Sidney Corbett Im Oktober 2001 Foto: Jörg Landsberg, Bremen
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Oldenburgische Beiträge zu Jüdischen Studien Band 21 Oldenburgische Beiträge zu Jüdischen Studien Schriftenreihe des Studiengangs Jüdische Studien in der Fakultät IV der Carl von Ossietzky Universität Band 21 Herausgeber Aron Bodenheimer †, Michael Daxner, Kurt Nemitz, Alfred Paffenholz †, Friedrich Wißmann mit dem Vorstand des Studiengangs Jüdische Studien und dem Dekan der Fakultät IV Mit der Schriftenreihe „Oldenburgische Beiträge zu Jüdischen Studien“ tritt ein junger Forschungszweig der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg an die Öffentlichkeit, der sich eng an den Gegenstand des Studienganges Jüdische Studien anlehnt. Es wird damit der Versuch unternommen, den Beitrag des Judentums zur deutschen und europäischen Kultur bewusst zu machen. Deshalb sind die Studiengebiete aber auch die Forschungsbereiche interdisziplinär ausgerichtet. Es sollen unterschiedliche Themenkomplexe vorgestellt werden, die sich mit Geschichte, Politik und Gesellschaft des Judentums von der Antike bis zur Gegenwart beschäftigen. Ein anderes Hauptgewicht liegt auf der biblischen und nachbiblischen Religion. Ergän- zend sollen aber auch solche Fragen aufgenommen werden, die sich mit jüdischer Kunst, Literatur, Musik, Erziehung und Wissenschaft beschäftigen. Die sehr unterschiedlichen Bereiche sollen sich auch mit regionalen Fragen befassen, soweit sie das Verhältnis der Gesellschaft zur altisraelischen bzw. Jüdischen Religion berühren oder auch den Antisemitismus behandeln, ganz allgemein über Juden in der Nordwest-Region informieren und hier auch die Vernichtung und Vertreibung in der Zeit des Nationalsozialismus behandeln. Viele Informationen darüber sind nach wie vor unberührt in den Akten- beständen der Archive oder auch noch unentdeckt in privaten Sammlungen und auch persönlichen Erinnerungen enthalten. Diese Dokumente sind eng mit den Schicksalen von Personen verbunden. Sie und die Lebensbedingun- gen der jüdischen Familien und Institutionen für die wissenschaftliche Geschichtsschreibung zu erschließen, darin sehen wir eine wichtige Aufgabe, die mit der hier vorgestellten Schriftenreihe voran gebracht werden soll. Die Herausgeber Sidney Corbett im Oktober 2001 Foto: Jörg Landsberg, Bremen Barbara Busch (Hrsg.) Sidney Corbett Einblicke in sein kompositorisches Schaffen BIS-Verlag der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Oldenburg, 2011 Verlag / Druck / Vertrieb BIS-Verlag der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Postfach 2541 26015 Oldenburg E-Mail: [email protected] Internet: www.bis-verlag.de ISBN 978-3-8142-2256-1 Inhalt Michael Daxner Vorwort 9 Barbara Busch Einführung 11 Biografische Notizen 15 Sidney Corbett im Gespräch mit Barbara Busch 21 Sidney Corbett Ortung und Abschied 41 Sidney Corbett Schreitet die Musik fort? Gedanken zur Lage der heutigen Musik 49 Sidney Corbett Die amerikanische Neue-Musik-Szene. Subjektiver Überblick eines Komponisten 55 Sidney Corbett Das Dunkel ergründen. Strategien beim Umgang mit Text als musikalische Morphologie 69 Briefwechsel von Sidney Corbett mit Christoph Hein Ein „Arbeitstagebuch” zur Oper Noach 101 Hubertus Dreyer Portrait Sid Corbett 231 Ingrid Allwardt „… und alles ist Gesang”. Fractured Eden. Phänomenologische Betrachtungen eines Streichquartetts 267 Werkverzeichnis 281 Anschriften der Verlage 313 Diskografie 315 Schriften von und über Sidney Corbett 317 Personenregister 319 Glossar zum Personenregister 330 Autorinnen und Autoren 347 8 Vorwort Gegenwart, reine Gegenwart. Selten geworden in der Not und Notwendig- keit, an jüdischer Geschichte und Beweissicherung auszugraben, zu retten, zu kommentieren, in die Gegenwart einzubringen, was immer nur möglich ist. Um zu beweisen, dass es nicht nur die Shoa ist, aus der sich das europäische Judentum erklärt und neu beschreibt; dass die Zeit vor der Shoa noch lange keine Kontinuität im Verhältnis von jüdischen und nicht-jüdischen Um- gebungskulturen, aber auch Beziehungen erlaubt; um sich im „neuen“ jüdi- schen Leben zu beweisen, das sich unwiderruflich aus der Opferrolle ent- fernt. Judäozentrische Archäologie hat auch ihre Probleme, sicher hat sie ihren Sinn an der Schwelle einer weiteren Stufe der Historisierung. Was aber hier vorliegt, ist so gänzlich anders. Barbara Busch und ihre Mit- autoren lassen einen Komponisten und Intellektuellen sprechen und zeigen ihn in einem Kontext zeitgenössischer Kunst – ihren Bedingungen, ihrer Produktion. Das ist kein internationaler Künstler, sondern ein globaler: Wenn Sidney Corbett Einblicke in sein kompositorisches Schaffen gibt und erhält, dann geschieht das nicht mehr Prätext der Frage, ob er ein jüdischer Künst- ler, ein christlicher, ein amerikanischer oder ein deutscher Komponist sei. Jüdisch-katholisches Elternhaus erzeugt noch lange keine jüdisch-christliche Leitkultur; wer sich nicht religiös definiert, kann trotzdem glauben und sich zu seiner/n Religion(en) und zur Theologie hingezogen fühlen. Barbara Busch, Hubertus Dreyer, Ingrid Allwardt geben uns ein dichtes Bild, das dem Titel des Bandes entspricht. Natürlich kann man die zentrale Rolle der produktiven Freundschaft mit Christoph Hein auch ausdeuten in Rich- tung auf Gemeinsamkeiten und Inkongruenzen, natürlich kann man kulturge- schichtliche, jüdische, europäische, christliche Mutmaßungen anstellen dar- über, was sich im Schaffen von Corbett ausdrückt. Aber, und das erscheint mir wichtiger, man kann auch diesen Kompositeursbericht lesen und dazu die Musik sich anhören und etwas darüber lernen, wie heute – heute, nicht vor dreißig Jahren – komponiert werden kann; wie sich einer von klassischer 9 Avantgarde distanzieren muss, um Avantgarde zu sein, wie jemand aus- gerechnet Chagall als Leitmotiv wählen kann, ohne immer etwas von ihm gehalten zu haben. Und hierin liegt ein besonderer Wert dieses Buches: Es zeigt eine Schnittfläche mit dem jüdischen Diskurs, eine von vielen an- schlussfähigen Oberflächen, die zusammen eine Person ausmachen. Als wir die Oldenburgischen Beiträge zu Jüdischen Studien begründeten, gab es Anlass zur Hoffnung auf ein reiches Leben dieser Jüdischen Studien. Die befinden sich noch in ihrer Adoleszenz, aber ich sage angesichts gerade der Reihe und dieses Buches keineswegs „leider“. Vielleicht kommt erst die Zeit jenseits des Nachkriegs- und Post-Shoa-Historismus, die sich eben der Berührung der Oberflächen komplexer Textkörper mit der einen, jüdischen Nachbarfläche widmen können. Barbara Busch fragt in ihrem langen Interview nach dem Fortschritt, dem Fortschreiten in der Musik. Meine Assoziation bei dem kurzen Antwort- paragrafen war sofort Ernst Bloch, dessen Fortschrittsgedanken auch eine Jüdische Dimension haben: Ins Exil zu entkommen, ist ebenso Fortschritt, wie aus ihm heraus weiterhin der Heimat in Demokratie zuzustreben und da- mit viele Unfreiheiten hinter sich zu lassen. Ich sehe einen Fortschritt in der Leichtigkeit, die Corbett ausstrahlt, die weder als zu leicht noch als leicht- fertig abgetan wird, die aber auch nicht von der deutschen Tiefe beschädigt wird, die so viel Produktives vermindert. Ich höre mich leicht hinein, wie ich mich leicht in dieses Buch lese. Michael Daxner Oldenburg, im Januar 2011 10 Einführung Musik ist auch eine theologische Ange- legenheit. Nicht wahr? Ich habe Musik in meinem Kopf, Du nicht! Warum? Woher kommt diese Stimme? Ich habe eine innere Vorstellung von Musik und dieser Vor- stellung jage ich nach. Sidney Corbett (1999) Der eigenen inneren Stimme zuhören und ihr folgen – an diesem Grundsatz orientiert sich der 1960 in Chicago geborene Komponist Sidney Corbett. Diesem Gedanken ist er – trotz aller personalstilistischen Veränderungen im Laufe der Zeit – treu geblieben. Der vorliegende Band ermöglicht Einblicke in die Gedankenwelt Corbetts und will auf diesem Wege zum einen Grund- lagen schaffen für die weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit seinem kompositorischen Œuvre und zum anderen Anregungen geben für die interpretatorische Arbeit. Die Publikation wird eröffnet mit biografischen Notizen, die zugunsten der Übersichtlichkeit bewusst kurz gefasst sind. Sie konnten zudem knapp formuliert werden, weil ein im Auftrag des Bayerischen Rundfunks geführtes Interview mit Sidney Corbett folgt, in dem umfangreiche autobiografische Betrachtungen neben Hintergrundinformationen zum eigenen Schaffen und zu allgemeinen musikästhetischen Reflexionen stehen. Diesem Interview folgen vier Texte, die Corbett zwischen 1993 und 2007 verfasst hat. Ortung und Abschied ist zum einen eine künstlerische Stand- ortbestimmung aus dem Jahre 2007, mit der in gewisser Weise auch jene Lücke geschlossen wird, die zwischen 1999, als Corbett das oben genannte Interview gab, und der Gegenwart liegt. Auf der anderen Seite liest sich der Text als Hommage an György Ligeti – dem wohl wichtigsten Lehrer Corbetts. 11 Es gibt zwei Themen, die sich wie ein roter Faden durch Corbetts musik- ästhetisches Denken und Handeln ziehen. Neben Überlegungen zum Phäno- men der Schönheit steht die kritische Reflexion des Fortschritt-Gedankens. In seinem 1993 formulierten Beitrag Schreitet die Musik fort? Gedanken zur Lage der heutigen Musik fragt er, ob der Begriff Fortschritt in musikalischem Zusammenhang überhaupt sinnvoll angewandt werden kann und ob Fort- schrittlichkeit tatsächlich ein Merkmal für die Qualität zeitgenössischer Mu- sik ist. Ohne den engen Kontakt zu seiner US-amerikanischen Herkunft jemals auf- gegeben zu haben, lebt Corbett seit 1985 in Deutschland. Vor diesem Hinter- grund verfasste er 1998 als intimer Kenner sowohl der nordeuropäischen als auch nordamerikanischen Musikszene einen