Die Deutschen Wurzeln Der Russischen Zoologie1 II. Peter Simon Pallas

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Die Deutschen Wurzeln Der Russischen Zoologie1 II. Peter Simon Pallas 06_Smirnov_45-62_03_Penzlin.qxd 30.07.2019 11:24 Seite 45 Die deutschen Wurzeln der russischen Zoologie1 II. Peter Simon Pallas Alexey V. Smirnov plötzliche Heimreise des bekannten Bo- tanikers Johann Georg Gmelin (1709- 1750) nach Deutschland im Jahr 1747. Der versprach zwar zurückzukehren, kam dem aber nicht nach. Diese missliche La- ge der Akademie war in Europa natürlich bekannt und ihr Ansehen in der wissen- schaftlichen Welt im Sinken (Pekarskij, 1873). Am 5. Dezember 1747 brach in der Kunstkammer ein Feuer aus, das einen bedeutenden Teil der Sammlung erfasste. Betroffen waren hauptsächlich die ethno- graphischen Sammlungen, aber auch ein großer Teil der biologischen Abteilung wurde vernichtet. Erst 1766 konnten die Sammlungen in das wieder hergestellte Gebäude der Kunstkammer zurückkeh- ren. Vieles, was das Feuer verschont hatte, Abb. 1. Peter Simon Pallas, Portrait gemalt von einem unbekannten Künstler (Öl auf Lein- war dann infolge schlechter Zwischenla- wand). Das Bild hängt im Zoologischen Institut gerung beschädigt. Das Interesse der der Russischen Akademie der Wissenschaf- Wissenschaftler an der Kunstkammer und ten, St. Petersburg. ihren Objekten schwand und in der Folge verfiel mehr und mehr deren exakte, wis- Die Petersburger Akademie der Wis- senschaftlich begründete Ordnung, wie senschaften, 1747 in Kaiserliche Akade- sie vor dem Feuer bestand (Stanjuko- mie der Wissenschaften und Künste um- witsch, 1953, S. 140). benannt, geriet zur Mitte des 18. Jhd. in Vier Jahre nach dem Regierungsantritt eine Krise. Abgesehen von ständigen von Katharina II. (1762) änderte sich die Streitereien innerhalb der Akademie Lage der Akademie. Sie ernannte am 5. selbst gab es auch eine ganze Reihe öf- Oktober 1766 den Grafen Wladimir Gri- fentlicher Skandale, unter anderem die gorewitsch Orlow (1743-1831) zum Direk- 1 Leicht gekürzte Fassung; Teil I. zu Daniel Gottlieb Messerschmidt erschien in ZOOLOGIE 2018, Teil III über Georg Wilhelm Steller wird in ZOOLOGIE 2020 erscheinen. Aus dem Russischen übertragen von R. Alexander Steinbrecht ZOOLOGIE 2019, Mitteilungen d.Dtsch.Zool.Ges. 45 06_Smirnov_45-62_03_Penzlin.qxd 30.07.2019 11:24 Seite 46 tor und am 30. Oktober wurde eine Son- derkommission aus Akademiemitgliedern geschaffen (Pekarskij, 1873, S. LVII-LVIII). Nur durch die Einstellung von neuen wis- senschaftlichen Fachkräften, besonders von Naturwissenschaftlern, konnte die wis- senschaftliche Aktivität der Akademie er- neuert werden. Wissenschaftler wurden ferner gebraucht als Teilnehmer an den geplanten Expeditionen zur Erforschung Russlands. Unter den für die Akademie eingeladenen Naturforschern befanden sich hervorragende Gelehrte. Zur Auf- sicht über die Gewächse im botanischen Garten wurde 1765 Samuel Gottlieb Gmelin (1744-1774), ein Neffe von Johann Georg Gmelin (s.o.), berufen; er kam am 16. April 1767 in St. Petersburg an. Der Lehrstuhl für Anatomie wurde auf Emp- Abb. 2. Peter Simon Pallas mit einer Blume in fehlung des damals schon in St. Peters- der Hand. Aquarell von Christian Gottfried burg arbeitenden bekannten Mathemati- Heinrich Geißler (1770-1844) Sommer 1793. kers und Physikers Leonhard Euler Aus: Sytin, 2014. (1707-1783) mit dem ausgezeichneten Anatomen und Embryologen Caspar Mutter, Susanna Pallas, geborene Leonard Friedrich Wolf (1733-1794) besetzt; die- oder Lienard, entstammte einer hugenot- ser nahm seine Studien unmittelbar nach tischen Emigrantenfamilie aus der franzö- seiner Ankunft in St. Petersburg am 15. sischen Stadt Metz. Simon erhielt eine Mai 1767 auf. Auf die Stelle eines Profes- vorzügliche Erziehung zuhause und sors für Naturgeschichte wurde der jun- sprach beide Elternsprachen - Deutsch ge, aber schon bekannte Zoologe Peter und Französisch - fließend, außerdem be- Simon Pallas (1741-1811) am 22. Dezem- herrschte er Englisch, Latein und Altgrie- ber 1766 berufen und für die Teilnahme chisch. an der geplanten Expedition der Akade- Seit Ende 1754 besuchte Simon Pallas mie zur Erforschung Russlands verpflich- Vorlesungen des Medizinisch-Chirurgi- tet (Abb. 1, 2). schen Kollegs in Berlin, wo er außer den Peter Simon Pallas wurde am 22. Sep- medizinischen Fächern auch Botanik und tember 1741 in Berlin geboren. Sein Va- Zoologie studierte. 1758-1760 führte er ter, Simon Pallas (1694-1770), war Profes- sein Studium an den Universitäten Halle sor für Chirurgie am Berliner Medizi- und Göttingen fort. Im Jahr 1760 schrieb nisch-Chirurgischen Kolleg und Direktor Pallas sich an der Universität Leiden ein. der Chirurgischen Klinik Charité. Seine Nach dem Wunsch des Vaters sollte auch 46 06_Smirnov_45-62_03_Penzlin.qxd 30.07.2019 11:24 Seite 47 Peter Simon Arzt werden, aber der inter- die Aufsicht auf die zoologischen Samm- essierte sich seit seiner Kindheit für Tiere lungen dem zuständigen Professor anver- und strebte stets danach Zoologie zu stu- traut war. Man könnte sagen, dies war der dieren. Augenscheinlich war auch das Tag, an dem Zoologie als Wissenschaft in Thema seiner Doktorarbeit, welche er im Russland institutionalisiert wurde. Alter von 19 Jahren an der Universität Lei- Der Text der Resolution lautet: "No. den abschloss, nicht zufällig gewählt. Es 673. Alle dem Tierreich angehörenden Ob- war zwar ein medizinisches Thema, ge- jekte der Kunstkammer mit Ausnahme der hörte andererseits aber auch in den Be- anatomischen, sind dem Herrn Prof. Pallas reich der Zoologie. Die Arbeit mit dem anzuvertrauen, insofern jegliche Entschei- Titel "De infestis viventibus intra viventia" dung, auf welche Weise eine bessere Ord- (Über Schädlinge, die im Innern von Or- nung und Bewahrung eingeführt werden ganismen leben) war dem Studium para- soll, einzig und allein von ihm abhängen sitischer Würmer gewidmet. soll. Personen, die mit diesen Objekten zu Nach Verteidigung seiner Dissertation tun haben, sollen unmittelbar ihm unter- arbeitete Pallas von 1761 bis 1762 in bo- stellt sein....Auf dieser Basis sind die anato- tanischen und zoologischen Sammlungen mischen Objekte dem Herrn Wolf und die in England, wo er den Entschluss fasste, Herbarien dem Herrn Gmelin anzuver- seine wissenschaftliche Tätigkeit ganz trauen. Die Ausgabe des zur Aufbewah- dem Gebiet der Naturgeschichte zuzu- rung der Objekte benötigten Spiritus soll wenden. 1762 kehrte er nach Deutsch- von jedem der Herren gesondert aufge- land zurück, begab sich dann – mit Ein- schrieben und die Kommission nach fest- willigung der Eltern – erneut für drei gesetzter Zeit davon in Kenntnis gesetzt Jahre nach Den Haag. 1763 wurde Pallas werden. (Stanjukowitsch, 1953, S. 142; Mitglied der Royal Society in London und Smirnov, 2011, S. 107-108). der Akademie der Naturforscher Leopol- Veranlassung zu dieser Resolution ga- dina in Halle. Eine Zeitlang rechnete Pal- ben einerseits die allgemeinen Verhält- las damit, einen Platz in der Ostindischen nisse und die Notwendigkeit zur Rettung Kompagnie zu erhalten, was ihm die der Sammlung und andererseits die Be- Möglichkeit zu naturwissenschaftlichen rufung qualifizierter Spezialisten, was zur Forschungen in einer der Kolonien gege- Aufteilung der Sammlung unter die Ver- ben hätte, aber dieser Plan ging nicht in antwortlichkeit von Pallas, Gmelin und Erfüllung. Auf Drängen des Vaters kehrte Wolf führte. Zweifellos spielte die Resolu- er 1766 nach Berlin zurück, erhielt aber tion damit auch eine große Rolle bei der bald darauf die Einladung der Kaiser- Entwicklung der einzelnen biologischen lichen Akademie der Wissenschaften und Wissenschaften und die Ernennung eines Künste auf die Stelle eines Professors für Zoologen, Botanikers und Anatomen an Naturgeschichte in St. Petersburg. der Spitze der entsprechenden Abteilun- Pallas kam im Juli 1766 in St. Peters- gen führte später zur Gründung separa- burg an und am 9. August 1766 wurde ei- ter Museen der Akademie der Wissen- ne Resolution unterzeichnet, der zufolge schaften. ZOOLOGIE 2019, Mitteilungen d.Dtsch.Zool.Ges. 47 06_Smirnov_45-62_03_Penzlin.qxd 30.07.2019 11:24 Seite 48 Pallas machte sich höchst eifrig an die 1768-1773 den europäischen Teil Russ- Verwirklichung seiner Verpflichtung die lands, darunter die Gegend um den La- Zoologischen Sammlungen in Ordnung dogasee bis hinauf zur Küste und den In- zu bringen. Ende 1767 gab er der Aka- seln des Weißen Meeres, das Wolga- und demie einen Rapport, in dem er Mittel für das Uralgebiet, aber auch die nördliche die Anschaffung neuer Sammlungsstücke Küste des Kaspischen Meeres (Lepjochin, beantragte (Smirnov, 2011, S. 120). Aus 1774-1783). dem Brief von J.P. Falck an Linné vom 12. Eine andere Expedition unter Führung Januar 1768 wissen wir, daß "Professor von S. G. Gmelin in den Jahren 1768-1772 Pallas seine Specilegia Zoologica weiter- ging in den Süden Russlands im Gebiet führt, nachdem er gerade jetzt für das Mu- der Flüsse Don, Asow und Wolga (bis seum Petropolitanum eine ganze Menge Astrachan) und erforschte die westlichen Neuzugänge erhalten hat, hauptsächlich und östlichen Ufer des Kaspischen Mee- Tiere und Vögel von Kamtschatka, die er res (einschließlich der persischen Gebie- aus dem Nachlaß des fleißigen Herrn Stel- te), den Transkaukasus und Nordkaukasus ler bekommen hat. Aber es scheint, daß es (Gmelin, 1770-1774). Im Jahr 1772 wurde recht viele Verluste gibt, wofür Zeit und Gmelin im Gebiet des heutigen Dagestan Motten die Schuld tragen" (Bref och skrif- ausgeraubt und von dem lokalen Khan velser, 1912). Uzmej gefangengesetzt, um Lösegeld zu Die Arbeit an der ihm anvertrauten erpressen. In seiner Gefangenschaft er- Zoologischen Sammlung der Kunstkam- krankte Gmelin und starb in Achmedkent mer wurde unterbrochen
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