaufmann nimmt ihn in Dienst, stellt sich als Bartholomäus vor und gibt Eulenspiegel den Namen Doll. Eulenspiegel akzeptiert den Namen und meint, es wäre ihm egal, wie man ihn nenne.

Aufgrund der Vielfalt der Mittel und Motive ist ein dem Ulenspiegel und seinem Protagonisten zugrunde liegendes Gesamtkonzept nicht ersichtlich. So ist, laut Rüdiger Schnell, einerseits eine einheitliche soziale Zielrichtung – Streiche richten sich gleichermaßen gegen „gute“ und „schlechte“ Menschen – nicht erkennbar, andererseits auch nicht, ob nun das Fehlverhalten der Opfer oder das Eulenspiegels selbst angeprangert werden soll.75 Gegen eine durchgehend negative Beurteilung Eulenspiegels spricht das Gattungskonzept des Schwanks an sich, wie Rüdiger Schnell darlegt. Die diskriminierenden Attribute stammen nämmlich von jenen, die von ihm betrogen wurden: z.B. verheit H. 89, bos verheit (H. 74), vorteiliger Schalk (H. 92). Diese Zuschreibungen dürfen nicht mit Bewertung des Autors gleichgesetzt werden, da in anderen Historien, z.B. in H. 55, auch positive Bezeichnungen wie gute schalkheit verwendet werden.76 Schnell widerspricht in diesem Zusammenhang deutlich Werner Röcke, der den Helden der spätmittelalterlichen Schwankromane negativ und bösartig einstufe und begründet dies mit der in der Schwankform angelegten Unterhaltungsfunktion:77

73 Vgl. Schnell, 1991, S. 76. 74 Vgl. ebda. 75 Vgl. ebda, S. 176-177. 76 Ebda, S. 178. 77 Ebda, Anm. 21.

16 „Mir scheint, dass die Gattung Schwank bzw. Schwankroman, d.h. auch das Eulenspiegel-Buch, imstande ist, die Bedeutung der Wörter Schalk und Schalkheit zu verändern, da der Gattung Schwank eine eigene Moral zukommt und da das Lachen des Publikums sich nicht nach moralischen Aspekten richtet, sondern nach den Kategorien von Über- und Unterlegensein, von Erfolg und Lebensklugheit, von Ausmanövrieren des Gegenspielers einerseits und Misserfolg, Dümmlichkeit andererseits, d.h. in Schwänken kann zuweilen dem Wort Schalk eine von anderen literarischen Gattungen abweichende Konnotation zuwachsen. […] Der Schwankheld Eulenspiegel ist keine durchgehend böse, negative Figur. “78

Georg Bollenbeck betont ebenfalls die Schwankform des Eulenspiegel-Buches, die es erlaube die Figur in satirischer Weise zu übernehmen und zu bearbeiten: Die „Pointe“ der Schwankform „gewinnt als Wunschbild für die Lebenswirklichkeit Bedeutung. Eulenspiegel wird als eine Art Stellvertreterfigur rezipiert, die sich gegen Höhergestellte und gegen Willkür erfolgreich zur Wehr setzt und die über herrschende Macht und verbindliche Normen in allen Lebensbereichen triumphiert.“79

Die Ulenspiegel-Schwanksammlung erscheint in einer Zeit der großen gesellschaftlichen Umwälzungen. Die strenge mittelalterliche Ständeordnung beginnt sich zu lösen, wird, aufgrund von technischen und dadurch wirtschaftlichen Verbesserungen, durchlässig für sozialen Aufstieg. Gerade in dieser Umbruchsphase konfrontiert Eulenspiegel alle mittelalterlichen Stände mit ihren festgefahrenen Strukturen und Prinzipien, nicht zuletzt über die Sprache, über festgefahrene Sprachmuster und Floskeln, die durch Eulenspiegel in ihrer Bedeutung und Bedeutsamkeit hinterfragt werden. Anfang des 15. Jahrhunderts steht Eulenspiegel als Stellvertreter für die Entwicklung einer neuen Form der Individualität.80 Nicht mehr die Zugehörigkeit zu einem Stand, einer Gruppe, definiert den Menschen, er kann gleichsam als Einzelner mit individuellen Eigenschaften und Tugenden in der Gesellschaft existieren. Eulenspiegel steht, als bestes Beispiel für diese Entwicklung, als Einzelner allen gesellschaftlichen Schichten und Ständen gegenüber. Er behält, auch wenn gesellschaftlichen Meinungen über ihn nicht nur negativ sind, durchgehend Außenseiterstatus.

Durch die Zusammenfassung und Vermischung vieler verschiedener Geschichten und Abenteuer aus mündlicher und schriftlicher Tradition gerät auch Till Eulenspiegel zu einem vielfältigen Charakter. Aber gerade das kann einer der Hauptgründe sein, warum das Interesse an Eulenspiegel nie abgebrochen ist. Die Ambivalenz der Figur bietet die Möglichkeit, sie an jeweils zeitgenössische Interessen anzupassen und zu modellieren. Eulenspiegel befindet sich hier auch in einer traditionsreichen Gesellschaft: „Chroniken und Volksbücher hatten die

78 Ebda. 79 Wunderlich, Eulenspiegel, 1984, S. 81. 80 Vgl. Benedikt Jeßing: Von der Reformation bis zur Französischen Revolution. In: Einführung in die Neuere deutsche Literaturwissenschaft. Hrsg. von Benedikt Jeßing, Ralph Köhnen, 2., akt., erw. Aufl. Stuttgart: Metzler 2007. S. 13-20.

17 Gestalten überliefert, in denen sich historische Entwicklungen und Widersprüche der Übergangszeit zwischen Mittelalter und Neuzeit spiegeln: Reineke Fuchs, Fortunatus, Eulenspiegel, Kohlhaas, Götz von Berlichingen, Faust, Lalen, Schildbürger ..."81 All diese Figuren sind „archetypischen Verhaltensmodelle, die elementare Lebensregeln und Einsichten beispielhaft erfahrbar machen – List triumphiert über Macht, Dummheit zieht den Kürzeren – [und] haben einen variablen Symbolgehalt, der immer wieder flexibel nach Bedarf aktualisiert werden kann."82

Gerade in dem Wechselspiel von gesellschaftlicher Kritik, den Motiven reiner Schadenfreude und Freude an der Bösartigkeit, formal ausgedrückt durch die Schwankform, liegt anscheinend also der Grund dafür, dass die Figur Eulenspiegel die letzten vier Jahrhunderte überdauern konnte. Der Protagonist der Schwanksammlung lässt den Interpreten viel Spielraum zur Umgestaltung, sei es als reiner Spaßmacher, sei es als Aufrührer und Revoluzzer gegen bestehende gesellschaftliche Zustände. Die oft brutale Dreistigkeit der Schwänke ermöglicht es letztendlich dem Publikum darüber zu lachen, weil es sich selbst gerade dadurch davon distanzieren kann.

81 Ebda, S. 7. 82 Wunderlich, Schalk, 1989, S. 120.

18 3. Zur Rezeptionsgeschichte der Schwanksammlung

3.1. Ein Überblick über die Rezeptionsgeschichte des Eulenspiegel- Buches

Der dauerhafte Erfolg unseres Helden hat bis in die Gegenwart zu einem beinahe unüberblickbaren Konvolut an Ausgaben, Bearbeitungen und Übersetzungen geführt. Und das ist noch nicht alles. Auch außerhalb des literarischen Bereiches begegnet man auch heute noch dieser Figur, in Malerei, Bildhauerei, Musik ebenso wie als Zeitschriftentitel, Parkbezeichnung, Werbeträger etc. Dabei steht die Figurenadaption aber selten in direktem Rezeptionszusammenhang der Schwanksammlung. Die Eulenspiegelfigur wird als Identifikationsträger aufgrund seiner symbolischen Variabilität immer wieder aufgenommen und in neuen Zusammenhang gestellt.

Nach den bereits dargelegten Erwähnungen eines Eulenspiegels in zwei historischen Quellen bleibt zwar die Frage nach früheren Zeugnissen eines literarischen Eulenspiegel-Werkes offen, die Bearbeitungen und Neudrucke im Laufe des 16. Jahrhunderts aber zeugen zumindest von einem regen Interesse und einer regen Rezeption der Schwanksammlung.83 Die Historien der Schwanksammlung wurden besprochen, vorgelesen und nachgespielt.84

Das erste Zeugnis einer Bearbeitung für die Bühne stellen Bearbeitungen des Stoffes durch Hans Sachs bereits im Jahr 1533 dar, was seinerseits auch wieder zur Bekanntmachung der Figur beitrug. Insgesamt verfasste Sachs in den Jahren 1533-1563 sieben Spruchgedichte, 37 Meistergesänge und vier Fastnachtspiele nach Historien der Schwanksammlung.85 Für Sachs steht hierbei nicht nur die Vermittlung des Stoffes an breite Schichten im Vordergrund, er will belehren und verpackt auch seine eigenen christlich-moralischen Vorstellungen in die Eulenspiegel-Bearbeitungen.86 So versieht er die bearbeiteten Historien mit reflektierendem Kommentar oder einem moralisch-didaktischem Sprichwort. „Eulenspiegel wird eingeführt als ruheloser, landesweit wandernder ,abentewerer', vor allem charakterisiert durch die häufig

83 Zur Druckgeschichte vgl. in dieser Arbeit: S.9. 84 Vgl. Wunderlich, Schalk, 1989, S. 205. 85 Abgedruckt in: Hans Sachs: Werke. Hrsg. von Adalbert v. Keller, Edmund Götze. Hildesheim, New York: Olms 1964 (= Nachdruck der Ausgabe Stuttgart 1880.) 86 Mehr hierzu in: Katrin Streubel: Die Eulenspiegelfigur in der deutschen Literatur der frühen Neuzeit und Aufklärung. Köln, Univ., Diss. 1988. S. 98-122.

19 angewandte Zuschreibung ,schalckheit', das Durchtriebene und Bösartige an der Figur bezeichnend.“87 Sachs hält sich inhaltlich treu an die Vorlage, verwendet die Historien über Eulenspiegel als „warnende und abschreckende Beispiele für menschliche Laster und Schwächen.“88

Wie Reinhard Tenberg darlegt, wurden bereits im 16. Jahrhundert nicht alle Historien der Schwanksammlung gleichermaßen rezipiert, schon in der Zeit kurz nach dem ersten Erscheinen der Schwanksammlung wurde ausgewählt, die Schwankfigur wurde auch damals an das Interpretationsziel des jeweiligen Herausgebers oder Bearbeiters angepasst. Johann Fischart verfremdet in seinem Versepos „Eulenspiegel reimensweis“89 die Figur Eulenspiegel ebenso zu seinen Zwecken wie schließlich Jakob Ayrer 1600 in „Ein schöns neus singentes spil von dem Eulenspiegel mit dem kauffmann und dem Pfeifenmacher.“90 Ayrer fasst hier die Historien 64 und 66 zusammen, Eulenspiegel erscheint - als verfressener Bösewicht - aber nur mehr als eine lustige Figur unter mehreren - beide Historien enden in einem zu diesem Zeitpunkt oft verwendeten typischen Fastnachtsspielmotiv, einer Prügelei zwischen zwei Ehegatten.91

Tenberg legt dar, dass in Ausgaben des 16. Jahrhunderts besondere Aufmerksamkeit in erster Linie jenen Historien gegolten hätten, in denen Eulenspiegel nicht als unflätiger Schalk oder Bösewicht agiert, sondern in seiner sozial-kritischen Aktion ernst genommen wird (H. 63, auch H. 38, 71, 73 – hier verzichtet Eulenspiegel auf fäkalische Komik).92 In diesen Historien stehen Sprachwitz und komische Aktion im Vordergrund, um soziale Probleme offenzulegen.

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wird die Figur Eulenspiegel zunehmend verharmlost, bis Mitte des 18. Jahrhunderts finden Rezeption und Bearbeitung des Eulenspiegels nur in abgeschwächter, reduzierter Form statt.93 Bollenbeck konstatiert für die Zeit des 17. Jahrhunderts bis zur frühen Aufklärung eine beschleunigte Abwertung der Eulenspiegelfigur unter dem Stichwort der „Refeudalisierung im 17. Jahrhundert“.94 Im Rahmen einer Aufwertungsbewegung der höfischen Gesellschaft meint dies eine Abwertung von

87 Tenberg, 1996, S. 99. 88 Ebda, S. 205. 89 Johann Fischart: Eulenspiegel Reimensweiß. In: J. F. Werke. Zweiter Teil. Hrsg. v. Adolf Hauffen. Stuttgart: Union o. J. S. 460f. 90 Jakob Ayrer: ein schöns neus singets spil von dem Eulenspiegel mit dem kauffmann und Pfeifenmacher. In: J.A. Dramen. Bd. 5. hrsg. von Adelbert v. Keller, Stuttgart: Litterarischer Verein 1865. 91 Vgl. Bollenbeck, 1985, S. 199. 92 Tenberg, 1996, S. 208. 93 Vgl. Streubel, 1988, S. 173 und S. 197f. 94 Vgl. Bollenbeck, 1985, S. 205f.

20 nichthöfischem Stoff und Motiv und ein Vorherrschen idealisierter und stilisierter Momente.95 Im Gegensatz hierzu steht trotzdem die Tatsache, dass der Eulenspiegel nie ganz aus dem Blickfeld verschwunden ist und auch das Aufkommen und Interesse an anderen komischen Außenseitern wie Hanswurst und Pickelhering steht dem gegenüber. Dass diese komischen Außenseiter im Gegensatz zum Eulenspiegel im literarischen Leben des 17. Jahrhunderts sehr wohl ihren Platz zugeordnet bekommen konnten, liegt laut Kathrin Streubel in der Tatsache, dass diese aufgrund ihrer Charaktereigenschaften in das soziale Ständesystem dieser Zeit passten.96

„Pickelhering und Hanswurst bleiben bei allen Ausfällen und bei aller Faulheit immer treue Diener, und gerade ihre Beschränktheit auf das vegetative Prinzip macht sie zu bequemen Untertanen. […] Narr und Schelm sind im 17. Jahrhundert […] dadurch erträglich, dass sie eindeutig moralistisch aufgefasst werden können. […] Bei ihnen weiß das Publikum, woran es ist, bei Eulenspiegel ist das nie so sicher. […] Ein Schalksnarr [...], der alles angreift und auch noch als Überlegener dasteht, kann in einer Zeit, in der der sozial Unterlegene nur noch Untertan sein soll, nur stören.“97

Die Abwertung des Eulenspiegel ist aber letztendlich nur eine Abwertung von Oben, es werden weiterhin Ulenspiegel-Ausgaben gedruckt - sie bleiben allerdings im 17. und 18. Jahrhundert weitestgehend anonym -, wenn auch solche eines harmonisierten und geglätteten Eulenspiegel.98 Die Schwankliteratur erfreut sich großer Beliebtheit, besonders bei Landadligen, Handwerkern und Frauen.99 Auch im 18. Jahrhundert bleibt die Ablehnung des Eulenspiegel aufrecht, aber unter veränderten Gesichtspunkten. Mit der wachsenden Masse an Lesenden und der Herausbildung des Bürgertums und bürgerlicher Literatur findet Eulenspiegel überraschenderweise gerade im Rahmen der Aufklärung kaum Platz im literarischen Leben, propagieren deren Vertreter doch eine nützliche Literatur zugunsten der menschlichen Vernunft. Die Auseinandersetzung von anerkannten Autoren mit der Eulenspiegelfigur bleibt eine Seltenheit. Christian Fürchtegott Gellerts Gedicht „Till“ (1748), eines der wenigen Zeugnisse der Beschäftigung mit unserem Helden in dieser Zeit, zeichnet eine Figur, die als „Verkörperung vernünftiger Voraussicht“ erscheint, vom widersprüchlichen Charakter des Helden der Schwanksammlung ist hier nicht die Rede.100 Aber auch der gesäuberte Eulenspiegel wird im Zusammenhang mit einem erweiterten Begriff von Komik (Abbau der Verlachkomik seit Mitte des 18. Jahrhunderts) zum Erzieher, an dem das Verhältnis von sozialer Unterlegenheit und geistiger Überlegenheit gerade auch den dritten Stand interessiert.101

95 Vgl. Streubel, 1988, S. 198. 96 Vgl. ebda, S. 199. 97 Ebda, S. 199. 98 Vgl. Wunderlich, Eulenspiegel, 1984, S. 88. 99 Vgl. Bollenbeck, 1985, S. 209. 100 Ebda, S. 214. 101 Vgl. Streubel , 1988, S. 205.

21 Interessant ist der kluge Narr, der sich nur dumm stellt, um besser lehren zu können, oder der eben wegen seiner Fremdheit in der Gesellschaft ihre Konventionen kritischer sehen kann als andere.102

Insbesondere mit dem Aufkommen der Romantik und einer verstärkten Zuwendung und Akzeptanz mittelalterlicher Stoffe wurde auch der Eulenspiegel im Rahmen der sog. Volkspoesie salonfähig. Joseph Görres nimmt in seine Sammlung „Die teutschen Volksbücher“ von 1807 auch den Eulenspiegel mit auf.103 Dadurch kommt es zwar grundsätzlich zu einer Neubewertung des Schwankbuches, an der Rezeptionssituation ändert sich aber so gut wie nichts. Andere Stoffe, wie zum Beispiel das Volksbuch „Doktor Faustus“ stehen, durch Goethe kunstfähig geworden, im Mittelpunkt, „der Narr aus dem Volke jedoch erhält nur am Rande einen Platz.“104 Der Eulenspiegelstoff passt nicht ins Programm einer Volksbildung mit aufklärerischem Anspruch und bleibt die belustigende Lektüre in niederen sozialen Schichten. Ludwig Aurbacher, Gustav Schwab und Karl Simrock legen in diesem Zwiespalt zwischen Interesse und Distanz Volksbuchausgaben vor, die wiederum einen gesäuberten Eulenspiegel zum Inhalt haben – Simrock lässt zum Beispiel die Historien 24, 72, 77, 79, 81, 88 weg.105 Man kann allerdings davon ausgehen, dass diese Ausgaben auch wiederum kaum in oben genannte Schichten gelangt sind.106 Während der Eulenspiegel noch im 19. Jahrhundert von Pädagogen misstrauisch betrachtet wird, kann er Anfang des 20. Jahrhunderts gereinigt von jeglichen analen und bösartigen Scherzen in die Kinder- und Jugendliteratur Einzug nehmen. „Die populären Drucke können sich jetzt ohne den als peinlich empfundenen Ballast der analen Streiche an Jung und Alt wenden.“107

Im 19. Jahrhundert differenziert das Bild des Eulenspiegel aber in eine Richtung, in der er als positiver Held für politische und ideologische Zwecke entfremdet wird. Von Charles de Coster wird er mit „La Legende d'Ulenspiegel“ 1868 zum flämischen Volkshelden gemacht. Hier kämpft er als Hauptfigur während der flämischen Freiheitskämpfe gegen das katholische Spanien.108

102 Vgl. ebda, S. 205-207 und Bollenbeck, 1985, S. 223-250. 103 Vgl. Bollenbeck, 1985, S. 2. 104 Arendt, 1978, S. 27. 105 Vgl. Bollenbeck, 1985, S. 289-291, 320. 106 Vgl. ebda, S. 220-221. 107 Vgl. ebda, S. 247. 108 Zusammenfassend nachzulesen bei Sichtermann, 1982, S. 86-101.

22 Wie Bollenbeck darlegt, ist bereits im 16. Jahrhundert auch ein jugendliches Lesepublikum nicht von der Rezeption der Eulenspiegel-Schwanksammlung ausgeschlossen, auch wenn der Verfasser wahrscheinlich nicht an das junge Publikum gedacht hat, als er die Sammlung erstellte.109 Zum einen hat die Erwachsenenliteratur bis Mitte des 18. Jahrhunderts Ersatzfunktion - die Gattung Kinder- und Jugendliteratur entwickelt sich erst mit einem neuen Kindheitsverständnis im Rahmen der Aufklärung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts - andererseits hat der Eulenspiegel der Schwanksammlung, und auch jener der „abgeschwächten“ Drucke, als sozial niedrig Gestellter, der den Höhergestellten hereinlegt, Identifikationsmöglichkeit für Kinder- und Jugendliche.110 Der erste literaturhistorisch ernstzunehmende, weil authentische, Druck der historischen Eulenspiegel-Schwanksammlung wurde erst durch Johann Martin Lappenberg im Jahr 1854 erstellt.111 Inwieweit Eulenspiegel- Bearbeiter in den Folgejahren nun diese Ausgabe gekannt oder als Vorlage verwendet haben, ist aufgrund der unübersichtlichen Menge an bearbeiteten Drucken kaum möglich.

Georg Bollenbeck beschreibt in diesem Zusammenhang den Rezeptionsvorgang der Eulenspiegelfigur als Ablösungsprozess zwischen tatsächlicher Textrezeption des Schwankbuches und der Figurenadaption.112 Es stellt sich als grundlegend heraus, dass die Figur Eulenspiegel großteils nicht als jene Figur aus der spätmittelalterlichen Schwanksammlung rezipiert und übernommen wird. Diese kann, aufgrund ihrer Widersprüchlichkeit und Symbolhaftigkeit in immer neue Kontexte einbezogen werden.

Nachdem Hans Sachs und Jakob Ayrer bereits im Laufe des 16. Jahrhunderts den Eulenspiegel als theatrale Figur eingeführt haben, gibt es bis Anfang des 19. Jahrhunderts keine Zeugnisse einer dramatischen Verwendung der Figur. Im 19. und 20. Jahrhundert kommt es allerdings zu einer vermehrten Produktion von Theaterstücken über ihn. Eulenspiegel wird zum Helden in Lustspielen, Komödien, Tragödien und sogar in einer sinfonischen Dichtung113, im 20. Jahrhundert ist Eulenspiegel noch dazu oft Protagonist des Kinder- und Jugendtheaters und -musicals. Vom spätmittelalterlichen Helden ist allerdings in vielen Bearbeitungen nichts mehr zu spüren, vielmehr sind einzelne Facetten des Eulenspiegels extrahiert worden, um die Figur nach den Vorstellungen der jeweiligen Bearbeiter in Erscheinung treten zu lassen.

109 Vgl. Bollenbeck, 1985, S. 245f. 110 Vgl. ebda. 111 Siehe dazu Anm. 9. 112 Vgl Bollenbeck, 1985, S. 251-281. 113 Vgl. hierzu die ausführliche Darstellung bei Sichtermann, 1982.

23 3.2. Rezeptionstypen der Eulenspiegelfigur

Der Eulenspiegel der Schwanksammlung ist, wie bereits dargelegt schwer zu fassen, innerhalb der jahrhundertelangen Rezeptionsgeschichte sind aber bestimmte rezeptionelle Vorlieben festzustellen, die die Bearbeiter mit ihren Interpretationen verfolgt haben. Siegfried Sichtermann114 hat als einziger eine bibliografische Zusammenstellung von über 250 Bearbeitungen herausgegeben. Sichtermann115, Werner Wunderlich116 und ausführlicher Kathrin Streubel117 geben in ihren Publikationen, wenn auch in leicht unterschiedlichen Herangehensweisen, einen Überblick über mögliche Rezeptionstypen, die hier kurz zusammenfassend skizziert werden sollen, um sie später auch mit den in dieser Arbeit behandelten Komödien abzugleichen. Die Grenzen zwischen diesen Typen sind fließend, erleichtern aber einen Überblick über das Bild von Till Eulenspiegel und vor allem, wie es sich im Laufe der Jahrhunderte verändert und ausgeprägt hat.

A Eulenspiegel als harmloser Spaßmacher

Vor allem ab Anfang 19. Jahrhunderts steht, einerseits als theatrale Figur in Possentradition, andererseits in Bearbeitungen in Kinder- und Jugendliteratur, ein verharmloster und lustiger Eulenspiegel im Mittelpunkt einiger Werke, der niemanden ernsthaft schädigt, sondern höchstens heilsame Verwirrung stiftet. Man findet diesen Typus sowohl in August von Kotzebues „Till Eulenspiegel“118 (1806) und Nestroys Posse „Eulenspiegel oder Schabernack über Schabernack“119 (1835), wo Eulenspiegel in Possentradition durch Wörtlich-Nehmen für Situationskomik sorgt, als auch in Erich Kästners Kinderbuch „Till Eulenspiegel“120 (1938).

B Eulenspiegel als Sozialkritiker und Revolutionär

Für ideologische Zwecke verwendet wird die Eulenspiegelfigur gerade im Zusammenhang mit aufständischen und revolutionären Bewegungen und als Teil einer Arbeiterschicht. In diesen

114 Sichtermann, 1982. 115 Vgl. ebda, S. 4. 116 Vgl. Wunderlich, Eulenspiegel, 1984. S. 102-105. 117 Vgl. Streubel, 1988. S. 17-34. 118 August von Kotzebue: Eulenspiegel. Ein dramatischer Schwank in einem Aufzuge und in zwanglosen Reimen. In: Theater von August v. Kotzebue. 19. Bd. Wien: Ignaz Klang; Leipzig: Eduard Kummer 1841. S. 247-306. 119 Johann N. Nestroy: Eulenspiegel oder Schabernack über Schabernack. Posse mit Gesang in 4 Akten. In: Johann Nestroy: Stücke. Historisch-kritische Ausgabe. Hrsg. v. Jürgen Hein, u.a. Wien: Franz Deuticke 2003. S. 5-78. 120 Erich Kästner: Till Eulenspiegel. Zwölf seiner Geschichten frei nacherzählt. Wien u.a. Ueberreuter 1955.

24 Fällen wird die sozialkritische Komponente der Schwanksammlung betont. Nach Charles de Coster entwerfen Günther Weisenborn (Drama „Ballade vom Eulenspiegel, vom Federle und von der dicken Pompane“121, 1949) und Christa Wolf (Filmerzählung „Till Eulenspiegel“122, 1972) auf dem Hintergrund des historischen Bauernkrieges einen rebellierenden Eulenspiegel nach marxistischem Geschichtsverständnis.

C Eulenspiegel als weiser Narr und Individualist

Die geistige Überlegenheit Eulenspiegels und der durch sie errungene Sieg über Kontrahenten im Großteil der Historien der Schwanksammlung sowie in Bearbeitungen und Drucken führen in so mancher Interpretation zu einer mythischen Verklärung unseres Helden, hier aber nicht im Sinne eines revolutionären Geistes, sondern als „grüblerischer Wahrheitssucher“123 - Eulenspiegel wird zum Philosophen und Wissenschaftler, so zum Beispiel in Joseph Ausserhofers Dramen-Trilogie „Der unsterbliche Narr“124 (1960).

D Eulenspiegel als resignierender Außenseiter

Das Bild des Eulenspiegel, der an der Erfolglosigkeit seines Idealismus zerbricht und erkennen muss, dass er keine Macht zur Veränderung hat, flieht in die Einsamkeit, in Zynismus oder begeht sogar Selbstmord, wie in Gerhart Hauptmanns Epos „Des großen Kampffliegers, Landfahrers, Gauklers und Magiers Till Eulenspiegel Abenteuer, Streiche, Gaukeleien, Gesichte und Träume“125 (1928) oder in Thomas Braschs „Eulenspiegel“126 (1977). Auch in Wilhelm Vershofens Drama „Tyll Eulenspiegel. Ein Spiel von Not und Torheit.“127 begegnet man diesem Eulenspiegel-Typus, wo Eulenspiegel als Ministerpräsident die Oberflächlichkeit der Masse des Volkes und Korruption innerhalb der politischen Reihen erkennen muss. Hier wird Eulenspiegel vom Revolutionär und Sozialkritiker zum resignierenden Außenseiter.

121 Günther Weisenborn: Ballade vom Eulenspiegel, vom Federle und von der dicken Pompane. In: G. W. Theater. Dramatische Balladen. Bd.1. München: Kurt Desch 1964. S. 145-218. 122 Christa Wolf, Gerhard Wolf: Till Eulenspiegel. Darmstadt: Lichterhand 1974. 123 Vgl. Wunderlich, Eulenspiegel, 1984, S. 104. 124 Josef Ausserhofer: Der unsterbliche Narr. Komödie der Menschheit. Innsbruck: Wagner 1960. 125 : Des großen Kampffliegers, Landfahrers, Gauklers und Magiers Till Eulenspiegel und Abenteuer, Streiche, Gaukeleien, Gesichte und Träume. In: G. H.: Das gesammelte Werk. Bd. 10. Berlin: Fischer 1942. S. 255-684. 126 Thomas Brasch: Eulenspiegel. In: T. B. Kargo. 32. Versuch auf einem untergehenden Schiff aus der eigenen Haut zu kommen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1977. S. 56-94. 127 Wilhelm Vershofen: Tyll Eulenspiegel. Ein Spiel von Not und Torheit. Jena: Diederichs 1919.

25 4. Till Eulenspiegel in Komödien des 19. und 20. Jahrhunderts

Im 19. und 20. Jahrhundert und hier besonders um 1900 entstanden zahlreiche Komödien, in die Eulenspiegel als Figur aufgenommen wurde. Diesen Komödien wurde in der Literaturgeschichte kaum Beachtung geschenkt, selbst in der Eulenspiegel-Forschung werden sie größtenteils nur kurz erwähnt.128

Wie aus der Darstellung der Rezeptionsgeschichte ersichtlich hat sich die Eulenspiegelfigur im Laufe der Jahrhunderte von der ursprünglichen Darstellung innerhalb der Schwanksammlung abgelöst, sei es durch Ausgaben, in denen dem jeweiligen Zeitgeist entsprechend einige Historien ausgespart wurden, sei es in Interpretationen von Autoren, die nur Teilaspekte der Figur in ihre Werke aufgenommen haben. Nachdem nach Hans Sachs und Jakob Ayrer Eulenspiegel mehr als zweihundert Jahre nicht in komischen Theaterstücken – und im Großen und Ganzen auch nicht in anderen Gattungen - verarbeitet wurde, stellt sich die Frage nach den Gründen für die erneuten Rückgriffe auf die Figur – vor allem in der Gattung Komödie. Wie wird der widersprüchliche, derb-komische und Charakter des Eulenspiegel der Schwanksammlung in Komödien verwendet? Wie wird Eulenspiegel als dramatische Figur, als lustige Figur verwendet? Auf welche Historien und welche Teilaspekte der Figur wird zurückgegriffen, und was wird ihr angedichtet? Was führt im zeitgenössischen Kontext die Autoren dazu, die grundsätzlich widersprüchliche und durchaus auch negative Figur, in den (positiven?) Kontext einer Komödie zu stellen?

Die zehn ausgewählten Werke stehen stellvertretend für Rezeptionstypen. Die Auswahl erschien der Autorin sinnvoll, um einen möglichst umfassenden Eindruck der Bearbeitungen der Eulenspiegelfigur in Komödien der letzten zwei Jahrhunderte geben zu können. Eine ausführliche Darstellung aller literarischen Werke bis 1982, in denen Eulenspiegel eine Rolle spielt, gibt Sichtermann.129

128 Vgl. Arendt, 1978, S. 144-167; Wunderlich, Eulenspiegel, 1984, S. 102-105 und Bollenbeck, 1985, S. 251- 281. 129 Vgl. Sichtermann, 1982.

26 4.1. Kotzebue, Stegmayer, Nestroy – Die Eulenspiegelfigur der Possentradition

4.1.1. August von Kotzebue: „Eulenspiegel“130 (1806)

August von Kotzebue131 (1761, Weimar – 1819, Mannheim) hinterließ ein umfangreiches Werk, neben Romanen, Satiren und Reisebeschreibungen, autobiografischen, historischen und politischen Texten, mehr als 230 Theaterstücke, die vielfach schon zu seinen Lebzeiten aufgeführt wurden und sich größter Beliebtheit erfreuten. Darunter befindet sich auch eine Figurenadaption des Eulenspiegel als Possenfigur im Rahmen eines „dramatischen Schwanks“ aus dem Jahr 1806.

Kotzebue verbrachte als studierter Jurist viele Jahre seines Lebens in Russland, Estland, Frankreich und Deutschland, ein „weitgereister Weltbürger“, dessen politische Ansichten letztendlich durch ein Missverständnis zu seiner Ermordung durch den Burschenschafter Karl Ludwig Sand im Jahr 1819 führte, was im Anschluss Ausschlag für die sog. Karlsbader Beschlüsse waren.132 Nachdem er 1801 durch den russischen Zaren Paul I. zum Direktor des Deutschen Hofschauspiels in St. Petersburg bestellt worden war, ließ sich Kotzebue nach dessen Ermordung wieder in Deutschland und später in Frankreich nieder, und reiste im Jahr 1806, als sein „Eulenspiegel“ 1806, zeitgleich mit den Siegen Napoleons in Deutschland, fertig gestellt war, wieder nach Estland.133

Kotzebues Theaterstücke beherrschten 25% des Repertoires der deutschen Bühnen von 1795 bis 1825 und auch nach seinem Tod blieben sie höchst populär, allein an der Wiener Hofburg wurde er in den Jahren 1790 bis 1860 an 3650 Abenden gespielt. Dennoch war Kotzebue auch ein sehr umstrittener Autor. Schriftsteller seiner Zeit, wie Schiller, Tieck, Arnim, Brentano und viele andere hielten ihm durch die Bank Plattheit, Sitten- und Standpunktlosigkeit vor. Dennoch bleiben gerade seine Werke Zeugnis für den Geschmack des zeitgenössischen Publikums aus Adel und Bürgertum.134 Seine Theaterstücke – er rühmte sich damit, ein Stück schon innerhalb von drei Tagen fertig schreiben zu können - waren in erster Linie bürgerliche Rührstücke und

130 August von Kotzebue: Eulenspiegel. Ein dramatischer Schwank in einem Aufzuge und in zwanglosen Reimen. In: Theater von August v. Kotzebue. 19. Band. Rechtmäßige Original-Auflage. Wien: Ignaz Klang und Leipzig: Eduard Kummer 1841. S. 247-306. 131 Zur Biografie von August von Kotzebue: Vgl. Volker Meid: A. v. K. In: Reclams Lexikon deutschsprachiger Autoren. 2. akt., bearb. Aufl. Stuttgart: Reclam 2006. (=RUB. 17664) S. 555-557; Benno von Wiese: Einführung. In: August von Kotzebue. Schauspiele. Hrsg. von Jürg Methes. Frankfurt am Main: Athenäum 1972. S. 7-42. 132 Vgl. Benno von Wiese: Einführung, 1972, S. 8. 133 Vgl. ebda, S. 7-42. 134 Vgl. ebda. S. 13-17.

27 Lustspiele, in deren Mittelpunkt oft exotische Motive und eine ständeüberschreitende, naive Liebesgeschichte standen.135 Auch wenn er sich in einigen wenigen Stücken gesellschaftspolitisch in die eine oder andere Richtung lehnte, im Vordergrund stand bei Kotzebue die Unterhaltungsfunktion seiner Stücke.

Inhalt: Eulenspiegel ist im vorliegenden Schwank Diener des Arztes und „Quacksalbers“ Brummser, der sein Mündel Nettchen heiraten will. Diese ist aber verliebt in den reichen Kaufmann Frölich. Nettchen und Frölich können am Ende den bösen Vormund überlisten, nicht zuletzt aufgrund der Eigenschaft des eigensinnigen Dieners Eulenspiegel, Befehle wörtlich zu nehmen.

Eulenspiegel charakterisiert sich ich selbst durch die Worte:

„Ich thue, als ein guter Christ, Nicht mehr als mir befohlen ist, Wie es gebührt dem treuen Knechte, Und dabei komm' ich immer zurechte.“136

„Der Herr befiehlt und ich gehorche, So will es meine Pflicht; Wie dann es geh', ist seine Sorge, Ich raisonnire nicht. Das viele Raisonnieren Kann leichtlich irre führen [...]“137

Der Diener Eulenspiegel agiert also nur nach den Befehlen seines Herrn Brummser, allerdings nur nach dessen wortwörtlichen Befehlen. Nicht einmal Bestechungsversuche durch Nettchen und Frölich nimmt er an, solange das ihm Befohlene eingehalten wird. Nettchen und Frölich können dies aber durchschauen, und so wird Eulenspiegel unfreiwillig Helfer der Beiden.

FRÖLICH (herbeischleichend). Ist endlich dein Brummbär fort? EULENSPIEGEL. O ja. Ei, ei, sind Sie schon wieder da? Ich dachte, Sie lägen schon längst im Bette. FRÖLICH. Hilf mir in's Brautbett, so will ich dich segnen, So soll es Thaler auf dich regnen, Auch wohl Dukaten um die Wette. EULENSPIEGEL. In Gottes Namen! regnet's Dukaten, So kann ich des Regenschirms entrathen. FRÖLICH. Nun wohl, der Handel ist geschlossen, Jetzt laß mich schnell in's Haus hinein.

135 Vgl. Ebda. 136 August von Kotzebue, Eulenspiegel, S. 266. 137 Ebda, S. 270.

28 EULENSPIEGEL. In dieses Haus? FRÖLICH. Wozu die Possen? In welches and're? EULENSPIEGEL. Sie wollen herein? So treten Sie näher, ich gehe mit Ihnen, und werde Sie sogleich bedienen. FRÖLICH. Geschwind! EULENSPIEGEL (führt ihn an die Thür, öffnet sie ein wenig, und als Frölich hineinschlüpfen will, schlägt er sie zu). FRÖLICH. Was machst du, Schurke? EULENSPIEGEL. Ich schlage Die Thür Ihnen vor der Nase zu. FRÖLICH. Was soll das heißen? Du Grobian, du! EULENSPIEGEL. An meinen Herrn thun Sie die Frage, Der hat's befohlen. FRÖLICH. Erfüllst du alle Befehle so gewissenhaft? EULENSPIEGEL. Ei das versteht sich, in jedem Falle. FRÖLICH. Auch wenn er dir Prügel dadurch verschafft? EULENSPIEGEL. Auch dann. FRÖLICH. Doch wenn man dir Gold verspricht? EULENSPIEGEL. Gold und Prügel rühren mich nicht. FRÖLICH. Und wenn man dich todt zu schlagen droht? Eulenspiegel. Je nun, da schlag' ich wieder todt. FRÖLICH (bei Seite). Verdammter Kerl! - was hilft mein Fluchen? Ich muss es auf andere Weise versuchen. (Laut.) Ich könnte dich würgen! ich könnte dich morden! Doch höre! Thust du auch wohl mehr, Als dir ausdrücklich befohlen worden? EULENSPIEGEL. Nicht mehr und auch nicht weniger, Ich geh' die g'rade Straße. FRÖLICH. Nun wohl, die Thür vor der Nase Schlugst du mir zu? EULENSPIEGEL. Ganz recht. Das hab' ich gethan als ein ehrlicher Knecht.

29 FRÖLICH. Freilich, mehr hast du nicht übernommen. Erfüllt ist deine Pflicht. EULENSPIEGEL. Vollkommen. FRÖLICH. Wie aber, wenn es sich zutrüge, dass ich hinein durch's Fenster stiege? EULENSPIEGEL. Durch's Fenster? Meinetwegen! Verboten ist das nicht.138 Der Aspekt des Wörtlich-Nehmens ist demnach stark an jene Eigenschaft des Eulenspiegel der Schwanksammlung angelehnt, mit der er bis heute am stärksten im Bewusstsein des Publikums verankert ist. Von bösartiger Auswirkung seiner Sprachhandlung ist er aber hier dennoch völlig gereinigt. Dem Kotzebueschen Eulenspiegel kann keine sozialkritische Absicht unterstellt werden. Das Wörtlich-Nehmen wird hier dadurch begründet, dass der Kotzebuesche Eulenspiegel seinen Job als Diener behalten will. Auch sei es seine Pflicht die Befehle eben nicht zu hinterfragen, sondern sie eben so genau wie möglich umzusetzen. Dass er damit Verwirrung stiftet, und letztendlich gegen den Willen seines Herrn handelt liegt nicht in seiner bewussten Absicht. Er handelt im Gegensatz zum Helden des Ulenspiegel nicht aus Rache oder Schadenfreude, sondern rein für seinen eigenen Vorteil, um sein Dienstverhältnis möglichst nicht zu trüben. Auch seine Eigenschaft, Bestechungsversuchen durch Nettchen und Frölich nicht nachzugeben, liegt in diesem Dienstverhältnis begründet. Er lässt sich zwar nicht absichtlich darauf ein, dem jungen Paar zu helfen, will sich auch um seiner selbst Willen nicht in fremde Angelegenheiten mischen, sondern achtet nur darauf die Befehle des Brummser wörtlich umzusetzen. Dass er dadurch die Befehle und somit die Autorität seines Herrn untergräbt, hat mit sozialer Rebellion nichts zu tun, sondern wird von Kotzebue als Mittel zur Unterhaltung eingesetzt.

Die Handlung – reicher Vormund will sein junges Mündel heiraten – sowie die Figurentypen – der Alte, das junge Paar, dessen Liebe verhindert wird und die Dienerfigur - stehen deutlich in Possentradition und folgen altbekannten Mustern, die schon aus der Commedia dell'arte bekannt sind. Originalität der Handlung steht hierbei nicht im Vordergrund, fixierte Typen, burleske Situationen durch Verkleidung und Beiseite-Sprechen sind in dieser Tradition stehend auch typisch für die schwankhaften Komödien Anfang des 19. Jahrhunderts.139 Als Textvorlage verwendet er ein Intermezzo-Motiv aus einem Lustpiel von Joachim Perinet („Die Schwestern

138 Ebda, S. 266-269. 139 Vgl. entsprechendes Kapitel in: Simhandl, Peter: Theatergeschichte in einem Band. 3., überarbeitete Auflage. Leipzig: Henschel 2007. S. 69-74.

30 von Prag“, gedr. 1794140), das wiederum auf eine Posse von Philipp Hafner zurückgeht.141 Man kann davon ausgehen, dass es nicht Kotzebues Intention war, den Helden der spätmittelalterlichen Schwanksammlung neu zu bearbeiten und zu aktualisieren. Er übernimmt auch keine der Historien der Schwanksammlung.

Anfang des 19. Jahrhundert ist Eulenspiegel, trotz der wenigen Bearbeitungen in den zwei vorausgegangenen Jahrhunderten immer noch im Gedankengut der Menschen verankert. Um den Anforderungen des zeitgenössischen Possen- und Schwank-Publikums zu genügen, scheint Eulenspiegel geeignet, Aufmerksamkeit zu erregen und Publikum anzulocken. Im Vordergrund steht dabei nicht kritische Auseinandersetzung und Bearbeitung des spätmittelalterlichen Ulenspiegel-Schwankbuches, sondern die leichte Unterhaltung des (klein-)bürgerlichen Publikums, durch Verwendung altbekannter Muster und Figuren in Possentradition.

4.1.2. „Eulenspiegel oder: Schabernack über Schabernack“ - Eulenspiegel bei Nestroy (1835) und dessen Vorlage von Matthäus Stegmayer (1808)

Auch Matthäus Stegmayer (1771-1820) verwendet nur kurze Zeit später in seinem Stück „Till Eulenspiegel“142 das traditionsreiche Handlungsmuster des alten Vormundes, der sein Mündel heiraten will. Nestroy schließlich nimmt übernimmt dieses Stück, schafft es aber in seiner Überarbeitung dem Stück einiges an Witz und Spannung zu geben.143 Über den Autor der Vorlage, Matthäus Stegmayer, ist wenig bekannt. Er war als Schauspieler, Komponist und Bühnenschriftsteller von 1796 bis 1800 Mitglied des Theaters auf der Wieden und anschließend von 1801 bis 1819 Teil des Ensembles des Burgtheaters Wien.144 Er soll im Laufe seines Lebens mehr als 50 Stücke verfasst haben, in erster Linie musikalische Possen und Lustspiele.

Sein „Eulenspiegel“ wurde nie gedruckt, der vorliegende Abdruck, herausgegeben im Zusammenhang mit Nestroys „Eulenspiegel“145 innerhalb der historisch-kritischen Ausgabe von

140 Als Textdatei im Internet zu finden auf den Seiten des Forschungsprojekts: »Mäzene des Kasperls Johann Josef La Roche. Kasperliaden im Repertoire des Leopoldstädter Theaters. Kritische Edition und literatursoziologische Verortung«: Joachim Perinet: Die Schwestern von Prag. 1794. Online: URL: http://lithes.uni- graz.at/maezene/perinet_schwestern.html [Stand: 2012-10-31] 141 Vgl. Sichtermann, 1982, S. 36. 142 Matthäus Stegmayer: Till Eulenspiegel. Ein altdeutsches Original-Lustspiel in vier Akten von Mathaeus Stegmayer. In: Johann Nestroy: Stücke. Historisch-kritische Ausgabe. Bd. 9/I. Hrsg. v. Jürgen Hein u.a. Wien: Franz Deuticke 2003. S. 97-157. 143 Zum Vergleich der beiden Stücke, siehe: Ebda, S. 93-96. 144 Vgl. ebda, S. 92. 145 Johann N. Nestroy: Eulenspiegel oder Schabernack über Schabernack. Posse mit Gesang in 4 Akten. In: Ebda, S. 5-78.

31 Johann Hüttner bezieht sich auf ein handgeschriebenes Exemplar in der ÖNB Wien.146 Das Stück wurde im Theater auf der Wieden zwischen 3. Februar und 23. März 1808 siebenmal gespielt, es wird angenommen, dass es danach zu keiner Aufführung mehr in Wien gekommen ist.147

Inhalt: In dem Örtchen Bärenburg lebt der alte Müller Martin Hams mit seinem Mündel Bertha. Trotz seiner Bemühungen sie zu ehelichen, verweigert sie ihm die Zusage, ist sie doch heimlich in den Kastellan Ludolph verliebt. Als der Reisende Eulenspiegel in das Städtchen kommt, erkennt er die Lage und verspricht Ludolph dem jungen verliebten Paar mit seinen Streichen zu helfen. Nicht zuletzt auch durch die Unterstützung des Plans durch den Burgherrn Ritter von Bärenburg kann am Ende der Alte überlistet werden und das junge Paar kann am Ende glücklich vereint werden.

Das Stück diente Nestroy zur Vorlage für seine eigene „Eulenspiegel“-Bearbeitung, Handlung und Figuren decken sich über lange Strecken fast szenengenau148. Allerdings lässt Nestroy alle Rittermotive von Stegmayer beiseite, benennt alle Figuren um und verzichtet auch auf eine genaue Zeitangabe, in der das Stück spielen soll; bei Stegmayer ist es das Jahr 1274.149 Eulenspiegel wird bei Nestroy zur „zeitlosen Gestalt“150 und antwortet auf die Frage, woher er sei, nicht wie bei Stegmayer: „Aus Sachsen und komme von Wolfenbüttel“151, sondern:

MEHLWURM: […] Wo kommt Er denn her? EULENSPIEGEL: Von – von Dings da, – izt hab ich den Nahm vergessen. MEHLWURM: Ist es weit? EULENSPIEGEL: Es is so beyläufig – eine Distanz wird es seyn, wie von dort bis daher.152 Nestroy hat die Figuren umbenannt und Gesangseinlagen eingefügt, was aber gegenüber Stegmayer nur für leichte Änderungen in der Struktur des Stücks sorgt. Die starke Übereinstimmung im Handlungsablauf ändert sich aber besonders im 4. Akt, bzw. dem Finale, was laut Hüttner zu einer Zunahme an „Tempo“ der Aktionen führt und für Nestroy als typisch angesehen werden kann.153 Auffällig ist auch Nestroys Umgang mit der Sprache.154 Gegenüber Stegmayers durchgängig in Hochsprache sprechenden Figuren, entsteht bei Nestroy durch die Verwendung der Wiener Umgangssprache155 die für Nestroy so typische sprachliche Komik.

146 Ebda, S. 93. 147 Vgl. ebda, S. 92-93. 148 Zur detailierten Darstellung der Überarbeitungssituation durch Nestroy siehe: Ebda, S. 93-96. 149 Vgl. ebda, 97. 150 Ebda, S. 94. 151 Ebda, S. 109. 152 Ebda, S. 20. 153 Vgl. ebda, S. 95. 154 Vgl. Otto Basil: Nestroy. Johann Nestroy in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek: Rowohlt 1967. (=rowohlt monographien.) 155 Vgl. zur Sprache Nestroys u.a. auch Otto Basil, 1967.

32 Auch die Konfiguration hat Nestroy, im Personenverzeichnis sogar in der gleichen Reihenfolge übernommen, allerdings hat er die Figuren umbenannt, einige Namen in metaphorisch- vergleichendem Sinne. Zum Beispiel heißt der Müller bei Stegmayer Martin Hamms, bei Nestroy Mehlwurm. Die Figur Eulenspiegel ist bei Stegmayer „ein Reisender“156 bzw. ein „reisender Künstler“, dessen Kunst es ist, auf Kosten anderer Leute zu leben.157 Dabei steht aber die Gutmütigkeit des Eulenspiegel im Vordergrund, er will nur jene Leute schädigen, die es verdient haben, die guten haben nichts zu befürchten, denen will er mit Gewitzheit helfen. Das betont er auch bei seiner ersten Begegnung mit dem Kastellan Ludolph nachdrücklich:

TILL. Ich biete euch meine Dienste an. LUDOLPH. Ihr? wer seid ihr? TILL. Bevor ich Euch diese Frage beantworte, leset ein wenig in meinem Gesichte, und sagt mir aufrichtig, was Ihr darin findet. LUDOLPH. […] Frohe Laune, Ehrlichkeit, und mitunter etwas Schalkheit glaube ich zu entdecken. TILL. Ihr habt es errathen. Jetzt kann es euch auch nicht schwer werden meinen Nahmen zu wißen, wenn Ihr anders schon von manchem lustigen doch nicht boshaften Streiche gehört habt, der seit einiger Zeit in dieser Gegend ausgeführt wurde. LUDOLPH. Wie, solltest du Eulenspiegel seyn? TILL. Mit Leib und Seele; und ganz zu Eurem Dienste. LUDOLPH. O daß du glüklich wärst, reichlich wollt' ich dich belohnen. TILL. Ich bin nicht eigennützig. Bedürfte man das Geld nicht zum Lebensunterhalte, so würd ich mir nie welches wünschen. Die Hauptsache ist einen Freund mehr zu finden, der von Tills Streichen einst sagt: sie waren zwar oft bitter, doch nur für Thoren, und nie boshaft. LUDOLPH. Dein Betragen gefällt mir. Hier meine Hand, du sollst dich in mir nicht geirrt haben.158 Eulenspiegel hat sich also anscheinend bereits einen Ruf als gutmütiger Schalk gemacht. Ludolph, sowie auch später der Burgherr Ritter von Bärenburg, freuen sich den Reisenden endlich kennen zu lernen. Zudem arbeitet Eulenspiegel für Geld, aber nicht um sich selbst zu bereichern, sondern nur um sich zu erhalten. Mit dem Helden des Ulenspiegel verbindet ihn somit zwar der Ruf seiner Streiche und die nicht auf Gewinn abzielende Art sich Geld zu beschaffen, negative Eigenschaften und zerstörerische Absicht seiner Streiche sind aber ausgeblendet. Stegmayer übernimmt allerdings, im Gegensatz zu Kotzebue, auch eine Historie aus dem Ulenspiegel, nämlich jene, in der Eulenspiegel dem Landgrafen von Hessen ein leeres Bild präsentiert und ihm vorgaukelt, wer unehrlich sei, könne es nicht sehen. (H. 27; Stegmayer II, 5-6). Interessanterweise hat Nestroy in seiner Überarbeitung diese Historie weggelassen.

156 Hüttner, 2003, S. 100. 157 Vgl. ebda, S. 101. 158 Ebda, S. 103f.

33 Das traditionsreiche komische Prinzip der Verkleidung steht bei Stegmayer, und später auch bei Nestroy, in zweierlei Bezug zum Ulenspiegel. Einerseits ist es als zentrales Motiv im Ulenspiegel Charakteristikum des Helden der Schwanksammlung, andererseits wird dadurch ein Aspekt des schwankhaften Prinzips des Ulenspiegel übernommen. Eulenspiegel verkleidet sich im Stück einmal als Müllergeselle und wird so beim Müller Martin Hamms (Nestroy: „Mehlwurm“) anstellig, er gibt sich später aber, um sich gegenüber der Schwester des Müllers abzusichern, als als Müllergeselle verkleideter Ritter aus. Das Prinzip der Schwankform – ein vermeintlich Unterlegener legt einen sozial höher Gestellten herein – lässt sich hier wiederfinden. Das Eulenspiegelsche Mittel zum Zweck, die Verkleidung, kommt hier also auch zum Tragen. Die dadurch entstehende Verwechslungkomik ist ein typisches Mittel der Possenkomik und kann nicht direkt in Zusammenhang mit der Schwanksammlung gesehen werden. Um Nestroys Vorgehensweise bei der Überarbeitung zu verdeutlichen, soll hier eine Szene, die in beiden Stücken vorkommt, gegenübergestellt werden: Till hat versucht Ludolph (bei Nestroy: „Heinrich“) in einem Fass ins Zimmer des Mündels des Müllers zu schmuggeln, der Neffe des Müllers, Hanns (bei Nestroy: „Natzi“) entdeckt aber den im Fass versteckten Liebhaber und holt den Müller. Bevor er wiederkommt, kann Till Ludolph/Heinrich in einem Kasten verstecken. Till und Hanns begegnen einander beim leeren Fass:

HANNS. Der Vetter wird gleich da sein. TILL. Was ist geschehen? HANNS (geheimnisvoll). Der Kastellan ist dort im Faße. TILL. Im Ernste? HANNS. Genug, wenn ich es sage. Der Faßboden ist wie eine Thür, zur Hälfte ist er schon offen. TILL. Das muss ich doch gleich sehn. (Öffnet den Boden des Fasses.) Es ist ja nichts da. HANNS. Was wäre das? (Geht hin und sieht hinein.) TILL. Da hat ihm einmal wieder geträumt. HANNS. Ich habe ihn ja selbst gesehen. TILL. Possen! Es hat kein Mensch Platz in einem solchen Fasse zu sitzen. HANNS. Nicht hat man Platz? So muss ich Ihn doch ganz überzeugen. (Indem er sich hineinsetzt.) TILL. Ich kanns nicht glauben. HANNS. Da seh Er her. Kann man sitzen oder nicht? TILL. Wahrhaftig! Sitzt Er aber auch gut. HANNS. Recht gut. Unvergleichlich! TILL (schlägt den Boden zu). So bliebe 8 Tage sitzen. HANNS (fängt innerhalb des Fasses an zu schreien). He! Was ist das? Aufgemacht. Aufgemacht!159

159 Ebda, S. 123f.

34 NATZI. Der Vetter wird gleich da sein, er holt nur die Knecht. EULENSPIEGEL (zu NATZI). Die Knecht' wegen was denn? NATZI (geheimnisvoll). Der Jäger steckt dort in dem Fass. EULENSPIEGEL. Warum nit gar. NATZI. Ich hab'n selber g'seh'n. Im Fassboden is eine Thür, zur Hälfte is ja noch offen. EULENSPIEGEL. Das muss ich doch seh'n. (Sieht in das Fass.) Es is ja nix drinn. NATZI. Was wär' das? (Sieht auch hinein.) EULENSPIEGEL. Da hat dem Musje Natzi was traumt. NATZI (in höchster Verwunderung). Ich hab'n ja selber g'sehn. EULENSPIEGEL. Warum nit gar. Es hätt ja gar kein Mensch Platz in dem Fass. NATZI. Was?, kein Platz? da muss ich ihn doch überzeugen. (Steigt in's Fass.) EULENSPIEGEL. Ich kann's nicht glaub'n. NATZI. Na, da schau der Ulrich [Name des Müllergesellen Eulenspiegel, Anm. d. A.] her. (Er bückt sich, so dass er ganz im Fasse ist.) EULENSPIEGEL. Wahrhaftig! und sitzt man commod drinn? NATZI (im Fasse). Ganz commod. EULENSPIEGEL (schlägt den Fassdeckel zu). No so bleib drinn, a 24 Stund. NATZI (schreit im Fass). Was ist das!? Aufg'macht! Aufg'macht!160

Nestroy bedient sich fast 30 Jahre später dieses Stückes, erringt aber mit seiner gekonnten Überarbeitung einen weit größeren Erfolg beim Publikum zu erzielen, als Stegmayer. Nestroys Posse „Eulenspiegel oder: Schabernack über Schabernack“ feierte im April 1835 Premiere und wurde bis 1860 140 Mal aufgeführt.161 Den Eulenspiegel spielte dabei Wenzel Scholz, der in so manchen Aufführungen zusammen mit Nestroy auf der Bühne stand. Nestroy selbst spielte den naiven Neffen des Müllers Mehlwurm, Natzi. Im Schaffensprozess Nestroys ist die Posse am Übergang von den Zauberspielen zu den gesellschaftskritschen Possen angesiedelt, und von der Kritik wurde diese „Absage des Dichters an den faul gewordenen Zauber der Feen und Magier“ einhellig begrüßt.162 Anders als Stegmayer findet man bei Nestroy in den Aussagen Eulenspiegels auch implizite Kritik an der Possentradition. So lässt er Eulenspiegel mit den Worten auftreten:

EULENSPIEGEL. Ich bin ein Künstler, das kann mir kein Mensch abstreiten, ich betreibe die große Kunst auf Unkosten anderer Leut' zu leben. Mein Bleiben is nirgends aber meine Werkstatt is überall. Ich steh jetzt häufig den Verliebten in ihren verwickelten Angelegenheiten bei, und das is ein Geschäft bei dem man nicht zu Grund geh'n kann. Dieser Ort is zwaar sehr klein; allein er könnte viel größer sein, wenn er mehr Häuser und Innwohner hätt. Übrigens für mich is auch die kleinste Bevölkerung groß genug; den[n] ich hab es bloß mit Liebesleuten zu thu'n, und unter Hundert

160 Ebda, S. 42f. 161 Vgl. Basil, 1976, S. 89. 162 Vgl. Basil, 1976, S. 90 und die Rezensionen in Hüttner, 2003, S. 158-172.

35 Einwohnern giebt s immer Einen Geizhals, Fünf Sauffer, Einen Gelehrten, Fünf G'scheidte und 88 Verliebte. Auf diese Anmerckung gründ' ich mein Metier und hab noch immer meine Rechnung g'funden dabei.

Einerseits spielt er hier an auf die Tatsache, dass die Handlung – alter Vormund will sein junges Mündel heiraten – bei weitem nichts neues ist, dieses Problem taucht (in Possen) oft auf, andererseits ist auch das Personal der Possen berechenbar, Geizhals, Säufer, Gscheite und vor allem Verliebte gehören zum fixen Figurenarsenal der Possen, aus der Commedia dell'arte kommend. An diese Tradition kann somit Eulenspiegel gleich anknüpfen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Eulenspiegel wird somit vom liebenswürdigen Schelm zum eigennützigen Wohltäter. Bei Nestroy ist Eulenspiegel ein Vagabund, der den guten Leuten zwar hilft, aber nur wenn es für ihn auch lukrativ ist. Er ist intelligent, spitzbübisch, gutmütig, dennoch darauf bedacht, was für ihn bei seinen Streichen herauskommt. Er stellt sich dumm, um andere zu übertölpeln, ist es aber nicht.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert ist Eulenspiegel immer noch im Gedankengut der Menschen verankert, allerdings nicht mehr durch die konkrete Schwanksammlung, sondern als adaptierte Figur. Im Vordergrund steht allerdings nicht kritische Auseinandersetzung und Bearbeitung des Ulenspiegel-Schwankbuches, sondern die Unterhaltung des hier meist aus den unteren Schichten stammenden Publikums, durch Verwendung altbekannter Muster und Figuren in Possentradition. Eulenspiegel ist aber bei Kotzebue, Stegmayer und Nestroy dennoch nicht vollkommen abgelöst von dem Helden der Schwanksammlung.163 Seine soziale Stellung ist die eines Reisenden bzw. eines Vagabunden, er muss sich durchschlagen. Er macht sich aber mit seinen Streichen nicht nur Feinde, sondern treibt seine Späße auch mit solchen, die ihm nichts getan haben. Trotz dieser Bezüge ist Eulenspiegel bei Stegmayer und Nestroy ein gutmütiger Schelm, der in das Figurenarsenal der Possentradition eingepasst wurde, um Gefallen beim Publikum zu finden.

163 Vgl. Bollenbeck, 1985, S. 261.

36 4.2. Eulenspiegel als Funktionär des Jungen Deutschland: „Tyll Eulenspiegel“164 (1840)

Ganz im Gegensatz zur Verwendung der Figur Eulenspiegel zur leichten Unterhaltung in biedermeierlich-vorstädtischer Behaglichkeit wird Eulenspiegel zur gleichen Zeit zur revolutionären Bewegung im deutschsprachigen Raum Anfang der 1840er in Bezug gesetzt. 1840 erschien bei Hofmann und Campe unter dem Namen Friedrich Radewell das Stück „Tyll Eulenspiegel“. Es wird davon ausgegangen, dass es sich aus Zensurgründen hierbei um ein Pseudonym für einen Schriftsteller aus der Generation des sogenannten Jungen Deutschland handelt, möglicherweise Ludolf Wienbarg (1802 Altona – 1872 Schleswig), wichtiger Repräsentant des Jungen Deutschland und Autor der „Ästhetischen Feldzüge“, der zentralen ersten Programmschrift des Jungen Deutschland.165

Inhalt: Nachdem Mephistopheles Faust und den Marquis Posa schon dafür gewinnen hat können, ihre Seelen an ihn zu verkaufen, will er sich erneut beweisen und schließt in einem „Vorspiel im Himmel“ mit dem Herren die Wette ab, er könne selbst den treusten Diener des Herren verführen. „Der Herr“ aber ist überzeugt davon, dass Eulenspiegel als sein Knecht voller Liebe im Herzen, sich nicht vom rechten Weg abbringen lassen würde. Mephistopheles versucht Eulenspiegel mithilfe von Faust und Posa zu verführen, angefangen mit dem Käthchen von Heilbronn, das als beispielhafte Jungfrau Tyll verführen soll. Dieser kann aber durch seine eigene Gewitzheit den Versuchungen widerstehen. Eulenspiegel kann schließlich sein Käthchen von Heilbronn heiraten, Faust und Posa werden begnadigt und Mephistopheles bekäme von der Engelsschar den Hintern versohlt, würde er nicht so stinken.

Die Komödie sticht hervor durch ihre Figuration. Man begegnet neben Mephistopheles, Marquis Posa, Faust und Käthchen von Heilbronn auch vielen Dichtern, wie den Vertretern des Jungen Deutschland Karl Gutzkow und Heinrich Laube, aber auch Heinrich Heine als „persönlichem Feind der Christen“, August von Kotzebue, als Vertreter „fader, deutscher, hirnloser“ Komödiendichter und Ludwig Tieck, der dem Mittelalter verfallen ist.166 Neben den literarischen Anspielungen im Haupttext, den handlungstragenden drei Aufzügen, verwendet der Autor zwei Zwischenspiele – ein „Zwischenspiel in der Hölle“ und „Schilda - Zwischenspiel“ ebenso für literarische, aber auch für Anspielungen auf aktuelleres Zeitgeschehen und auf Institutionen wie Kirche, Gericht und Schule. Zusätzlich zu einem verklärenden Happy End, mit der Überwindung des Bösen in Gestalt des Mephistopheles, findet man im gesamten Text häufige, mehr oder weniger eindeutige literarische und politische

164 Friedrich Radewell: Tyll Eulenspiegel. Komödie. Hamburg: Hoffman und Campe 1840. 165 Vgl. Arendt, 1978, S. 153f. 166 Vgl. Radewell, 1840, S. 101-137.

37 Anspielungen. Sozialkritische Anspielungen auf Gericht, Kirche (ein Bischof tritt in Gestalt eines Esels auf), an Schulen und am unkritischen Publikum selbst, wurden innerhalb der Zwischenspiele in die Komödie eingebunden.

Die Eulenspiegelfigur der Schwanksammlung ist zwar durch einige bekannte Historien vertreten, aber gleichsam enthistorisiert und in einen völlig neuen Handlungszusammenhang eingebunden, der satirisch vor allem auf Goethes „Faust“ Bezug nimmt. So zum Beispiel lernt man Tyll kennen, als er gerade am Hof des Kaisers die aus H. 27 bekannten leeren Bilder angebracht hat.167 Später werden die Bilder präsentiert, es könne sie nur jener sehen, der edel und rein sei. Tylls Plan kann beinahe umgesetzt werden, doch dann sagt Käthchen die Wahrheit sagt. Tyll wird verhaftet und soll gehängt werden (Vgl. H. 58). Er bringt seine letzte Bitte vor, in diesem Fall wünscht er sich eine drei Tage lange Prozession, während der sein Hinterteil geküsst werden sollte. Er wird freigesprochen und aus dem Reich verwiesen.168 Auch die Universitätshistorie (H. 28) kommt vor, Eulenspiegel lässt sich auch hier nicht aus der Ruhe bringen, aber stellt den Gelehrten, nachdem er ihre Fragen beantworten konnte, eigene Fragen.169

Mephistopheles hat es auf Eulenspiegels Seele abgesehen und will ihn verführen. Er versucht ihn mit einem heraufbeschworenen Geistertanz zu beeindrucken. Eulenspiegel lässt sich aber, im Gegensatz zu Faust, nicht verführen – nicht durch körperliche Liebe, nicht durch Reichtum und Ruhm:

FAUST. Selige Jünglinge, die sie umtanzen! TYLL. Dreimal selig dann die Mücken und Wanzen! FAUST. Du stirbst nicht an ihrer Gliedermusik? TYLL. Viel eher an wohllüst'gem Mäusegequik! MEPHISTOPHELES. Wie, Heuchler, du fändest das Schönste nicht schön? TYLL.Ich habe schon lautere Schönheit geseh'n. (Die Geister verschwinden.) MEPHISTOPHELES. Du warst schon in den Windeln ein Greis! Jedoch, was gilt die Wette, ich weiß, Ich weiß einen heißen Wunsch von Dir, Für dessen Erfüllung Du knietest vor mir, Einen Wunsch, der so Dich gefesselt hält, Dass Dir deswegen nichts Andres gefällt! Was gilt es, wenn ich den Wunsch dir nenne Und noch obendrein Dir die Erfüllung vergönne?

167 Vgl. ebda, S. 27ff. 168 Vgl. ebda, S. 193. 169 Vgl. ebda, S. 265ff.

38 Hast Du Muth, so setze die Seele auf's Spiel! TYLL. Dabei gefährd' ich nicht sonderlich viel! Hat er Recht, so verlier ich nur, was er schon hat. Wenn du willst, so findet die Wette statt. Ich setze die Seele! Was aber du? MEPHISTOPHELES. Wenn Du siegst, so sag' ich Dir feierlich zu, Dir gratis zu dienen und lebenslänglich! TYLL. Dein Versprechen ist nur für Esel verfänglich! - Du sollst, wenn ich siege, mir alsobald Und so lang' ich will, dienen in Eselsgestalt! Ein Mann - ? MEPHISTOPHELES. Ein Wort! Bei Himmel und Höll'! TYLL. So sprich denn, mein baldiger loser Gesell! MEPHISTOPHELES. Eile mit Weile! Laß Dir 'was zeigen! Das geht noch über den vorigen Reigen! Hocus pocus firlefax Käthchens Bild erscheine stracks! […] Du liebst das Käthchen; Du sollst es auch haben Und genießen ihre Reize und Gaben! Das Käthchen ist keine niedere Magd, Du ahnst kaum, wie weit sie über Dich ragt! Sie ist des Kaisers natürliches Kind, Ich schwör' es Dir zu, ich mache nicht Wind! Es kostet mich nur einen Fingerwink, Und Du bist ein großes, geehrtes Ding, Käthchens Mann und des Kaisers Schwiegersohn, Vielleicht sogar Erbe von seinem Thron! TYLL. Zwar erinn're ich mich, es gab einmal Einen stolzen Grafen Wetter v. Strahl, Der seinen sechszehn Ahnen gratulirte, Als er solch' eine Bastardin unter sie führte! Ich aber hielt mich für viel zu gut, Mich zu ehren mit fürstlichem Sündenblut, Wenn mich nicht etwa Schönheit und Liebe Vielleicht zu einer Ausnahme triebe! Doch kannst Du der Schönheit Verehrung nicht zollen, Ohne Sie thierisch genießen zu wollen, Bist du Bull oder Teufel, und ich kann es doch, Ich mache in in deine Rechnung ein Loch! Bei Gott, ich bin Sieger! Du folgst alsobald Und dienest mir in Eselsgestalt!170

Mephistopheles muss in Folge Eulenspiegel dienen, Tyll entlässt ihn aber in seiner Gutherzigkeit am Ende des Stücks aus diesem Pakt und steht somit gleichsam über dem Bösen.

170 Ebda, S. 177-179.

39 Tyll begegnet Goethes Faust, dem „Repräsentant eines Geistes, dessen Größe an den Himmel Gottes und an die Hölle des Teufels rührt, eines Geistes, der zu wissen begehrt, was die Welt im Innersten zusammenhält.“171 Eulenspiegel steht in direktem Gegensatz zu diesem, als die Figuration dessen, der sich diese Frage gar nicht erst stellt,

„weil er keine Zeit für sie hat und froh ist, wenn er die äußere Unbill der Welt erträgt und aushält. […] Faust wird in der Tat vorgestellt als der über die Wirklichkeit und die Vernunft philosophierende Geist, dem bei seinem Tiefsinn unmerklich die Wirklichkeit der Welt entschwindet; Eulenspiegel hingegen ist derjenige, der dem Spekulanten zur neuen Erfahrung der Wirklichkeit der Welt verhilft.“172

Das Aufeinandertreffen der Beiden wird zum philosophischen Diskurs:

FAUST. Ohne erst lange umherzuschweifen, Musst du, Theurer, zunächst den Satz begreifen, Dass nur das Vernünftige wirklich sei, Alles Übrige nur Sinnenspielerei; Und dass das Wirkliche seinerseits Auch das Vernünftige sei bereits. TYLL. Ein verwünschter Satz! Ein Satz der Sätze! Eine wirkliche Vernunftsjagdhetze! Wie ein Kesseltreiben, so rund und zirklich! Was meinst du, ist eine Wurst wohl wirklich? FAUST. Dergleichen Fragen lass doch künftig! Frag dich, Lieber, ist eine Wurst wohl vernünftig? TYLL. Nimmermehr, so wenig, als Schinken und Schmalz! Also stak ich im Irrthum bis an den Hals? Ich war von jeher auf Würste versessen Und ich Schafskopf habe nur Schatten gefressen. Drum krieg' ich auch immer neuen Appetit, Weil die Wurst desertirt aus dem Magengebiet! Natürlich, die Mutter der Wurst, das Schwein, Kann eben so wenig wirklich sein; Und überhaupt alles Fleisch und Bein Ist also nur Durst und Schatten und Schein! FAUST. Du folgerst, Geliebter, im Scherze selbst richtig; Alles Unvernünft'ge ist wirklich nichtig. TYLL. Dann, Geliebte, muss ich erst Proben sehen: Erlaube ich trete Dich auf die Zehen! FAUST. Oh weh, meine Zehen! Oh weh, oh weh! TYLL. Du hast ja keine wirkliche Zeh'? (Beide links ab.)173

171 Arendt, 1978, S. 149. 172 Ebda. 173 Radewell, 1840. S. 78-79.

40 Eulenspiegel ist trotz der vielen Anspielungen auf literarische Figuren und gesellschaftspolitische Probleme in seinem sozialen Status ähnlich dem Helden der Schwanksammlung. Und er ist im Kosmos des Stückes ja auch selbst eine literarische Anspielung. Eulenspiegel zeichnet sich in der Interpretation des Autors dadurch aus, dass er nicht beeinflussbar ist und in sich gefestigt und bauernschlau, dass er sich nicht einmal durch die Verkörperung des Bösen hereinlegen lässt, sondern umgekehrt sogar Mephistopheles zu seinem Diener machen kann. Eulenspiegel handelt dabei aber nicht reflektiert, als weiser Narr, sondern intuitiv, aus seinem Selbst heraus. Er macht sich nicht abhängig von einem materiellen oder ideellen Beweggrund. Religion, Gesetz, Bildungsinstitutionen mit ihren Regeln und letztendlich sogar philosophische Gedanken sind für ihn Kuriosa, die zwar vielleicht einer näheren Betrachtung bedürfen, aber alles zu seiner Zeit. Er stellt die Institutionen in Frage und nicht sie ihn. In seinem Handeln ist er nicht rücksichtsvoll, gegenüber der bösen Macht darf er alle Register ziehen, auch bösartig sein, dennoch hilft er in seiner Gutmütigkeit dem Guten, und will aus Liebe zum Menschen demselben die Wahrheit sagen. Er wird in diesem Stück zum Prototypen des guten Menschen, der auch christliche Wertigkeiten lebt und kann so am Ende auch vor dem Herrn bestehen.

4.3. Georg Fuchs: „Till Eulenspiegel“174 (1899)

Georg Fuchs175 (1868, Beerfelden (Oberwald) - 1949, München) besuchte das Gymnasium Darmstadt gemeinsam mit Stefan George und Karl Wolfskehl. Nach dem Studium der Neueren Philologie und Geschichte lebte er, unterbrochen durch eine kurzfristige Rückkehr nach Darmstadt, um an der Gestaltung der dortigen „Darmstädter Künstlerkolonie“ mitzuwirken, als freier Schriftsteller in München und erlangte in verschiedenen Positionen, u.a. als künstlerischer Berater des Oberbürgermeisters, großen Einfluss auf das künstlerische Leben der Stadt. Er war Mitinitiator des Münchener Künstlertheaters und vertrat als dessen Leiter in den Jahren 1908- 1914 einen neuen Aufführungsstil, der sich gegen den Naturalismus wendet, orientiert an der antiken Bühne der Neuromantik und des Symbolismus. Fuchs propagierte gemeinsam mit Max Reinhardt das Prinzip des Massentheaters im Rahmen der sogenannten „Volksfestspiele“ für mehrere tausend Zuschauer in den Jahren 1910 und 1911. Diese neuen Theatergrundsätze beschreibt er in seinen zwei Hauptwerken Die Revolution des Theaters (1909) und Die Schaubühne der Zukunft (1905). Aufgrund seines politischen Engagements, nach 1922

174 Georg Fuchs: Till Eulenspiegel. Komödie in 5 Aufzügen. Leipzig: Diederichs 1899. 175 Zur Biografie von Georg Fuchs: Vgl. die Anmerkungen in Simhandl, 2007, S. 362, 373-375, 389, 394; Luise Kampffmeyer: Fuchs, Johann Georg Peter. In: Neue Deutsche Biographie. Onlinefassung: URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118693980.html [Stand: 2012-10-31]

41 besonders im Bezug auf separatistische Bestrebungen in Bayern, wurde er wegen Hochverrat verurteilt und gefangen genommen, jedoch 1927 begnadigt.

„Till Eulenspiegel. Comödie in 5 Aufzügen.“ entstand im Jahr 1899.176 Das Stück steht im Kontext der Neuromantik und Anfängen des Symbolismus, dementsprechend verklärt wirkt auch die Figur des Eulenspiegel. Für die Phase der Neuromantik ist die Beschäftigung mit mittelalterlichen Texten ein Charakteristikum. Im Rahmen der Erneuerung des Theaters und der Ablehnung naturalistischer Theaterformen steht Eulenspiegel als positiver Held, der seiner Natur folgt und von einem Ort zum anderen reist.

Inhalt: Eulenspiegel kommt auf seinen Reisen in ein Dorf bei einer Burg, das die Ankunft des Kaisers erwartet und verdingt sich hier als Turmbläser. Als er beim Besuch des Kaisers Tumult in die Menge bringt, muss er sich als Till Eulenspiegel zu erkennen geben und wird wegen früherer Vergehen zum Galgen verurteilt. Der Kaiser begnadigt ihn auf Wunsch seiner Tochter Magelone, verlangt ihm aber als Gegenleistung einen Pakt ab, nach dem Eulenspiegel sich gut und produktiv in die Dorfgemeinschaft einbringen soll. Er tritt beim Schneider Bopf den Dienst an, bringt aber Unruhe in die Dorfgemeinschaft. Als schließlich Faust den einstigen und mythenumwobenen Burgherren Rother aus der Hölle auferstehen lässt, gelingt es Eulenspiegel aber wieder Ruhe in die Gemeinschaft zu bringen. Rother kann wieder zurück in die Hölle geschickt werden. Eulenspiegel verabschiedet sich nach vollendeten Taten schmerzlich von Emma, Findelkind, aber in Wahrheit Tochter des Rother, und übergibt sie dem einsamen Kaiser, um schließlich weiterzuziehen.

Bereits aus der Antrittsrede des Eulenspiegel als Turmwächter (Vgl. H. 22) erkennt man die romantisierende Tendenz des Stückes:

Erster Aufzug. ([…] Morgenglut; vom Turme ertönt das Wächterlied des)

EULENSPIEGEL. Wacht auf, seid froh und schaffet! Der Tag zieht ein im Tal, Die Wolkenpforte klaffet, Der Tag tritt vor den Saal,

Tritt in die stillen Stuben, Da sing' ich wie der Fink. Ans Werk, ans Werk, ihr Buben, Ihr Mädchen schürzt euch flink!

Was euch nur wuchs, erraffet, Die Frucht ist sonder Zahl, Wacht auf, seid froh und schaffet, Der Tag zieht in das Tal.177

176 1905 wurde eine zweite, veränderte Auflage im selben Verlag herausgegeben. 177 Fuchs, 1899, S. 7.

42 Im Vergleich zu H. 22 bläst Eulenspiegel hier nicht falschen Alarm, sondern führt, eingegliedert in das Dorfleben des Handlungsortes, gehorsam seine Aufgabe als Turmbläser aus. Als Reisender und unabhängiger Geist behält er aber dennoch durchgehend Außenseiterstatus in der dörflichen Gemeinschaft.

Das Findelkind Emma, und, wie sich später herausstellen wird, Tochter des eigentlichen mythischen Burgherren Rother steht ebenso am Rande der dörflichen Gesellschaft und fühlt sich, vielleicht gerade deswegen, zu Eulenspiegel hingezogen. Sie erzählt, wie Eulenspiegel in das Dorf gekommen ist:

Da kam er neulich, als der alte Wächter Begraben war, als hätt' man ihn gerufen. Er tat, als sei ihm alles längst bekannt, Und kam gewiss aus weiter, fremder Ferne - Um Mittag war's die Sonne brannte heiß, […] - Nicht lang danach Stieg er am Turm zum höchsten Dach. So steht er droben, schaut aus, schaut ein, Als sollt' ein Großes auf dem Wege sein.178 Eulenspiegel wird als Reisender beschrieben, der aufgrund seiner Erfahrungen außerhalb der Dorfgemeinschaft, in der großen weiten Welt, einen weiten, geradezu weisen Blick auf die dörflichen Strukturen haben kann. Was Emma aber fasziniert, scheint die anderen Dorfbewohner eher abzuschrecken. Als er sich nach der Ankunft des Kaisers als Till Eulenspiegel offenbart, wird er sofort festgenommen und soll am nächsten Tag hingerichtet werden. Im Gegensatz zur Schwanksammlung bezieht sich hier seine Festnahme nicht direkt auf den vorangegangenen Streich (Weintausch-Motiv, vgl. H. 57), Eulenspiegel ist bereits ein „weltberühmter Schalk“179 und der Wunsch nach seiner Festnahme schon lange vorhanden. Eulenspiegel erbittet sich vor seiner Hinrichtung noch eine Beichte, in der er in ausladenden Versen drei Punkte vorbringt, die er bereut nicht getan zu haben:

EULENSPIEGEL. Dreierlei ist mir leid, dass ich's im Leben nicht immer tat, wie ich es sollte Und auch von Herzen begehrte und wollte. Zum einen: wenn ich ein Weib geseh'n, Und Blick' und Blick' mit Luft empfing, Und fühlte dann mein Blut in Wirbeln geh'n, Dass ich zum Herzen riss das junge Ding Und jeden Sinn in ihrem Reize sonnte - dass ich das nicht konnte, Das ist mir leid!

178 Ebda. S. 8. 179 Ebda, S. 37.

43 ALLE MÄNNER. Mir auch!

EULENSPIEGEL (fährt lebhaft fort) Zum andern, Dass ich durch alle Welt nicht durfte wandern, Dass ich nicht alle träge Gesellen Von den Bänken konnte schnellen, Dass ich nicht mit Hagel und Blitz Zerstob jeden nutzlosen, feisten Besitz, Nicht alle verriet, die sich feige vergruben Und Fackeln warf in die dunkelsten Stuben, Nicht alle neckte, Die von Salbung riefen, Nicht alle weckte, Die das Leben, das Leben verschliefen, Und alle befreite, die nach Schaffen riefen: Das ist mit leid! - Zum dritten und letzten: Sah ich die Lumpen neidisch eifern, Wie sie die Menschen zeternd verhetzten Und jede Pracht mit ihrem Gift begeifern, Wie grimmig hassen die Kraft Und alles verfehmen, was schürft und schafft, Wie sie den Helden Schlingen stellen, Den wirkenden Geist verketzern und prellen, Missgünstig, lüstern, falsch und dumm, Ächzend, hässlich, stinkend und krumm: Dann gelüstet mich, sie zu ersticken Und allen alten Weibern, die aus Neid Die Jugend verlästern, die Mäuler zuzuflicken! Dass ich dies nicht konnte, das ist mir herzlich leid!180 Auch in der Schwanksammlung nennt Eulenspiegel kurz vor seinem Tod drei Dinge, die er bereut nicht gemacht zu haben: erstens, nie jemandem den Rock abgeschnitten zu haben, zweitens, nie jemandem, der nach dem Essen mit dem Messer zwischen den Zähnen puhlt, dieses Messer in den Hals gesteckt zu haben und drittens wollte er alten Frauen, die zu nichts mehr nutze sind auf der Welt den Arsch zunähen. (Vgl. H. 91)

Bei Fuchs steht Eulenspiegel im krassen Gegensatz zu diesem Grobianismus, er will lieben und durch seine Streiche die Welt verbessern. Dass er kurz vor seiner Hinrichtung doch noch begnadigt wird, verdankt er einer überraschenden Einlenkung der Tochter des Kaisers: „Sie sollen ihm nichts tun! Er meint's nur gut.“181

Wenn aber an anderer Stelle, im dritten Aufzug, Eulenspiegel als Schneidergeselle arbeitet, werden einige bekannte Handwerker-Historien in die Handlung eingewoben. Dabei steht eine

180 Ebda, S. 47 181 Ebda, S. 42.

44 Steigerung der Aktionen im Vordergrund, die im dritten Aufzug bis zur Schlägerei führen, durch Eulenspiegel angestiftet. Die übernommenen Streiche stehen allerdings außerhalb der eigentlichen Handlung. Eulenspiegel wirft auf Befehl Ärmel an den Rock des Kaisers (Vgl. H. 48), schneidet aus teurem Stoff Eulen und Meerkatzen (H. 19, hier: Eulenspiegel bäckt Eulen und Meerkatzen), wirft Stoffballen aus dem Fenster hinaus und durch ein anderes wieder zurück hinein (Vgl. H. 74, tritt bei einem Barbier durchs Fenster ein).

Eulenspiegels Hauptcharakteristikum besteht hier in seinem Wandertum und Einzelgängertum. Das komische Mittel der Verkleidung kommt hier nicht vor, Eulenspiegel muss sich nicht als Schneidergeselle ausgeben, um in Dienst genommen zu werden, sondern wird dem Schneider zugeteilt. Das Wörtlich-Nehmen als Eigenschaft und komisches Mittel ist nur im Zusammenhang mit den verwendeten Historien der Schwanksammlung eingeführt, Eulenspiegel ist hier ein positiver, moralisch gut handelnder Charakter, der andere zum Nachdenken und Handeln bringen will. Den Gegenspielern, moralisch verwerflichen (u.a. ist hier wieder Faust ein Gegenspieler des Eulenspiegel) oder dümmlichen Figuren, steht Eulenspiegel als souverän handelnde Figur mit unabhängigem Geist gegenüber. Die moralisierende Tendenz des Stückes führt dazu, dass Eulenspiegels Komik an Leichtigkeit verliert. Eulenspiegel wird stilisiert zum ewigen Wanderer, der umherziehend die Welt verbessern will, indem er ihre Schwächen aufzeigt. Er bleibt aber in dieser Funktion ein Außenseiter der Gesellschaft.

4.4. Exkurs: Frank Wedekind: „Oaha“ (1908)

Unter Frank Wedekinds Dramen findet sich ein Stück mit dem Titel „Oaha, die der Satire“182, veröffentlicht im Jahr 1908; erst die letzte Fassung erschien, nach einigen Überarbeitungen und mit verändertem Ende, 1916 unter dem Titel „Till Eulenspiegel“183 im Jahr 1916. Der Autor verarbeitet hier die Affäre um die Satirezeitschrift „Simplicissimus“184 und deren Verleger Albert Langen, der „wegen Majestätsbeleidigung“ angeklagt wurde und schließlich sechs Monate im Gefängnis verbrachte. Grund dafür war ein von Langen veröffentlichtes Gedicht von Wedekind mit dem Titel „Im Heiligen Land“, das eine Palästina- Reise Kaiser Wilhelms II. Ende 1898 verunglimpfte. Der Verleger Langen flüchtete in die Schweiz, konnte aber durch den Skandal die Auflage der Zeitschrift steigern und damit großen

182 Frank Wedekind: Oaha. In: Gesammelte Werke. Bd. 5. München: Georg Müller 1924. S. 141- 232. 183 Vgl. hierzu Hans-Jochen Irmer. Der Theaterdichter Frank Wedekind. Werk und Wirkung. Berlin: Henschel 1975. S. 103-106. 184 Es handelt sich um Nr. 31, 3. Jahrgang 1898/99. Vgl. hierzu: Ebda, S. 105.

45 Gewinn einfahren. Wedekind stellte sich, nachdem er ebenso in die Schweiz geflüchtet war, dem dortigen Gericht und verbüßte eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten.

Inhalt: In der Satire „Oaha“ ist Georg Sterner Verleger einer Satirezeitschrift mit dem Titel „Till Eulenspiegel“. Er kann den Dichter Max Bouterweck dazu überreden, ein politisches Gedicht zu schreiben, das den Dichter ins Gefängnis bringt. Georg Sterner gelingt im Gegensatz dazu rechtzeitig die Flucht und er kann durch Bestechung die Begnadigung des Dichters erwirken. Bouterweck bleibt auch nach seiner Freilassung unter Vertrag bei ihm. Es kommt aber zu einem Putsch innerhalb des Verlags, andere Künstler, die ebenso bei Sterner unter Vertrag sind, übernehmen die Satirezeitschrift und wollen sie unter dem Titel „Oaha“ veröffentlichen. „Das Oaha“ tritt am Ende tatsächlich auf, ein verstümmeltes Wesen, das in einer fahrenden Kiste sitzend in einer Tour lachend Witze produziert, die für die Zeitschrift verwendet werden. In der Fassung von 1916 mit dem Titel „Till Eulenspiegel“ kann Sterner die Macht wieder an sich reißen, nachdem aber der Krieg ausgebrochen ist, vergeht die anfängliche Euphorie und Sterner flieht erneut.

Dass „Till Eulenspiegel“ der Titel einer Satirezeitschrift ist, scheint weder unsinnig noch unwahrscheinlich. Die um diese Jahrhundertwende schon längst abgelöste Figur185 lässt weiten Interpretationsspielraum und scheint schelmische und zugleich (gesellschafts-)kritische Texte und Zeichnungen in ihrem Namen verbinden zu können. Das satirische Aufzeigen von Geld- und Machtmechanismen im künstlerisch-verlegerischen Apparat scheint unserem Helden nicht fern. Konkrete Anspielungen auf eine Eulenspiegelfigur findet man in diesem Stück nicht.

4.5. Felix Braun: „Till Eulenspiegels Kaisertum“186 (1911)

Felix Braun187 (1885, Wien – 1973, ) studierte in Wien Germanistik und Kunstgeschichte und war bereits während seines Studiums als Journalist tätig. 1910 übernahm er die Leitung der Feuilletonabteilung der Berliner Nationalzeitung. Später arbeitete er als Verlagslektor in München und war bis zu seiner Emigration Dozent für deutsche Literatur in Palermo und Padua. Im Exil in Großbritannien konnte er seine Lehrtätigkeit fortsetzen. Nach seiner Rückkehr nach Österreich lehrte er am Reinhardt-Seminar und an der Akademie für angewandte Kunst in Wien. Er hinterließ ein umfangreiches Werk als Übersetzer und Herausgeber, als Schriftsteller verfasste er Gedichte, Dramen und Novellen, allesamt im Zeichen der Neuromantik und des literarischen Jugendstils.188 Als Sekretär und Freund von stand er mit der Gruppe Jung-Wien und den Schriftstellern ,

185 Vgl. dazu in dieser Arbeit: S. 24. 186 Felix Braun: Till Eulenspiegels Kaisertum. Eine Komödie in vier Aufzügen. Berlin: Erich Reiss 1911. 187 Zur Biografie von Felix Braun: Vgl. Tatjana Madeleine Popovic: Lebenstafel Felix Braun. Online: URL: http://www.braun-prager.de/fblebenstafel.htm [Stand: 2012-10-31]; Klaus Peter Dencker: Literarischer Jugendstil im Drama. Studien zu Felix Braun. Wien: Schendl 1971. 188 Vgl. ebda.

46 , Anton Wildgans in Kontakt. Die Komödie „Till Eulenspiegels Kaisertum“ war Brauns erstes Drama und steht ganz im Zeichen neuromantischer Tendenzen. Das Bühnenbild ist in den Regieanweisungen realistisch dargestellt, im dritten und vierten Akt steht hier aber das Zusammenspiel von Licht und Schatten im Vordergrund.

Inhalt: Die Bewohner von Schilda warten auf die Ankunft des Kaisers. Stattdessen kommt Eulenspiegel eingeritten, alt und heruntergekommen, mit einer Krone aus Goldpapier. Als der richtige Kaiser kommt, wird die Verwechslung aufgedeckt und da der Kaiser Eulenspiegels Geschichten kennt, will er ihn zu einem Spaß herausfordern. Für die Dauer von drei Tagen tauschen die beiden die Rollen, Eulenspiegel ist Kaiser, der Kaiser ist Narr. Eulenspiegel nützt anfangs seine Macht eigenwilllig und brutal aus, will Hinrichtungen sehen, verliebt sich aber in die Kaiserin, die ihn zurückweist. Nach Ablauf der drei Tage soll Eulenspiegel hingerichtet werden. Die Kaiserin lässt ihn aber begnadigen, wenn er seinen Streich mit dem Fliegen (Vgl. H. 14) wiederholt. Er springt von einem Turm, zieht aber lachend weiter.

Eulenspiegel ist hier heruntergekommener, alter Vagabund, seine Streiche und Abenteuer hat er hinter sich. Er kommt nach Schilda, um sich an den Bewohnern zu rächen, denn er ist, als er sich hier aufgehalten hat, in den Kerker gesperrt und gezwungen worden ungenießbare Speisen zu essen - „weil er klüger war.“189 In der Figuration wird ein negativer Zusammenhang zwischen dem Lalebuch (1597, später Schiltbürger) und der Eulenspiegelfigur hergestellt. Das Volk von Schilda wird als dümmlich und unmoralisch dargestellt, der Bürgermeister nennt sie „Schildidioten“190, reitet selbst auf einem Steckenpferd und er und seine Ratsherren haben goldene Hundeketten mit Marken um den Hals. Die Dorfgemeinschaft, die sich in der ursprünglichen Erzählung Ende des 16. Jahrhunderts dumm stellt, um sich z.B. jeder Arbeit zu entziehen, steht thematisch dem Eulenspiegel sehr nahe. Eulenspiegel steht aber in dieser Komödie den Schildbürgern diametral gegenüber. Sein Auftritt zeichnet bereits einen resignierenden, aggressiven Eulenspiegel, der es immer gut gemeint hat, aber zugrunde gegangen ist an der Boshaftigkeit und Schlechtigkeit der Welt:

(Zwölf lange aushallende Schläge) (Es tritt eine große Stille ein, die sich mit den lange hinhallenden, weithin vibrierenden Klängen füllt. Angespanntestes Schweigen in der Menge, keuchender Atem, Vorstrecken der Köpfe, nach und nach vereinzelte halblaute Worte. Da – reitet von rechts auf einem Esel in gemeßnem Trab Eulenspiegel heran. Er hat einen Mantel von rotem Stoff umgeschlagen, auf dem kahlen Haupt eine Krone aus Goldpapier. Die Zügel – es sind Stricke – hält er mit der einen seiner roten fleischigen Hände, die andere führt ein kurzes, kommandostabähnliches spanisches Rohr. Sein Gesicht ist ältlich, gedunsen, bartlos, mit grauen Stoppeln, seine Bewegungen, auch bei

189 Braun, 1911, S. 25. 190 Ebda, S. 17.

47 ernsten Worten, die stereotypen Wendungen eines Komikers. Wer ihn lange ansieht, gewahrt einen müden Zug um den Mund. Seine blauen Augen sind glanzlos, beim Sprechen leuchten sie oft hell auf, - beim ruhigen Schauen wird der Blick oft traurig, sinkt aber dann sofort in blödes Stieren hinab. - Wie er einreitet, ist beispiellose Stille. - Vor dem Bürgermeister hält er; fixiert ihn lang. Der Bürgermeister macht Miene, vom Steckenpferd zu springen – es gelingt ihm nicht. Er macht ein Zeichen zur Menge, als wollte er sie auffordern zu rufen. - Niemand spricht.)

NUR LEISES GEMURMEL. Das wär der Kaiser? - Sonderbar. - Der Kaiser? Hast du ihn so gedacht? - Er ist allein! Wo ist sein Tross? Wo bleibt die Kaiserin? Wie er nur aussieht! - Also das ist er! BÜRGERMEISTER (setzt an.) Herr Kaiser - EULENSPIEGEL (sich hoch im Sattel aufrichtend, mit vernichtendem Blick.) Schweig! - Wagst du's und sprichst vor mir? BÜRGERMEISTER (taumelt zurück.) EULENSPIEGEL. Mit Art und Sitte scheinst du schlecht vertraut. Man merkt, dass du die Schweine hüten musstest, Bevor du Schultheiß wardst. - (Da der Bürgermeister erwidern will.) Schweigst du nicht still? An mir ist jetzt, zu reden, nicht an dir. Und diese sind es, die mein Wort begehrt. (Stille. - Zu den Bürgern): Schufte von Schilda, auf die Knie vor mir! (Alle sinken lautlos auf die Knie.) […] (Er stößt in eine Kindertrompete. - Tiefes Schweigen.)191 Eulenspiegel, als Kaiser verkleidet angekommen, will die Schildbürger vernichten, schimpft auf sie, im Namen von Eulenspiegel. Als dann der richtige Kaiser kommt und seine Identität aufgedeckt wird, nimmt er ihm den Auftritt an seiner Stelle nicht übel, er fährt fort, über alles was Eulenspiegel sagt und tut, zu lachen, und es als Scherz zu verstehen. Auch während Eulenspiegels Herrschaft ist er der letzte, der noch an die Gutmütigkeit und Scherzhaftigkeit Eulenspiegels, wie er ihn aus Geschichten kennt, glaubt. Aber sogar ihm vergeht im vierten Akt das Lachen, Eulenspiegel aber hält verbissen an dem ausgemachten Tausch fest und wendet das Blatt:

KAISER. Ihr seid ja - ! - Man war viel zu gut mit Euch, Man ließ Euch zuviel hingeh'n, nahm's für Scherz Und lachte - EULENSPIEGEL (will sprechen.) KAISER (heftig.) Schweigt! EULENSPIEGEL (leise) Reiz' mich nicht! KAISER. Wer? Ich – dich? Wie sprichst du, von der Straße Aufgelesener, Zu mir? Ich hätte Lust, dich auf die Knie

191 Ebda, S. 18ff.

48 zu zwingen und – (ruhig) doch geh' mir aus dem Dunkel! Zu lang ertrug ich, was allein das Spiel Erleichtert hat... Wie mich ein jedes Wort Reut, weil es so verloren ist, an dir! EULENSPIEGEL (mühsam.) Hör' an – doch lasst mich erst – mir geht der Atem Nicht schnell genug – (laut) Ich will die Fackel holen Und dir ins Antlitz leuchten, dass du siehst, Wer vor dir steht! KAISER. Ja, geh'! EULENSPIEGEL. Doch ohne das Vermag ich's auch. - Wes unterfängst du dich. Schlechtester Narr von allen, die seit je Dies traurige Brot des Lustigseins verzehrten? Weißt du, was ich mit dir beginnen kann? Wenn nicht – so sag' ich's, dass du noch die Gnade Der Wahl behältst... (lauernd) Muss ich erst durch das Dunkel Den Edelstein auffunkeln lassen, den Dein Ring umschließt - ? KAISER: Du wagst es -? EULENSPIEGEL (laut.) Wenn ich rede, Spricht niemand!192

Aufgrund seiner cholerischen Art, der Bösartigkeit und seines heruntergekommenen körperlichen Zustands ist es kaum möglich sich mit der Figur positiv zu identifizieren. Komische Momente wirken aufgrund dessen meist aufgesetzt, am ehesten noch tragikomisch. Von „Streichen“ Eulenspiegels während seiner Regierungszeit kann nicht die Rede sein, man hört allein durch einen Botenbericht des Zeremonienmeisters, dass Eulenspiegel gegen die Hof- Etikette verstößt: er schüttet den Dienern Wein auf die Glatze, küsst die Hoffräulein ab, wirft den Reichsapfel nach dem Obersthofmarschall, verwendet Szepter und Reichsschwert als Besteck und schlaft nach dem Essen laut schnarchend mit offenem Gewand am Thron ein. Zum Frühstück fällt er Todesurteile, befiehlt einen Krieg mit China, als es aber niemanden gibt, den man verurteilen könnte, fängt er an die Hofdamen abzuküssen. Erst das Erscheinen der Kaiserin lässt ihn innehalten, er wird gemäßigter und nachdenklich. Die Kaiserin verachtet ihn anfangs, bekommt dann aber doch Mitleid mit ihm. Sie findet ihn erst langweilig und bemerkt er sei alt geworden. Eulenspiegel hat keine Haare mehr, weil er sie sich selbst ausgerissen hat, um nicht sehen zu müssen, wie sie grau werden. Im Zusammenhang mit der jungen und schönen Kaiserin erkennt Eulenspiegel, auf welche Genüsse er im Laufe seines Lebens verzichten musste und will diese verzweifelt genießen.

Eulenspiegel ist hier eine tragische Figur. Dass das Stück als „Komödie“ bezeichnet ist, kann nur noch auf den im allerletzten Moment zum positiven gekehrten Schluss bezogen werden.

192 Ebda, S. 75f.

49 Nach dem Sprung vom Turm am Ende der Komödie ist nur mehr seine Stimme zu hören. Dadurch wird die Eulenspiegelfigur gleichsam einerseits mythisch überhöht, wird zum ewigen Narren – man hört nur mehr seine hallende Stimme, sieht ihn nicht mehr – andererseits wird Eulenspiegel auch determiniert in seiner Rolle als Außenseiter, als der ewig wandernde Individualist. Im Gegensatz zu Georg Fuchs Komödie kann der Eulenspiegel hier, trotz der romantisierenden Tendenz, nicht als positiver Held bewertet werden.

4.6. Harry Vosberg: „Till Eulenspiegel“193 (1912)

Harry Vosberg194 (1875, Gleiwitz – 1945, Breitbrunn am Chiemsee) war nach Abschluss seines Jurastudiums als Syndikus der Potsdamer Handelskammer und später der Berliner Industrie- und Handelskammer tätig. Er gründete 1923 den „Elektrozweckverband Mitteldeutschland“ und konnte 1929 einige kommunale Elektrizitätsunternehmen zu einer Aktiengesellschaft zusammenschließen. Wie man dem Web-Portal der Westfälischen Geschichte195 entnehmen kann, war Vosberg nationalsozialistischer Gesinnung. Er wurde nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 zum Staatskommissar für die Vereinigte Elektrizitätswerke Westfalen (VEW) eingesetzt. Eine umfassende Darstellung seiner Werke ist aufgrund fehlender Quellen nicht möglich, anscheinend hat Vosberg neben seiner beruflichen Tätigkeit einige Dramen und Romane geschrieben. Dramen sind zum Beispiel Der Trust (1910) und Hohes Land (1909). Ein Roman, Hans Michel Elias Obentraut (1919), handelt von einem General auf evangelischer Seite im Dreißigjährigen Krieg. Daneben verfasste er auch juristische Texte. Vosbergs „Till Eulenspiegel“ erschien 1912 im Verlag der Grenzboten mit Sitz in Berlin. Die Komödie wurde bereits ein Jahr zuvor in der Zeitschrift „Grenzboten“ gedruckt und wurde bald darauf in Hannover uraufgeführt.196

Inhalt: Eulenspiegel hält sich unter dem Namen „Magister Saricus“ als Maler am Hof des Landgrafen Philipp auf und macht Laurentia, der Tochter des Rektors den Hof. Als durch einen Fehler von Eulenspiegels Kumpan der Betrug aufgedeckt wird und Eulenspiegel als solcher erkannt wird, kann er fliehen und taucht im dritten Akt als Kanzler verkleidet wieder auf, dessen Besuch in der „deutschen Mittelstadt“ erwartet wird. Eulenspiegel wiegelt die Leute dazu auf, den richtigen Kanzler als Eulenspiegel festzunehmen. Der Kanzler kann sich aber helfen und schafft es Eulenspiegel an seiner Stelle hinter Gitter zu bringen. Als die

193 Harry Vosberg: Till Eulenspiegel. Komödie in vier Aufzügen. Berlin: Grenzboten 1912. 194 Zur Biografie von Harry Vosberg: Vgl. H. V. In: Deutsche Biographische Enzyklopädie, 2. Ausg, Bd. 10. München: Saur 2008. S. 313. 195 Peter Döring: Gründung der Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen (VEW). Online: URL: http://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/input_felder/langDatensatz_ebene4.php ? urlID=612&url_tabelle=tab_websegmente [Stand: 2012-10-31] 196 Vgl. Ernst August Roloff: Ewiger Eulenspiegel. Wie der Schalk war, und was die Welt aus ihm gemacht. Braunschweig: Ad. Hafferburg 1940. S. 216f.

50 Hinrichtung stattfinden soll, kann Laurentia Eulenspiegel vor dem Galgen retten, indem sie ihn zum Mann nimmt.

Auch in dieser Komödie sind Eulenspiegel und seine Streiche bereits bekannt, er wird hier gegen eine finanzielle Belohnung gesucht. Eulenspiegel spielt noch ein paar letzte Streiche, Malerhistorie (Vgl. H. 27) und die Krankenhistorie (Vgl. H. 17) wurden aus der Schwanksammlung übernommen, zentral ist aber die Verkleidung als Kanzler im dritten Aufzug. Eulenspiegel legt am Ende im Ehestand sein Handwerk als umherziehender Narr nieder. Eulenspiegel ist hier eine souveräne Figur, er kann sich auch an die höchsten sozialen Stände anpassen. Er spielt seine Rollen perfekt, biedert sich an die Obrigkeit an und ist herablassend gegenüber ihm Unterstellte.197

Verkleidungs- und Verwechslungskomik ist zentral in dieser Komödie, Wortkomik kommt kaum vor, zumindest nicht durch Eulenspiegel selbst verursacht. Wortkomik ist in der Komödie eher dem Begleiter Eulenspiegels Lammen Goedzak zugeschrieben, aber im negativen Sinn, um ihn in Kontrast zu Eulenspiegel als dümmlich darzustellen. Im Beispiel ist Eulenspiegel als Kanzler verkleidet, Lamme hat es nicht bemerkt und will sich bei der vermeintlichen Obrigkeit einschleimen:

EULENSPIEGEL. Was will er? LAMME: Sehr richtig ist das alles, meint ich nur, Was Ihr da eben sagtet, - (zu den Bürgern) ist's nicht wahr? DIE BÜRGER. Sehr richtig, ja! Sehr richtig! EULENSPIEGEL (ironisch.) Vielen Dank! (zu Lamme.) Du scheinst ein aufgeweckter Bursch. LAMME. Euer Gnaden, Ich schlafe nie! Und immer sag ich: Kinder - Zu meinen Augen, - Kinder, schlaft nicht! Denn Augen sind zum Sehen, nicht zum Schlafen. EULENSPIEGEL (belustigt.) Es schläft der Has' mit off'nen Augen auch. LAMME. Doch wacht er mit den Löffeln, Euer Gnaden. EULENSPIEGEL. Ei sieh, du scheinst nicht auf den Mund gefallen. LAMME. Wie könnt ich das, Euer Gnaden, - bei dem Bauch! EULENSPIEGEL. Hör, Bursche, du belustigst mich. - Willst du, Solang ich in der Stadt hier Wohnung halte, Zu Dienst mir sein? Das Haus steht für dich offen. LAMME. Ich muss zwar einen guten Herrn verlieren, Doch einen bessern tauscht man gerne ein. EULENSPIEGEL (für sich.) Kanaille, sieh!198

197 Vgl. Vosberg, 1912, S. 41f. 198 Ebda, S. 79f.

51 Eulenspiegel hat in dieser Komödie – wie in Charles de Costers Werk199 - einen Begleiter und kann, im Kontrast zur Darstellung von Lamme als Dummkopf als intelligenter Spitzbube dastehen, der zwar Vertretern aller sozialer Stände seine Streiche spielt und ihre Hohlheit aufdeckt, aber auch weiß, wie man sich verhält. Er ist nicht bösartig, seine Streiche sollen nicht materiellen Schaden verursachen, sondern Dummheit und Eigennutz der Menschen aufzeigen. „Till wird als fröhlicher, freiheitsliebender und ausgelassener Schalk gezeichnet, als aufrechter und männlicher Charakter, der ohne allzu großen Tiefgang – die Überheblichkeit und Überspanntheit der Zeit kritisiert und die Menschen aufzurütteln versucht.“200 Wenn Eulenspiegel durch einen Schwindel an die Macht kommt, „spielt [er] den demagogischen und sich beim Volke durch Steuerfreiheit und Privilegien einschmeichelnden Kanzler.“201 Nachdem er den eigentlichen Kanzler durch Verkleidung ins Gefängnis gebracht hat, verteidigt er in der Rolle des Kanzlers sein eigenes Tun:

„Der Stände Wappenstolz und Überhebung Hielt er den Spiegel ihres Unwerts vor. Ihm kam es nur darauf an, dass er verlachte Der Formen Übermaß des Lebens Bürde. […] Schalk sein heißt doch des Menschen Wert erkennen, Der tief hier drinnen eine Würde trägt.“

Auch Vosbergs Eulenspiegel kommt, nachdem der Kanzler ihn an seiner Stelle hat einsperren können, ins Grübeln, und gibt sogar die Hoffnung auf Rettung auf. Nur Lamme kann ihn dazu überreden, noch nicht aufzugeben und vor allem nicht „kläglich“ zu enden.202 Bereits am Galgen stehend, verteidigt Eulenspiegel seine Taten. Er ist verzweifelt darüber, dass die Menschheit nicht einsehen will, dass seine Streiche die Menschen nicht zu einem Lernprozess bewegen konnten:

EULENSPIEGEL. Um Ärgernus! - Was ist denn Ärgernus? Kann jede Katz nicht Ärgernus bereiten? Sie frisst den Vogel, stürzt die Kanne um, Verschmutzt das Bett, zerkratzt des Herren Gesicht, Zerreißt im Spiel der Dame goldne Halskett, Dass Edelsteine in die Ritzen springen; - Beim Suchen fällt das Licht, der Vorhang brennt, Es flammt das Haus, die Wiege drin verkohlt, Das Nachbarn Haus erfasst's, es brennt die Stadt, Des Obdachs bar fällt Krankheit auf die Leute,

199 Vgl. dazu in dieser Arbeit: S. 23. 200 Sichtermann, 1982, S. 127. 201 Arendt, 1978, S. 161. 202 Vgl. Vosberg, 1912, S. 124.

52 Die Pest verbreitet sich, durchs ganze Land Geht schwarzer Tod - und alles um die Katz! Ich hörte nicht, dass man die Katz gehenkt, Sie lebt wohl heute noch bei guten Leuten. Und frag ich euch: Was ist der Stadt geschehen? Kein Haus verbrannt und keine Pestilenz! Ja, und es lebt noch in der Häuser Enge Derselbe Rat, dieselbe dumme Menge! Ihr grämt euch dass ob dieses Ärgernus, - Mir macht, dass ihr nicht klüger seid, Verdruss.“203

Aber die Geschichte geht doch noch gut aus, Laurentia kann durch ihr Werben Eulenspiegel vom Galgen retten. Eulenspiegel lässt sich binden und gibt sein Landfahrer-Dasein auf, denn „Ehstand ist der Hafen fürs Genie“.204 Dem Helden werden seine Streiche verziehen, da er sie nur gut gemeint hat – ein stark harmonisierender Schluss für einen durch und durch positiven Helden.

4.7. Adam Kuckhoff: „Till Eulenspiegel“205 (1941)

Adam Kuckhoff206 (1887, Aachen - 1943, Berlin-Plötzensee) promovierte 1912 in den Fächern Germanistik, Geschichte und Philosophie und war, nach journalistischen Anfängen besonders als Theaterkritiker, Spielleiter am Frankfurter Neuen Theater (1917-1920) und am Frankfurter Künstlertheater (1920-1923) tätig. Als Lektor des konservativen Eugen Diederich-Verlags – der nebenbei die Eulenspiegelstücke von Georg Fuchs, Wilhelm Vershofen und Wolf von Niebelschütz' herausgab – war er hauptverantwortlich für die kulturpolitische Zeitschrift „Die Tat“, die er nach und nach in eine linksliberale Zeitschrift verwandelte. Im Zentrum seines Interesses stand der Dichter Georg Büchner, dessen Werke er 1927 in einer „kommentierten Volksausgabe“ herausgab.207 Dem Verlag entsprach Kuckhoffs linkspolitische Haltung aber nicht und er wurde 1930 entlassen. In der Zeit des aufkommenden Nationalsozialismus war er freier Lektor des „Deutschen Verlages“, freier Journalist und Schriftsteller und konnte bis 1941 einige Werke, darunter die Komödie um Eulenspiegel veröffentlichen. Der Roman Der Deutsche von Bayencourt erschien 1937 im Rowohlt-Verlag und wurde von den Nationalsozialisten positiv aufgenommen; er schaffte es oberflächlich der Parteilinie zu

203 Ebda, S. 128. 204 Ebda, S. 133. 205 Adam Kuckhoff: Till Eulenspiegel. Spiel in 5 Bildern. Berlin: Universitas 1941. 206 Zur Biografie von Adam Kuckhoff siehe: Literatur-Lexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Hrsg. von Walther Killy. 2. Aufl. Bd. 7. München u.a.: Bertelsmann-Lexikon 1988-92. S. 53; Dieter Götze: Ein Idealist der Linken. In: Berlinische Monatsschrift (1997), H. 12, S. 71-74. Online: URL: http://www.luise- berlin.de/bms/bmstxt97/9712pord.htm [Stand: 2012-10-31] 207 Vgl. ebda, S. 72.

53 entsprechen und zugleich demokratisch-pazifistische Ideen einzubinden. Kuckhoff lehnte eine Verfilmung des Romans aber ab, da er eine Verfälschung durch die nationalsozialistischen Filmemacher befürchtete.208 Während also Kuckhoff nach Außen hin der Parteilinie entsprach, war er, gemeinsam mit seiner Frau an der Gründung und Organisation der sog. „Roten Kapelle“ beteiligt, an der Verteilung von Flugbättern und einer illegalen Untergrundzeitschrift und Herstellung von Funkkontakt zur Sowjetunion. Als diese Organisation 1942 aufgedeckt wurde, wurde er verhaftet und 1943 zum Tode verurteilt. Adam Kuckhoff wurde am 5. August 1943 in Berlin-Plötzensee wegen „Vaterlandsverrat“ hingerichtet.

Adam Kuckhoff hat sich für „Till Eulenspiegel. Spiel in 5 Bildern“ mit der Vorlage - es muss sich um S1519 handeln, frühere Ausgaben waren zum Zeitpunkt der Herausgabe nicht bekannt - intensiv auseinandergesetzt, wie er selbst im Nachwort zum Stück beschreibt. Er versucht bewusst dem entwicklungslosen Schwankhelden eine Entwicklung zu geben und verwebt Historien und selbsterfundene Streiche.

„Der Eulenspiegel [der Schwanksammlung, Anm. d. A.] ist völlig konfliktlos, völlig einheitlich in sich selbst, sein ganzer Reiz, das ganze Geheimnis seiner Volkstümlichkeit besteht darin, dass er es ist. […] Im Mittelpunkt eines dramatischen Werkes aber steht der dramatische Held. Womit sich dem vorliegenden Falle die Frage dahin zugespitzt, ob der Eulenspiegel überhaupt eine dramatische Gestalt ist. Nun denn, rund und klar: Er ist nicht, er ist sogar das gerade Gegenteil. Von einer dramatischen Gestalt verlange ich, dass sie aus widerstrebenden Kräften, die sie bewegen, in einen Konflikt gestellt werden kann, der Entscheidung von ihr verlangt.“209

Inhalt: Till Eulenspiegel ist ein frecher Junge, er spielt lieber Streiche, als ein Handwerk zu lernen. Damit verscherzt er es sich in der Nachbarschaft und sein Pate rät ihm, auf Reisen zu gehen. Er sucht Arbeit bei einem Schneider und auf dem Schloss zu Wolfenbüttel, wird aber aufgrund seiner Streiche aus dem Braunschweigischen Raum verbannt. Nach einem schmerzlichen Abschied von seiner Mutter reist er weiter, und landet schließlich krank in einem Spital in Mölln. Er will aufgeben, bekommt aber durch den Wächter des Spitals, den er für den Tod hält, noch einmal Hoffnung und Bestätigung darin, wie wichtig es sei, Leute zum Lachen zu bringen. Dann stirbt er.

Kuckhoff übernimmt mit den Historien aus der Schwanksammlung solche, in denen Eulenspiegel wenig bis keinen Schaden verursacht, die Historien, in denen Eulenspiegel fäkalisch sozusagen aktiv wird, lässt Kuckhoff ganz weg.

Eulenspiegel ist hier ein junger Mann, für den es nicht einfach ist sich in die Dorfgemeinschaft einzugliedern. Nachdem er mit einem Fuhrmann mitfahren hat dürfen, ist er von der Idee herumzureisen begeistert. Nur die Sorge um die Versorgung der Mutter bringt ihn davon wieder ab. Als ihn aber nach einem Streich die gesamte Nachbarschaft verfolgt – manche der Verfolger

208 Vgl. ebda, S. 73. 209 Vgl. Kuckhoff, 1941, S. 81ff.

54 tragen nur einen Schuh (Vgl. H. 4) – beschließt sein „Pate aus Schöppenstedt“ es sei Zeit für ihn die Heimat zu verlassen: „Hast gespielt, hast verspielt hierzuland. Musst wandern, Till.“210 Eulenspiegel geht also nicht wie in der Schwanksammlung planlos und ins Blaue auf Wanderschaft, sondern wird auf Wanderschaft geschickt. Auch seine Eigenschaft Befehle wörtlich zu nehmen wird in Kuckhoffs Stück ausgeführt und erläutert: Sein Pate drückt ihm Geld für die Wanderschaft in die Hand und schickt ihn mit dem Rat davon: „Und – folge auf's Wort!“211 Dabei verwebt Kuckhoff Historien, die aus der Schwanksammlung bekannt sind, mit eigenen Einfällen zu Eulenspiegel-Streichen, hier im Bezug auf die Eigenschaft des Wörtlich- Nehmens:

FRAU (streng.) Geh an deine Arbeit, Bursch! (ab.) SCHNEIDER (steigt ächzend vom Tisch.) Da hast du dem Ratsherrn seinen Rock. Wirf die Ärmel hinein bis ich zurückkomme. Und du (zum Gesellen), hol Tuch vom Krämer! (Zu Till, sich aufplusternd) Sei fleißig, Gesell! (Schneider und Geselle ab.) TILL (allein geblieben, sieht sich um, dann nimmt er den Rock, hängt ihn auf, das Futter nach außen, wirft einen Ärmel hinein, immer wieder, singt dabei.) […] GESELLE. He, Narr, was machst du? TILL (ohne im Werden innezuhalten.) He, Narr, was du siehst! GESELLE. Narr, was seh ich? TILL (schnell.) Einen Esel, wenn du vorm Spiegel stehst! (singt weiter.) […] FRAU (kommt. Starr.) Was tust du, Geselle? TILL. Die Ärmel in den Rock werfen, bis der Meister zurückkommt. SCHNEIDER (tritt auf.) TILL (sich die Stirn wischend.) Gottlob, dass ihr da seid! Habe ich nicht die ganze Zeit diese schelmigen Ärmel in den Rock geworfen? Aber sie wollten nicht daran kleben. SCHNEIDER (aufgeregt.) Hau ihn, Karolin! GESELLE (gehässig). Gebt's ihm, Meisterin!

FRAU (gibt dem Gesellen eine Ohrfeige. Zu Till, lächelnd.) Bist ein Schalk – kecker Bursch! SCHNEIDER (meckert.) Hehehehe, ist ein Schalk, Karolin! FRAU (mit einem vergleichenden Blick zum Schneider.) Ja, Mann, ein fröhlicher. (Zu Till, drohend) Hüte dich, Schalk! - Heiß ihn Schaffen, Mann. SCHNEIDER. Näh jetzt die Ärmel in den Rock. Aber näh so, dass man's nicht sieht. TILL. Wie Ihr's sagt, Meister. (Er kriecht unter den Tisch und beginnt zu nähen.) GESELLE (verblüfft.) Was machst du? TILL (näht schweigend weiter). SCHNEIDER (bemerkt ihn. Verblüfft.) Was machst du? TILL. Ich näh so, dass man's nicht sieht. Hat mir nicht mein

210 Ebda, S. 20. 211 Ebda, S. 22.

55 Schöppenstedter Pate gesagt, man muss aufs Wort folgen? FRAU (lacht.) Narr du, steh auf, Narr! GESELLE. Esel, steh auf, Esel! TILL (stemmt sich auf, steht mit dem Rücken unter dem Tisch, wirft ihn um. Der Geselle fällt herunter, droht Till in ohnmächtiger Wut. Der Schneider und die Schneidersfrau lachen. Till stellt den Tisch ruhig wieder auf, setzt sich darauf […].)212

Im zweiten Bild werden also einige Motive aus den Handwerker-Historien verarbeitet, das Wörtlich-Nehmen von Befehlen führt dazu, dass Kuckhoffs Eulenspiegel auch materiellen Schaden verursacht. Im dritten Bild tauchen Motive aus jenen Historien auf, in denen Eulenspiegel in der Schwanksammlung Repräsentanten höherer Stände begegnet – wie bei Vosberg aus Malerhistorie (H. 27) und die Universitätshistorie (H. 28). Am Ende dieses Bildes wird Eulenspiegel aus dem Braunschweigischen verbannt. Er zieht weiter, aber er „findet keine Ruhe“213 und als er einem anderen schalkhaften Landstreicher begegnet, und von diesem „überschalkt“214 wird, verzweifelt er. Erst am Krankenbett, kurz vor seinem Tod findet er seine Positivität und den Glauben an die Kraft des Lachens wieder und kann sterben.

Kuckhoffs Eulenspiegel behält durch die Übernahme zahlreicher Historien und Motive aus Historien viel vom Eulenspiegel der Schwanksammlung. Eulenspiegel ist in Kuckhoffs Interpretation ein reflektierter Schalk, der aus einem inneren Bedürfnis heraus Streiche spielt, aber dennoch eigentlich zur Ruhe kommen will. Besonders deutlich ist Kuckhoffs Interpretation im Verhältnis Eulenspiegels zu seiner Mutter. Die beiden haben ein inniges Verhältnis, wenn sie nicht mit seinem Auszug einverstanden gewesen wäre, wäre er nicht losgezogen. Er bewundert die „natürliche Einfachheit“215 der Mutter.

Kuckhoffs Eulenspiegel ist sich auch der Vergänglichkeit seines Lebens und seiner Streiche bewusst; hier taucht nun das Motiv von Eulenspiegels Kindern auf. All jene Landstreicher, die Scherze machen, seien seine Söhne, seine Saat sei „aufgeschossen in tausend lustigen Bürschlein“216, was sich letztendlich auch generell auf die massenhafte Überlieferung und Begeisterung für Eulenspiegels Geschichten bezieht. Eulenspiegel schwankt in Kuckhoffs Stück immer wieder zwischen zweifelnder Reflexion und Erkenntnis; er erkennt zwar seine Berufung zum Fahrenden an, hinterfragt diese aber immer wieder, bis er sie wieder akzeptiert.

212 Ebda, S. 25-27. 213 Vgl. ebda, S. 65. 214 Ebda, S. 68. 215 Ebda, S. 38. 216 Ebda, S. 68.

56 In Kuckhoffs Komödie wird zum ersten Mal versucht durch Darstellung der psychologischen Handlungsmotivation der Eulenspiegelfigur eine kohärente Erzählstruktur zu erzeugen. Um Eulenspiegel zu einer dramatischen Figur zu machen und ihr dramatische Entwicklung zu geben, stellt Kuckhoff Beziehungen zwischen den Figuren her und legt Eulenspiegels inneren Kampf zwischen Narrentum, Wanderschaft und Eingliederung in die Gesellschaft dar, die ihm nicht möglich ist.

Kuckhoff spricht sich in seinem Nachwort zu „Till Eulenspiegel. Spiel in fünf Bildern.“ für einfache, kindliche Späße aus, über die „der gebildete Mensch von 1940“217 sehr wohl lachen können soll. „Das primitiv Komische macht nun einmal den wirkungsvollen Großteil des Komischen überhaupt aus, der Anblick eines dicken Mannes, der auf der Straße hinter seinem davonwirbelnden Hut herhastet, ist für jedermann, auch das geistige Haupt, unwiderstehlich“.218

4.8. Wolf von Niebelschütz: „Eulenspiegel in Mölln“219 (1950)

Wolf von Niebelschütz220 (1913, Berlin – 1960, Düsseldorf) entstammte einer schlesischen Adelfamilie, besuchte die Eliteschule in Schulpforta (die auch Friedrich Nietzsche besuchte) und studierte anschließend Geschichte und Kunstgeschichte in Wien und München. Bevor er 1940 zur Wehrmacht eingezogen wurde, arbeitete er als Kunstkritiker bei verschiedenen Zeitungen und veröffentlichte auch einige eigene Gedichte. Sein Hauptwerk, der Roman „Der blaue Kammerherr“ (1949) entstand ab 1940. Niebelschütz erfüllte tagsüber seine Pflichten als Soldat und wandte sich in seiner Freizeit der literarischen Arbeit zu. „Der blaue Kammerherr“ sowie auch sein zweiter Roman „Die Kinder der Finsternis“ (1960) zeugen von einem Bedürfnis der Kriegs- und Nachkriegszeit eine poetische Kunstwelt entgegenzusetzen. Niebelschütz entwirft märchenhafte Geschichten, die Anfang des 18. und im 12. Jahrhundert angesiedelt waren. Um sich zu erhalten, übernahm Niebelschütz Auftragsarbeiten, z.B. auch Firmengeschichten. Er verfasste drei wenig erfolgreiche Dramen, darunter auch „Eulenspiegel in Mölln“, ebenso eine Auftragsarbeit. Er starb 1960 in Düsseldorf nach einer Gehirntumor- Operation. Die Komödie „Eulenspiegel in Mölln. Komödie in einem Aufzug“ entstand 1950 im Rahmen der „Festspiele des Nordens“.221 Die Stadt Mölln feierte in diesem Jahr den 600.

217 Ebda, S. 68 218 Ebda, S. 87. 219 Wolf von Niebelschütz: Eulenspiegel in Mölln. Komödie in einem Aufzug. In: W.v.N. Gedichte und Dramen. Hrsg. von Ilse Niebelschütz. Düsseldorf, Köln: Diederichs 1962. S. 380-451. 220 Zur Biografie von Wolf von Niebelschütz: Vgl. Reclams Lexikon deutschsprachiger Autoren. 2. akt. u. bearb. Aufl. Stuttgart: Reclam 2006. (=RUB. 17664) S. 133,134; Marius Fränzel: Wolf von Niebelschütz (1913- 1960) Online: URL: http://buch.germanblogs.de/archive/2006/08/20/eq6paay2egjk.htm [Stand: 2012-10-31] 221 Niebelschütz, 1962, S. 380.

57 Todestag von Till Eulenspiegel, man bezog sich dabei auf die Erwähnung in Botes Weltchronik zum Jahr 1350. Zum Zweck dieses Jubiläums wurde ein Theaterstück in Auftrag gegeben, Carl Zuckmayer lehnte ab, Niebelschütz konnte einspringen.222 Seine Komödie bezieht sich direkt durch den Handlungsort „Marktplatz von Mölln“ und durch die zeitliche Einordnung des Prologs in die „Gegenwart“ und der Komödie selbst im 14. Jahrhundert, auf dieses Jubiläum. Die Komödie wurde einzig im Rahmen dieser Festspiele aufgeführt, erzielte kaum Erfolg und ist auch in der Eulenspiegel-Forschung kaum beachtet.

Inhalt : Im Prolog widerfährt einem Bürger der Gegenwart in der Nähe der Eulenspiegel-Statue am Marktplatz von Mölln ein Missgeschick, sein Hut fliegt ihm vom Kopf und direkt auf die Exkremente eines Hundes. Für dieses Missgeschick wird die Statue Tills verantwortlich gemacht, man hört sein Lachen. Eulenspiegel ersteht wieder auf und führt Mölln zurück in die Zeit vor sechshundert Jahren. Die eigentliche Komödie handelt von den letzten Tagen Eulenspiegels. Er erkennt seine Mutter in einer Marktfrau wieder und wird Bürgermeister. Er stirbt schließlich lachend über einen Scherz und hinterlässt ein Testament, das auch nach seinem Tode für Ärger sorgt.

Ähnlich wie Kuckhoff versucht auch Niebelschütz die Historien über Eulenspiegel in einen kohärenten Erzählzusammenhang zu bringen, er legt allerdings, im Gegensatz zu Kuckhoff, der die ganze Lebensgeschichte Eulenspiegels erzählen will, einen Schwerpunkt auf spätere Historien rund um den Tod Eulenspiegels in der Schwanksammlung. Er verwendet für den Zeitraum des Bühnengeschehens die Historien 26, 87 und 90 bis 95, andere Historien, wie z.B. jene des Seiltanzes (H.3, aber auch H. 89, 34, 29) werden im Stück durch Rückwendungen mit der Handlung verknüpft.

Historie 87, in der Eulenspiegel in der Schwanksammlung eine Marktfrau dazu überreden kann ihre Ware zu zerschlagen und darüber eine Wette mit einem Bischof eingeht, hat im Stück von Niebelschütz zentrale Funktion. Indem er die Figuren Marktfrau und Mutter zu ein und derselben Figur macht, kann er die Figur der Mutter sowie die Figur des Bischofs, beide zentrale Figuren der Komödie, in die Komödienhandlung einführen. In der Schwanksammlung erfährt man über Eulenspiegels Verhältnis zu seiner Mutter kaum Positives, in H. 3 ist sie es, die als Strafe für Eulenspiegels Streiche und seinen Unwillen ein Handwerk zu lernen, das Seil durchschneidet, auf dem er gerade tanzt und ihn in den Fluss stürzen lässt. Der Besuch einer Kirchweihe in H. 9 ist das letzte Ereignis, in dem die Mutter erwähnt wird, dann taucht sie erst wieder in H. 90 auf, sie besucht den kranken Eulenspiegel im Krankenhaus von Mölln und

222 Vgl. Hans-Edwin Friedrich: Der tödliche Ernst des Narren. Zur Rezeption des 'Ulenspiegel' in der Komödie 'Eulenspiegel in Mölln' von Wolf von Niebelschütz. In: vorschen, denken, wizzen. Vom Wert des Genauen in den 'ungenauen Wissenschaften'. Festschrift für Uwe Meves zum 14. Juni 2009. Hrsg. von Cord Meyer, Ralf G. Päsler, Matthias Janßen. Stuttgart: Hirzel 2009. S. 203.

58 verlangt etwas von seinem Hab und Gut, bevor er stirbt. Eulenspiegel legt seine Mutter auch am Sterbebett herein, indem er sie beim Wort nimmt. Niebelschütz charakterisiert Eulenspiegels Verhältnis zur Mutter als ambivalent, sie selbst ist nicht auf den Mund gefallen, sein Witz sei in erster Linie „Mutterwitz. Meine Grobheit ihre Grobheit“223. Nach ihrer langen Abwesenheit fragt er sich: „Ich misstraue. […] Soll ich jetzt Gefühle heucheln?“224 Aber Gefühle zu zeigen fällt ihm schwer, Anzeichen einer Krankheit, die am Ende des Stückes für seinen Tod verantwortlich ist, werden gleich im Anschluss angedeutet und Eulenspiegel kann so dem Gefühlsausbruch ausweichen.225 Eulenspiegel ist am Ende seines Lebens immer noch Schalksnarr, er ist eigensinnig, macht sich nicht abhängig und bedient sich des Wörtlich- Nehmens sowie einer teilweise fakälen Komik. Durch das Weglassen der einschlägigen Historien ist diese Komik in diesem Stück stark abgeschwächt. Vor allem ist der Eulenspiegel bei Niebelschütz gesellschaftskritisch. Er wendet sich in kleineren und größeren Anspielungen in erster Linie gegen Adel und Kirche. Weil die Ratsherren sich bis zur Ankunft des Bischofs nicht auf die Bestellung eines neuen Bürgermeisters einigen konnten und sich der Bischof Eulenspiegel gegenüber positiv geneigt zeigt, bestellen sie Eulenspiegel zum neuen Bürgermeister. Als er jedoch auf seine Pflichten aufmerksam gemacht wird, besteht er nur auf seine neuen Rechte: „Und niemand hat das Recht, mich dem Rechte der freien Rede und der langen Rede, der ellenlangen Rede, zu behindern.“226 Und gleich im Anschluss schafft er alle Steuern ab und befreit eine Frau von den Begräbniskosten für ihren Mann.

DIE FRAU. Mein Mann ist tot, und das Begräbnis kostet. Ich hab das Geld nicht. TILL. Braucht ihr nicht zu haben. Es grenzt an Schweinerei, wenn Pfaff und Kirche Noch aus der Erde sich Dukaten schinden. Das ändern wir.227 Er hält als Bürgermeister eine Rede, in der er auch eine Anspielung auf H. 63 der Schwanksammlung macht; er als Brillenmacher macht schlechtes Geschäft, weil Adel und Paffen viel weniger lesen:

TILL. Der Zoll muss fort. Gerechtigkeit muss her. Gerechtigkeit! Oh ja! Gerechtigkeit! Ist eine schöne Sache, und ich lieb sie. Ich traf einmal den Erzbischof von Trier, bei Frankfurt wars, in Friedburg ganz genau, Der sprach mich an und fragte, was ich treibe.

223 Niebelschütz, 1962, S. 391. 224 Ebda. 225 Ebda, S. 391f. 226 Ebda, S. 418. 227 Ebda.

59 Ich bin ein Brillenmacher, sagt ich, Herr, Hier seht, die schöne Brille, und in Brabant, Von wo ich komme, find ich keine Arbeit, Ich find sie nirgends. - I! wie das, mein Freund? - Sehr einfach, Kurfürstliche Gnaden, leider. In frühren Zeiten lasen die Regierer, Wenn Ihrs nicht übel aufnehmt, jeden Tag Bis spät zur Nacht in ihren Rechts-Pandekten, Und das verdirbt die Augen. - Er versetzt: Je nun, was solls? - Und ich darauf: Herr Kurfürst, Sag ich, kennt Ihr wohl einen Kurfürst, Herzog, Nur einen Grafen, König, Erzbischof, Der Brillen trägt? es trägt der Kaiser selber Kein Augenglas, da liegt der Has' im Pfeffer. Das Recht will Tag um Tag studiert sein, fleißig Den Kopf gebeugt, denn eher wirds nicht anders, Eh nicht der Staat, will sagen, all die vielen, Von unermeßlicher Bedeutungsschwere Geblähten deutschen Kleckerländchen alle In Brillen gehen – ein ganzes Volk in Brillen! (Der Tod nimmt ihm von rückwärts die Brille von der Nase.) Gibst du die Brille her? wer wagt es, he!? (Eh! Hilfe! Einen Doktor! Der Tod zieht ihn ins Fenster und zu Boden.)228

Gleich darauf lässt der Bischof einen anderen Bürgermeister wählen und rügt die Amtsherren für ihre Dummheit Eulenspiegel zum Bürgermeister gewählt zu haben. Eulenspiegel habe es sich verscherzt229, ähnlich wie bei Felix Braun scheitert der Versuch, dem Schalksnarren die Macht zu geben, am Machtrausch Eulenspiegels. Auch er kann als Machthaber nur Schlagworte von sich geben, und steht letztendlich angesichts dieses Experimentes als ambivalenter Charakter da. Er kritisiert zwar die Gesellschaft, will aber nicht die Verantwortung für deren Veränderung übernehmen, denn „[...] nichts liegt dem Narren ferner, als die Welt zu verbessern. Allenfalls stellt er sie auf die Probe.“230

Im Angesicht seines nahenden Endes zeigt Eulenspiegel aber, in der Schwanksammlung ebenso kurz angedeutet (vgl. H. 89), Einsicht und Reue:

TILL. Für zwei Minuten, Mutter, war ich eitel Und glaubte Macht und sonstwas zu haben Und, richtig: Ehre – da, am Fenster oben. Jetzt muss ich sehen, wie ich in den Himmel Auf einem möglichst krummen Weg mich stehle.231 Auch bei Niebelschütz ist Eulenspiegel bereits vor der Handlungszeit des Stückes bekannt, es

228 Vgl. ebda, S. 420. 229 Vgl. ebda, S. 423. 230 Dolf Sternberger: Der Narr und der Weltlauf. In: Dolf Sternberger: Figuren der Fabel. Essays. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1970. S. 23. Zit. nach: Friedrich, 2009, S. 214f. 231 Niebelschütz, 1962, S. 425.

60 wurde ein Haftbefehl gegen ihn ausgestellt. Durch die Geschichte mit der Marktfrau kann er aber die Sympathie des Bischofs wecken, er verrät ihm, wie sein Trick funktioniert hat und wird so durch den Bischof frei gesprochen. Auch legt Niebelschütz die Anekdote von Eulenspiegels Testament und Hinterlassenschaft bereits am Anfang des Stückes durch dramaturgische Klammerung an, hier deutet Eulenspiegel an, dass die Leute alle denken würden, er sei reich.232

Bereits im Prolog angedeutet, zeichnet Niebelschütz in seinem Stück das Bild des „ewigen Narren“233; Eulenspiegels Geist ist im kollektiven Gedächtnis der (Möllner) Bevölkerung auch nach 600 Jahren noch anwesend. Die Statue vom Eulenspiegel will gegrüßt sein, er gilt als „eine Art Ortsheiliger […] sonst spielt er Schabernack, Denn he lewet noch, de ole.“ 234 Wie in der Schwanksammlung die Testamentsverkündung und Verteilung seiner angeblichen Hinterlassenschaften erst vier Wochen nach seinem Tod vollzogen werden sollen, schafft es auch der Eulenspiegel bei Niebelschütz dadurch die Bevölkerung, vor allem seine Mutter und die Kirche noch nach seinem Tode zum Narren zu halten. Ebenso verwendet Niebelschütz das Motiv der Kinder Eulenspiegels. „Eine Masse Enkelkinder stolpert Euch in Mölln herum.“235 So wird jeder Einwohner von Mölln sinnbildlich zu einem potentiellen Nachfolger Eulenspiegels. Niebelschütz führt dies auch noch weiter, indem er Eulenspiegel im Epilog dem Publikum der Gegenwart den Spiegel vorhalten lässt, wobei er auch die gesellschaftskritische Absicht Eulenspiegels nochmals betont:

TILL. […] Was heißt Euch Narr? Hanswurst? ein Gaukelspieler? O gute Nacht. Gutnacht. Ihr seid nach Mölln Um Hopsassa und Albernheit gekommen? Da sitzt ihr nun, verschreckt. Ein böser Kerl, Der weinen möchte, sagt Euch gute Nacht: […] (Rücklings am Geländer, hält den Spiegel zum Publikum). Der Witz hat hundert Augen, hinten, vorne. In jede Falte spähend, sieht er Euch. Auch Euer Schönes. Ja, recht schön. Zu schön. Ganz wunderschön. Mein Spiegel wird mir blind. (Wischt ihn am Hosenboden, ist fort. Aus der Ferne Eulenruf.) ENDE236

232 Vgl. ebda, S. 393. 233 Clemens Lugowski: Die Form der Individualität im Roman. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1976. S. 49. Zit. nach: Friedrich, 2009, S. 209. 234 Niebelschütz, 1962, S. 382. 235 Ebda, S. 392. 236 Ebda, S. 451.

61 4.9. Alexander von Bernus: „Spiel um Till Eulenspiegel“237 (1951)

Alexander Freiherr von Bernus238 (1880, Aeschach bei Lindau - 1965 Schloss Donaumünster) wurde als Säugling vom Bruder seiner Mutter, Friedrich Alexander Freiherr von Bernus (1838– 1908), und dessen Frau adoptiert. Seine ersten Lebensjahre verbrachte die Familie in Manchester, England, später zog sie nach Heidelberg, wo Bernus das Gymnasium besuchte. Das in der Nähe von Heidelberg gelegene Stift Neuburg war lange der Wohnsitz der Familie Bernus, dorthin konnte Bernus bis 1926 befreundete Schriftsteller und Künstler, wie Else Lasker-Schüler, Alfred Kubin, Ricarda Huch, Stefan Zweig, Stefan George und andere Mitglieder des George-Kreises, die er in der Zeit von 1902 bis 1905 als Herausgeber der Zeitschrift „Freistatt“ kennen gelernt hatte, einladen. Ab 1907 studierte Bernus in München Literaturwissenschaft und Philosophie, später auch Chemie und Medizin und ebenfalls in Jahr 1907 gründete er, gemeinsam mit Will Vesper, die „Schwabinger Schattenspiele“, wo er neben Stücken der deutschen Romantik auch eigene inszenieren konnte. Ab 1916 wendete er sich zunehmend anthroposophischen Gedanken zu, und gründete die Zeitschrift „Das Reich“, an der unter anderem auch Rudolf Steiner, dem Bernus Zeit seines Lebens freundschaftlich verbunden war, maßgeblich mitwirkte. 1921 errichtete er ein eigenes Laboratorium, in dem er Experimente zur Herstellung spagyrischer Heilmittel machte, und hinterließ eine umfangreiche Sammlung alchemistischer Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zog sich Bernus zurück: „Ich selbst betäubte mich während jener Zeit in völliger Abgeschiedenheit mit dichterischer Arbeit, immer gegenwärtig, von der Gestapo festgenommen zu werden...“239 Nach der Herausgabe eines Gedichtbandes wurde er scharf kritisiert, Bernus wurde zu einem sog. „unerwünschten Autor“ und schließlich 1943 aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen.240 Kurz davor konnte er noch das Stück „Spiel um Till Eulenspiegel“ erstveröffentlichen, das er 1951 in einer wenig veränderten Form neu herausgab. Bereits während des Zweiten Weltkrieges zog sich Bernus mit seiner dritten Frau und deren Tochter auf das Schloss Donaumünster bei Donauwörth zurück, wo er bis an sein Lebensende wohnhaft blieb. Er hinterließ ein umfangreiches Werk, Dramen, Erzählungen und

237 Alexander von Bernus: Spiel um Till Eulenspiegel. Nürnberg: Carl 1951. 238 Zur Biografie von Alexander von Bernus: Vgl. Killy, 1988-92, S. 472; Alexander von Bernus. Ausstellung vom 22. Mai bis 4. Juli 1980. Hrsg. von Marina Amster, Michael Engel. Berlin: Universitätsbibliothek Freie Universität. (= Ausstellungsführer der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin. 2.); Mario Zadow: Alexander Baron von Bernus. Online: URL: http://biographien.kulturimpuls.org/detail.php?&id=66 [Stand: 2012-10-31] 239 Zit. nach: In Memoriam Alexander von Bernus. Ausgewählte Prosa aus seinem Werk. Hrsg. von Otto Henschele. Heidelberg: Lambert Schneider 1966. S. 9. 240 Vgl. ebda.

62 Lyrik, „beeinflusst von neuen Bewegungen Anfang des Jahrhunderts, die mit Theosophie, Anthroposophie, Okkultismus, Mystik, Esoterik, alternativen Lebensformen dem als unmenschlich empfundenen Rationalismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts etwas gänzlich Andersartiges gegenüberstellen wollten.“241

Das „Spiel um Till Eulenspiegel“, in der Fassung von 1951 erzählt in 15 Episoden oder „Spielen“242 aus dem Leben Eulenspiegels von seinem Auszug von Zuhause bis zu seinem Begräbnis. An den Anfang gestellt ist die Darstellung der „Berufung Eulenspiegels“243. Von der Göttin Fama (röm. Gottheit des Ruhmes) und dem Götterboten Hermes (griech. Schutzgott u.a. der Reisenden) wird ein an einem Wegrand Schlafender auserwählt, um, gerüstet mit Eule und Spiegel, der Menschheit zu zeigen, wie sich die Welt (ins Negative) gewandelt hat:

GÖTTIN FAMA: Da drüben seh ich Einen ruhn und seine Zeit mit nichts vertun, als sei das Leben blauer Dunst. Ihm schenk ich meine nächste Gunst. Zwar ist er nichts als ein Vagant, Ich aber mach ihn weltbekannt. […] so aber ist er bloß ein Narr auf einem lahmen Scheckenpferd, der alles falsch macht und verkehrt, denn was er immer denkt und tut geschieht nicht mehr aus seinem Blut. Kein Ganzes mehr wie der Kentauer, nur auf dem lahmen Scheck ein Bauer so reitet er durchs Land dahin und sucht nach dem verlornen Sinn von Stadt zu Stadt, von Haus zu Haus. Stets führt er alles wörtlich aus und wird gescholten von den Leuten, denn auch die Worte, sie bedeuten schon längst nicht mehr das Wesensgleiche, und so begeht er Streich auf Streiche und spielt mit dem Schicksal Ball. Wer niedrig steht, kommt nicht zu Fall von Höhen oder Thronesstufen. Zu krausem Ruhm bist du berufen als Einer, der zu spät, zu frühe ins Leben kam. Nun, Schalksnarr, mühe dich ab und bleibe immer du! […] HERMES (die Hand in Richtung des Schlafenden ausstreckend.)

241 Ebda. S. 3. 242 Bernus, 1951, S. 7. 243 Ebda, S. 9-14.

63 Es sei! Empfange was zuvor der Mensch besaß und dann verlor, was einmal war und nicht mehr ist. Zieh hin, ein eingeweihter Tor mit innerem Aug und innerem Ohr, doch ohne Wissen, dass dus bist, kein Heide mehr und auch kein Christ. Als Seher rückgewendet weit halt deinen Spiegel vor die Zeit, zeig ihr darinnen ihr Gesicht und das, woran es ihr gebricht.244

Bernus' Charakterisierung des Till Eulenspiegel ist hier bereits der Handlung vorweggenommen und deutlich ausformuliert. Eulenspiegel handelt, im Gegensatz zur Schwanksammlung, ähnlich wie in Adam Kuckhoffs „Till Eulenspiegel“ nicht eigenständig, sein Charakter und sein Handeln sind hier von vornherein von einer äußeren Kraft bestimmt. Er bekommt auch Eule und Spiegel, in der Schwanksammlung nur symbolisch verwendet, mit auf den Weg, um durch Streiche und durch das Wörtlich-Nehmen von Befehlen der Gesellschaft ihre Missstände vorzuführen. Er handelt so aber unbewusst, seine Passivität drückt sich z.B. schon in der Darstellung seines Auszuges aus: der Vater will den Zwanzigjährigen hinauswerfen, weil bei einem Streich dessen Großmutter zu Schaden kam. Er selbst will aber eigentlich nicht fortgehen.245

Die Eigenschaft Befehle und sprichwörtliche Redensarten wörtlich zu nehmen ist allerdings im vorliegenden Stück dialogisch nicht ausführlich ausgearbeitet. Historien, in denen Eulenspiegel der Schwanksammlung durch Wörtlich-Nehmen Schaden anrichtet, werden in Bild 9: „Wie Eulenspiegel alles verkehrt macht und deshalb angeklagt wird“246 zwar kurz abgehandelt, liegen aber der Handlungszeit des Stücks bereits voraus. Ein Schneider bringt die Klage vor, Eulenspiegel habe seinen Stoff verdorben, indem er Wölfe daraus schnitt (vgl. H. 48), und ein Barbier meint, bei ihm sei er durchs Fenster gegangen und er hätte ein Messer unbrauchbar gemacht, weil er es am Rücken und an der Schneide gleichermaßen geschliffen hätte (vgl. H. 74). Allen diesen Schäden gingen Befehle voraus, die Eulenspiegel wörtlich umgesetzt hat. Im Stück selbst spricht Eulenspiegel zwar auch selbst von dieser seiner Eigenschaft, setzt sie aber auf der Bühne nie um. Auch sonst hat Bernus jegliche Bösartigkeit oder Schadenfreude der Figur getilgt. Zentral ist die Schilderung der Krankenschwester an seinem Totenbett:

244 Ebda, S. 10-12. 245 Vgl. ebda, S. 13-19. 246 Vgl. ebda, S. 121-131.

64 DIE ALTE BEGUINE (auf Eulenspiegel deutend) „Der da auch war so ein Streuner, ritt auf einem lahmen Scheck, eine Eule auf der Schulter, einen Spiegel in der Hand, zog er jahrlang, ein verschrullter Schalksnarr durch das ganze Land. Spielte Vielen schlimme Streiche, man besprach und kannte sie in dem ganzen Deutschen Reiche, aber Schlechtes tat er nie.“247

Dieses Konzept zeigt sich auch in seinem Handeln als Herzog. Er will nur Gutes tun und spricht Angeklagte frei. Letztendlich verzichtet er auch auf die Position als Herzog, die ihm dieser nach einer Wette versprochen hat. Er fühlt sich durch die Herrscherpflichten eingeengt und findet das Herzogsleben zu eintönig. Er will lieber frei sein, und bittet auch höflich darum.248 Dieses Bild ist im Vergleich zu den anderen an Seitenzahlen bei Weitem am längsten, und steht zentral als siebentes Bild von insgesamt 15.

Bernus verwendet einerseits Historien aus dem Schwankbuch, erfindet aber auch eigene Geschichten. Episode 4 variiert einen Ausschnitt aus H. 32; Eulenspiegel zerstört eine Brücke und kann so seine Verfolger loswerden.249 Episode 5 behandelt als Ganzes jene Historie (H. 27), in der Eulenspiegel ein Bild vorführt, auf dem nichts zu sehen ist.250 H. 38 (Eulenspiegel beichtet bei einem Pfarrer und erpresst ihn später mit dem Beichtgeheimnis um ein Pferd) und die Universitäts-Historie (H. 28) kommen ebenfalls zu einer ganzen Episode umgearbeitet vor.251 Bei Eulenspiegels Begräbnis ist es allerdings ein Eber, nicht Sau und Ferkel (vgl. H. 93), die Eulenspiegels Sarg umwerfen.252 Bernus' Auseinandersetzung mit Alchemie kommt zum Tragen, als Eulenspiegel einem Alchemisten und dessen Lehrling begegnet. Im Alchimisten hat er laut Bildtitel „seinen Meister gefunden“, dieser sagt ihm voraus, dass er in 1000 Jahren immer noch am selben Ort sein würde.253 Eulenspiegel trifft in Episode 13 auch auf den Rattenfänger von Hameln, den er kritisiert, weil er durch seinen „verwunschnen Gesang“254 nicht nur Mäuse, sondern auch junge Mädchen aus den Dörfern lockt.255

247 Ebda, S. 181-182. 248 Vgl. ebda, S. 117-118. 249 Vgl. ebda, S. 21-35. 250 Vgl. ebda, S. 37-45. 251 Vgl. ebda, S. 133-139. 252 Vgl. ebda, S. 181-183. 253 Vgl. ebda, S. 155. 254 Vgl. ebda, S. 170. 255 Vgl. ebda, S. 163-170.

65 Das Stück spielt laut Nebentext "im sechshundertsten Todesjahr Till Eulenspiegels"256, ein Bezug zur Gegenwart; die Figuren und das Setting rund um Eulenspiegel scheinen aber dennoch der Vergangenheit anzugehören. Nach dem Begräbnis fühlt sich der Totengräber dazu berufen, „fortan ein Narr“257 zu sein. Bernus stellt hier also auch einen ewigen Narren dar. Es scheint beliebig, wer von den Göttern dazu bestimmt wird ein „Eulenspiegel“ zu sein, er bleibt „doch derselbe jetzt und einst.“258

4.10. Werner Schneyder: „Till bevor er hing“259 (1963)

Werner Schneyder260, geboren 1937 in Graz, legte mit dem Schauspiel „Till bevor er hing“ 1963 seinen Bühnenerstling vor. Die Uraufführung fand am 27.4.1963 im Landestheater Salzburg statt.261 Der Autor, Kabarettist und Sänger studierte in Wien Kunstgeschichte und Publizistik; bevor er sich 1965 selbständig machte, arbeitete er als Dramaturg in den Landestheatern Salzburg und Linz, als Werbetexter, Journalist und Sänger. Er verlegte seinen Wohnsitz nach München und war als Journalist und Sprecher vor allem im deutschen Rundfunk und Fernsehen tätig. Für seine Kabarett-Programme erhielt er zahlreiche Auszeichnungen in Deutschland und Österreich. Sein literarisches Werk umfasst neben Erzählungen, Gedichten und Satiren auch eine Erich Kästner-Biografie.262 Zurzeit lebt Schneyder in Wien und Kärnten.

Inhalt: Eulenspiegel und sein Begleiter Lamm sind schon lange unterwegs, wegen Eulenspiegels Streichen werden sie gesucht. Als Till auf einem Marktplatz eine Schlägerei anzettelt, wird durch ein Missgeschick Lamm verhaftet. Er wird als Begleiter Eulenspiegels erkannt und ihm werden dessen Streiche vorgehalten. Eulenspiegel gibt sich zu erkennen, wird an seiner Stelle festgenommen und hingerichtet.

Schneyder erzählt in neun Bildern in tragikomischer Weise vom Ende Till Eulenspiegels. Der Narr, erkenntlich gemacht durch Narrenkappe und daran hängenden Schellen, und sein Begleiter haben die beste Zeit hinter sich, sie werden bereits im ganzen Land gesucht und wissen nicht, wo sie noch bleiben können, ohne festgenommen zu werden. Werner Schneyder stellt dem Schauspiel im Nebentext folgende Charakterisierung der Figur Eulenspiegels voran.

„Till Eulenspiegel ist dreißig bis vierzig Jahre alt. Seit fünfzehn Jahren zieht er mit Lamm durch das Land. Er ist mittelgroß, schlank und gelenkig. Sein

256 Ebda, S. 5 257 Ebda, S. 183. 258 Ebda, S. 12. 259 Werner Schneyder: Till bevor er hing. Schauspiel. Reinbek: Rowohlt-Theater-Verlag 1963. 260 Zur Biografie von Werner Schneyder: Vgl. W. S.: Selberdenken ist auch eine Möglichkeit. Im Gespräch mit Gunna Wendt. Freiburg u.a.: Herder 1995. (=Herder Spektrum. 4412.) 261 Vgl. Schneyder, 1963, S. 2. 262 Werner Schneyder: Erich Kästner. Ein brauchbarer Autor. München: Kindler 1982.

66 Gesicht ist spitz. Sein Mund unruhig. Er ist immer heimlich erregt. Manchmal ist er ruhig, aber nie gelassen. Er ist echter und komödiantischer Steigerungen fähig, deren Konturen sich verwischen. Seine Eitelkeit lässt durchscheinen, dass seine Zeit alt wird und zu Ende geht. Der Übergang von Spiel zu Nichtspiel liegt oft zwischen Wort und Wort.“263 Während in den ersten Bildern ihre Täuschungsmanöver noch funktionieren und reichlich Verkleidungs- bzw. Situationskomik bieten, wird nach und nach absehbar, dass sie nicht mehr lange damit durchkommen werden. Bereits in Bild 2 muss Eulenspiegel, um ihnen die Flucht zu ermöglichen, seine Narrenkappe opfern. Ein Gespräch in Bild 3 zwischen Eulenspiegel und Lamm ist bereits von Zweifeln geprägt, TILL: „Mir ist nichts besseres eingefallen [außer die Kappe wegzugeben, Anm.] (Pause) Als Mensch bin ich noch ganz. Als Schalk bin ich ein Krüppel.“264 Weil er sich aber einreden kann, dass nicht sie selbst, sondern die Gesellschaft, für ihr Scheitern verantwortlich ist, überwindet er seine Zweifel und kommt wieder zu Kräften. Er zettelt hinterlistig eine Prügelei an, bei der aber, nicht von ihm beabsichtigt, Lamm verhaftet wird. Eulenspiegel wohnt der Verhandlung bei, die Lamm gemacht wird. Er fühlt sich durch Vorwürfe die Lamm im Laufe der Verhandlung gemacht werden herausgefordert sich zu offenbaren und wird festgenommen. Die zwei Versuche sich aus der Gefangenschaft und vor dem Galgen zu retten funktionieren bei Schneyder nicht mehr. Eulenspiegel will fliehen, indem er allen einredet, er könne fliegen und würde es vorzeigen. Weil ihm das Gericht nicht glaubt und meint, er würde sich beim Versuch sowieso das Genick brechen, darf er den Beweis antreten. Während er in der Schwanksammlung (vgl H. 14) aber das Volk vorführt, weil es ihm geglaubt hat, springt er hier wirklich, fällt aber unglücklich und wird wieder gefasst.265 Danach, als er bereits am Galgen auf seine Hinrichtung wartet, wird ihm, wie in H. 58, eine letzte Bitte gewährt. TILL: „Mein letzter Wille ist, dass am ersten, zweiten und dritten Tage nach meinem Tode, die drei Ratsherren auf den Galgenhügel kommen und mich am blassen, kalten, nackten Arsch lecken!“266 In der Schwanksammlung, wie auch in einigen bereits erwähnten Komödien, kann sich Till durch diesen Wunsch vor dem Galgen retten. Die Ratsherren bei Schneyder lassen sich allerdings nicht beeindrucken, sie gehen auf seinen letzten Wunsch tatsächlich ein und Eulenspiegel wird hingerichtet.

Die Anordnung des Schauspiels in Bildern erinnert an die Historienordnung der Schwanksammlung. Bei Schneyder schwankt Eulenspiegel zwischen seinen Absichten, zwischen Motivation und Resignation und erlebt, den Bilden übergeordnet, eine Entwicklung.

263 Ebda, S. 6. 264 Ebda, S. 25. 265 Vgl. ebda, S. 71f. 266 Ebda, S. 83

67 Seine Motivation ist unmittelbare Rache, ebenso aber der Wunsch die Gesellschaft vorzuführen und sie zu ändern. Die Figuren, denen er begegnet sind durch Schneyder, ähnlich der Schwanksammlung typisiert. Es sollen laut Nebentext immer drei gleiche Schauspieler die Figurengruppen, die Eulenspiegel und Lamm begegnen, darstellen (3 Büttel, 3 Kartenspieler, 3 Schauspieler, 3 Bürger, 3 Richter, 3 alte Männer, 3 Ratsherren267), was die Austauschbarkeit dieser Typen betont. Als Typen und Gegenspieler Eulenspiegels bekommen sie aber auch unheimliche Eigenschaften: „Die Masken der drei wiederkehrenden Personen sind karikiert. Sie verlieren aber auch in der gesteigerten Parodie nicht den Ausdruck der Gefährlichkeit.“268 Auch das Altern Eulenspiegels wird in diesem Schauspiel thematisiert. Eulenspiegel muss sich fragen, ob seine Narrenkappe auch auf weißem Haar noch gut aussieht.269

Anfang der 60er scheint ein positives Ende für Till Eulenspiegel nicht mehr möglich. Die Figur Lamm betont im Laufe des Stückes immer wieder: „früher war alles besser, da war der Schalk noch geschätzt.“ Sichtermann stellt fest:

„Till leidet am Widersinn menschlichen Handelns, das verleitet ihn zu dauernden Herausforderungen seiner Umwelt. Doch Eulenspiegel ist hier ein melancholischer Rebell. Er zeiht zwar Einsicht und Erkenntnis aus den Reaktionen der Masse, verbraucht sich aber frühzeitig im Kampf mit der Dummheit und Bosheit der Menschen. […] Till ist müde geworden, er wird wie jeder große Individualist von Zweifeln an sich selbst geplagt, er sieht sich auf den Fluchtweg gedrängt. Gehaßt von der Menge, geht Till einsam seinen bitteren Weg zu Ende und leistet mit seinem Tod am Galgen dem Weggefährten Lamm einen letzten Dienst.“270

267 Vgl. ebda, S. 5. 268 Ebda, S. 9. 269 Vgl. ebda, S. 30. 270 Sichtermann, 1982, S. 311.

68 5. Zusammenfassung

Die Eulenspiegelfigur der spätmittelalterlichen Schwanksammlung ist durch den formalen Aufbau des Textes in einzelne, voneinander unabhängige Historien geprägt. Sie folgt keiner Entwicklung, und steht so einem dynamischen Figurenverständnis mit charakterlicher Entwicklung entgegen. Der anekdotenhafte Aufbau lässt viel Spielraum zur Interpretation der Figur. So kommt es dazu, dass die unzähligen Bearbeiter und Interpreten der Figur einzelne Charakteristika der ursprünglichen Eulenspiegelfigur aufnehmen und dadurch charakterliche Schwerpunkte setzen. Einige Aspekte der ursprünglichen Vorlage wurden im Laufe der Rezeptionsgeschichte des Stoffes weggelassen, einige wurden der Eulenspiegelfigur zusätzlich angedichtet.

Zentrale Aspekte der spätmittelalterlichen Schwanksammlung sind, wie in der Figurenanalyse (vgl. Kap. 2.4.) ausführlicher dargestellt, Eulenspiegels Wandertum, sein Außenseiterstatus, das Motiv der Anpassung durch Verkleidung bzw. Vortäuschung einer fiktiven Identität und Schadenfreude, Freude an der Bösartigkeit und Rache als Beweggründe für Eulenspiegels Handeln. Komische Mittel sind einerseits der Wortwitz, insbesondere das Wörtlich-Nehmen, andererseits Eulenspiegels fäkale, oft brutale und bösartige Komik. Sie dienen in fast allen Historien dazu, Eulenspiegel als Überlegenen aus der Konfrontation mit einer sozial höhergestellten Figur hervortreten zu lassen und dessen Fehlverhalten oder Fehler innerhalb des herrschenden sozialen Systems kritisch zu beleuchten.

Auch nach mittlerweile fast fünfhundert Jahren seit Erscheinen der Schwanksammlung, hat sich die Figur Eulenspiegel im Gedankengut der deutschsprachigen Bevölkerung erhalten. Bollenbeck spricht aber in diesem Zusammenhang von einer Diskrepanz im Rezeptionsvorgang zwischen der tatsächlichen Figurenadaption und der Rezeption der ursprünglichen Schwanksammlung.271 Eulenspiegel hat sich im Laufe der Jahre, nach unzähligen Drucken und Bearbeitungen von jener Eulenspiegelfigur, wie sie ursprünglich in der Schwanksammlung vorkommt, abgelöst. (Vgl. Kap. 3.1.) Seit Anfang des 19. Jahrhunderts kam, wenn auch nur am Rande des Literaturkanons, wieder Interesse an der Eulenspiegelfigur auf, nachdem sie in den vorausgegangenen zwei Jahrhunderten kaum bearbeitet bzw. dramatisiert worden war.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird Eulenspiegel in eine Possentradition gestellt.

271 Vgl Bollenbeck, 1985, S. 251-281.

69 August von Kotzebue (1806), Matthäus Stegmayer (1808) und Johann Nepomuk Nestroy (1835) scheinen in ihren Stücken die Figur aufgrund ihrer bewährten Beliebtheit zu verwenden. Kotzebue verwendet dabei Eulenspiegel als possenhafte Dienerfigur und übernimmt aus der Schwanksammlung nur das Motiv des Wörtlich-Nehmens als komisches Mittel. Matthäus Stegmayer dagegen verwendet für seine Eulenspiegelfigur sehr wohl die zentralen Figurencharakteristika der Schwanksammlung, Eulenspiegel als Wandernder und Außenseiter, der durch seine Streiche Missstände in der Gesellschaft verändern will. Stegmayer übernimmt sogar eine Historie aus der Schwanksammlung, die Nestroy allerdings in seiner Bearbeitung des Stückes wieder tilgt. Im Mittelpunkt der letztgenannten Stücke steht ein positiver Eulenspiegel, der als „harmloser Spaßmacher“ (vgl. Kap. 3.2.) gerne gesehener Gast ist. Zentrales komisches Mittel ist die Verkleidungskomik, durchaus in der Schwanksammlung vorgezeichnet durch Eulenspiegels Eigenschaft, ständig neue Rollen zu übernehmen. In allen drei Komödien ist Eulenspiegel allerdings völlig von mutwilliger, willkürlicher Bösartigkeit und vor allem fäkaler Komik gereinigt und in seiner Gesellschaftskritik harmlos.

In Friedrich Radewells Komödie „Tyll Eulenspiegel“ (1840), die ganz im Zeichen des Jungen Deutschland steht, findet sich Eulenspiegel als literarische Figur unter vielen, wie zum Beispiel Faust, Marquis Posa, Mephistopheles, Käthchen von Heilbronn, etc. wieder. Die Historien der Schwanksammlung werden in einen neuen Kontext gestellt, einer satirischen Bearbeitung von Goethes „Faust“ (1808). Eulenspiegel kann hier der Versuchung durch das Böse widerstehen und als wahrheitsliebender, individueller Charakter auch vor dem Herrn bestehen, in einem Stück, das entsprechend den Werten des Jungen Deutschland, Politik, Bildung, Kirche und auch den Literaturmarkt kritisch-satirisch betrachtet.

Ende des 19. Jahrhunderts schreibt Georg Fuchs, nur wenig später eine der Schlüsselfiguren der Reformbewegungen im Theater, ein Eulenspiegel-Stück. In Abgrenzung zum Theater des Naturalismus und Wiederbelebung romantischer Tendenzen erscheint Eulenspiegel als positiver Held, der die Gesellschaft zu aktivem, gutem Handeln bewegen will. Eulenspiegel behält seinen Außenseiterstatus, wird aber verklärend zum ewigen Wanderer, zum ewigen Narren und Außenseiter, der, nachdem er erfolgreich Chaos abwenden konnte, weiterziehen muss. Auch in diesem Stück begegnet Eulenspiegel Faust als Gegenspieler. Es erscheint im selben Verlag wie Wilhelm Vershofens Drama (1919; Vgl. Kap. 3.2.) und die Komödien von Adam Kuckhoff (1941) und Wolf von Niebelschütz (1950).

70 Auch Felix Braun schreibt 1911 eine Komödie, die sich im Zeichen der Neuromantik und des literarischen Jugendstils mit dem Mittelalter auseinandersetzt. Während Eulenspiegel aber bei Georg Fuchs durchwegs positiv gezeichnet ist, hat der Eulenspiegel Brauns seine besten Zeiten hinter sich; er ist aggressiv, will sich rächen und resigniert schlussendlich. Brauns Komödie weist eher tragische Züge auf, auch der Kaiser, der lange an Eulenspiegel als harmlosen Spaßmacher glaubt, wird enttäuscht. Eulenspiegel ist kein harmloser Spaßmacher, hat resignierend erkannt, dass die Welt nicht mehr zu bessern ist und geht in die Gegenoffensive.

Als Beispiel für die radikale Ablösung der Figur von der ursprünglichen Schwanksammlung steht die Satire „Oaha“ (1908) von Frank Wedekind. Eulenspiegel tritt hier nicht als Figur auf, sondern sein Name wird textintern zum Titel einer Satirezeitschrift, also zur symbolhaften Personifikation der Kritik.

In Harry Vosbergs Komödie von 1912 bekommt Eulenspiegel den Begleiter Lamme Goedzak; Rezeption und Verarbeitung von Charles de Costers Roman können dadurch angenommen werden. Vosbergs Eulenspiegel ist ein souveräner, positiver Held, der in seinem Bestreben, die Hohlheit der Gesellschaft aufzudecken aber an der Oberfläche und harmlos bleibt. Ähnlich wie in den Possen von Stegmayer und Nestroy ist Verkleidungskomik in dieser Komödie zentral. Vosberg übernimmt aber im Gegensatz dazu dieses Motiv aus einigen Historien der Schwanksammlung. In dieser Komödie will Eulenspiegel seinen Außenseiterstatus und sein Wandertum nicht aufrecht erhalten, er kann sich am Ende durch Eheschließung in die Gesellschaft eingliedern.

Adam Kuckhoff (1941) verwendet in seiner Komödie zentrale Historien der Schwanksammlung und versucht den Charakter Eulenspiegels durch psychologische Motivierung zu dynamisieren. Seine Eulenspiegelfigur steht in positivem emotionalen Verhältnis zu seiner Mutter und reflektiert seinen Drang zu wandern und seinen Außenseiterstatus durchgehend. Eulenspiegel wird hier durch die Darstellung einer großen Zahl an Nachkommen, Wandernde, die, so wie er, schalkhaft versuchen die Welt zu verbessern, zum ewigen Narren.

Auch Wolf von Niebelschütz stellt 1950 einen direkten Bezug zur Schwanksammlung her, indem er die letzten Historien vor Eulenspiegels Tod in einen Handlungszusammenhang bringt. Auch hier findet man teilweise psychologische Motivation für sein Handeln und das anderer Figuren vor; der gesellschaftskritische Aspekt Eulenspiegels steht aber im Vordergrund. Auch hier kommt Eulenspiegel für kurze Zeit an die Macht, er übernimmt das Amt des

71 Bürgermeisters. Auch in dieser Komödie bekommt Eulenspiegel zeitlosen Charakter und hält am Ende auch dem zeitgenössischen Publikum den Spiegel vor.

Alexander von Bernus reiht sich ein Jahr später in diese mythisierende Darstellungsweise ein, und zeigt durch die Hinwendung zum spätmittelalterlichen Stoff die Entwicklung der zeitgenössischen Gesellschaft ins Negative. Eulenspiegels Handeln ist stärker als bei Kuckhoff von Außen gelenkt, er ist Spielfigur der Götter. Er verzichtet auf eine Machtposition als Herzog, weil er sich durch die gesellschaftlichen Regeln eingeengt fühlt und will lieber frei sein. Auch Bernus verarbeitet einige zentrale Historien der Schwanksammlung. Und auch hier wird Eulenspiegels Wirken zur zeitunabhängigen Kraft.

Diese drei Stücke zeichnen sich - Kuckhoffs Stück im Geiste der Ablehnung des nationalsozialistischen Regimes, Niebelschütz und Bernus Werke im Zusammenhang mit dessen Verarbeitung in der Nachkriegszeit – durch die Verklärung Eulenspiegels als Prototypen eines guten Menschen und Vorbild der Gesellschaft aus. Die Form der Komödie scheint hier nur mehr als oberflächliche Maskierung eines tiefer liegenden Ernstes der Eulenspiegelfigur zu dienen. Eulenspiegel wird zum „weisen Narren“, zum „grüblerischen Wahrheitssucher“272 verklärt.

Werner Schneyder schließlich thematisiert in seiner Eulenspiegel-Bearbeitung Anfang der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts in tragikomischer Weise einen gealterten Eulenspiegel, der in der zeitgenössischen Gesellschaft mit seinen Späßen nicht mehr davon kommt. Er übernimmt zentrale Historien aus der Schwanksammlung, lässt Eulenspiegel aber am Ende scheitern. Eulenspiegel schwankt hier in seiner Existenz als weiser Narr, wird aber immer mehr zum resignierenden Außenseiter.

Bereits kurz nach Erscheinen der Schwanksammlung zeichnet sich in der Stoffgeschichte eine Entwicklung ab, die in den hier dargestellten Komödien fortgesetzt wird – die Reinigung des Schalksnarren Eulenspiegel von jeglicher fäkalen Komik. Dass die Eulenspiegelfigur in den Komödien als positiver, harmloser Charakter dargestellt wird, erscheint nur in den Komödien von Stegmayer und Nestroy beabsichtigt, die die guten Absichten Eulenspiegels hervorheben. Das gilt auch für Harry Vosbergs Komödie, in welcher er sich nach einigen harmlosen Streichen durch Eheschließung in die Gesellschaft eingliedern kann. Das kann er zwar in Ludolf Wienbargs Satire auch,doch behält er zugleich kritische Elemente seines Charakters. In anderen

272 Vgl. dazu in dieser Arbeit : S. 26.

72 Komödien schwingen, durch die Thematisierung von Eulenspiegels gesellschaftlichem Außenseiterstatus (Fuchs, Braun, Kuckhoff, Niebelschütz, Bernus), seines Alterns und Todes (Kuckhoff, Niebelschütz, Bernus, Schneyder), negative Seiten der Eulenspiegelfigur mit. In diesem Zusammenhang ist auch interessant, dass in einem Großteil der hier bearbeiteten Komödien Eulenspiegels Wandern von Ort zu Ort romantisierend als ewiges Wandertum interpretiert wird (Fuchs, Kuckhoff) bzw. als Überwindung des Todes und ewiges Nachwirken, zum Beispiel durch Nachkommenschaft (Braun, Niebelschütz, Bernus).

Innerhalb unserer Bearbeitungen ist durchaus eine Entwicklung erkennbar. Während in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert Eulenspiegel als „harmloser Spaßmacher“ in Possentradition zur leichten Unterhaltung herangezogen wird, zeichnet sich gegen Ende desselben und Anfang des 20. Jahrhunderts eine zunehmende Tendenz zu Romantisierung und Psychologisierung des Eulenspiegel ab. Die Autoren zeichnen eine Figur, die ihre Streiche nicht unbedacht spielt; Eulenspiegel reflektiert sein Handeln. Auch die Komik wird durch diese Doppelbödigkeit des Charakters beeinflusst, sie verliert an Leichtigkeit. Eulenspiegel will durch sein Handeln die Welt verbessern, es zeichnet sich aber ab, dass es ihm nicht gelingen kann. Mitte des 20. Jahrhunderts schließlich lassen die Autoren Eulenspiegel endgültig an der Unbelehrbarkeit der Gesellschaft scheitern.

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76 Ehrenwörtliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version.

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