MONDRIAN Von Lüttichau Briefe an MARTIN
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MONDRIAN von lüttichau briefe an MARTIN Mondrian v. lüttichau - Briefe an martin www.autonomie-und-chaos.de © 2009 VERLAG AUTONOMIE & CHAOS LEIPZIG Mondrian W. Graf v. Lüttichau (c) der briefauszüge von martin: MC ISBN 978-3-923211-51-7 www.autonomie-und-chaos.de Diese online-ausgabe kann für den eigengebrauch kostenfrei heruntergeladen werden. 2 Mondrian v. lüttichau - Briefe an martin www.autonomie-und-chaos.de Martin und ich waren 1971-73 zusammen im internat. Er war 13-15 jahre alt, ich 19-21. In unserer 'internatskommune' (siehe: 'WIR INTERNATLER' I und II) hat er angefangen zu malen; später wurde er bildender künstler. – Die begegnung mit martin hat mir viel bedeutet, schon während der internatszeit und auch innerhalb unseres briefwechsels in den jahren danach; gerechtwerden konnte ich ihm nicht. Dazu waren wir schon damals zu sehr auf unserem je eigenen und sehr unterschiedlichen lebensweg. Wir haben ei nander wohl beide gut gebrauchen können als katalysatoren für reflexion, für die wir sonst keine partner hatten. Im verständnis füreinander sind wir, das wurde mir erst später deutlich, meist nur grad so aneinander entlang geschrammt. Zu einem großen teil waren unsere briefe monologe. Beide wußten wir noch viel zu wenig von uns selbst, von unseren je eigenen lebensaufgaben, und wir hatte beide gar nicht die muße und nicht die kraft, intensiver auf den anderen einzugehen. Beide mußten wir damals mit ziemlich monomaner dynamik mauern durchstoßen, verschiedene mauern, auf unterschiedlichen wegen. – Deshalb sind dies hier nur 'briefe an martin' (mit kurzen passagen aus den seinen). Martins vollständige briefe existieren, und vieles von dem, was er mir geschrieben hat, verstehe ich wohl heute noch nicht – oder bin mir zumindest unsicher. – Unser briefwechsel war ein dschungel aus assoziationen, berichten, gedanken, hinweisen, kommentaren und mißverständnissen; auch meine briefe sind im original wesentlich umfangreicher. Den hier vorliegenden auszug habe ich etwa 1988 angefertigt. Dabei habe ich unseren briefwechsel gewissermaßen ausgeschlachtet, um eine wegstrecke meiner entwicklung zu verdeutlichen – vom ende der internatlerkommune bis zur übersiedlung nach elberfeld – für die es sonst wenige zeugnisse gibt.. Die tagebücher jener zeit hatte ich irgendwann ungelesen vernichtet; aus den jahren mit gise, voller liebe und nichtverstehen, verzweiflung und hilflosigkeit und sorge konnte ich kein buch machen – ich konnte die tagebücher nicht mal mehr lesen. Mit 'TRAUER, LIEBE & UNENDLICHKEIT' ging es dann weiter bei den (tage-)büchern. 3 Mondrian v. lüttichau - Briefe an martin www.autonomie-und-chaos.de 20. juli 73 * Mondrian an martin C'est la monde et sa population. Toute cette est très inflammable. Quelque chose de cette feuille est déjà flambée. C'est le danger. – Ich las das vorhin auf einem deiner bilder (fumage + aquarell) – und ich wollte dir schreiben: daß es schade ist, daß wir nie aus einer bestimmten art kommunikation herauskamen, obwohl wir beide wußten, daß es andere formen für uns geben könnte.. – Das ganze letzte jahr im internat hätte ich dir so oft sagen wollen: ich versteh dich – aber es ging nicht, ich weiß nicht wieso. Ich sehe mir in letzter zeit oft bilder von dir an, und jetzt, wo es nicht mehr bilder von einem (einem von vielen!) aus der kommune sind, lese ich die BRIEFE, die sie zugleich immer sind. Du hast einmal irgendwo geschrieben, "Malen ist experimentieren mit der Vorstellung von Malerei" – das sehe ich jetzt überall in deinen bildern. Leben ist für dich aber auch experimentieren mit der vorstellung von der welt, kann das sein? Man merkt meinem leben nicht sehr an, daß jede minute experiment und versuch ist, aber deinem wohl auch nicht. Dich halten recht viele für reifer im sinne von erwachsener – das bist du aber nicht. Sofern mensch (was wohl nötig ist) erwachsensein gleichsetzt mit 'auf-einem-festen-gleis'. Es ist nur eine gefahr bei dir, daß du verhaltensmuster und vorstellungen der (unfreien, automatischen) erwachsenen übernimmst und dich darin verlierst. Das liegt daran, daß du in dem augenblick, wo du mehr weißt als die umwelt (auf einem gebiet), gerne die kritik an dem gebiet/fach lehmlegst – die kritik bei dir selbst. Ich habe immer gewußt, daß es wohl ein fehler war, dich bei all den büchern, in meiner bibliothek alleine zu lassen, - weil ich wußte, daß du deine grenzen nicht siehst; und du bist ja dann auch plötzlich ganz wie selbstverständlich bei horkheimer gelandet, bei einem buch, das die meisten politikstudenten nicht verstehen würden. (Und für mich wäre es auch zu schwer, - ich habs mir auch 'zu früh' gekauft!!) Aber ich konnte dich nie so richtig davon abhalten, weil ich dich einfach meistens "zu ernstgenommen habe". Es ist mir, wenn ichs manchmal doch gemacht habe, furchtbar schwergefallen, dich als 15jährigen zu behandeln.. 4 Mondrian v. lüttichau - Briefe an martin www.autonomie-und-chaos.de Du mußt unheimlich aufpassen, daß du dich nicht verrennst. Du verstehst von allem was du liest ein bißchen, und daraus schließt du, das ganze sei dir klar; ergo argumentierst du mit dem ganzen, und merkst nicht, daß du zitate aus dem zusammenhang reißt und sie in ganz falschem sinn gebrauchst, - und dann letzten endes ins schwimmen gerätst. Und du wirst nicht sicherer, wenn du nur noch mehr zitate und meinungen anderer in die diskussion wirfst – vielmehr mußt du viel mehr drangehen, in dir selbst zu suchen. Du suchst viel mehr als die meisten in deinem alter – aber du suchst eben zum größten teil draußen, im fachwissen, in den büchern. Weißt du noch, wie wir mal über dein sicherheitsstreben gesprochen haben? – Es geht nicht nur in diese richtung, aber auch. Um meinungen anderer verarbeiten/einordnen zu können, mußt du erstmal dein eigenes wertsystem und deine eigenen vorstellungen ganz alleine in eine ordnung bringen, bevor du den vorstellungen anderer einen entsprechenden platz einräumst. 28. juli 73 * Martin an mondrian Ich glaube, jeder Mensch experimentiert mir seinen Vorstellungen, mit seiner Art und eigentlich sogar mit sich selbst (wenigstens der junge Mensch, denn der ältere steht, wie du sagst, "auf-einem-festen-Gleis") um zu erfahren, mit welcher Art und Weise er sich am besten "durchdrängeln" kann. Derjenige, der das schon früh schafft, den nennt man erwachsen, vielleicht schon reif. Ist er es? Will er es überhaupt sein? – Ich will es nicht – und will es doch. Ich will es weil ich es doch später wahrscheinlich einmal werde, deshalb will ich es (und nicht nur ich) früher. 5 Mondrian v. lüttichau - Briefe an martin www.autonomie-und-chaos.de 1. august 73 * Mondrian an martin Daß du erwachsen sein willst und doch nicht: das ist keine zweigeteiltheit, sondern sind zwei stiefel, die aber blödsinnigerweise denselben namen haben: reif und reif.. Deine gefahr ist hier, daß du durch das reif sein im sinne von verstehen (zu einem teil wenigstens) dir vorteile verschaffst vor deiner umwelt, und jetzt mittels dieser vorteile einen weg findest, mit möglichst wenig energie eine ungestörte ROLLE innerhalb dieser umwelt einzunehmen. Junge, das ist furchtbar gefährlich. Es ist klar, ein fehler ist um so gefährlicher, je intelligenter der ist, der ihn vertritt, ich meine: wenn es ein fehler ist, der in der gefühlswelt begründet liegt - dann schafft die intelligenz nämlich nicht, ihn zu erkennen, sondern verteidigt ihn nur, je mehr, um so mehr intelligenz da ist! Wenn du dich auch, soviel ich weiß, möglichst komplett rational fassen möchtest, du wirst eben doch sehr von deinen gefühlen geleitet (wir alle!) – und zwar auch in deinem denken. Deine gefühle setzen dir brillen auf, durch die du dann siehst & denkst. Das ist das handicap. Allerdings ist das natürlich und kein grund zur aufregung. Nur mußt du drandenken. 12. august 73 * Mondrian an martin Dein ganzes verhalten (deiner umwelt gegenüber) geht auf distanz, auf absicherung deiner momentanen situation gegenüber veränderung (von außen); und dieses verhalten hast du ganz genauso gegenüber dir selber. Du darfst auch wenn es um dich selber geht nicht davon ausgehen, daß du dich "im griff hast", daß du dich kontrollierst, auch wenn diese deine vorstellung dir selber einleuchtend vorkommt. Das ist keine sache von intelligenz, sondern das geht ganz allgemein nicht. Versuch, hinter deine distanz von dir selber zu kommen, und damit hinter den "betrug" deines unterbewußtseins an deinem bewußtsein. Denn eigentlich ist es ganz einfach, den trugschluß zu sehen: Wenn du sagst, du hältst deine entwicklung insoweit für natürlich, als sie dir gradlinig vorkam, erklärbar ist usw. – Dazu ist zu sagen, daß eigentlich nur neurosen von geradliniger entwicklung sind. Eine einigermaßen gesunde entwicklung ist abhängig von hunderterlei einzelnen umweltfaktoren, und 6 Mondrian v. lüttichau - Briefe an martin www.autonomie-und-chaos.de wenig geradlinig, es sei denn, mensch hätte annähernd alle umwelteinflüsse auf dem tisch und eingeordnet, bzw.: im rückblick ist der zusammenhang eventuell zu verstehen, sozusagen als dialektischer prozeß. Eine neurose dagegen ist eine zwangsentwicklung, d.h., je mehr sie fortschreitet, eine automatisch, eine logisch nachvollziehbare sache. Worauf ich hinauswollte: das stetige, leicht nachvollziehbare deiner entwicklung (und vor allem: der überblick, den du über deine zukünftigen schritte zu haben meinst!) ist eben das symptom einer teilweise unnatürlichen, einer "neurotischen", einer zwangsentwicklung. Du sagst ja auch selbst: "Dies ist nicht auf meine bewußte geistige Entwicklung bezogen, denn die hat sich nach meinem Dafürhalten