Franz Schubert Sinfonie 1 Andante aus Sinfonie 10 Kammerakademie Potsdam Antonello Manacorda

G010003400635Q FRANZ SCHUBERT (1797–1828) VIOLINE • Peter Rainer, Konzertmeister • Christiane Plath, Stimmführerin • Nicola Bruzzo • Julita Forck • Timoti Fregni • Michiko Iiyoshi • Thomas Kretschmer • SINFONIE NR. 1 D-DUR D 82 Matthias Leupold • Renate Loock • Richard Polle • Laura Rajanen • Isabel Stegner • Judith Wolf • Hayley Wolfe 1 I. Adagio – Allegro vivace 11:10 2 II. Andante 6:27 VIOLA • Jennifer Anschel, Stimmführerin • Annette Geiger • Ralph Günthner • 3 III. Menuetto: Allegro – Trio 4:00 Christoph Starke • Tim-Erik Winzer 4 IV. Allegro vivace 5:32 VIOLONCELLO • Ulrike Hofmann, Stimmführerin • Christoph Hampe • Vashti Hunter • Jan-Peter Kuschel SINFONIE NR. 10 D-DUR D 936A KONTRABASS • Tobias Lampelzammer, Stimmführer • Klaus Leopold Ergänzt und orchestriert von Brian Newbould 5 Andante 9:32 FLÖTE • Silvia Careddu • Bettina Lange *

OBOE • Jan Böttcher • Birgit Zemlicka-Holthaus

Kammerakademie Potsdam KLARINETTE • Markus Krusche • Anika Weichelt Antonello Manacorda, Dirigent FAGOTT • Christoph Knitt • Ai Ikeda

HORN • Christian Müller • Jonas Finke

TROMPETE • Nathan Plante • David Rodeschini

POSAUNE • Luca Ballabio * • Till Krause * • Clemens Erdmann * Eine Koproduktion von Sony Classical und Deutschlandradio Kultur Gesamtspielzeit: 36:57 • P 2015 Deutschlandradio / Sony Music Entertainment Germany GmbH • C 2015 PAUKE • Friedemann Werzlau Sony Music Entertainment Germany GmbH • Produzentin: Ruth Jarre • Aufnahmeleitung: Christoph Fran- ke • Toningenieur: Andreas Stoffels • Schnitt: Alexander Feucht • Aufnahmedatum: 4.-5. September 2015, * Andante aus Sinfonie Nr. 10 Jesus-Christus-Kirche Berlin • Fotos Cover/Rückseite: Christina Bohin • Foto Kammerakademie Potsdam: Stefan Gloede • Artwork: Roland Demus • www.kammerakademie-potsdam.de • www.sonyclassical.de

FRANZ SCHUBERT: SINFONIEN NR. 1 UND NR. 10 Musik besaß, dürfte in der Geschichte kaum ein zweites Mal bestanden haben. Man atmete Musik, man lebte Musik, ihr Platz in der Gesellschaft unterlag keinem Zwei- Schuberts Karriere als Sinfoniker dauerte nur fünfzehn Jahre. Aber die Entwicklung, fel. die der Komponist in dieser kurzen Zeitspanne durchlief, kann nicht anders als ge- waltig genannt werden. Von der fröhlichen Unbekümmertheit der Sinfonie Nr. 1, Was Schuberts frühe Sinfonik mit den entsprechenden Werken Haydns und Mo- die ihre Abhängigkeit von den verehrten Vorbildern Haydn und Mozart offen zur zarts gemeinsam hat, ist ein gewisser Zug ins Festliche. Die frühen Sinfonien Schu- Schau trägt, bis zur völligen Eigenständigkeit und ungeheuren emotionalen Tiefe berts sind noch keine Seelenbekenntnisse. Sie lassen die Hochstimmung spüren, des Fragments der Zehnten ist ein sehr, sehr langer Weg. Eine einzige Gemeinsam- von der Musiker wie Publikum bei der gelungenen Aufführung einer großen Sinfo- keit kann zwischen Anfangs- und Endpunkt von Schuberts sinfonischem Schaffen nie erfasst waren. Und eine »große Sinfonie« will auch schon Schuberts Erste sein. benannt werden: Beide Werke stehen in D-Dur, einer Tonart, die von den Wiener Der hohe Anspruch ist vom ersten Takt an spürbar. Klassikern für sinfonische Kompositionen bevorzugt wurde. Auch in seiner letzten Sinfonie steht Schubert noch auf dem Boden des Wiener klassischen Komponie- Der erste Satz der Sinfonie beginnt feierlich mit einer deutlich an Haydn geschul- rens, wie weit auch immer der Ausblick in die Hochromantik sein mag, der hier in ten langsamen Einleitung, die von gravitätischen, doppelt punktierten Rhythmen großer Kühnheit geschieht. bestimmt wird. Der Allegro-Hauptsatz lässt ein lebhaftes erstes Thema mit einem lyrischen zweiten kontrastieren, das unverkennbar auf das Finalthema von Beet- Schubert schrieb seine Erste Sinfonie als Sechzehnjähriger. Sie entstand während hovens »Eroica« zurückgeht. Die Durchführung macht von diesem Thema reichen der letzten Zeit, die der junge Komponist im Wiener k. u. k. Stadtkonvikt verbrachte. Gebrauch. Eine lange Holzbläserpassage leitet über zur Reprise, die überraschend Geschrieben wurde sie entweder für das Konviktsorchester oder für Otto Hatwigs mit einem Zitat der Einleitung beginnt. Orchester-Verein, der aus dem Hausquartett der Familie Schubert hervorgegangen war. Die Sinfonie ist bald nach ihrer Vollendung Ende Oktober 1813 uraufgeführt Das Andante, im wiegenden 6/8-Takt, hat über weite Strecken den Charakter einer worden. Dann geriet sie in Vergessenheit, um erst am 5. Februar 1881 im Londoner lieblichen Pastorale. Das Vorbild des zweiten Satzes von Mozarts »Prager Sinfonie« Crystal Palace erneut gespielt zu werden, und zwar mit beachtlichem Erfolg. schimmert öfter durch. Eine kontrastierende Episode in e-Moll bringt ausdrucks- volle Seufzermotive der Violinen. Wenn Schubert nachgesagt wurde, er habe das Komponieren »vom lieben Gott gelernt«, so liefern Werke wie die Erste Sinfonie dafür den Beweis. Wobei der lie- Das kräftige Menuetto hat ein ländlerhaftes Trio, in dem die Melodie der Violinen be Gott sich bei seinem Unterricht durchaus der Vermittlung Haydns und Mozarts vom Fagott in der unteren Oktave verdoppelt wird. Im rasanten Finale zeigt sich bediente – deren Werke wurden vom Konviktsorchester oft gespielt, während von vielleicht am deutlichsten die frühe Meisterschaft des jugendlichen Komponisten. Beethoven nur die beiden ersten Sinfonien im Repertoire waren. Eine derartige Dieser mitreißende Satz lässt keine Sekunde an Spannung nach und verhilft der Selbstverständlichkeit, wie sie im Wien der Schubertzeit der Umgang mit großer Sinfonie zu einem äußerst wirkungsvollen Abschluss. Schuberts erste Sinfonie ist mit erstaunlichem Können instrumentiert. Die prakti- hatte sich einige Wochen vor seinem Tode zum Kontrapunktunterricht bei Simon schen Erfahrungen, die Schubert mit dem Konviktsorchester machen konnte, ha- Sechter angemeldet, dem späteren Lehrer Anton Bruckners. Es ist ergreifend, wie ben sich hier schon überall ausgezahlt. Besonders dankbare Aufgaben erhalten die der Komponist ganz am Ende seiner Laufbahn noch einmal zum Schüler werden Holzbläser – ein Zug, der bereits auf die großen Sinfonien der Reifezeit hinweist. wollte. Äußerst verlockend ist, sich vorzustellen, welchen Einfluss eine verstärkte Hinwendung zum Kontrapunkt auf Schuberts Komponieren gehabt haben würde. Über die Existenz von Skizzen zu einer Zehnten Sinfonie von Franz Schubert war Es kam aber nachweislich nur zu einer einzigen Unterrichtsstunde. Dennoch kann lange Zeit nichts bekannt. Eduard von Bauernfelds Hinweis auf eine »Letzte Sinfo- man im Fragment der Zehnten Passagen finden, die Schuberts ernsthaftes Interes- nie« in einem Schubert-Artikel der »Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater se an kontrapunktischen Techniken belegen. und Mode« vom 13. Juni 1829 war unbeachtet geblieben. Erst durch Aktivitäten im Zusammenhang mit der Feier von Schuberts 150. Todestag 1978 wurde fest- Schuberts Fragment ist als Klavierskizze auf zwei Systemen überliefert. Stimmfüh- gestellt, dass Seiten aus einem Konvolut von Sinfonieskizzen eindeutig der letzten rung und Harmonik sind relativ vollständig angegeben. Darüber hinaus gibt es rund Lebenszeit des Komponisten zuzuordnen sind, wahrscheinlich dem Oktober und dreißig Hinweise auf die Instrumentation. Sie zeigen, dass Schubert mit dem großen November 1828. Seitdem hat es mehrere Versuche gegeben, die Sinfonie ganz Orchester der Achten Sinfonie rechnete. Die Verwendung von drei Posaunen hätte oder teilweise zu rekonstruieren. auch den Klang der Zehnten bestimmt: Ausdrücklich vorgeschrieben sind sie an einer besonders eindrucksvollen Passage zu Beginn der Durchführung des ersten Weitgehende Einigkeit besteht darüber, dass die Sinfonie in drei Sätzen geplant war. Satzes, aber auch im Andante geben sie einzelnen Stellen ein feierliches Gepräge. Eine gewisse Vollständigkeit hat aber nur der zweite Satz erreicht, ein Andante in h-Moll. Die Musik dieses Satzes weist Anklänge an die Siebente Sinfonie auf, die be- Brian Newboulds Vervollständigung dieses Andantes hält sich im stilistischen Rah- rühmte »Unvollendete«. Jedoch zeigt sich auch, wie sich Schuberts Komponieren men Schubertscher Musik. Durch Wiederholung einzelner Teile erreicht Newbould seit diesem anderen Fragment entwickelt hat: Zwischen beiden Werken liegt die eine formale Abrundung des Satzes. Die Coda, die Schubert zwar skizzierte, aber »Winterreise«, und auch an den erstarrten Schmerz dieses Liederzyklus‘ erinnert später durchstrich, wird von Newbould wieder angefügt. Es ist kaum zu vermuten, das Andante der Zehnten. Daneben weist es fast choralartige Passagen auf, die wie aus welchem Grund Schubert diese Coda getilgt hat, enthält sie doch einige der Anklänge an katholische Prozessionsmusiken wirken. Ein Einfall, der Schubert erst ergreifendsten Momente seines ganzen sinfonischen Schaffens. in einem späten Stadium des Skizzierens kam, ist eine seraphische Melodie in Fis- Dur, die ein starkes Gegengewicht zur sonst vorherrschenden Melancholie dieses Albert Breier Satzes bildet.

Die Musik des Fragments der Zehnten zeigt einige für Schubert auffällige Züge. Dazu zählt das starke Bemühen um kontrapunktische Durcharbeitung. Schubert KAMMERAKADEMIE POTSDAM ANTONELLO MANACORDA

Markenzeichen der Kammerakademie Potsdam ist ein historisch informiertes wie Antonello Manacorda ist seit 2010 Chefdirigent der Kammerakademie Potsdam so- auch zeitgemäßes Musizieren. Die KAP wird für höchste künstlerische Qualität, wie seit 2011 Chefdirigent des niederländischen Het Gelders Orkest. Außerdem hat musikalische Vielseitigkeit, stilsichere Interpretationen und einen von vitaler Leben- er als Gastdirigent enge Beziehungen zum hr-Sinfonieorchester, zu Helsinki Phil- digkeit geprägten Musizierstil gerühmt. Antonello Manacorda ist seit 2010 Chefdiri- harmonic, zur Tapiola Sinfonietta, zum BBC Philharmonic Orchestra, Sydney Sym- gent des Orchesters der brandenburgischen Landeshauptstadt, zuvor hatten Sergio phony Orchestra und Orchestra della Svizzera Italiana. Des Weiteren arbeitete er Azzolini, Andrea Marcon und Michael Sanderling das Orchester geleitet. 2015 ist die mit dem Scottish Chamber Orchestra, dem Zürcher Kammerorchester, Stavanger KAP in der Kategorie »Ensemble/Orchester des Jahres« mit dem ECHO Klassik für Symphony und Swedish Chamber Orchestra, mit den Hamburger Symphonikern die Aufnahme der Sinfonien Nr. 2 & 4 von Franz Schubert ausgezeichnet worden. und der Staatskapelle Weimar.

Gastspiele führten die Kammerakademie zuletzt nach Istanbul, Wien, Rheinsberg, Manacorda ist auch im Opernbereich sehr präsent: Eine langjährige Verbindung Köln und Dresden, zum Rheingau Musik Festival, den Festspielen Mecklenburg- besteht zum Teatro La Fenice und dem Regisseur . Dort lei- Vorpommern, dem Schleswig-Holstein Musikfestival sowie den Brandenburgi- tete er mehrfach Mozarts Da-Ponte-Zyklus und die »Zauberflöte«. Darüber hinaus schen Sommerkonzerten. Die von der Kammerakademie initiierte Potsdamer Win- dirigierte er Mozarts »Betulia liberata« bei der Kammerakademie Potsdam. Unter teroper in der Friedenskirche Sanssouci ist ein kulturelles Highlight der Region und seinen zukünftigen Engagements finden sich das Opernhaus La Monnaie in Brüssel, war 2015 mit der umjubelten Produktion von Händels »Jephtha« in der Inszenie- das , die Komische Oper Berlin sowie die . rung von Lydia Steier bei den Wiener Festwochen und beim Hamburger Theater Festival zu Gast. Musikvermittlung ist der Kammerakademie Potsdam ein wichtiges Antonello Manacorda war Gründungsmitglied und langjähriger Konzertmeister des Anliegen. Dabei verbindet das Orchester seit 2008 ein besonderes gesellschaftli- . Ein Stipendium der Turiner De Sono Associazione per ches Engagement mit der Stadtteilschule Potsdam-Drewitz. la Musica ermöglichte ihm ein zweijähriges Dirigierstudium bei Jorma Panula in Helsinki. Von 2003 bis 2006 war er künstlerischer Leiter im Bereich Kammermusik Bei Sony Classical erschienen bereits die Aufnahmen mit Schuberts Sinfonien 2 bis an der Académie Européenne de Musique beim Festival in Aix-en-Provence. 8, Haydns Cellokonzerte mit Maximilian Hornung, »Symphonic Klezmer« mit dem David Orlowsky Trio, »Rediscovered Wind Concertos« von J. S. Bach mit Sergio Azzolini, Werke von Schostakowitsch unter der Leitung von Michael Sanderling und »Folia« mit Nils Mönkemeyer.