SWR2 Musikstunde
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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Musikstunde Die Frühvollendeten (4) Hans Rott Von Thomas Rübenacker Sendung: Donnerstag, 06. November 2014 9.05 – 10.00 Uhr Redaktion: Ulla Zierau Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für € 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de 2 MUSIKSTUNDE mit Trüb Donnerstag, 6. 11. 2014 … mit Thomas Rübenacker. „Die Frühvollendeten“, heute: Teil 4: Hans Rott. MUSIK: INDIKATIV Wussten Sie, dass Johannes Brahms ein Mörder war? Zumindest behauptete das der damals allerdings schon nicht mehr zurechnungsfähige Hugo Wolf mit Blick auf seinen Komponistenkollegen Hans Rott, der 1858 nahe Wien geboren wurde und 25 Jahre später in geistiger Umnachtung verstarb. Brahms, schon damals der elder statesman der deutschen Musik, hatte Rotts sinfonischen Erstling sowohl für einen Kompositionspreis wie für ein Stipendium abgelehnt und so für Rott, den Lieblingsschüler Anton Bruckners und Kommilitonen Gustav Mahlers, eine Art Erzfeindbild geschaffen: Er und nur er habe Hans Rott auf dem Gewissen. Das trieb die skurrilsten Blüten. Auf einer Zugfahrt nach Straßburg wollte sich ein Fahrgast eine Zigarre anzünden, plötzlich fuchtelte Rott ihm mit einer Pistole vor der Nase herum und schrie, Brahms hätte den Zug mit Dynamit gespickt und wolle sie alle umbringen. Inwieweit dieses biographische Detail Rotts Leben verkürzen half, weiß man natürlich nicht; sicher ist nur, dass hier ein großes Talent wieder mal viel zu früh abtreten musste. Aber so obskur der Name Hans Rott sein mag – viele von Ihnen werden noch nie etwas von ihm gehört haben -, so heftig wird er im Internet diskutiert. Ein Kommentar auf YouTube lautet: „1880 geschrieben, ist dieses Meisterstück jenseits von revolutionär“ - gemeint ist der erste Satz der E-dur- Symphonie. „Bruckner liebte es, deswegen lehnte Brahms es ab. Mahler war auch nicht so begeistert. ABER Gustav lieh sich – oder stahl – eine Menge von (Rotts) Einfällen. Rott wurde wahnsinnig; vergleiche (Vassily) Kalinnikov gegen Rimsky-Korsakov: SEHR ähnliche Umstände.“ An anderer Stelle wird Gustav Mahler zitiert, Hans Rotts zeitweiliger Zimmergenosse: „... ein musikalisches Genie … seine Symphonie, die er als 20-jähriger Jüngling schrieb, machte ihn (…) zum Begründer der Neuen Symphonie, wie ich sie sehe … In der Tat, er erscheint so nahe meinem innersten Selbst, dass er und ich zwei Früchte vom selben Baum zu sein scheinen, genährt von derselben Erde und aufgezogen in derselben Luft ...“ MUSIK: ROTT, SYMPHONIE NR. 1 E-DUR, TRACK 1 (9:21) 1) ROTT, Symphonie Nr. 1 (Alla breve); Münchner Rundfunkorchester, Sebastian Weigle; Arte Nova 82876 57748 2 (LC 003480) 3 Was hier mitunter noch tapsig erscheint, suchend und nicht immer findend, ist tatsächlich so etwas wie die Blaupause zu einer Mahler-Symphonie: Entgegen der Brahms'schen Ästhetik von l'art pour l'art wird hier eine hochemotionale Geschichte des Menschengeschlechts erzählt. Den 1. Satz von Hans Rotts E- dur-Sinfonie spielte das Münchner Rundfunkorchester, dirigiert von Sebastian Weigle. Bruckner war nicht nur der Kompositions-, sondern auch der Orgellehrer von Hans Rott. Auch deswegen hatten die beiden ähnlich verkauzten Männer einen so guten Draht zueinander: Rott war der begabteste Organist, den Bruckner je ausgebildet hatte. Manchmal kicherten sie sehr privat auf der Orgelbank, wie Backfische, vermutlich auch, wenn Bruckner wieder mal seine Lieblingsanekdote vom ältesten Bachsohn Wilhelm Friedemann erzählte. Ebenfalls einer der Lieblingssprüche des Orgellehrers war die Ermahnung, „mit dem Tutti zu geizen“, weil man sonst die Ohren der Hörer unnötig „zukleistere“. Auch war Bruckner der Ansicht, zu einem großen Orgelspieler gehöre nicht nur Talent und Fleiß, sondern auch ein „sittlich reiner Charakter“ - eine Maxime, der er selbst sich immer wieder zu entwinden suchte, wenn er auf seinen Konzertreisen zuckrigen jungen Zimmermädeln die Ehe versprach, die später von den Verwandten mühsam wieder abgewimmelt werden mussten. Seine großen Symphonien orchestrierte Bruckner so, wie er die Orgel registrierte, und die berühmt-berüchtigten Generalpausen sind nicht Löcher im sinfonischen Gewebe, sondern Nachhallzeiten in üppiger Kirchenakustik. „Die Orgel“, sagte er gerne zu Rott, „ist nicht einfach ein Ersatz für ein Symphonieorchester. Sie ist dessen Apotheose!“ Dass er dennoch nicht nur Orgelwerke, sondern eben auch Sinfonik komponierte, gehört zu den wunderbaren Widersprüchen der Musikgeschichte. Er malte sozusagen zeitlebens ein Bild der Orgel in Tönen – mit den Mitteln des Orchesters. MUSIK: BACH, FANTASIE UND FUGE G-MOLL, TRACK 1 CA. 5:40 2) BACH, Fantasie und Fuge g-moll; Michael Murray (Orgel); Telarc CD-80049 (LC IN-AKUSTIK!) Johann Sebastian Bach, die Fantasie g-moll BWV 542, eines der Lieblingsstücke des Organisten Hans Rott wie auch seines Meisters Anton Bruckner – hier eher Tutti-satt gespielt von Michael Murray auf der Methuen Memorial Music Hall Orgel, zwischen 1857 und 1863 erbaut für die Boston Music Hall von der Ludwigsburger Firma Walcker – mithin die älteste Konzertorgel der USA. Orgelartige Klangflächen spielen auch eine wichtige Rolle in Hans Rotts Streichquartett c-moll von 1876/77, dessen Finalsatz, ein Lebhaft, uns das Philharmonische Streichquartett Mainz jetzt spielt. 4 MUSIK: ROTT, STREICHQUARTETT C-MOLL, TRACK 5 (6:14) 3) ROTT, Streichquartett c-moll; Philh. Str.-Qu. Mainz Hans Rott, der Finalsatz seines Streichquartetts c-moll, „live“ eingespielt in Mainz. Das Antipodentum von Johannes Brahms und Richard Wagner war ein Produkt der Zeit: Da stand grundsolides, eher dem Akademischen zugeneigtes, sozusagen „verlässliches“ und auf jeden Fall repräsentatives Komponieren gegen die visionären Exzesse im Fahrwasser der „Neudeutschen“, letztlich unberechenbar und darum vielen suspekt. Zwar besaßen beide Komponisten Partituren vom jeweils anderen und studierten sie auch ganz genau, aber die Grenzen schienen scharf gezogen, und jeder durfte sich aussuchen, welchem Feldlager er sich zugehörig fühlte: den Brahminen oder den Wagnerianern. Dass Anton Bruckner Wagner geradezu hündisch verehrte, wissen wir; zugleich aber gibt es ernsthafte Zweifel daran, dass er den Bayreuther Meister wirklich verstand. Ein Wiener Psychiater – nein, es war nicht Sigmund Freud! - wagte sogar die Vermutung, Bruckners Wagnerverehrung sei nur einer großen Verdrängung geschuldet gewesen, das heißt, Bruckner habe in ihr ausgelebt, was er sich im eigenen Leben nicht gestattet hätte – aber genau so gut kann man im Kaffeesatz lesen. Hans Rott dagegen, der mental gefährdete Schüler, verstand Wagner ungleich besser. Er setzte sich durchaus auch kritisch mit ihm auseinander, lehnte einige Wagnerwerke ab (z. B. den „Fliegenden Holländer“ oder „Lohengrin“), während er von „Tristan und Isolde“ nicht genug kriegen konnte. Er hatte zumindest instinktiv verstanden, dass Bruckners monolithische Orgelästhetik ihn nicht weit führen würde, er suchte die Ergänzung, das Korrelat. Vor allem dem „Tristan“ wollte er nacheifern, diesem „Gebilde, das alles transzendiert, was davor komponiert wurde“, diesem „Monument reinster Liebe“. Es habe ihn „völlig umgepflügt“, schrieb er einem Freund, bei Isoldes Liebestod habe er sogar „geheult wie ein Schlosshund“. Auch Rott war, wie so viele, nach Bayreuth gepilgert, dort den Heiligen Gral vermutend. Und im „Tristan“ wurde er fündig. Den „Parsifal“ hat er nicht mehr erlebt, jedenfalls nicht bei Bewusstsein. MUSIK: WAGNER, TRISTAN UND ISOLDE, TRACK 2 (8:36) 4) WAGNER, Tristan und Isolde (Isoldes Liebestod); Jessye Norman, London Philharmonic Orchestra, Klaus Tennstedt; EMI 7 49759 2 (LC 0110) 5 Richard Wagner, Isoldes Liebestod aus der Oper „Tristan und Isolde“, gesungen von Jessye Norman. Begleitet wurde sie vom London Philharmonic Orchestra, der Dirigent war Klaus Tennstedt. Hans Rott plante seine eigene „Wagneroper“ mit der „Herrmannsschlacht“, einem monumentalen Epos nach dem Drama von Heinrich von Kleist, worin die „Erbfeindschaft“ zwischen Deutschland und Frankreich thematisiert wird. Aber im Gegensatz zum großen Vorbild „Tristan und Isolde“, das nur die Interaktionen einzelnen Individuen ausleuchtet, verzettelt sich Rott in seinen „Herrmannsschlacht“-Skizzen in Massenaufläufen, Proklamationen und Volksgewimmel, es wundert überhaupt nicht, dass er die Lust verlor, noch bevor seine Krankheit dem Werk ein Ende setzte. Wagners große Opern sähen nur aus wie Epen, meinte Hugo Wolf – in Wahrheit seien sie Kammerspiele zwischen wenigen handelnden Personen. Das leuchtete Hans Rott zwar ein, dennoch nahm er noch einen Anlauf zu einer großen Geschichtsoper, mindestens so ambitioniert wie die „Herrmannsschlacht“: Er wollte Shakespeares „Julius Caesar“ vertonen, die Geschichte vom vermeintlichen Tyrannenmord, dessen berühmtestes Zitat sein dürfte „Et tu, Brute?“, auch Du, Brutus, stichst zu? Bei Shakespeare heißt es: „This was the unkindest cut of all“, dies war der schmerzlichste Hieb, und das Stück kreist nicht nur um Freundschaft und Verrat, sondern auch um Größenwahn und „Staatsräson“. Auch hier hatte Rott etwas zu viel abgebissen, übriggeblieben ist nur das folgende Vorspiel zu „Julius Caesar“. MUSIK: ROTT, VORSPIEL ZU „JULIUS CÄSAR“, TRACK 6 (7:45) 4) ROTT, Ein Vorspiel zu „Julius Cäsar“; SIEHE 1)! .