Der Kraichgau — Beharrung Und Wandel Bertold Rudolf, Karlsruhe

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Der Kraichgau — Beharrung Und Wandel Bertold Rudolf, Karlsruhe Der Kraichgau — Beharrung und Wandel Bertold Rudolf, Karlsruhe Zuordnung gebunden. Sie ermöglichte eine frühe, durch­ Die Bezeichnung „Gau“, auch „Gäu“ im weg dichte Besiedlung. Es ist mit ökologisch Schwäbischen, bedeutet im landläufigen Sinn geschärfter Sensibilität heute leicht einsich­ offenes, also gerodetes Land. Sie zielt damit tig, daß die besondere Eignung des Raums auf den deutlichen Gegensatz zu den Land­ für die Nutzung des Menschen neben positi­ schaften, deren Physiognomie noch durch ven auch negative Entwicklungen in der na­ das Waldkleid, wenn auch in seinem Arten­ türlichen und sozialen Umwelt bewirken bestand verändertes, bestimmt ist, in das kann. Noch nie sind die Wechselbeziehun­ Siedlungen und deren Fluren nur als helle gen der Raumelemente so deutlich geworden Flecken eingebracht sind. Findet für diese wie in der gegenwärtigen technischen Hoch­ Erscheinungsform die Verbindung mit der zivilisation. Es scheint also eine Zusam­ Endung -wald ihren sprachlichen Ausdruck, menschau dieser Potentiale geboten. verknüpft sich „Gau“, aus dem germanischen Seit den Arbeiten von Friedrich Metz, dem gaawja („Land am Wasser“) herleitbar, oft Altmeister der süddeutschen Länderkunde, mit einem Gewässernamen, dem ältesten Na­ ist keine den Raum als Ganzes beschreibende mensgut unseres Raums. Landeskunde mehr erschienen. Das ist frei­ Offensichtlich liegt dem unterschiedlichen lich nicht verwunderlich, wenn man sich die Erscheinungsbild ein struktureller Gegensatz Richtungskämpfe innerhalb der deutschen zugrunde. Räume guter natürlicher Ausstat­ Geographie vor Augen führt, ausgelöst tung stehen Ungunsträumen gegenüber. Frü­ durch den Protest einer heranreifenden Stu­ her besiedelt und intensiver genutzt, kontra­ dentengeneration, gegen die Verwendung stieren Altsiedellandschaften mit Jungsiedel­ unwissenschaftlicher Worthülsen wie „Land­ räumen. schaft“, denen kein realer, d. h. meßbarer In­ Mit dem Kraichgau reichen die Gäue am halt zugrunde läge. Mit quantifizierenden weitesten nach Westen, in bevorzugter Lage Verfahren sind zweifellos methodische Fort­ zwischen den vom Wald geprägten Gebirgen schritte erzielt worden; immer wieder war Odenwald und Schwarzwald. Das tief lie­ aber auch ein Mißverhältnis zwischen Ar­ gende, nach Westen offene Hügelland bietet beitsaufwand und verwertbarem Ertrag fest­ maritimen Luftmassen bequemen Zugang; zustellen, wenn etwa im Hinblick auf eine auch dem West-Ost-Verkehr hat die durch wissenschaftliche Aussage über Einflußberei­ eine geringe Meereshöhe bedingte Durch­ che städtischer Zentren dreistellige Summen gängigkeit schon immer den Weg leicht ge­ von Variablen einbezogen wurden. Anderer­ macht. Mit den Westwinden wurde auch das seits bedeutet die Beschränkung auf Pendler­ aus den eiszeitlichen Ablagerungen ausgebla­ zahlen eine Verengung auf rein funktionale sene Feinmaterial weit in den Kraichgau hin­ Verflechtung, die zur Grundlage der Ver­ ein verfrachtet und zu einer mächtigen, oft waltungsreform gemacht wurde. So ist aus geschlossenen Decke aufgeschüttet. Die au­ der Perspektive der Badischen Heimat zu ßerordentliche Bodenfruchtbarkeit ist vor al­ fragen, ob es für den Verbleib des altpfälzi­ lem an diese große Verbreitung des Lösses schen Eppingen im badischen Städtewesen 326 Ravensburg, Zeichnung von Richard Bellm, 1985 nicht auch Gründe, etwa historische, gege­ zum Ausdruck bringen läßt, der ein komplex ben hätte. Inzwischen scheint der Zwang xes, doch recht homogenes Wirkungsgefüge aufgehoben, sich für länderkundliches Arbei­ zugrunde liegt. „Der Naturraum des Kraich- ten rechtfertigen zu müssen, wenn auch mit gaus unterscheidet sich in der Gesamtheit einer Verzögerung gegenüber angelsächsi­ seiner Naturausstattung deutlich von allen scher Forschung und Lehre. Größere metho­ angrenzenden großräumigen Einheiten“ (J. dische Toleranz hat sich durchgesetzt. Schon Schmithüsen in Oberrheinische Studien, Bd. droht das Pendel in eine nostalgische Rich­ III, S. 6, Bretten 1975). F. Metz nennt den tung umzuschlagen aus der allgemeinen Kraichgau „das Land flacher Hügel und Sorge für die Umwelt gegen eine rücksichts­ breiter Wiesentäler, welliger, von niedrigen lose Wachstumsideologie. Bergen überragter Hochflächen, das die Aufgabe dieser Zeilen soll sein, gegenüber Senke zwischen den höheren Berglandschaf­ den epochalen Veränderungen der Gegen­ ten des Odenwalds und Schwarzwalds aus­ wart, ein die Zeit durchhaltendes, in Teilen füllt“ (Der Kraichgau, Karlsruhe 1922). Er aber veränderliches Muster einer Landschaft spricht damit das wenig markante Relief an, aufzuzeigen. Diese Zielsetzung veranlaßt das von Muschelkalkplatten und dem dar­ mich, auf die historische Reichweite des Na­ über verbreiteten unteren Keuper bestimmt mens „Kraichgau“ im Rahmen der mittelal­ ist, dessen Konturen den Kraichgau von den terlichen Gaueinteilung nicht einzugehen. im Osten anschließenden Gäuflächen unter­ Zur Diskussion dieses Problems sei auf die scheiden. Seine tiefe Lage ist durch eine Arbeiten von F. Gehrig in den Veröffentli­ großräumige Einmuldung zwischen den Gra­ chungen des Heimatvereins Kraichgau (Bei­ benrandgebirgen bedingt, von denen er sich träge zur Landschafts- und Heimatfor­ deutlich, wenn auch nach einer breiten Uber­ schung, 1968, S. 67) verwiesen. gangszone, abhebt. Das dicke Lößpolster verhüllt den Gesteinswechsel Buntsandstein/ Eigenart Muschelkalk, die wichtigste, alle Kulturbe­ Geographisch relevant ist ein Name, mit dem reiche tangierende Grenze. Mit den Steilhän­ sich eine gewisse Gleichartigkeit der Gestalt gen des tief eingeschnittenen Neckars ist die 327 Grenze im Osten zu ziehen. Im Westen bie­ Vorgeschichte tet sich die Grabenrandverwerfung an, ob­ Gestützt auf Ergebnisse der prähistorischen wohl sie sich im Bereich der „Langenbrücke- Forschung und Untersuchung der nacheis­ ner Senke“ dem Auge entzieht. In tektonisch zeitlichen Klima- und Vegetationsgeschichte tiefer Lage hat sich dort eine Schichtenfolge im südwestdeutschen Raum hat R. Grad­ bis zum Braunen Jura erhalten. Diese tiefe mann den Disziplinen der Historischen Geo­ Einmuldung ordnen wir der ostwärts strei­ graphie neue Wege gewiesen. Die unter­ chenden Fränkischen Mulde zu, in der die schiedliche Funddichte prähistorischer Sied­ Keuperhöhen Strom- und Heuchelberg sich lungsreste veranlaßte ihn, einen Gegensatz erheben (Reliefumkehr!); diese markanten zwischen siedlungsfeindlichen Waldland­ Berggestalten dienen hier als Grenzsäume schaften und siedlungsgünstigen Steppenhei­ unseres Raums. delandschaften in Kalk- und Lößgebieten Oberflächenformen zur Zeit der bandkeramischen Besiedlung herauszuarbeiten. Die Steppenheidetheorie Ist auch die Meinung über die Einordnung war ein großartiges Ideengebäude nach dem des Kraichgaus in den süddeutschen Land­ damaligen Stand der Forschung (1898). Auf­ schaftsverband einheitlich, über die Entste­ grund der Pollenanalyse ist jedoch die An­ hung der Oberflächenformen herrschen un­ nahme waldfreier Gebiete prähistorischer terschiedliche Ansichten. Waren bisher die Zeit nicht mehr aufrecht zu halten. Wohl morphologisch wirksamen Eigenschaften des war der Wald an unterschiedlichen Standor­ Gesteins, ihre Widerstandsfähigkeit also ge­ ten in verschiedenen Typen ausgebildet. Wir gen äußere Kräfte, ausschlaggebend für die dürfen also zwar nicht mit Waldlosigkeit, Erklärung der Formung des Reliefs, bezog aber mit einem lichten, an Unterholz rei­ man sich mit der Schichtstufentheorie i. w. chen, wärmeliebenden Eichenmischwald zur auf die Gesteinsbedingtheit der Landformen Zeit der ersten bäuerlichen Besiedlung rech­ — eine auf die Formung durch das Klima nen, der den Neolithiker geradezu angelockt orientierte Morphologie schränkte die Wirk­ haben mag (O. Schlüter), weil er für die samkeit der Gesteine auf lokale Ausprägun­ Viehhaltung, besonders die Schweinemast, gen ein. Die Landformen wurden im größe­ die notwendige Nahrung lieferte und einer ren Zusammenhang erdzonal wirkender Pro­ kleineren Siedlergruppe die Möglichkeit für zesse gesehen. Der heutige Formenbestand eine „wilde“, düngerlose Feld-Graswirtschaft ist nach J. Büdel (Geographische Rundschau bot. Das neolithische Fundgut, das in den 7/1963) das Ergebnis länger dauernder Vor­ mittelalterlichen Rodungslandschaften fehlt, gänge der Flächen- und Talbildung unter hier aber in großer Menge vorhanden ist, be­ sich im Verlauf der Erdgeschichte ändernden stätigt die Annahme, daß der Kraichgau zu Klimabedingungen. Das gegenwärtige Land­ den Räumen früher und kontinuierlicher Be­ schaftsbild differenziert sich so zu einer siedlung gehört. Kombination verschiedener Reliefgeneratio­ nen. Die Flächen — nach Büdel morpholo­ Siedlungskontinuität einer Landschaft be­ gisch bedeutsamer als die Stufen — werden deutet nicht Kontinuität einzelner Siedlungs­ innerhalb dieser Theorie als Einebnungsflä­ plätze. Das Grabungsgebiet auf dem Mi­ chen mit der Einwirkung randtropischer Kli­ chelsberg, der Bruchstufe über dem Rhein­ mabedingungen im Jungtertiär erklärt; die grabenrand bei Untergrombach, ist eine der für unsere kleinen Wasserläufe viel zu brei­ bedeutendsten und ergiebigsten Fundstätten ten Talräume finden ihre Erklärung in der des Kraichgaus. Die hier gemachten Kera­ „exzessiven Talbildungstätigkeit“ während mikfunde haben wegen ihrer charakteristi­ der Kaltzeiten. schen Gestaltung der jungsteinzeitlichen Mi­ 328 Steinsberg, Zeichnung von Richard Bellm, 1985 chelsberger Kultur ihren Namen gegeben. tag, Wiesbaden 1965, S. 55) in den Maurer- An den Hängen dieser markanten Erhebung Sanden und Kiesen konnte er der Günz- entlang, im
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