Der Kraichgau — Beharrung und Wandel Bertold Rudolf,

Zuordnung gebunden. Sie ermöglichte eine frühe, durch­ Die Bezeichnung „Gau“, auch „Gäu“ im weg dichte Besiedlung. Es ist mit ökologisch Schwäbischen, bedeutet im landläufigen Sinn geschärfter Sensibilität heute leicht einsich­ offenes, also gerodetes Land. Sie zielt damit tig, daß die besondere Eignung des Raums auf den deutlichen Gegensatz zu den Land­ für die Nutzung des Menschen neben positi­ schaften, deren Physiognomie noch durch ven auch negative Entwicklungen in der na­ das Waldkleid, wenn auch in seinem Arten­ türlichen und sozialen Umwelt bewirken bestand verändertes, bestimmt ist, in das kann. Noch nie sind die Wechselbeziehun­ Siedlungen und deren Fluren nur als helle gen der Raumelemente so deutlich geworden Flecken eingebracht sind. Findet für diese wie in der gegenwärtigen technischen Hoch­ Erscheinungsform die Verbindung mit der zivilisation. Es scheint also eine Zusam­ Endung -wald ihren sprachlichen Ausdruck, menschau dieser Potentiale geboten. verknüpft sich „Gau“, aus dem germanischen Seit den Arbeiten von Friedrich Metz, dem gaawja („Land am Wasser“) herleitbar, oft Altmeister der süddeutschen Länderkunde, mit einem Gewässernamen, dem ältesten Na­ ist keine den Raum als Ganzes beschreibende mensgut unseres Raums. Landeskunde mehr erschienen. Das ist frei­ Offensichtlich liegt dem unterschiedlichen lich nicht verwunderlich, wenn man sich die Erscheinungsbild ein struktureller Gegensatz Richtungskämpfe innerhalb der deutschen zugrunde. Räume guter natürlicher Ausstat­ Geographie vor Augen führt, ausgelöst tung stehen Ungunsträumen gegenüber. Frü­ durch den Protest einer heranreifenden Stu­ her besiedelt und intensiver genutzt, kontra­ dentengeneration, gegen die Verwendung stieren Altsiedellandschaften mit Jungsiedel­ unwissenschaftlicher Worthülsen wie „Land­ räumen. schaft“, denen kein realer, d. h. meßbarer In­ Mit dem Kraichgau reichen die Gäue am halt zugrunde läge. Mit quantifizierenden weitesten nach Westen, in bevorzugter Lage Verfahren sind zweifellos methodische Fort­ zwischen den vom Wald geprägten Gebirgen schritte erzielt worden; immer wieder war und Schwarzwald. Das tief lie­ aber auch ein Mißverhältnis zwischen Ar­ gende, nach Westen offene Hügelland bietet beitsaufwand und verwertbarem Ertrag fest­ maritimen Luftmassen bequemen Zugang; zustellen, wenn etwa im Hinblick auf eine auch dem West-Ost-Verkehr hat die durch wissenschaftliche Aussage über Einflußberei­ eine geringe Meereshöhe bedingte Durch­ che städtischer Zentren dreistellige Summen gängigkeit schon immer den Weg leicht ge­ von Variablen einbezogen wurden. Anderer­ macht. Mit den Westwinden wurde auch das seits bedeutet die Beschränkung auf Pendler­ aus den eiszeitlichen Ablagerungen ausgebla­ zahlen eine Verengung auf rein funktionale sene Feinmaterial weit in den Kraichgau hin­ Verflechtung, die zur Grundlage der Ver­ ein verfrachtet und zu einer mächtigen, oft waltungsreform gemacht wurde. So ist aus geschlossenen Decke aufgeschüttet. Die au­ der Perspektive der Badischen Heimat zu ßerordentliche Bodenfruchtbarkeit ist vor al­ fragen, ob es für den Verbleib des altpfälzi­ lem an diese große Verbreitung des Lösses schen Eppingen im badischen Städtewesen 326 Ravensburg, Zeichnung von Richard Bellm, 1985 nicht auch Gründe, etwa historische, gege­ zum Ausdruck bringen läßt, der ein komplex ben hätte. Inzwischen scheint der Zwang xes, doch recht homogenes Wirkungsgefüge aufgehoben, sich für länderkundliches Arbei­ zugrunde liegt. „Der Naturraum des Kraich- ten rechtfertigen zu müssen, wenn auch mit gaus unterscheidet sich in der Gesamtheit einer Verzögerung gegenüber angelsächsi­ seiner Naturausstattung deutlich von allen scher Forschung und Lehre. Größere metho­ angrenzenden großräumigen Einheiten“ (J. dische Toleranz hat sich durchgesetzt. Schon Schmithüsen in Oberrheinische Studien, Bd. droht das Pendel in eine nostalgische Rich­ III, S. 6, 1975). F. Metz nennt den tung umzuschlagen aus der allgemeinen Kraichgau „das Land flacher Hügel und Sorge für die Umwelt gegen eine rücksichts­ breiter Wiesentäler, welliger, von niedrigen lose Wachstumsideologie. Bergen überragter Hochflächen, das die Aufgabe dieser Zeilen soll sein, gegenüber Senke zwischen den höheren Berglandschaf­ den epochalen Veränderungen der Gegen­ ten des Odenwalds und Schwarzwalds aus­ wart, ein die Zeit durchhaltendes, in Teilen füllt“ (Der Kraichgau, Karlsruhe 1922). Er aber veränderliches Muster einer Landschaft spricht damit das wenig markante Relief an, aufzuzeigen. Diese Zielsetzung veranlaßt das von Muschelkalkplatten und dem dar­ mich, auf die historische Reichweite des Na­ über verbreiteten unteren Keuper bestimmt mens „Kraichgau“ im Rahmen der mittelal­ ist, dessen Konturen den Kraichgau von den terlichen Gaueinteilung nicht einzugehen. im Osten anschließenden Gäuflächen unter­ Zur Diskussion dieses Problems sei auf die scheiden. Seine tiefe Lage ist durch eine Arbeiten von F. Gehrig in den Veröffentli­ großräumige Einmuldung zwischen den Gra­ chungen des Heimatvereins Kraichgau (Bei­ benrandgebirgen bedingt, von denen er sich träge zur Landschafts- und Heimatfor­ deutlich, wenn auch nach einer breiten Uber­ schung, 1968, S. 67) verwiesen. gangszone, abhebt. Das dicke Lößpolster verhüllt den Gesteinswechsel Buntsandstein/ Eigenart Muschelkalk, die wichtigste, alle Kulturbe­ Geographisch relevant ist ein Name, mit dem reiche tangierende Grenze. Mit den Steilhän­ sich eine gewisse Gleichartigkeit der Gestalt gen des tief eingeschnittenen Neckars ist die 327 Grenze im Osten zu ziehen. Im Westen bie­ Vorgeschichte tet sich die Grabenrandverwerfung an, ob­ Gestützt auf Ergebnisse der prähistorischen wohl sie sich im Bereich der „Langenbrücke- Forschung und Untersuchung der nacheis­ ner Senke“ dem Auge entzieht. In tektonisch zeitlichen Klima- und Vegetationsgeschichte tiefer Lage hat sich dort eine Schichtenfolge im südwestdeutschen Raum hat R. Grad­ bis zum Braunen Jura erhalten. Diese tiefe mann den Disziplinen der Historischen Geo­ Einmuldung ordnen wir der ostwärts strei­ graphie neue Wege gewiesen. Die unter­ chenden Fränkischen Mulde zu, in der die schiedliche Funddichte prähistorischer Sied­ Keuperhöhen Strom- und sich lungsreste veranlaßte ihn, einen Gegensatz erheben (Reliefumkehr!); diese markanten zwischen siedlungsfeindlichen Waldland­ Berggestalten dienen hier als Grenzsäume schaften und siedlungsgünstigen Steppenhei­ unseres Raums. delandschaften in Kalk- und Lößgebieten Oberflächenformen zur Zeit der bandkeramischen Besiedlung herauszuarbeiten. Die Steppenheidetheorie Ist auch die Meinung über die Einordnung war ein großartiges Ideengebäude nach dem des Kraichgaus in den süddeutschen Land­ damaligen Stand der Forschung (1898). Auf­ schaftsverband einheitlich, über die Entste­ grund der Pollenanalyse ist jedoch die An­ hung der Oberflächenformen herrschen un­ nahme waldfreier Gebiete prähistorischer terschiedliche Ansichten. Waren bisher die Zeit nicht mehr aufrecht zu halten. Wohl morphologisch wirksamen Eigenschaften des war der Wald an unterschiedlichen Standor­ Gesteins, ihre Widerstandsfähigkeit also ge­ ten in verschiedenen Typen ausgebildet. Wir gen äußere Kräfte, ausschlaggebend für die dürfen also zwar nicht mit Waldlosigkeit, Erklärung der Formung des Reliefs, bezog aber mit einem lichten, an Unterholz rei­ man sich mit der Schichtstufentheorie i. w. chen, wärmeliebenden Eichenmischwald zur auf die Gesteinsbedingtheit der Landformen Zeit der ersten bäuerlichen Besiedlung rech­ — eine auf die Formung durch das Klima nen, der den Neolithiker geradezu angelockt orientierte Morphologie schränkte die Wirk­ haben mag (O. Schlüter), weil er für die samkeit der Gesteine auf lokale Ausprägun­ Viehhaltung, besonders die Schweinemast, gen ein. Die Landformen wurden im größe­ die notwendige Nahrung lieferte und einer ren Zusammenhang erdzonal wirkender Pro­ kleineren Siedlergruppe die Möglichkeit für zesse gesehen. Der heutige Formenbestand eine „wilde“, düngerlose Feld-Graswirtschaft ist nach J. Büdel (Geographische Rundschau bot. Das neolithische Fundgut, das in den 7/1963) das Ergebnis länger dauernder Vor­ mittelalterlichen Rodungslandschaften fehlt, gänge der Flächen- und Talbildung unter hier aber in großer Menge vorhanden ist, be­ sich im Verlauf der Erdgeschichte ändernden stätigt die Annahme, daß der Kraichgau zu Klimabedingungen. Das gegenwärtige Land­ den Räumen früher und kontinuierlicher Be­ schaftsbild differenziert sich so zu einer siedlung gehört. Kombination verschiedener Reliefgeneratio­ nen. Die Flächen — nach Büdel morpholo­ Siedlungskontinuität einer Landschaft be­ gisch bedeutsamer als die Stufen — werden deutet nicht Kontinuität einzelner Siedlungs­ innerhalb dieser Theorie als Einebnungsflä­ plätze. Das Grabungsgebiet auf dem Mi­ chen mit der Einwirkung randtropischer Kli­ chelsberg, der Bruchstufe über dem Rhein­ mabedingungen im Jungtertiär erklärt; die grabenrand bei Untergrombach, ist eine der für unsere kleinen Wasserläufe viel zu brei­ bedeutendsten und ergiebigsten Fundstätten ten Talräume finden ihre Erklärung in der des Kraichgaus. Die hier gemachten Kera­ „exzessiven Talbildungstätigkeit“ während mikfunde haben wegen ihrer charakteristi­ der Kaltzeiten. schen Gestaltung der jungsteinzeitlichen Mi­ 328 Steinsberg, Zeichnung von Richard Bellm, 1985

chelsberger Kultur ihren Namen gegeben. tag, Wiesbaden 1965, S. 55) in den Maurer- An den Hängen dieser markanten Erhebung Sanden und Kiesen konnte er der Günz- entlang, im widerstandsfähigen Hauptmu­ Mindel-Warmzeit zugeordnet werden. Er schelkalk, der eines lichteren Bewuchses we­ mag hier, ein altsteinzeitlicher Jäger, Tieren gen durch den vorgeschichtlichen Menschen wie Mammut, Nashorn, Wisent u. a., die zur wohl bequemer nutzbar war, führte die prä­ Tränke kamen, aufgelauert haben. Daß an historische Bergstraße. Namengebung und dieser Stelle, im Bereich der Schichtgrenze die dem streitbaren Erzengel Michael ge­ Buntsandstein/Muschelkalk, Sande und weihte Kapelle erinnern an die Christianisie­ Kiese auch anderer Gesteine in so großer rung, während der häufig Kultorte vorchrist­ Menge zur Ablagerung kamen, können wir licher Gottheiten umgewidmet wurden. Der aus den heutigen Verhältnissen nicht erklä­ Michelsberg bei Untergrombach ist ein Ver­ ren. treter der Michaelsberge, die oft als expo­ nierte Berggestalten im Altsiedelland auftau­ Flußgeschichte chen, so bei , Gondelsheim am Mu­ Die kurze Elsenz mit ihrer geringen Wasser­ schelkalk- und Cleebronn im an­ führung war weder in der Lage, das Material schließenden Zabergäu. heranzuschleppen, noch das breite, asymme­ Am nördlichen Rand des Kraichgaus wurde trische Tal zu bilden. Die wechsellagernden das älteste Menschenrelikt auf europäischem kalt- und warmzeitlichen Schotter bestehen Boden, der massive Unterkiefer des homo aus Fernmaterial, das nur ein größerer Fluß erectus heidelbergensis, eigentlich des Men­ wie der Neckar aufgenommen und transpor­ schen von Mauer, gefunden. Aufgrund wei­ tiert haben kann. Nur der Neckar war kräf­ terer Fossilfunde einer altpleistozänen Wald­ tig genug, das untere Elsenztal auszuräu­ fauna (H. Graul, Heidelberger Geographen­ men, nachdem er das südwärts gerichtete Wiesenbacher Trockental geschaffen hatte. gründen. Der lange dauernde Anprall des Der bewaldete Rücken des Hollmuth ist Flusses auf den Hals der Schlinge bewirkte dann also ein Umlaufberg von der Art, wie eine Einbeulung und schließlich den Über­ der mäandrierende Buntsandstein-Neckar lauf auf den kaltzeitlichen Schottermassen. auf seinem Weg zum Rhein mehrere geschaf­ Das Gastspiel eines großen Stromes war von fen hat. kurzer Dauer. Keiner der den Kraichgau Warum aber „fließt der Neckar in merkwür­ querenden Bäche konnte seine Rolle über­ diger Beharrlichkeit nach Norden in die ho­ nehmen, schon gar nicht die Elsenz mit ih­ hen Berge des Odenwaldes hinein“ (Schmitt- rem von Süden nach Norden gerichteten, henner), wo er doch auf viel kürzerem Wege also zwischen den Waldlandschaften vermit­ durch die Kraichgaumulde hätte zur Rhein­ telnden Lauf. ebene gelangen können? Wir dürfen nicht von den heutigen Höhenverhältnissen bei der Verkehrsbedeutung Beantwortung dieser Frage ausgehen. Als der Als morphologische Senke zwischen Ge­ Neckar seinen Weg wählte, bewegte er sich birgskörpern bot aber der Kraichgau gute in einer schwach welligen Landschaft, einer Bedingungen für ein „Sträßenland“ (Metz Fast-Ebene. Erst mit dem Absinken des 1922, S. 148). Die Hauptfließrichtung der Oberrheingrabens und der Hebung der Bäche ist auch die Richtung des Haupt­ „Grabenschultern“ entstand das gebirgige verkehrs. Seine Brückenfunktion zwischen Relief. Der Neckar ist also älter als das Ge­ Oberrheinland und Neckarbecken zeigt sich birge, das er durchfließt. Er hat seinen Weg bereits im Verlauf der Römerstraßen, läßt in die langsam kippende Odenwald-Scholle sich an den Poststraßen des Mittelalters er­ eingetieft, denn er konnte sich gegenüber kennen, manifestiert sich in der Trassenfüh­ dem aufsteigenden Gebirge nur behaupten, rung der Eisenbahn. Der Nord-Süd-Verkehr indem er es durchsägte. Er gilt darum als das zog immer entlang der großen Wasserläufe Musterbeispiel eines antezedenten (vorherge­ am Kraichgau vorbei. Erstmals in der Ge­ henden) Flusses. schichte des Durchgangsverkehrs stellt sich Warum aber hat er diese Schlinge geschaf­ einer projektierten Schnellbahntrasse zwi­ fen, um sie dann wieder zu verlasssen? Zwei­ schen den Verdichtungsräumen in Westen fellos gehen hier dem Grabenrand parallele und Osten der Widerstand vieler Bevölke­ Verwerfungen durch den Gebirgskörper, die rungsgruppen entgegen. den trägen mäandrierenden Urneckar bewo­ gen haben mögen, nach Süden auszuschwin­ Stadtentwicklung gen. Durch die Ausräumung der wenig wi­ Es hieße freilich die Verkehrsbedeutung des derstandsfähigen Schichten des Wellenkalks Kraichgaus überschätzen, wenn man ihn als entstand eine Art Schotterfang, in dem sich „Verkehrslandschaft“ (Metz, Ländergren­ während der Kaltzeit Gerolle von Jurage­ zen, S. 25), d. h. einen Raum der i. w. vom stein, Keuper und Kristallin in einer Mäch­ Verkehr geprägt ist, bezeichnet. In dem von tigkeit von fast 40 m ablagern konnten wichtigen Verkehrslinien gequerten Altsie­ (Meier-Hilbert, Graul-Festschrift, Heidel­ delland erwartet man aufgrund der „städte­ berg 1974, S. 201). Die Krustenbewegungen zeugenden Kraft“ des Verkehrs bedeutende, halfen kräftig mit. Der Neckar war zur Abla­ auf den Fernverkehr orientierte und durch gerung gezwungen (Stau-Akkumulation), Fernstraßen florierende Städte. Der Kraich­ wenn er mit der Hebung der Königstuhl- gau besitzt zwar einen großen Reichtum an Weißenstein-Scholle Schritt halten wollte. Städten, doch sie sind klein geblieben. Nur Die Abschnürung der Schlinge läßt sich bes-, kurzfristig hatte eine einzige Stadt im Mittel­ ser klimamorphologisch erklären und be­ alter größere Bedeutung: Wimpfen „im Tal“, 330 also am Neckarufer, randlich zum Kraich­ dienten sich dabei verschiedenster rechtlicher gau. Neben der geographischen Lage an ei­ Grundlagen. Die Errichtung so zahlreicher ner Römerstraße und einer der wichtigsten fester Plätze, bewirkt durch die extreme Be­ Fernstraßen des Mittelalters bot die Fluß­ sitzzersplitterung, war freilich für den Zu­ uferlage mit guter Übergangs- und Umlade­ stand der Straßen keineswegs förderlich. möglichkeit vom Wasser- auf den Landweg Wichtiger als der Erwerb der Stadtrechte für einen Marktort günstige Voraussetzun­ war für das junge Stadtwesen die Macht des gen. Mit der Errichtung einer Pfalz, ihrer Gründers. Einen Vorsprung konnten die al­ größten, schufen die Staufer eine Klammer ten Grafensitze Sinsheim und Bretten nut­ zwischen ihren Besitzungen in Elsaß und zen: Die Burgen der Gaugrafen dienten ih­ Franken, dem „großartigen Gürtel von Kö­ nen als Kristallisationskerne. Auf einer breit nigsgut, Pfalzen, Reichsministerialen-Burgen angelegten Hauptstraße entfaltete sich das und Reichsstädten“ (Pfeifer in Graul-Fest- Marktgeschehen. Bis heute konnten beide schrift, S. 385). Im Zuge ihrer Reichspolitik ihre beherrschende Stellung durch ihre Lage­ entsteht mit der Pfalz der trutzige Eckpfeiler gunst im nördlichen und südlichen Kraich­ der Großburg „Wimpfen am Berg“. Die gau erhalten. Sinsheim wuchs mit dem Bau Bergstadt ist zu sehr auf die Schutzsituation der Kraichgau-Autobahn in die Funktionen bedacht. Die Enge der Spornlage wird ihr eines Mittelzentrums hinein, das auf den zum Verhängnis; denn sie ist für ein größe­ Rhein-Neckarraum orientiert ist. Bretten be­ res Wachstum hinderlich. Bald lassen Raum­ saß schon früh ein bedeutendes Handwerk not, Verfall der staufischen Macht und Ver­ und konnte mit seiner handwerklichen Tra­ änderungen der Verkehrsspannung Wimpfen dition den Vorsprung ausbauen. Ein Patri­ gegenüber dem verkehrsoffener gelegenen ziat hat sich in keiner der Städte des Kraich­ ins Abseits geraten (Scheuer­ gaus ausgebildet. Der Charakter der Acker­ brandt, S. 136). Wie andere altfränkische bürgerstadt dominierte. Als Konkurrenz­ Städte begann die freie Reichsstadt schon gründungen des Spätmittelalters haben sich früh zu stagnieren. Die imponierende Sil­ viele in ihrer Entwicklung gegenseitig behin­ houette mit ihren hochragenden Türmen, dert. Steinbauten und Fachwerkgiebeln über dem Ähnlichkeit von Zielen und Bedingungen Tal, ein „verkleinertes Abbild von Rothen­ ließ oft eine gewisse Gleichartigkeit von burg“ (Metz, Land und Leute, S. 654) ist da­ Grund- und Aufriß entstehen. Die meisten durch erhalten geblieben und zeugt vom Altstadtgrundrisse sind in Rippenform ange­ Glanz einer großen Vergangenheit. Funktio­ legt, mit der Hauptstraße als Achse und nal fiel Wimpfen jedoch in die Rolle eines mehr oder weniger regelmäßig abzweigen­ Kraichgaustädtchens zurück. den Nebengassen zu beiden Seiten. Um den beachtlich großen Einstraßengrundriß fügte Städtewesen sich eine längliche, meist ovale Siedlungsflä­ Die Gruppe der Kraichgaustädte hatte be­ che mit Mauerring und Graben. Wenn sich scheidene Funktionen als Sitze der Verwal­ auch der Grundriß i. a. bis heute erhalten tung und Marktorte für das engere Umland hat, so sind doch dem Aufriß durch häufige (Wochenmärkte!). Anzahl, Größe und Phy­ Brände und kriegerische Ereignisse, beson­ siognomie sind Spiegel der territorialen Zer­ ders im Westteil des Straßenlandes, manche splitterung zur Zeit ihrer Gründung während Veränderungen widerfahren. Das Giebelhaus des Hochmittelalters, besonders aber im beherrscht zumeist die Straßenzüge; trauf- Spätmittelalter. Der Zerfall der Reichsmacht ständige Häuser, die mit durchgehenden begünstigte im Straßenland den Zugriff poli­ Trauflinien den Straßen größere Geschlos­ tischer Herrschaften auf die Straßen: Sie be­ senheit verleihen, treten bei jüngeren Aus­ 331 bauten hinzu (z. B. Eppinger Vorstädte). Die Aufstieg der Territorialfürsten und die auf Bergrücken, Verwitterungsterrassen oder wachsende Macht der Städte. Die Bezeich­ Talspornen gelegenen Festungs- und Burg­ nung „Adelslandschaft" (H. Kehrer) gibt die städtchen mußten für die Bewahrung ihrer Situation des Kraichgaus am Ende des Mit­ malerischen Silhouette Raumnot und Stagna­ telalters wieder. Mit einem Vertreter seiner tion in Kauf nehmen (Hilsbach und Roten­ Ritterschaft, der tragischen Gestalt Franz berg, Gochsheim und Obergrombach). von Sickingen, dem gefürchtetsten Condot- tiere im Hl. Römischen Reich wurde der Name eines Kraichgaudorfs in das Licht der „Adelslandschaft“ Geschichte gehoben bei einem letzten Ver­ Wenn auch die meisten Herrensitze — wie such, eine Einigungsbewegung gegen die die Mehrzahl der Städte — in den Tälern la­ Territorialmächte in Gang zu setzen. gen und als Wasserburgen befestigt waren, Die Erfolge der vom Oberrhein in das so verfügt der Kraichgau doch über einige Machtvakuum Kraichgau vordringenden markante Höhenburgen. Eine der bedeu­ Territorien Kurpfalz, Hochstift Speyer und tendsten trägt der 333 m hohe Steinsberg, Markgrafenschaft Baden waren längst viel zu der beherrschende Richtpunkt in einer wenig groß, die Kriegstechnik zu weit entwickelt. reliefierten Landschaft, der „Kompaß uff den Besonders zielbewußt waren die Grafen von Craichgowe“, wie ihn der Chronist nennt. Württemberg bei der Erweiterung und Ar­ Der Heimatverein hat ihn neuerdings zum rondierung ihres Territoriums. Der Zusam­ Symbol der Förderung heimatkundlicher Ak­ menschluß der zahlreichen Adelsgeschlecher tivitäten gewählt. Als widerstandsfähiger im Ritterkanton Kraichgau mit dem Sitz der Pfropfen aus Nephelinbasalt, damit ein Kanzlei in Heilbronn am Neckar hatte den „Härtling“, der in einem 300 m breiten Vul­ defensiven Charakter einer Pufferzone zwi­ kanschlot aufgedrungen ist, hat der Steins­ schen den Machtballungen der Territorial­ berg die Abtragung überstanden. Er bezeugt staaten. Zu den bekanntesten Ritterge­ die rege vulkanische Tätigkeit im frühen schlechtern zählen neben den Sickingen die Tertiär mit Magmenauftrieb entlang Nord- Gemmingen, Venningen, Menzingen, die Süd (rhenanisch)-gerichteter Störungslinien, Neipperg, Helmstadt und Degenfeld. Die die auch den Lauf der Elsenz vorzeichneten. Ravensburg (s. Seite 327) der „Raven von Der eigentliche Vulkanberg ist mit den über­ Wimpfen“, einem staufischen Ministerialen­ lagernden Schichten, die bis zum schwarzen geschlecht, die in der Blütezeit des Burgen­ Jura reichten, der Erosion zum Opfer gefal­ baus errichtet wurde (1231 erstmals ge­ len (Geyer/Gwinner, S. 144). Der die Basalt­ nannt),, ist heute ein beliebtes Ausflugsziel. kuppe krönende, weithin sichtbare Turm ist 27 m hoch überragt der Bergfried einen der wehrhafte Bergfried einer zentralen Gip­ Sporn der Stufenfläche des Schilfsandsteins. felburg. Mit einem zum Teil 4 Meter mächti­ Auch Ringmauer und Palas mit Bauelemen­ gen Mauerwerk, seinen Buckelquadern aus ten der Gotik und Renaissance haben Bau­ gelblichem Schilfsandstein und seiner Acht­ ern-, Religions- und Erbfolgekriege über­ eckform zählt er zu den Meisterwerken stau­ standen. fischen Burgenbaus. Die Burgen des Kraichgaus als wehrhafte Sitze des Adels sind Zeichen der wehrpoliti­ Landesausbau schen Bedeutung der Ritterschaft in der rei­ An die territoriale Zersplitterung der Ver­ chen Durchgangslandschaft, zugleich aber gangenheit erinnert auch die Konfessionszu­ auch der staufischen Reichserneuerung, die gehörigkeit der heutigen Bevölkerung. Würt- sich auf den Niederadel stützte gegen den tembergisch, damit evangelisch wurde die 332 Stebbach, Aussiedlerhöfe, Zeichnung von Richard Bellm, 1985 einstige Zisterzienserabtei Maulbronn. Wäh­ elemente: Die Gäufläche, die darin einge­ rend viele Klöster, die nach der Reformation tieften Täler und die darüber aufsteigenden in katholischem Besitz geblieben sind, in der Stufen des Keupers. Auf der unterschiedli­ Barockzeit nach dem Zeitgeschmack über­ chen naturräumlichen Ausstattung beruhte formt wurden, in evangelischen Gebieten die ökonomische Struktur der Klosterge­ verfielen oder umgebaut wurden, erhielt meinschaft. Ihr Landbesitz war nicht ver­ Maulbronn eine Klosterschule für den würt- pachtet, wie es bei den Benediktinern üblich tembergischen Pfarrernachwuchs und blieb war, sondern wurde nach dem Prinzip der aus Sparsamkeitsgründen im alten Zustand bäuerlichen Selbstversorgung im Eigenbe­ fast unverändert erhalten. So besitzt der trieb bewirtschaftet. Die Mönche waren füh­ Kraichgau die wegen ihres künstlerischen rend in allen Bereichen der Bodenbearbei­ Rangs und ihrer Unversehrtheit bedeutend­ tung, bei Getreidebau und Viehzucht, im ste mittelalterliche Klosteranlage nördlich Reb- und Obstbau; vorbildlich war auch ihre der Alpen. Die Lage des Klosters ist durch Teichwirtschaft. Der geräumige Wirtschafts­ die Ordensziele der Zisterzienser, der zwei­ hof im Westen der ummauerten Klosteran­ ten Reformbewegung des mittelalterlichen lage, z. T. angelehnt an die Wehrmauer, Ge­ Mönchtums, bestimmt. Im Geiste des Ordens­ bäude der verschiedensten Funktionen, gründers sollte in den Klöstern auf Askese Scheunen und Vorratshäuser, Ställe für aller und Arbeit, der Urbarmachung des Bodens Art Tiere, Werkstätten wie Wagnerei, und der Entwicklung der Landwirtschaft, ge­ Schmiede, Küferei, Verarbeitungsbetriebe pflegt werden. Ein Talgrund am Westrand wie Bäckerei und Klostermühle an einem von der Keuperberge, wo die Salzach aus dem der Salzach abgeleiteten Mühlkanal, Einrich­ bewaldeten quellenreichen Stromberg in die tungen also, deren ein sich selbst versorgen­ offenen Ackerfluren des Altsiedellandes hin­ der Gutsbetrieb bedarf, außerdem Gebäude austritt, bot den von Neuburg im Elsaß kom­ für Gesinde und Verwaltung, Herbergen für menden Mönchen einen idealen Standort. Er Gäste. Eine straffe innere Organisation lie­ vereint die den Raum beherrschenden Form­ ßen die Zisterzienserklöster zu bedeutenden 333 Innovationszentren ihrer Zeit werden; viele zahlreich sind verlassene Dörfer, Wüstun­ Landesherren bemühten sich um Niederlas­ gen, auf der Bauschlotter Hochfläche. sungen in ihren Ausbaugebieten. Innerhalb Die weitaus verbreitetste Siedlungsform des eines Jahrzehnts entstanden im Umkreis von Lößlandes ist das Dorf, im Kraichgau vor al­ wenig mehr als 50 km fünf weitere Zister­ lem das große, baulich stark verdichtete zienserklöster! Die aus der Klostersiedlung Haufendorf. Größenentwicklung und Bevöl­ erwachsene Stadtgemeinde versucht heute, kerungswachstum der Dorfsiedlungen gehen die kulturelle Ausstrahlung fortzusetzen mit der Schrumpfung landwirtschaftlicher durch das Angebot von anspruchsvollen Betriebsgrößen parallel. Der Zusammenhang Konzerten im Herzstück des Klostergevierts, zwischen Betriebsgrößenstruktur und der dem inneren Bezirk. hier vorherrschenden Erbsitte ist selten so Nach einem Idealgrundriß gruppieren sich deutlich. Gute Ertragsbedingungen, auch für dessen Gebäude um den zentralen Bauteil, arbeitsaufwendige Sonderkulturen wie den den Kreuzgang, der sich an die langge­ Rebbau, haben die Erbteilung von Hof und streckte Pfeilerbasilika anlehnt. Bei aller Flur begünstigt (Röhm, Huttenlocher Fest­ Vielfalt sind die Grundformen vom Geist der schrift, S. 359). Ergebnis war häufig neben zisterziensischen Reform geprägt. Unter dem hohen Uberbauungsgrad der Hofreite Verzicht auf aufwendigen Schmuck erreichte die Zersplitterung der Betriebsfläche auf der mittelalterliche Klosterbau hier seinen mehrere, räumlich getrennt liegende Grund­ Höhepunkt; die Suche des Menschen nach stücke. Oft standen die Hof- und Gebäude­ einer sinnvollen Ordnung von Dauer erfuhr flächen in anteiligem Besitz mehrerer Eigen­ in dieser idealen Miniaturstadt ihren sinnhaf­ tümer. Auch Stockwerkseigentum war nicht ten Ausdruck. selten. Bauvorschriften, Besitz- und Nut­ Im Umkreis des Klosters weisen mehrere zungsrechte, auch Feindseligkeiten aller Art Hof- und Flurnamen auf ehemalige Dörfer behinderten eine Verbesserung der fehlent­ hin; sie waren durch die Abte zu Muster­ wickelten Bausubstanz und der räumlichen betrieben (Grangien = Kornspeicher) umge­ Betriebsorganisation. wandelt worden. Sonst sind große Gutshöfe selten in dem durch Klima und Böden be­ günstigten Raum. Ihre Verbreitung unter­ Strukturwandel liegt einer „gewissen Gesetzmäßgkeit der Die Entwicklung des ländlichen Raums in Anpassung an die Landesnatur“ (Metz, 1922, der Nachkriegszeit hat das Verhältnis von S. 98). Boden und Arbeitskraft in der hergebrachten Selbstversorgungswirtschaft endgültig aufge­ brochen. Die dörfliche Bevölkerung richtet Ländliche Siedlungen sich in ihren Lebensansprüchen nach Maß­ Die bäuerliche Besiedlung der Landnahme­ stäben der Gesamtgesellschaft. Ein vergleich­ zeit suchte das Wasserangebot der Täler. In bares Einkommen für eine landwirtschaftli­ den breiten Tälern finden wir daher die älte­ che Existenz war nur durch eine Verbesse­ sten Siedlungen, deren Namen oft auf -ingen rung der Produktionsbedingungen zu errei­ und -heim endeten. Ausbausiedlungen zie­ chen. Die beengte Dorflage ließ dies nur in hen den Wasserläufen nach, die versumpften wenigen Fällen zu. Arbeitswirtschaftliche Talauen freilich meidend. Sie mieden auch Ansprüche eines modernen Betriebs waren die Hochflächen, wo der durchlässige Kalk­ durch Neuplanung besser zu befriedigen als stein der Verkarstung Vorschub leistete. durch Althofsanierung innerhalb des Orts- Manche Ansiedlung war dort durch Wasser­ Etters, eines Zauns, der früher das Dorf mit not zum Untergang verurteilt. Besonders seinen Gärten vor dem weidenden Vieh ge­ 334 schützt, aber auch die Siedlungsverdichtung weidet, zur Rückgewinnung der Boden­ gefördert hatte. Vernetzung und Zustand der fruchtbarkeit durch natürliche Düngung; mit innerdörflichen Wege waren dem schnellen einem Zaun wurden die beiden Fruchtzeigen motorisierten Verkehr nicht mehr gewach­ vor dem Weidevieh geschützt; es herrschte sen. Neue Quellen der Lärm- und Geruchs­ Flurzwang. Erst mit der verbesserten Dreifel­ belästigung hatten Einzug gehalten. In die­ derwirtschaft wurde auch die Brachzeige ak- sem kleinbäuerlichen Dorfsiedlungsgebiet kerbaulich, durch den Anbau einer Brach­ wurde daher am frühesten mit Aussiedlungen frucht genutzt. So findet die Streu- oder Ge­ bäuerlicher Betriebe begonnen. Nach der mengelage der Besitzstücke, d. h. der bishe­ Aussiedlung in die Feldflur ist die Binnenlage rige regellos über die Flur gestreute Grund­ landwirtschaftlicher Betriebe selten gewor­ besitz der bäuerlichen Betriebe, ihre Erklä­ den. rung: Bei zeigengebundenem Anbau und Weidegang war die Existenz eines Einzelnen nur durch die Streulage seines Besitzes in Flurbereinigung den verschiedenen Flurteilen gesichert. Eine Das Siedlungsbild muß im Zusammenhang einheitliche Farbgebung infolge gleichartiger mit der Flurform gesehen werden. Eine Nutzung, trotz Ablösung von Flurzwang Dorferneuerung kann nur im Rahmen einer und Beweidung, hatte sich nur an wenigen umgreifenden Flurbereinigung ihr Ziel errei­ Stellen bis in die Gegenwart erhalten. Zu­ chen. Die „kreuzlaufende Kurzstreifenge­ meist war sie in das buntscheckige Farbmo- wannflur“ war das Dokument der besitz­ saik individuell geregelter Nutzung der Flur­ rechtlichen Ordnung der Anbaufläche einer stücke in freier Fruchtfolge aufgelöst. Beide Gemarkung, eine Erblast auch anderer Erscheinungen sind Zeichen erschwerter Ar­ fruchtbarer Agrarlandschaften, in denen beitsbedingungen, sowie großen Zeit- und Realerbteilung herrschte. Die Parzellierung Kostenaufwands. besonders wertvoller Besitzstücke war oft so­ Strukturschwäche war die Grundsituation weit vorgetrieben, daß man sie auf wenige der Freiteilbarkeitsgebiete: Kleinbäuerliche, Quadratmeter schrumpfen ließ. kapitalschwache Betriebe, Besitzzersplitte­ Noch vor wenigen Jahren konnte man im rung, weite Feldentfernungen, beengte Hof­ Luftbild der Gemeinde Elsenz trotz extrem stellen infolge fortschreitender Überbauung, parzellierter Flur eine einheitliche Farbge­ überalterte und unzureichend ausgestattete bung zur Erntezeit feststellen: Großflächiges Gebäude, Behinderung der Ausfahrten. Ihre Gelb kontrastierte mit dem Grün in einem typischen Folgen: Starke Bodenbewegung, Drittel der Flur. Das Luftbild zeigte eine Si­ unangemessener Anteil von Pachtland, Ge­ tuation, in der man noch an einer einheitli­ bäudeverfall, Berufswechsel der jungen Ge­ chen Nutzung von Parzellenkomplexen fest­ neration, Entvölkerung des ländlichen hielt, die früher für die Landwirte verbind­ Raums, um nur einige zu nennen. lich war. Wegen er starken Parzellierung mußten die verschiedenen Feldarbeiten der Bauern aufeinander abgestimmt werden, da Modellbeispiel der Neuordnung nicht alle Flurstücke über das Wegenetz er­ Die ersten zukunftsweisenden Modellversu­ reichbar waren. Uberfahrtsregelungen traten che einer Gesamterneuerung von Dorf und an die Stelle des Wegeanschlusses. Der An­ Flur wurden in Stebbach gemacht. Die Flur­ bau auf den drei Zeigen wechselte bei dieser bereinigung hat die Feldmark grundlegend Dreifelderwirtschaft in einer Rotation von gewandelt: An die Stelle einer schmalstreifig Wintergetreide, Sommergetreide und Bra­ parzellierten Gewannflur sind breite Flur­ che. Die Brachzeige wurde ursprünglich be- blöcke einer „Blockflur“ getreten. Ihre 335 durchschnittliche Größe beträgt 2,1 ha, über­ ländlichen Raum seit den Rodungen des schreitet also die Mindestgröße für den Ein­ Mittelalters. Sie haben zwar neue Möglich­ satz von Vollerntemaschinen; vor der Umle­ keiten der Mechanisierung, der Rationalisie­ gung hatte ein „Handtuch“ im Durchschnitt rung der festen und beweglichen Ausstattung nur 0,14 ha! 98 Betriebe bewirtschafteten da­ ermöglicht und damit eine gewaltige Steige­ mals etwa 5000 solcher Parzellen auf einer rung der Produktivität bei geringerem Ar­ Fläche von 794 ha. Der Zusammenlegungs­ beitseinsatz bewirkt, das Streben nach einer grad liegt bei 15:1. Zur Erschließung der Fel­ Einkommensparität mit dem Durchschnitt der wurden 20 km Wege angelegt, zur der Erwerbstätigen hat den Landwirt aber Hälfte mit einer Schotter- oder Asphalt­ auch bewogen, durch weitere Betriebsverein­ decke; 9 km Gräben, 12 ha Drainierungsflä- fachung, Aufstockung und Kapitaleinsatz chen wurden neu geschaffen, außerdem Rei­ neue Pflichten und Lasten und damit wirt­ henpflanzungen für Windschutz und Land­ schaftliche Risiken zu übernehmen, von den schaftspflege. Durch diese Maßnahmen wur­ ökologischen Gefahren durch Beseitigung den fast optimale Arbeitsbedingungen für die natürlicher Ökosysteme und vermehrter ausgesiedelten Betriebe geschaffen; man ver­ Düngung der beackerten Flächen ganz zu mied eine Vereinödung, weil sich eine Grup­ schweigen. pensiedlung leichter versorgen und an das Der von den Agrarbetrieben verlassene Dorf­ Dorf mit seinen Einrichtungen anbinden kern war besonders erneuerungsbedürftig. läßt. Da fast die Hälfte des Baubestandes überal­ Flurbereinigungen und Aussiedlungen der tert und für eine moderne Wohnnutzung vergangenen Jahrzehnte waren die tiefgrei­ nicht mehr brauchbar war, da sich also eine fendsten Eingriffe des Menschen in den Einzelsanierung aus baulichen und hygieni-

Wössingen, Zementwerk, Zeichnung von Richard Bellm, 1985

336 sehen, aber auch aus besitzrechtlichen und den. Die Arbeits- und Ausbildungsplätze arbeitstechnischen Gründen zumeist nicht müssen freilich in täglichen Pendelwande­ mehr lohnte, entschloß man sich zur Ge­ rungen außerhalb der Gemarkung aufge­ samtsanierung: Mit der „Auskernung“, dem sucht werden. Das dörfliche Handwerk ist Abriß also der oft funktionslos gewordenen mit dem Aufkommen der Massenfertigung Bauten wurde eine tabula rasa von etwa 5 ha verschwunden, aber einige gewerbliche geschaffen, die ein Bündel von Maßnahmen Kleinbetriebe haben Fuß gefaßt. Die Mög­ möglich machte: Neuregelung der Verkehrs­ lichkeit des Sonderkulturanbaus bindet noch verhältnisse (innerörtliche Verbindungswege, heute viele Auspendler an die Landbewirt­ Fußgängerbereiche, Zufahrten, Autopark­ schaftung (Abstockung zum Nebenerwerbs­ plätze, Omnibushaltebuchten), Bereitstellung betrieb). von zweckmäßig geformten Flächen in zen­ Kürnbach ist ein Musterbeispiel für eine be­ traler Lage, die den Einsatz von Kapital für sonders starke Siedlungsverdichtung, durch zentrale Einrichtungen eines ländlichen ter­ Befestigungsanlagen verstärkt, im Weinland. tiären Sektors lohnend erscheinen ließen, Eine in mehreren Stufen durchgeführte Freiraum für individuelle Erholung und ge­ Dorfsanierung und ein Zusammenlegungs­ sellschaftliches Zusammenleben. Der von verfahren mit Aussiedlungen haben die Ver­ Dienstleistungsunternehmen gesäumte Dorf­ hältnisse von Grund auf geändert. platz zeigt sich heute als ein mit Grünflä­ chen, Blumenrabatten, Baumgruppen und ei­ nem Springbrunnen geschmückter Binnen­ Weinbau und Rebflurbereinigung raum. Die Kontrastierung des alten, giebel­ Der engen Ortsverbauung entsprachen die ständigen, im landesüblichen Fachwerk er­ extrem parzellierten Wein-„Berge“. Es sind richteten Rathauses mit dem aus einem Ar­ Rückzugslagen des vor der Zeit der verhee­ chitektenwettbewerb hervorgegangenen Rat­ renden Kriege und Rebkrankheiten sehr viel hauses in moderner Flachbauweise läßt das weiter verbreiteten Weinbaus. Zu den guten Bestreben erkennen, städtischen Ansprüchen regionalen Klimabedingungen treten hier gerecht zu werden, auch wenn das Dorfbild kleinklimatische Gunstfaktoren in bestimm­ gestört wird. Seit dem Jahr des Denkmal­ ten Höhenlagen der Süd- und Südwest­ schutzes mehren sich kritische Stimmen, die hänge. Sie erwärmen sich schnell und werden behaupten, man habe Stebbach zwar saniert, durch Fröste vergleichsweise wenig gefähr­ seine geschichtliche Identität aber zerstört. det, da kalte Luft abfließt, also eher tiefe La­ Die Bezeichnung „Kahlschlagsanierung“ ist gen schädigt. häufig zu hören. Der Neigungswinkel der Hänge bedingt Der Trend der die 60er Jahre bestimmenden Strahlungsgewinn, aber auch die Gefahr ver­ Abwanderung ist jedenfalls gebrochen. Mit stärkter Bodenerosion. Immer wieder muß­ einer leichten, aber stetigen Zunahme der ten die Weinbauern die abgespülte Erde Wohnbevölkerung, die sich in einer geordne­ mühsam hangaufwärts schleppen, sofern sie ten Neubauzone niederließ, zeigt Stebbach nicht bei katastrophenartigen Niederschlä­ die typischen Merkmale einer florierenden gen in fernen Talauen zur Ablagerung ge­ Wohngemeinde außerhalb der Entwick­ kommen war. Namen wie Leimbach oder lungsachsen. Die mit dem Strukturwandel Dreckwalz weisen auf die Schwebstoffüh- oft verbundenen Folgen der Kernfäule, der rung und die Abtragung hin, der besonders unkontrollierten Auswucherungen („Zersie- Lößlehm und Keupermergel unterliegen. delung“), des geringen Versorgungsgrads Terrassierung und Anlage von Weinbergs­ der Einwohner und das Brachfallen von Flur­ mauern waren Versuche, die Hangbewegung teilen konnten weitgehend verhindert wer­ aufzuhalten. Schon der Arbeitsanfall zur Bo­ 337 denpflege zeigt den hohen Intensitätsgrad nahme der Wertschöpfung erzielt, sowohl der alten Terrassenkulturen. Dazu kommt nach Menge wie Güte des Ertrags. Doch der große Pflegebedarf der Weinrebe. Bei stößt man nun an die Grenze der Aufnahme­ keiner anderen Kultur ist die Zerstückelung fähigkeit des Marktes. Gelegentlich erledigt des Grundbesitzes so weit fortgeschritten. eine Mißernte die Aufgabe der Mengenbe­ Keine andere Kultur hat eine ähnlich ver­ schränkung — wie im Jahre 1984 nach zwei dichtende Wirkung auf Bevölkerung und Uberschußjahren. Die Konkurrenz der Son­ Siedlung ausgeübt wie der Rebbau, lokal wie nenländer Südeuropas wird die wirtschaftli­ regional im Stufenvorland des Keupers wie chen Rahmenbedingungen im EG-Markt er­ an den Abhängen zur Ebene. Das Erntegut neut verändern. Die Kellereitechnik der Zen­ braucht weniger Bergeraum; Weingärtner­ tralgenossenschaft in , wohin fast häuser konnten daher enger zusammenrük- die ganze Weinlese des ehemals badischen ken. Keine Kultur unterlag aber auch solch Kraichgaus in großen Tankwagen befördert großen Schwankungen des Ertrags wie der wird, strebt daher Spitzenweine an. Anbaufläche. Oft wurden die hangparallelen Weinbergterrassen aufgelassen oder für we­ niger arbeitsintensive Nachfolgekulturen ge­ Zuckerrübenanbau nutzt, z. B. Beerensträucher. Die Leitkultur der tiefgründigen Lößflächen, Das neue Rebland ist nach arbeitssparenden wird durch die Kontingentierung der Zuk- Gesichtspunkten gestaltet. Die Rebflurberei- kerfabrik eingeschränkt, nach dem Maß ih­ nigung — im Kürnbacher Weinbaugebiet rer Kapazität und den Absatzmöglichkeiten. Morforst wurde sie 1968 durchgeführt — Die Verarbeitung erfolgt außerhalb des verlangte beträchtliche Kapitalinvestitionen: Kraichgaus, da er als Wassermangelgebiet Schaufellader und Planierraupen kamen zum den großen Wasserbedarf nicht befriedigen Einsatz, um die Hangneigung auf ein gerin­ kann. Zuckerrübenanbau gehört heute zu geres Maß zurückzuhobeln, Steinwälle und den lohnendsten Betriebszweigen der Land­ Stützmauern zu beseitigen. Breite, asphal­ wirtschaft auf den Gäuflächen. Er hat, ob­ tierte, hangparallele Wirtschaftswege bilden wohl die Zuckerrübe als Hackfrucht gilt, sei­ heute das Grundgerüst der Erschließung, nen arbeitsintensiven Charakter, der ihm frü­ auch für schwere Maschineneinheiten. Weit­ her eine Grenze setzte, verloren. Die Ent­ ständige, monoton wirkende Drahtanlagen wicklung der Verfahrenstechniken, der über­ haben die herkömmlichen Rebpfähle ersetzt. betriebliche Maschineneinsatz und die gün­ So wurde motorisierten oder durch Seilwin­ stigen Transporteinrichtungen haben den Ar­ den gezogenen Bearbeitungsgeräten für Bo­ beitsaufwand gedrosselt. den und Pflanzen Zugang geschaffen. Einer wachsenden Erosionsgefahr durch Pflugeinsatz oder die Verwendung schwerer Natursteine, Baustoffe Maschinen, die den Boden in der Hangnei­ Die rohstoffständige Natursteinindustrie hat gung zu sehr freisetzten oder verdichteten, ihre frühere Bedeutung für die Bauwirt­ war man sich in einem rein ökonomisch be­ schaft, die Erwerbsstruktur und die Physio­ fangenen Denken meist nicht bewußt. Zu gnomie der Siedlungen, wie in der „Baustoff­ Auffanggräben und Wasserstaffeln sind in­ provinz“ des Keupersandsteins im Ost- zwischen auch weitere bodensichernde Maß­ Kraichgau, eingebüßt. Der Beton hat als nahmen hinzugekommen. Die durch den Ka­ Baustoff die Rolle des Natursteins übernom­ pitaleinsatz erhöhte Arbeitsproduktivität hat men. Für die Zementherstellung bietet das an einer Verringerung der im Weinbau Tätigen mineralischen Bodenschätzen arme Gäuland möglich gemacht und trotzdem eine Zu­ dort die Voraussetzungen, wo man günstig 338 Zu- und Abfahrten hat. So finden sich ältere und das Siedehaus mit 4 Pfannen, in denen Zementwerke im Muschelkalktal des Nek- die Sole aus 180 m Tiefe zu Speisesalz gesot­ kars und am Gebirgsabfall im Westen. Mit ten wurde, eingeweiht. Die Saline mit ihren der Wiederaufbauphase der Nachkriegszeit mächtigen Schornsteinen kam in den letzten fällt die Gründung des Portlandwerks Wös­ Jahren zum Abbruch, um für den Ausbau singen zusammen. Seinen Fortbestand ver­ von Kureinrichtungen Platz zu machen. Sole dankt es wie die anderen Werke den guten wird heute nur noch für den Badebetrieb ge­ Abbauverhältnissen, der technischen Ausstat­ fördert; er wurde schon im Jahre 1833 mit tung und der Nachfrage in dem Raum bisher 100 Kurgästen in diesem ältesten badischen lebhafter, nun aber abklingender Bautätig­ Solebad eröffnet. Heute erfolgt das Badele­ keit. Die Planung von Erweiterungen und ben in kommunaler Eigenregie mit dem Er­ Neuinvestitionen zeigt einen optimistischen gebnis, daß man über 2000 Kurbetten ver­ Blick in die Zukunft mit dem Bedarf des fügt, daß die Zahl der Übernachtungen seit Schnellbahnbaus (1985). Das Werk kann als Anfang der 70er Jahre eine halbe Million idealtypisches Beispiel der Rohstoffständig- übersteigt. Lange hat es jedoch gedauert, bis keit eines Verarbeitungsbetriebs dienen. Eine dem Kraichgaudorf der begehrte Titel „Bad“ kleine Arbeitsgruppe schiebt die Abbauwand verliehen wurde (1930), obwohl es schon in durch Großlochsprengung in die flachla­ die Mittelgruppe des an Bädern nicht armen gernde Muschelkalkplatte vor, Schaufellader Landes aufgerückt war. Schließlich wurde und Transportbänder befördern das Rohma­ nach dem kommunalen Zusammenschluß im terial in die Mühlen, die immer genügend Jahre 1973 dem neuen Gemeinwesen mit Vorrat schaffen, um die Öfen kontinuierlich 14 000 Einwohnern — das Kerndorf hatte zu beschicken. Der durch Sintern gewon­ inzwischen 7000 — sogar der Titel „Stadt“ nene Zementklinker wird erneut gemahlen, zuerkannt. mit Zusätzen für verschiedene Zementsorten Das Solebad wirbt heute für Kuren gegen vermengt und in Silos zum Abtransport über chronische Infektions- und Konstitutions­ die Straße gelagert. Das ist ein Vorgang, der krankheiten (Bronchial- und Rheumaleiden); heute eine größere Belastung darstellt als die Bewegungstherapie spielt eine dominierende Entwicklung von Staub bei der Produktion, Rolle. Das in einer mittleren Meereshöhe denn dieser wird fast vollständig wieder in von 235 m ausgebildete Lokalklima wird mit die Produktion zurückgeführt. einer Jahresdurchschnittstemperatur von 17,3 °C, ausreichendem Sonnenschein — be­ sonders im Winter — und mäßigen Nieder­ Salinen und Bäderwesen schlägen als besonders schonend ausgewie­ Wesentlich früher wurde der mineralische sen und empfohlen. Mit seiner Aufgeschlos­ Reichtum der Tiefe gefördert. Schon zu Be­ senheit für die Erfordernisse der Zeit hat das ginn des 19. Jahrhunderts (1815) brachte „ländliche Heilbad“ hinsichtlich der Menge man auf württembergischem Boden eine der Kurbetten, der Zahl der Gäste und der Bohrung in das Salzgebirge des mittleren Durchschnittsdauer der Kuraufenthalte die Muschelkalks nieder. Kurz danach erfolgte Bädergruppe weit hinter sich gelassen. Dies eine Bohrung in dem damals hessischen gilt besonders für Wimpfen, das sich heute Wimpfen. Schließlich nahm auch Baden am auch mit dem Titel „Bad“ schmückt, aber Wettbewerb um das wirtschaftlich bedeu­ nicht über die räumlichen Entfaltungsmög­ tende Salzvorkommen teil, in der Nähe der lichkeiten verfügt. Dagegen besitzt das einst Grenze und unmittelbarer Nachbarschaft zu nachgeordnete Rappenau als begehrter seinen Konkurrenten. Schon 1823 wurde die Wohnort in ländlicher Umgebung heute eine Ludwigssaline in Rappenau feierlich eröffnet der höchsten Bevölkerungswachstumsraten. 339 Auch die Bädergruppe am Westrand des waren durch die Betriebe auszugleichen, Kraichgaus hat sich kräftig entwickelt. ohne daß große soziale Härten entstanden. Hier stammen Wässer aus schwefelhaltigen So gab es am Anfang dieses Jahrhunderts Schichten des Jura, der sich in der Mulden­ kaum ein Dorf, das nicht von kleinen Zigar- achse erhalten hat. Die unter dem Namen ren„fabriken“ durchsetzt war. Sie fielen, da der baufreudigen Barockfürsten Schönborn sie in einfachen Räumen unterzubringen wa­ als Bad Schönborn zusammengeschlossenen ren, im Siedlungsbild weniger auf als die Badeorte Mingolsheim und Langenbrücken physiognomisch so auffälligen Trockenspei­ stehen in der Reihe der an das Spaltensystem cher der Erzeugerbetriebe bzw. -gemein- am Ostrand des Oberrheingrabens gebunde­ schaften. Ostringen besaß in der Zwischen­ nen Thermen. kriegszeit allein 20 Betriebe der Tabakverar­ beitung, wobei kleinere Unternehmen sicher nicht mitgezählt sind. Industrieentwicklung Der letzte Zweigbetrieb wurde im Jahre 1980 aufgegeben. Änderung der Verbraucherge­ Hier, wo in tektonisch tiefster Lage die wohnheiten (Vormarsch von Zigarette, Vir­ Grenze des Kraichgaus morphologisch kaum ginia- und Orienttabaken), Gefährdung zu bestimmen ist, hat sich in mehrerer Hin­ durch Pflanzenkrankheiten, Rationalisierung sicht eine Sondersituation ergeben. Klima und Technisierung der Arbeitsprozesse hat­ und Boden ermöglichen Sonderkulturen der ten der Blüte der kleinen Betriebseinheiten, verschiedensten Art. Auch die Verkehrslage die der billigen Arbeitskraft nachgezogen ist günstiger als im inneren Kraichgau; frü­ waren, den Garaus gemacht. Die Verarbei­ her als dort ist hier der Anschluß an die Ei­ tung zog sich auf die Innovationskerne an senbahn erfolgt. den Binnen- und Seehäfen zurück. Für das besonders verdichtete Großdorf Öst- Die Anbaumöglichkeiten für Intensivkultu­ ringen, das sich seit 1981 „Stadt“ nennen ren haben die Realteilung gefördert, nicht­ darf, wurde Tabakanbau und Tabakverarbei­ agrarische Teilzeitarbeit konnte die Existenz tung stützend und stabilisierend. Der im 17. von Kleinstbetrieben sichern und der Bevöl­ Jahrhundert durch am Oberrhein angesie­ kerungsverdichtung Vorschub leisten. So delte Exulanten eingeführte Tabak breitete reichte das Angebot des dicht besiedelten sich, gefördert durch die Speyerischen Fürst­ Raums an männlicher Arbeitskraft aus, um bischöfe, von den Innovationszentren der den Bedarf eines industriellen Großbetriebs, Ebene in den Kraichgaurand aus. Hier ent­ der hier in den 60er Jahren seine Produktion standen auch durch ihre Initiative die ersten, aufnahm, zu befriedigen. Die Standortent­ kaum mechanisierten Kleinbetriebe der Ta­ scheidung des englischen Chemie-Weltkon­ bakverarbeitung. Wirtschaftliche Not im Ge­ zerns ICI erfolgte im Hinblick auf den sich folge von Weinbaukrisen begünstigten den bildenden Markt der Europäischen Gemein­ Innovationsprozeß, die Ausweitung der Pro­ schaft nahe einer seiner wichtigsten Entwick­ duktion von Rohtabak und Zigarren. Die lungsachsen. Die Nähe der Autobahn, durch Manufakturen setzten keine technischen eine Auffahrt ohne Umwege zugänglich, er­ Kenntnisse und Fertigkeiten voraus; so wies sich als besonders günstiger Standort­ konnten sie mit Filialbetrieben der in großer faktor. Entscheidend für die Standortwahl Zahl freiwerdenden billigen Arbeitskraft in war das große Arbeitskräfteangebot. Die für den kleinbäuerlichen Gemeinden nachrük- die Produktion benötigten Mitarbeiter konn­ ken. Absatzkrisen und saisonbedingte Fluk­ ten problemlos angeworben werden, ohne tuationen der halbbäuerlichen Arbeitnehmer daß andere Betriebe in eine Krise gerieten. 340 Industriestandorte gen und der Diffusion wirtschaftlicher Tätig­ Die Zeit der Vollbeschäftigung ist vorüber. keiten — der jahrhundertelang stagnie­ Arbeitskräfteknappheit hatte eine Dispersion renden Kleinstadt wirksame Entwicklungs­ unternehmerischer Initiativen und Aktivitä­ impulse. Altstadtsanierung, Ausbau und Aus­ ten in die ländlichen Gebiete in Gang ge­ stattung der Kernstadt zu einem leistungsfä­ setzt. Die Dezentralisierung wurde durch re­ higen Mittelzentrum an der Peripherie des gionalpolitisch motivierten Ausbau der Ver­ Verdichtungsraums hat jedoch zu baulichen kehrsnetze und die dadurch wachsende Mo­ Veränderungen geführt, die nicht immer als bilität gefördert. Das Angebot von Steuer­ geglückt bezeichnet werden können. vorteilen, von niedrigen Boden- und Miet­ „Verkehrsdrehscheibe“ nennt eine Untersu­ preisen für Grundstücke jeglichen Zuschnitts chung über „Die Wirtschaft im Mittelbereich konnten Arbeitskräfte und Flächen suchende “ der Industrie- und Handelskam­ Industriebetriebe aus den beengenden Ver­ mer Mittlerer Oberrhein aus dem Jahre 1983 dichtungsräumen anlocken. Ansiedlungen das Mittelzentrum Bruchsal. Seine Bedeutung entstanden besonders dort, wo die Lage als Straßen- und Eisenbahnknoten, die be­ schon frühe Aktivitäten begünstigt hat: An reits in der Vorkriegszeit bestand, hatte für den Pforten des Kraichgaus und an den die Stadt verheerende Folgen. Drei Viertel Kreuzungspunkten des Innern. Waren die äl­ des Baubestands fielen noch in der Schluß­ teren Industrieansätze in den Bahnhofberei­ phase des Krieges Luftangriffen zum Opfer. chen der Schienenstränge noch recht be­ Ein Teil der Häuser erfuhr einen schnellen scheiden, in der Zeit der Vollbeschäftigung Wiederaufbau, andere wurden der Einkaufs­ wurden sie großzügiger angelegt. Der Schie­ zentralität geopfert (Parkflächen um den al­ nenverkehr hatte seine Vorrangstellung ge­ ten Burgturm, den Kristallisationspunkt der genüber dem Verkehrsträger Straße einge­ Stadt) oder durch moderne Zweckbauten büßt, die neuen Industriestandorte waren ersetzt. „Der starke Durchgangsverkehr nicht mehr an die Schiene gebunden. Räum­ hemmt und stört jedoch erheblich die Ein­ lich getrennt von diesen Industriezonen ent­ kaufs- und Kommunikationsfunktion“ der wickelten sich weitflächige Wohngebiete, Innenstadt (IHK-Studie, S. 58). Die Mobili­ ganz auf Stichstraßen und Individualverkehr tät erhöht den Konkurrenzsog der nahen bezogen. Oberzentren und somit die Gefahr des Kauf­ kraftabflusses. Die kriegsbedingten Substanzverluste wur­ Zentrale Orte den ausgeglichen, der in der Vorkriegszeit Wiesloch, an der Nordwestecke des Kraich­ von der Tabakverarbeitung beherrscht war, gaus, reiht sich in die Gruppe der Straßen­ zu neuem Beginn geführt und vervielfältigt knoten ein, die den Grabenrand begleiten. (diversifiziert). Arbeitsplatzangebot und Ein­ Hier kreuzen sich, die feuchten Niederungen wohnerzahl sind jedoch konjunkturellen meidend, Bergstraße und eine alte West-Ost- Schwankungen unterworfen; besonders die Verbindung vom Rheinübergang bei Speyer „erwerbsstarken und mobilen“ Arbeitnehmer über Wimpfen nach Nürnberg. Durch den zeigen Abwanderungstendenz. Kaufkraftver­ Eisenbahnbau wurden die Standortbedingun­ luste werden spürbar. gen nur in Nord-Süd-Richtung verstärkt. Der konjunkturellen Anfälligkeit sucht die Autobahn und Motorisierung brachten Wies­ Stadt nicht nur mit attraktiven Einkaufsmög­ loch in den Sog des Verdichtungsraums am lichkeiten und Flächenangeboten für das unteren Neckar, vermittelten aber zugleich produzierende Gewerbe entgegenzuwirken, auch — nach dem regionalpolitischen Kon­ sondern auch mit kulturellen Aktivitäten, die zept der Auflockerung von Industrieballun­ sich auf das wiederaufgebaute fürstbischöfli­ 341 che Residenzschloß konzentrieren, das groß­ innerhalb einer Fläche von 4 ha mit kleinbür­ artige Werk barocker Baukunst von europäi­ gerlichem und bäuerlichem Zuschnitt; ein schem Rang. Die Stadt hat sich weit über den Patriziat hat es sicher nicht gegeben. Der alte Schloßbezirk hinaus entfaltet, sich einen Baubestand hat nach Bränden und Zerstö­ breiten Bildungssektor gesichert, wenngleich rungen der Bauern- und Franzosenkriege nach der Kreisreform viele Funktionen an mehrfach sein Gesicht geändert; die Abstim­ die nahe Großstadt Karlsruhe, die junge mung auf das Ensemble schien gewahrt, das Gründungsstadt mit ihrer einst gleichrangi­ Eingriffe der Gegenwart aber empfindlich gen Residenz, verloren gingen. stören. Die Vertikalentwicklung ist eher er­ Das zur ältesten Siedlungsgeneration zäh­ träglich im Bereich des einstigen Obertors, lende Grötzingen (Ersterwähnung des -in- wo sich eine Hochbebauung mit einem gen-Orts 991), das den südlichsten Talaus­ Funktionsschwerpunkt dem Altstadtring an­ gang der Kraichgaustädte besetzt, dessen to­ fügte. Der Konzentration städtischer Funk­ pographische Lage durch die Ansatzstelle des tionen im Kernbereich stehen die pilzartig in schwach geneigten Schwemmkegels der der Peripherie wuchernden Neubaugebiete Pfinz markiert ist, Grötzingen, die Mutter­ gegenüber. An beiden Erscheinungen läßt siedlung der Niederterrassenstadt Durlach sich die sprunghafte Entwicklung der Nach­ und damit die Großmutter der ebenen Plan­ kriegsjahre ablesen. Als Auslöser des Wachs­ stadt Karlsruhe, ist nicht Stadt, nur städti­ tums nach jahrhundertelanger Stagnation scher Ortsteil, d. h. administrativ in die kann die Verkehrsentwicklung angesehen Großstadt eingegliedert worden, nachdem werden. Angelockt durch den Eisenbahnbau das großstädtische Wachstum die räumlichen ließen sich kleinere Betriebe der Metall- und Distanzen überwuchert hatte. Grötzingen ist Holzverarbeitung in einem am Gleiskörper ein Beispiel der Vergroßstädterung und der entlang laufenden Fabrikstreifen nieder, der sich verstärkenden Hierarchisierung der so locker bebaut war, daß heute dort eine Er­ Zentren, zugleich aber auch für die soge­ holungszone eingerichtet werden konnte mit nannte Stadtflucht, der Präferenz der Städter Stadthalle und Sportzentrum. also für ein Leben auf dem Lande, frei von Die Einwohnerzahl stieg explosionsartig den Belastungen der Innenstädte. durch die Aufnahme von Heimatvertriebe­ Belastungen durch den Individualverkehr nen und Evakuierten. Förderungsprogramme sind freilich in den kleinen Kraichgaustädten des Landes für wirtschaftlich schwach struk­ eher stärker spürbar, bauliche Veränderun­ turierte Gebiete setzten weitere Arbeitskräfte gen der Hauptstraßen unangemessener — aus der kleinbäuerlichen Landwirtschaft frei wie etwa in Sinsheim, dem zentralen Ort des und gaben das Startzeichen für den Auf­ nördlichen Kraichgaus. Die Marktstraße, die schwung der gewerblichen Wirtschaft mit ei­ das Altstadtoval in der Längsrichtung schnei­ nem großen Angebot neuer Arbeitsplätze. det, bildet noch heute die Achse des Stadt­ Ihre Expansion erfolgte vor allem nach der kerns; damit fiel ihr die Rolle der Hauptge­ Fertigstellung der Kraichgau-Autobahn im schäftsstraße des Mittelzentrums zu mit einer Jahr 1968, einer Art Querspange zwischen Funktionsausweitung, deren Dimensionen den Verdichtungsräumen am mittleren und sie nicht gewachsen war. Dieser für mittelal­ unteren Neckar. In den Jahren 1969 —1974 terliche Verhältnisse angelegten axialen ließen sich 8 Betriebe hier nieder, vor allem Marktstraße schlossen sich schmale Eigen­ Zulieferer der Großindustrie (A. Schlitt in tumsparzellen an und mit gewisser Regelmä­ Kraichgau, F. 2, S. 69). Ihre Belieferung er­ ßigkeit abknickende Gassen, gleich Rippen folgt ausschließlich über die Straße durch am Rückgrat. Die Stadtentwicklung gründet Speditionen und eigene Fahrzeugparks. Mit sich also auf einen rippenförmigen Grundriß der Schaffung dieser Arbeitsplätze, vor allem 342 in der großflächigen Industriezone entlang len hatte die Stadt im Jahre 1980 eine Ein­ der Autobahnauffahrt, ist Sinsheim zum be­ wohnerzahl von 26 177 erreicht. deutendsten Einpendlerzielort, zugleich auch Auch Bretten, der einstige Sitz des Kraich- zum stärksten Zuwanderungspol des nördli­ gaugrafen und heute das Zentrum des südli­ chen Kraichgaus geworden. Das Ausmaß chen Kraichgaus, erlebte die stürmischste dieses Wachstums — annähernd Verdreifa­ Entwicklung in der Nachkriegszeit. Mehr als chung der Bevölkerung der Kernstadt von alle anderen Städte hatte Bretten schon frü­ 3900 auf 9644 zwischen 1939 und 1980 — her den Charakter einer Gewerbestadt; älter läßt sich an der Neubautätigkeit ermessen, und bedeutender war ihre Handwerker- die in wenigen Jahren zu einer Verdoppe­ schicht, die sich vor allem der Textil- und lung der überbauten Fläche führte (K. Lederverarbeitung widmete. Das heutige Deutsch, S. 106). Durch den Industrialisie­ Wirtschaftsleben wird von Industriebetrieben rungsschub hat Sinsheim die Stagnations­ geprägt, von denen sich einige aus dem phase als Landstadt hinter sich gelassen und Handwerk zu Großfirmen entwickelt haben. sich als industrieller Randkern an die Aktiv­ Die beiden bekanntesten Großunternehmen räume angeschlossen. gehören der metallverarbeitenden Industrie Durch die Kreisreform verlor die als Mittel­ an und sind spezialisiert auf Haushaltsma­ zentrum ausgestattete Stadt zwar eine Reihe schinen und Kücheneinrichtungen der ver­ von Funktionen an das Oberzentrum im Ver­ schiedensten Art. Die schnelle Reaktion auf dichtungsraum am unteren Neckar, konnte den großen Nachkriegsbedarf und die sich aber durch die Kommunalreform 12 Ge­ ändernden Verbrauchergewohnheiten, die meinden als Teilorte wiedergewinnen. Für Schaffung weltweiter Handelsbeziehungen sie nimmt Sinsheim als Große Kreisstadt aufgrund eines hervorragenden Qualitäts­ Funktionen des Landratsamtes wahr (80% image haben zu einer gewaltigen Ausweitung der Landkreisaufgaben). Mit diesen Ortstei­ der Produktion mit hohem Exportanteil ge­

Langenbrücken, Zeichnung von Richard Bellm, 1985

343 führt. Zweigwerke wurden notwendig, nach­ einstellen, muß man doch fragen, ob der Sog dem Boden- und Arbeitsmarkt erschöpft wa­ der nahen Großstadt sich nicht dadurch ver­ ren. Ein Ring von Zuliefererbetrieben der stärken wird. Schon heute besteht — nach ei­ Elektrotechnik, der Feinmechanik und ner Untersuchung zur Einzelhandelsstruktur Kunststoffverarbeitung entstand. der Großen Kreisstadt Bretten, im Auftrag Bretten hat heute wieder fast 10 000 Arbeits­ der Industrie- und Handelskammer Mittlerer plätze anzubieten und ist bestrebt, das Ange­ Oberrhein aus dem Jahre 1980 — nur noch bot zu erhöhen durch Anlage und Ausbau ei­ eine „Kaufkraftbindung von weniger als 50% nes neuen Industriegebiets seit dem Ende der bei Gütern des mittel- und langfristigen Be­ 70er Jahre. Konjunktureinbrüche in der darfs“ nach Bretten. Die Ströme der Ein­ Mitte der 7Oer und erneut zu Beginn der kaufspendler richten sich also vermehrt nach 80er Jahre mit einem Anstieg der Arbeitslo­ den besser ausgestatteten Oberzentren Karls­ senzahlen weit über den Landesdurchschnitt ruhe und , Kaufkraft fließt ab. hinaus hatten in erschreckender Weise auf An einem Standort ohne Eisenbahnanschluß, die Gefahr einer Monostruktur für die örtli­ aber in enger Verbindung mit der aufstreben­ che Wirtschaft aufmerksam gemacht. Der in den Brettener Industrie entstand in dem bis die Krise geratene Großbetrieb mußte sein in die Vorkriegsepoche hinein noch vorwie­ Produktionsprogramm straffen, um die Zahl gend bäuerlich bestimmten Dorf Oberderdin­ der Arbeitsplätze annähernd erhalten zu gen durch unternehmerische Initiative in der können. Wiederaufbauphase der Nachkriegszeit ein Die Entwicklung zur Industriegesellschaft weiterer industrieller Schwerpunkt. Ausge­ hat ein bislang unbekanntes Anwachsen der richtet auf den steigenden Bedarf konnten Bevölkerung begründet. Vom Ende des 2. sich zwei Firmen der Metallverarbeitung aus Weltkriegs bis zum Jahre 1970 konnte die kleinen Anfängen zu Großbetrieben entwik- Kernstadt ihre Einwohnerzahl verdoppeln; keln. Ihr rascher Aufstieg stützte sich auf die inzwischen (1984) ist sie leicht zurückgegan­ Verarbeitung von nichtrostendem Stahl für gen, dagegen in den eingemeindeten Teilor­ Spültischabdeckungen, auf eine technisch ten so angestiegen, daß man von einer Ver­ hochwertige Serienfertigung von Elementen vierfachung der Bevölkerung (Gesamtstadt) für Kücheneinrichtungen, für Haushaltstech­ sprechen kann. nik und, mit der jüngsten Produktionsaus­ weitung, für Medizintechnik. „Mehr als die Hälfte aller Wohnungen Bret- tens sind nach 1950 errichtet worden“ Man konnte das Arbeitskräftepotential des (Deutsch, S. 104), ein fast geschlossener Vorlandes am Stufenrand der Keuperberge Ring neuer Wohnsiedlungen. Neben aufge­ nutzen, in dem sich durch Verdienstmöglich­ lockerten Eigenheimgebieten entstanden keiten in Weinbau und Steinbrucharbeit eine Konzentrationen der Wohnfunktion in hohe Bevölkerungsdichte gebildet hatte. Ne­ mehrgeschossigen Hochbauten. Trotz der ben den aus der Landwirtschaft ausscheiden­ Wanderungsgewinne reicht das Arbeitskräf­ den Arbeitskräften wurden Heimatvertrie­ tepotential der Stadt nicht aus; fast 4000 Ein­ bene und Gastarbeiter angeworben. Der pendler aus dem Umland suchen täglich ihre Pendlereinzugsbereich zog immer weitere Arbeitsplätze in Bretten auf. Um die Ver­ Kreise; die Zahl der einpendelnden Arbeit­ kehrsströme besser bewältigen zu können, nehmer erreichte schließlich höhere Werte steht eine Anbindung Brettens an das Nah­ als die ansässige Wohnbevölkerung. Gegen­ verkehrsnetz des Oberzentrums Karlsruhe über dem traditionellen Auspendeln in die zur Diskussion. Mag man sich noch so posi­ benachbarten Verdichtungsräume verstärkte tiv zum Ausbau öffentlicher Verkehrssysteme sich die innerräumliche Pendelwanderung. 344 Stebbach, Zeichnung von Richard Bellm, 1985

Ausblick Ob die Entwicklung der Brettener Industrie, tur und des Bildungswesens war auf Beseiti­ des Wachstumsmotors der Nachkriegsjahre gung, mindestens aber Verringerung räumli­ ihren Schwung beibehält, muß die Zukunft cher Disparitäten, auf Egalisierung der Le­ zeigen. Für Prognosen gibt es zu wenige An­ bensbedingungen durch engere Verflechtung haltspunkte bei der wachsenden Komplexität und Leistungsaustausch zwischen Städten unserer Wirtschaft. Dem kometenhaften und deren Umland gerichtet. Förderung von Aufstieg folgte eine Zeit der Erschütterung Klein- und Mittelbetrieben, Starthilfen zu und Krise. Kaum hatte der Aufsteiger eine Firmengründungen, Begünstigung von Ei­ gleichgerichtete Produktionseinheit über­ gentumserwerb galten auch der Entlastung nommen, geriet er selbst in den Sog bran­ der Städte und der regionalen Entwicklung. chenübergreifender Konzerne, wurde er Die regionalen Zentren, die Kernstädte der selbst in ein größeres Organisationskonzept Regionen liegen traditionell außerhalb des einbezogen, mußte sich den Entscheidungen Kraichgaus, im oberrheinischen Tiefland überregional wirkender Verbände einord- und am mittleren Neckar. Ihnen hat man nen. durch die Kreisreform aus Gründen der Ver­ Nicht nur für Landwirtschaft und Handwerk einheitlichung der Verwaltung, von der man haben sich die traditionellen Bedingungen eine Vereinfachung und Kostenersparnis er­ radikal geändert. Struktur- und regionalpoli­ wartete, die Entscheidungsgremien zugeord­ tische Maßnahmen haben den Wandel wirk­ net, sie wurden damit als Schwerpunkt der sam unterstützt. Der Ausbau der Infrastruk­ Entwicklung, als Wachstumspole bestätigt. 345 Ein mehrstufiges Netz von kleineren Literatur Schwerpunkten und verbindenden Entwick­ Bellm, R., Kloster Maulbronn, Beihefte zu Diarei- lungsachsen, ein punkt-axiales Konzept also, hen und Filmen, Karlsruhe 1979 gilt zwar als Leitbild der Landesplanung und Deutsch, K., Kulturlandschaftswandel im Kraich­ gau und oberen Nahebergland seit 1945, Saar­ Raumordnung, aber es gibt eine Reihe von brücken 1973 Anhaltspunkten für die Prognose einer um­ Fezer, F. (Hrsg.), Topographischer Atlas Baden- gekehrten Tendenz, einer stärkeren regiona­ Württemberg, Neumünster 1979 ler Differenzierung, einer Schwächung der Fezer, F. u. Muuß, U., Luftbildatlas Baden-Würt­ temberg, München 1971 Wirtschaft ländlicher Gebiete. Göhringer, A., Geologische Exkursionen in Ba­ Wissenschaft und Forschung, auch die neue den, Karlsruhe 1925 Einrichtung von Technologiezentren sind Grötzbach, E., Geographische Untersuchungen den großen Städten zugeordnet. Sie bieten über die Kleinstädte der Gegenwart in Süd­ deutschland, Regensburg 1963 Kontaktmöglichkeiten zur Anregung innova­ IHK-Studien zur Einzelhandelsstruktur der Re­ tiver, Arbeitsplätze schaffender Prozesse. gion Mittlerer Oberrhein, Große Kreisstadt Bret­ Mehr als je zuvor ist auch der einzelne Ar­ ten, Karlsruhe 1980 beitnehmer bereit, längere Anfahrtswege in IHK-Studien, Die Wirtschaft im Mittelbereich Kauf zu nehmen zu seiner Arbeitsstätte, an Bruchsal, Karlsruhe 1983 Meier-Hilbert, G., Sedimentologische Untersu­ der er immer weniger Zeit verbringt, deren chungen (Graul-Festschrift), Heidelberg 1974 Nähe zu zentralen Einrichtungen ihm aber Metz, F., Der Kraichgau, Karlsruhe 1922 viele Möglichkeiten kultureller und materiel­ Metz, F., Land und Leute, Stuttgart 1961 ler Art bietet. Viele Anzeichen deuten auf Metz, F., Ländergrenzen im Südwesten, Remagen 1951 eine Verstärkung der städtischen Hierarchie. Pfeifer, G. (Hrsg.), Heidelberg und die Rhein- Wird der Kraichgau seine Zukunft in der Neckarlande, Heidelberg 1963 Rolle des Wohn-Umlandes der großen Pfeifer, G. (Hrsg.), Gedanken zur histor.-geogr. Städte, des Durchgangs- und Ergänzungs­ Karte, Graul-Festschrift, Heidelberg 1974 raums zwischen den Verdichtungsräumen zu Rohm, H., Die Vererbung des landw. Grundei­ gentums in B.-W., Remagen 1957 sehen haben? Rudolf, B., Flurbereinigung und Dorferneuerung Es gibt kein Zurück zu einer selbstgenügsa­ (Medienpaket), Stuttgart 1975 men Landwirtschaft, es darf aber auch keine Rudolf, B., Der Kraichgau, Beihefte zu Film und bedenkenlose Fortsetzung der Wachstums­ Diareihe, Karlsruhe 1975/1980 Scheuerbrandt, A., Südwestdeutsche Stadttypen euphorie geben, die zu ökologisch untragba­ und Städtegruppen, Heidelberg 1972 ren Ergebnissen führen würde. Vielmehr gilt Schottmüller, H., Der Löß als gestaltender Faktor es, das Bewußtsein zu wecken für die land­ im Kraichgau, Bad Godesberg 1961 schaftliche Vielfalt und den Reichtum natür­ Schröder, K. H., Weinbau und Siedlung in Würt­ licher und historischer Kostbarkeiten unserer temberg, Remagen 1953 Heimat Kraichgau. Es gilt ebenso in den Umminger, G., Der Kraichgau, Remagen 1964 Blickpunkt zu rücken, daß Landschaft als Freiraum in sich ihren Wert hat und als Er­ lebnis- und Erholungsraum erhalten bleiben muß. Zeitschriften Badische Heimat, Karlsruhe Brettener Jahrbücher, Bretten Geographische Rundschau, Braunschweig Kraichgau, Beiträge zur Landschafts- und Hei­ matforschung, Sinsheim Oberrheinische Studien, Karlsruhe Zeitschrift f.d. Geschichte des Oberrrheins, Stutt­ gart 346 Der Kraichgau Eine wenig berühmte, aber lobenswerte Landschaft Willy Bickel, Bretten

Wer Baden und das Oberrheingebiet nur sich gegenüberliegenden Gebirgszüge des oberflächlich kennt und selbst viele, die es zu Schwarzwaldes und der Vogesen im Süden kennen glauben, sind leicht geneigt, neben und des Odenwaldes und des Pfälzer Waldes den bekannten Waldgebirgen des Schwarz­ im Norden noch nicht durch den Rheintal­ waldes und des Odenwaldes jenes dazwi­ graben getrennt waren. So hat der Kraichgau schenliegende Hügelland zu übersehen, das in der sogenannten Zaberner Senke zwischen zwar mit weniger auffallenden Gegensätzen Vogesen und Pfälzer Wald ein linksrheini­ und romantischen Reizen als die Mittelge­ sches Gegenstück. birge ausgestattet ist, dennoch der Schönheit Die im allgemeinen von Südwesten nach nicht entbehrt und mit seiner bescheidenen Nordosten verlaufende Achse der Kraich- Lieblichkeit so viel an Reichtum und Fülle gaumulde folgt nicht genau der geometri­ darbietet, wie kaum eine im Kranze der badi­ schen Mitte, sondern zieht etwas nördlich da­ schen Landschaften, den Kraichgau. In un­ von von der sogenannten Langenbrückener ablässigem Auf und Nieder von sanften Hü­ Senke in Richtung des Steinsberges bei Sins­ geln und breiten Tälern den Wogen eines heim. Die anstehenden Gesteinsschichten ge­ Meeres vergleichbar, das im Süden und im hören fast ausnahmslos der Trias-Formation Norden zwischen den hohen Ufern der an. Den tektonischen Muldencharakter be­ Waldgebirge eingesenkt ist, erstreckt er sich weisend treten an den südlichen und nördli­ von der Rheinebene im Westen bis hart an chen Randgebieten des Kraichgaus die Bunt­ den Neckar. In diesem Raum bilden die we­ sandsteine des Schwarzwaldes und des nig höheren, aber ausgeprägteren Bergrük- Odenwaldes zutage, dann folgt im Süden ken des Stromberges und des Heuchelberges wie im Norden nach der Mitte zu der Mu­ in einer Gesamtausdehnung von 15 — 20 km schelkalk, während im Inneren des Kraich­ von Osten her hereinragend und als beson­ gaus die jüngeren Keuperschichten anstehen. dere Landschaft Zabergäu behandelt, eine Der geologische Untergrund wird jedoch Variante. Nur der sogenannte „kleine Oden­ überdeckt von einer Löß-Lehm-Schicht, die wald“ im Norden auf der linken Seite des stellenweise nur wenige Zentimeter beträgt Neckar hebt sich deutlicher von der Kraich- aber häufig auch Mächtigkeiten von mehr als gaulandschaft ab und wird ihr nicht zuge­ 10 m bis über 20 m erreicht. Diese Löß- rechnet. Lehm-Schicht hat die abgerundete Form der Im ganzen gesehen bildet der Kraichgau so­ Hügel verursacht. In einem Steppenklima der wohl den augenfälligen Höhenunterschieden Zwischeneiszeit, hauptsächlich in der Rhein­ als auch dem geologischen Unterbau gegen­ ebene entstanden und von den Süd- und über den südlichen und nördlichen Waldge­ Südwestwinden als Staub in die Mulde ge­ birgen nach eine riesige Mulde. Ihre Entste­ weht, ist der Löß, mehr als die Oberflächen­ hung steht in engem Zusammenhang mit den gesteine, für die Entstehung des Landschafts­ Aufwölbungen des Schwarzwaldes und des bildes maßgebend geworden. Odenwaldes, die in die erdgeschichtliche Die tiefste Stelle der Kraichgaumulde ist die Epoche des Tertiär verlegt werden, in der die schon erwähnte Langenbrückener Senke, ein 347 Heuchelberg, Zeichnung von Richard Bellm, 1985

ebenfalls in der Tertiärzeit erfolgter Ein­ An erster Stelle ist der Steinsberg bei Sins­ bruch am Westrand des Kraichgaus, der sich heim zu nennen, der als die bedeutendste Er­ nördlich von Bruchsal als fast ebenes Ge­ hebung des Kraichgaus anzusprechen ist, ob­ lände in einer Länge von etwa 10—15 km gleich er nicht den absolut höchsten Punkt zwischen Ubstadt und nur etwa 20 m im Kraichgau erreicht. Als Basaltkegel vulka­ über die Rheinebene erhebt. Hier steht auch nischen Ursprungs und damit als Fremdkör­ das Juragestein noch an, das in erdgeschicht­ per im geologischen Unterbau der Land­ licher Zeit auch den Kraichgau überdeckt schaft nimmt er durch seine zentrale Lage hat, und bezeichnenderweise ist diese Lan- und seine Höhe von 335 m, gekrönt von ei­ genbrückener Senke auch weniger von Löß ner mächtigen Burg bzw. Burgruine, schon überdeckt. Bei Langenbrücken bieten die von alters her eine Vorrangstellung ein und restlichen Gesteinswände einer verfüllten wird schon von einem Chronisten des früheren Olschiefergrube einen geologisch Bauernkrieges als „der Kompaß uff dem interessanten Aufschluß der Schichten des Kraichgau“ bezeichnet. sog. Posidonienschiefers aus der Liaszeit als Höher ist der Wartberg bei Pforzheim mit ein Naturdenkmal, wie es sonst in Nordba­ 377 m, der aber nur vom Enztal aus als Berg den nirgends zu sehen ist. angesprochen werden kann. Er ist eigentlich Der Kraichgau ist ein Land der Hügel, einer nur der Steilabfall der Kalkhochfläche des Spielart der Gebirge. Außer den größtenteils sog. Pforzheim-Bauschlotter Plateaus, neu­ trockenen Tälern gibt es hier keine Ebenen erdings Pforzheim-Bauschlotter Platte ge­ im eigentlichen Sinne. Die größte ist das so­ nannt. Von Pforzheims Tallage aus zeigt er genannte Sinsheimer Becken. Dafür sind die sich als eindrucksvolles Gegenstück zu den Hügel fast unzählig. Man spricht heute Ausläufern des nördlichen Schwarzwaldes gerne vom Land der tausend Hügel. Obwohl auf dem rechten Enzufer und hat nicht weni­ sie nur selten eine Höhe von 300 m errei­ ger als jene zu der reizvollen Lage der Stadt chen, werden sie auch als Berg oder aber als beigetragen. Buckel bezeichnet. Allerdings haben nur die Als Berg wesentlich bedeutender ist der Namen von ganz wenigen, die sich durch Turmberg bei Durlach, der zwar nur 254 m ihre Höhe oder sonstige Besonderheiten aus­ hoch ist, aber wie ein trutziger Wächter über zeichnen, Bedeutung über die einzelnen die Rheinebene schaut und den Eingang in Gemarkungsgrenzen hinaus erlangt. das Pfinztal bewacht. Es ist daher nicht ver­ wunderlich, daß er Burgberg der Grafen von werden, hat dem Berg den Namen gegeben. Hohenberg und später der Grafen von Gröt- Von den zahllosen anderen Berghügeln, die zingen wurde und auch heute noch wie ehe­ keine Burgen oder Kapellen tragen, sind nur mals über der Markgrafenstadt Durlach Wa­ wenige über die nächste Umgebung hinaus che hält. bekannt. Es sollen hier nur einige wenige, die Geradezu zur Berühmtheit hat es der M i­ sich augenfällig aus der Vielzahl abheben; chaelsberg bei Untergrombach (272 m) ge­ genannt sein, so der Katzenberg bei Wein­ bracht, auf dessen Rücken man wichtige garten (254 m), die Heustätt zwischen Wil­ Funde frühgeschichtlicher Kulturen aus der ferdingen und Königsbach (283 m), der jüngeren Steinzeit gemacht hat, die einer Hirschberg zwischen Nußloch und Leimen ganzen Epoche, der Michelsbergkultur, den (319 m), der Hohenstein bei Eppingen Namen gegeben hat. Die alte Siedlungs- und (238 m), der Scheuerberg zwischen Richen Kultstätte wurde später mit einer Michaels­ und (263 m), der Hermannsberg kapelle gekrönt, die erstmals 1346 erwähnt zwischen Michelfeld und Eichtersheim ist. Berg und Kapelle sind wegen ihrer expo­ (245 m), der Stiefelsberg zwischen Neckar­ nierten Lage und der großartigen Fernsicht bischofsheim und Helmstadt (264 m). Ihre ein beliebtes Ausflugsziel, zumal neuerdings Namen sind mehr für die Flurnamenfor­ auch wieder moderne gastronomische Ein­ schung von Bedeutung. richtungen zugebaut worden sind. Ein ähnlicher aber bescheidenerer Charak­ terzug zeichnet den Letzenberg (246 m) aus, ein Keuperrücken mit einem Aufsatz von Land der Bäche Rotsandstein am Nordrand der Langenbrük- Der geologische Unterbau ist schließlich kener Senke. Auch auf seiner Höhe fanden auch für die Art und Flußrichtung der Was­ sich frühgeschichtliche Siedlungsspuren, und serläufe des Kraichgaus bestimmend gewe­ im Bauernkrieg diente er „dem hellen Hau­ sen. Die zahllosen Täler haben den Quellab­ fen“ der Kraichgauer Bauern als Versamm­ flüssen den Weg nach verschiedenen Rich­ lungsort. Auch er trägt eine aus der Rhein­ tungen freigegeben. Die typischen Kraich- ebene weithin sichtbare Kapelle. gaubäche haben sich in allgemein nordwestli­ Der in west-östlicher Richtung hinziehende cher Richtung der tiefer gelegenen Rhein­ Eichelberg (326 m) teilt den Namen mit dem ebene bzw. dem früher am Rande des Hügel­ Dorf, das seit dem 12.Jahrh. durch den landes parallel zum Rheinstrom nach Nor­ Weinbau der ehemaligen Abtei Odenheim den fließenden Kinzig-Murg-Fluß zuge­ bekanntgeworden ist. Der Berggipfel liegt wandt. Den Kraichgau von seiner geographi­ auf der Gemarkung Hilsbach, während der schen Mitte ab gewissermaßen in eine westli­ Ort Eichelberg sich mit einem Ausläufer des che und eine östliche Hälfte teilend hält da­ Massivs, dem Kapellenberg (306 m), begnü­ gegen der bedeutendste Wasserlauf, die El- gen muß. senz, eine allgemein süd-nördliche Richtung Südostwärts von Eppingen verdient noch der ein. Ostwärts ihres Einzugsgebiets nehmen Ottilienberg mit dem Hornrain (310 m) Er­ auch einige Bäche ihren Weg nach Osten wähnung, auf dessen Rücken sich eine früh­ zum Neckar. Im Kraichgau sind keine Flüsse geschichtliche Wallanlage befindet, die wäh­ im eigentlichen Sinne, sondern nur Bäche zu­ rend des orleanischen Erbfolgekrieges in den stande gekommen, deren Zuflüsse häufig Jahren nach 1695 in das Befestigungssystem auch die Bezeichnung Graben führen. Die der sog. Eppinger Linien einbezogen wurde. Bachnamen sind hier weiblichen Geschlechts. Eine der heiligen Ottilia geweihte Wall­ Bei jeweils verhältnismäßig kleinen Wasser­ fahrtskapelle, deren Überreste gerne besucht einzugsgebieten sind die Wasserscheiden 349 nicht immer deutlich erkennbar. Die Bach­ lende Gauangelbach und links die vom Ei­ läufe folgen meist geologischen Verwerfun­ chelberg kommende Wald-Angelbach auf. gen. Auf ihrem weiteren nordwestlichen Lauf So sucht sich am südlichen Rande des durchfließt sie den Schwetzinger Schloßgar­ Kraichgaus die Pfinz, die ursprünglich als ten und mündet unterhalb Brühl in den Gebirgsbach von Ausläufern des Schwarz­ Rhein. waldes herabkommt, ihren Weg zur Rhein­ Abweichend von den genannten Kraichgau- ebene. Bei Durlach wendet sie sich dem alten bächen hält die Elsenz vom gleichnamigen Lauf des früheren Kinzig-Murg-Flusses fol­ Dorf kommend zunächst südostwärtige gend scharf nach Norden, um dann nach Richtung ein, um dann bei Eppingen allge­ etwa 15 km wie fast alle anderen Kraichgau- mein süd-nördlichen Kurs einzuschlagen, bäche wieder die allgemein nordwestliche den sie in ihrem ganzen weiteren Verlauf Richtung zum Rhein einzuschlagen. beibehält. Bei Neckargemünd erreicht sie Die typischen Kraichgaubäche haben ihre den Neckar. Auf ihrem ungewöhnlichen Quellen im Stromberggebiet und in den Keu­ Lauf nimmt sie eine große Zahl kleinerer und perbergen des inneren Kraichgaus. Da ist die mittlerer Bäche auf, die zum großen Teil aus , die von Maulbronn mit seinem be­ dem kleinen Odenwald kommen. Die bedeu­ rühmten Zisterzienserkloster herkommend tendste davon ist die Schwarzbach, die mit an ihrem Oberlauf den Klostersee und den den Odenwaldorten Oberschwarzach, Nek- von den Mönchen zur Fischzucht angelegten karschwarzach und Unterschwarzach na­ recht ansehnlichen Aalkistensee speist. See mensverwandt ist. An ihrem Unterlauf kann und Umgebung sind seit einigen Jahren zum die Elsenz als einziger Wasserlauf des Naturschutzgebiet erklärt. Vom Zusammen­ Kraichgaues mit einigem Recht die Bezeich­ fluß mit der Weißach auf Gemarkung Bret­ nung Fluß beanspruchen. ten ab führt der Wasserlauf den verballhorn­ Der am wenigsten bekannte Kraichgaubach ten Namen Saalbach. Sie erreicht in Bruchsal ist die Lein, in geschichtlicher Zeit Gartach die Rheinebene und mündet bei der früheren genannt. Mit ihrer ostwärtigen Flußrichtung Festung Philippsburg in den Rhein. zum Neckar geht auch die Lein andere Wege Kaum bedeutender aber wesentlich bekann­ als die typischen Kraichgaubäche. Sie ent­ ter ist die Kraichbach, die ebenfalls von einem springt auf der Gemarkung Kleingartach, ge­ Ausläufer des Stromberges herkommt und wissermaßen am Fuße der Ruine Leinburg, zunächst im idyllischen Kraichsee südlich berührt u. a. Schwaigern und Großgartach von ein Auffangbecken findet. (heute Leingarten) und mündet bei Franken­ Am Fuße des alten Bergstädtchens Gochs­ bach in den Neckar. Frühgeschichtliche Bo­ heim vorbeifließend verläßt sie bald das Hü­ denfunde der Rössener Kultur, die bei Groß­ gelland, macht bei Ubstadt einen scharfen gartach gemacht wurden, haben auch diesen Knick nach Norden zu der alten Römersied­ Orts- und historischen Flußnamen in der lung Stettfeld, nimmt dort die vom Eichel­ archäologischen Wissenschaft bekanntge­ berg kommende Katzenbach auf, um dann macht. Der bedeutendste Zufluß der Lein ist wieder in die allgemein nordwestliche Rich­ die Massenbach, die einem Dorf und einem tung zum Rhein einzuschwenken. Kraichgauer Adelsgeschlecht den Namen ge­ Von geringerer Bedeutung und mehr oder geben hat. weniger hinter ihre eigenen Zuflüsse zurück­ Einen ähnlichen Lauf wie die Lein nimmt tretend ist auch die Leimbach ein typischer weiter südlich die Zaber, die bei Zaberfeld Kraichgaubach. Sie hat auf dem Kaisersberg entspringt und dem eigenständigen Zabergäu bei Eschelbach ihren Ursprung, nimmt bei den Namen gegeben hat. Sie erreicht bei Wiesloch rechts die vom Odenwald herabei­ Lauffen den Neckar. 350 Gewissermaßen als Grenzfluß des Kraich- beide Badeorte seit 1971 zur Einheitsge­ gaues im Süden muß schließlich auch noch meinde Bad Langenbrücken-Mingolsheim die erwähnt werden, die zwar als Ge­ zusammengeschlossen sind und schließlich birgsbach aus dem Schwarzwald kommt und den Nam en Bad Schönborn führen, ist qin nur bedingt den Wasserläufen des Kraich­ großzügiger Ausbau der Badeanlagen und gaus zugerechnet werden kann. Ihre Ein­ klinischen Einrichtungen erfolgt, die an zugsgebiet unterhalb Pforzheim gehört aber Größe und Leistungsfähigkeit zu den bedeu­ einwandfrei zum Kraichgau. Lein, Zaber und tendsten in Deutschland gehören. Enz bilden so das Gegenstück zu den west­ Aber auch im Hügelland selbst sind seit lan­ lich orientierten Kraichgaubächen. ger Zeit schwefelhaltige Quellen bekannt, so Im Zusammenhang mit den geologischen in Ostringen, oberhalb der Langenbrückener Verhältnissen und den Wasserläufen des Senke, wo sie aber nicht genutzt werden. Kraichgaus sind auch einige Mineralquellen Dagegen war in Zaisenhausen bei Eppingen zu erwähnen, die größtenteils schon in ge­ 1713 eine schwefelhaltige Quelle entdeckt schichtlicher Zeit erkannt und Heilzwecken worden, die der damalige württembergische nutzbar gemacht worden sind. Vor allem im Landesherr, Herzog Eberhard Ludwig, be­ Gebiet der Langenbrückener Senke, jenem reits 1743 mit allen Einrichtungen eines Ba­ tiefsten Punkt der Kraichgaumulde, sprudeln deortes ausstatten ließ. Das Schwefelbad Zai­ aus den bituminösen Schichten Schwefel­ senhausen war auch nach dem Übergang des quellen. Hier hatte sich Langenbrücken, seit Dorfes an die Kurpfalz „als einzige Schwe­ Fürstbischof Franz Christoph von Hutten felquelle in pfälzischen Landen“ hoch ge­ 1766 den Anstoß hierzu gegeben hatte, ein schätzt und auch in badischer Zeit noch zunächst bescheidener, von den zwanziger durchaus lebensfähig. Trotz guter Wasser­ Jahren des letzten Jahrhunderts ab durch analysen war es aber ohne herrschaftliche zielstrebige private Initiativen unter dem Na­ Unterstützung der Konkurrenz aus Langen­ men Amalienbad, zu Ehren der damaligen brücken nicht gewachsen und ist um die Markgräfin Amalie, der Kurbetrieb Sigel mit Mitte des letzten Jahrhunderts eingegangen. Kurhaus, Trinkhalle und Naturpark allmäh­ Es lebt heute nur noch in der Erinnerung. lich einen anerkannten Ruf als Schwefelheil­ Außer schwefelhaltigen hatte der Kraichgau bad geschaffen. auch salzhaltige Quellen aufzuweisen. Der Etwas jünger, aber dem Langenbrückener am Oberlauf der Saalbach heute noch ge­ weder an Heilkraft, noch im Ansehen nach­ bräuchliche Flußname Salzach und verschie­ stehend war das Schwefelbad Mingolsheim dene Flurnamen im Bereich Maulbronn, mit seiner 1825 entdeckten schwefelhaltigen nicht zuletzt die frühere Siedlung Salzhofen Quelle, seit 1884 als „Rochusbrunnen“ in Bi- bei Bretten, sind Beweise dafür, daß Salzvor­ schöfl. Speyerischem Besitz sowie mit dem kommen im Gebiet um die Saalbach in früh­ Kurhaus Gantner bekannt und berühmt, aber geschichtlicher Zeit eine Rolle gespielt haben über bescheidene Frequentierung nicht hin­ und für den Flußnamen maßgebend gewesen ausgekommen. Durch eine wagemutige Tief­ sind. Noch um 1600 wurde in Bruchsal eine bohrung im Jahre 1970 wurde hier in 600 m Saline betrieben, zu der die Sole einer im Tiefe eine hochkonzentrierte Thermalsole Stadtgebiet entspringenden Quelle und spä­ erschlossen, die zu den heißesten in Baden ter der Salzgehalt eines von Ubstadt herein­ gehört. geleiteten Quellwassers genutzt wurde. Das Damit wurde eine grundlegende Erweite­ Salz dieser Quellen, das aus den Schichten rung der Heilanzeigen und der gesamten des Anhydrit stammt, ist jedoch im Laufe der Struktur der Kurbetriebe in Mingolsheim Jahrhunderte durch Auslaugung nahezu und Langenbrücken eingeleitet. Nachdem ganz verschwunden. Immerhin hält das 351 „Salzbad“ in Ubstadt die Erinnerung an die Schaffung moderner Badeanlagen und Sana­ Solequelle auch heute noch aufrecht. torien sowie klinischer und Erholungsein­ Eine wenig ergiebige salzhaltige Quelle bei richtungen nach dem zweiten Weltkrieg hat Wimpfen, der alten Kaiser- und freien sich zum wirklichen Heilbad Reichsstadt im nordostwärtigen Teil des entwickelt und wesentlich dazu beigetragen, Kraichgaus, seit 1803 hessische Exklave, lie­ den Kraichgau als Bäder- und Erholungs­ ferte in der salzarmen Zeit seit 1752 den landschaft auszuweisen. Grundstoff für eine Salzsiederei. Obwohl die Ausbeute lange Zeit gering war, hat man im Blick auf benachbarte Salinen auf württem- Der Kraichgau ist ein Gau der Gaue bergischem Gebiet nicht aufgegeben und Der Name Kraichgau ist ein geographischer schließlich im Jahre 1817 durch eine Boh­ Sammelbegriff im Sinne eines Großgaues. rung in 150 m Tiefe den Zugang zu den Sprach man zu Anfang unseres Jahrhunderts mächtigen unterirdischen Salzlagern nörd­ vor allem in Schulbüchern und Landkarten lich Heilbronn gefunden. Erst danach gerne vom Enz-, Pfinz- und Kraichgauer konnte die Salzgewinnung in der Saline Lud­ Hügelland, so hat sich seit der grundlegen­ wigshalle in Wimpfen im Tal auf eine breite den Arbeit des bekannten Geographen und und rentable Grundlage gestellt werden. Die Landeskundlers Prof. Dr. Friedrich Metz, Nutzung der Sole für Heilzwecke blieb zu­ 1922, wieder die einheitliche Bezeichnung nächst der privaten Initiative überlassen. für das ganze umschriebene Gebiet zwischen Nach Schaffung öffentlicher Einrichtungen Schwarzwald und Odenwald durchgesetzt, (Kurpark, Kurmittelhaus, Hotels und Frem­ aus dem lediglich die Landschaft um den denheimen) hat der Bade- und Kurbetrieb Stromberg und den Heuchelberg als Zaber­ zusammen mit dem aufkommenden Frem­ gäu ausgeklammert wird. Ungeachtet der denverkehr mehr als die Saline den Aufstieg meist den Flußnamen nach benannten Unter­ der Stadt zum renomierten Sole-Heilbad be­ teilungen, die auch Gaue genannt wurden günstigt. und die auch zum größten Teil den Einzugs­ Im benachbarten badischen Rappenau mußte gebieten der Wasserläufe entsprechen, war man 6 Jahre nach Wimpfen die Tiefbohrung der Name Kraichgau schon in historischer nur etwas tiefer auslegen, um auch hier an Zeit die umfassende Landschaftsbezeich­ das Steinsalz heranzukommen und für die nung. Der Kraichgau hatte in der Karolin­ Salzgewinnung zu erschließen. Die um 1830 gerzeit und später, als Gaugrafen in den ih­ erbaute Großherzog Ludwig-Saline bei nen übertragenen Grafschaften als königli­ Rappenau hat es ermöglicht, sich von der che Statthalter wirkten, auch politische Be­ teueren Salzeinfuhr freizumachen und war deutung. Selbst als sich die verschiedenen zusammen mit der Saline in Dürrheim die Territorialherrschaften herausgebildet und Grundlage für die reibungslose und verbil­ den Kraichgau in einen bunten politischen ligte Salzversorgung der Bevölkerung in ba­ Flickenteppich verwandelt hatten, führte der dischen Landen. Auch die Möglichkeiten der reichsfreie Adel im Ritterkanton Kraichgau Nutzung der Sole für Heilbäder sind seit die politische Tradition bis zum Anfang des 1833 im Zusammenhang mit der Saline, seit letzten Jahrhunderts fort, und es ist interes­ der Jahrhundertwende in Gemeinderegie, sant, daß bei Auseinandersetzungen der Rit­ verwirklicht worden. Obgleich schon früh terschaft mit den Pfalzgrafen auch die Stadt ein Kurhotel und bereits seit Anfang dieses Heilbronn sich zum Kraichgau bekannte. Im Jahrhunderts ein Kurmittelhaus zur Verfü­ Gebiet um Heilbronn links des Neckar ist gung stand, hat sich der Badebetrieb lange auch heute noch der Begriff „Heilbronner Zeit in engen Grenzen gehalten. Erst mit der Kraichgau“ im Gebrauch. 352 D er Nam e Kraichgau, von dem Flußnamen men Kleingartach und Großgartach maßge­ Kraichbach abgeleitet, erstreckte sich ur­ bend war. sprünglich in der Hauptsache auf das Gebiet Zur Vervollständigung und Abrundung muß um diesen Wasserlauf. Als sein Mittelpunkt hier auch das Zabergäu genannt werden, dem ist das alte Städtchen Gochsheim, eine Grün­ die bei Zaberfeld entspringende Zaber den dung der Grafen von Eberstein, anzusehen. Namen gegeben hat. Dieses Gebiet um Wie die Kraichbach haben auch die anderen Stromberg und Heuchelberg, dem Kraichgau bedeutenderen Bäche ihren Flußgebieten die nahe verwandt und in geschichtlicher Zeit Namen geliehen, so die Pfinz dem Pfinzgau ihm weitgehend zugerechnet, wird heute als mit dem Grafensitz Grötzingen, das dann eigenständige Landschaft gesehen. aber hinter der jüngeren Stadtgründung Schließlich war auch die Enz von ihrem Aus­ Durlach zurücktreten mußte. tritt aus dem Schwarzwald nordostwärts Auch die Salzach, heute Saalbach genannt, Pforzheim ab namengebend für den Enzgau, war für einen Gaunamen, den Salzgau, be­ der geographisch und politisch dem Kraich­ stimmend, als dessen Vorort Bretten zu gel­ gau zugehörig war und ist, wenngleich sein ten hat. Die Bezeichnung Salzgau ist sehr späterer politischer Mittelpunkt Pforzheim früh, allerdings nur einige wenige Male, ur­ nicht dem Kraichgau zugerechnet werden kundlich belegt und hatte niemals mehr als kann. eine geographische, keinesfalls eine politi­ Die wissenschaftlichen Diskussionen über sche Bedeutung etwa im Sinne einer Graf­ Wesen, Umfang und Funktionen dieser schaft. Gaue, besonders die Frage, ob sie neben ih­ rer geographischen Bedeutung auch Ver­ Im Flußgebiet der Leimbach war es eigenarti­ waltungsbezirke bzw. Grafschaften darstell­ gerweise nicht der heutige Hauptbach, der ten, ist bis heute noch nicht abgeschlossen. zur Namengebung für einen Gau Pate stand, Es ist jedoch Tatsache, daß während der ka­ sondern zwei Zuflüsse zur Leimbach, näm­ rolingischen Grafschaftsorganisation einige lich die von Waldangelloch kommende der genannten Gaue z.T. sogar mehrere Ge­ Waldangelbach und die in südwestlicher nerationen hindurch von ein und demselben Richtung von Gauangelloch herabfließende Grafenhaus verwaltet worden sind. So war Gauangelbach, denen der Anglachgau seinen im Jahre 1024 ein Wolfram Graf im Enz-, Namen verdankt. Für diesen Landstrich wäre Kraich- und Pfinzgau und um 1100 ein von Natur aus Wiesloch Mittelpunkt, in des­ Bruno aus dem Grafengeschlecht von Lauf- sen Nähe die beiden Angelbäche in die Leim­ fen Gaugraf im Elsenz-, Kraich- und Enz­ bach einmünden, obgleich Wiesloch niemals gau. Er führte auch den Namen Graf von urkundlich als im Anglachgau liegend er­ Bretten. wähnt ist, sondern in dem weiter nördlich In diesem Zusammenhang müssen noch zwei gelegenen Lobdengau, auf den noch zurück­ weitere Gaue am Rande des hier behandelten zukommen ist. Gebiets erwähnt werden, die zum mindesten Für den Elsenzgau, das nördliche Mittelstück zeitweilig Teile des Kraichgaus im heutigen des Groß-Kraichgaus, war die Elsenz Na­ Sinne eingeschlossen haben. Es handelt sich mengeberin, an deren Mittellauf Sinsheim um den Ufgau im Süden mit dem Grafensitz mit seinem alten Stift und dem nahen Steins­ Forchheim, dem zeitweilig der Pfinzgau zu­ berg die Voraussetzungen für den Hauptort gerechnet wurde, und um den Lobdengau im eines Gaues erbrachten. Norden, dessen Hauptort und Namengeber Im Ostteil des Kraichgaus gab die Gartach, das alte römische Lobodunum, heute Laden­ die heute Lein heißt, dem alten Gartachgau burg, war. Wie bereits angedeutet, werden den Namen, so wie sie auch für die Ortsna­ beispielsweise Wiesloch und Schwetzingen in 353 zahlreichen Urkunden dem Lobdengau zu­ klassisches Adelsland. Fast alle alten Orte gerechnet, während das nördlich davon gele­ hatten im Mittelalter eigene adelige Ortsher­ gene Nußloch bei Heidelberg teils als im ren, die ihre Sitze in festen Häusern, Burgen Lobdengau, teils als im Kraichgau gelegen und Schlössern hatten. Reinhard von Gem- bezeichnet wird und der weiter nordwestlich mingen berichtet in seiner bekannten Haus­ gelegene Insultheimer Hof immer nur zum chronik aus dem Jahre 1631 noch von Kraichgau gezählt wurde. Diese und andere 87 Adelsgeschlechtern des Ritterkantons Überschneidungen der historischen Gau­ Kraichgau. Diese Aufzählung war aber, wie grenzen und Lagebezeichnungen sind damit der Chronist selbst einräumt, nicht vollstän­ zu erklären, daß sich Besitz- und Herr­ dig, sondern enthielt nur diejenigen unter schaftsverhältnisse geändert, die Urkunden­ den damals noch lebenden oder ausgestorbe­ schreiber- oder Kopierer sich geirrt oder nen Geschlechtern, die ihm selbst bekannt nicht alle der angeführten Gaue auch selb­ oder durch Befragungen ermittelt waren. ständige Verwaltungsbezirke oder Graf­ Aus anderen Quellen sind weitere 25 — 30 schaften gewesen sind. Adelsgeschlechter bekannt, die im Kraichgau Das westliche Randgebiet des Hügellandes ansässig waren. Der reiche Klosterbesitz in und die Rheinebene zwischen Bruchsal und den meisten Kraichgauorten ging ja zum Philippsburg führt seit dem 13. Jahrhundert größten Teil auf Schenkungen adeliger Orts­ den Namen Brubrain. Mit dieser Bezeich­ herren zurück. In der Hauschronik des Rein­ nung wurde das rechtsrheinische Verwal­ hard von Gemmingen fehlen vor allem die tungsgebiet des Fürstbistums Speyer um­ vielen Ministerialen, die nicht reichsunmittel­ schrieben. Seit 1336 begegnen uns speyeri- bar waren und daher dem Ritterkanton sche Amtmänner und Vögte im Bruhrain. Kraichgau nicht angehört haben. Dies gilt Dem Begriff Bruhrain kam also, ebenso wie vor allem für die Lehensleute der mehr und einzelnen Gaunamen, sowohl geographische mehr in das ritterschaftliche Gebiet vor­ als auch politische Bedeutung zu. gedrungenen Territorialherrschaften, der Seitdem aber die Territorialherrschaften Markgrafen von Baden-Durlach, der Her­ Kurpfalz, Baden-Durlach, Württemberg, Bi­ zoge von Württemberg, der Kurfürsten von stum Speyer und die Reichsritterschaft sich der Pfalz und des Fürstbistums Speyer. den Kraichgau teilten und sogar Hessen und Die Eigenart der Kraichgaulandschaft hat das Bistum Worms sich hier festsetzten, sind hier für Adelssitze überwiegend zur Erstel­ die Gaunamen ausschließlich zu geographi­ lung von Tiefburgen und Wasserschlössern schen Landschaftsbezeichnungen geworden, geführt. Da wo die Voraussetzungen günstig denen heute neben dem umfassenden Land­ waren, wurden aber auch Hochburgen nicht schaftsbegriff Kraichgau nur noch geringe, ausgelassen. Beim höheren Adel war die Ent­ allenfalls präzisierende, Bedeutung zu­ scheidung, ob Tiefburgen oder Hochburgen kommt. größere Sicherheit böten und den Machtan­ spruch eindrucksvoller zur Geltung bräch­ ten, auch von anderen Überlegungen, darun­ Der Kraichgau, ein Land der Ritter ter auch von der Entwicklung der Waffen­ und Bauern technik, beeinflußt. Gemessen an der Vielzahl So wie in der Zeit der germanischen Land­ der einst vorhanden gewesenen Edelsitze nahme Edle, Freie und Unfreie das Land in sind im Kraichgau die auf unsere Zeit über­ Markungen aufteilten und bebauten, so ha­ kommenen Reste vergleichsweise gering. ben auch späterhin Ritter und Bauern das Dies rührt wesentlich daher, daß gerade die Gesicht des Kraichgaus geprägt und seine Tiefburgen und festen Häuser der kleineren Geschichte gestaltet. Der Kraichgau ist ein Ortsherren meist am Rande der Ortschaften 354 Gochsbeim, Zeichnung von Richard Bellm, 1985

angelegt, teilweise auch in diese eingeglie­ Glücklicherweise sind andere Wasserschlös­ dert waren und nach dem Wegfall ihrer ser erhalten, so beispielsweise Flehingen, das Zweckbestimmung den geänderten Verhält­ neuerdings durch fachgerechte Um- und nissen entsprechend umgebaut oder ganz ab­ Einbauten des Landeswohlfahrtsverbandes in gerissen worden sind. seinen ursprünglichen Zustand versetzt und Von vielen Burgen des Kraichgaus sind durch Veränderung der Umgebung und Au­ heute kaum noch die genauen Standorte be­ ßenanlagen auch wieder besser ins Blickfeld kannt, und oft deuten nur noch Flurnamen gebracht wurde. darauf hin, wo sie einmal standen. Trotzdem Als im wesentlichen unverändert, aber schon kann der Kraichgau mit einer beachtlichen bei der Erbauung weniger der wehrhaften Anzahl von Burgen, Schlössern und Ruinen Verteidigung als der herrschaftlichen Repu­ aufwarten, die neben den schönsten und be­ tation dienend, inmitten eines großen ge­ kanntesten anderer und berühmterer Land­ pflegten Parks mit zahlreichen alten, z.T. schaften durchaus bestehen können. exotischen Baumbeständen präsentiert sich, Unter den Wasserschlössern war dasjenige ringsum von Wasser umgeben, das stilge­ der Freiherren von Menzingen zu Menzin- recht renovierte ehemals von Venningen’sche gen ein eindrucksvoller Wehr- und Wohn­ Wasserschloß in Angelbach-Eichtersheim, das bau, der in weitem Umkreis nicht seinesglei­ neuerdings als Rathaus und Sitz sonstiger chen hatte, und es ist schmerzlich, daß dieses Behörden dient. Schloß in den letzten Kriegstagen des Zwei­ Eine ähnliche Anlage ist das von einer Sei­ ten Weltkrieges durch feindliche Fliegerbom­ tenlinie der Herren von Gemmingen in Bad ben zerstört wurde. Es kann heute nur noch Rappenau herrührende Wasserschloß, in dem als Ruine bewundert werden, deren Schick­ jetzt das Schloßsanatorium mit einer Privat­ sal ungewiß ist. klinik untergebracht ist. 355 Die an Zahl geringeren Hochburgen des ferner Konrad von Wissenlo (Wiesloch) und Kraichgaus, d.h. ihrer Ruinen, sind um so Reinhard von Zweter (Zeutern bei Bruchsal), eindrucksvollere Zeugnisse einstiger ritterli­ die in der berühmten Manessischen Lieder­ cher Wohn- und Befestigungsanlagen. Unter handschrift überliefert sind. ihnen ist die aus der Stauferzeit stammende Schließlich ist auch noch auf das Schloß zu mächtige Burg auf dem Steinsberg bei Sins­ Gochsheim bei der Burgstelle der uralten heim hervorzuheben, die einst den Grafen Burg der Grafen von Eberstein, hoch über von Oettingen gehörig, später an die Pfalz­ der Kraichbach, hinzuweisen, das bis 1720 grafen und von diesen an die Herren von dem Herzog Friedrich August von Württem- Venningen übergegangen, vor einigen Jah­ berg-Neuenstadt, als Residenz gedient hat ren von der Stadt Sinsheim übernommen und und jetzt das Heimatmuseum der Stadt inzwischen weitgehend saniert wurde. beherbergt. Anders geartet, aber nicht weniger bemer­ Viele ritterliche Gestalten aus dem Kraich­ kenswert ist die Ravensburg bei Sulzfeld, gau haben es in der Geschichte zu großem Stammburg der Freiherren Göler von Ra­ Ansehen gebracht. Unter ihnen ragt beson­ vensburg, ebenfalls hoch über dem umgeben­ ders Franz von Sickingen hervor, ein Lands­ den Rebengelände sich erhebend und gewis­ knechtführer von großem Format, der auch sermaßen die Umgebung beherrschend. von den Fürsten und dem Kaiser gefürchtet Am Rande des Kraichgaus ist schließlich war. Andere, wie die von Gemmingen, Göler auch der Turmberg bei Durlach ein unüber­ von Ravensburg, von Menzingen, von Helm­ sehbares Hochburgenrelikt, dem trotz man­ stadt, von Venningen u.a. sind vom ausge­ cher Veränderungen in Zweckbestimmung henden Mittelalter bis zum Anfang dieses und Gestalt der ursprüngliche Charakter als Jahrhunderts als Vögte (Vertreter des Lan­ Grafenburg anzumerken ist. desherrn) Soldaten, Hofbeamte, Amtmänner Neben ihren historischen und baugeschichtli­ oder Minister hervorgetreten. chen Eigenarten gelten diese Hochburgen Aber nicht nur die Ritter, sondern auch das wegen ihrer ausgezeichneten Fernsicht als Bauerntum des Kraichgaus hat zwar weniger beliebte Ausflugsziele, zumal ihnen auch an­ auffallende aber dennoch überzeugende Be­ gemessene gastronomische Einrichtungen weise seiner Schaffenskraft und Kulturlei­ beigegeben sind. stung aufzuweisen. Hier war schon in vorge­ Aber auch die romantische, teilweise noch schichtlicher Zeit nicht dunkler Urwald, son­ bewohnte Burg Neidenstein der Herren von dern offene Parklandschaft, die schon die er­ Venningen über der Schwarzbach, ebenso sten Anfänge menschlicher Bodenbewirt­ wie die fürstbischöflich Speyerische Burg bei schaftung erlebt und seitdem alle Entwick­ Obergrombach, heute im Besitz des Hauses lungsstufen bis zur modernen Bodenkultur von Bohlen und Haibach, sind für Geschichts- unserer Tage durchgemacht hat. Hier war und Heimatfreunde nicht weniger interessant zu allen Zeiten Bauerntum heimisch, das als manche bekannte Burgen an Rhein, Nek- seine Siedlungsplätze in sorgfältiger Auswahl kar und Mosel, die ihre Anziehungskraft ih­ der Boden-, Wasser- und Witterungsverhält­ rer berühmteren Umgebung verdanken. nisse angelegt und nach der germanischen Im Zusammenhang mit der Adels- und Rit­ Landnahme in Markungen aufgeteilt hat, die terherrlichkeit darf auch daran erinnert wer­ größtenteils auch heute noch bestehen. Die den, daß einige Minnesänger dem Kraichgau aus der Unterstellung unter den Schutz der entstammen oder landschaftsbetonte Spuren mächtigeren Ritter und Klöster im Mittelal­ hinterlassen haben. Da ist ein Spervogel zu ter entstandene Entrechtung des Bauernstan­ nennen, der gegen Ende des 12. Jahrh. bei des, die vielfach zur Leibeigenschaft führte, „Wernhart der uf Steinesberc saz“ weilte, konnte auch oder gerade hier nicht von 356 Dauer sein. Es war jedenfalls kein Wunder, befehls Ludwigs XIV., der 40 Jahre später im daß mit zuerst die Bauern im Kraichgau sich orleanischen Erbfolge-Krieg die Kurpfalz gegen Gewalt und Unterdrückung der adeli­ und damit große Teile des Kraichgaus plan­ gen und geistlichen Herrschaften auflehnten mäßig und unbarmherzig plündern und nie­ und so die blutige Auseinandersetzung mit derbrennen ließ, vermochte nicht, das Land den Fürsten und Klöstern unter dem Zeichen für dauernd zur Wüste zu machen. des Bundschuhs aufloderte und schließlich Unter dem Zeichen der Aufklärung und der zur allgemeinen Erhebung im Bauernkrieg Schaffung freiheitlicher sozialer Ordnungen führte, an dessen Ende die Köpfe der Anfüh­ kam schließlich auch der Bauernstand wieder rer des Kraichgauer Haufens im Bruchsaler zu seinem Recht. Durch Anbau neuer Nutz­ Schloßhof rollten. pflanzen und Einführung besserer Geräte Wenn trotz der vernichtenden Niederlage und Anbaumethoden, schließlich durch Flur­ der Bauern, als deren Folge sich die Bedrük- bereinigungen, Bau von Feldwegen usw. kungen noch verstärkten, bereits im Jahre konnte die Lage der Landwirtschaft, die ja 1555 der Gelehrte und Reformator David bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts unser Chytraeus, zu deutsch Kochhaf, aus Menzin- Leben beherrschte, wesentlich gehoben wer­ gen, den Kraichgau einen lieblichen, frucht­ den. Die schon aus der Germanenzeit her­ baren Garten nennt, der mit Weinbergen, rührende Flurverfassung hatte im Kraichgau Äckern, Wiesen und Wäldern reich gesegnet, zur Bodenbewirtschaftung von geschlosse­ von außerordentlich vielen Menschen besie­ nen Dorfsiedlungen aus geführt. Einzelhöfe delt und mit zahlreichen Städten, Dörfern oder Hofgüter inmitten der zugehörigen Fel­ und Burgen besät, dem Beschauer viel Genuß der waren und sind im Kraichgau selten und und Ergötzen bereite, so ist dies ein bemer­ hauptsächlich in wasserarmen Gegenden an­ kenswertes Zeugnis für die Lebens- und Lei­ zutreffen. Durch die frühe Einführung der stungskraft der bäuerlichen Menschen im Freiteilung des Grundbesitzes in der Erb­ Kraichgau. Und dieses Zeugnis steht nicht folge sind die Gemarkungen in zahllose Par­ allein. Auch der bekannte Kosmograph Seba­ zellen aufgeteilt, die, soweit Feldbereinigun­ stian Münzer lobt um die gleiche Zeit den gen durchgeführt worden sind, nach Belie­ Kraichgau als ein fruchtbares Land, das reich ben eingeblümt werden. Dadurch gleicht das an Wein, Korn und geschlachten Bäumen Landschaftsbild einem buntgewebten Tep­ sei. pich in fast allen Farben und Schattierungen. Hundert Jahre später war dieses Bild aber Neben den herkömmlichen Pflanzen wie Ge­ anders, als Sturm und Brand des 30jährigen treide aller Art, Kartoffeln, Rüben, Raps, Krieges das Land verheert, die Fluren verwü­ früher auch Mohn, Hanf und Flachs wächst stet, Dörfer und Städte verbrannt und ent­ hier alles, was in unserer Klimazone über­ völkert hatten. „Wo Korn, Frucht oder ander haupt gedeihen kann, wie Zuckerrübe, Ta­ Ackerfeld gewesen war, da wuchsen Dornen bak, Zichorie, Mais, im Bruhrain auch Spar­ und Sträuche“ heißt es in einem zeitgenössi­ gel und Hopfen. schen Bericht, und die wenigen Menschen, Auch der Obst- und Weinbau ist seit alters- die den Krieg überstanden hatten, lebten in her im Kraichgau heimisch. Außer in ortsna­ bitterster Not und Armut. Trotzdem ging es hen Obstgärten war vornehmlich die Pflan­ nach dem Westfälischen Frieden wieder auf­ zung von Obstbäumen in Streulage üblich wärts mit neuem Mut und frischem Blut, mit geworden, wodurch der parkartige Charak­ Menschen, die aus allen Richtungen in den ter des Landschaftsbildes betont wurde. In entvölkerten Kraichgau hereinströmten, be­ den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg ist sonders auch aus der Schweiz. Und auch ein man vielerorts zu Gemeinschafts-Obstanla­ General Melac, als Vollstrecker des Brand­ gen übergegangen. Der Weinbau, der seit 357 dem 18. Jahrhundert vernachlässigt war und Größe der Gemarkungen und der Einwoh­ sich nur an wenigen bevorzugten Lagen ge­ nerzahl ist von jeher verschieden. Für die halten hatte, hat in neuerer Zeit wieder so vereinzelt vertretene Theorie, daß die mei­ stark aufgeholt, daß die meist von Winzerge­ sten der Orte sich von etwa gleichgroßen Ur- nossenschaften, voran von der Zentralkelle­ gemarkungen abgesondert hätten, gibt es rei Wiesloch, ausgebauten Kraichgauweine kaum Anhaltspunkte. Zwar gibt es auch hier heute einen anerkannten Ruf haben, ja zu Rodungs- oder Ausbaudörfer, ihre Zahl ist den Spitzenerzeugnissen deutscher Weine aber verhältnismäßig gering. Besonders bei gehören. den Ausbaudörfern ist auch der Typ der Straßendörfer anzutreffen. Oft ist die spätere Gründung schon aus den Ortsnamen zu er­ Kraichgau, Land der Dörfer und Kleinstädte kennen, z.B. Ruit bei Bretten, Rot bei Wies­ Die Vielfalt der natürlichen Grundlagen hat loch, Dürrenbüchig bei Wössingen und in der Besiedlung ihren Ausdruck gefunden. schließlich die meisten Hausen- und Weiler- Der Kraichgau war schon in vor- und früh­ Orte. Vom Stift Odenheim aus sind die Dör­ geschichtlicher Zeit ein bevorzugter Anzie­ fer Eichelberg und Waldangelloch in den hungspunkt für die verschiedensten Völker­ Wäldern der Keuperberge angelegt worden. schaften. Dies bezeugen Bodenfunde von im Am jüngsten sind die Orte an den Rändern wahrsten Sinne epochaler Bedeutung. Vom der großen Forsten der Rheinebene, dem „homo heidelbergensis“ aus den ange­ Hardtwald und dem Lußhardt, die sich so­ schwemmten Löß-Lehm-Schichten der El­ wohl in den Dorfanlagen, als auch im Volks­ senz bei Mauer über die Michelsberger und typ deutlich von den Dörfern im Kraichgau Großgartacher Kultur zur Bronzezeit und unterscheiden. weiter zur Eisenzeit über die keltische, römi­ Viele Dörfer waren schon in früherer Zeit sche, alemannische und fränkische Zeit führt mit Marktrechten ausgestattet wie Kürnbach eine ununterbrochene Kette bis zu den Zei­ und Münzesheim, Derdingen, Odenheim, ten, aus denen geschriebene Urkunden Ge­ Östringen, Stein, u.a. Einzelne naueres berichten. Und so, wie in fortwäh­ Dörfer, altem Königsgut entstammend und rendem Wechsel Elügel und Täler, Fluren bis zum ausgehenden Mittelalter im Reichs­ und Wälder sich ablösen, die von zahlrei­ besitz befindlich, führen heute noch mit chen Bächen und Gräben durchzogen sind, Stolz den Reichsadler in ihren Ortswappen, finden sich die vielen kleinen Wohnplätze z. B. Bauerbach, Zeutern sowie die späteren eingestreut, die größtenteils von der ersten Städte Eppingen und Heidelsheim. urkundlichen Erwähnung an eigene Gemar­ Trotz des ausgeprägten bäuerlichen Charak­ kungen haben. ters hat infolge der großen Aufsplitterung Von mehr als 200 Kraichgauer Siedlungen des Kraichgaus in die verschiedensten Herr­ ist ein großer Teil bis zum 8. Jahrhundert, schaftsbereiche eine verhältnismäßig große insgesamt etwa die Hälfte bis zum 11. Jahr­ Zahl von Orten, z.T. schon recht früh, hundert urkundlich nachgewiesen, weitere Stadtrechte erworben. Nur wenige davon 90 bis zum 14. Jahrhundert; nur ein kleiner sind allerdings wirkliche Städte selbst im ein­ Rest ist im 15. und 16. Jahrhundert gegrün­ schränkenden Sinn der Landstädte gewor­ det. Dabei ist zu beachten, daß die Erster­ den, und auch die städtischen Freiheiten wa­ wähnungen nicht mit der tatsächlichen ren meist recht problematisch. Wirkliche Gründungszeit gleichgesetzt werden können. Städte haben sich überhaupt nur an den Rän­ Die typische Siedlungsform des Kraichgaus dern des Kraichgaus entwickelt, so im We­ ist das Haufendorf, vorzugsweise in den Tä­ sten Durlach (heute Stadtteil von Karlsruhe), lern der Bäche an Berghänge angelehnt. Die Bruchsal, Wiesloch und gewissermaßen als 358 Eckpfeiler Heidelberg, im Süden ebenfalls schen Bischöfen Hindernis und Bedrohung als Grenzmarke Pforzheim, im Osten Heil­ gewesen. Daher setzten sie ihnen die burgbe­ bronn. Dem Kraichgau können aber nur wehrten Bergstädtchen Obergrombach und Bruchsal, Wiesloch und Böckingen als Stadt­ Rotenberg gegenüber. Beide haben als Städte teil von Heilbronn, links des Neckar, zuge­ niemals eine Bedeutung erlangt, Rotenburg rechnet werden. höchstens die, eine der kleinsten Städte Süd­ Im Inneren des Gebiets befinden sich die ty­ westdeutschlands zu sein. In dem Bestreben, pischen Kraichgau-Landstädte Bretten, Ep- eine Straße zum Rhein oder wenigsten zur pingen und Sinsheim. Unter ihnen waren zu­ wichtigen Nord-Süd-Fernstraße zu gewin­ nächst Sinsheim, dann von etwa 1100 ab nen, versuchte Württemberg über lange Zeit Bretten Sitz der Kraichgaugrafen. Nach dem hinweg, unterhalb des alten Bergstädtchens Übergang Brettens an die Kurpfalz war von Gochsheim durch Erhebung von Unteröwis- 1349 ab Bretten als südlichste Stadt dieses heim im Kraichtal zur Stadt seine Position zu Landes kurpfälzisches Oberamt und blieb verbessern, desgleichen mit Maulbronn und auch während der badischen Zeit ebenso wie oberhalb Brettens im Saalbachtal. Eppingen als Sitz eines Bezirksamtes und an­ Auch die Reichsritterschaft wollte sich nicht derer Behörden wohlbestallte Amtsstadt. Im überspielen lassen und baute gegenüber den Jahre 1924 mußte Eppingen diesen Rang an kurpfälzischen Städten Sinsheim und Hils­ Sinsheim abgeben. Nachdem durch die Ver­ bach sowie gegenüber dem fürstbischöflichen waltungsreform des Jahres 1936 der Amtsbe­ Waibstadt Zuzenhausen zu einer Sperrfeste zirk Bretten aufgelöst und seine Gemeinden aus. Im ritterschaftlichen Leintal wurden auf die Amtsbezirke Karlsruhe, Bruchsal, Kleingartach, Schwaigern, Großgartach und Pforzheim und Sinsheim aufgeteilt wurden, Fürfeld mit Stadtrechten ausgestattet. Von hat sich neben Bruchsal zunächst nur noch Norden her drang schließlich auch Hessen in Sinsheim als Kreisstadt zentrale Verwal­ den Kraichgau ein, indem es sich in den Be­ tungsfunktionen erhalten können, diese aber sitz der alten Reichsstadt Wimpfen und von durch die jüngste Kreisreform im Jahre 1972 Teilen des Marktfleckens Kürnbach setzen auch verloren, so daß im inneren Kraichgau konnte. In der Rheinebene baute der Fürst­ das letzte Verwaltungszentrum verschwun­ bischof von Speyer kurze Zeit vor Ausbruch den und das Gebiet unter die vier Landkreise des 30jährigen Krieges das Dorf Udenheim Karlsruhe, Rhein-Neckarkreis, und zu einer mächtigen Landesfestung gegenüber Heilbronn aufgeteilt ist. der Kurpfalz aus und gab ihr den Namen Die meisten anderen Kraichgauorte, die Philippsburg. Die Stadtrechte von Schwetzin­ heute noch oder wieder mit nicht geringerem gen, Walldorf (bei Wiesloch) und Hocken­ Stolz als ihre größeren Schwestern das Prä­ heim sind jüngeren Datums. dikat Stadt tragen, verdanken diesen Vorzug Vorzugsweise in diesen Städten hat sich ein größtenteils dem Machtstreben und Konkur­ Bürgertum herausgebildet, das auch unter renzkampf der einstigen Territorialherr­ eingeschränkten Stadtrechten und zeitweili­ schaften, die Jahrhunderte hindurch mit al­ ger Leibeigenschaft durch Tüchtigkeit und len Mitteln bemüht waren, größere Teile des Wohlhabenheit Ansehen und gewisse Frei­ Kraichgaus unter ihre Botmäßigkeit zu brin­ heiten und Mitspracherechte erlangt und gen. eine Reihe hervorragender Köpfe hervorge­ Da waren die alten pfälzischen Städte H ei­ bracht hat. Sie hier aufzuzählen und zu wür­ delsheim im Saalbachtal unmittelbar oberhalb digen, würde den Rahmen dieser Darstel­ der fürstbischöflich-speyerischen Residenz lung sprengen. Stellvertretend für ihre große Bruchsal ebenso Wiesloch am Ausgang des Zahl mögen hier nur die bedeutendsten ge­ Tales der Leimbach (Angelbach) den speyeri- nannt werden. 359 Philipp Melanchthon aus Breiten (1497 — Johann Jakob Astor aus Walldorf bei Wies- 1560) Sohn des kurfürstl. Waffenschmieds loch (1763 —1848), 1784 nach Nordamerika Georg Schwarzerdt, Humanist und Refor­ ausgewandert, dort vor allem im Pelzhandel mator, der nicht nur als wichtigster Mann zu großem Reichtum und Ansehen gelangt neben Luther, sondern weltweit als Wissen­ und als einflußreicher Grundstücksmakler schaftler, Organisator und Reformer des hö­ „Landlord von New York“ genannt. Er galt heren Schulwesens und der Universitäten als reichster Mann Amerikas. wirkend mit dem seltenen Ehrentitel „Prae- Friedrich Hecker aus Eichtersheim (1811 — ceptor Germaniae“ in die Geschichte einge­ 1881), Oberhofgerichtsadvokat, Mitglied der gangen ist. II. Kammer des badischen Landtags, Führer und Volksheld der badischen Revolution Johannes Faust aus Knittlingen (1480—1540), 1848/49, nach deren Niederschlagung in die ein Alchimist, Arzt, Astrologe, Schwarz­ Schweiz und später nach Nordamerika ge­ künstler, ein Tausendsassa, der nach un­ flüchtet und dort als Oberst in der Armee der stetem, abenteuerlichen Leben zur Sagen­ Nordstaaten kämpfend. gestalt geworden ist und immer wieder bis Franz Sigel aus Sinsheim (1824—1902), zur Gegenwart Stoff zur literarischen Be­ Kriegsminister der 1848er Revolutionsregie­ handlung abgegeben hat. In dem 2 km von rung und Oberbefehlshaber der Revolutions­ Maulbronn entfernten Knittlingen, das als armee, nach deren Niederlage flüchtig nach Geburtsort Fausts gilt, ist im Faustmuseum Amerika, dort General und legendärer Held mit Archiv eine einzigartige Sammlung von der Nordarmee im Sezessionskrieg, dessen Erinnerungsstücken an diese schillernde Per­ Erinnerung auch heute noch in den USA le­ sönlichkeit und die Literatur, die sich mit ihr bendig ist. befaßt, zusammengetragen worden, die weit­ reichende Beachtung findet. David Chyträus (1530—1600), Sohn des Kirchen und Klöster im Kraichgau Pfarrers Mathäus Kochhaf zu Menzingen, Schüler und jüngerer Freund Melanchthons Wo ein günstiges Klima, gute Bedingungen in Wittenberg, Dr. der Theologie, Universi­ für die Bodenkultur und Anschlüsse an den tätsprofessor in Rostock, weitgereister Re­ Fernverkehr gegeben waren, die zu allen former des Kirchen- und Schulwesens mit Zeiten die Mächtigen im Reich auf den Plan längeren Aufenthalten in Niederösterreich riefen, konnte auch die Kirche nicht fehlen. und der Steiermark, der mit seiner „Oratio“ Den größten und nachhaltigsten Einfluß im von 1555 die erste landeskundliche Beschrei­ Kraichgau vermochte sich das Hochstift bung des Kraichgaus verfaßt hat. Speyer zu verschaffen, denn als Fürstbistum hatte es bis zum Jahre 1806 die Landeshoheit Fritz Joß aus Untergrombach, Ursächer und über mehr als 40 Orte im Kraichgau, im Führer des Bundschuhaufstandes im Kraich­ Bruhrain und in der Rheinebene. gau und in anderen süddeutschen Landschaf­ Den Schenkungen frommer Franken, die um ten in den Jahren 1502 und folgende bis zum ihr Seelenheil bangten, an das Kloster Lorsch großen Bauernkrieg den Freiheitswillen des (gegründet 764) verdanken wir den Großteil unterdrückten Bauernstandes schürend. der Ersterwähnungen zahlreicher Siedlungen im Kraichgau. Die in den letzten Jahrzehn­ Samuel Friedrich Sauter aus Flehingen ten besonders häufigen 1200-Jahrfeiern zahl­ (1766—1846) Schulmeister, Heimatforscher reicher Kraichgauorte wären ohne die Auf- und Heimatdichter, Urbild und einer der gei­ zeichungen dieser Schenkungen in dem be­ stigen Väter des Biedermeier. rühmten Lorscher Kodex nicht möglich. 360 Etwas geringer an Zahl und Umfang, aber näheren Umgebung Hoheitsrechte über dennoch bedeutend und größtenteils früher mehrere Dörfer zu, sondern es hatte auch bis als an Lorsch, waren die Zuwendungen von weit in das heutige Zabergäu hinein bis an Gütern und Rechten an das Benediktinerklo­ den Neckar Besitz. Im Jahre 1494 ist das ster Weißenburg im Elsaß (gegr. 724). Kloster in ein adeliges Chorherrenstift umge­ Es war naheliegend, daß auch die Benedikti­ wandelt und als solches 1507 nach Bruchsal ner von Hirsau (gegr. 830) sich einen Anteil verlegt worden. Die Überreste des Klosters zu sichern wußten, und fast selbstverständ­ Odenheim sind gering. Von dem einst lich, daß auch das Zisterzienserkloster Herre- mauerbewehrten Areal vermitteln nur noch nalb (gegr. 1149) und das sich nach Bernhar- zwei Rundtürme beim heutigen Stifterhof dinischen Ordensregeln orientierende eine ungefähre Vorstellung von der einstigen Frauenkloster ' Frauenalb, (gegr. zwischen Klosteranlage. 1160 — 1180), beide Stiftungen der Grafen Wesentlich größere Bedeutung erlangte das von Eberstein, sich erklecklichen Besitz und im Jahre 1147 gegründete Zisterzienserklo­ Rechte im Kraichgau verschaffen konnten. ster Maulbronn im Salzachtal, das sogar die Für den nordostwärtigen Teil des Kraich - Stellung einer reichsunmittelbaren Abtei er­ gaues war das Ritterstift St. Peter in W imp­ langen konnte. Die Schirmvogtei über Maul­ fen im Tal ein bedeutender geistlicher Mittel­ bronn ist 1361 an die Kurpfalz und nach Er­ punkt, dem bereits seit 965 mit dem unter bi- oberung im bayerischen Erbfolgekrieg 1504 schöflich-wormsischem Schutz eingerichte­ an Württemberg übergegangen. Durch den ten Peter- und Paul-Talmarkt, der sich bis Augsburger Religionsfrieden (1555) erlangte heute erhalten hat, auch eine wirtschaftliche Württemberg das Recht zur Reformierung Bedeutung zukam. Die frühromanische Rit­ des Klosters. Seit 1649 ist es nicht mehr klö­ terstiftskirche in Wimpfen im Tal ist neben sterlich genutzt und beherbergt bis heute ein der berühmten Kaiserpfalz auf dem Berg ein evangelisches theologisches Seminar. Maul­ vielbesuchtes und lohnendes Ausflugsziel. bronn ist die besterhaltene Zisterzienseran­ lage in Deutschland. Vor allem die Kloster­ Gegenüber diesen Schenkungsnehmern in kirche ist von besonderer Schönheit und entfernteren Gebieten und in den Randzo­ nen des Kraichgaus waren Klostergründun­ kunsthistorischer Bedeutung. Bemerkenswert gen und Klosterbesitz im inneren Kraichgau ist, daß in diesem Kloster auch der berühmt­ berüchtigte (Dr.) Johannes Faust unter dem vergleichsweise bescheiden. Abt Entenfuß sich als Schwarzkünstler und Um 1100 hatte sich in Sinsheim eine adelige Goldmacher betätigt haben soll. Ein Turm, Benediktinerabtei Besitz und Rechte in der der ihm als Wohnung und Versuchsraum ge­ Stadt und im Elsenzgau verschafft, die sie in dient habe, heißt Faustturm. die Lage setzten, die geistliche und weltliche Im Pfinzgau, auf ursprünglich Grötzinger, Gewalt in diesem Raume zu vereinigen. Der später Durlacher Gemarkung, war auf ehe­ Stiftsturm mit seiner freitragenden Kuppel maligem Besitz des Klosters Weißenburg im kündet heute noch vom einstigen Ansehen Jahre 1094 das Benediktiner-Kloster Gottes­ und ist ein nicht zu übersehendes Wahrzei­ aue gegründet worden. Dieser Klostergrün­ chen Sinsheims. In dem einstigen Areal der dung verdanken mehrere Rodungen und Abtei ist heute das Jugendstift Sunnisheim Dorfgründungen um Karlsruhe und im eingerichtet. Hardtwald ihre Entstehung. Das Kloster Auch dem von den Kraichgaugrafen bzw. hatte in wenigstens 15 Dörfern des Pfinz- den Grafen von Bretten aus dem Geschlecht gaues und der Hardt Eigentumsrechte. Nach der Grafen von Lauffen um 1108 gestifteten der Reformation ist das Kloster aufgehoben Kloster Odenheim standen nicht nur in seiner und abgebrochen worden. Auf dem Kloster­ 361 Ravensburg, Zeichnung von Richard Bellm, 1985

areal ließ Markgraf Ernst Friedrich das im 15. Jahrh. erbaute Langhaus, das 1588 — 1594 ein Jagd- und Lustschloß im Re­ Pförtnerhaus und Teile der Klostermauer er­ naissancestil erbauen, das 1689 zerstört, halten. Die Überreste sind neuerdings fach­ 1740 restauriert und später als Kaserne ge­ gerecht restauriert worden. Im Chor der Kir­ nutzt wurde. Durch die Eingemeindung von che sind romanische Wandmalereien aus Durlach in die Stadt Karlsruhe ist das „Got­ dem 13. Jahrh. bemerkenswert. tesauer Schlößchen“ aus seiner ursprünglich Daneben gab es noch eine Reihe kleinerer abseitigen Lage zu einem innerstädtischen Klöster im Kraichgau z.B. das des Wilhel- Baudenkmal von Karlsruhe geworden. Im mitenordens in Mühlbach bei Eppingen, fer­ Jahre 1944 durch feindliche Fliegerbomben ner Filialen oder klösterliche Bauhöfe, so in zerstört, war das Schicksal der Ruine lange Weißhofen bei Bretten, in Derdingen (heute umstritten, bis man sich 1978 zum Wieder­ Oberderdingen) und Kürnbach, um nur ei­ aufbau in seiner ursprünglichen Gestalt ent­ nige zu nennen. Neben klösterlichen Überre­ schlossen hat. Bei den Bauvorbereitungsar­ sten verdienen auch noch einige weniger be­ beiten wurden wesentliche Erkenntnisse über kannte kirchliche Bau- und Kunstdenkmäler die einstige Klosteranlage gewonnen. Mit Beachtung, so die kath. Stadtkirche in Eppin­ der Fertigstellung des Wiederaufbaues ist in gen von 1435 mit Resten von Wandmale­ absehbarer Zeit zu rechnen. Der Neubau soll reien aus der Mitte des 14. Jahrhunderts und die Musikhochschule aufnehmen. die Burgkapelle in Obergrombach bei Bruch­ Am Übergang vom Kraichgau zum kleinen sal aus der Mitte des 15. Jahrhunderts mit ei­ Odenwald hat sich an der Lobbach gegen ner einzigartig erhaltenen Ausmalung aus Ende des 12. Jahrh. das Kloster Lohenfeld der Bauzeit nach Bildvorstellungen aus der Besitz und Rechte in der Umgebung bis nahe Zeit um 1400. Kunsthistorisch besonders in­ Heidelberg erworben. Ursprünglich für Au­ teressant ist die Magdalenenkirche in Flehin- gustiner-Chorherren gegründet, war es seit gen-Sickingen von 1523 mit ihren großarti­ Anfang des 13. Jahrh. Frauenkloster. Zur gen Epitaphien und Statuen der Familie von Kurpfalz gehörig, dauerte seine klösterliche Sickingen, aber auch die Dorfkirchen von Wirksamkeit aber nur bis zur Reformation. Kürnbach und Sulzfeld sowie die Stadtkirche Von der einstigen Klosteranlage ist nur das von Neckarbischofsheim. Die dortige Toten­ Querschiff der romanischen Klosterkirche, kirche auf dem Friedhof mit zahlreichen al­ 362 ten und neueren Grabmälern der Herren von rend die Waldgebirge Schwarzwald und Helmstadt ist eine einzigartige Grablege die­ Odenwald für Warentransporte und Heeres­ ses Kraichgauer Adelsgeschlechts. züge beinahe unübersteigbare und gefährli­ Der besondere Typ der sogenannten Wehr­ che Barrieren bildeten, bot der dazwischen­ kirchen, hinter deren Mauern sich einst in liegende Kraichgau die Vorteile einer riesi­ Kriegszeiten die dörfliche Bevölkerung mit gen Verkehrsbrücke zwischen West und Ost, Vorräten und Vieh in Sicherheit bringen vom Oberrhein nach Schwaben, Bayern und konnte, ist in Kieselbronn bei Pforzheim und den Donaulanden und in umgekehrter Rich­ in Lienzingen bei Mühlacker erhalten. tung. Kriegszüge und Völkerwanderungen, In diesem Zusammenhang ist auch noch auf Kaufmannsgeleite und Postlinien, die sich eine Institution hinzuweisen, die weniger sa­ seit urdenklicher Zeit dieser Landbrücke be­ krale als kultur- und kunsthistorische sowie dienten, waren die Ursachen für ein dichtes allgemeinwissenschaftliche Bedeutung hat, W egenetz. die museale Erinnerungsstätte an Leben und Im Lößland des Kraichgaues haben sich vor Wirken einer der bedeutendsten Männer, die allem zahlreiche Hohlwege zu einem typi­ aus dem Kraichgau hervorgegangen sind, schen Landschaftsmerkmal herausgebildet. Philipp Melanchthon. In dem eindrucksvol­ Ihre Entstehung geht, einerlei ob heute Feld­ len Museumsgebäude in Bretten, zwischen weg oder höheren Zwecken dienend, auf den 1897—1903 in neugotischem Stil an der Verkehr früherer Zeiten zurück, mögen es Stelle des Geburtshauses des europaweit be­ ursprünglich nur Wanderpfade von Händ­ kannten großen Gelehrten am Marktplatz lern, Krämern, Pilgern und Boten oder errichtet, werden hier neben künstlerisch schon Wege für schwerere Karren und Wa­ wertvollen Statuen der wichtigsten Reforma­ gentransporte von Heereszügen gewesen toren, Wandgemälden, Städte- und Fürsten­ sein. Die Radspuren der Fuhrwerke, die wappen eine große Auswahl an sonstigen durch das abfließende Regenwasser ausge­ Gemälden, Kupferstichen, Holzschnitten, waschen wurden, haben sich im Laufe der seltenen Drucken und Handschriften Me- Jahrhunderte vertieft und diese Einschnitte lanchthons und vieler berühmter Zeitgenos­ in das Gelände hinterlassen. An den Tiefen sen aus Theologie, Humanismus und sonsti­ der Hohlwege läßt sich so gewissermaßen gen Wissenschaften, Kunst und Politik mit das Alter der Wege und Straßen ablesen. ihren Bildnissen oder Familienwappen, fer­ Es gibt aber auch alte Verkehrswege, die die ner eine reichhaltige wissenschaftliche Bi­ Täler meiden und sich auf den Höhenzügen, bliothek von und über Melanchthon mit vie­ vorzugsweise den Gemarkungsgrenzen fol­ len Unika und Frühdrucken sowie eine Mün­ gend, entlangziehen. Sie führen zum großen zen- und Medaillensammlung aus und über Teil bezeichnende Namen wie Hochstraße, die Reformationszeit gezeigt, wie sie in sol­ hohe Straße, Heerweg, Hertweg und ähn­ cher Qualität und Menge sonst nirgends an­ lich. zutreffen sind. Die Geschichte der bedeutenderen Straßen im Kraichgau wird erst zur Römerzeit teil­ Wege, Straßen und Eisenbahnen weise faßbar. Am Hügelsaum gegen die Die geringe Höhe der Kraichgauhügel mit Rheinebene zieht die Bergstraße, heute Bun­ ihren meist sanften Steigungen, die offenen, desstraße Nr. 3, von Heidelberg über Wies- nicht sehr breiten und oft völlig trockenen loch — Bruchsal — Durlach — Ettlingen Täler wie auch die mäßige Größe der Wal­ gen Süden. Sie ist eine uralte Fernstraße, de­ dungen waren zu allen Zeiten sowohl für die ren Ursprung kaum zu datieren ist. An dieser zwischenörtlichen Beziehungen als auch für auch von den Römern benützten Straße ha­ den Fernverkehr besonders günstig. Wäh­ ben sich von jeher die in allgemein ostwärti- 363 ger Richtung verlaufenden Verbindungsstra­ In kurzem Abstand weiter südlich führte von ßen meist den Flußtälern folgend aufgereiht. Ubstadt aus eine Straße zunächst das Kraich- Ihre Verkehrsbedeutung war nicht immer tal aufwärts über Unteröwisheim — Münzes- gleich. Für die Benützung war entscheidend heim, dann über Oberacker abschwenkend die herrschaftliche Zuweisung entsprechend nach Bauerbach — Gölshausen zur Knittlin- dem Reisezweck und den Benutzern (Messe­ ger Steige und weiter über Maulbronn nach besucher, Warentransporte, Truppendurch­ Illingen, wo sie auf die alte Römerstraße traf. märsche, Reisen von Fürstlichkeiten usw.). Eine weitere, ebenfalls von Speyer ausge­ Der Zustand der Straßen und die ge­ hende Straße wohl auch römischen Ur­ wünschte Reiseroute waren nicht ausschlag­ sprungs verlief nach dem Rheinübergang bei gebend. Schließlich haben die oft umstritte­ Speyer in allgemein süd-südöstlicher Rich­ nen Geleitsrechte, die für die Inhaber wegen tung über Wiesental — Hambrücken — der damit verbundenen Einnahmen wichtig Forst nach Bruchsal, von hier das Saalbachtal waren, oft dazu geführt, den Verkehr mög­ aufwärts über Bretten — Knittlingen — lichst auf die Straßen des eigenen Territo­ Maulbronn — Illingen, dort in die alte Rö­ riums zu ziehen. Die nachfolgend skizzierten merstraße einmündend nach Cannstatt. Sie wichtigsten Straßenverbindungen durch den war als Teilstück der großen Handelsstraße Kraichgau, können nur andeutungsweise die von Oberitalien — Oberschwaben nach den früheren Verkehrsverhältnisse darstellen. Niederlanden als „freie Reichsstraße“ die Beginnen wir im Norden. Hier verlief die wichtigste und bekannteste Straße durch den von Worms über Ladenburg — Neuenheim Kraichgau und ist es als eine der meistbefah- führende Römerstraße, auch im Mittelalter renen Straßen in Deutschland, als Bundes­ noch benutzt, von Heidelberg ostwärts nahe straße 35, bis heute geblieben. dem Neckar als Mosbacher Straße über diese Von großer Bedeutung für den südlichen Stadt nach Würzburg. Von dieser Straße Kraichgau war die Abzweigung der letztge­ zweigte bei Lobenfeld in südostwärtiger nannten Straße von Bretten nach Pforzheim, Richtung eine Straße ab, die über wohl ebenso alt wie die „freie Reichsstraße“ — Helmstadt — Bargen — Siegelsbach nach selbst. Es waren eigentlich zwei fast parallel Wimpfen führte. Dieses den Kraichgau tan­ verlaufende Straßen, eine von Bretten über gierende südliche Gabelstück war eine un­ Rinklingen — Sprantal — Göbrichen — mittelbare Verbindung zwischen Worms und Pforzheim, die andere von Bretten über Ruit W impfen. — Bauschlott — Pforzheim. Der letztge­ Weiter südlich kreuzte die sehr wichtige von nannten folgt im großen und ganzen die heu­ Speyer kommende Straße bei Walldorf — tige Bundesstraße 294. Wiesloch die Bergstraße und führte in allge­ Von Bruchsal ausgehend ist seit Anfang des mein ostwärtiger Richtung nach Sinsheim — 15. Jahrhunderts eine Abzweigung von der Wimpfen und weiter nach Nürnberg — Pas- Bergstaße nach Südosten in das Grombachtal sau nach Ungarn. Ein Abzweig von Sinsheim bekannt, die von Obergrombach nach Singen in südostwärtiger Richtung über Steinsfurt bzw. Stein in das Pfinztal überwechselte. — Richen und den Heuchelberg — Bracken­ Pfinzaufwärts erreichte sie Pforzheim und heim stellte die Verbindung nach Cannstatt von da in verschiedenen Abzweigungen den her. Zugang in den Nordschwarzwald. Von der römischen Station Stettfeld nördlich Abweichend von den allgemein von Westen Bruchsal ausgehend zweigte ebenfalls eine nach Südosten verlaufenden Straßen hat im Straße mit dem Fernziel Cannstatt ab. Ihr Mittelalter eine von Straßburg ausgehende, Verlauf ist nur teilweise belegt. Im Mittelal­ von Durlach aus nordostwärtige Richtung ter hatte sie keine Bedeutung mehr. einhaltende Straße ohne sich an Flußtälern 364 zu orientieren, von Durlach über Berghausen menden West-Ost-Verkehr aufnimmt und — Bretten — Eppingen — Schwaigern nach damit das alte Straßennetz des Kraichgaus Heilbronn große und bleibende Bedeutung entlastet. erlangt. Die heutige Bundesstraße 293 hat, Den Straßenführungen durch den Kraichgau grob gesehen, den gleichen Verlauf. Durch haben sich zum großen Teil auch die Eisen­ die Kreuzung dieser Straße mit der obenge­ bahnlinien angepaßt. Der große Nord-Süd­ nannten „freien Reichsstraße“ in Bretten war verkehr auf der rechtsrheinischen Rheintal­ diese Stadt schon im Mittelalter zu einer strecke rollt auf einem Schienenweg, der im „Verkehrsdrehscheibe ersten Ranges“ ge­ wesentlichen parallel zur Bergstraße (Bun­ worden. desstraße 3) verläuft. Ähnlich den vorge­ Die gleiche Richtung hält auch die von der nannten Straßen zweigen von hier aus Stich­ Bergstraße bei Langenbrücken abzweigende bahnen in die Kraichgautäler ab. So führt heutige Bundesstraße 292 ein, die über Eich- vom Bahnhof Wiesloch-Walldorf aus je eine tersheim — Sinsheim — Waibstadt — Agla- Nebenbahnlinie in das Tal der Leimbach und sterhausen dem Neckarübergang bei Obrig­ der Gauangelbach bis Schatthausen. Eine an­ heim zustrebt und damit jenseits des Neckar dere Nebenbahnlinie nimmt von Wiesloch die Verbindung zur Stadt Mosbach und wei­ aus den Weg durch das Waldangelbachtal ter zum Bauland und zum Taubergrund her­ hinauf bis Waldangelloch. Von Bruchsal aus stellt. besteht eine Nebenbahnverbindung über Ub- Im inneren Kraichgau ist noch die Bundes­ stadt durch das Kraichbachtal bis Menzin- straße 45 auffallend, die von Sinsheim ausge­ gen. Eine zweite Strecke, ebenfalls von hend in allgemein nord-nordwestlicher Rich­ Bruchsal ausgehend, hat über Ubstadt — tung dem Lauf der Elsenz folgend nach Nek- Stettfeld das Katzenbachtal bis Odenheim kargemünd führt und dort in die Neckartal­ und darüber hinaus Eichelberg und Hilsbach straße einmündet. an das Schienennetz angeschlossen. Schließlich sind als jüngste, moderne Land­ Den großen vom Rheintal nach Osten ab­ verbindungsstraßen zwei Autobahnen zu er­ zweigenden Fernverkehr nimmt von Bruch­ wähnen, die wie die typischen West-Ost- sal aus die Bundesbahnstrecke über Bretten Straßen des Kraichgaus in nordwest-südost- — Mühlacker — Stuttgart auf, die im we­ wärtiger Richtung verlaufen: die ältere, süd­ sentlichen parallel zur Bundesstraße 35 ver­ liche, von Karlsruhe-Durlach über Pforz­ läuft. Der auf der Rheintalstrecke aus südli­ heim nach Stuttgart, den Kraichgau aller­ cher Richtung kommende Eisenbahnverkehr, dings nur tangierend und die jüngere, nördli­ der nach Osten abzweigt, wird von Karls­ che, mitten durch das Herzstück des Kraich­ ruhe-Durlach aus durch das Pfinztal über gaus und dadurch auch als Kraichgau-Auto- Pforzheim — Mühlacker geleitet, wo er mit bahn bezeichnet, von Walldorf über Sins­ der durch das Saalbachtal führenden Strecke heim nach Heilbronn. Bei ihrer Planung und zusammentrifft. Ausführung brauchte, schon der fortgeschrit­ Den inneren Kraichgau hat seit 1879/80 die tenen Straßenbautechnik wegen, anders als quer durch die Landschaft und weitgehend bei der Anlage der alten Straßen, viel weni­ mit der Bundesstraße 293 gleichlaufende ger Rücksicht auf Geländeschwierigkeiten Kraichgaubahn von Karlsruhe-Durlach über genommen zu werden. Ihre Streckenführung Bretten und Eppingen nach Heilbronn er­ war vor allem von Überlegungen der Schnel­ schlossen. Die Stadt Bretten ist damit auch ligkeit und Zeitersparnis diktiert. Sie dienen zum Eisenbahnknotenpunkt geworden. der Verbindung von Ballungsräumen und Im nördlichen Kraichgau stellt von Neckar­ dem Fernverkehr, wobei die südliche den aus gemünd aus das Elsenztal aufwärts bis Sins­ Süden, die nördliche den aus Norden kom­ heim und weiter in südostwärtiger Richtung 365 eine Bundesbahnstrecke das große Neckar­ weise durchgeführten, z.T. langwierigen knie abschneidend eine Verbindung zwi­ Planfeststellungsverfahren wird die Neubau­ schen dem unteren Neckar und Bad Wimp­ strecke in fast gerader Linie von Stuttgart aus fen sowie Heilbronn her. Von dieser Strecke in nordwestlicher Richtung das Stromberg­ zweigt von Meckesheim eine Seitenlinie in gebiet und den Kraichgau durchziehen, das Schwarzbachtal ab, die über Aglaster- nördlich von Bruchsal in die Rheinebene ein- hausen führend in die Neckartal­ treten und dort in allgemein nördlicher bzw. bahn erreicht. Bei Neckarbischofsheim ga­ nordwestlicher Richtung Mannheim errei­ belt sich eine weitere Strecke nach Obergim- chen. Zur Abmilderung der gravierendsten pern und Hüffenhardt ab. Eingriffe dieses Jahrhunderts in das Land­ Die Darstellung des Eisenbahnnetzes im Ge­ schaftsgefüge und -bild des Kraichgaus, vor biet zwischen Schwarzwald und Odenwald allem auch zur Minderung von Lärmbelästi­ wäre unvollständig ohne Erwähnung der Za­ gungen, werden über 30 km in Tunnels, rd. bergäubahn, die von Lauffen am Neckar aus 40 km in Einschnitten verlaufen, Geländeun­ als Stichbahn in ost-westlicher Richtung das terschiede mit Brücken bis zu 750 m Länge Zabertal aufwärts über Brackenheim — und bis zu 40 m Höhe überwunden werden. Güglingen bis Leonbronn (heute Burgbronn) Der Unterbau wird für Fahrgeschwindigkei­ verläuft. Die lange angestrebte und nach dem ten von 200 bis 300 Stundenkilometern aus­ Ersten Weltkrieg nahezu fertiggestellte Ver­ gelegt werden. längerung der Strecke über Kürnbach — Mit den Bauarbeiten wurde bereits 1977 in Knittlingen nach Bretten ist nicht mehr in der Rheinebene von Mannheim ausgehend Betrieb genommen worden. Sie hätte zwei­ begonnen. Seit 1983 sind auch im Kraichgau fellos die vielfältigen historischen, wirtschaft­ entlang der festgelegten Trasse riesige Bau­ lichen und familiären Beziehungen zwischen stellen eingerichtet, an denen geradezu gi­ Zabergäu und Kraichgau begünstigt. Die gantische Erd- und Materialbewegungen im Dämme, Brücken und sonstige Bauten der Gange sind. Riesige Baukräne, ein Netz von Strecke sind inzwischen fast vollständig be­ Baustraßen, gewaltige Ausschachtungen für seitigt worden. die Widerlager der Brücken und ein nicht ab­ Trotz der immer noch ansteigenden Ent­ reißender Verkehr von schweren Baufahr­ wicklung des Straßenverkehrs haben die be­ zeugen und Lastwagen haben hier von der stehenden Nebenbahnstrecken auch bei stark fruchtbaren Landschaft Besitz ergriffen. Eine zurückgegangener Rentabilität immer noch (unter mehreren) bei Bauerbach angelegte Bedeutung für die abgelegenen Gebietsteile, Erddeponie im Ausmaß von 35 ha muß etwa wenngleich ihre Erhaltung immer wieder in 1,7 Millionen m3 Aushubmaterial von Gelän­ Frage gestellt wird. Eine Stillegung ohne Er­ deeinschnitten und Tunnelbauten aufneh­ satz durch Omnibuslinien würde für solche men, bis es später zur Wiedereindeckung Gebiete empfindliche und kaum zumutbare oder geeigneten Modellierung verwendet Rückschritte bringen. werden kann. Andererseits beschäftigt ein riesiges Neubau­ Die z.T. vorhersehbaren Verluste wertvoller projekt der Bundesbahn seit mehr als einem Ackerböden, Nutzungsausfälle, Einschrän­ Dutzend Jahren die Gemüter im Kraichgau. kung der Bewirtschaftungsmöglichkeiten, Es handelt sich um den Bau einer Schnell­ Lärmbelästigungen und unabsehbare Folge­ bahnstrecke zwischen Stuttgart und Mann­ schäden haben zahlreiche Einwendungen heim, die ungeachtet der seit 1853 bestehen­ und gerichtliche Klagen ausgelöst, wobei den Bahnverbindung über Bretten — Bruch­ mancherlei Änderungen und Verbesserungen sal die beiden Ballungszentren auf kürzestem erreicht worden sind. Der Bau der Schnell­ Weg verbinden wird. Nach den abschnitts­ bahn ist aber beschlossene Sache, und man 366 kann nur hoffen und wünschen, daß sie den Im Muschelkalkgebiet des Kraichgaus war erwarteten mit so riesigem Kostenaufwand von etwa 1725 ab auch nach sog. Bohnerzen befrachteten Effekt einfahren könne, die auf­ (Brauneisenstein) gegraben worden, so bei gerissenen Wunden in der Landschaft bald Dürrenbüchig, Oberöwisheim, Bauerbach wieder geschlossen und die Dauerschäden und noch in den 40er Jahren des vergange­ für Landschaft und Bewohner in Grenzen nen Jahrhunderts bei Wössingen. Die gewa­ gehalten werden. Mit der Inbetriebnahme schenen Erze wurden an auswärtigen Plät­ der Schnellbahn wird in den Jahren zen verhüttet. Ergiebigkeit und Verdienst 1991 — 1992 gerechnet. waren aber zu gering, um die Grabungen fortzusetzen. Aus Lagen mit geringerer Lößdecke auf dem Landschaft im Wandel anstehenden Gestein lieferten Steinbrüche das Material für Haus- und Straßen-, später Als eine von Natur aus für die Bodenkultur auch Eisenbahnbauten. bestimmte Landschaft war der Kraichgau Auf alter Tradition beruhend wird bei Maul­ von den frühesten Epochen der Geschichte bronn in der Randzone gegen den Strom­ an bis in die Gegenwart ein Bauernland. Das berg in zwei Natursteinbetrieben roter Sand­ sehr günstige Klima, das sich beispielsweise stein für Bau-, Steinmetz- und Plattenarbei­ im Raum um Bretten mjt einer Jahresmittel­ ten gewonnen. temperatur von 9,4 °C nur unwesentlich von dem der Rheinebene mit 10°C unterscheidet, Gelber Sandstein war bei Sulzfeld und Mühl­ und die außerordentliche Fruchtbarkeit des bach bei Eppingen Grundlage für handwerk­ Bodens sind von jeder landsuchenden Völ­ liche Steinhauerbetriebe, die aber in neuerer kerschaft rasch erkannt und genutzt worden. Zeit fast alle eingegangen sind. Rohstoffe für andere Betätigungen der Be­ Lediglich die bereits im Zusammenhang mit völkerung stehen nur in geringer Auswahl den Wasserläufen erwähnten Schwefel- und an. Mit der Herstellung von Töpferwaren, Solequellen haben in der Saline zu Rappenau Ziegeln und Backsteinen aus Ton und Lehm und in den Heilbädern am West- und Ost­ und mit der Verarbeitung anfallenden Hol­ rand des Kraichgaus andauernde kommer­ zes aus den Wäldern für Bauzwecke, Geräte, zielle Erfolge erbracht. Die Saline in Möbel und für Heizung waren die Möglich­ Rappenau ist seit 1973 nicht mehr in Betrieb keiten der Verwertung einheimischer Roh­ und die Anlagen sind danach abgebrochen stoffe nahezu erschöpft. In geschichtlicher worden. Zeit weiß man von Salzvorkommen im Salz­ Im übrigen beschränkten sich die Möglich­ achtal und vom Betrieb einer Saline in keiten gewerblicher Tätigkeiten auf die Ver­ Bruchsal. arbeitung von Landesprodukten. Zu Anfang Als Seltenheit ist eine Erzgewinnung bei des 19. Jahrhunderts wurde beispielsweise Wiesloch und dem angrenzenden Nußloch Krapp angebaut, der in Krappmühlen zu verbürgt, wo schon seit dem 8. Jahrhundert Färberröte gemahlen wurde. Ebenso gab es Bergbau auf Silber und Blei, später auch auf Versuche der Seidenraupenzucht. Beide Ex­ Eisen und Zinkblende betrieben wurde. perimente wurden bald wieder aufgegeben. Noch um 1850 waren damit etwa 300 bis Als ständige Verarbeiter von Landesproduk­ 400 Arbeiter beschäftigt. Durch Erschöpfung ten sind noch die Getreidemühlen zu erwäh­ der Erzlager ist der Betrieb zu Anfang unse­ nen, die meist nur für das eigene Dorf arbei­ res Jahrhunderts eingestellt worden. Einige teten, allenfalls noch für die Orte, die keine Überreste der Stollen sind erhalten und noch eigenen Mühlen hatten. Bei den Ölmühlen zu besichtigen. war der Kundenkreis etwas weiter gespannt. 367 Hohlweg, Zeichnung von Richard Bellm, 1985

Nur in den Städten am Rande des Kraich­ sich in anderen vergleichbaren Städten erst gaus hat sich im vergangenen Jahrhundert ei­ später, meist erst in der Zeit zwischen den nige Industrie angesiedelt, die außer einhei­ beiden Weltkriegen, Ansätze industrieller mischen Erzeugnissen auch herangeführte Fertigung. In der Zeit des Wiederaufbaus Rohstoffe verarbeitete. Im inneren Kraich­ nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg gau wurden erst nach der Inbetriebnahme wurde dies anders. Von da an sind auch in der Eisenbahnen die Möglichkeiten der In- manchen Dörfern, in denen bis dahin die dustrieansiedlung wahrgenommen. Während Landwirtschaft das Leben beherrschte, mehr beispielsweise die Anfänge der Brettener In­ und mehr Fabrikations- und Industriebe­ dustrie in diese Zeit zurückreichen, zeigten triebe der verschiedensten Art eröffnet wor­ 368 den, die bald das Gesicht dieser Dörfer und ßenteils von Frau und Kindern geleistet wer­ die Lebensgrundlagen ihrer Bewohner verän­ den mußten, so war man zur Verminderung dert haben. der Arbeitsbelastung allmählich dazu überge­ Aber auch im urtümlich bäuerlichen Bereich gangen, auch kleinere Maschinen anzuschaf­ haben sich in den letzten Jahrzehnten ein­ fen und in weiterer Folge die Zugtiere durch schneidende, ja grundlegende Wandlungen leichte Traktoren zu ersetzen. Da aber alle vollzogen. Die Zeiten, in denen die zahllosen diese Notlösungen auf die Dauer keine Parzellen der Ackerfluren meist in klein­ grundlegende Verbesserung der Verhältnisse bäuerlichen Familiengemeinschaften bewirt­ versprachen, haben in den letzten Jahrzehn­ schaftet wurden und die altgewohnten Feld­ ten die meisten Klein- und Nebenerwerbs­ arbeiten mit Pflug oder Egge, mit Kuh- oder landwirte ihre unrentablen Betriebe aufgege­ Pferdegespann sowie die Arbeiten „von ben. Von den betroffenen Familien werden Ffand“ mit Hacke, Sense, Sichel und Rechen heute allenfalls noch einzelne Grundstücke erledigt werden mußten, sich also emsiges gartenmäßig umgetrieben. Leben auf den Fluren regte, haben sich geän­ Andererseits haben die wenigen verbliebenen dert. Durch Flurbereinigungen und freiwil­ oder sich neu etablierten Haupterwerbsland­ lige Zusammenlegungen sind größere Flur­ wirte durch Pacht oder Kauf die freigewor­ stücke entstanden, die rationeller bewirt­ denen Flächen übernommen und so ihre Be­ schaftet werden können. triebe in einem Ausmaß aufstocken können, Die unzureichenden Betriebsflächen der ein­ wie es zu keiner Zeit vorher möglich gewe­ zelnen Landwirte sind damit aber nicht ver­ sen war. Wo einst die Kleinlandwirte im bessert, sondern durch den Ausbau des Feld­ Durchschnitt über Betriebsflächen von 3 bis wegenetzes noch etwas verringert worden. 4 ha verfügten, sind heute bei Haupterwerbs­ Die gesamtwirtschaftliche Lage der Klein­ landwirten Betriebsgrößen von 25, 50 oder bauern ließ neben der Eigenversorgung der 100 und mehr ha keine Seltenheit mehr. Familie mit Lebensmitteln im Vergleich mit Nach solchen Strukturveränderungen richten anderen Berufsgruppen keinen Spielraum sich Anbaumethoden und Fruchtfolge schon mehr zu und konnte nur durch den Anbau lange nicht mehr nach dem Eigenbedarf der von Handelsgewächsen wie Zuckerrüben, Familien, sondern werden von rationellen Zichorie und besonders Tabak verbessert Überlegungen bestimmt. Es wird keineswegs werden. Eine Folge des vermehrten Tabak­ mehr alles angebaut, was in dieser Klima­ anbaues war die Einrichtung einiger Zigar­ zone gedeihen kann und brauchbar wäre, renfabriken, besonders im Bruhrain, die auch sondern nur, was Nachfrage und Markt auf­ Möglichkeiten der Lohnarbeit im Ort oder in nehmen und bei verringerten Arbeitsaufwand der unmittelbaren Nachbarschaft eröffnete. die besseren Erlöse bringt. Was einst bei je­ In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg dem noch so kleinen landwirtschaftlichen ist auch noch der feldmäßige Anbau von Betrieb selbstverständlich war, Rindvieh- Arzneipflanzen und Gemüse hinzugekom­ und Schweinezucht, ist nicht mehr allgemein. men. Wo Rindviehhaltung noch vorhanden ist, Die fortdauernde Beengtheit hatte schon vor dient sie fast ausschließlich der Milcherzeu­ Jahren viele Kleinbauern gezwungen, in na­ gung. Pferde werden nicht mehr als hegelegenen Industriebetrieben oder bei Zugpferde, sondern als Reitpferde gezüchtet. Bahn oder Post Arbeit anzunehmen und ihre Auch die Schweinezucht ist spezialisiert in Grundstücke als Nebenerwerbslandwirte zu Ferkel- und Schlachttierzucht. bebauen. War in diesen Kleinbetrieben zu­ Alle diese Umstellungen haben auch das Äu­ nächst in aller Regel auch Viehhaltung inbe­ ßere der Hofstellen und das Landschaftsbild griffen mit Stall- und Feldarbeiten, die gro­ verändert. Die Felder, durch einseitige An­ 369 baumethoden ohnehin nicht mehr so bunt Bemühungen, den Kraichgau mehr als bisher wie früher, haben durch Beseitigung von als Erholungs- und Bäderlandschaft bekannt Streuobstbäumen und Hecken wegen gewis­ zu machen. Sie werden hauptsächlich von ser Behinderungen der maschinellen Bestel­ der „Arbeitsgemeinschaft Erholungsgebiet lung vieles von ihrem früheren Charakter Kraichgau“ getragen und haben auch bereits verloren und werden zunehmend eintöniger. ansehnliche Erfolge erbracht, zumal der Schlimmer ist die in übersteigerten Maßnah­ Kraichgau im Landesentwicklungsplan offi­ men bei Flurbereinigungen erfolgte Zuschüt­ ziell als Naherholungsgebiet ausgewiesen ist. tung vieler Hohlwege zu bewerten, wodurch Neben der Schaffung ansprechender Erho­ landschaftstypische Eigenheiten zerstört lungs- und Freizeiteinrichtungen in zahlrei­ wurden und letzte Rückzugsmöglichkeiten chen Orten, haben Initiativen auf gastrono­ für bedrohte Pflanzen und Tiere unwieder­ mischem Gebiet Voraussetzungen für bringlich verloren gegangen sind. Es ist drin­ Unterkunft und Verpflegung der Erholungs­ gend geboten, daß nicht nur einer weiteren suchenden wesentlich verbessert. Weitere Ausräumung der Landschaft ein Ende ge­ Maßnahmen sind in Vorbereitung. Die liebli­ setzt, sondern durch neue Baum- und Hek- che und ruhige parkartige Landschaft mit kenpflanzungen die schlimmsten Auswirkun­ vielen versteckten Reizen, ihren Wäldern, gen gemildert und damit auch etwas für die Bächen, Seen, Wiesen und Feldern, aber Wiederherstellung des ursprünglichen park­ auch ihren historischen kultur- und kunstge­ artigen Landschaftsbildes getan wird. schichtlichen Zeugnissen in Museen, Kir­ Für eine Strukturverbesserung ermunternd chen, Burgen und Schlössern ist es wert, ent­ sind die schon vor einiger Zeit eingeleiteten deckt und erwandert zu werden.

WIESLOCH GROSSE KREISSTADT

Stimmung und Romantik eines mittelalterlichen Weinstädtchens mischen sich in Wies­ loch mit den großzügigen Einrichtungen einer modernen Wohn- und Freizeitstadt mit ca. 22 000 Einwohnern. Schon seit der Jungsteinzeit ist die Gemarkung Wiesloch ein ständig besiedelter Raum. Die Stadt Wiesloch selbst wurde im Jahre 801 als „Wezzinloch“ erstmals urkundlich erwähnt. Bereits im Jahr 965 wurde dem Kloster Lorsch durch Otto I. das Recht verliehen in Wiesloch Markt zu halten. Um 1200 wurde Wiesloch zur Stadt ernannt. Nach der Eingemeindung von Baiertal und Schatthausen wurde Wiesloch 1973 zur Großen Kreisstadt. Zeugnisse der Geschichte, insbesondere die des Wieslocher Bergbaus, können heute im neueröffneten Städtischen Museum besichtigt werden. Informationen und Prospekte: Stadtverwaltung Wiesloch, Marktstr. 13, 6908 Wiesloch, Tel.: 0 6222/84-1

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