Münchner Beiträge Zur Vor- Und Frühgeschichte Band 67
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MÜNCHNER BEITRÄGE ZUR VOR- UND FRÜHGESCHICHTE BAND 67 BAYERISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN VERGLEICHENDE ARCHÄOLOGIE RÖMISCHER ALPEN- UND DONAULÄNDER VERLAG C.H.BECK MÜNCHEN KULTURWANDEL UM CHRISTI GEBURT SPÄTLATÈNE- UND FRÜHE RÖMISCHE KAISERZEIT IN DEN MITTLEREN ALPEN ZWISCHEN SÜDBAYERN UND GARDASEE BAND 2 AKTEN DES KOLLOQUIUMS IN INNSBRUCK AM 18. UND 19. OKTOBER 2017 HERAUSGEGEBEN VON WERNER ZANIER VERLAG C.H.BECK MÜNCHEN Mit 222 Abbildungen und 33 Tabellen Das Werk besteht aus 2 Teilbänden. Redaktion: Güde Bemmann und Werner Zanier Die Archäologische Erforschung der römischen Alpen- und Donauländer wird als Vorhaben der Bayerischen Akademie der Wissenschaften im Rahmen des Akademienprogramms von der Bundesrepublik Deutschland und vom Freistaat Bayern gefördert. © Bayerische Akademie der Wissenschaften, München 2019 In Kommission bei Verlag C. H. Beck oHG, München 2019 Gesamtherstellung: Likias Verlag, Friedberg Druck: BELTZ Bad Langensalza GmbH Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff) Printed in Germany ISBN 978-3-406-10768-9 ISSN 0580-1435 www.beck.de INHALT Band 2 Fundplätze in Bayern, Tirol und im Trentino Bernd Steidl Kontinuität der vorrömischen Bevölkerung und die Heimstettener Gruppe. Neue Forschungen zum 1. Jahrhundert n. Chr. in Raetien �������������������������������������������������������� 317 Barbara Kainrath Das Ehrwalder Becken in der frühen römischen Kaiserzeit . 345 Daniel Lueger, Gerhard Tomedi Eine spätlatènezeitliche „casa retica“ in Stams, Bez. Imst (Tirol) ����������������������������������������������� 361 Simon Hye Trachtbestandteile der Spätlatène- und römischen Kaiserzeit vom Demlfeld in Ampass (Tirol) . 377 Ramona Blecha Rituelle Praxis am eisenzeitlichen fanum von Ampass-Demlfeld (Tirol) . 387 Florian Martin Müller Neue Forschungen auf der „Hohen Birga“ bei Birgitz (Tirol) . 411 Gerald Grabherr Ein paganes latène- und römerzeitliches Heiligtum in Lienz (Osttirol) �������������������������������������� 431 Margarethe Kirchmayr Prähistorische Wege und transalpine Verkehrsverbindungen in Nordtirol. Beispiele und methodische Grundlagen . 457 Arpad Langer Vorrömische und frühkaiserzeitliche Fundmünzen vom Piller Sattel und Himmelreich bei Wattens in Tirol . 481 6 Inhalt Franco Marzatico Räter und Römer im Trentino während der beiden Jahrhunderte um Christi Geburt ����������������� 499 Naturwissenschaftliche Untersuchungen Klaus Oeggl Vegetation und Landnutzungsänderungen im mittleren Alpenraum während der Eisen- und Römerzeit . 531 Simon Trixl, Joris Peters Viehwirtschaft und Kulturwandel – zur Archäozoologie der späten Eisenzeit und frühen römischen Kaiserzeit im nördlichen Alpenraum ���������������������������������������������������� 545 Umberto Tecchiati Evidence of Cultural Transformation in the upper Adige Basin between the Late Iron Age and the Roman Period. A Zooarchaeological Perspective . 567 Alte Geschichte Roland Steinacher Das Tiroler Inntal in vor- und frührömischer Zeit . 591 Resümee Werner Zanier „Kulturwandel um Christi Geburt“ – Ergebnisse des Innsbrucker Kolloquiums 2017 . 619 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . 637 Ortsregister ����������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� 639 DAS TIROLER INNTAL IN VOR- UND FRÜHRÖMISCHER ZEIT Roland Steinacher* Räter, Kelten und das Problem der Grossgruppen in der antiken Literatur Seit dem 13. Jahrhundert v. Chr. lässt sich an den Bodenfunden im Bereich der Zentralalpen zwischen dem Lago Maggiore, dem Piave, dem Bodensee und dem Tiroler Unterinntal eine ökonomische und so- ziale Konsolidierung beobachten. Sehr wahrscheinlich stehen diese Prozesse mit dem durch den Kup- fererzabbau in den Alpen möglichen Wohlstand in Verbindung1. Der Bergbau und die Verhandlung des Metalls führten zu einer größeren Siedlungsdichte, überregionalen Handelsbeziehungen und der Herausbildung distinktiver Handwerkstraditionen. Ähnlichkeiten in materieller Kultur, Bewaffnung, Bestattungsriten und Kult lassen sich feststellen. Sechs Kulturgruppen sind von der Archäologie im Alpengebiet für den langen Zeitraum zwischen der späten Bronze- und der Latènezeit beschrieben worden. Es handelt sich um die Alpenrheintal- Gruppe, die alpine Golaseccakultur (um den Comer- und Gardasee und im Tessin), die Valcamonica- Gruppe im Veltlin und in den Tälern zwischen den heutigen italienischen Provinzen Bergamo und Brescia, die Angarano-Garda- oder Magrè-Gruppe im Gebiet zwischen Gardasee und Brenta mit ei- ner ungefähren Südgrenze bei Verona, schließlich die Inntal-Gruppe und die Laugen-Melaun-Kultur (Trentino bis Rovereto, Münstertal, Süd- und Osttirol, Teile des Unterengadins). Für die zweite Hälfte des 1. Jahrtausends und die Latènezeit postuliert die Archäologie dann die Fritzens-Sanzeno-Gruppe, die in Südtirol und dem Trentino der Laugen-Melaun- und im Inntal der Hallstattkultur folgt, wobei Elemente der beiden vorigen zusammenfossen2. Aus historischer Sicht sind genauere Defnitionen, Abgrenzungen und ethnische Zuweisungen der Bevölkerung des Alpengebiets in vorrömischer Zeit ausgesprochen schwierig, umstritten und pro- blematisch. Die einschlägigen Diskussionen drehen sich meist um die Kategorien „Kelten“ oder „Rä- ter“3. Beide Zuordnungen sind jedoch seit der Antike unscharf und widersprüchlich. Es bestehen hier * Ich danke Gerald Grabherr, Philipp Jonas Margreiter, Brandopferplätze: Steiner 2010. – Alpenrheintal: Zanier Florian Müller, Harald Stadler, Clemens Steinwender und 2006. – Fritzens-Sanzeno: Gamper 2006 mit teils diskutierten Brigitte Truschnegg (alle Innsbruck) für wertvolle Hinweise Datierungen; Gleirscher/Nothdurfter/Schubert 2002; Mar- und Korrekturen. Ebenso ist Werner Zanier (München) für zatico 1999; Lang 1998; Nothdurfter 1979. – Tirol: Menghin Hinweise, Hilfen und seine Geduld zu danken, Robert Win- 1957. kelbauer (München) für die Anfertigung der Karte Abb. 1. 3 von Uslar 1996, 155–213; Menghin 1984, 54–59; Men- 1 Waldherr/Schön 2001; Haug 1920 mit ausführlichen ghin 1971, 9–14. Verweisen auf die schriftlichen Quellen. 2 Kossack 2002. – Laugen-Melaun: Gleirscher 1999; Kae- nel/Müller 1999, 13–24. – Golasecca: Canevascini 2001. – 592 Roland Steinacher Inn Cambodunum GENAUNEN Albianum Partanum Scarbia Mastiacum Fernpass Pfaffenhofen Inn Teriolis Veldidena Imst (Humiste) Felber Tauern Pass BREONEN FOKUNATEN Matreium Pillerhöhe Brennerpass LAIANKEN Vipitenum Aguntum Reschenpass Rienz SAEVATEN Drau ISARKEN Sebatum Sabiona Littamum Maiensis Statio Sublavione VENOSTEN Kreuzbergpass Etsch Nals Eisack Pons Drusi Cles Endidae Salurnis Tridentum ugan ls a a V Riva Altinum 0 25 50 km Verona Abb. 1. Reliefkarte der mittleren Alpen zwischen Südbayern und Gardasee mit Eintragung römischer Straßen (rot) und von im Text genannten Orten. Das Tiroler Inntal in vor- und frührömischer Zeit 593 ähnliche Probleme wie mit dem Germanenbegriff eines Poseidonius und Caesar4. Die Gefahr tauto- logischer Schlüsse ist groß, wenn man die klassifzierenden, zudem meist nach der römischen Okkupa- tion entstandenen, griechischen und römischen Quellen einfach zur Benennung und Abgrenzung von Gesellschaften heranzieht, die selbst kaum Schriftliches und nur wenige Namen hinterlassen haben. Nach dem 6. vorchristlichen Jahrhundert nahmen mediterrane Einfüsse in den alpinen Kulturgrup- pen zu. Etruskische Städte hatten ihren Radius in die Po-Ebene ausgedehnt und bereits bestehende Kontakte intensivierten sich nun. Die Alpenrheintal- und die alpine Golasecca-Gruppe wiederum un- terhielten etwa ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. intensive Kontakte nach Westen, es zeigen sich keltische Elemente in der materiellen Kultur. Die wenigen auf Inschriften und Grabstelen erhaltenen schrift- lichen Zeugnisse deuten darauf hin, dass der Alpenraum in sprachlicher Hinsicht ganz und gar nicht einheitlich war. Sowohl indoeuropäische (und keineswegs nur keltische) Sprachen sind belegt, es gab aber auch dem Etruskischen verwandte Idiome. Die spätere römische Provinz Raetia verdankt ihren Namen den Rätern, die römische und griechi- sche Schriftsteller seit dem zweiten Jahrhundert vor Christus im Bereich der Alpen verorteten und von den Etruskern abstammen ließen. Die schriftlichen Quellen datieren in der Masse in die frühe Kaiserzeit, wenn auch einige frühere Nennungen isolierbar sind. Aus dem Werk des Polybios (ca. 200– 120 v. Chr.) zog der um die Zeitenwende schreibende Strabon die Information über vier gute Alpen- übergänge, einer durch „das Gebiet der Räter, διά Ῥαιτῶν“. Es bleibt bei dieser Stelle jedoch unklar, ob die Bündner Pässe, der Reschen oder der Brenner gemeint sind5. Bekannt war in der Antike der rätische Wein, der wohl um Verona und vielleicht auch nördlich davon angebaut wurde6. Militärische Auseinandersetzungen mit Rätern im Gebiet von Como und Verona häuften sich im Laufe des 2. Jahrhunderts v. Chr. Strabon berichtete, Comum (Como) sei durch marodierende Räter zerstört worden. 89 v. Chr. reorganisierte dann Gnaeus Pompeius Strabo Como als Kolonie latinischen Rechts, die bald darauf um weitere 3000 Kolonisten verstärkt wurde. Gaius Iulius Caesar brachte 59 v. Chr. noch einmal 5000 Kolonisten, darunter 500 angesehene Griechen, in die Stadt7. Unter Caesar wur- de das römische Reich insgesamt nordwestlich der Alpen erweitert. Der Statthalter Lucius Munatius Plancus besiegte dort 44 v. Chr. Räter auch im Bereich des Bodensees8. 4 Pohl 2004. 7 Strab. geogr. 5,1,6: Gnaeus Pompeius Strabo war der 5 Strab. geogr. 4,6,12 berichtet, dass Pol., ῎ετι φησὶ Vater des