SWR2 Glauben Bleiben Sie gesund! Der neue Kult Von Ulrich Land

Sendung: 28.2.2021, 12.05 Uhr Redaktion: Nela Fichtner Produktion: SWR 2021

Gerade zu Corona-Zeiten zeigt sich: Gesundheit ist zum alles bestimmenden Faktor geworden, zum Glaubensersatz. Aber ist der unbedingte Wunsch gesund zu sein noch gesund?

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MANUSKRIPT: Musik: Choral : "Lumen Christi – Praeconium paschale" verwendete Länge: 0:30 Mitwirkende: Mönchsschola der Erzabtei St. Ottilien SWR-Archiv: Übernahme von BR CD160530W01 01-A- 001 ohne weitere Angaben

folgend unterlegen

O-Ton 1.: Bundespräsident Steinmeier, am 11.4.2020 (CoronaRedeSteinmeier.wav, 0:02) In wenigen Stunden beginnt das Osterfest. Doch dieses Jahr ist alles anders.

Sie: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an Karsamstag im April 2020.

O-Ton 2.: Bundespräsident Steinmeier, am 11.4.2020 (CoronaRedeSteinmeier.wav, 0:50) Für die Gläubigen kein gemeinsames Gebet. Und für uns alle die bohrende Ungewissheit, wie wird es weitergehn.

Musik hochziehn, kurz freistehn lassen, dann weiterhin unterlegen

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O-Ton 3.: Suse Kessel (CoronaInfluencaSuse1.wav, 0:17) Wirklich von jetzt auf gleich ging mir hier während der Arbeit der Schalter aus, und ich musste wirklich heim, weil ich gemerkt habe, in mir steigt Fieber hoch, ich war schlapp, ich bin dann eben direkt zu meiner Ärztin, und die hat dann gesagt: okay, Influenza, also eine klassische Grippe, und dann hab ich im Hinterkopf Corona immer gehabt.

Er: Suse K. aus Freiburg, im März 2020.

O-Ton 4.: Suse Kessel (CoronaInfluencaSuse1.wav, 1:33) Ich habe mit 40 Fieber im Bett gelegen, sehr lange, über fast zwei Wochen, und hab auch vier Wochen gebraucht, bis ich überhaupt wieder mich einigermaßen berappelt hab, also ich habe immer im Hinterkopf gehabt, es erinnert unheimlich an das, was alle so erzählen, was die Corona-Symptome sind, war immer diese Unsicherheit da.

Er: Mitten im schönsten Alltag plötzlich das Wegbrechen der gewohnten Lebenssicherheit …

Sie: … die Angst vorm Unbekannten. Vorm unbekannten Virus.

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O-Ton 5.: Suse Kessel (CoronaInfluencaSuse1.wav, 8:00) So die unsichtbare Gefahr. Und dann hab ich irgendwann einen Anruf bekommen, dass es jetzt einen Antikörpertest gäbe, und das Ergebnis war dann negativ. Also ich hatte sehr wahrscheinlich kein Corona. Wobei diese Tests sind ja auch nicht so 100 %, und mich hat das eigentlich nicht weniger verunsichert.

Er: Gerade zu Corona-Zeiten …

Sie: … im Zuge einer Epidemie, die man in solch weltumspannenden Ausmaßen bisher nicht kannte, zeigt sich: …

Er: Gesundheit ist zum dominanten, zum lebensbestimmenden Faktor geworden.

Sie: Nicht erst seit der Corona-Krise allerdings richten die Zeitgenossen ihr Hauptaugenmerk so eng fokussiert auf die eigene Gesundheit. Womöglich auch deshalb, weil ihnen schon seit längerem der ethische, der geistige und erst recht der geistliche Hintergrund abhanden gekommen sind.

O-Ton 6.: Tanja Zellmeier (ErnährungsberaterinZellmeier.wav, 8:04) Also schaffe ich mir meinen eigenen Wert, der relativ leicht festzuklammern ist, und das ist Gesundheit ...

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Er: Tanja Zellmeier, Ernährungsberaterin und Mentaltrainerin in Freiburg.

O-Ton 7.: Tanja Zellmeier (ErnährungsberaterinZellmeier.wav, 8:08) … egal, welche Zeitschrift wir aufschlagen, Gesundheit ist allgegenwärtig.

Er: Allgegenwärtiger als Gott und alle Heiligen.

Sie: Der Gesundheitskult steht allzeit bereit …

Er: … und wird durch die Blickverengung im Zuge der aktuellen viralen Gesundheitskrise noch verstärkt.

Atmo: Signal eines sich nähernden Krankenwagens (Archiv)

folgend unterlegen

O-Ton 8.: Suse Kessel (CoronaInfluencaSuse1.wav, 8:55) Es ist 'n zusätzlicher Stressfaktor, der immer so latent da ist, eben dieser fehlende Kontakt zu anderen, dann zu sehen, wie auch die Kultur, die Gastronomie unter dieser ganzen Problematik sehr leiden. Ne? Auch wie die Leute, die im Gesundheitsdienst arbeiten – das ist so das, was mich eigentlich belastet. Nicht so sehr das Virus selbst, oder dass es mich erwischen könnte, sondern was es mit unserer Gesellschaft auch macht, und dass es eben auch spaltet. Und das finde ich ganz furchtbar. Das stresst mich.

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Musik 1: elektronische Musik von Micha Burger: "Glühwurm" insges. verwendet: 1:20 Komposition und Interpretation: Micha Burger Eigenproduktion (Sendeerlaubnis persönlich erteilt; aber GEMA-pflichtig)

folgend unterlegen

Er: Seit dem Frühjahr 2020 heißt es zum Abschied nicht mehr "À dieu" – "Gott befohlen" –, sondern …

Sie: … der neue, coronataugliche Gruß lautet: "Bleiben Sie gesund!"

Effekt: Kirchenhall

hier und überll bei den Koffler-O-Tönen folgend einsetzen

O-Ton 9.: Joachim Koffler (PfarrerKoffler1.wav, 29:58) Gesundheit ist natürlich in sich ein Wert, möcht auch gesund sein, und ich wünsche auch den Leuten: "Bleibt gesund!", das Problem ist, wenn mir Leute dauernd sagen: "Hauptsache gesund!"

Er: Joachim Koffler, Pfarrer für fünf katholische Gemeinden im Nordwesten Freiburgs.

O-Ton 10.: Joachim Koffler (PfarrerKoffler1.wav, 30:14) Wenn die Hauptsache Gesundheit ist, dann sind alle verloren, die krank sind. Und was soll ich denen sagen?! "Pech gehabt!"

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Musik hochziehn, kurz freistehn lassen, dann ausblenden

Sie: Während der Gesundheit ein immer prominenterer Stellenwert eingeräumt wird, gerät in gleichem Maße die Religion ins Hintertreffen.

Er: Gesundheit – Glaubensersatz und Glaubenssatz.

Sie: Der Gesundheitskult jedoch greift bereits seit ein, zwei Generationen Raum. Angefangen mit der Trimm-Dich- Bewegung der 1970er und -80er Jahre.

O-Ton 11.: Trimm-Dich-Spot (TrimmDichSpots70erJahre.wav, 0:03) musikalischer Auftakt Trimm-Trab – das neue Laufen, ohne zu schnaufen. Schlussmusik

folgend unterlegen

O-Ton 12.: Tanja Zellmeier (ErnährungsberaterinZellmeier.wav, 20:56) Manchmal kommen Klientinnen zu mir, wo ich merke: Oh, die überziehen's jetzt! Ne? Sie möchten ein paar Kilo abnehmen, und ich denk mir dann auf den ersten Blick: Abnehmen? Wo, bitteschön?!

Atmo: Windows 7, Startsound (Archiv)

folgend unterlegen

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Musik: Erlend Viken: "Storm" insgesamt verwendete Länge: 1:00 Komposition: Viken, Erlend Mitwirkende: o.A. Label: GRAPPA, Oslo, Norwegen LC: 49093 Bestellnummer: HCD 7351 SWR-Archiv-Nr.: M0591460.007

folgend unterlegen

O-Ton 13.: Tanja Zellmeier (ErnährungsberaterinZellmeier.wav, 21:30) Diese blanke Form von BMI-Rechnerei! Boddy- Mass-Index, so diese gewisse Zahl, die 'n groben Eindruck gibt: bin ich zu dick oder bin ich's nicht, ich hab schon Klientinnen, die dann als Erstes ihre Körperfettwerte auspacken, was nicht mehr das ist, was das normale, gesunde Maß ist.

Er: Wo man vor lauter Gesundheitskontrolle nicht mehr dazukommt, die Gesundheit auszukosten …

Sie: … das Leben zu leben.

Musik: Julien Baril: "Inner Workings" insgesamt verwendete Länge: 0:30 von CD: "The Spirit of Adventure" Komposition: Baril, Julien Mitwirkende: o.A. Label: CMG Cézame, 2019 LC: 10347 Bestellnummer: CEZ4347 SWR-Archiv-Nr.: M0587686.016

folgend unterlegen

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O-Ton 14.: Tanja Zellmeier (ErnährungsberaterinZellmeier.wav, 24:01) Stress!

Atmo: hektisches, digitales Piepsen, Warnsignal (Archiv)

folgend unterlegen

O-Ton 15.: Tanja Zellmeier (ErnährungsberaterinZellmeier.wav, 11:44) Dieses extreme Gesundheitsstreben verursacht bei vielen Menschen richtiggehend Stress! Und zwar auch wirklich körperlichen Stress. Mentalen Stress sowieso, was darf ich essen, wann darf ich essen, was ist heute gesund, wo ist der Proteinwert, welche Omega-3-Fettwerte sind da drin? Kommt aber auch der alltägliche Stress dazu: das Einkaufen! Man geht nicht mehr einfach nur in den Laden und nimmt sich das, was einem vernünftig erscheint, also so wie – manchmal ist es schon eine regelrechte Religion!

Er: Nicht selten tauchen extreme Gesundheitsfrömmler in die soziale Isolation ab …

Sie: … lassen Geburtstagsfeiern links liegen …

Er: …und Partys sowieso ...

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O-Ton 16.: Tanja Zellmeier (ErnährungsberaterinZellmeier.wav, 13:51) … sie gehn nicht mehr zu Treffen, weil da passt das Essen nicht, oder sie wollen einfach nicht mehr diskutieren, warum sie denn so seltsam essen; es kann schon auch zu einer gewissen Abkapselung führen.

Er: Spätestens da wird deutlich: …

Sie: Der unbedingte Wunsch, allzeit gesund zu sein, ist nicht gesund.

Sie: Arne Manzeschke, Leiter der Fachstelle für Ethik und Anthropologie im Gesundheitswesen an der Evangelischen Hochschule Nürnberg: …

O-Ton 17.: Arne Manzeschke (TheologeManzeschke.wav, 1:14) Ich glaube, dass heute Gesundheit den Stellenwert von Religion und "Heil" angenommen hat.

Sie: Mit Blick auf den Begriff "Heilung" durchaus naheliegend.

Er: Und der Arzt wird zum "Heiland" in Weiß.

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Sie: Inklusive seiner Unterheiligen, Gurus, Prediger, die die Weisheit mit gesundheitsbeflissenen Löffeln gefressen haben.

Er: Insbesondere vom Silicon Valley aus, wo die Gesundheitsapps, wie viele andere auch, entwickelt und ins Portfolio der großen IT-Weltkonzerne gehievt werden, wo der Wahn der Innovations-milliardäre, zu den höchsten Göttern zu gehören, …

Sie: … verschmilzt mit den Heilsversprechen des Can-do-Can- get-Spirit, mit den Allmachtsfantasien des "Wir können alles", …

Er: … wo die App-Schmieden im Dienste der Gesundheit florieren und gigantische Gewinne abwerfen, …

Sie: … von dort aus führt der Weg aus dem Jammertal steil hinauf ins neue Paradies.

O-Ton 18.: Arne Manzeschke (TheologeManzeschke.wav, 4:56) Gerade so in der Redeweise "Hauptsache Gesundheit", glaub ich, hat das die Stelle der Religion und eines Shalom-Zustands eingenommen.

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O-Ton 19.: Tanja Zellmeier (ErnährungsberaterinZellmeier.wav, 15:00) Etwas Dogmatisches. Gesundheitsglaubenssätze, die ich einfach als gegeben annehme, nicht hinterfrage, und dann wird das wirklich durchgezogen in dem Alltag bis zum Exzess, ohne überprüft zu werden. Das ganze Leben auf einen gewissen Glaubenssatz ausgerichtet und das Augenmaß dabei verloren.

Sie: Die regelmäßige Teilnahme am Fitnesscoaching ersetzt den allwöchentlichen Gottestdienstbesuch.

Er: Man hält sich folgsam an den Katechismus der Kalorientabellen.

O-Ton 20.: Tanja Zellmeier (ErnährungsberaterinZellmeier.wav, 16:36) Klassiker zum Beispiel: Kohlenhydrate machen dick! Das ist der bekannteste Glaubenssatz; der ist schlicht und ergreifend so falsch! Trotzdem führt's dazu, dass es Menschen gibt, die Kohlenhydrate vermeiden wie der Teufel das Weihwasser! Kohlenhydrate sind ein wichtiger Bestandteil der Ernährung! Und wenn ich die über einen längeren Zeitraum konsequent weglasse, dann ist es gesundheitlich schädlich.

Atmo: einsames Joggen am frühen Morgen, Vogelgezwitscher, hechelnder Atem (Archiv)

als Mix folgend unterlegen

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O-Ton 21.: Tanja Zellmeier (ErnährungsberaterinZellmeier.wav, 21:59) Ich hab schon Klientinnen, die schon fast 'n Zwang verspüren, wenn sie morgens aufstehen, laufen zu müssen, ansonsten haben die wirklich ein richtig schlechtes Gewissen, obwohl sie eigentlich keine Lust mehr haben. Die möchten einfach nur einen Weg da raus. Da geht eben die Sache im Kopf los: mit sich selber zufrieden zu sein! Sich selber nicht immer zu viel abzuverlangen. Sich auch nicht ständig mit allem und jedem messen zu müssen. Gibt ja nur noch den Maßstab an Werten im Sinne von Gewicht, was auch immer …

Er: Wo aus ideellen Werten Zahlenwerte werden. – Man glaubt eisern den vermeintlich objektiven Heilsversprechen digitaler Körper-Tools, die man sich ums Handgelenk schnallt, wenn sie nicht sowieso schon in die Uhr oder ins Smartphone eingebaut sind, …

Sie: … die jeden unserer Schritte zählen, den Puls kontrollieren, den Sauerstoffgehalt des Blutes, die Kalorienverbrennung.

Er: Das automatisierte Übermitteln der Daten sodann kommt einer allabendlichen Beichte gleich.

O-Ton 22.: Arne Manzeschke (TheologeManzeschke.wav, 0:04) Der Gedanke der Beichte ist ja, wenn man in die Frühantike zurückgeht, der Grundgedanke, Wahrheit zu sprechen über das eigene Leben; über Selbsterforschung dieses Leben in einem tugendhaften Sinne zu gestalten.

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Sie: … blickt Arne Manzeschke, Theologe und Anthropologe, zurück. Und ins Hier und Jetzt.

O-Ton 23.: Arne Manzeschke (TheologeManzeschke.wav, 0:54) Diese Funktion der Beichte ist in den Gesundheitsbereich eingewandert. Und dieser Modus, sich über sich selbst Auskunft zu holen bzw. zu geben, nämlich in Form von beispielsweise Gesundheitsapps und entsprechenden Daten.

Sie: Sollte man etwa die von den Apologeten des Fitness- Trackings als stramme Richtschnur ausgegebenen 10.000 Schritte am Tag nicht hinter sich gebracht haben, …

Er: … muss man Buße tun und 12 Extrarunden drehn.

O-Ton 24.: Arne Manzeschke (TheologeManzeschke.wav, 1:53) Ich kann also sehen, wo ich mich verfehlt habe, weil ich dann doch irgendwie etwas gegessen habe, was ich vielleicht nicht hätte essen sollen oder so, ich krieg' sozusagen über diese Daten einen Spiegel vorgehalten, der natürlich hoch normativ ist.

Sie: Eine Form der maschinellen, computergestützten Selbstkontrolle und Selbstkasteiung, die im Grunde auf die gesamte Lebensführung abzielt.

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Er: Heiligstes Gebot: Körperoptimierung!

Sie: Optimale Effizienz der Leibesfunktionen bei stets abzurufenden, ständig überwachten Topleistungen!

Er: Alles, was dazu nicht unmittelbar beiträgt, etwa die Missachtung entsprechender Ernährungspläne, hat den Status kapitaler "Sünden".

O-Ton 25.: Suse Kessel (CoronaInfluencaSuse1.wav, 11:06) Ich koch gerne sehr gesund, und natürlich sündige ich auch. Weil ich das sehr gesund finde, hin und wieder zu sündigen.

Er: Es ist sprachwissenschaftlich nicht geklärt, ob "gesund" und "Sünde" auf den gleichen Wortstamm zurückgehen.

Sie: Zumindest klingen sie verdächtig ähnlich.

O-Ton 26.: Tanja Zellmeier (ErnährungsberaterinZellmeier.wav, 10:21) Gesundheit ist wichtig, aber nur um das Leben genießen zu können. Es gibt aber diese andere Richtung, Gesundheit um ihrer selbst willen zu praktizieren, wo ich mich schon regelrecht selber kasteie, mir Dinge auferlege nur unter dem Deckmantel, dass sie dann förderlich für die Gesundheit sind.

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Er: Zucker im Kaffee gilt als Todsünde.

Sie: Ganz zu schweigen vom Fleisch in der Suppe.

Er: Man kaut knochentrockene Körner und nimmt untrinkbar bittere, aber absolut gesunde Smoothies zu sich.

Sie: Lässt Fitness-Tools jeden Schritt mitzählen, die Fettverbrennung berechnen und unbarmherzige Bewegungslehren erteilen.

Er: Man stellt sich selbst bereitwilligst unters Kuratel ständiger Gesundheitsüberprüfung.

O-Ton 27.: Arne Manzeschke (TheologeManzeschke.wav, 21:20) Und so ist das jetzt eben ein Bezugspunkt, der 'ne ungeheure Wertschöpfung auslöst, also wenn man sich überlegt, dass wir allein in Deutschland im Jahr ungefähr 400 Milliarden € gesundheitsbezogen ausgeben. Da sind einerseits die verschriebenen Medikamente drin, aber auch die ganzen Gesundheitsleistungen und Sachen, die die Leute aus eigener Tasche finanzieren, und da sind auch die Fitnesstracker drin.

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O-Ton 28.: Tanja Zellmeier (ErnährungsberaterinZellmeier.wav, 18:24) Es ist so einfach, sich richtig zu ernähren. Da darf Pizza dabei sein, da darf Bier dabei sein, wenn ich's einfach vernünftig einstreu. Aber diese Verteufelung von bestimmten Lebensmitteln ist ja immer der Gegensatz zu diesen Pillchen, Shakes, Pülverchen, Power- food, und die Wundermittel! Super Marketingprodukte, davon lebt natürlich auch 'ne ganze Industrie!

Er: Oder man flüchtet sich in die Glaubenslehren der Verschwörungsgurus, …

Sie: … die jetzt in Zeiten der Gesundheitskrise Hochkonjunktur haben, …

Er: … und das durchaus nicht ohne Schädigung ihrer Schäfchen aus der Herde der besonders anfälligen Verschwörungsgläubigen.

O-Ton 29.: Tanja Zellmeier (ErnährungsberaterinZellmeier.wav, 3:58) Da gibt's wirklich angebliche Gesundheitsempfeh-lungen, die, wenn die der Falsche macht, einfach wirklich das Leben kosten können. Die Atkins-Diät. Da wurde ja wirklich Fleisch, Fleisch, Fleisch propagiert.

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Er: In den letzten Jahren allerdings wurden bei der Umsetzung dieser Diät gesundheitliche Folgeschäden nachgewiesen. Und einzelne Fälle von lebensbedrohlicher Blutübersäuerung wurden festgestellt.

Sie: Nicht zuletzt bei Robert Atkins [engl. Aussprache] selbst, dem Erfinder und Pontifex Maximus dieser Heilslehre.

O-Ton 30.: Tanja Zellmeier (ErnährungsberaterinZellmeier.wav, 5:24) Der einfach 'ne massive Herz-, Kreislaufstörung bekommen hat durch den übermäßigen Fleischkonsum, also und dann hört man aus Fernsehn, Radio, Zeitschrift, sozialen Medien wieder irgendeinen Fetzen oder irgendeinen Hype, da wird dann wieder mal irgend'ne neue Diät-Sau durchs Dorf getrieben, und da wird dann aufgesprungen.

Er: Etwa die bereits angeführten 10.000 Schritte am Tag, von denen irgendjemand aus der weitläufigen Szene der Selbstvermesser irgendwann behauptet hat, das sei das Maß aller Dinge!

Sie: Eine ebenso willkürliche wie unsinnige Festlegung. Für einen Sportler lächerlich. Für Kranke und Behinderte undenkbar. Für Otto und Anna Normalverbraucherin ein ausgewachsener Stressfaktor.

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Er: Aber der Gesundheitsapostel, egal welcher, ist eine weit oben angesiedelte Instanz.

Sie: Big Brother is watching you.

Musik: Christian Biegai: "Observation" insgesamt verwendete Länge: 1:00 Soundtrack: "Blutige Anfänger" Komposition: Biegai, Christian Mitwirkende: o.A. Label: Bavaria Sonor Records, 2020 LC: 85266 Bestellnummer: o.A. SWR-Archiv-Nr.: M0609919-011

folgend unterlegen

Er: Der strafende Gott, der alles sieht, der einen ständig unter Beobachtung hat, wird jetzt über das Minichip-Maschinchen installiert …

Sie: … wir selbst schnallen uns die numinose Hyperkontrolle ans Handgelenk.

Er: Die Chips und ihre Apps werden ins Quasi-Göttliche erhoben …

Sie: … im Sinne einer entrückten, omnipräsenten Kontrollhoheit, ...

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Er: … der man widerspruchslos zugesteht, dass sie wacker belohnen und bestrafen darf, …

Sie: … dass sie auf dem Display Lob erteilt, wenn man mit einem Sellerie-Smoothie statt mit einem Ham-and-eggs-Frühstück in den Tag startet …

O-Ton 31.: Tanja Zellmeier (ErnährungsberaterinZellmeier.wav, 28:10) … wenn ich 'ne bestimmte Schrittzahl hab', dann fliegen da die Herzchen und die Ballons, und die Raketen gehen hoch …

Sie: … und andererseits, wenn man des Abends nicht mit einer ansehnlichen Bewegungsbilanz aufwarten kann, droht Punktabzug.

O-Ton 32.: Tanja Zellmeier (ErnährungsberaterinZellmeier.wav, 28:25) Dann spricht plötzlich meine Uhr: "Steh auf, du musst dich bewegen!"

Musik: : "Creeping Death" insgesamt verwendete Länge: 0:45 von CD: "Apocalyptica plays by Four " Komposition: , Lars Ulrich, Ray Burton, Kirk Hammett Mitwirkende: , , Faavo Lötjönen, Label: PolyGram Finnland, 1996 LC: 0268 Bestellnummer: 532.707-2 Track 6

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folgend unterlegen

Sie: Dem grassierenden Gesundheitskult aber setzt Corona die Krone auf …

Er: … denn angesichts der Geißel der monate-, wenn nicht jahrelangen Pandemie kommt jetzt der Faktor Angst erschwerend hinzu.

Sie: Das ständige Schielen auf potenzielle Covid19-Symptome und das allmorgendliche Ergoogeln der entsprechenden Statistiken …

Er: … von den Infektionszahlen über Reproduktionswerte und Intensivbettenauslastung bis hin zur Todesrate …

Sie: … wird zu einem weiteren Stressritual.

O-Ton 33.: Arne Manzeschke (TheologeManzeschke.wav, 6:14) Nicht von ungefähr spielen ja die ganzen Dystopien …

Sie: … die negativen Zukunftsentwürfe etwa in Sciencefiction- Filmen …

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O-Ton 34.: Arne Manzeschke (TheologeManzeschke.wav, 6:16) … 'ne große Rolle, dass diese Technik irgendwann mal so mächtig ist, dass sie uns selbst eben beiseite räumt. Weil wir als defizienter Modus eben auch nicht mehr wirklich interessant sind.

Er: … und ins Hintertreffen geraten angesichts etwa der prognostizierten Fähigkeiten von Künstlicher Intelligenz.

Sie: Und wer weiß, vielleicht ist der Siegeszug des SARS-CoV-2-

Virus [gespr.: Sars-Koff-zwei-] der entscheidende Schritt auf diesem Weg. Insofern aus der Unsicherheit heraus digital vermittelte Zahlen und Informationen übermächtig werden. In Stress ausarten. Uns in der Hand haben.

Er: Dabei hatte man doch grade hier in unseren Breiten in einer gewissen Sicherheit gelebt. In einer Zeit, die jeden Tag aufs Neue versprach, auch morgen noch so zu sein wie heute.

Sie: Und dann plötzlich sowas!

Er: Ein flächendeckendes Einbrechen ausgerechnet der Gesundheitsstabilität!

Sie: Raunt und rumort da schon die Apokalypse?

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O-Ton 35.: Joachim Koffler (PfarrerKoffler1.wav, 15:11) In der Situation, wo die Leute sowieso denken, mir schwimmt alles weg! Es ist alles so furchtbar, es legt sich so ein Nebel drauf, und geht's überhaupt noch weiter, geht die Welt jetzt zu Ende? Überleben wir das überhaupt alle?

Sie: Ist die Corona-Pandemie …

Er: … wie in früheren Zeiten die Pest …

Sie: … als Strafe Gottes für die sündige Menschheit zu verstehen?

O-Ton 36.: Joachim Koffler (PfarrerKoffler1.wav, 17:08) Ich glaube jetzt nicht, dass Gott am großen Mischpult irgendwann die Dreher hochzieht und sagt, so jetzt strafen wir mal, und jetzt belohnen wir. Das ist jetzt erstmal 'ne Sache, die wir auf Erden hier irgendwie zu bewerkstelligen haben.

Sie: Vielleicht auch ist der Vormarsch des Corona-Virus zweigleisig: Verstärkt einerseits den Gesundheitskult und lässt …

Er: … genau gegenläufig …

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Sie: … mitten in der effizienzgesteuerten Gesellschaft die Erkenntnis aufblitzen, dass die technikgestützte Gesundheitsreligion womöglich denn doch ein paar Defizite aufweist.

O-Ton 37.: Arne Manzeschke (TheologeManzeschke.wav, 11:24) Das hat nicht so diese emotionale Qualität, wie's jetzt beispielsweise der Glaube gegenüber einem persönlichen Gott hat.

Sie: Auch wenn Gesundheit als alleinseligmachendes Lebensziel gilt, so treten ihre quasi-göttlichen Kontrollwerkzeuge ausschließlich in einem virtuell gestaltlosen, in einem abstrahierten, technisch funktionalen Modus auf.

O-Ton 38.: Arne Manzeschke (TheologeManzeschke.wav, 10:10) Eben nicht in dieser Form, wie sich jetzt der gläubige Mensch Gott anvertraut.

Sie: Der personale Gott spricht die jeweilige Sprache seiner Gläubigen.

Er: Gesundheit ist stumm.

Sie: Sie ist, wie der französische Chirurg und Philsosoph René Leriche 1936 formulierte, "la vie dans le silence des organes“ …

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Er: Das Leben im Schweigen der Organe.

Sie: In den Worten der WHO, der Weltgesundheitsorganisation, hingegen ist Gesundheit ..: "ein Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit und Gebrechen."

O-Ton 39.: Arne Manzeschke (TheologeManzeschke.wav, 15:48) Schwierig wird's, wenn dieser Gesundheitsbegriff eindimensional wird, wir haben das momentan in 'ner sehr prominenten Art und Weise in der Coronadiskussion, wo eben die Parole ausgegeben worden ist: Gesundheit ist alles, deswegen ist Infektionsschutz das höchste Gebot …

Sie: … der kategorische Imperativ bei der ersten und erst recht bei der zweiten Corona-Welle …

O-Ton 40.: Arne Manzeschke (TheologeManzeschke.wav, 16:17) … deswegen müssen Leute sogar um ihrer selbst willen isoliert werden.

Sie: … zum Beispiel die Bewohnerinnen und Bewohner in Altenheimen.

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O-Ton 41.: Arne Manzeschke (TheologeManzeschke.wav, 16:25) Dabei hat man meines Erachtens völlig übersehen, dass die Gesundheit eines Menschen eben nicht nur darin besteht, dass er freigehalten wird von Keimen und Bakterien und Viren, sondern dass das Leben des Menschen in sozialen Bezügen, dass Kontakt zu anderen, die Aussprache, das Berühren, all diese Dinge auch essenziell wichtig sind für das Gesundsein des Menschen.

O-Ton 42.: Joachim Koffler (PfarrerKoffler1.wav, 18:20) Vielleicht ein Fingerzeig Gottes, obwohl ich jetzt auch nicht glaube, dass Gott sich so in dieser Form in die Erde einmischt, aber es ist schon was, wo wir nachdenken müssten, was eigentlich Prioritäten in unserem Leben sind.

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Musik 2: Improvisation auf der Orgel [SW chrDon mus2] insgesamt verwendet:1:00 (Reportermitschnitt in der Christuskirche, an der Orgel: Andreas Rütschlin, Sendeerlaubnis mündlich erteilt) (ChristuskircheOrgel.wav, 1. Teil)

folgend leise unterlegen

O-Ton 43.: Joachim Koffler (PfarrerKoffler1.wav, 19:09) Was steht ganz oben? Ist wirklich Gesundheit das Allerwichtigste, was es auf der Welt gibt?

O-Ton 44.: Suse Kessel (CoronaInfluencaSuse1.wav, 12:55) Corona ist überall.

O-Ton 43 b: Joachim Koffler (PfarrerKoffler1.wav, 20:00) Corona heißt übersetzt die Krone, da merkt man vielleicht, dass wir Menschen doch nicht wirklich die Krone der Schöpfung sind.

O-Ton 45.: Bundespräsident Steinmeier, am 11.4.2020 (CoronaRedeSteinmeier.wav, 2:11) Vielleicht haben wir zu lange geglaubt, dass wir unverwundbar sind. Dass es immer nur schneller, höher, weiter geht.

Sie: Corona – ein Schuss vor den Bug menschlicher Hybris, ein Strich durch die Rechnung von Hochmut und Überheblichkeit.

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O-Ton 46.: Joachim Koffler (PfarrerKoffler1.wav, 11:20) Wo der Zustrom der Gottesdienstbesucher größer geworden ist als vor Corona, natürlich gibt's 'n erhöhten seelsorgerischen Bedarf, weil die Leute, die allein sind, die so Probleme haben mit ihrer psychischen Gesundheit, die trifft's besonders hart, weil ihnen jetzt auch noch die Gesprächspartner fehlen, das war im März um Ostern rum dramatisch, dass wir auch in die Pflegeheime nicht gehn konnten, da gab es ja auch dramatische Fälle, dass Leute gestorben sind und die Angehörigen sie nicht mehr besuchen konnten, was im allerschlimmsten Fall auch dazu geführt hat, dass ein Angehöriger sich dann selber das Leben genommen hat, weil er es einfach nicht ausgehalten hat.

Musik hochziehn, etwas freistehn lassen, dann ausblenden

Sie: Insbesondere unterm kreisenden SARS-CoV-2- Damoklesschwert muss dem Götzen mit Namen Gesundheit Tribut gezollt werden …

Er: … und der Gott der Religion hat zurückzustehen.

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O-Ton 47.: Joachim Koffler (PfarrerKoffler1.wav, 3:45) Das Verrückte an der Sache ist ja eigentlich: Normalerweise sagen wir immer: "Kommt, kommt, kommt, rückt zusammen, tut euch zusammen, steht zusammen!", und jetzt müssen wir sagen: "Leute, bleibt auseinander, haltet Abstand!", die Gemeinschaft ist dieses Mal eine auseinandergerückte Gemeinschaft.

Atmo 1: öffnende, quietschende und zuschlagende Kirchentür (ChristuskircheKantoren.wav, 3:07 ff.) Rappelndes Türschloss, Kirchentür jault beim Öffnen, Kirchentür wird geschlossen

folgend unterlegen

O-Ton 48. a + b: Joachim Koffler (PfarrerKoffler1.wav, 28:05) Dass Kirchen jetzt zum Super-Spreader und zum Hotspot werden; es kann natürlich auch nicht sein, leichtsinnig in die Krankheit zu rennen.

Atmo hochziehn, kurz freistehn lassen und folgend weiterhin unterlegen

O-Ton 48 c: Joachim Koffler (PfarrerKoffler1.wav, nach 28:05) Corona ist leider sehr schnell im kirchlichen Alltag angekommen, weil wir ja gerade in der Vorbereitung auf Ostern waren, als damals im März die erste große Welle kam, und wir mussten sehr schnell ganz viel, was wir geplant hatten, in die Tonne treten.

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Sie: Und da sich die Ansicht, Gesundheit sei das höchstes Gut, schon vor Corona geradzu epidemisch in der effizienz- und optimierungsorientierten Gesellschaft durchgesetzt hatte, haben es gerade in diesen Krisenzeiten die kirchlichen Rituale schwer.

Er: Wie zum Beweis machte das Virus auch vor den Türen des Pfarrhauses im Freiburger Nordwesten nicht halt. Und Pfarrer Koffler sah sich veranlasst, mit Händen und Füßen und Hightech für den Erhalt des Gemeindelebens zu kämpfen.

O-Ton 49.: Joachim Koffler (PfarrerKoffler1.wav, 40:36) Als es hier im Pfarrhaus 'n Coronafall gab und wir 14 Tage Quarantäne halten mussten, war das natürlich eine Herausforderung, aber wir haben da 'ne Möglichkeit gefunden, zu dritt auf 'm Balkon Gottesdienst zu feiern und von dort aus zu senden …

Sie: … also eine Videoübertragung übers Internet zu streamen.

Atmo 2: Kirchenglocken (KirchenglockenStaufenSt.Martin)

folgend unterlegen

O-Ton 50.: Joachim Koffler (PfarrerKoffler2.wav, 0:44) Am Palmsonntag, da habe ich die Segnung der Palmzweige übertragen, und es war unglaublich, da haben 2000 Leute reingeklickt …

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Sie: … von den 12.000 Einwohnern des Stadtteils also immerhin jeder Sechste.

Er: Eine Menge, die beileibe nicht in seine Kirche passen würde.

Sie: Und ein Großteil der Online-User – denn das war die Zugabe der virtuellen Zeremonie – kam anschließend ganz leibhaftig analog zur Kirche, wo man sich im Eingangsbereich als Give- Away einen der geweihten Buchsbaumzweige abholen konnte.

Er: Schlangestehen inklusive.

O-Ton 51.: Joachim Koffler (PfarrerKoffler2.wav, 1:26) Es war ein ganz großes Bedürfnis, irgendwas in der Hand zu haben, etwas mitnehmen zu können, was irgendwie Segen und Heil vermittelt.

Sie: Schließlich ging's bei all der Unsicherheit um Leben und Tod. Allemal Grund genug, sich denn doch in Gottes Hand zu sehnen …

O-Ton 52.: Joachim Koffler (PfarrerKoffler2.wav, 5:17) Das waren schon fast Prozessionen!

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Atmo: klassisches Telefonklingeln (Archiv)

folgend unterlegen

O-Ton 53.: Joachim Koffler (PfarrerKoffler1.wav, 14:51) Wir mussten am Anfang auch Trauergespräche vor Beerdigungen am Telefon führen, dann fängt jemand am anderen Ende an zu weinen, man sieht ihn nicht, man kann nicht richtig reagieren. Das war wirklich 'ne schreckliche Zeit, als 5 Leute bei der Beerdigung dabei sein durften, ich die vorher nicht gesehen habe, am Friedhof keinem die Hand geben durfte, und man sozusagen nur aus der Distanz versucht hat, etwas zu vermitteln, das war sehr schwer.

Atmo: kleine Friedhofsglocke 7 Totenglocke (Archiv)

folgend unterlegen

O-Ton 54.: Bundespräsident Steinmeier, am 11.4.2020 (CoronaRedeSteinmeier.wav, 7:55) Wir werden nach dieser Krise eine andere Gesellschaft sein.

Er: Corona machte sich in der Alles-ist-machbar-Gesellschaft als besonders drastisches Memento Mori breit …

Sie: … als wenig willkommene Erinnerung an die Zerbrechlichkeit.

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O-Ton 55.: Joachim Koffler (PfarrerKoffler1.wav, 20:23) Wir sind halt doch Endliche, Begrenzte, und das ändert an meiner Menschenwürde und an dem Geschenk meines Menschseins nichts, ...

Sie: … auch ohne gesund und …

Er: … und funktionstüchtig zu sein.

Musik 1: elektronische Musik von Micha Burger: "Glühwurm" [s.o.]

die Endsequenz folgend unterlegen

O-Ton 56.: Joachim Koffler (PfarrerKoffler1.wav, (27:15) Wir haben ja nit die Botschaft der irdischen Vollkommenheit und der irdischen Gesundheit, und unser Glaube ist die Hoffnung auf das ewige Leben, auf das, was nach dem Tod kommt, ein Hochzeitsmahl, endlich darf man wieder zusammensitzen …

Sie: … ohne social distancing …

O-Ton 57.: Joachim Koffler (PfarrerKoffler1.wav, 37:49) … man darf Leute umarmen, man sieht sich wieder, man hat sich gern, aber das liegt in Gottes Hand, und da werden meine Bilder ein bisschen zerbröseln.

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Sie: Und, wer weiß, womöglich liegen sich ja auch Gott und der Götze Gesundheit in den Armen und …

Er: … und ruckeln ihren jeweiligen Stellenwert auf der Goldwaage zurecht.

ENDE

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