Temporäres Wohnen in München

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Temporäres Wohnen in München Standpunkte Online-Magazin 5.2019 Temporäres Wohnen in München PATRIC MEIER Unser Wohnraum wird immer teurer und knapper 2 ANDREA DITTRICH-WESBUER, SEBASTIAN EICHHORN, MARTIN SCHULWITZ On the move? 4 STEFAN BRAUCKMANN Angebote und Zielgruppen 8 MICHAELA SCHIER Y Heute hier, morgen dort. 10 ABA X I STEPHAN HADRAVA © P oto Hotel Mama oder: von Couch zu Couch 14 F SOPHIE PLESSING, STUDENTENWERK MÜNCHEN Mehr als eine Unterkunft 16 Liebe Leserin, lieber Leser, Wohnen an mehreren Orten und auf Zeit – multilokal und tempo- JOHANNES ERNST rär – ist das Schwerpunktthema dieser STANDPUNKTE-Ausgabe Über Bandbreiten und Rückeroberungen 18 im Mai. Das „moderne“ Arbeitsleben verlangt in vielen Tätigkei- ten Beschäftigungseinsätze an unterschiedlichen Orten außerhalb JÜRGEN SCHMUDE des eigenen Wohnsitzes – manchmal für Tage, Wochen, Monate Airbnb in München – ein überschätztes Problem? 20 oder gar mehr, und oftmals weit entfernt. Familiäres Zusammen- ELIF BEINER leben und soziale Beziehungen leiden darunter, zerbrechen gar, Ein paar Monate, ein halbes Jahr oder eben doch Jahre? 21 und sortieren sich neu – bilden Patchwork-Familien, vervielfäl- tigen Haushalte und erhöhen in der Summe den Wohnbedarf. So AKIN ÖZTÜRK ist temporäres Wohnen auch Ausdruck für die sich ausdifferenzie- Temporäres Wohnen kann bleibenden Schaden anrichten 22 renden Arbeits-, Ausbildungs- und Lebensformen. Einige sagen SEBASTIAN ZAHN euphemistisch „Individualisierung“ dazu, wo es sich doch eher Temporäres Wohnen zur Einschüchterung 24 um die Auflösung sozialer und gesellschaftlicher Zusammenhän- ge handelt. Wie auch immer: All dies benötigt zusätzlichen Platz JÖRN SCHEUERMANN fürs Arbeiten, fürs Wohnen und die vielen Wege dazwischen. Un- „Temporäres Wohnen“ von Menschen in Obdachlosigkeit 26 ser Themenheft „Temporäres Wohnen“ beschreibt einige dieser Ausdrucksformen und ihre Folgen für das Leben in der Stadt und WOLFGANG CZISCH München – zu Fuß! 28 anderswo. Wir berichten ferner über den Kampf um den Individualver- WOLFGANG CZISCH kehr-minimierten, Fuß- und Radverkehr-freundlichen Isarboule- Das Verkehrsgutachten „Stadt und Fluss“ verhindert den vard und greifen weitere Themen auf. Wie immer hoffen wir auf Isarboulevard! 32 eine Leserschaft, die sich kritisch – so oder so – mit dem Heft auseinandersetzt und uns entsprechende Rückmeldungen zukom- MICHELLE ANDERSOHN, LAURA BRENNER Spontandemo für den Isarboulevard 34 men lässt. Detlev Sträter, 1. Vorsitzender des Programmausschusses BERNADETTE FELSCH Direkte Demokratie für besseren Radverkehr und schönere Städte 35 MICHAEL SCHNEIDER Berichtigungen und Klarstellungen 43 Alles andere als abgehoben 38 Arbeitskreise im Mai 46 WOLFGANG CZISCH Forum aktuell auf LoRa Fraktionszwang – Wider besseres Wissen! 41 Impressum KLAUS BÄUMLER Freiherr vom Stein und die Arkaden der Alten Akademie 42 Temporäres Wohnen in München Unser Wohnraum wird immer teurer und knapper PATRIC MEIER Wie geht Wohnen? Wann wohnen wir? Was ist Wohnen? Und was ist überhaupt temporäres Wohnen? Wenn ich auf einem Stuhl sitze, wohne ich dann? Oder muss ich dafür auf einem Sofa liegen? Beine hoch. Wenn ich einen Kaffee in meiner Küche zubereite, wohne ich dann schon? Was macht eine Küche zu einer Wohnküche? Wenn ich dort mehr tun kann als nur einen Kaffee zu kochen, sondern diesen auch zu trinken, im Sitzen. as mich umtreibt, sind diese Fragen, weil sie dafür verantwortlich, dass der Raum zum Wohnen Wuns bewusst machen, dass die persönlichen insbesondere in unseren Städten immer rarer und da- Vorstellungen davon, wie Wohnen geht, individuell mit immer teurer wird. Die Stadt München verkauft sehr unterschiedlich sind. Manche Menschen wollen städtische Grundstücke nur noch mit klar begrenzten sich auch über ihre Art des Wohnens repräsentieren, Wohnungsgrößen für die Anzahl der dort lebenden was sie im Leben erreicht haben. Sie können oder Menschen. Diese Vorgaben gehen davon aus, dass wollen sich diesen Raum leisten – überflüssigen es klar definierte Familiengrößen gibt, die auf Jahre Raum? Aber kann oder will sich das noch eine Stadt festgeschrieben sind. Fakt ist jedoch, dass alles zu- leisten? „Opernwohnungen“, die vielleicht zweimal nehmend im Fluss ist. Personell wie räumlich. im Jahr genutzt werden? Andere Menschen sind Eine Lösung unseres Wohnproblems jenseits extrem bescheiden und zufrieden mit einem Bett für städtischer Nachverdichtungen und endloser Ausdeh- die Nacht und einer Möglichkeit, auf die Toilette zu nungen der Speckgürtel kann in meinen Augen in der gehen und sich zu waschen. Das alles ist Wohnen. Mehrfachnutzung bzw. der „Ent-Individualisierung“ Wohnen ist heute nicht mehr das, was es früher einmal war. Die Zeiten, wo man an dem Ort, an dem man geboren wurde, auch den Lebensabend verbrachte, sind längst Geschichte. Die Anzahl der Wohnsitze eines Einzelnen ist entsprechend der zunehmenden Flexibilität und der Individualisier- ung unserer Lebensläufe extrem angestiegen. Zu diesem Phänomen gesellt sich seit geraumer Zeit ein anderes: Das multilokale Wohnen, auch temporäres Wohnen genannt. Wohnen also nicht nur an einem Ort, sondern an verschiedenen Orten gleichzeitig. Unter der Woche tingeln wir durch die globalisierte Arbeitswelt, das Wochenende verbringen wir dann auf dem Landsitz, bei den zu pflegenden Eltern, bei unseren beim anderen Elternteil lebenden Kindern ER oder bei unserer Wahlverwandtschaft. Wir arbeiten N an Projekten auf Zeit, nehmen uns bewusst Auszeiten tadtpla oder unternehmen lange Reisen. N + S Den ökologischen Wahnsinn der daraus resultie- renden ressourcenfressenden Mobilität will ich an RCHITEKTE A dieser Stelle bewusst außer Acht lassen – ein eigenes MM G weites Feld. Ich will mich hier auf die mit unserer A © neu gewonnenen Flexibilität und Freiheit einherge- oto F hende Verschwendung von Raum konzentrieren. Abb. 1: Laubengang beim Baugemeinschafts-Wohnprojekt „ge- Nicht zuletzt diese ist neben anderen Faktoren meinsam größer II“ am Prinz-Eugen-Park in München Mai 2019 - 2 von Wohnräumen liegen. Ein Raum ist für die Zeit Unsere Raumreserven sind endlich, und einer bereits meiner Nutzung mein Raum, danach wird diese existierenden räumlichen Dichte muss auch eine Hülle ein Raum für einen anderen Menschen. Im Nutzungsdichte folgen. Arbeitsbereich kennen wir diese Art der gemeinsa- Vielleicht ist es an der Zeit, über eine „Bescheiden- men Nutzung von Räumen bereits. Der Bereich des heit des Privaten“ nachzudenken. Reduzierte Indivi- Wohnens wird sich in eine ähnliche Richtung entwi- dualflächen und größere bis opulente Begegnungs- ckeln wie der des Arbeitens. Nach dem Desksharing zonen, die gemeinsame Aktivitäten ermöglichen bei kommt das Roomsharing. gleichzeitiger Achtung eines individuellen Schutz- Der Wohnungsmarkt würde sich deutlich entspan- raums. Sieht man sich z.B. die Gemeinschaftsflächen nen, wenn wir bereit wären, unsere Wohnungen nicht beim Wohnprojekt Kalkbreite in Zürich an, dann alleine zu nutzen. Denn um rentabel zu sein, müssen drängen sich Vergleiche mit der Großzügigkeit einer unsere Immobilien in ihrer Gänze genutzt werden. Hotellobby geradezu auf. Nicht nur am Wochenende, nicht nur in einer be- Selbstverständlich ist hierfür ein anderes Mitein- stimmten Lebensphase. ander notwendig. Neue Gemeinschaften, die Werte Im gewerblichen Bereich des Wohnens – der teilen und deshalb auch bereit sind, Räume und Hotellerie – ist diese Entwicklung bereits im vollem Nutzungen zu teilen. Gange. Appartementhäuser und Boardinghäuser Aus diesen Überlegungen und Überzeugungen her- sprießen wie Pilze aus dem Boden. Aber wie können aus haben wir im vergangenen Jahr eine Genossen- wir im privaten Wohlfühlwohnen auf diese Tendenz schaft gegründet, mit dem programmatischen Namen reagieren? Wer will schon regelmäßig in einem VielLeben eG. Diese hat sich vorgenommen, dieser anonymen Boardinghouse absteigen, wenn er nicht neuen Lebenswirklichkeit Raum zu geben. Als ein unbedingt muss? interdisziplinäres Team aus Geografen, Historikern, Urbanisten, Journalisten und Architekten sind wir im Ge- spräch mit Gemeinden und Kommunen, die Interesse an einer Weiterentwicklung des Begriffs des Wohnens haben. Das temporäre Wohnen, das für viele mit Anonymität und Seelen- losigkeit verbunden wird, könnte so seinen Schrecken verlieren und stattdessen eine echte Bereicherung für unser Leben werden. Viel- CHOPP leicht kann auf diese Weise S sogar ein Gefühl von Heimat OLKER entstehen. Heimat bezogen © V © oto weniger auf den Herkunfts- F Abb. 2: Lobby des Wohnprojekts Kalkbreite in Zürich ort, sondern auf die vertrau- ten Menschen, denen man an diesen Orten (wieder-) Im März diesen Jahres hat die Landeshauptstadt begegnet und mit denen man ein Stück seines Lebens München ein Projekt ausgeschrieben mit dem bzw. Wohnens teilt. Namen „Implementierung von nachhaltigen Lebens- lang-Grundrissen“. Sie schreibt hierzu: „Die jewei- Patric F.C. Meier ist Gesellschafter von agmm Architekten und ligen Raumgrößen, Raumanordnungen, WCs und Stadtplaner in München. Das Büro sieht sich als Ermöglicher Bäder sind für viele der genannten Lebensabschnitte von sinnstiftenden Gemeinschaftsprojekten im urbanen und nicht geeignet. Deswegen verbleiben auch viele ländlichen Raum. Er ist Vorstand der VielLeben eG, einer neu gegründeten Wohnungsbaugenossenschaft und leitet den Personen in größeren unterbelegten Wohnungen, was Arbeitskreis Nachhaltige Quartiersentwicklung im Münchner zur Zunahme der pro Person belegten Wohnflächen Forum gemeinsam mit Cornelia Jacobsen. und zu hohen Energieverbräuchen und Kosten führt.“ Somit ist auch in der Stadtpolitik die Erkenntnis
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