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SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen - Manuskriptdienst

Zug um Zug klüger? Wie Gesellschaftsspiele Wissen vermitteln

Autor: Sascha Verlan Redaktion: Anja Brockert Regie: Andrea Leclerque Sendung: Donnerstag, 02. September 2010, 8.30 Uhr, SWR 2 ______

Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

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Besetzung: Sprecherin Zitator

Dieses Manuskript enthält Textpassagen in [Klammern], die aus Zeitgründen in der ausgestrahlten Sendung gekürzt wurden.

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Musik: Thema 1 – weiter unter den folgenden O-Tönen

O-Ton 1 (Stefan Stadler): Ein Spiel besteht eben nicht nur aus Regeln und aus Mechanismen, sondern tatsächlich viel mehr die Gestaltung spielt 'ne Rolle, es spielt 'ne Rolle, welches Gefühl ich beim Spielen hab, wie ich das Spiel erlebe.

O-Ton 2 (Erwin Glonnegger):

Wie ist das Spiel ausgestattet, wie ist es gestaltet, was hat das für eine Anmutung, gefällt mir das, wenn ich das anschaue, bin ich zufrieden mit der künstlerischen Qualität?

O-Ton 3 (Thomas Fackler):

Dieser Begriff 'schön', oder 'ästhetisch' ist eigentlich untergeordnet, es geht eigentlich um die Atmosphäre des Spiels.

O-Ton 4 (Erwin Glonnegger):

Die meisten Spiele sind ja aus Papier und Karton, was uns als Buchverlegern und Verarbeitern von Pappe und Karton besonders nahe lag. Aber es gibt auch wunderbare Spiele aus anderem Material z.B. aus Holz, aus Glas, aus Metall ...

O-Ton 5 (Thomas Fackler):

Und wenn es ein Spiel wäre, das im Hinterhof spielt, dann hätte ich überhaupt kein Problem, Zigarettenstummel und Kronkorken und irgendwelchen Abfall für das Spiel zu verwenden, also dass der Spielplan ein Stück Teer ist oder Dachpappe oder irgendwie so was.

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Musik: Thema 2

Ansage: Zug um Zug klüger? Wie Gesellschaftsspiele Wissen vermitteln. Eine Sendung von Sascha Verlan.

Musik: Thema 2 – Ende

Sprecherin: Ein buntes Spielbrett, viermal gefaltet. Dazu verschiedenfarbige Figuren, Papier- oder Plastikgeld und Karten – so präsentieren sich viele Gesellschaftsspiele. Doch Material und optische Gestaltung sind nur ein Teil des Ganzen. Ebenso wichtig sind der Titel und die Rahmenhandlung, in die das Spielgeschehen eingebettet ist. Ob man Inseln bewirtschaften muss, einen Schatz heben oder ein Reich verteidigen soll. Das eigentliche Wesen aber, der Kern des Spiels, ist sein Mechanismus. Es sind die vielfältigen Interaktionen der Spieler untereinander, die Spielschritte und Regeln, die entscheiden, ob uns ein Spiel gefällt oder ob wir es nach dem ersten Mal nie wieder aus der Schachtel holen.

Musik: Thema 3, darüber:

Zitator: Es beginnt der Spieler mit den weißen Steinen.

Sprecherin: Der Spieler, der mehr Kleingeld in der Tasche hat, beginnt.

Zitator: Der Spieler mit den schmutzigsten Fingern fängt an. Haben alle Spieler gewaschene Hände, beginnt der Älteste.

Musik: Thema 3 weg

Sprecherin: Erwachsene haben wenig Zeit fürs Spiel. Wir müssen arbeiten, organisieren und planen. Spielen, das ist etwas für Kinder. Unheimlich wichtig für die Entwicklung, wenn man noch klein ist und nichts Besseres zu tun hat. Später aber, da wird es angeblich völlig überflüssig. Spielereien sind erst dran, wenn alles andere, das wirklich Wichtige erledigt ist.

O-Ton 6 (Erwin Glonnegger): Es gibt natürlich Leute auch, die das von vorneherein als sinnlosen Zeitvertreib ansehen – dafür hab ich keine Zeit.

Sprecherin:

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Erwin Glonnegger hat in den 50er und 60er Jahren die Spiele-Abteilung des -Verlages mit aufgebaut, selbst Spiele erfunden, gesammelt, archiviert und sein umfassendes Wissen in einem großen Spiele-Buch weiter gegeben.

Musik / Akzent kurz frei

Sprecherin: Ein Brettspiel muss sich zwischen fünf- und zehntausend Mal verkaufen, damit es sich für den Verlag lohnt. Von wirklich erfolgreichen Spielen werden dreißig- bis vierzigtausend Exemplare verkauft. Über diese Schwelle kommen eigentlich nur die Spiele eines Jahrgangs, die es auf die Empfehlungsliste der Jury '' geschafft haben. Und der Gewinner, das 'Spiel des Jahres', das verkauft sich dann dreihundert- bis vierhunderttausend Mal. Dann kommen in der Regel schnell noch Erweiterungen und Übersetzungen dazu. Eine solche „Spielefamilie“ – etwa „Die Siedler von “ von – erzielt dann Verkaufszahlen im zweistelligen Millionenbereich.

O-Ton 7 (Thomas Fackler): Spiel ist eigentlich 'n idealer Erkenntnisvermittler, weil du hast also ganz wunderbar diesen Aha-Effekt, weil du es ja selbst erlebst, also das ist wesentlich unmittelbarer, als wenn du irgendwas liest oder was serviert bekommst.

Sprecherin: Thomas Fackler ist Kommunikationsdesigner und entwickelt seit 20 Jahren Gesellschaftsspiele. 2004 hat er die erfolgreiche Buchreihe „Die Kinderuni“ als Brettspiel umgesetzt.

O-Ton 8 (Thomas Fackler): Und da glaub ich schon, dass eigentlich erwartet wurde, dass es eben um die Abfrage des Wissens geht. Also da gibt 's zum Beispiel bei Amazon ein paar böse Kritiken … ein dummes Spiel für kluge Kinder, heißt 's unter anderem als Überschrift, weil eben die Mütter da erwartet haben, dass die lieben Kleinen das viele Wissen, das sie durch die Lektüre der Kinderuni sich antrainiert haben, dass man das dann mithilfe des Spiels wieder abfragen kann. Und mir ging 's aber drum, dass so 'ne Universität ja auch 'n Mechanismus ist, den man begreifen muss.

Sprecher: Auf dem Spielbrett ist der Plan einer Universität abgebildet – mit Hörsälen, Seminarräumen, den Professorenzimmern und einer Bibliothek. Der Spieler bewegt seine Figur durch die verschiedenen Räume der Universität und eignet sich Wissen an, das er in Form kleiner Spielchips auf seine Gedächtniskarte legt, auf der ein Gehirn abgebildet ist. Hat man nun in einem Fachgebiet eine Vorlesung besucht, ein Seminar und war auch in der Bibliothek, dann bekommt man einen Schein. Um das Spiel zu gewinnen, braucht man drei Scheine in einem Fachgebiet, dem Hauptfach, und vier weitere Scheine aus anderen Gebieten.

O-Ton 9 (Thomas Fackler):

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Also erst mal schon überhaupt, dass es 'n Mechanismus ist, in dem man sich auch ganz gut bewegen können sollte, sonst erleidet man nämlich auch Schiffbruch. Und den fand ich eigentlich ganz spannend, also dass es darum geht, dass man die richtigen Vorlesungen besucht, wie man das Wissen im Kopf behält, dass man Studienbuch führen kann, dass man Scheine machen muss etc. etc. etc. Ob das dann alles noch ganz aktuell ist in fünf oder zehn Jahren, das sei dahingestellt, aber 'ne Universität oder Wissensvermittlung ist auch 'n Mechanismus.

Sprecherin: Ein Spiel führt uns nirgendwo hin. Wir werden nicht reicher dadurch und mehren auch nicht unser Ansehen. Wir können zwar im Spiel Karriere machen – doch nach dem Spiel ist alles wieder wie zuvor. Das Spiel ist zweckfrei, und das macht es so schwer erträglich in der heutigen Zeit. Wer spielt, denkt nicht an morgen, sondern ist ganz im Jetzt. Ein Spiel lässt sich nicht theoretisch spielen, sondern nur im aktiven, körperlichen Nachvollzug. Da kann sich keiner zurücklehnen und raushalten. Deshalb sind Spiele so beliebt, bei denen wir etwas lernen können, wir uns gewissermaßen weiterbilden. Aber sind das nicht falsche Erwartungen? Können wir überhaupt durch ein Gesellschaftsspiel etwas dazu lernen? Ganz konkretes, messbares Wissen? Das Quiz scheint da sehr nahe liegend. Das Wissensquiz, das vorführt, ob einer sich auskennt – und auf der Rückseite die richtigen Antworten liefert, falls sich keiner für a, b oder c entscheiden kann.

Musik: Thema 3, darüber:

Zitator: Wie hieß der italienische Künstler aus dem 16. Jahrhundert, der vor allem durch Portraits aus Pflanzenteilen, Obst, Gemüse und ähnlichem bekannt wurde? a) El Greco, b) Guiseppe Arcimboldi, c) Leonardo da Vinci.

Musik: T hema 3 weg

Sprecherin: Wissen gehört notwendig zum Quizspiel. Da werden Begriffe definiert und Sachverhalte geklärt – klarer Fall. Und nach dem Spiel? Wenn man 50 oder mehr solcher Definitionen gehört hat? Weiß man dann wirklich mehr, hat man etwas Substanzielles gelernt? Sich bleibendes Wissen angeeignet?

O-Ton 10 (Thomas Fackler): Eigentlich kannst du genauso gut 'n Lexikon nehmen, du liest 'n Begriff vor und der andere soll die Definition sagen und dann blätterste um. Und so 'n Quizspiel ist 'n bisschen 'ne andere Zubereitung dieses Mechanismus, aber phh, also wenige sind da wirklich Spiel in dem Sinne von 'nem guten Brettspiel.

Sprecherin: Um bei „Trivial Pursuit“ und ähnlichen Spielen zu „punkten“, muss man aus verschiedenen Wissensgebieten Fragen richtig beantworten. Dabei liegt der Schwerpunkt auf Daten, Zahlen und Namen. Wer sich nicht erinnert, wie der Fußballer

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hieß, der beim WM-Finale 1954 das entscheidende Tor schoss, hat wieder keinen Punkt gemacht. Anders beim Spiel „Anno Domini“:

O-Ton 11 (Thomas Fackler): Also du musst jetzt nicht genau wissen, dass der Kaugummi 1738 erfunden wurde, sondern du musst nur eingrenzen können, dass es also mit 2005, da gab 's ihn wohl schon 'ne Weile und vor 1000 wird 's wohl au net so angesagt gewesen sein, also du kannst es 'n bisschen eingrenzen und eben immer weiter.

Musik: Thema 3, darüber

Zitator: Auf der Vorderseite ist kurz ein geschichtliches Ereignis beschrieben, zum Beispiel: "Erste Frau im Weltraum" oder "Erste Ultraschallaufnahme eines menschlichen Fötus im Mutterleib". Die Spieler legen reihum ihre Karten ab und bilden damit eine Zeitreihe. Irgendwann zweifelt ein Spieler, dass noch alle Ereignisse in der richtigen Reihenfolge liegen. Dann werden die Karten gewendet, und mit den Jahreszahlen auf der Rückseite wird kontrolliert, wer Recht hat. [Stimmt die Chronologie, muss der Zweifler zwei neue Karten vom Stapel nehmen, ist sie falsch bekommt der Spieler, der die letzte Karte gelegt hat, drei Karten. Danach geht es mit einer neuen Zeitschiene weiter.]

O-Ton 12 (Thomas Fackler): Erstaunlicherweise weiß man dann sogar selbst mehr, als man vermutet hätte, also wenn man alles miteinander verknüpft, was man so weiß oder nicht weiß … und da find ich das 'n klasse Mechanismus, um einem zu zeigen, dass man eben durch Querverbindungen dann auf Sachen schließen kann, die man eigentlich glaubt, nicht zu wissen.

[Zitator: "Die Normannen belagern ein Jahr lang vergebens Paris." "Der Bischoff von Lausanne belegt die Maikäfer mit seinem Bann und weist sie aus dem Land."

Musik: Thema 3 weg

Sprecherin: [OC: Bei „Anno Domini“ von Urs Horstettler kann man zwar auch die genauen Jahreszahlen bestimmter historischer Ereignisse lernen. Viel wichtiger ist es aber, die richtigen Querverbindungen herzustellen, so dass mit Hilfe unseres verstreuten Halbwissens am Ende doch eine erstaunlich exakte Zeitschiene entsteht. OC] Ein anderes Spiel, das die Rahmenhandlung gut mit einem Mechanismus zu verbinden weiß, ist „“ von . Es war 1987 'Spiel des Jahres':

Musik: Thema 3, darüber

Zitator:

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Auf dem Spielfeld ist eine Landkarte Mitteleuropas abgebildet mit Autobahnen zwischen den wichtigsten Städten. Die Spielfiguren sind kleine LKW mit Ladefläche, auf die die Waren gelegt werden können. Nun geht es darum, Ladungen zwischen verschiedenen Orten zu transportieren. Dabei stellen sich für die Branche übliche Dilemmata ein: versuche ich möglichst schnell ans Ziel zu kommen und kümmere mich dann um einen neuen Auftrag? Oder versuche ich, die Ladekapazitäten meines LKWs möglichst gut zu nutzen, muss dafür aber Umwege und Zeitverzögerungen in Kauf nehmen? Wie verhalte ich mich in den Preiskämpfen? Wie gehe ich mit unvorhergesehenen Ereignissen wir Pannen und Staus um?

Musik: Thema 3 weg

Sprecherin: Ob „Auf Achse'“ auch heute noch so erfolgreich werden könnte? Die Themen haben sich in den vergangen Jahren geändert. Heute sind Geschichten gefragt: da werden historische Epochen und Ereignisse herangezogen oder Phantasiewelten entworfen.

O-Ton 13 (Stefan Stadler): Ich kann Sachen erleben, die ich in meinem Alltag nicht hab. Ich kann im Fantasybereich ganz neue Welten erfinden und erkunden, ich kann mich mit Themen beschäftigen, die ich einfach in der heutigen Zeit nicht mehr erleben kann. Also dieses Abtauchen in andere Welten, wie es beispielsweise auch beim Lesen oftmals der Fall ist, das kann ich halt beim Spielen viel aktiver durchführen, und auch das erklärt für mich 'n Teil des Erfolges von Brett- und Gesellschaftsspielen.

Sprecherin: Stefan Stadler ist Spieleautor und -redakteur beim Kosmosverlag in Stuttgart. Gemeinsam mit Michael Rieneck hat er die beiden historischen Romane von Ken Follett „Die Säulen der Erde“ und „Die Tore der Welt“ als Brettspiel umgesetzt.

O-Ton 14 (Stefan Stadler): Also geschichtliche Themen, geschichtliche Abläufe lassen sich eigentlich ganz gut dadurch abbilden, dass man Ursache und Wirkung im Nachhinein einigermaßen sicher bestimmen kann. Zeitgeschehen zum Beispiel, Politik, warum 'ne politische Entscheidung so getroffen wird, lässt sich im Moment sicherlich auch weniger konkret fassen. 200 Jahre zurück blicken zu können mit dem ganzen Umfeld, mit dem ganzen Wissen, das man heute hat, erleichtert das Ganze natürlich und deswegen werden oftmals Geschichtsthemen auch gewählt, um Geschichten zu erzählen, um Stories aufzubauen.

Sprecherin: In seinem Roman „Die Säulen der Erde“ entfaltet Ken Follett ein Panorama Englands in der Zeit zwischen 1123 und 1173. Detailliert beschreibt er Machtspiele und Intrigen, anarchistische Tendenzen und die Herrschaft von Kirche und Königtum. Auf den gut zwölfhundert Seiten eröffnet sich die ganze Bandbreite menschlicher Gefühle. Wie lässt sich eine solche Fülle an Informationen, ineinander verschränkten Handlungssträngen und Biographien als Spiel umsetzen?

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O-Ton 15 (Stefan Stadler): Es ist tatsächlich nur die Handlung, die im Vordergrund steht. Natürlich die Zeit, die Charaktere, die Entscheidungen, die getroffen wurden, die spielen alle 'ne große Rolle, aber ob das Buch jetzt im Grunde genommen 'n wirklich tollen Schreibstil hat oder ob 's im Prinzip 'n Groschenroman ist, kann ich im Spiel eigentlich nicht darstellen. Also über Literatur oder die Machart des Buches kann ich im Spiel eigentlich nichts vermitteln.

Sprecherin: Michael Rieneck und Stefan Stadler haben sich ein Thema aus dem Roman herausgegriffen: den Bau der Kathedralen im Hochmittelalter. Die Spieler sind Baumeister; sie setzen verschiedene Handwerkerkarten ein, die sie zunächst bezahlen müssen. Doch eine Maurer-Karte nützt nichts, wenn man keinen Helfer hat, der den Mörtel mischt; außerdem braucht man die Spielkarten mit den passenden Rohstoffen. Der Bezug zum Buch ist für dieses historische Wirtschaftsspiel eher zweitrangig – aber für den Verkauf ist der bekannte Name Ken Follett sicher hilfreich.

Musik /Akzent

Sprecherin: Auch 'Troja' von Thomas Fackler ist ein historisches Spiel. Es hat 2001 von der Jury 'Spiel des Jahres' den Sonderpreis 'Geschichte im Spiel' bekommen. Hier arbeiten die Spieler als Archäologen. Schmutzig macht sich dabei keiner, denn der „Grabungshügel“ besteht nicht aus Erdschichten, sondern aus einem Durcheinander an Karten:

Zitator: Von diesem Grabungshügel ziehen die Spieler frei zugängliche quadratische Kärtchen und erforschen sie, das heißt sie schauen sie sich genau an: zu welcher Schicht gehört diese Ausgrabung? Ist darauf vielleicht ein Teil der Mauer zu sehen? Passen mehrere meiner Kärtchen zusammen? Dann muss der „Archäologe“ seine Erkenntnisse veröffentlichen. Dazu werden die Kärtchen in den jeweiligen Rahmen für die einzelne Schicht gelegt. So werden allmählich die Schichten Trojas zusammen gepuzzelt. Die graphische Gestaltung ist den Originalplänen nachempfunden und wurde von Wissenschaftlern überprüft.

Sprecherin: Ob ein Spieler als „Archäologe“ erfolgreich ist, hängt davon ab, ob er mehrere zusammenhängende Teilstücke der alten Stadt veröffentlichen kann, ob er eine Schicht beendet beziehungsweise eine neue beginnt. Jeder dieser Arbeitsschritte wird unterschiedlich bewertet. Alle drei auf einmal sind nicht möglich, im Spiel nicht und auch nicht im wirklichen Leben. Die Spieler sitzen zwar nicht im Zelt auf dem Ausgrabungsfeld, sondern an einem Tisch, aber auch hier müssen sie entscheiden, ob sie weiter graben, um mehr zu entdecken, oder ob sie besser ihre bisherigen Ergebnisse veröffentlichen – also ihre Karten auf den Tisch legen – bevor ihnen ein Kollege zuvorkommt.

O-Ton 16 (Thomas Fackler): Und wenn man da diesen Wissenschaftsbetrieb nimmt, dann wär das so ein Mechanismus. Wenn sie das eine tun, müssen sie das andere lassen, das ist aber auch 'n ganz klassisches spielerisches Dilemma sozusagen, weil erst dann ist es eigentlich ein

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Spiel, oder dann freut sich der Autor sozusagen, wenn die Spieler jammern, wenn ich das tue, muss ich das andere lassen…

Musik/Akzent

Sprecherin: Das Spiel hatte in Deutschland schon immer einen schweren Stand, was sich auch im Begriff selbst nieder schlägt: Die Bezeichnung 'Spiel' umfasst kindliches Spiel, Brettspiel, Sport und Schauspiel, kreatives Spiel, aber auch den ganzen Bereich des Glücksspiels. Im Englischen ist das anders: Glücksspiel heißt hier 'gambling' im Gegensatz zu 'playing', der zweckfreien Form des Spielens.

O-Ton 17 (Rainer Buland): Also da hat der Deutsche Begriff einfach zu wenig Standing in der Gesellschaft, dass man 's so nennen darf. Auch in der Stadtentwicklung. Die machen heut ganz einfach Simulationsspiele, man darf 's nur net Simulationsspiele nennen, sondern muss es dann Zukunftswerkstätten nennen oder so irgendetwas.

Sprecherin: Rainer Buland leitet das Institut für Spielforschung in Salzburg, das einzige Forschungsinstitut seiner Art. So gesehen ist er der einzige hauptamtliche Spiele- Forscher. Außerdem ist er Mitglied der Gruppe 'Spielquadrat', die sich interdisziplinär mit dem Spielgedanken beschäftigt.

O-Ton 18 (Rainer Buland): Die Managementtrainer, die Personalentwickler setzen genauso Spiele ein, um in Betrieben gewisse Veränderungsprozesse zu initiieren und zu fördern, sie dürfen 's nur nicht Spiel nennen. Das heißt ja dann ein amerikanischer, englischer Begriff und ist aber effektiv ein ganz blödes Kinderspiel, man darf 's nur net so nennen.

Sprecherin: Über Jahrhunderte versuchten Kirche und auch weltliche Autoritäten, das Spielen zu verbieten. Im Mittelalter galt das Spiel als Erfindung des Teufels, wer würfelte oder Karten spielte, musste hohes Bußgeld bezahlen, die Stadt verlassen oder kam ins Gefängnis.

O-Ton 19 (Erwin Glonnegger): Im 16. Jahrhundert hat einmal ein Mönch in Erfurt über 3000 Spiele zusammengetragen und hat sie verbrannt. Da sind bestimmt wunderbare Kostbarkeiten dabei gewesen.

O-Ton 20 (Rainer Buland): Das Spiel war also verteufelt und zwar alles Spiel. Und zwar das steht dezidiert drinnen, das Argument war: der Hausvater soll am besten schon den kleinen Kindern jedes Spiel verbieten, damit sie späterhin nicht in Versuchung kommen, diese bösen Glücksspiele zu machen. Also wehret den Anfängen ist besser als später einem Laster nicht mehr Herr zu werden.

Zitator:

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Das verderbliche exzessive Spielen, das von vielen gemeinen Bürgern ganze und halbe Tage lang bis in die späteste Nacht hinein mit Karten, Würfeln und anderen Spielen geübt wird, wobei große Sätze von Groschen, Batzen und halben Gulden ausgesetzt werden, wird dahingehend verboten, dass künftig niemand mehr als um einen Pfennig spielen darf, um sich selbst, Frau und Kinder vor Not zu bewahren." – Aus einer 1737 erlassenen Verordnung des Rates der Freien Reichstadt Ravensburg.

O-Ton 21 (Erwin Glonnegger):

Obwohl Martin Luther selber auch gespielt hat. Und zwar hat der ein Spiel gespielt, das man heute unter dem Namen Backgammon vor allem kennt, Er hatte dafür einen sehr schönen Namen 'Wurfzabel', das war sein Lieblingsspiel, das hat er ab und zu erwähnt.

O-Ton 22 (Rainer Buland): Nun haben dann aber einige Humanisten im 17. Jahrhundert gesagt, ne so geht 's auch nicht. Weil das Spiel hat in der Erziehung und in der Wissensvermittlung für Kinder und Jugendliche einen großen Wert. Kinder und Jugendliche lernen am besten, wenn sie spielerisch kreativ sein dürfen. Und daher ham dann die Humanisten gesagt, wir erfinden Spiele, die gut sind für Kinder und Jugendliche.

Zitator: Das Spielen ist gegenwärtig eine so gemeine und in der artigen Welt so notwendige Sache worden, dass man kaum den Namen eines gesitteten Gesellschafters behaupten kann, wenn man in der Spielkunst ganz unerfahren ist. Insbesondere scheint es eine der erforderlichsten Eigenschaften desjenigen zu sein, der die Welt sehen und auf Reisen fortkommen will: ja man fordert sogar, dass Personen beiderlei Geschlechte, die den Namen galanter Leute führen wollen, Meister und Meisterinnen nicht nur in einem, sondern in verschiedenen Spielen sein sollen." Georg Bauer: 'Die Kunst, die Welt mitzunehmen in den verschiedenen Arten der Spiele, so in Gesellschaften höheren Standes üblich sind' – 1756.

O-Ton 23 (Rainer Buland): Beispiel: Wie lernten die Prinzessen und Prinzessinnen an den Höfen in Europa die Geschichte Europas und die Geografie Europas? In einem Kartenspiel. Es gab von Brianville 1759 in Lyon die erste Ausgabe. Das ist ein Kartenspiel, da sind alle Wappen Europas drauf und im Buch dazu ist erklärt, das Wappen erklärt, wer das ist, wer der französische König ist, wer der Papst ist, wer der deutsche Kaiser ist, wer der spanische König ist. Dann wird erklärt die Geschichte des Landes, die Geografie des Landes.

Sprecherin: Mit diesen Karten konnten nun verschiedene Spiele gespielt werden: etwa Quartett, wobei man die jeweilige Karte nur bekam, wenn man die Geschichte des Landes erzählen oder seine Geographie richtig beschreiben konnte. Oder eine Art Memory, oder man spielte ein ganz normales Kartenspiel.

O-Ton 24 (Rainer Buland):

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Und so hat man die Wappen und die Geografie Europas kennengelernt. Ich find das auch sehr, sehr interessant, weil wir so wenige Bilder von Europa haben. Wir teilen Europa immer in Einzelstaaten auf heutzutage, und es gab damals eben schon in einem Buch zusammengefasst, Europa kompakt würde man heute sagen.

Musik O-Ton 25 (Stefan Stadler): Und der Unterschied zu Filmen, zu Literatur ist tatsächlich auch wieder dieses Element, dass man aktiv wird. Von daher muss das Thema positiv besetzt sein, ich muss mit meinen Entscheidungen tatsächlich Auswirkungen auslösen können, die eben nicht so hart sind, dass einer aus dem Spiel ausscheidet oder wirtschaftlich ruiniert ist, sondern es muss tatsächlich immer noch der Spaß im Vordergrund stehen.

O-Ton 26 (Rainer Buland): Mit jedem Spiel ist ein gewisses Risiko verbunden, das ist ja auch das Reizvolle, kein Spiel ohne Risiko: ich könnte mich blamieren, ich könnte es nicht verstehen, ich könnte verlieren, die Nerven verlieren und all diese Ängste, Spiel ist immer mit Risiko behaftet, verbunden, und das ist eben auch das Spannende daran. Weil im Spiel, im Sinne von play oder to play a game, steht ja der Mensch auf dem Spiel. Das was auf dem Spiel steht, anders als beim Glücksspiel, im Gambling, bei Gambling steht ja der Einsatz am Spiel, drum funktionieren ja die Finanzmärkte so wunderbar. Der steht ja net selber am Spiel sondern gibt sein Geld hin, und das Geld steht am Spiel. In diesen Gesellschaftsspielen, auch im Brettspiel steht ja der Mensch selber am Spiel. Das ist ja der eigentliche Einsatz.

Sprecherin: Es gelingt nicht oft, dass die Geschichte eines Spiels mit seinem Mechanismus verschmilzt. Oft wird einem längst bekannten Regelwerk einfach nur eine andere Geschichte übergestülpt, die aber nichts mit den zugrunde liegenden Regeln zu tun hat. Dann sammelt und tauscht man wieder Rohstoffe oder versucht möglichst lange Straßen oder Eisenbahnlinien zu bauen und weiß am Ende nicht mehr, ob man eine Runde „Siedler“ gespielt hat oder doch „Anno 1701“; vielleicht aber auch „Ozeanien“, „Metro“ oder „Seeland“.

Musik: Thema 3, darüber

Zitator: „Seeland“ spielt im Goldenen Zeitalter, im 17. Jahrhundert. Die Spieler sind niederländische Kaufleute, die mit Hilfe von Mühlen Land entwässern. Dann können sie Kohl anbauen, Raps oder Tulpen. Zuvor müssen sie auf dem Markt von Seeland Pläne zum Bau von Mühlen kaufen beziehungsweise Saatgut, das sie in Form von Kärtchen rund um ihre Mühlen verteilen.

Musik: Thema 3 weg

Sprecherin: Was lernen wir daraus? Niederländische Mühlen sind mehr als nur attraktive Postkartenmotive. Riesige, eingedeichte Ackerflächen konnten nur entstehen, weil mithilfe von Mühlen und Windkraft das Land entwässert wurde. Ein interessantes

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wirtschafts- und technikgeschichtliches Detail. Aber sonst? Kaufen, sammeln, Reichtum mehren, und am Ende entstehen Landschaften, Kathedralen, Metrolinien … Fast jedes Spiel ist geeignet, logisches und strategisches Denken zu trainieren. Bei „Mensch ärgere dich nicht“ lernen Kinder würfeln und zählen und vielleicht auch die Fähigkeit zu verlieren. Und natürlich kann man in jedem Spiel üben, wie man gewinnt und dabei Teil der Gruppe bleibt, ein Spieler, mit dem die anderen gerne eine weitere Runde spielen.

O-Ton 27 (Rainer Buland): Im 20. Jahrhundert in unserer westlichen Gesellschaft denken wir immer, dass ein guter, exzellenter Spieler der wäre, der am schnellsten gewinnt. Da sind wir völlig einseitig in unserer Gesellschaft verblendet. Ein guter, exzellenter Spieler ist der, der gemeinsam mit jemandem anderen eine gute Unterhaltung machen kann. Das war im 18. Jahrhundert sehr, sehr ausgeprägt, also ein Kavalier in einer Compagnie, wie es damals hieß, in einer Spielgesellschaft, wenn der immer effektiv alles gewinnt, dann würde man von dem nie sagen, dass er ein Kavalier ist, hätte ihn sowieso von der Gesellschaft aufgeschlossen. Viel mehr war wichtig, dass man gemeinsam ein Spiel macht, an dem man sich unterhalten kann, dass man gut verlieren kann, dass man gut gewinnen kann. Dass man interessante Strategien verfolgen kann, dass man kreativ ist in Neuerungen in diesem Spiel. Und das ist viel, viel interessanter als die einseitige Ausrichtung auf Gewinn, wo wir ja gar nix gewinnen können.

Sprecherin: Nur wenn alle Ebenen eines Spiels ineinander greifen – Gestaltung und Rahmenhandlung, Material und Mechanismus – kann es auf eigene Weise Wissen vermitteln. Ganz konkretes, anwendbares Wissen über antike Ausgrabungsstätten, eine Universität oder den Kathedralenbau im Mittelalter. Wissen, das sich nicht anlesen, sondern eben nur spielerisch erfahren lässt. Dass das so selten gelingt, liegt nicht am Brettspiel an sich, sondern an den kommerziellen Vorgaben der Verlage. Viele Spiele-Autoren haben sie längst verinnerlicht. Meist geht es nicht darum, ein Thema zu durchdringen, sondern die Käufer möglichst direkt anzusprechen. Das gelingt am besten mit Spielen, die sich an erfolgreiche Buch- oder Kinovorlagen anlehnen.

Musik/ Akzent

Sprecherin: Letztlich gilt auch hier, was für alle anderen Kulturbereiche gilt: es sind nur wenige Werke, die aus der Masse der Veröffentlichungen heraus stechen. Manche davon sind einfach gute Spiele wie die Klassiker „Mühle“, „Dame“ oder „Go“, die unser logisches Denken ansprechen. Und dann gibt es einige wenige Spiele, deren Mechanismus so gut mit einer Geschichte verknüpft ist, dass sie uns die Stimmung einer Zeit, den Alltag eines Berufsstandes oder historische Zusammenhänge erkennen lassen. Erkenntnisse, die es wert sind, ein Spiel in die Länge zu ziehen – obwohl man längst hätte gewinnen können.

O-Ton 28 (Thomas Fackler): Das ist natürlich das Schöne an so 'nem Spiel, dass es sozusagen nicht den Zweck hat, jetzt diese Erkenntnis zu bekommen, die kannste haben, in der Regel kannste dich gegen diese Erkenntnis auch gar nicht wehren, aber du musst sie nicht haben.

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Musik, darüber:

Zitator: Das Spiel endet, wenn alle ihre Veröffentlichungskarten aufgebraucht haben. Es gewinnt, wer die höchste Reputation erreicht hat.

Sprecherin: Sieger ist der Spediteur, der das meiste Bargeld erwirtschaften konnte.

Zitator: Das Spiel endet nach der sechsten Runde, wenn die Kathedrale vollendet ist. Sieger ist der Spieler mit den meisten Siegpunkten.

Musik noch einmal kurz frei !!

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Angaben zu den Spielen / Literatur und Links:

- „Die Säulen der Erde“. Von Stefan Stadler und Michael Rieneck, Kosmos Verlag - „Seeland – Wettstreit im Reich der Mühlen“. Von Günter Burkhardt und Wolfgang Kramer, Ravensburger Verlag - „Troja“. Von Thomas Fackler, Zeitstein. - „Die Kinder-Uni“. Von Thomas Fackler, DVA - „Anno Domini“. Von Urs Horstettler, Abacusspiele - „Auf Achse“. Von Wolfgang Kramer, Schmidt Spiele - „Das Spiele-Buch. Brett- und Legespiele aus aller Welt.“ Von Erwin Glonnegger, Drei Magier Verlag - Institut für Spielforschung an der Universität für Musik und darstellende Kunst, Mozarteum Salzburg: www.spielforschung.at -