‚Modus Mio' Und Lila Scheine – Konstruktionsmodi Von Rap
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Beiträge Heidi Süß ‚Modus Mio‘ und lila Scheine – Konstruktionsmodi von Rap-Männlichkeit in Zeiten rapider Kommerzialisierung 1 Einleitung Über Geld spricht man nicht? Von wegen! Es gibt wohl kaum ein gesellschaftliches Feld, des- sen Akteur_innen so häufig und vor allem so unverhohlen über Geld sprechen wie die Prota- gonist_innen der deutschsprachigen Rap-Szene. Die Bezugnahmen auf den allseits ersehnten Reichtum kommen dabei ganz unterschiedlich daher, sind mal mehr, mal weniger codiert und weisen die deutschsprachige Rap-Szene einmal mehr als multikulturelle, mit sämtlichen Sprach- registern vertraute Sprechgemeinschaft aus. Während die einen ihre Wünsche in den buntes- ten Farben zum Ausdruck bringen (z. B. „braun, grün, gelb, lila“ von 18 Karat, „lila Scheine“ Dr. Heidi Süß (Foto: Bettina Steinacker). von KC Rebell), geht es andernorts schlichtweg um’s „Geld machen“ (Songtitel u. a. von Capital andere von Batzen, Patte, Cash oder Flouz1 (z. B. Bra oder Kianush), und zwar möglichst schnell „Rhythm & Flouz“ von Celo&Abdi). Ganz in der (vgl. „Schnelles Geld“ z. B. von Schwester Ewa Tradition des US-amerikanischen Vorbilds ste- oder Sero El Mero). Wollen die einen „para, hend, bildet sich die offen kapitalistische Moti- para, para“ oder „money, money, money“ (vgl. vation vieler Rapper_innen aber auch bereits in „Geld, Geld, Geld“ von Krime), rappen wieder der Namensgebung dutzender Szene-Labels ab. Journal Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW Nr. 45/2019 29 Beiträge Analog zu ‚Cash Money Records‘ oder ‚Young eine besondere Bedeutung zuzukommen, zählt Money Entertainment‘ (beide USA) gibt es in die Kritik an der Musikindustrie doch zu den Deutschland HipHop-Labels wie ‚I luv money am häufigsten wiederkehrenden Themen in records‘, ‚Alles oder Nix‘, ‚German Dream‘ oder (europ.) Raptexten (vgl. sog. ‚scene discourse‘, ‚Selfmade Records‘. Von Künstlernamen wie Androutsopoulos/Scholz (2002:10)) und ist Milionar, Moneyboy, Joey Bargeld, Dollar John, überdies – besonders im US-amerikanischen Gold Roger, Plusmacher oder 18 Karat ganz zu Raum – eng mit dem Authentizitätsdiskurs des schweigen. HipHop verwoben. Um das zu verstehen, lohnt Woher aber kommt das exzessive und überaus ein Blick in die Geschichte des HipHop. (Männ- unverblümte Streben nach finanziellem Reich- liche) HipHop-Identitätsarbeit nämlich muss tum im Rap? Wie geht diese (Markt-)Systemkon- aus einer postkolonial und intersektional infor- formität mit dem historischen Geworden-Sein mierten Perspektive gedacht werden, die die der einst widerständigen Subkultur zusammen Verschränkung von Geschlechterkonstruktionen und wie kommt es, dass marginalisierte – weil mit weiteren Kategorien wie race und class be- migrantische – Männlichkeiten à la Capital Bra rücksichtigt. eine Logik affirmieren, die erneut Marginalisie- Mit der zunehmenden Kommerzialisierung rung und Ungleichheit generiert, anstatt diese US-amerikanischer Rapmusik in den 1990er-Jah- kritisch infrage zu stellen? Eine Spurensuche. ren fanden sich Schwarze Rapper_innen schon bald in einem komplexen Identitätsdilemma wie- 2 „Ideale sind wie Koks, ein Teil bleibt der. Zwar verschaffte der übermäßige Erfolg von immer am Geldschein kleben“2 – Rap vielen der ehemals deprivilegierten Protago- HipHop-Subjekte zwischen Authen- nist_innen erstmalig Zugang zu ökonomischem tizität und Ausverkauf. Ein historisch Kapital und sorgte für eine nie dagewesene informierter Rundumblick Sichtbarkeit Schwarzer Musik, Lebenswelten und Ästhetiken in der US-amerikanischen Gesell- Auch wenn es die/den Normalo-Rapmusik-Kon- schaft. Als Nährboden dieses Erfolgs und seiner sument_in von heute verwundern mag: Mit dem mehrheitlich weißen Käuferschicht waren jedoch Lobgesang auf das große Geld, wie er heute ge- schnell rassistische und sexistische Stereotype fühlt 90 % der Raptexte im Musik-Mainstream ausgemacht, wie u. a. die US-amerikanische Ge- kennzeichnet, kam man in der Geschichte der schlechterforscherin Peoples konstatiert: HipHop-Kultur nicht immer ungestraft davon. „Mainstream rap music is most easily com- Im Gegenteil sahen sich kommerziell orientierte modified because it represents ideas of black- und/oder erfolgreiche Rapper_innen noch vor ness that are in line with dominant racist and gar nicht allzu langer Zeit schnell mit dem sog. sexist ideologies; it has economic potential only ‚Sell-out‘-Vorwurf konfrontiert, ein subkultureller because it works hand-in-hand with long estab- Todesstoß, der die jeweilige Zielperson qua Ab- lished ideas about the sexual, social, and moral sprache von realness schnell zur Persona non nature of black people. In other words, the im- grata diskreditierte. So geschehen etwa im Jahr ages of black male violence and aggression that 2005, als der selbst ernannte ‚King of Rap‘ Kool dominate mainstream rap music are highly mar- Savas seinem ehemaligen Schützling und musi- ketable in America because of already existing kalischen Weggefährten Eko Fresh mit dem Track ideologies of racism that long ago named the ‚Das Urteil‘ für einige Jahre von der deutschspra- black male as supreme aggressor and physical chigen HipHop-Bildfläche fegte. In dem Song and sexual threat. Similarly, the images of sex- hieß es u. a.: „Ihr setzt Erfolg über Realness, ually available black women that pervade rap setzt Cash über Freunde“ oder auch „du warst music are marketable because of already ex- weg, weit weg in der Popwelt, der Rapper der isting ideologies that designated black women Dieter Bohlen den Cock3 hält, bald gibt’s Kopf- as hypersexual and morally obtuse.“ (Peoples geld, du bist verrückt, du willst zurück, wer bist 2008: 24) du nur? Warst L.O.V.E.4 und jetzt wieder HipHop, Die Vereinnahmung Schwarzer Kultur durch eine du Missgeburt?“. weiße Industrie und Mehrheitsgesellschaft, der 2 Fatoni & Dexter ‚Authentizi- tät‘ (2015). Dass sich (mehr oder weniger) politische Sub- fehlende Einfluss auf die ‚eigenen‘ Images und und/oder Jugendkulturen vom Wesen her einer Repräsentationen sowie der kommerzielle Ach- 3 cock (engl./vulg.) = Schwanz. Vereinnahmung durch die Mehrheitskultur er- tungserfolg weißer, privilegierter Vorort-Rapper wehren wollen, sich durch die Abgrenzung und wie Vanilla Ice führten dazu, dass die Idee der 4 L.O.V.E. war ein sehr poppi- ger Rap-Song, den Eko Fresh Rebellion gegen diese ja gerade erst herausbil- Authentizität nicht nur an Bedeutung im HipHop damals mit Freundin und den, mag zu den Allgemeinplätzen der Cultural gewann, sondern auch eng mit der ‚race-question‘ R&B-Sängerin Valeska releaste und der es im Jahr 2004 auf Studies und Jugendkulturforschung gehören. verknüpft wurde. Anders ausgedrückt: Rap – für Platz 16 der Charts schaffte. Im Bereich HipHop scheint dem Thema jedoch viele ohnehin ‚black cultural expression‘ – wurde 30 Journal Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW Nr. 45/2019 Beiträge Abb. 1. Suppport Claims of Authenticity Semantic Dimensions Real Fake Social-physological staying true to yourself following mass trends Racial Black White Political-economic the underground commercial Gender-sexual hard soft Social-locational the street the suburbs Cultural the old school the mainstream Quelle: McLeod (1999: 138ff.): Authenticity claims within hip-hop discourse. als originär Schwarze (Musik-)Kultur zurücker- Ausübung seiner Ausdrucksformen Strukturele- obert und festgeschrieben. Eine Distanzierung mente und Prinzipien aktueller kapitalistischer (‚disassociate‘) vom eigenen ‚Schwarz-Sein‘ Ordnungssysteme“, wie Bock/Meier/Süss (2007: dagegen barg das Risiko, sich Vorwürfe um 320) formulieren. Als „Kultur des Machens und Ausverkauf (‚sell-out‘) und gleichsam Verrat an Produzierens“ (Klein/Friedrich 2003: 38) sind der eigenen, afroamerikanischen Community HipHop-Subjekte aller Generationen seit jeher einzuhandeln (McLeod 1999: 141). Die seman- angehalten, sich auf irgendeine Art und Weise tischen Dimensionen ‚racial‘ und ‚political-eco- zu engagieren, denn „in der Verpflichtung, aktiv nomic‘ finden sich folgerichtig auch in der zu sein, besteht die normative Kraft des Fakti- viel zitierten HipHop-Authentizitätsmatrix des schen“ (ebd.). Auch das Prinzip des style spiegelt Kommunika tionswissenschaftlers McLeod aus die Subjektivierungslogik der Szene wider, gilt es dem Jahr 1999 wieder (siehe Abb. 1). ‚Weiß‘ und diesen doch in ständigem Wettbewerb weiterzu- ‚kommer ziell(sein)‘ gelten hier als ‚fake‘, eben- entwickeln und dabei größtmögliche Originalität so wie ‚the mainstream‘ auf der kulturellen und und Individualität zu erreichen (zum style vgl. ‚following mass trends‘ auf der sozial-psycholo- auch Menrath 2001). gischen Ebene (vgl. ebd.: 139). Während sich das quasi-obligatorische Produk- Dass dieser feldspezifische Maßstab angesichts tiv-Sein in prä-kommerziellen Zeiten eher idea- der rapide fortschreitenden Kommerzialisierung listisch begründete und aus der Liebe zur Kultur von Rapmusik und der engen Verquickung hege- heraus entsprang (vgl. ‚The golden era‘), läutete monialer Männlichkeit mit ökonomischem Kapi- der Siegeszug des hypermaskulinen Gangsta- tal schon bald semantischen Verschiebungen Subgenres einen sukzessiven Sinneswandel anheimfallen würde, war abzusehen … ein: Produktiv-Sein folgte nunmehr einer öko- nomischen Logik. „Get Rich or Die tryin“ heißt 3 HipHop und Kommerz – eine ambiva- nicht nur das Debütalbum von Gangsta-Rapper lente Beziehung? Über Gangsta-Rap, 50Cent aus dem Jahr 2003, sondern begann sich Männlichkeit und soziale Ungleichheit auch zum szeneübergreifenden Credo zu ent- wickeln. Was war passiert? Zunächst mal eine Klarstellung: Der