2. JULI BIS 16. AUGUST 2020 ENDLICH WIEDER KINO! Höhepunkte des Films aus der Sammlung des Österreichischen Filmmuseums

www.filmmuseum.at

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Willkommen im Österreichischen Filmmuseum

Das Österreichische Filmmuseum widmet sich seit 1964 der Samm- lung, Bewahrung, Erforschung und Vermittlung des Mediums Film in all seinen Aspekten. Das beinhaltet ganz zentral die Ausstellung und Vermittlung von Film – als Kunstform, Kulturtechnik und Zeitdokument – in unserem Kinosaal, dem »Unsichtbaren Kino« in der Albertina. Wir zeigen Werke aus der Geschichte des Films grundsätzlich im jeweiligen Originalformat und in den weltweit bestmöglich erhalte- nen Filmkopien (35mm bzw. 16mm). Werke, die ursprünglich auf Video bzw. digital hergestellt oder präsentiert wurden, werden digi- tal projiziert. In seltenen Fällen präsentieren wir auf Film hergestellte Werke digital: Dies geschieht jeweils aus kuratorischen oder konser- vatorischen Gründen und wird speziell ausgewiesen. Filme werden bei uns grundsätzlich in ihrer originalen Sprachfas- sung gezeigt und gegebenenfalls untertitelt. Für unsere internationa- len Gäste weisen wir Vorführungen in englischer Sprache bzw. Unter- titelfassung gesondert aus.

INHALT

Allgemeine Informationen 2 COVID-19 Maßnahmen FAQ 3 Endlich wieder Kino! Höhepunkte des Films aus der Sammlung des Österreichischen Filmmuseums 5 Spielplan. Alle Filme von 2. Juli bis 16. August 2020 28 Impressum 29 Innerhalb eines Themas sind die Filme in der Reihenfolge ihrer Programmierung geordnet.

ABKÜRZUNGEN R Regie B Drehbuch K Kamera S Schnitt M Musik D Darsteller UT Untertitel • Veranstaltungen mit Gästen oder Einführungen ★ English language or subtitles fm201920_Sommerkino_KernRZ.qxp_Layout 1 09.06.20 13:52 Seite 2

ALLGEMEINE INFORMATIONEN

SPIELORT/VEREINSSITZ 1010 Wien, Augustinerstraße 1 TICKETS Kassaöffnungszeiten: geöffnet nur an Spieltagen ab 18 Uhr. Ab 30 Minuten vor Beginn werden nur mehr Karten für die unmittelbar bevorstehende Vorführung verkauft. Einzelkarte für Mitglieder sowie Kinder und Jugendliche bis 18: 6 Euro Ermäßigung für Studierende mit Mitgliedschaft: 5 Euro Zehnerblock (für Mitglieder): 45 Euro Einzelkarte inklusive Gastmitgliedschaft: 10,50 Euro Jahresmitgliedschaft: 13,50 Euro Partnermitgliedschaft: 23 Euro Informationen zur Fördernden Mitgliedschaft auch auf unserer Website www.filmmuseum.at RESERVIERUNGEN T +43/1/533 70 54 oder www.filmmuseum.at. Reservierte Karten müssen spätestens 30 Minuten vor Beginn der jeweiligen Vorstellung abgeholt werden. BÜRO/BIBLIOTHEK 1010 Wien, Hanuschgasse 3, Stiege 2, 1. Stock Bibliothek und Videosichtungsplatz für Studienzwecke: aktuelle Informationen entnehmen Sie bitte der Website www.filmmuseum.at Büro: Mo bis Do 10–18 Uhr, Fr 10–13 Uhr, T 01/533 70 54, E-Mail [email protected] SAMMLUNGEN 1190 Wien, Heiligenstädter Straße 175 (Hof), T 01/533 70 54 -232

FÖRDERNDE MITGLIEDSCHAFT Unsere Fördernden Mitglieder tragen dazu bei, dass das Österreichische Filmmuseum auch in Zukunft zu den weltweit führenden Cinémathèquen zählt und die Qualität seiner Arbeit beibehalten kann. Als Freund*innen des Filmmuseums erhalten Sie u. a. Einladungen zu speziellen Veranstaltungen, Freikarten an bestimmten Tagen und 20 Prozent Ermäßigung beim Erwerb von Publikationen, DVDs und anderen Produkten des Hauses. Fördernde Mitgliedschaft: ab 60 Euro (Beitrag pro Kalenderjahr) Fördernde Partnermitgliedschaft: ab 100 Euro (Beitrag pro Kalenderjahr) Ihre Vorteile als Freund*in des Filmmuseums finden sie unter: filmmuseum.at/partnerschaften/freund*innen_des_filmmuseums BITTE UNTERSTÜTZTEN SIE UNS! Wenn auch Sie Förderndes Mitglied werden möchten, können Sie die Mitgliedschaft einfach und direkt an der Kassa des Filmmuseums (Augustinerstraße 1, 1010 Wien) lösen oder online beantragen. Sie erhalten in Folge ein E-Mail mit unseren Kontodaten und weiteren Informationen. fm201920_Sommerkino_KernRZ.qxp_Layout 1 09.06.20 13:52 Seite 3

COVID-19 MASSNAHMEN Häufig gestellte Fragen

Stand: 8. Juni 2020. Änderungen seit Drucklegung des Programmhefts werden online bekanntgegeben: www.filmmuseum.at/besuch/covid-19_massnahmen_faq

WELCHE MASSNAHMEN TRIFFT DAS FILMMUSEUM, UM EINEN SICHEREN BESUCH ZU ERMÖGLICHEN? Um Ihre Sicherheit zu gewährleisten, bündeln wir einige Maßnahmen: → Reduzierte Personenanzahl in allen Publikumsbereichen → Erhöhte Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen → Schutzvorrichtung an der Kassa → Handdesinfektionsmittel im Eingangsbereich → Durchgängige Abstandshinweise → Unterweisung aller Mitarbeiter*innen in Sachen Hygiene- und Abstandsregeln

WIE KOMME ICH ZU MEINEN EINTRITTSKARTEN? Ab Mitte Juni können Tickets über unsere Homepage sowie per Tele- fon reserviert werden. Der Verkauf erfolgt ab 1. Juli unter Einhaltung aller Abstandsregeln an der Kassa in unserem Foyer.

IST EIN ONLINE-KAUF MÖGLICH? Leider ist derzeit noch kein Vorverkauf über unsere Website möglich. Wir arbeiten an einer Lösung. Bis dahin ersuchen wir Sie, Ihre Tickets wie gewohnt zu reservieren (s.o.).

GILT DIE MITGLIEDSCHAFT AUCH FÜR DAS SOMMERKINO? Ja, Ihre Mitgliedschaft gilt selbstverständlich auch für unser Sommer- kino. Sie erhalten als Mitglied Tickets zum reduzierten Preis von 6 Euro (5 für Studierende).

KÖNNEN NEUE MITGLIEDSCHAFTEN ABGESCHLOSSEN WERDEN? Sollten Sie noch nicht Mitglied im Österreichischen Filmmuseum sein, können Sie Ihre Mitgliedschaft (13,50 Euro regulär, 23 Euro für die Partnermitgliedschaft) jederzeit an unserer Abendkassa lösen oder über unsere Website beantragen.

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WIRD ES FÜR FÖRDERNDE MITGLIEDER SPEZIELLE ANGEBOTE GEBEN? Für unsere Fördernden Mitglieder (freie Spende ab 60 Euro bzw. ab 100 Euro für die Fördernde Partnermitgliedschaft) planen wir eigene Screenings im Herbst. Nähere Informationen erhalten Sie zeitnah in einem persönlichen Schreiben.

VERFÜGT DAS UNSICHTBARE KINO ÜBER EINE KLIMAANLAGE? Unsichtbar und lautlos wird unsere im Juni neu installierte Klima- anlage für ein angenehmes Ambiente sorgen. Um einen sicheren Betrieb unserer Raumlüftungsanlage zu gewährleisten, orientieren wir uns streng an den behördlichen Empfehlungen.

WIE SIEHT DER VERÄNDERTE SITZPLAN AUS? Um Ihnen einen bedenkenlosen Besuch zu ermöglichen, werden Sitze zwischen den Besucher*innen vorläufig frei bleiben.

BLEIBT ES BEI DER FREIEN PLATZWAHL? Ja, die freie Platzwahl bleibt aufrecht. Einzelne Sitzplätze werden, um den empfohlenen Mindestabstand garantieren zu können, als ge- sperrt markiert. Wir bitten Sie ausschließlich auf solchen Stühlen Platz zu nehmen, die entsprechend gekennzeichnet sind.

MUSS ICH EINEN MUND-NASEN-SCHUTZ BEIM BESUCH DES FILMMUSEUMS TRAGEN? Nach aktuellem Stand (8. Juni 2020) ist das Tragen eines Mund- Nasen-Schutzes nicht zwingend vorgeschrieben. Aber wir freuen uns, wenn Sie aufeinander achtgeben.

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2. JULI BIS 16. AUGUST 2020 Endlich wieder Kino! Höhepunkte des Films aus der Sammlung

des Österreichischen Filmmuseums

Alyonka (1961, Boris Barnet) Innerhalb weniger Tage nach Einführung der Social-Distancing- Maßnahmen geschah etwas Bemerkenswertes: Massenhaft und in Windeseile erfanden sich kommerzielle wie gemeinnützige Filmver- leiher, Kinos und Festivals als Streaming-Anbieter neu. Dass dieser Übergang so schnell und reibungslos gelang, verdeutlicht wie sehr die durch die Pandemie hervorgerufene »Krise des Kinos« nur der traurige Höhepunkt eines länger anhaltenden und umfassendereren Trends ist. Seit Jahren leeren sich die Kinosäle zugunsten anderer For- men des Filmschauens, und gilt das »Heimkino« als »bequemere« (und dadurch angeblich »bessere«) Art, Filme zu konsumieren. Mit dem Coronavirus wurde diese Einstellung – zumindest auf Zeit – zur einzig möglichen und zulässigen. Spätestens jetzt sollte jedes Filmmuseum erkannt haben, dass un- sere eigentliche Daseinsberechtigung nicht allein im Sammeln, Be-

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wahren und Präsentieren von Filmen liegt, sondern vielmehr im Erhalt und der Pflege einer Idee von Öfentlichkeit im Sinne des lateinischen publicum. Denn das Publikum ist mehr als bloß eine Masse anonymer Konsument*innen: Es sind Menschen, die sich an einem besonderen Ort zusammenfinden, wo das Aufeinandertrefen von kollektiver Neugier und Kunstwerken ein gemeinschaftliches Erleben ermög- licht. Filmmuseen tragen – wie andere nicht-kommerzielle, auf das Gemeinwohl ausgerichtete und öfentlich geförderte Einrichtungen – dazu bei, in einer zunehmend von Privatisierung und Kommerziali- sierung geprägten Welt die Idee und Erfahrung eines »öfentlichen Raums« zu erhalten. Soviel zur Theorie. Aber man muss diese Haltung auch praktizieren: »In Wirklichkeit genügt es nicht zu wollen, man muss wollen wollen«, um mit Jean-Paul Sartre zu sprechen. Wenn Sie so wollen, zeigt sich hierin der Unterschied, ob man im Halbschlaf auf der Couch »Klicken Sie hier für den nächsten Film« drückt, oder sich aufraft, um gemein- sam mit anderen Menschen einen Film auf der Kinoleinwand zu sehen. Und wenn Sie dieses Programm in Händen halten, sind Sie ofen- bar gewillt zu wollen! Wir haben daher ein besonderes Filmpro- gramm zusammengestellt, um im neu klimatisierten »Unsichtbaren Kino« und unter Einhaltung der notwendigen Sicherheitsmaßnah- men endlich wieder »Kino« erleben zu können. Während wir sonst für unsere Retrospektiven auf Filmkopien aus aller Welt zurückgreifen, erlaubt Ihnen unser Sommerprogramm einen Blick in unser eigenes Archiv (mit Ausnahme eines Grußes aus dem Londoner BFI). In der Auswahl sehen Sie einige der besterhaltenen und schönsten Vorführ- kopien aus unserer Sammlung: von kanonischen Klassikern des Spiel- und Dokumentarfilms bis zur Avantgarde, wo wir den unlängst ver- storbenen Bruce Baillie mit einem Double Feature würdigen. Manche der gezeigten Filme sind Restaurierungen des Filmmu- seums (wie die Premiere von James Bennings Grand Opera); andere konnten mit Hilfe unserer Fördernden Mitglieder und Filmpat*innen erworben werden. Wenn Sie unsere Arbeit – gerade in auch wirt- schaftlich schwierigen Zeiten – dahingehend unterstützen wollen, freuen wir uns auf ein Gespräch! In jedem Fall aber wünschen wir Ihnen einen schönen Sommer im Österreichischen Filmmuseum, bevor wir Ihnen im Herbst Highlights der durch die Schließung aus- gefallenen Programme der letzten Saison präsentieren. (Jurij Meden/ Michael Loebenstein)

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Belle de jour (Schöne des Tages) R: Luis Buñuel B: Luis Buñuel, Jean-Claude Carrière nach dem Roman von Joseph Kessel K: Sacha Vierny S: Louisette Hautecoeur D: Catherine Deneuve, Jean Sorel, Michel Piccoli. FRA/ITA, 1967, 35mm, Farbe, 99 min. Französisch mit dt. UT Die bürgerliche Frau, wandelnd voll Verlangen und schaudernder DONNERSTAG Neugierde im perversen, komischen, furchtbaren Garten der Lüste. 2.7. / 20.00 Der Schlüssel, der ihr Zugang zum sexuellen Labyrinth verschaft, ist In Kooperation die Tatsache, dass sie ihre Außenwelt in jene zwei Teile separiert, in mit der Spanischen die ihre Innenwelt zerbrochen ist: Am Tag ist sie Hure, in der Nacht lie- Botschaft in Wien bende Gattin. Was ihn an Filmen bewege, so Luis Buñuel, sei die Mög- lichkeit, ein Fenster zum Wunderbaren zu öfnen. In Belle de jour er- weitert sich sein subversives Verfahren auf die Keuschheit und die sarkastische Abkürzung, mit denen er distanziert Abgründe schildert. Entwafnend, schwerelos, vieldeutig das Ineinanderspiel von Traum und Realität, das den Grenzziehern die Arbeit erschwert. Denunziert Buñuel oder huldigt er? Ein Fallenwerk in Pastell. Das System der Ver- bote und Sehnsüchte, ausgemalt von seinem besessensten Kritiker und freiesten Chronisten. (H.T.)

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Gentlemen Prefer Blondes R: Howard Hawks B: Charles Lederer nach dem Theaterstück von Anita Loos & Joseph Fields K: Harry J. Wild M: Lionel Newman S: Hugh S. Fowler D: Jane Russell, Marilyn Monroe, Charles Coburn, Marcel Dalio, Tommy Noonan. USA, 1953, 35mm, Farbe, 91 min. Englisch ★ François Trufaut, 1954: »Das ist alles andere als zynische und liebens- FREITAG würdige Unterhaltung: es ist ein böses, intelligentes, unerbittliches 3.7. / 20.00 Werk.« Howard Hawks bietet dem Kinovoyeur ein herzerwärmendes Restaurierte Wunschtraumerlebnis: zwei in Bein und Busen inkarnierte Sexsym- Fassung bole, zusammengespannt in einem Musikmärchen in den knallbun- ten Farben von Technicolor. Jane Russell (»the hawksian woman«) als netzbestrumpfter John Wayne, Marilyn Monroe (»the anti-hawksian woman«) als wogender, liebreizend-dummer Walter Brennan. Aber die nymphomane Brünette, umschwirrt von zwanzig Bizeps rollen- den Athleten im Slip, liebt Muskeln, die frigide Blonde ist über den Umweg debiler Millionäre nur auf Diamanten fixiert. Der Song »Dia- monds Are a Girl’s Best Friend« und die Sentenz »A rich man is like a beautiful girl« entlarven Hawks’ Komödie, die vergnüglich vom mon- strösen, verblödeten Homo sapiens erzählt. (H.T.) Herzlichen Dank an die Virgil Widrich Film- und Multimediaproduktion, die im Rahmen des Projekts »Filmpatenschaft« den Erwerb dieses Films für die Sammlung des Filmmu- seums finanziert hat.

Suspiria R: Dario Argento B: Dario Argento, Daria Nicolodi K: Luciano Tovoli M: Dario Argento, Goblin, Philip Glass S: Franco Fraticelli D: Jessica Harper, Stefania Casini, Udo Kier, Alida Valli, Joan Bennett. Italien, 1977, 35mm, Farbe, 98 min. Englisch ★ Es war einmal ein amerikanisches Mädchen, das eine deutsche Ballett- SAMSTAG schule besuchte, nicht ahnend, dass dort das Unheimliche auf sie war- 4.7. / 20.00 tete. Suspiria ist einer der schönsten Filme von Dario Argento, dem In Kooperation überragenden König eines irrationalen cinéma pur, das nur seiner ei- mit dem SLASH genen Logik von Angst und Spannungskitzel folgt. Suspiria, in hölli- Filmfestival schem Three-Strip-Technicolor zur Welt gebracht, ist ein strahlendes Nachtschattenmärchen und die denkbar dunkelste Antwort auf Alice in Wonderland, Walt Disneys Snow White und den Wizard of Oz. Erfasst vom unwiderstehlichen Sog einer Mise en scène, die sich an Kinderlogik, Kamerataumel und Schockschnittekstase berauscht, stolpert Argentos Alice im Wundenland der unvermeidlichen Kon- frontation mit der wicked witch of the Schwarzwald entgegen. (C.H.)

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Destination Moon

R: Irving Pichel B: James O’Hanlon, Rip Van Ronkel, Robert A. Heinlein nach der Kurzgeschichte von Heinlein K: Lionel Lindon S: Duke Goldstone M: Leith Stevens D: John Archer, Warner Anderson, Tom Powers, Dick Wesson, Erin O’Brien-Moore. USA, 1950, 35mm, Farbe, 92 min. Englisch ★ Destination Moon ist die Imagination des ersten bemannten Mond- SONNTAG flugs, umgesetzt als farbenprächtig-unterhaltsames, dabei relativ 5.7. / 20.00 nüchtern gestaltetes Abenteuer. Erstmals wurde im Science-Fiction- • Einführung Kino ganz das Bemühen um Authentizität des Geschilderten in den von Christian Köberl , Professor Vordergrund gestellt, wobei die Prinzipien der Raumfahrt im Film am Institut für selbst noch durch einen Cartoon mit Woody Woodpecker näherge- Impaktforschung bracht wurden. Heute hingegen faszinieren die obsoleten Aspekte und Planetare Geologie der dieses Werks ebenso sehr wie seine visionäre Seite, weitergeführt in Universität Wien Kubricks 2001. Destination Moon ist das Pionierwerk der Space und General - Opera, inklusive des politischen Anspruchs: Die von US-Privatiers direktor a.D. des finanzierte Mondreise dient letztlich der Vormacht des Westens. Ge- Naturhistori- schen Museum zeigt wird eine rare, schöne Technicolor-Kopie, die den Ausflug ins Wien Weltall noch verführerischer schillern lässt. (C.H.) Besonderer Dank an das BFI, das uns die im April wegen COVID nicht mehr zur Aufführung gekommene Technicolor-Kopie ausnahmsweise noch zeigen lässt, obwohl der dortige Verleihbetrieb bis aus Weiteres eingestellt wurde.

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Chelovek s kino-apparatom (Der Mann mit der Kamera) Ein Film von Dziga Vertov in Zusammenarbeit mit Elizaveta Svilova K: Michail Kaufman. SU, 1929, 35mm, sw, ca. 74 min (22 B/sek) Eine futuristische Liebeserklärung an den Rhythmus der Stadt, des DONNERSTAG Lebens, des Films. Kein Film hat jemals in ähnlich rauschhafter Begei- 9.7. / 20.00 sterung das eigene Medium gefeiert wie Der Mann mit der Kamera. Restaurierte Vertov filmt den Kameramann beim schwindelerregenden Versuch, Fassung das Chaos des Lebens einzufangen, den Schneidetisch, das Labor, Am Klavier: Elaine den Kinosaal, das Publikum beim Betrachten des Films, kurzum das Loebenstein gesamte Bezugsfeld Welt – Filmschöpfung – Rezeption. (H.T.) Durch spätere Kopierungen gingen ein Sechstel des Bildinhalts wie auch die originale Akt-Struktur verloren. In Amsterdam überlebte eine zeitge- nössische Kinokopie, die 2010 gemeinsam mit dem Filmmuseum res- tauriert wurde, wodurch Der Mann mit der Kamera sein vollständiges Bild und den ursprünglichen Aufau zurück erhielt.

Professione: reporter / The Passenger

R: Michelangelo Antonioni B: Michelangelo Antonioni, Mark Peploe, Peter Wollen

K: Luciano Tovoli S: Michelangelo Antonioni, Franco Arcalli M: Ivan Vandor

D: Jack Nicholson, Maria Schneider, Jenny Runacre, Ian Hendry, Steven Berkoff.

ITA/FRA/ESP, 1975, 35mm, Farbe, 125 min. Englisch ★ Persönlichkeitstausch: Ein Journalist, auf dem Weg zu Widerstands- FREITAG kämpfern in der afrikanischen Wüste steckengeblieben, eignet sich 10.7. / 20.00 die Identität eines Toten an. Von da an ist er sein eigener Doppelgän- Restaurierte ger und trägt schwer an dieser Last. Die Reise führt ihn auf gewunde- Fassung nen Bahnen durch Europa, gewunden wie die Gaudi-Schnörkel, vor denen er in Spanien eine Architekturstudentin kennenlernt, die ihn bis zum fatalen Ende begleiten wird, als er die Lust am Sehen, am Leben endgültig verloren hat. Professione: reporter gibt sich den An- schein eines Thrillers, um von der Macht der Erinnerungen und der Bilder zu erzählen. Einen Extrempunkt bildet das bestürzende Doku- ment einer Hinrichtung, das, als Film-im-Film enttarnt, gerade noch gebannt wird. Der Gegenpol: eine utopische Fahrt durch die Baumal- lee, wo sich die Kamera mit Maria Schneider im Rausch der Bewe- gung verliert. Zwischen diesen Antipoden von Fakten und Fiktion, Leben und Tod liegt ein Mäander namens The Passenger. Antonionis Höhepunkt. (C.H.)

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Beau travail

Billy Budd R: Claire Denis B: Claire Denis, Jean-Pol Fargeau, frei nach Motiven aus sowie zwei Gedichten von Herman Melville K: Agnès Godard S: Nelly Quettier M: Eran Tzur D: Denis Lavant, Michel Subor, Grégoire Colin, Richard Courcet, Nicolas Duvauchelle. Frankreich, 1999, 35mm, Farbe, 92 min. Französisch mit dt. UT Eine Geschichte aus der Fremdenlegion, frei inspiriert von Melvilles SAMSTAG Billy Budd, unterlegt mit Passagen aus Brittens gleichnamiger Oper, 11.7. / 20.00 choreografiert von Bernardo Montet (der einen Soldaten spielt), aber auch von der virtuosen Kamerafrau Agnès Godard. »Eine einfache Ge- schichte«, sagt der Mann, der sie rückblickend erzählt, und dem man nicht trauen kann: ein ehemaliger Sergeant, der in Marseilles seine Er- innerungen niederschreibt. Vom teils absurden Alltag in der Legion (einheimische Frauen beobachten die Soldaten bei ihren Verrichtun- gen und ihrem Drill unter gleißender Sonne und lachen unergründ- lich). Und von seiner Hassliebe zu einem nahezu perfekten Legionär, die schließlich zu seiner Entlassung führte. Ein rätselhaftes, hermeti- sches und berauschendes Bildgedicht, in dem zwischen kleinen und großen Ereignissen nicht unterschieden wird: Sie gehören zum Fluss der Farben, Formen, Körper, der sich am Ende in einem ekstatischen, spastischen Tanz entlädt. Ein Meisterstück im schillernden Œuvre von Claire Denis. (C.H.)

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Apocalypse Now Redux R: Francis Ford Coppola B: Francis Ford Coppola, John Milius, Michael Herr nach Heart of Darkness von Joseph Conrad K: Vittorio Storaro S: , Gerald B. Greenberg, M: Francis & Carmine Coppola D: Marlon Brando, ★ Martin Sheen, Robert Duvall. USA, 1979/2001, 35mm, Farbe, 202 min. Englisch Vietnam als Drogenoper. Eine psychedelische Phantasmagorie als SONNTAG Reise ins »Herz der Finsternis«. Martin Sheen durchquert das Kriegs- 12.7. / 20.00 gebiet, hin zum Privatimperium des megalomanen Colonel Kurtz (massiv: Marlon Brando). Die Abfolge oft wahnhaft surrealer Ein- drücke ist der ideale Rahmen für Coppolas Talent, das weniger im Erzählen als im Beschwören von Atmosphäre und im Entwurf packen- der Bilderserien liegt (wie beim Hubschrauberangrif zu Wagners »Walkürenritt«). Ein monumentaler, widersprüchlicher, visionärer Film. Und ein »Unvollendeter“, daran ändert auch Coppolas 2001 nachgereichte Redux-Variante nichts. Die 50 zusätzlichen Minuten sind dennoch voller bestechender Zusätze: Am längsten ist die Sequenz auf einer umnebelten französischen Plantage, die den kolo- nialen Kontext überdeutlich macht, ohne den halluzinatorischen Gesamtcharakter des Films zu mindern. (C.H.)

In memoriam Bruce Baillie ★

Mass for the Dakota Sioux Bruce Baillie. USA, 1964, 16mm, sw, 20 min Quixote Bruce Baillie. USA, 1965–68, 16mm, Farbe und sw, 43 min Bruce Baillie, am 10. April dieses Jahres verstorben, war der Pionier DONNERSTAG des »Western American Experimental Film« und die Schlüsselfigur 16.7. / 20.00 des wegweisenden Avantgarde-Aufruchs in der San Francisco Bay Eine gemein- Area in den Sixties. In memoriam zeigen wir zwei der Hauptwerke same Präsen - tation des dieses Underground-Poeten: Mass for the Dakota Sioux ist ein Bild- Österreichischen Ton-Gedicht als Requiem für eine vom »zivilisierten« Amerika vernich- Filmmuseums tete Ureinwohnerkultur (als Außenseiter identifiziert sich Baillie na- und sixpackfilm türlich mit den Sioux und orchestriert die gregorianischen Choräle auf der Tonspur wie eine Anklage an die Welt der weißen Eroberer). Quixote ist einer der Kulminationspunkte seines Werks: eine einjäh- rige Reise quer durch das Land des Fortschritts und der Eroberung. Mit atemberaubenden Montagen, Überblendungen und Mehrfach- belichtungen gerät der Film zum dichten Porträt der »seelischen wie physischen Landschaft der USA« (Baillie) in der Vietnam-Ära. (C.H.)

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DEUTSCHE KINEMATHEK DEUTSCHE

Cluny Brown R: Ernst Lubitsch B: Samuel Hoffenstein, Elizabeth Reinhardt K: Joseph LaShelle S: Dorothy Spencer M: Cyril Mockridge D: Charles Boyer, Jennifer Jones, Peter Lawford, Helen Walker, C. Aubrey Smith. USA, 1946, 35mm, sw, 100 min. Englisch ★ 1939, Europa vor dem Sturm: eine Situation, die Jean Renoir mit La FREITAG Règle du jeu ins Gedächtnis des Kinos geschrieben hat. Es gibt jedoch 17.7. / 20.00 ein zweites, zutiefst bewegendes Meisterwerk zu diesem Thema: Cluny Brown. Die letzte (und vielleicht klügste, zugleich aber auch unbekannteste) von Ernst Lubitschs großen Komödien zeigt die er- starrte britische Klassengesellschaft im Sommer kurz vor Kriegs- beginn: Alles und jeder gehört an seinen »angestammten« Platz! Darin sind sich die Adeligen mit ihren Dienstboten einig. Und die Politik hat hier überhaupt keinen Platz! Dementsprechend halten Lord und Lady Carmel Adolf Hitler für einen Mann, der ein Buch über das Leben in der Natur geschrieben hat – My Camp. Der tschechische Flüchtling Adam Belinski und die fantasiebegabte Klempnerin Cluny Brown treten an, die Verstopfung dieses Milieus aufzubrechen: mit Frechheit und Freiheit und einer großen Liebe. (A.H.) Das Filmmuseum dankt herzlich dem Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF), der den Erwerb dieses Films für die Sammlung ermöglicht hat.

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Looney Tunes: Animations-Anarchie ★

Duck Amuck

FILME VON CHUCK JONES What’s Opera, Doc? USA, 1957, 16mm, Farbe, 7 min. Englisch

Duck Dodgers in the 24 1/2th Century USA, 1953, 16mm, Farbe, 7 min. Englisch

Bully for Bugs USA, 1953, 16mm, Farbe, 7 min. Englisch

Duck Amuck USA, 1953, 16mm, Farbe, 7 min. Englisch

Whoa, Be-Gone! USA, 1958, 16mm, Farbe, 6 min

One Froggy Evening USA, 1955, 16mm, Farbe, 7 min. Englisch

Rabbit of Seville USA, 1950, 16mm, Farbe, 7 min. Englisch

FILME VON TEX AVERY Red Hot Riding Hood USA, 1943, 35mm, Farbe, 7 min. Englisch mit dt. UT Dumb Hounded USA, 1943, 35mm, Farbe, 8 min. Englisch mit dt. UT Screwball Squirrel USA, 1944, 35mm, Farbe, 8 min. Englisch mit dt. UT Swing Shift Cinderella USA, 1945, 35mm, Farbe, 8 min. Englisch mit dt. UT The Cat That Hated People USA, 1948, 35mm, Farbe, 7 min. Englisch mit dt. UT King-Size Canary USA, 1947, 35mm, Farbe, 8 min. Englisch mit dt. UT Der wahre Höhepunkt des Hollywood-Kinos bleiben die kurzen SAMSTAG Animationsfilme der Looney-Tunes-Serie: Die Erzählkunst der Traum- 18.7. / 20.00 fabrik wird darin enzyklopädisch verdichtet und parodistisch entfes- selt. Zu sehen in diesem Lachmuskel-Zersetzungs-Programm sind Miniatur-Triumphzüge zweier Großmeister: Chuck Jones, dem Film- museum durch Kodirektor Peter Konlechner lange freundschaftlich verbunden, schuf die unvergesslichsten Gag-Kaskaden um Bugs Bunny, Dafy Duck und den Roadrunner. Tex Avery wechselte zum Konkurrenzstudio MGM, wo er die Animations-Subversion sogar noch steigern konnte – etwa mit der Erfindung von Screwy Squirrel, einem täuschend niedlichen Eichhörnchen, das den reinen Wahnsinn herbeiführt. (C.H.)

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Russkiy kovcheg (Russian Ark) R: Aleksandr Sokurov B: Aleksandr Sokurov, Anatoli Nikiforov K: Tilman Büttner S: Stefan Ciupek, Sergey Ivanov, Betina Kuntzsch M: Sergei Yevtushenko D: Sergey Dreyden, Mariya Kuznetsova, Leonid Mozgovoy. RU/DE/CAN/FIN, 2002, 35mm, Farbe, 99 min. Russisch mit dt. und frz. UT Reise durch die St. Petersburger Eremitage – und drei Jahrhunderte SONNTAG russischer Geschichte – in einer ungeschnittenen HD-Einstellung, aus 19.7. / 20.00 dem subjektiven Blickwinkel eines unbekannten Erzählers (mit Regis- seur Aleksandr Sokurovs Stimme), begleitet von einem sarkastischen europäischen Adeligen. Mit jedem Raum des Winterpalasts wird eine andere Epoche betreten, werden historische und erfundene Figuren beobachtet und belauscht – bis zum gigantischen Spektakel des letz- ten Zaren-Balls. Die technische Innovation des Films (und die quasi- sportliche Leistung von Kameramann Tilman Büttner, der sich ohne Atempause spontan durch Choreografien mit hunderten Statisten bewegte) stand beim Erscheinen im Vordergrund, aber bei Russian Ark ist sie nur Mittel zum künstlerischen Zweck: Hinter der rauschhaf- ten Sogwirkung der durchgehenden Bewegung ofenbart sich eine teils schwermütige, teils ironische Meditation über Russlands Erbe, das Verhältnis zu Resteuropa – und vor allem über das Wesen der Zeit. (C.H.)

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Wanda R, B: Barbara Loden K, S: Nicholas T. Proferes D: Barbara Loden, Michael Higgins, Jerome Thier, Marian Thier, Anthony Rotell. USA, 1970, 35mm, Farbe, 102 min. ★ Englisch Wanda, erster, einziger Film Barbara Lodens, die vor ihrem frühen DONNERSTAG Tod ein Frauenschicksal ausdenkt, niederschreibt, inszeniert und mit 23.7. / 20.00 eigenem Leib darstellt: die Geschichte einer white trash woman aus dem Kohlenpott Pennsylvanias, die in eine Scheidung einwilligt und zur Gefährtin eines Bankräubers wird, um danach wieder zurückzufal- len in ihre eigene einsame Bahn. Ein verstörend leiser und trauriger Film über wechselnde Szenerien on the road und den gleichförmigen Mangel an Glück. (H.T.) Ulrich Behrens: »Wanda weint nicht, sie grämt sich nicht, sie lacht nicht. Sie geht einfach weiter, wo der Weg sie eben hinführt … Als Wanda am Schluss nach dem gescheiterten Banküber- fall umherirrt und in einer Spelunke landet, in der einige Männer und Frauen saufen, sitzt sie an deren Tisch, das Gesicht fast versteinert. Die um sie herum interessieren sie nicht. Wanda ist angelangt, irgendwo, so wie sie von irgendwo weggegangen ist.«

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Alyonka R: Boris Barnet B: Sergei Antonov K: Igor Chernykh S: L. Galkova M: Kirill Molchanov D: Natalya Ovodova, Irina Zarubina, Vasiliy Shushkin, Nikolay ★ Bogolyubov, Erast Garin. SU, 1961, 35mm, Farbe, 87 min. Russisch mit engl. UT Die Titelheldin von Boris Barnets vorletztem Film Alyonka ist ein neun- FREITAG jähriges Mädchen – inmitten der Lastwagenkonvois mit Siedlerpio- 24.7. / 20.00 nier*innen, die sich 1955 unter dem schönsten Sovcolor-Himmel von der Stadt ins »jungfräuliche Land« der kasachischen Steppe be - geben. Barnet, stets unberechenbar, konstruiert das liebevolle Road- movie entlang einer experimentierfreudigen Serie von Rückblenden, in denen Alyonka und ihre teils recht exzentrische Reisegesellschaft einander ihre (ofenen) Geschichten erzählen. Barnet kleidet sie in eine gleichermaßen ofene Form, spielt mit Zeit und Erzählung: Aus den tragikomischen Episoden entsteht dabei im Gegensatz zu ande- ren Sowjetfilmen kein heroisierendes Bild der Pioniere, sondern, ganz Barnet, ein zutiefst menschliches. Und weil Alyonkas Bericht von ihren mathematischen Missverständnissen mit dem Lehrer der lustig- ste ist, bekommt sie zum Schluss auch ein Eis. (C.H.)

The King of Comedy R: Martin Scorsese B: Paul Zimmerman K: Fred Schuler M: Ray Charles, Frank Sinatra, The Pretenders, Van Morrison u.a. S: D: Robert De Niro, Jerry Lewis, Diahnne Abbott, Sandra Bernhard, Joe Strummer, ★ Martin Scorsese. USA, 1983, 35mm, Farbe, 109 min. Englisch Rupert Pupkin, unüberbietbar nervtötender Niemand mit dem feis- SAMSTAG ten Charme der Raspel und dem Witz des Fleischwolfs, hat sich in den 25.7. / 20.00 Kopf gesetzt, »King of Comedy« zu werden. Nichts vermag sein frene- Herzlichen Dank tisch ins Galoppieren geratenes Mittelmaß zu bremsen. Da sein Gott an Leopold Wabro, der im (Jerry Lewis in der Rolle eines vom Beiwerk des Erfolgs mürrisch ge- Rahmen des wordenen Talkmasters der Nation) sein Ansinnen, eine mediale Start- Projekts »Film - chance zu erhalten, nicht erhört, kidnappt Pupkin kurzweg sein Idol. patenschaft« den Erwerb dieses Der Weg zum Erfolg übers Trampolin der Sensation ist geebnet. Um Films für die alles noch neurotischer und dichter zu machen, geizt Scorsese nicht Sammlung des mit Sympathie für seinen von Furien gehetzten Helden: Dies wäre just Filmmuseums die Art, wie auch er sein Filmdebüt gemacht habe, ohne Geld, immer- finanziert hat. fort abgewiesen. Ein Grabgesang auf die US-Kultur des Gipfelsturms und eine Vernichtungshommage an deren hechelnde Medienstars – ein Scorsese-Rennwagen, der mit Vollgas zugleich vor- und rückwärts rast. (H.T.)

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Lagaan R: Ashutosh Gowariker B: Ashutosh Gowariker, Kumar Dave, Sanjay Dayma nach einer Vorlage von Gowariker K: Anil Mehta S: Ballu Saluja M: A.R. Rahman D: Aamir Khan, Gracy Singh, Rachel Shelley, Paul Blackthorne. Indien, 2001, 35mm, Farbe, 224 min. Mehrere Sprachen mit dt. und frz. UT Indien, 1893. Ein armes Dorf kann den »Lagaan«, die Landsteuer, nicht SONNTAG bezahlen: Ein stürmischer Dorfewohner provoziert einen engli- 26.7. / 20.00 schen Ofzier, ein Cricket-Match wird vereinbart. Gewinnen die spiel- Herzlichen Dank unkundigen Inder, wird die Steuer erlassen, gewinnen die hochnäsi- an Martin Ure, der im Rahmen gen Engländer, steht der dreifache Tribut ins Haus. Ashutosh Gowari- des Projekts ker organisiert diese Herausforderung als mitreißend kurzweiliges »Film patenschaft« Vier-Stunden-Epos. Für den Bollywood-Film leistete Lagaan damit den Erwerb die- ses Films für die das, was Ang Lees Crouching Tiger, Hidden Dragon kurz zuvor fürs Sammlung des Martial-Arts-Genre zuwege brachte: den Reiz einer exotischen Film- Filmmuseums gattung für ein großes westliches Publikum aufzubereiten, ohne finanziert hat. jemals Ausverkauf zu betreiben. Das größte Glück unter den vielen Freuden von Lagaan sind folglich nicht seine sympathische Under- dog-Story, die lustvoll antiquierte Polemik gegen den Kolonialismus und die Aura seiner Bollywood-Stars, sondern sechs üppige, prächtig choreografierte und komponierte Gesangs- und Tanzeinlagen. (C.H.)

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Dead Birds ★ Ein Film von Robert Gardner. USA, 1963, 35mm, Farbe, 83 min. Englisch Dead Birds oder Film als dreieinige Macht: als Kunstwerk, als Ge- DONNERSTAG schichtsschreibung, als Instrument der Ethnologie. Robert Gardner 30.7. / 20.00 richtet die Kamera auf Menschen, die nie zuvor eine gesehen haben. Erstmals und auch schon zuletzt vor dem Kameraauge: die mit Pfeil, Bogen und Wurfspeer ausgetragene rituelle Schlacht, mit der die Bauernkrieger der Dani, Bergpapuas im Hochtal von Baliem, ihren endlosen Konflikt von Fehde und Rache im Gleichgewicht zu halten suchen. Diese Welt ist heute geschwunden, als wären seit den frühen sechziger Jahren in Neuguinea Jahrhunderte verstrichen. Zu den meistbewunderten ethnologischen Filmen zählend, erkundet Dead Birds nicht nur eine besondere Form von Leben, sondern die tief in ihm gründende Dimension von Angst, Trauer und Tod. (H.T.)

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L’Enfant sauvage (Der Wolfsjunge) Mémoire et rapport R: François Truffaut B: François Truffaut, Jean Gruault nach sur Victor l’Aveyron von Dr. Jean Itard K: Néstor Almendros S: Agnès Guillemot M: Antonio Vivaldi D: Jean-Pierre Cargol, François Truffaut, Françoise Seigner, Jean Dasté, Claude Miller, Annie Miller. Frankreich, 1970, 35mm, sw, 84 min. ★ Französisch mit engl. UT Ende des 18. Jahrhunderts sorgte der »Wilde von Aveyron« für Auf- FREITAG sehen: In einem französischen Wald entdeckte man einen nackten 31.7. / 20.00 Jungen, der völlig verwildert lebte und keinen menschlichen Kontakt Das Filmmuseum kannte. Der Arzt und »Taubstummenlehrer« Jean Itard nahm den der dankt herzlich der Dor Film, die Sprache nicht mächtigen Jungen bei sich auf, um ihn zu »zivilisieren«. im Rahmen des Seine berühmte Studie über das Experiment lieferte die Basis für Projekts »Film - einen der persönlichsten Filme von François Trufaut, der selbst in die patenschaft« den Erwerb dieses Rolle des Doktors schlüpfte (und das Ergebnis seinem darstelleri- Films für die schen Alter Ego, Jean-Pierre Léaud, widmete). Trufauts beste Filme Sammlung des haben stets einen dunklen Kern: Hier ist zwar der Tonfall warm, Filmmuseums fi- gewitzt und auf beiläufig-elegante Weise nostalgisch (superbe nanziert hat. Schwarz weißfotografie, Irisblenden, Vivaldi-Musik), doch dahinter betont Trufaut die Schattenseiten der inspirierenden éducation: Der Preis des Fortschritts ist letztlich der Verlust des ekstatischen Natur zustands. (C.H.)

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Umberto D. R: Vittorio De Sica B: Vittorio De Sica (ungenannt), Cesare Zavattini K: G.R. Aldo S: Eraldo Da Roma M: Alessandro Cicognini D: Carlo Battisti, Maria Pia Casilio, Lina Gennari, lIeana Simova. Italien, 1952, 35mm, sw, 88 min. Italienisch mit dt. UT Der Höhepunkt in der Zusammenarbeit von Vittorio De Sica und Ce- SAMSTAG sare Zavattini, einem der bedeutendsten Autoren, Propheten und 1.8. / 20.00 Theoretiker des Neorealismus. Umberto D. ist eines der Meisterwerke des italienischen Films und ein revolutionäres Werk der Filmkunst überhaupt. Knapp neunzig Minuten aus dem Leben eines pensionier- ten römischen Beamten, dem nichts passiert. Und aus dem Leben sei- nes Hundes, Flike. Die Einsamkeit des Umberto D., der jeden Kontakt zur Umwelt verloren hat, scheint sich wie von selbst zu erzählen, und die Zeit des Films gleicht sich den realen Vorgängen an. Die exakt be- obachtete Realität erfährt in diesem bewegenden Film eine poeti- sche Transfiguration. (H.T.) André Bazin: »Ich zögere nicht zu behaup- ten, dass das Kino uns selten zuvor so klar vor Augen geführt hat, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. (Übrigens auch, was es heißt, ein Hund zu sein.)«

High Noon The Tin Star R: B: Carl Foreman nach von John W. Cunningham K: Floyd Crosby S: Elmo Williams M: Dimitri Tiomkin D: Gary Cooper, Grace Kelly, Thomas Mitchell, Lloyd Bridges, Katy Jurado. USA, 1952, 35mm, sw, 84 min. ★ Englisch Wenn Marshal Will Kane um 10 Uhr 40 auf seiner Flucht oder Hoch- SONNTAG zeitsreise innehält, um in die Stadt zurückzukehren, weiß er nicht, 2.8. / 20.00 dass um 12 Uhr mittags die Masken und Konventionen gefallen sein werden und er alleine inmitten leerer Straßen im Sonnenlicht stehen wird. hat den Mückenschwarm seiner Etikettierungen (»Aufrüstungswestern« oder vielleicht doch »Anti-McCarthy-Pamph- let«) prächtig überlebt. A man’s character is his destiny. Zinnemanns einziger Western ist eine großartige Erprobung dieses Satzes. Wie ein nicht mehr junger, müder Mann versucht, sich treu zu bleiben. Wie Real- und Filmzeit annähernd zusammenlaufen. Wie Gesichter, Schie- nen, Uhren, Augenpaare, ein schwingendes Pendel und eine Rauch- wolke am Horizont im Montagestrom immer schneller auf jenen Au- genblick der Stille und Entscheidung zuwirbeln, in dem die Kamera per Kran emporschwebt, um Gary Cooper auf lautloser, leergefegter Straße zu zeigen. (H.T.)

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Touki Bouki (Die Reise der Hyäne) R, B: Djibril Diop Mambéty K: Georges Bracher S: Siro Asteni D: Magaye Niang, Myriam Niang, Al Demba, Dieynaba Dieng. Senegal, 1973, 35mm, Farbe, 90 min. Wolof mit dt. und frz. UT Djibril Diop Mambétys erster Langfilm, eines der größten Werke des DONNERSTAG afrikanischen Kinos und eines seiner experimentierfreudigsten: Mory, 6.8. / 20.00 ein junger Hirte, hat die Rinder in den Schlachthof gebracht und fährt Herzlichen Dank auf seinem hörnergeschmückten Motorrad durch Dakar. Als er die an Franz Seilern, der im Rahmen Studentin Anna kennen lernt, beschließen die beiden, nach Paris, des Projekts zum »kleinen Engel des Paradieses«, aufzubrechen: Um sich die Über- »Filmpaten- fahrt leisten zu können, versuchen sie sich als Kleinkriminelle. Ein mit- schaft« den Erwerb dieses reißender, vielschichtiger, aus allen Nähten platzender Entwurf zur Films für die Faszination des »Schwarzen Kontinents« für die Versprechungen der Sammlung des westlichen Welt. Das schlägt sich auch im wirbelnden Stil des Auto- Filmmuseums didakten Mambéty nieder: Touki Bouki kombiniert Noir und Nouvelle finanziert hat. Vague, Komödie und Sozialkritik und ist ein Gegenpol zum Ausver- kauf im zeitgleichen Blaxploitation-Kino: Die Bilanz mag bitter sein, die Inszenierung aber sagt: anything goes. (C.H.)

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Rust Never Sleeps Ein Film von Neil Young. K: Richard Pearce u.a. USA, 1979, 35mm, Farbe, 105 min. Englisch ★ Unter dem ironischen Regie-Pseudonym Bernard Shakey hat Rockstar FREITAG Neil Young eine Handvoll eigenwilliger wie außergewöhnlicher Musik- 7.8. / 20.00 filme inszeniert. Der bekannteste darunter ist Rust Never Sleeps, der (wie das gleichnamige Album) einen Höhepunkt seines Schafens markiert und zu den essenziellen Konzertfilmen zählt. Dokumentiert wird dabei ein Live-Set von seiner 1978er-Tournee, wo sich die Auftritte in ein akustisches Solo-Set (mit häufiger Benutzung des Bühnen-Was- sertrogs zum Mundharmonika-Waschen) und in eine elektrische Dar- bietung mit seiner traditionellen Begleitband Crazy Horse teilten. Der Fokus liegt ganz auf der Bühne, begeisterte Reaktionen gibt es nur von den (als Star Wars-Zwergen verkleideten!) Roadies, während Young vom inspirierten Folk-Balladen-Alleingang ins gruppendyna- mische, abwechselnd schmurgelnde und ins hymnische Rock-Hoch- amt wechselt: über die Punk-Einlage in »Sedan Selivery« und die ma- jestätische Interpretation von »Cortez the Killer« zur epischen Ekstase von »Like a Hurricane«. Rock and roll is here to stay, punktum. (C.H.)

Opening Night R, B: John Cassavetes K: John Cassavetes, Al Ruban S: Tom Cornwell M: Bo Harwood D: Gena Rowlands, John Cassavetes, Ben Gazzara, Joan Blondell, ★ Fred Draper. USA, 1977, 35mm, Farbe, 144 min. Englisch Myrtle Gordon soll in einem Theaterstück eine Frau spielen, die so SAMSTAG ziemlich dieselben Ängste hat wie sie selbst. Sie verliert sich in diesem 8.8. / 20.00 Spiegellabyrinth von Leben und Kunst – eine Erscheinung, eine junge Herzlichen Dank Bewunderin, deren Unfalltod sie sah, verfolgt Myrtle auf diesem Weg. an Michael Ostrowski , der Einer der rasendsten, aber auch missverstandensten Cassavetes- im Rahmen des Filme: Opening Night ist weniger das atonale Hohelied aufs Method Projekts »Film - Acting in Gestalt eines Edel-Home-Movie, zu dem man ihn gern stili- patenschaft« den Erwerb dieses siert (den Umstand übersehend, dass Cassavetes »The Method« für Films für die fehlgeleitet hielt), sondern eher der Versuch, Abstand zu finden Sammlung des von einer Arbeitsweise, deren Grenzen spätestens mit The Killing of a Filmmuseums Chinese Bookie ausgelotet waren. So erzählt Opening Night von den finanziert hat. Gefahren, die mit der Verwechslung von Spiel und Leben, Arbeit und Selbst einhergehen. Schneller als man meint, wird Kunst zur self-fulfil- ling prophecy. Eine Art Exorzismus zum Zweck der Selbstvergewisse- rung. (O.M.)

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Koroshi no rakuin (Branded to Kill) R: Suzuki Seijun B: Guryū Hachirō K: Nagatsuka Kazue S: Suzuki Akira, Tanji Mutsuo M: Yamamoto Naozumi D: Shishido Jō, Ogawa Mariko, Mari Annu, Nanbara Kōji, Tamagawa Isao. Japan, 1967, 35mm, sw, 91 min. Japanisch mit dt. UT Gorō ist Auftragsmörder, ein erstklassiger. In der »ofziellen« Rang- SONNTAG liste der japanischen Unterwelt wird er als Killer Nummer Drei ge- 9.8. / 20.00 führt. Natürlich wäre Gorō gern die Nummer Eins, aber da er nicht weiß, wer die beiden höher Eingeschätzten sind, kann er sich darum auch nicht kümmern. Der Zufall kommt ihm zu Hilfe: Killer Nummer Zwei lässt sich im Rahmen eines Personenschutzauftrags erledigen. Killer Nummer Eins ofenbart sich ihm später als sein Verfolger: Nach einem misslungenen Mordanschlag – im entscheidenden Augenblick ließ sich ein Schmetterling auf Gorōs Präzisionsgewehr nieder! – hat er ihn am Hals, denn Strafe muss sein, fand Boss Yabuhara. Nach Branded to Kill überlegt man sich reiflich, wen man künftig noch als Ikonoklasten bezeichnen will – dieses Meisterwerk ist die Messlatte, an ihr scheitert fast jeder. Hier wird das Kino als solches ganz und gar dekonstruiert, hier bleibt nichts, wie es war, hier heißt es Tabula rasa, und nach mir die Sintflut. Panta rhei. (O.M.)

Grand Opera. An Historical Romance Ein Film von James Benning. MIT: Sadie Benning, Hollis Frampton, George ★ Landow, Yvonne Rainer, Michael Snow. USA, 1979, DCP, Farbe, 84 min. Englisch Grand Opera ist einer der Filme, die sich jeder Kategorisierung ent- DONNERSTAG ziehen, so bunt ist seine Mischung aus Ideen. Unter die statischen 13.8. / 20.00 Landschafts- und Stadtaufnahmen, für die Benning zu diesem Zeit- Restaurierte punkt schon bekannt ist (diesmal befinden wir uns in Oklahoma), Fassung mischt er alle möglichen Experimente mit etablierten Formen und Eine gemein- same Präsen - kurze Hommagen an vier Ikonen der Avantgarde: Hollis Frampton, tation des George Landow, Michael Snow und Yvonne Rainer. Benning be- Filmmuseums schreibt die Produktion als »Sampling« ohne Drehbuch, als ein Spiel und der Viennale mit dem Material. Doch was Grand Opera trotz aller Hybridität aus- zeichnet und von seinen Vorgängern unterscheidet, ist die Ausein- andersetzung mit Geschichte – sowohl mit der eigenen Biografie wie mit der Entwicklung des Kinos. Für Benning ist es, wie er sagt, ein erster Versuch »to write my own kind of history«. (B.P.) Uraufführung der Restaurierung, die heuer vom Österreichischen Filmmuseum in Zusammenarbeit mit James Benning fertiggestellt wurde.

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Grand Opera. An Historical Romance

Klassenverhältnisse

Der Verschollene R, B, S: Jean-Marie Straub und Danièle Huillet nach von Franz Kafka K: William Lubtchansky, Caroline Champetier, Christophe Pollock D: Christian Heinisch, Mario Adorf, Laura Betti, Harun Farocki, Thom Andersen. BRD/FRA, 1984, 35mm, sw, 126 min. Deutsch Der junge Karl ist wegen der Afäre mit einem Dienstmädchen aus FREITAG Deutschland weggeschickt worden. Sein Onkel in Amerika nimmt ihn 14.8. / 20.00 zunächst bei sich auf, verstößt ihn aber, nachdem er sich ihm wider- setzt. Auf dem Weg nach San Francisco findet Karl eine Anstellung als Liftboy, wird aber wegen eines Regelverstoßes entlassen und muss fliehen. Schließlich bewirbt er sich auf ein Plakat hin bei den Schau- stellern des »Naturtheaters von Oklahoma«. Einer der seltenen Fälle, bei denen sich das strenge Regieduo Straub/Huillet einem berühmten Stof zugewendet hat: In schönen, nüchternen Schwarz-Weiß-Bildern antworten sie auf Kafas exakte Beobachtung gesellschaftlicher Be- dingungen; sie verzichten völlig auf ein filmisches Nachäfen der alp- traumhaften Qualität seiner Texte und erschließen damit einen ganz neuen Kino-Zugang zum Autor. Ein großer, kristallklarer Film. (C.H.)

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Valhalla Rising R: Nicolas Winding Refn B: Nicolas Winding Refn, Roy Jacobsen K: Morten Søborg S: Matthew Newman M: Peter Kyed, Peterpeter D: Mads Mikkelsen, Maarten Stevenson, Gordon Brown, Andrew Flanagan, Gary Lewis. DK/GB, 2009, 35mm, Farbe, 93 min. Englisch ★ Einen »Science-Fiction Film im Geiste« hat Regisseur Nicolas Widning SAMSTAG Refn Valhalla Rising genannt: Die Geschichte habe er in die Wikinger- 15.8. / 20.00 zeit gelegt, um einen Mythos zu gestalten, der die üblichen Schwer- punkte des Genres (Technologie und Zukunftsvorhersagen) völlig umgeht. Stattdessen ein elementares Spektakel als halluzinatorische Reise durch archaische Landschaften voller Nebel und Wasser, Feuer und Schlamm, Erde und Blut. Mittendrin: ein wortloser, einäugiger Krieger (stoisch und imposant: Mads Mikkelsen), der vom Gladiator zum Teilnehmer eines Kreuzzugs wird. Doch statt des gelobten Lands entdecken die »christlichen Wikinger« in Übersee das Herz der Fin- sternis. Eine spirituelle Suche, fern an Tarkowskij erinnernd in der vir- tuosen visuellen Umsetzung, untermalt von Spacerock-Schüben, postokolonial-subversiv und psychedelisch umgedeutet: als visionä- rer, langsam treibender Avantgarde-Trip mit heftigen Metzel-Kontra- punkten. Einer der Schlüsselfilme des neuen Millenniums. (C.H.) The Red Shoes R, B: Michael Powell & Emeric Pressburger nach dem Märchen von Hans Christian Andersen K: Jack Cardiff S: Reginald Mills M: Brian Easdale D: Anton Walbrook (i.e. Adolf Wohlbrück), Moira Shearer, Marius Goring, Ludmilla Tchérina. GB, 1948, 35mm, Farbe, 133 min. Englisch ★ »I’m against naturalism, on the whole«, formuliert Michael Powell sein SONNTAG Glaubensbekenntnis und inszeniert ein Melodram gegen Kleinkräme- 16.8. / 20.00 rei, Dezenz und schnöde Wahrscheinlichkeit mit der Verführungspa- lette von Technicolor und der Inbrunst des Kinos. Bild der Bilder von Monte Carlo: Aprikosenhimmel über grünseidig dunstigem Meer im Augenlid eines Bogenfensters, eine restlose Künstlichkeit. Ein Melo- dram, das Hollywood erblassen lässt, gekrönt von der großen, surre- alen Ballettsequenz, die das romantische Thema Kunst-Liebe-Tod noch prächtiger stilisiert – in der Ekstase aus taumelndem Aquama- rin, Sepia, Safran und Scharlach. Unauförlich wechseln Formen, Backgrounds, Bewegungen, die Kamera fällt in den Wirbel ein, be- ginnt zu pirouettieren, bis Sehnsucht und Fatum in einem vergäng- lichen, dem Vergehen entrissenen Augenblick eins werden. (H.T.)

JULI/AUGUST 2020 Endlich wieder Kino! 26 fm201920_Sommerkino_KernRZ.qxp_Layout 1 09.06.20 13:52 Seite 27 © GABRIELA BRANDENSTEIN GABRIELA ©

Wir trauern um

Gertie Fröhlich (1930–2020)

Die Künstlerin schuf das unverwechselbare Wahrzeichen des Österreichischen Filmmuseums, das Logo mit dem Zyphius. Zudem kreierte sie von 1964 bis 1984 über 100 Plakate für unsere Retrospektiven, die in zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland bestaunt und ausgezeichnet wurden.

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Spielplan Alle Filme von 2. Juli bis 16. August 2020 Jeweils 20.00 Uhr

DO 2.7. Belle de jour (Schöne des Tages) 1967, Luis Buñuel (S. 7) Freier Eintritt für Fördernde Mitglieder FR 3.7. Gentlemen Prefer Blondes 1953, Howard Hawks ★ (S. 8) SA 4.7. Suspiria 1977, Dario Argento ★ (S. 8) SO 5.7. Destination Moon 1950, Irving Pichel ★ (S. 9) • Einführung von Christian Köberl DO 9.7. Chelovek s kino-apparatom (Der Mann mit der Kamera) 1929, Dziga Vertov (S. 10) • Am Klavier: Elaine Loebenstein FR 10.7. Professione: reporter / The Passenger 1975, Michelangelo Antonioni ★ (S. 10) SA 11.7. Beau travail 1999, Claire Denis (S. 11) SO 12.7. Apocalypse Now Redux 1979/2001, Francis Ford Coppola ★ (S. 12) DO 16.7. In memoriam Bruce Baillie Mass for the Dakota Sioux 1964 / Quixote 1965–68 ★ (S. 12) FR 17.7. Cluny Brown 1946, Ernst Lubitsch ★ (S. 13) SA 18.7. Looney Tunes. Filme von Chuck Jones und Tex Avery 1943–58 ★ (S. 14) SO 19.7. Russkiy kovcheg (Russian Ark) 2002, Aleksandr Sokurov (S. 15) DO 23.7. Wanda 1970, Barbara Loden ★ (S. 16) FR 24.7. Alyonka 1961, Boris Barnet ★ (S. 17) SA 25.7. The King of Comedy 1983, Martin Scorsese ★ (S. 17) SO 26.7. Lagaan 2001, Ashutosh Gowariker (S. 18) DO 30.7. Dead Birds 1963, Robert Gardner ★ (S. 19) FR 31.7. L’Enfant sauvage (Der Wolfsjunge) 1970, François Trufaut ★ (S. 20) SA 1.8. Umberto D. 1952, Vittorio De Sica (S. 21) SO 2.8. High Noon 1952, Fred Zinnemann ★ (S. 21) DO 6.8. Touki Bouki (Die Reise der Hyäne) 1973, Djibril Diop Mambéty (S. 22) FR 7.8. Rust Never Sleeps 1979, Neil Young ★ (S. 23) SA 8.8. Opening Night 1977, John Cassavetes ★ (S. 23) SO 9.8. Koroshi no rakuin (Branded to Kill) 1967, Suzuki Seijun (S. 24) DO 13.8. Grand Opera. An Historical Romance 1979, James Benning ★ (S. 24) FR 14.8. Klassenverhältnisse 1984, Danièle Huillet, Jean-Marie Straub (S. 25) SA 15.8. Valhalla Rising 2009, Nicolas Winding Refn ★ (S. 26) SO 16.8. The Red Shoes 1948, Michael Powell & Emeric Pressburger ★ (S. 26)

JULI/AUGUST 2020 Spielplan 28 fm201920_Sommerkino_Kern2.qxp_Layout 1 08.06.20 13:55 Seite 29

FÖRDERER Das Filmmuseum wird gefördert durch die Kulturabteilung der Stadt Wien und das Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport. Weitere Finanzierungspartner sind der Fachverband der Film- und Musikindustrie der WKO, die Verwertungsgesellschaft der Filmschaffenden (VdFS), die Verwertungs- gesellschaft für Audiovisuelle Medien (VAM) sowie die Freunde des Filmmuseums (Fördernde Mitglieder).

VERANSTALTUNGSPARTNER

MEDIENPARTNER

Das Filmmuseum ist Partner der Initiative »Hunger auf Kunst und Kultur«, die die Zu - gänglichkeit von Kunst und Kultur für alle Menschen ermöglichen will. Inhaber*innen eines im Rahmen dieser Initiative vergebenen Kulturpasses erhalten Freikarten für die Vorstellungen des Filmmuseums. Veranstaltungen, deren Erlöse dieser Aktion zugute kommen, sind mit »1 Euro Solidarbeitrag für Aktion Kulturpass« gekennzeichnet. Unterstützt von

TEXTE VON Alexander Horwath, Christoph Huber, Olaf Möller, Barbara Pichler, Harry Tomicek IMPRESSUM Medieninhaber: Österreichisches Filmmuseum. Für den Inhalt verantwortlich: Christoph Huber, Ivana Miloš; alle: 1010 Wien, Augustinerstraße 1. Corporate Design, Grafik und Produktion: Gabi Adébisi-Schuster. Druck: Medienfabrik Graz. Fotos: Soweit nicht anders ausgewiesen stammen die Bilder aus der Fotosammlung Österreichisches Filmmuseum. Titelbild: Professione: reporter/The Passenger (1975, Michelangelo Antonioni)

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