Renaissance 4/2010 - 1

Laura Goldenbaum

Der Zeugniswert des Körpers oder anima forma corporis. Der quat- trocenteske Bronzegisant des Sieneser Rechtsgelehrten Mariano Sozzini

eine aus dem Zusammenhang gerissene Darbietung, ist das seiner eigentlichen Funktion beraubte bronze- ne Memorialbildnis entweiht und als fragiler Körper ei- nes alten Mannes dem sich von oben herabsenken- den musealen Blick des Betrachters schutzlos ausge- liefert.[2] Die dunkelbraun patinierte Figur liegt flach rücklings über einem Holzkasten ausgestreckt, das Haupt ruht erhöht auf einem Kissen – so, wie es auch die feierliche Zeremonie der Aufbahrung des Leich- nams vorschreibt (Abb. 2). Das knöchellange Gewand führt in einer längsgerichteten strömenden Abwärts- bewegung vom überscharf gezeichneten Gesicht über die feingliedrigen, auf Bauchhöhe überkreuzten Hän- de bis zu den nackten Füßen (Abb. 3). Das schmale, eingefallene Antlitz wirkt entrückt, Augen und Mund sind geschlossen (Abb. 4). Es ist zuallererst das Bild eines Leichnams, eines individualisierten und mit den Insignien seines Berufsstandes kenntlich gemachten Toten. Aufgrund der Organisation ihrer ziselierten Nachbearbeitung und durch ihre leichte Körperdre-

Abb. 1: Museo Nazionale del Bargello, Florenz, Donatello- hung nach rechts muss die Liegefigur für ein Wand- Saal mit dem Bronzegisant Mariano Sozzinis (Aufnahme der grabmal und für eine Ansicht in Über-Augen-Höhe be- Autorin) stimmt gewesen sein (Abb. 5). Es handelt sich bei dem Gisant, der als ein plastisches Hochrelief gestal- Im Donatello-Saal des Museo Nazionale del Bargello tet ist, ähnlich wie bei den anderen vier bronzenen in Florenz verweigert eine Figur das säulenhaft auf- strebende und den Raum in Beschlag nehmende Prinzip des Vertikalen und wirbt stattdessen für den Reiz des Horizontalen, für das Unbewegte, in sich Ge- schlossene und an die Wand Gerückte (Abb. 1).[1] Weit entfernt von einem ihr eigentlich geziemenden sakralen Rahmen, inmitten all der versammelten Dy- namik, eingefroren in Stein und Metall, scheint die bronzene Grabfigur des 1467 verstorbenen sienesi- schen Rechtsgelehrten Mariano Sozzini il Vecchio Abb. 2: Lorenzo di Pietro detto il Vecchietta, Bronzegisant des Maria- no Sozzini († 1467), Florenz, Museo Nazionale del Bargello (Aufnah- merkwürdig fehl am Platz zu sein. Als bloßes Exponat, me der Autorin) Laura Goldenbaum Der Zeugniswert des Körpers kunsttexte.de 4/2010 - 2

Abb. 4: Lorenzo di Pietro detto il Vecchietta, Bronzegisant des Maria- Abb. 3: Lorenzo di Pietro detto il Vecchietta, Bronzegisant des Maria- no Sozzini († 1467), Detail: Kopf, Museo Nazionale del Bargello (Auf- no Sozzini († 1467), Detail: Hände, Florenz, Museo Nazionale del Bar- nahme der Autorin) gello (Aufnahme der Autorin)

Liegefiguren des Quattrocento von Baldassare Cos- der Auftraggeber jener überlieferten Liegefiguren zu cia, Sixtus IV., Pietro Foscari und Innozenz VIII., um erklären vermag. Nach dem heutigen Wissensstand einen offenen Hohlguss mit stark variierender Wand- kann die Grabfigur Sozzinis als die erste in Bronze ge- stärke.[3] Die quer über den Gisant unterhalb der fertigte Abbildung eines Toten gelten, die zweifellos Hände verlaufende klaffende Spalte, die ihn in zwei mithilfe der Integration von Körperabdrücken des Hälften zerteilt, bezeugt, dass beide Teile separat ge- Leichnams in das Gussmodell realisiert wurde.[5] Die- gossen und offensichtlich fehlerhaft, wahrscheinlich ser Konnex zwischen dem demonstrativen Materialis- aus Gründen mangelnder Passgenauigkeit, verlötet mus der Bronze, die bis in diese Zeit hinein per se po- worden sind.[4] litisch konnotiert war, und der Totenmaskenreferenz Selbst wenn der Vorrang der ästhetischen sollte – erstaunlich konform – seitdem zum festen Ka- Qualität der Porträtfigur, als Mittel, um die Würde des non für die drei nachfolgenden ehernen Gisants des Rechtsgelehrten zu betonen, angesichts dieses Wer- Quattrocento werden: die Liegefigur Sixtus’ IV. und kes unbestritten ist, liegt der Gedanke nicht eben die seines venezianischen Kardinals Pietro Foscari nahe, dass sich hinter dieser ehernen Liegefigur ein (Abb. 6), die beide, als Freigrabmal konzipiert, noch wahres Schwergewicht an Bedeutung verbergen einmal eine dramaturgisch inszenierte Steigerung er- könnte. fuhren[6] und zuletzt die Totenfigur von Papst Inno- Grundsätzlich muss davon ausgegangen zenz VIII. für sein Wandgrabmal in Alt-St.-Peter, die werden, dass es eine Bronze aufgrund der problemlo- hier jedoch bereits in Abhängigkeit einer Thronfigur sen Wiederverwendbarkeit ihres kostbaren Materials steht und so „dem Tod gewissermaßen elastisch zu viel schwerer hatte, bis in die heutige Zeit zu überdau- begegnen vermag“.[7] Der Umstand, dass all jene ho- ern, als eine vergleichbare Ausführung in Stein, da hen geistlichen Würdenträger das Studium des kano- dieser nach seiner Bearbeitung als Rohstoff an Wert nischen Rechts und die Bindung an die Universität verliert. Dennoch wird die Zahl der in edlem Metall von miteinander gemein haben und Sozzini be- ausgeführten Grabfiguren im 15. Jahrhundert insge- gegnet sein müssen, rückt den Gisant des Rechtsge- samt überschaubar gewesen sein. Dies legt allein der lehrten mit gutem Grund in die Nähe eines initiatori- unvergleichlich höhere Kostenaufwand nahe, der auch schen Werks, das eine gezielt programmatische Aus- die ausgesprochen hohe gesellschaftliche Stellung sage voraussetzt. Laura Goldenbaum Der Zeugniswert des Körpers kunsttexte.de 4/2010 - 3

Der Körper der Bronzefigur Sozzinis ist in zweifacher Hinsicht Zeichenträger: Zum einen ver- weist er auf die institutionelle Rolle des Rechtsgelehr- ten – die lange Amtsrobe und der durch einen breiten Reif fixierte Cappuccio kennzeichnen den Verstorbe- nen unmissverständlich als Advokaten.[8] Auf diese Weise wird der Jurist zum eingefrorenen signifikanten Symbolwert der, für sich genommen, eigentlich nicht darstellbaren Größe des Rechts. Veranschaulicht wird also, wie das Recht erst durch den Körper performativ wird und in Kraft tritt. Zum anderen zeugen die scharf und überdeutlich hervorgehobenen, ja aus dem Leib herausgelösten, signifikanten Körperdetails wie das besonders akkurat ausgearbeitete Gesicht des Toten, die angesetzten, sich überkreuzenden, von einem Adernetz überzogenen feingliedrigen Hände und die strapazierten, sehr individuell geformten nackten Füße von dem Wunsch nach einer Objektivierung und Rela- tivierung der glaubwürdigen äußeren Erscheinung mit- tels der Übernahme von Körperabdrücken in die Gussform (Abb. 7).[9] Nur auf diese Weise ließ sich der Schleier der eigenwilligen künstlerischen Interpre- tation, der zwangsläufig über einem frei nachgestalte- ten Porträt liegen musste, entfernen. Gleichzeitig wird damit der Wille der Auftraggeber wie des Künstlers er- kennbar, die Persönlichkeit mittels der Skulptur als unverwechselbares Selbst in Erscheinung treten zu lassen. Abb. 5: Lorenzo di Pietro detto il Vecchietta, Bronzegisant des Maria- no Sozzini († 1467), Florenz, Museo Nazionale del Bargello (Aufnah- me der Autorin)

Abb. 6: Giovanni di Stefano, Bronzegisant und marmorner Sarko- Abb. 7: Lorenzo di Pietro detto il Vecchietta, Bronzegisant des Maria- phagkasten des Kardinals Pietro Foscari († 1485), Rom, S. Maria del no Sozzini († 1467), Detail: Füße, Florenz, Museo Nazionale del Bar- Popolo, Cappella Costa (Aufnahme der Autorin) gello (Aufnahme der Autorin) Laura Goldenbaum Der Zeugniswert des Körpers kunsttexte.de 4/2010 - 4

schaulichung zu den Mitteln der Kunst, wenn sich ihre zutiefst subjektive Sphäre jenem vernunftgesteuerten, dem Anspruch des Objektiven folgenden Bereich des Rechts annähert, wenn es also um das protokollari- sche Aufzeichnen von Tatsachen geht. In diese Rich- tung scheint auch die programmatische Aussage des Bronzegisants Mariano Sozzinis zu weisen, und zwar auf drei Ebenen. Erstens: Im Ausschluss alles Illustrativen zu- gunsten des Prosaischen wird erstmals gerade der Zeugniswert des Körpers relevant und besonders be- tont. Zweitens: Durch die offenkundige Konzentration auf den Körper, die wegen des fehlenden rahmenden Beiwerks des Grabmalaufbaus noch offensichtlicher ist, stellt sich der Leib in den Dienst der aristoteli- schen, heilstheologisch ausgedeuteten und zemen- tierten Naturphilosophie der anima forma corporis und demonstriert so die ideologische Nähe zu den eng mit der Scholastik verbundenen Universitätslehren. Drit- tens: Der verewigte Leib des Juristen versinnbildlicht Abb. 8: Unbekannter Künstler, Porträt Hermann von Weinsberg. Der die allumfassende These, dass allein die Kombination Ratsherr im Alter von 22 Jahren, 1540, Kohlezeichnung, Köln, Zeug- haus (Foto: Konstantin Höhlbaum u. a. (Hgg.), Das Buch Weinsberg. von Recht und Bild auch die Subjektivität und Indivi- Kölner Denkwürdigkeiten aus dem 16. Jahrhundert [Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Bd. 3.4.16], 5 Bde., dualität im eigentlichen Sinne begründet. Leipzig/Bonn 1886-1926, Bd. 1, S. 182-183) Auf diese drei Punkte werde ich im Folgen- den gezielt eingehen, jedoch scheint es unerlässlich, Diese beiden zentralen, klar akzentuierten sich nicht allein dem Gisant Sozzinis in seiner beson- Aspekte des Gisants müssen das Selbstverständnis deren Ausformung zuzuwenden, sondern zuerst ein- des Juristenstandes ausreichend markiert haben. Sie mal der Person des Rechtsgelehrten und damit ver- finden sich ebenso in dem Gedenkbuch des Kölner bunden der gesellschaftlichen Einbindung des Juris- Ratsherrn Hermann Weinsberg bestätigt.[10] Im Jahr tenstandes im Italien des 15. Jahrhunderts einige Auf- 1543 legte dieser sein juristisches Licentiatsexamen merksamkeit zu schenken. ab und verlieh seinem neuen sozialen Status in der Der Tod des über 70-jährigen Mariano Sozzi- Betonung von drei Kriterien Gewicht: in der detaillier- ni il Vecchio am 30. September 1467 in Siena setzte ten Beschreibung der ihn auszeichnenden Amtsklei- der Arbeit an seinem Traktat De causa possessionis dung, dem stolzen Insistieren auf das für die Nachwelt et proprietatis, eine naturrechtliche Analyse der pro- fixierte Individualporträt und der Beauftragung für ein zessualen Notwendigkeiten zum Schutz von Macht persönliches Siegel (Abb. 8). Dass auch Mariano Soz- und Eigentum auf der Basis des Besitzindividualis- zini besonderen Wert auf die Identifikation mit seinem mus, ein jähes Ende.[12] Sozzinis eigenes am Materi- Stammwappen legte, bezeugt der Jurist und Schüler ellen orientiertes Selbstverständnis offenbarte sich zur des Mariano Sozzini il Giovane, Guido Panciroli, ge- selben Zeit in dem Umstand, dass er testamentarisch gen Ende des 16. Jahrhunderts. Er berichtet von ei- Vorsorge für eine ehrwürdige Grablege getroffen und nem bemalten Pergament mit der Darstellung des Fa- die stolze Summe von 500 Goldflorin für die skulptu- milienwappens von der Hand Marianos, das sich im rale Ausschmückung der bereits vorhandenen Famili- Besitz der Familie Sozzini befunden haben soll.[11] enkapelle in S. Domenico in Siena bestimmt hatte Es erweckt den Anschein, als greife das (Abb. 9). Im Mauerwerk der Stirnwand des linken Ne- Recht zu seiner Durchsetzung und zu seiner Veran- benchores hat sich ein Wappenstein der Sozzini mit Laura Goldenbaum Der Zeugniswert des Körpers kunsttexte.de 4/2010 - 5

folgender Inschrift erhalten: „CHAPELLA DELLE REDE Interesse am Fortleben der Erinnerung gehabt haben. D(I) S(ER) MINO SOCCI DA SIENA ANTICHO DA PER- [16] Der aussichtsreiche Titel des Konsistorialadvoka- CENA“[13] (Abb. 10). Auch die Präferenz von S. Do- ten, der aufgrund seiner fachlichen Kompetenz als en- menico deutet auf das Selbstverständnis Sozzinis als ger Berater des Papstes an der Kurie tätig war – ein Rechtsgelehrter hin. Gerade jene Dominikanerkirche Amt, das Mariano innegehabt hatte –, wurde durch- war bereits im 14. Jahrhundert insbesondere von Ju- aus an die männlichen Nachkommen weitergegeben. risten zur letzten Ruhestätte auserkoren worden. [17] Der erfolgreiche Mariano Sozzini il Vecchio ließ Grund dafür mag die wachsende Reputation und ver- sich als Ahnvater einer der berühmtesten Juristendy- stärkte Lehrtätigkeit der Ordensbrüder an den Univer- nastien im Cinque- und Seicento gewinnbringend in- sitäten gewesen sein.[14] stallieren. Mariano il Vecchio hatte sich und seinen

Abb. 9: Siena, S. Domenico, Blick in die linke Nebenchorkapelle, ehe- Abb. 10: Wappenstein der Sozzini-Familie mit der Inschrift „CHAPEL- malige Cappella della Madonna della Neve (Sozzini-Kapelle) (Aufnah- LA DELLE REDE D(I) S(ER) MINO SOCCI DA SIENA ANTICHO DA me der Autorin) PERCENA“, Siena, S. Domenico, Stirnwand der linken Nebenchorka- pelle (Aufnahme der Autorin)

Marianos Söhne Bartolomeo und Alessandro, Nachkommen nicht allein den Weg an die Universitä- auf denen nun die Last der Verantwortung für das pa- ten geebnet, er hatte ihnen darüber hinaus den Zutritt trimonium della famiglia lag, müssen die pompösen, zur päpstlichen Kurie ermöglicht. über die Grenzen Sienas hinaus aufsehenerregenden Das Zeugnis Guido Pancirolis, eines wichti- Exequien des grand signore organisiert und auch den gen Schülers Sozzini il Giovanes, dem die Familie Bronzegisant in Auftrag gegeben haben.[15] Bartolo- einen Blick auf den Bronzegisant ihres Ahnherrn ge- meo (1436-1507) und nach ihm insbesondere Mariano währte, scheint dies zu belegen. Der Jurist Panciroli Sozzini il Giovane (1483-1556), sein Enkel, werden als liefert so den ersten Hinweis auf die Existenz der „sta- gefeierte Juristen und Universitätsgelehrte ein großes tua ex aere“[18] des Rechtsgelehrten im Hause Sozzi- Laura Goldenbaum Der Zeugniswert des Körpers kunsttexte.de 4/2010 - 6

ni und benennt selbst den Urheber des Werkes: Lo- schiedliche Ursachen und naheliegende Gründe ge- renzo di Pietro detto il Vecchietta (1412-1480). Diese habt haben. Aussage erscheint durchaus nicht unwahrscheinlich, Von den beiden Söhnen Mariano il Vecchios, wenn man bedenkt, dass die florierende Bronzeguss- die das Erwachsenenalter erreichten und über die wir werkstatt Vecchiettas in Siena zu dieser Zeit alle Nachricht haben, hätte vor allem Bartolomeo, selbst künstlerischen Talente der Stadt absorbierte und so- gefeierter Jurist und hoch bezahltes Mitglied der aka- mit vorzugsweise große Aufträge an sich ziehen demischen Elite des ausgehenden 15. Jahrhunderts, musste.[19] Von 1467, dem Sterbejahr Marianos, ar- ein gesteigertes Interesse an der monumentalisierten beitete er bis 1472 durchgehend auch an dem Bron- Darstellung und Ehrung des Vaters als Rechtsgelehr- zeziborium für das Hospital S. Maria della Scala.[20] ten haben müssen – mehr als sein Bruder Alessandro, Etwa gleichzeitig oder kurz darauf dürfte in seiner der nicht als Jurist, sondern als einflussreicher siene- Werkstatt der Bronzegisant Sozzinis gefertigt worden sischer Politiker auf sich aufmerksam machte.[25] Je- sein. Für die Auftragsvergabe werden den Kunstken- doch kehrte Bartolomeo seiner Vaterstadt bereits we- ner Mariano il Vecchio und seine Erben Vecchiettas nige Jahre nach dem Tod des Vaters den Rücken, um lebensgroße Figuren der hll. Peter und Paul für die von 1472 bis 1473 an der Universität zu lehren Loggia della Mercanzia in Siena (ca. 1458-1460) über- und von dort an das von Lorenzo de’ Medici erneut zeugt haben, vor allem aber die Silberstatue der hl. ins Leben gerufene Studio von Pisa zu wechseln. Bis Katharina von Siena, entstanden in der Zeit ihrer Ka- 1494 nahm Bartolomeo an dieser Universität eine nonisation 1461, ein aufsehenerregendes Werk, das wichtige und hoch dotierte Schlüsselposition ein. Sie- im Zuge der Eroberung Sienas im Jahre 1555 ver- na bemühte sich vergebens, ihn zurückzugewinnen. schwunden ist.[21] Vecchietta war es auch, der das Auch wenn sich Bartolomeo, dem Rat der Balia ange- Totengesicht des hl. Bernhardin von Siena – dreidi- hörend, in der sienesischen Politik engagierte, kehrte mensional und unverkennbar präsent – inszenierte er niemals dorthin zurück – aus diesem Grunde mag und es zu einem kanonisierten Bildnis innerhalb der das Interesse an der Umsetzung des exorbitant teu- Porträtskulptur des Heiligen werden ließ.[22] So wun- ren Grabmalsprojekts für seinen Vater eher verhalten dert es nicht, dass die Forschungsliteratur der Aussa- gewesen sein.[26] ge Pancirolis bisher fast uneingeschränkt Glauben ge- Dies bestätigt auch das schriftlich eingestan- schenkt hat.[23] dene Versäumnis beider Söhne, die testamentarische Das Interessanteste an Pancirolis kurzem Verfügung des Vaters, sein Grabmal und die Ausstat- Vermerk dürfte jedoch vielmehr sein, dass die Liegefi- tung der Kapelle betreffend, bis zu ihrem Tod nicht gur Sozzinis offensichtlich niemals ihren Bestim- verwirklicht zu haben. Demnach muss die Kapelle lan- mungsort, die Familienkapelle in S. Domenico, er- ge in unfertigem Zustand verblieben sein. 1491 gibt reichte, sondern bis zum Ende des 18. Jahrhunderts Alessandro seine Vermögenserklärung ab und er- in privater, nicht-öffentlicher Sphäre Aufstellung fand, wähnt, dass er, ähnlich wie sein Bruder Bartolomeo, um einem Zirkel ausgewählter Personen, wie nach- die 250 Floren, die seinem Anteil an den 500 Goldflo- weislich Guido Panciroli, den Zugang zum Werk den- rin entsprachen, welche sein Vater für die Familienka- noch zu gewähren und damit die Perspektive für das pelle hinterlassen hatte, wegen der widrigen Verhält- memorierte Bild Mariano il Vecchios beeinflussen zu nisse noch nicht habe zahlen können. Er hoffe jedoch, können.[24] Umso wahrscheinlicher wird sich die Idee seiner Verpflichtung in Kürze nachkommen zu können der erstaunlich extravaganten und neuartigen forma- und habe sogar bereits damit begonnen, die Schuld len Gestaltung des ungemein kostbaren Bronzegi- abzutragen.[27] sants in einem eingeschränkten, aber miteinander in Die Vernachlässigung des Kapellenprojekts Verbindung stehenden Kreis von Juristen, Universi- wird jedoch größtenteils auf die Baugeschichte S. Do- tätsgelehrten und Humanisten verbreitet haben. Dass menicos selbst und die für die bedeutenden Familien der Bronzegisant Sozzinis anscheinend niemals in S. Sienas relevanten machtpolitischen Verschiebungen Domenico zur Aufstellung gelangt ist, kann unter- zurückzuführen sein. Die schwer zu durchschauende Laura Goldenbaum Der Zeugniswert des Körpers kunsttexte.de 4/2010 - 7

Dynamik bei der Wahl des Begräbnisplatzes sowie Sozzini bis ins 18. Jahrhundert hinein offensichtlich der Kapellenfürsorge und der Altarstiftungen war si- gern Ausstattungsgegenstände ihrer Kapelle zweck- cherlich nicht unwesentlich daran beteiligt. entfremdete und damit stattdessen lieber die Räum- So mag in diesem Zusammenhang auch von lichkeiten ihres Wohnsitzes ausschmückte.[32] Als ve- Interesse sein, dass die Sozzini-Familie in der alten rifiziertes und für die Nachwelt fixiertes letztes Porträt Kirche von S. Domenico, die, noch ohne Querhaus, eignete sich der kostbare Bronzegisant hervorragend bis 1450 Bestand hatte, schon frühzeitig repräsentativ dazu, als autonomes, entkontextualisiertes Erinne- gleichberechtigt neben den Piccolomini, als eine der rungsbild und als Kunstobjekt bei seinen Ahnen auf- zwei wichtigsten Familien Sienas auftrat. Die Familien- bewahrt zu werden, so, wie es Vasari für die Porträt- altäre besetzten den inneren rechten bzw. linken Ne- büsten Verstorbener, die lebensechten Votivbildnisse, benchor – links und rechts den Hauptaltar flankierend die auf den Kaminsimsen unzähliger privater Haushal- – an der hinteren Chorwand des Hauptschiffabschlus- te aufgestellt waren, bezeugt.[33] ses.[28] Geplant war die Familienkapelle der Sozzini Beim Einzug des Erzbischofs Alessandro im neuen Querhaus und demnach – nach der Wahl Zondadari im Jahr 1715 befand sich die Skulptur zwi- Enea Silvio Piccolominis zum Papst Pius II. im Jahr schenzeitlich in der Loggia Pius’ II. in Siena.[34] Erst 1458 sicher in gesteigertem Maße – als ein in den 1794 wurde der Gisant, „che è bella e di grandezza Neubau hinübergerettetes Pendant zur Piccolomini- naturale“,[35] von der letzten Hinterbliebenen, der in Kapelle. Seit spätestens 1465 jedoch, also zwei Jahre Orvieto ansässigen Contessa Maria Porzia Sozzini nei vor dem Tod Marianos, wurde der innere rechte Ne- Marscioni, an den Großherzog Ferdinand III. ver- benchor, der den Piccolomini gehört hatte, als „cap- schenkt, der sich wiederum mit dem Präsent einer pella nuova di S. Ambrogio“[29] umgewidmet. Die Fa- diamantbesetzten Halskette dankbar erwies.[36] Gae- milie Piccolomini blieb zwar bis Ende der 70er-Jahre tano Milanesi bezeugt die ausgestellte bronzene Lieg- des Quattrocento im Besitz der Nebenchorkapelle, figur Mariano Sozzinis 1879 bereits in den Uffizien, musste aber in jenen Jahren ganz offensichtlich be- „nella stanza dei bronzi moderni“.[37] reits das Interesse an ihr verloren haben.[30] Vielleicht Der Verbleib des Gisants im privaten Rahmen ist auch in diesem offensichtlichen Prestigeverlust der bis ins frühe 19. Jahrhundert dürfte einerseits die feh- Grund für die nach dem Tod Marianos nicht mehr be- lenden Bezugnahmen in den zeitgenössischen Quel- sonders eifrig betriebene Kapellenfürsorge der Familie len, wie bei Vasari, erklären, aber andererseits auch Sozzini zu suchen. der Grund dafür sein, dass der Bronzegisant über- Die mächtige Querhausanlage mitsamt den haupt bis in die heutige Zeit überdauert hat. Dass der angrenzenden Kapellen befand sich im 15. Jahrhun- sienesische giureconsulto Mariano Sozzini nicht in dert noch im Bau. Im Jahr 1465, vielleicht aber auch Vergessenheit geraten ist, verdankt er deshalb ver- erst in der Zeit um 1478/1479, das heißt gut zehn Jah- mutlich weniger seiner für die damalige Zeit unge- re nach dem Tod und der Bestattung Sozzinis, wurde wöhnlich eigenwilligen, am getreuen Abbild orientier- die Trennwand beseitigt, die das Langhaus des 13. ten Grabfigur. Man sollte annehmen, dass vielmehr Jahrhunderts von der ihrer Vollendung entgegenstre- seine juristischen Abhandlungen und Lehrschriften benden Querhausanlage abschirmte – ein lang herbei- einen bleibenden Eindruck hinterlassen und seinen gesehntes, wichtiges baugeschichtliches Ereignis, Nachruhm begründet hätten, jedoch scheint das In- das den Raumeindruck massiv verändert haben teresse an den rechtstheoretischen Traktaten und muss. Die gut ein halbes Jahrhundert währende Bau- Kommentaren, überdeckt von den charismatischen stelle wich einem imposanten Kirchenraum, der sein Erscheinungen Bartolomeos und Mariano il Giovanes, Volumen quasi urplötzlich verdoppelt hatte.[31] bereits ab dem 17. Jahrhundert stark nachgelassen Eine weitere Ursache für das fehlende Inter- zu haben.[38] Stattdessen hält sich hartnäckig die von esse der Familie an einer nachträglichen Grabmals- der historischen Forschung gern und oft kolportierte setzung für ihren bedeutenden Vorfahren mag in dem Darstellung Mariano Sozzinis als ein dem Humanis- Phänomen begründet gewesen sein, dass die Familie mus zugeneigter, vielseitig begabter, interessierter Laura Goldenbaum Der Zeugniswert des Körpers kunsttexte.de 4/2010 - 8

Schöngeist und Poet.[39] Um die Mitte des 19. Jahr- Marianos einerseits zu unterstreichen, andererseits zu hunderts waren es vor allem Jakob Burckhardt und beseitigen versucht.[49] Georg Voigt, die in Sozzini il Vecchio den Prototypen Der panegyrische Duktus dieser Lobpreisun- eines „vom humanistischen Hauche“[40] berührten gen war zu Zeiten Sozzinis zur bestimmenden Kultur Rechtsgelehrten erkennen wollten und damit das Bild der kunstvoll ausgeschmückten oratio funebris ge- Marianos als uomo universale für den deutschen Kul- worden, die in der Grabkirche, vor dem Katafalk ste- turraum bis in die heutige Zeit prägten.[41] Für Voigt hend, in Anwesenheit des Toten verlesen, ja zelebriert zeigte sich in ihm „ein Mann von den vielseitigsten Ta- wurde. Die aufgebahrt gezeigte, ‚lebensecht’ gestalte- lenten [...] in beiden Rechten gelehrt und in den Ge- te Skulptur des Toten wird als Schaustück eben auf schäften erfahren, mit Mathematik und Astrologie be- diesen Effekt der panegyrischen Schwärmerei abge- kannt, ein wenig Maler und Musiker und auch Verfas- zielt und hingewirkt haben, die über die Grenzen der ser eleganter Gedichte“.[42] Laudatio hinaus zur Apotheose auf den Toten gestei- Diesen Eindruck nährten die Hinweise auf die gert werden konnte – als eine zeitgemäßere Form der von Mariano gepflegten Freundschaften und Bekannt- Seelenmesse.[50] Umso wichtiger erscheint es, die schaften, angefangen von Ugo Benzi, dem gefeierten kalkulierte räumliche, ausgesprochen theatralische In- Mediziner und Leibarzt am Hof der Este in Ferrara,[43] szenierung des Bronzegisants in die Untersuchung über Leonardo Bruni, dem Übersetzer der Politica des mit einzubeziehen. Aristoteles,[44] und Kardinal Bessarion, dem Sozzini Auch Marianos legendäre Wortgewandtheit eines seiner wichtigsten Werke, die Abhandlung De ist Thema zahlreicher Anekdoten. Als er sich bei- Sortibus (1443), widmete,[45] gefolgt von Antonio spielsweise dem Vorwurf Poggio Bracciolinis ausge- Beccadelli, der in Bologna seine obszönen und satiri- setzt sah, eine antike Kupfermünze aus dessen schen Epigramme unter dem Titel Hermaphroditus Sammlung entwendet zu haben, versuchte sich Ma- veröffentlicht hatte,[46] über Poggio Bracciolini bis hin riano mit allen Mitteln der Wortkunst zu entlasten. In zu Enea Silvio Piccolomini, dem späteren Papst Pius einer Antwort auf die eloquenten Schreiben des Be- II.[47] Dessen Loblied auf Mariano ist ein doppel- schuldigten vergleicht Poggio, zwischen Glauben und schneidiger Unterton zwar nicht abzusprechen, und Zweifel hin- und hergerissen, seine eigene Situation doch vervollständigte es schließlich das Bild des uni- mit der Ciceros, der Platons Theorie von der Unsterb- versal gebildeten Kulturmenschen. Die Widmungsin- lichkeit der Seele nur so lange habe Glauben schen- schrift an Caspar Schlick, die Enea Silvio Piccolomini ken können, wie das Buch De immortalitate animae seiner amourösen Novelle Historia duobus amantibus aufgeschlagen vor ihm auf dem Tisch gelegen hätte. voranschickte, beschreibt den Rechtsgelehrten „Ma- Sobald er das Buch jedoch zugeschlagen habe, hät- rianus Sozzinus Senensis“ überschwänglich zualler- ten ihn sofort ernste Zweifel befallen.[51] erst als wohlredenden Mann, in beiden Rechten sach- Diese und andere Geschichten waren es, die kundig, historisch gebildet, erfahren in der Dichtkunst zu jener tradierten Einfärbung des Sozzini-Porträts wie in der Sangeskunst, vertraut mit den Sprachen vorzüglich passten, und so hat man in Übereinstim- Latein und dem Tuscischen, in der Philosophie so be- mung hiermit auch den Gisant gern als Zeichen der wandert wie Platon, in der Geometrie gleich einem humanistischen Tendenzen des Rechtsgelehrten zu Boethius. Kein musikalisches Instrument, das er nicht interpretieren versucht. Bemerkenswert – und bisher gespielt hätte, in der Landwirtschaft ein neuer Vergili- kaum beachtet – ist dabei, dass Sozzini ganz offen- us. Er male wie Apelles, in der Bildhauerkunst gleiche sichtlich keine Mühe sparte, um dem eingeschränkten er Praxiteles und selbst in der Medizin wäre er unter- Image des Juristen, wie es in der Nachfolge Petrarcas richtet. Nichts ließe sich jedoch vergleichen, nichts von Boccaccio, Salutati, Leonardo Bruni, Poggio würde leuchtender erstrahlen, als die Codices von Bracciolini und Maffeo Vegio, ja sogar noch bis ins seiner Hand.[48] Es ermangele ihm einzig an der Uns- frühe 16. Jahrhundert voller Geringschätzung entwor- terblichkeit, um in die vollendete Form Gottes einzu- fen wurde, zu entkommen.[52] Nicht zuletzt gründeten gehen – ein ‚Makel’, den die bronzene Bildnisfigur darauf auch seine einflussreichen gesellschaftlichen Laura Goldenbaum Der Zeugniswert des Körpers kunsttexte.de 4/2010 - 9

Kontakte. Geradezu eifrig scheint Sozzini selbst an schen und historischen Vorstößen zur Erneuerung der seiner Imagepflege als ein auf der Höhe der Zeit ste- tradierten Rechtslehre von sich reden gemacht hat- hender, künstlerisch begabter und universal gebilde- ten. ter Mann beteiligt gewesen zu sein. Das Wirken des 70-jährigen Mariano Sozzini Dennoch handelt es sich hier um das arg ein- endete just an einem zeitlichen Wendepunkt in der geschränkte Bild eines Humanisten, das auf der ande- Rechtslehre an den oberitalienischen Universitäten. ren Seite in einigem Widerspruch zum konventionellen Seine Zurückhaltung gegenüber erneuernden, innova- Selbstverständnis Sozzinis als sachlicher Jurist ste- tiven Ideen erklärt sich deshalb nicht allein aus seiner hen dürfte, eine Darstellung, mit der nicht allein die Befangenheit heraus, aufgrund seines Milieus und der nüchtern nachgezeichnete Bildnisfigur konform geht, Nähe zum päpstlichen Hof, sondern auch hinsichtlich sondern auch das Urteil seiner Zeitgenossen. So des noch äußerst zurückhaltenden Klimas. Erst gegen scheint sich Mariano Sozzini vielmehr vorbehalten zu Ende des 15. Jahrhunderts sind die mutigen und haben, die artes als Sammlung nützlichen weltlichen deutlichen Vorstöße zu datieren, beispielsweise des Wissens zu betrachten, sie aber funktional und wis- Angelo Poliziano, der eine kritische Ausgabe des be- senshierarchisch der Rechtswissenschaft und der er- rühmten Florentiner Manuskripts der Pandects plante starrten scholastisch geprägten Argumentationsstruk- oder auch Machiavellis, mit seinen Discorsi und nicht tur unterzuordnen. Das juristische Vokabular und auch zuletzt Andrea Alciatos, der demonstrierte, dass für die ungelenk steifen, traditionellen Methoden der das Verständnis von rechtswissenschaftlichen Quellen Rechtsdebatte, gegen die in Humanistenkreisen so historisches und literarisches Wissen unumgänglich heftig polemisiert wurde, wendete Sozzini ausnahms- ist.[56] los und ohne Vorbehalte an.[53] Seine Traktate, die Dagegen gehören zu Mariano Sozzinis oft repetitiones sowie die unter seinem Namen erschie- und gern zitierten Vorlagen neben Giovanni da Imola nenen Kommentare – für kanonisches Recht gleicher- und Baldo selbstverständlich Bartolus Sassoferrato, maßen wie für Straf- und Prozessrecht – unterwerfen der besonders heftig aus dem humanistischen Umfeld sich rigoros der traditionellen Methodologie und der heraus attackiert wurde, da ihm, wie Maffeo Veggio spitzfindigen Kasuistik und unterfüttern die Gutachten behauptete, angeblich jegliches Verständnis des altrö- mit einem Reichtum an Beispielen, praxiserprobten mischen Rechts als ein notwendiges Instrumentarium Verweisen und Bezügen.[54] Ausschweifungen in lite- fehlte.[57] Diese Vorwürfe beschreiben die Graben- rarische Gefilde, gepflegte Konversationen mit Litera- kämpfe der beiden gegnerischen Lager des Juristen- ten oder die Teilnahme an einem Symposium im Hau- standes und des humanistischen Gelehrtenkreises, se Ugo Benzis, um über die Vorzüge von Aristoteles die wohl auch in einem permanenten Konkurrenzver- oder Platon, über Grund und Ursprung der Dinge, die hältnis zueinander standen. Als verehrte, disputge- Unendlichkeit des Universums oder die Unsterblich- schulte Professoren, Anwälte, Staatsbeamte, Kirchen- keit der Seelen zu philosophieren,[55] hatten ganz of- vertreter und Notare handelten Rechtsgelehrte oft- fensichtlich keinerlei Einfluss auf Sozzinis juristische mals horrende Besoldungen aus. Die Juristen saßen Schriften, die sich voll und ganz in die Tradition der „als Orakel der Höfe“[58] an der Seite der Fürsten und Kommentatorenschule stellten. hatten einflussreiche, machtvolle Positionen inne. Enea Silvio Piccolomini, mit dem Mariano Poggios Vorwurf, die ganze Rechtswissen- schon seit Studienzeiten in Siena sehr gut bekannt schaft beruhe einzig auf dem Belieben der Päpste und war, lobt ihn zwar als einen der versiertesten Rechts- wäre nur brauchbar, um ewig über Pfründen zu strei- gelehrten seiner Zeit, gewährt ihm jedoch keinen Platz ten, spielt ganz sicher gezielt auf das Amt des Konsis- unter den Meistern der neuen humanistischen Schule torialadvokaten an.[59] Gegen 1443 wurde auch Ma- der Jurisprudenz, zu denen er stattdessen durchaus riano Sozzini von Papst Eugen IV. in diesen Stand der begründet nichtjuristische und deshalb vielleicht um „Funktionselite“[60] am päpstlichen Hof erhoben.[61] so radikalere Vorreiter wie Lorenzo Valla und Angelo Etwas später, im Jahr 1458, verteidigt Enea Silvio Pic- Poliziano zählte, die mit ihren stilistischen, philologi- colomini, nunmehr als Kardinal, in seinem Brieftraktat Laura Goldenbaum Der Zeugniswert des Körpers kunsttexte.de 4/2010 - 10

Germania die Entscheidung der Kurie, sich gelehrter gebieterische, Zurückhaltung einfordernde Gebärde, Advokaten zu bedienen, die dem Papst beratend und während er den Demutsakt des Fußkusses über- korrigierend bei seiner alltäglichen Amtsführung zur wacht. Seite stünden, sollte er auch Dank göttlicher Gnade in Glaubensdingen grundsätzlich frei von Irrtümern sein. [62] Die Rechtsgelehrten am päpstlichen Hof müssen vor allem im dreimal wöchentlich stattfindenden Con- sistorium publicum dominant und bildgewaltig in Er- scheinung getreten sein. Auf dieser Versammlung des Papstes und der Kardinäle überwachten sie die Erle- digung der causae maiores, wie Kanonisationsverfah- ren und politische Entscheidungen, den Empfang von Gesandtschaften und die Pfründenvergabe; sie waren jedoch auch repräsentative Rechtspersonen bei Schauprozessen.

Abb. 12: Bernardino di Betto, gen. Il Pinturicchio, Letzte Huldigung der zum Kreuzzug Versammelten vor Papst Pius II. in Ancona, aus dem Freskenzyklus Zehn Szenen aus dem Leben des Enea Silvio Piccolomini, 1502-1508, Siena, Dom, Libreria Piccolomini (Foto: Steffi Roettgen, Wandmalerei der Frührenaissance in Italien, 2 Bde, Mün- chen 1996-1997, Bd. 2: Die Blütezeit 1470-1510, Taf. 173). Abb. 11: Bernardino di Betto, gen. Il Pinturicchio, Huldigung im Na- men Kaiser Friedrichs III. vor dem Papst Eugen IV. (Ausschnitt), aus dem Freskenzyklus Zehn Szenen aus dem Leben des Enea Silvio Piccolomini, 1502-1508, Siena, Dom, Libreria Piccolomini (Foto: Steffi Roettgen, Wandmalerei der Frührenaissance in Italien, 2 Bde, Mün- chen 1996-1997, Bd. 2: Die Blütezeit 1470-1510, Taf. 165).

Das Fresko Huldigung im Namen Kaiser Friedrichs III. vor Papst Eugen IV. aus dem Zyklus zum Leben Pius’ II. von Pinturicchio in der Libreria Piccolomini im Dom zu Siena schildert eben diese Si- tuation eines öffentlichen Konsistoriums zur Zeit Ma- riano Sozzinis (Abb. 11). Zur rechten Seite des Paps- tes, also auch symbolkräftig als die rechte Hand des Papstes ausgewiesen, steht hinter den auf einer Bank sitzenden Kardinälen ein Konsistorialadvokat in grü- Abb. 13: Bernardino di Betto, gen. Il Pinturicchio, Letzte Huldigung nem Gewand und mit schwarzer Kappe. In der Linken der zum Kreuzzug Versammelten vor Papst Pius II. in Ancona (Aus- schnitt), aus dem Freskenzyklus Zehn Szenen aus dem Leben des hält er ein zusammengefaltetes Schriftstück und Enea Silvio Piccolomini, 1502-1508, Siena, Dom, Libreria Piccolomini macht mit der Rechten eine zwar vorsichtige, doch (Foto: Steffi Roettgen, Wandmalerei der Frührenaissance in Italien, 2 Bde., München 1996-1997, Bd. 2: Die Blütezeit 1470-1510, Taf. 172) Laura Goldenbaum Der Zeugniswert des Körpers kunsttexte.de 4/2010 - 11

Abb. 14: Benvenuto di Giovanni, Il Buon Governo dell‘ufficio della ga- Abb. 15: Andrea Vanni (Zuschreibung), Il Buon Governo, 1385, Sie- bella, 1473/1474, Siena, Archivio di Stato, Museo delle Biccherne, na, Archivio di Stato, Museo delle Biccherne, Inv.-Nr. 19 (Foto: Fabri- Inv.-Nr. 38 (Foto: Fabrizio Nevola, Siena: constructing the Re- zio Nevola, Siena: constructing the Renaissance city, New Ha- naissance city, New Haven/London 2007, S. 9, Abb. 9) ven/London 2007, S. 9, Abb. 8)

Auch das Fresko Letzte Huldigung der zum am päpstlichen Hof Pius’ II. eine besondere Rolle. Kreuzzug Versammelten – gleichzeitig die letzte Amts- Selbst der dunkle, gepflegte Bart wäre für Mariano handlung des todkranken Pius II. in Ancona im Jahr von Guido Panciroli schriftlich bezeugt.[63] Dass der 1464 – zeigt am Rande der umstehenden Menschen- Gisant demgegenüber den bartlosen Sozzini verewigt, menge einen schwarz gewandeten Advokaten (Abb. dürfte der Abgusstechnik der Totenmaske in Gips ge- 12, 13). Die Kopfbedeckung in Form eines turbanarti- schuldet und gleichzeitig ein sicheres Indiz dafür sein, gen, durch einen breiten Reif fixierten Cappuccio dass eben diese für die Gussform des Gisants Ver- kennzeichnet den Mann, der sich im Hintergrund hält, wendung fand.[64] als Juristen. Es scheint durchaus nicht abwegig, in Die spürbare Juridifizierung des kirchlichen dieser gemessen streng und würdevoll auftretenden wie des weltlichen Lebens im Quattrocento führte Person, die die Szene mit wachsamem Blick verfolgt, dazu, dass der durch seine Amtskleidung kenntlich den im Verhältnis zur bronzenen Totenfigur vergleich- gemachte Jurist ab der Mitte des 15. Jahrhunderts bar schmalgesichtigen Mariano Sozzini, dargestellt als auch die Bildwelt zu bevölkern beginnt. Anschaulich älterer Mann, drei Jahre vor seinem Tod, erkennen zu wird dies in Benvenuto di Giovannis allegorischem Ta- wollen. Es ist immerhin möglich, dass der 1454 gebo- felbild Il Buon Governo dell’ufficio della gabella von rene Pinturicchio den betagten Mariano Sozzini noch 1473/1474 (Abb. 14).[65] Benvenuto nimmt zwar Be- selbst gesehen hat. Seine Darstellungswürdigkeit zug auf ein etwa 100 Jahre älteres, kleinformatiges steht außer Frage, denn zweifelsohne spielte Sozzini Gemälde Andrea Vannis zum gleichen Thema, verän- Laura Goldenbaum Der Zeugniswert des Körpers kunsttexte.de 4/2010 - 12

dert aber die Bildkomposition entscheidend – nicht al- dungsträger oder Entscheidungen zumindest massiv lein in der Reduzierung der wortwörtlich in die beeinflussenden Hauptakteur, zum Experten auf und Schranken der Kompetenzverteilung gewiesenen Fi- durfte somit auch als eine Person mit ‚Gesicht’, als guren, sondern auch in der Einführung eines über sei- ein ‚Individuum’ besondere Verehrung erfahren. ne Arbeit gebeugten Juristen (Abb. 15).[66] In gesetz- Die Kritik an diesen gesellschaftlich fest posi- gebender Funktion ist er wiederum die rechte Hand tionierten und das Herrschaftswissen geradezu de- des thronenden, weißbärtigen Mannes, der Personifi- monstrativ verkörpernden Juristen setzte an der kation der Stadt Siena. Vom wachsamen Blick der Kehrseite dieser Medaille an. Man warf ihrer Wissen- Stadt aus entfaltet sich das Spruchband mit der Auf- schaftspraxis Unbeweglichkeit, verknöcherten Dog- schrift: „Er, der gute Entscheidungen trifft, regiert.“[67] matismus und den Hang zur Haarspalterei vor. Der dunkel gewandete Jurist hält den Blick auf das Sozzini, als dem juristischen Lager zugehö- vor ihm auf dem Pult liegende Buch, auf das geschrie- rig, wurde selbst Opfer dieser heftig geführten Debat- bene Wort gesenkt. In Arbeit vertieft, ist er die einzige te: In dem Moment, als er Enea Silvio Piccolomini Figur im Bild, die nicht um Augenkontakt zu einem stolz seinen fertiggestellten Commento zum ersten Gegenüber bemüht ist. Indem er sich ganz offensicht- Buch der Decretali Gregors IX. überreichen will, rea- lich jeglichem Austausch entzieht, könnte er als Meta- giert dieser schroff ablehnend und lässt in seiner Ant- pher für die Unbestechlichkeit, die rationale Entschei- wort jede Höflichkeit vermissen. Piccolomini, der zu- dungsfähigkeit der personifizierten Objektivität, als gunsten der ‚schönen Wissenschaften’ vom Rechts- „Ausdruck pragmatischer Schriftlichkeit“[68] verstan- studium Abstand genommen hatte, nutzt die Gele- den worden sein. Da im 15. Jahrhundert das neutral genheit für eine gezielt angesetzte Attacke gegen den und anwendungsbezogen gefällte Rechtsurteil im vorherrschenden Sprachstil in der Rechtsliteratur. Der weltlichen wie im klerikalen Bereich ganz offensicht- fade Duktus der juristischen Traktate wäre derart er- lich als im hohen Maße resistent gegenüber Fehlein- müdend und langatmig, dass er, der sich doch im La- schätzungen galt, war es ganz offensichtlich der ge- ger der „oratores et poetae“ und der „cultura gram- bieterischen und parteigebundenen Entscheidung des maticale“ beachtlich wohler fühle, eine tiefe Abnei- Kirchenvaters auf der Grundlage des jure divino oder gung, ja Ekel („et legenti fastidium“) gegen sie hege. der des befangenen Stadtpatrons auf der Basis per- [70] Piccolomini nimmt ein Kriterium auf, das bereits sönlicher Ansprüche vorzuziehen. Petrarca in die Diskussion eingeführt hatte und das Dass die Autoritäten für die Legitimierung ih- quasi zum Qualitätsmesser der Wissenschaften wer- rer Entscheidungen den Advokaten oder Richter als den sollte – das Prinzip des apposite dicere ad per- Amtsperson benötigten, ist ekklesiologisch aussage- suadendum –, die eloquentia (Wohlredenheit), mit de- kräftig und höchst brisant: Für die Beglaubigung des ren Hilfe sich die sapientia letztendlich verwirklicht. korrekten, reibungslosen und im Sinne des positiven [71] Mit diesem rundweg positiv besetzten Schlagwort Rechts über alle Vorwürfe erhabenen ‚gerechten’ Ab- ließ sich die Fraktionsbildung vorantreiben und der laufs der politisch-juristischen Aktion verlangte der Konflikt auf intellektueller Plattform verschärfen, denn Papst nach einem Rechtsgelehrten als Fürsprecher zu schon Petrarca hatte ausgerechnet Aristoteles zur seiner ‚rechten’ Seite.[69] Der Konsistorialadvokat Zielscheibe gewählt, indem er sagte, dass sich zwar machte die Trennung der Rollen von Ankläger und kaum an der Größe seines Geistes zweifeln lasse, Richter als ein Repräsentant, der an einen konkreten wohl aber an seiner Beredsamkeit, es fände sich „kei- Körper gebunden war, glaubhaft und konnte damit ne Spur von Wohlredenheit“[72]. Gleichzeitig instal- dem Vorgehen größtmögliche Autorität verleihen. In lierte er „den göttlichen Redestrom“[73] Platons als dem Moment, in dem ein Gerichtsverfahren mit Got- Gegengewicht und traf damit gezielt das Zentrum, tesurteil von einem Gerichtsverfahren mit Urteil auf den ideologischen Kern der Logik und Scholastik. Der der Basis von Argumentation und Überzeugung abge- „wüthende Haufen“[74] der Aristoteles-Verehrer, die löst wurde, stieg der Rechtsgelehrte zu einem ganz er gegen sich aufgebracht sah, waren die über Jahr- oben in der Machthierarchie angesiedelten Entschei- hunderte unangefochtenen Autoritäten, die Akademi- Laura Goldenbaum Der Zeugniswert des Körpers kunsttexte.de 4/2010 - 13

ker der eng mit der Scholastik verbundenen Universi- allein als ein begehrtes visuelles Etikett von hohem tätslehren der Theologie, die sich in der Zeit der Re- Sozialprestige verstehen ließ, sondern gleichzeitig in- formkonzilien eng mit dem kanonischen Recht zusam- tellektuellem, ja substanziellem Rechtfertigungsdruck mengeschlossen hatte, aber auch die der Naturphilo- ausgesetzt war, wird die dominante Hervorkehrung sophie, der Medizin und Rechtswissenschaft, in be- des Juristenhabitus verständlich. In dem Maße, in sonderem Maße jedoch die Institution Kirche. In Über- dem die Rechtswissenschaft die bestehenden Macht- einstimmung mit der christlichen Lehre verstand man verhältnisse von Staat und Kirche notwendigerweise schließlich auch die drei Hauptaspekte der staats- zementierte und dementsprechend ihre Vorteile dar- theoretischen und ethischen Schriften des Aristoteles: aus zog, war sie auch bereit, sich zur bestehenden „gut zu handeln“, „gut zu leben“ und „glückselig zu ideologischen Ordnung zu bekennen – im 15. Jahr- sein“.[75] Spätestens seit Thomas von Aquin war die hundert wird dies öffentlich und dementsprechend dialektische Methode des Aristoteles als katholische bildgewaltig explizit in Szene gesetzt. Gisants hoher Aristotelik zur festen Stütze der Theologie geworden. Geistlicher und Rechtsgelehrter beweisen, dass es nicht der handelnde, sich bewegende Körper sein muss, der zwischen Nähe und Distanz, Annäherung und Entfernung operiert und damit Geltung und Legiti- mität hinsichtlich der Einhaltung der rituellen Ordnung erzielt. Vielmehr reicht der fixierte Symbolwert des Körpers aus, um diesen Effekt zu erzeugen und die Effizienz der geltenden Machtstrukturen unter Beweis zu stellen. Da gerade die Kombination von Recht und Bild eine zentrale Rolle bei der Begründung von Sub- jektivität zu spielen scheint, verwundert es nicht, dass die Wirkung des Bronzegisants auf der kenntlich ge- machten Einbindung von Körperabdrücken wie der Totenmaske beruht (Abb. 16). Die objektivierte Form der Totenmaske könnte als Zeichen dafür gelesen Abb. 16: Lorenzo di Pietro detto il Vecchietta, Bronzegisant des Ma- werden, dass das Recht in die Politik des Visuellen in- riano Sozzini († 1467), Detail: Kopf, Museo Nazionale del Bargello (Aufnahme der Autorin) volviert wurde, als ein früher Versuch, „’einen rechtli- chen Schirm’ zwischen das Subjekt und den sozialen Man könnte vielleicht sogar behaupten, dass Blick zu stellen, die Objekte des Sehens zu filtern und erst das Grabmal Sixtus’ IV. diesen Konflikt auf forma- die Art und Weise zu bestimmen, in der wir sehen und ler, bildstrategischer Ebene zumindest visuell für bei- der Welt zu sehen gegeben werden“.[77] gelegt erklärte, indem es auf seinem Sockelpodest, In diesem Zusammenhang ist interessant, der als Katafalk gestaltet ist, die musischen Künste dass veritas als identitätsstiftendes Merkmal, nicht zu- mit den Naturwissenschaften versöhnt. Es dürfte kein letzt gerade für den Dominikanerorden als theoreti- Zufall sein, dass sich die Bronzegisants, die ein ‚wahr- sche Basis besonders wichtig wurde, im Sinne einer haftes’ Totengesicht behaupten, mit diesem Grabmal „Wahrheit, als Übereinstimmung von Sachen und Ver- historisch schon fast verabschiedet haben. stand“,[78] einer Wahrheit, die Zeugnis vom Sein ab- Selbstverständlich gab sich auch der Rechts- legt,[79] gemäß dem Anspruch, dass Wahrheit ewig gelehrte Sozzini als glühender Aristoteles-Verehrer zu sei[80] – Aussagen, die eine in edlem Metall gegosse- erkennen. Die Nikomachische Ethik genoss höchste ne Totenmaske effektvoll unterstreicht. Der extrahierte Autorität und fand wiederholt Eingang in seine Schrif- Körper des Juristen wird zum Beweismittel, das ‚ent- ten.[76] Mit dem Wissen, dass sich der Symbolcha- kleidete’ Gesicht legt Zeugnis ab und beglaubigt in rakter des Juristenstandes als Hebel der Macht nicht seiner Tatsächlichkeit, dass das beendete Leben zwar Laura Goldenbaum Der Zeugniswert des Körpers kunsttexte.de 4/2010 - 14

zuallererst zur persönlichen Erkenntnis, darüber hin- kristallisierte: Der Zweifel an der Unsterblichkeit einer aus jedoch zur ewigen Wahrheit und damit zur Uns- unwiderruflich an den menschlichen Körper gebunde- terblichkeit geführt hat. nen Seele ließ die Vorstellung einer immateriellen, uni- Als Typus eignete sich der Bronzegisant, mit versellen und unvergänglichen Seele attraktiv werden. dem sich das Totenantlitz in eine verewigte Form Mit dieser Vorstellung war jedoch die Möglichkeit ein- überführen ließ, anscheinend ausschließlich für die gebüßt, sie als Form des menschlichen Körpers ver- Grabmäler höchster kirchlicher Würdenträger und stehen zu können und somit die Individualität des Er- ganz offensichtlich insbesondere für den zum päpstli- kenntnisakts dinglich und anschaulich werden zu las- chen Hof zählenden Konsistorialadvokaten. Durchaus sen. Das Dilemma des Entweder-Oder als Kern des überlegenswert wäre es aus diesem Grund, seine Ein- Unsterblichkeitsstreits machte auch Kardinal Bessari- führung als ein Bekenntnis zur kanonisierten aristoteli- on in seinem Werk In calumniatorem Platonis libri schen anima-forma-corporis-Lehre zu interpretieren. quattuor zum Thema.[81] Gerade in der zweiten Hälfte Aristoteles hatte in seinen drei Büchern De des 15. Jahrhunderts wurde die philosophische Dis- anima die Seele im Rahmen der Naturphilosophie und kussion der immortalità dell’anima besonders leiden- deshalb folgerichtig als Naturgegenstand, als Form schaftlich geführt. Damit verbunden war die Frage des lebenden, organischen Körpers untersucht. Da nach dem Spannungsverhältnis zwischen Individuali- die Seele nur mittelbar, über die Gestalt des mensch- tät und Universalität der Erkenntnis, zwischen der Ma- lichen Leibes beobachtet werden könne, ließe sie sich terialität des Sinnlichen und der Immaterialität des als bildende Kraft auch nur über die Zuhilfenahme Geistes. Diese Debatte blieb jedoch ein Phänomen desselben organischen Körpers rekonstruieren. Die des Quattrocento und hatte ihren omnipräsenten dis- heilstheologisch ausgedeutete aristotelische Naturleh- kursiven Reiz bereits Anfang des 16. Jahrhunderts re konnte sich mit dieser Vorstellung gut anfreunden verloren. Dies scheint auch der Grund zu sein, wes- und erweiterte sie um den tröstlichen Aspekt, dass die halb zu dieser Zeit auch die Bronzegisants von der auferstandene, für sich bleibende individuelle Seele Bildfläche verschwanden. Je mehr sich das metaphy- des Menschen auch nach der Loslösung vom Körper sische Erklärungsmodell durchsetzte und gerade die seine Gestalt in sich trage und damit vorstellbar blie- Immaterialität, die Gestaltlosigkeit und Unabhängig- be. Meines Erachtens sucht diese Idee auch der keit der Seele vom Körper in ihrer kosmischen Mittel- Bronzegisant kategorisch zu formulieren und vehe- stellung diskutiert wurde, desto uninteressanter muss- ment zu verteidigen – in seiner Ausrichtung auf das te die objektivistische Darstellung des bloßliegenden, Jenseitige ‚innerhalb’ der gezeigten Sterblichkeit. Be- toten Körpers werden. Denn im Tod blieb demnach günstigend kam hinzu, dass in dem Maße, wie sich einzig der von der Seele verlassene Leichnam als lee- der Erkenntnisgewinn in Analogie zur sinnlichen re und damit entwertete Hülle zurück. Wahrnehmung definierte, um das Wesen der Dinge zu Der Gisant des Rechtsgelehrten Mariano prüfen, gerade dieses deutlich vernehmbare Echo der Sozzinis verdeutlicht, dass der festgehaltene Symbol- bildenden Künste provoziert wurde, allen voran der wert des Körpers ausreicht, um die Effizienz der gel- Skulpturenkunst. Letztlich war es doch grundsätzlich tenden Machtstrukturen unter Beweis zu stellen und der von der Naturphilosophie propagierte Zeugniswert die Legitimität für die Einhaltung der rituellen Ordnung der Materialität, der als Bildkonzept dankbar aufge- beanspruchen zu können. Im aristotelischen Sinn der griffen und umgesetzt wurde. Untrennbarkeit und Aufeinanderbezogenheit von Leib Gegen Ende des 15. Jahrhunderts kann die und Seele, von Äußerem und Innerem, ist auch der kirchlich-institutionelle Inkraftsetzung dieser Materie- rechtlich determinierte Leib denkbar, der als das Form-Ontologie der aristotelischen Metaphysik je- Recht selbst erscheint und es damit körperlich und doch nicht mehr verhindern, dass sich aus einem in- somit sinnlich erfahrbar werden lässt: als eine in sich neren Konflikt der Seelenlehre heraus, dem selbst Ari- ruhende, Macht demonstrierende leibliche Haltung. stoteles in letzter Konsequenz ausgewichen war, ein Spräche man dem Bronzegisant dies ab, würde man polarisierendes und viel diskutiertes Problem heraus- ihn um eine wichtige Komponente berauben. So ist es Laura Goldenbaum Der Zeugniswert des Körpers kunsttexte.de 4/2010 - 15

am Ende wieder das Selbstverständnis Sozzinis als suchungen zur Bronzeplastik Vecchiettas (Diss.), Marburg 1975, S. 135; Enzo Carli, Gli scultori se- ‚Rechtsgelehrter’, das es ihm erlaubt, humanistische nesi, Mailand 1980, S. 43; Robert Munman, Siene- Tendenzen gewinnbringend ins Bild zu setzen und se Renaissance Tomb Monuments, Philadelphia darauf letztendlich seine Ewigkeit zu begründen: in 1993, S. 89-105; Michael Kühlenthal, Das Grab- der Anschauung der Kontemplation, in der die Weis- mal Pietro Foscaris in S. Maria del Popolo in Rom, heit, der Geist, die Wissenschaft und die übrigen intel- ein Werk des Giovanni di Stefano, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz, 26, lektuellen Tugenden ihren Ort haben, als höchste feli- 1982, S. 47-62, hier S. 52-53; Luciano Bellosi, Gi- citas und höchstes Ziel des Menschen ad extra und sant di Mariano Sozzini il Vecchio, 1467 circa, in: ad intra – getreu nach der Politica des Aristoteles. Francesco di Giorgio e il Rinascimento a Siena, 1450-1500, hg. v. Luciano Bellosi, Mailand 1993, S. 198-199; Silvia Colucci, Sepolcri a Siena tra Medioevo e Rinascimento: Analisi storica, icono- grafica e artistica, Florenz 2003, S. 159-165. Endnoten 3. Die fünf Bronzegisants des Quattrocento: Baldassare Coscia, † 1419 (Florenz, Baptisterium), 1. Seit dem Jahr 1954 befindet sich die liegende Mariano Sozzini, † 1467 (Florenz, Museo Naziona- Bildnisfigur im Donatello-Saal des Museo Nazio- le del Bargello), Sixtus IV., † 1484 (Rom, Vatikan, nale del Bargello. S. hierzu den Inventario Genera- Museo del Tesoro), Pietro Foscari, † 1485 (Rom, le des Museums, Inv.Nr. 205 B, Länge des Gisants S. Maria del Popolo), Innozenz VIII., † 1492 (Rom, inklusive Kissen: 173 cm. St. Peter). In Kooperation mit dem Kunsthistori- 2. Auswahl an Literatur zur bronzenen Grabfigur Ma- schen Institut in Florenz, dem Museo Nazionale riano Sozzinis: Guido Panciroli, De claris legum in- del Bargello und Bronze-Restauratoren laufen der- terpretibus. Libri quatuor [vor 1591], Venedig zeit die Vorbereitungen für eine geplante Untersu- 1637, S. 456; Isidoro Ugurgieri Azzolini, Le Pompe chung der rückwärtigen Innenseite der Figur des Sanesi, o’ vero Relazione delli huomini, e donne il- Mariano Sozzini. Die Ergebnisse dieser Inspektion lustri di Siena, e suo Stato, Pistoia 1649, S. 113; werden als Bestandteil meiner Dissertation dem- Bernardino Perfetti, Atti cavati dagli archivi capito- nächst veröffentlicht. lino, e arcadico della solenne coronazione fatta in 4. Die Naht verläuft in einer Wellenlinie quer über die Campidoglio dell’illustrissimo Signore Bernardino Figur. Dabei ist das Beinstück auf der Unterseite Perfetti tra gli arcadi Alauro Euroteo, nobile sane- weit vorkragend, es schiebt sich um mehrere Zen- se, hg. v. Giovanni Mario Crescimbeni, Rom 1725, timeter unter das Kopf- und Rumpfstück des Gi- S. 26; Girolamo Gigli, Diario Sanese, 2 Bde., Luc- sants. Der Verbund des Kragenfügens wird zu- ca 21723, Siena 21854, Bd. 2, S. 247; Guglielmo sätzlich durch bleierne sogenannte Weichlote aus Della Valle, Lettere Sanesi sopra le belle arti, 3 Zinn oder Blei abgesichert. Bde., Bd. 1 Venedig 1782, Bd. 2 Rom 1785, Bd. 3 5. Erstmals wurde die Vermutung von Della Valle ge- Rom 1786, hier Bd. 3, S. 64, 66-67; Charles P. äußert: Della Valle 1786, Lettere Sanesi, Bd. 3, S. Perkins, Tuscan Sculptors: Their Lives, Works, 61; Jakob Burckhardt, Randglossen zur Skulptur and Times, 2 Bde., London 1864, Bd. 1, S. 113; der Renaissance, in: Jakob Burckhardt, Gesamt- Lodovico Zdekauer, Lo Studio di Siena nel Rinas- ausgabe, hg. v. Heinrich Wölfflin, 14 Bde., cimento, Mailand 1894, S. 77; Narciso Mengozzi, Berlin/Leipzig 1929-1934, Bd. 13 (1934), S. 167- Reliquie Sozziniane, in: Bullettino Senese di Storia 366, hier S. 259-260; Schubring 1907, Die Plastik Patria, 4, 1897, S. 155-181; Paul Schubring, Die Sienas im Quattrocento, S. 96; Vigni 1937, Loren- Plastik Sienas im Quattrocento, Berlin 1907, S. 95- zo di Pietro detto il Vecchietta, S. 49; Pfeiffer 97; Adolfo Venturi, Storia dell’Arte Italiana. VI: La 1975, Das Ciborium im Sieneser Dom, S. 135; scultura del Quattrocento, Mailand 1908, S. 140; Kühlenthal 1982, Das Grabmal Pietro Foscaris, S. Frederick Mortimer Clapp, Artikel Vecchietta, in: 52-53; Joseph Pohl, Die Verwendung des Natur- Art Studies, 1926, S. 41-55, hier S. 51; Giorgio Vi- abgusses in der italienischen Porträtplastik der gni, Lorenzo di Pietro detto il Vecchietta, Florenz Renaissance, Würzburg 1938, S. 29. Hierfür 1937, S. 49-50; Ulrich Middeldorf, Rezension v. spricht nicht allein die nüchterne und absolut prä- Giorgio Vigni, Lorenzo di Pietro detto il Vecchietta, zise, fast fotografisch zu nennende Wiedergabe in: Art in America, 26, 1938, S. 142; Carlo Del Bra- der Gesichtsmerkmale eines Toten, wie der einge- vo, Scultura senese del Quattrocento, Florenz fallenen Wangen sowie der tief in die Höhlen ein- 1970, S. 87; John Pope-Hennessy, Italian Re- gesunkenen Augäpfel und der formlosen Lippen. naissance Sculpture, London 1971, S. 306; Andre- Abgesehen davon, dass die Nähte kunstvoll ver- as Pfeiffer, Das Ciborium im Sieneser Dom, Unter- schliffen und die Übergänge zwischen Hals, Hin- Laura Goldenbaum Der Zeugniswert des Körpers kunsttexte.de 4/2010 - 16

terkopf und Maske fließend gestaltet wurden, Darstellung und Wahrnehmung einer sozialen spricht die Tatsache, dass die Gesichtsabformung Gruppe im Mittelalter, Göttingen 2006; Wolfgang in Bronze leicht unterlebensgroß ist, für das einge- Schmid, Zum Bild des Juristenstandes auf Grab- setzte Abdruckverfahren. Dies kennzeichnet die mälern, Altarbildern und Porträts an der Wende meisten Gesichtsabgüsse, da der Ton oder das vom 15. zum 16. Jahrhundert, in: Anzeiger des Wachs für die Modellierung des Gussmodells di- Germanischen Nationalmuseums, 2001, S. 7-28. rekt in das Gipsnegativ der Maske hineingestri- 9. Bereits Della Valle hatte vermerkt: „il viso è cavato chen oder -geknetet wurde, um eine Positivform dalla maschera fattane sul cadavere; e benchè des Gesichts zu erhalten. Der Gips und auch Ton morto mostra ancora vero il carattere che ne for- hat nach dem Abbinden, Trocknen oder dem ma Enea Silvio Piccolomini“ (Della Valle 1786, Let- Brandvorgang ein beträchtlich verringertes Volu- tere Sanesi, Bd. 3, S. 66). Bemerkenswert ist, dass men. auch die Grabfigur des berühmten Rechtsgelehr- 6. Bei beiden Gisants lassen sich die umlaufenden ten Filippo Decio im Camposanto zu Pisa, ein Nähte der aufgesetzten Gesichtsmaske und die Werk des Stagio Stagi, das Merkmal der von der Übergangszone zwischen vorgefertigtem Guss- Natur abgeformten Hände aufweist. Da sie wäh- modell und Maske deutlich erkennen. Hierzu aus- rend der Abnahme auf einer ebenen Auflage ruh- führlich die Magisterarbeit: Laura Goldenbaum, ten, sind sie flach ausgestreckt und liegen merk- Hoc est corpus meum – Leibhaftigkeit und To- würdig steif und wenig natürlich auf dem aufge- tenabbild. Die Bronzegisants der Grabmäler Six- stellten Buch auf. Decio starb 1535 in Pisa und er- tus’ IV. und „seines“ Kardinals Pietro Foscari in hielt ein Monument, das er selbst noch zu Lebzei- Rom (2007), die in verkürzter Form als Aufsatz er- ten in Auftrag gegeben hatte. S. auch Pohl 1938, schienen ist: Laura Goldenbaum, Strategien der Die Verwendung des Naturabgusses, S. 28. Vergegenwärtigung – Der venezianische Kardinal 10. Das Buch Weinsberg. Kölner Denkwürdigkeiten Pietro Foscari und sein Bronzedouble in S. Maria aus dem 16. Jahrhundert, hg. v. Konstantin del Popolo, in: Vom Nachleben der Kardinäle. Rö- Höhlbaum und Friedrich Lau (Publikationen der mische Kardinalsgrabmäler der Frühen Neuzeit, Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Bd. hg. v. Arne Karsten und Philipp Zitzlsperger, Berlin 3.4.16), 5 Bde., Leipzig/Bonn 1886-1926, Bd. 1 2010, S. 99-130. (1886), S. 182-183, S. 207. 7. Horst Bredekamp, . Der Levia- 11. Panciroli 1637, De claris legum interpretibus, S. than. Das Urbild des modernen Staates und seine 393-394; Della Valle 1786, Lettere Sanesi, Bd. 3, Gegenbilder. 1651-2001, Berlin 2006, S. 100. Kuri- S. 67: „Questa pergamena disegnata, e intagliata os erscheint in diesem Zusammenhang, dass so- con pazienza indicibile dal celebre Mariano il vec- wohl das sterbliche wie das unsterbliche Antlitz chio si conserva tuttavia dal sudetto Signor Barto- des Papstes meines Erachtens dieselbe Proveni- lomeo (Sozzini) insieme ad alcuni fiori vivissima- enz teilen: Sowohl das Gesicht des Gisants als mente da quegli dipinti in carta.“ auch das der lebend gegebenen Figur Innozenz’ 12. Paolo Nardi, Mariano Sozzini, giureconsulto sene- VIII. sind nach der Totenmaske geformt, nur das se del Quattrocento, Mailand 1974, S. 97-98. bei der letzteren die vordem geschlossenen Augen 13. Dies geht aus der Steuererklärung des Sohnes nachträglich geöffnet worden sind. Zum Grabmal Alessandro aus dem Jahre 1491 hervor. S. ASS, Innozenz’ VIII. zuletzt: Hannes Roser, „IN INNO- Lira 226-227 [119r]. Es gibt Hinweise, dass die Fa- CENTIA/MEA INGRESSVS SVM …“. Das Grabmal milie Sozzini bereits in der ersten Hälfte des 14. Innozenz’ VIII. in St. Peter, in: Tod und Verklärung. Jahrhunderts Patronin des Altars links des Hochal- Grabmalskultur in der Frühen Neuzeit, hg. v. Arne tars war. Zum Wappen G. Pecci, Raccolta Univer- Karsten und Philipp Zitzlsperger, Köln 2004, S. sale di tutte le iscrizioni, arme e altri monumenti si 219-238. antichi, come moderni, esistenti nella città di Sie- 8. Zur Amtstracht des Juristen im 15. Jahrhundert na, unpublizierte Quelle, ASS, MS. D 4-6, Bd. 3, Andrea von Hülsen-Esch, Zur Konstituierung des fol. 197r: „Sopra la cappella de Sozzini si vede Juristenstandes durch Memoria – die bildliche Re- l’arme della medesima famiglia, e a sinistra dell’al- präsentation des Giovanni da Legnano, in: Memo- tare la seguente lapida qui appresso delineata: ria als Kultur, hg. v. Otto Gerhard Oexle, Göttingen [...]“. Es folgt eine Zeichnung des hochrechtecki- 1995, S. 185-206; Andrea von Hülsen-Esch, Klei- gen Steins mit Inschrift und Wappen. Zwischen der machen Leute. Zur Gruppenrepräsentation den Silben „ce“ und „na“ befindet sich das Wap- von Gelehrten im Spätmittelalter, in: Die Reprä- pen. Der Schrifttypus entspricht einer gotischen sentation der Gruppen. Texte – Bilder – Objekte, Minuskel des 14. Jahrhunderts. Vgl. auch Cesare hg. v. Otto Gerhard Oexle und Andrea von Hülsen- Cantù, Gli eretici d’Italia, 1865-1867, Bd. 2 Esch, Göttingen 1998, S. 225-257; Andrea von (1866), S. 514: hier eine Nachzeichnung mitsamt Hülsen-Esch, Gelehrte im Bild: Repräsentation, der Inschrift. Den Bau einer Familienkapelle im al- Laura Goldenbaum Der Zeugniswert des Körpers kunsttexte.de 4/2010 - 17

ten Chor der Klosterkirche von S. Domenico in pat (ca. 1450-1475), hg. v. Jürgen Dendorfer und Siena dürfte bereits die testamentarische Verfü- Claudia Märtl, München 2006, S. 67-96, hier S. 81. gung des Vetters Mariano Sozzinis, eines Händ- 18. Guido Panciroli, De claris legum interpretibus libri lers, aus dem Jahre 1403 bezeugen, der dafür die quatuor, Leipzig 1721, S. 360: „Statua ex aere, vi- stolze Summe von 200 Goldflorin veranschlagt. S. vam eius imaginem exprimens, quae pro monu- hierzu: ASS, Pergamene Bichi N 152, Diplomatico mento ponenda erat, adhuc in posterorum aedi- 1402, febbraio 5. Das Dokument, eine Kopie, ist bus conservatur, Laurentii Vecletti artificis Senen- jedoch datiert auf den 9. Oktober 1411. Der Händ- sis manu conflata, virum quo utebatur habitu fabre ler Mariano Sozzini wurde nachweislich in S. Do- expressum refert.“ menico begraben; s. Fontes vitae S. Catharinae 19. Pfeiffer 1975, Das Ciborium im Sieneser Dom, S. Senensis historici, Bd. 20: I necrologi di San Do- 117-139. menico in Camporeggio: epoca cateriniana, hg. v. 20. Ebd., S. 3-4. Maria-Hyacinthus Laurent, Mailand 1937, S. 180, 21. 1384/1385 lässt der Dominikanergeneral Padre Nr. 2890. Im Konvent von S. Domenico befanden Raimondo da Capua die Kopfreliquie der Caterina sich bereits die Grabstätten des Großvaters Maria- Benincasa durch Frate Tommaso della Fonte von nos, Giovanni, und auch seines Vaters, Sozzino; s. Rom nach Siena bringen. Mit der feierlichen Über- ebd., S. 181, Nr. 2898. Wahrscheinlich ist die führung nach S. Domenico am 8. Mai 1385 findet schlichte Kapelle durch den Kirchenbrand von der Kult um die hl. Katharina von Siena seinen An- 1443 in Mitleidenschaft gezogen worden; s. Tom- fang, und gleichzeitig wird S. Domenico als Be- maso Fecini, Cronaca senese. 1431-1479, hg. v. gräbnisort attraktiv, die Beisetzungen und Altar- Alessandro Lisini und Fabio Iacometti (Rerum Itali- stiftungen nehmen rapide zu; s. Gigli 21723, Diario carum scriptores. Nuova edizione, 15.6, hg. v. Lo- Sanese, Bd. 2, S. 277; La sacra testa di S. Cateri- dovico Antonio Muratori), Bologna 1947, S. 855. na da Siena: relazione sulla ricognizione della Sa- 14. Hülsen-Esch 1995, Zur Konstituierung des Juris- cra Testa di S. Caterina, effettuata in Siena il gior- tenstandes durch Memoria, S. 185-206, hier S. no 8 aprile 1947, Siena 1952, S. 12-13. 203. 22. Bereits 1457-1459 muss Vecchietta in engem 15. Nardi 1974, Mariano Sozzini Giureconsulto Sene- Kontakt zur Werkstatt Donatellos gestanden ha- se, S. 98-99. An das Ereignis der Beisetzung wird ben, die die Technik der Körper- und Materialab- im Obituario, in den Nekrologlisten von S. Domeni- güsse in Siena eingeführt haben wird; s. John Po- co in Siena, erinnert (MS. Bibl. Com. Siena): BCS, pe-Hennessy, Italian Renaissance Sculpture. An cod. C III2, 99r: „Sepultus est autem in cappella Introduction to Italian Sculpture, 3 Bde., London sua in ecclesia noua“. Das Totenbuch wurde pu- 2000, Bd. 2, S. 393. Zu S. Bernardino da Siena s. bliziert von Lodovico Zdekauer, in: Zdekauer 1894, Pietro Misciatelli, La maschera di S. Bernardino da Lo Studio di Siena nel Rinascimento, S. 78, Anm. Siena, in: Rassegna d’arte Senese: bullettino della 1; Della Valle 1786, Lettere Sanesi, Bd. 3, S. 64. Società degli Amici dei Monumenti, 18, 1925, S. 1- Della Valle nennt als Todestag „ultima septembris 2; Machtelt Israels, Absence and Resemblance – 1467“. Die Gruft in der Unterkirche von S. Domeni- Early Images of Bernardino da Siena and the Issue co diente der Familie bis 1722 als Grablege: BCS, of Portraiture, in: I Tatti Studies. Essays in the Re- Ms. C.III.2, fol. 121r, 122r, 122v (1503 Alessandro naissance, 11, 2007, S. 77-114. Sozzino di Mariano), 123v (1504 Mariano di Barto- 23. Bedenken bezüglich der Glaubhaftigkeit der Quel- lomeo), 135r, 135v, 136r, 137r, 137r, 146v, 153v, le Panciroli äußert erstmals Mengozzi 1897, Reli- 154v, 164r, 179v, 185v, 198v, 201r (1570 Celso di quie Sozziniane, S. 155-181. Allein Luciano Bellosi Mariano), 206v, 218r, 221v; Ms. C.III.3, fol. 4r, 9r, möchte auf der Basis des Stilvergleichs in dem 25 13v, 15v, 17r (1610), 34r, 64r, 108v (1722). Jahre jüngeren Schüler Vecchiettas, Francesco di 16. Zu Bartolomeo Sozzini s. Roberta Bargagli, Barto- Giorgio (1439-1501), den Urheber des Bronzegi- lomeo Sozzini – giurista e politico (1436-1506), sants erkennen. Jedoch hat sich diese Ansicht aus Mailand 2000. Zu Mariano Sozzini il Giovane s. überzeugenden Gründen nicht durchgesetzt; s. Vincenzo Colli, La laurea di Mariano Sozzini il gio- Bellosi 1993, Gisant di Mariano Sozzini il Vecchio, vane, Siena 1981; Peter Denley, Commune and S. 198-199. Die versuchte Neuzuschreibung Bello- Studio in Late Medieval and Renaissance Siena, sis nimmt allein John Pope-Hennessy etwas vorei- Bologna 2006. lig in seinen bibliografischen Notizen zu Vecchietta 17. Claudia Märtl, Innere Kontrollinstanz oder Werk- als gegeben auf: „Two bronze sepulchral effigies zeug päpstlicher Autorität? Die Rolle der Konsis- have been traditionally but wrongly attributed to torialadvokaten nach dem Basler Konzil, in: Nach Vecchietta. The first is the effigy of Cardinal Pietro dem Basler Konzil – Die Neuordnung der Kirche Foscari [...] The second is the effigy of Mariano zwischen Konziliarismus und monarchischem Pa- Sozzini, which is given by Bellosi to Francesco di Laura Goldenbaum Der Zeugniswert des Körpers kunsttexte.de 4/2010 - 18

Giorgio“ (Pope-Hennessy 2000, Italian Re- 32. So gaben beispielsweise erst die Söhne Alessan- naissance Sculpture, Bd. 2, S. 393). dro di Mariano il Vecchios, Girolamo und Mariano, 24. Hierfür würde auch sprechen, dass Giorgio Vasari gemeinsam mit denen seines Bruders Bartolomeo weder in der ersten Ausgabe seiner Vite dei più den Auftrag für das 1508 datierte und von Girola- eccellenti architetti, pittori e scultori Italiani da Ci- mo di Benvenuto signierte Altarbild der Madonna mabue insigno a’tempi nostri (Florenz 1550) noch delle Nevi. Niccolò di Galgano Sozzini brachte das in seiner zweiten Edition Le Vite de’piv eccellenti Altarbild jedoch 1707/1708 in sein Privathaus pittori, scvltori e architettori (Florenz 1568) jene (ASS, P.R., Nr. 2159, fol. 989r). In der Folgezeit Bronzestatue des Mariano Sozzini, als ein Werk wechselte man das Altarbild der Kapelle häufig Vecchiettas, erwähnt. aus. Guiden und Inventare der Zeit überliefern ein 25. Von 1493 bis 1498 war Alessandro Sozzini Prior verwirrendes Bild. 1712 wurde ein Bild des Paps- des Concistoro und ab 1503 Gonfaloniere; s. John tes Pius V. anlässlich seiner Kanonisierung in der Alfred Tedeschi, A History of the Sozzini Family of Kapelle angebracht. Bereits 1724 entfernte man es Siena (Diss.), Cambridge, Mass. 1966, S. 283. wieder und brachte das Tafelbild des Girolamo di 26. Bargagli 2000, Bartolomeo Sozzini, S. 52-57, 115- Benvenuto zurück (ASS, P.R., Nr. 2173, fol. 83r). 147, 181-185. Möglich ist auch, dass Vecchietta 33. Giorgio Vasari, Leben der ausgezeichnetsten Ma- die Arbeit an dem Gisant zugunsten der Fertigstel- ler, Bildhauer und Baumeister. Aus dem Italieni- lung des Bronzeziboriums aufschieben musste, schen, mit einer Bearbeitung saemmtlicher An- mit dem er bis 1472 beschäftigt war; s. hierzu merkungen der frueheren Herausgeber, so wie mit Pfeiffer 1975, Das Ciborium im Sieneser Dom. eigenen Berichtigungen und Nachweisungen be- 27. ASS, Lira, Nr. 226, o. fol. (1491): „Dinazi da voi, si- gleitet, 6 Bde., hg. v. Ludwig Schorn, Nachdruck gnori cittadini eletti a ffare la nuova lira, dicesi per der ersten deutschen Gesamtausgabe, me Alexandro di messer Mariano Sozzini avere Stuttgart/Tübingen 1832-1849, Bd. 2, 2. Abt.: Von gl’infrascripti beni, co’l incharichi e debiti infras- Cimabue bis zum Jahre 1567 (1839), S. 277. Gior- cripti. [...] Imprima ò a dare a la chiesa di San Do- gio Vasari berichtet über das große Interesse an menicho fiorini 250, e quali sonno per la metà di lebensechten Votivbildern und erklärt sie als einen fiorini 500 ci lassò la buona memoria de nostro Reflex auf die Abgussrequisiten des namhaftesten padre che spendessimo in ornamento dela nostra Bronzebildhauers Andrea del Verrocchio im Quat- cappella, e quali per li tempi adversi e contrarii per trocento; s. Aby Warburg, Bildniskunst und floren- insino a qui non abiamo potuto spendargli. Spero tinisches Bürgertum [1902], in: Ausgewählte mediante la gratia di Dio in breve tempo gli spen- Schriften und Würdigungen, hg. v. Dieter Wuttke daremo, e già abiamo dato principio, come a qual- und Carl Georg Heise, Reihe: Saecula spiritalia 1, chuno dele signorie vostro è noto. F. 250 […].“ Baden-Baden 1979, S. 65-102, 89, 91. 28. BCS, Ms. C. III.2, fol. 97r (anno 1465). 34. Bernardino Perfetti, Descrizione dell’entrata dell’il- 29. BCS, Ms. C. III.2, fol. 97r (anno 1465). lustrissimo, e reverendissimo monsignore Ales- 30. Während der kurzen Periode, in der die Familie sandro Zondadari alla possessione del suo arci- Piccolomini die Kapelle (Kapelle des hl. Ambrosi- vescovado in Siena, Siena 1715, S. 26: „Nel piano us) innehatte, wurden wohl nur Fazio di Giovanni finalmente della Loggia stessa, sopra nobile araz- Piccolomini (1456) und sein Sohn Giovanni di Fa- zo, giaceva la statua di bronzo di Mariano Sozzini, zio (1479) in der Piccolomini-Grablege im rechten detto il Seniore, che, d’ordine pubblico fabbricata inneren Nebenchor bestattet; s. BCS, Ms. C.III.2, dal celebre Vecchietta nostro Sanese Scultore, fu fol. 91v: „in ecclesia nova in cappella sua noviter dalla Repubblica donata alla Famiglia Sozzini, constructa“; fol. 108v: „in nova ecclesia in cappel- madre feconda in ogni tempo di uomini letterati.“ la Santi Ambrosii de Senis“. Guglielmo Della Valle hatte den Bronzegisant hin- 31. Della Valle 1782, Lettere sanesi, Bd. 1, S. 259: gegen bereits wieder im Privathaus der Sozzini ge- „Merita osservazione l’arco, che termina la gran sehen: „Questa rappresentata giacente si doveva navata, e mette nel presbiterio; è di un altezza riportare sopra al di lui sepolcro nel tempio di San considerevole; il diametro è di 30 de’ miei passi, Domenico di Siena, ma ciò non si essendo esegui- che non sono dei più piccoli. Nel mezzo è acumi- to, si conserva dai Signori suoi discendenti, ap- nato, ma così poco, che dal fondo non si vede. Di- presso ai quali l’ho io veduta. Il volto è rappresen- cesi, che per centinarlo si alzasse un muro sino a tato [...] con guanciale sotto alla testa, e con calza quell’altezza, e sopra fosse formato.“ Gigli 21723, (sic) o cappuccio civile in capo.“ (Della Valle 1786, Diario Sanese, Bd. 2, S. 72: „[…] la Croce, la quale Lettere Sanesi, Bd. 3, S. 64). fu aperta nell’anno 1465, lasciandoli al sostegno 35. Aus dem Vermittlungsbrief des Vincenzo Martini, del Tetto quell’Arco maraviglioso, che è il soggetto enger Finanzberater und Stadtrat von Siena, an dello stupore di tutti gli Architetti.“ den Privatsekretär des Großherzogs Ferdinand III. der Toskana vom 28. Februar 1794. ASS, Reihe Laura Goldenbaum Der Zeugniswert des Körpers kunsttexte.de 4/2010 - 19

121 und 122. Zitiert nach Mengozzi 1897, Reliquie Medicei vita, 2 Bde., Pisa 1788/1789, Bd. 1 (1789), Sozziniane, S. 155-181, hier S. 165. S. 134; Georg Voigt, Die Wiederbelebung des 36. Catalogo del R. Museo Nazionale di Firenze (Pa- classischen Alterthums oder Das erste Jahrhun- lazzo del Potestà), hg. v. Igino Benvenuto Supino, dert des Humanismus, 2 Bde., Berlin 41960, Bd. 1, Rom 1898, S. 382; Mengozzi 1897, Reliquie Soz- S. 411. Mariano Sozzinis Brief an Enea Silvio Pic- ziniane, S. 155-181, hier S. 164-175. colomini vom 16. September und dessen Schrei- 37. Gaetano Milanesi, Le opere di Giorgio Vasari. Con ben an Johannes Märs, Kanzler von Österreich, nuovo annotazioni e commenti, 4 Bde., Florenz vom 8. Dezember 1443; s. Aeneae Sylvii de viris 1879, Bd. 3, S. 81. aetate sua claris opusculum, in: Aeneas Sylvius 38. Beispielgebend steht die Intervention von Florenz, Piccolomineus, De viris illustribus (Bibliothek des um den Wechsel Bartolomeo Sozzinis von der Literarischen Vereins in Stuttgart 1,3), Stuttgart Universität zu Pisa nach Padua, unter der Autorität 1842, S. 18. Venedigs, zu verhindern. Dieser Episode folgten 40. Voigt 41960, Die Wiederbelebung des classischen Einsprüche von Siena beim Papst im Namen Soz- Alterthums, Bd. 1, S. 343. zinis und Warnungen des Papstes, gerichtet an die 41. Jakob Burckhardt, Die Cultur der Renaissance in Regierung Lorenzo de’ Medicis. Über die Festnah- Italien: ein Versuch, Basel 1860, S. 111. me Sozzinis durch die florentinische Regierung s. 42. Voigt 41960, Die Wiederbelebung des classischen Angelo Fabroni, Laurentii Medicis magnifici vita, 2 Alterthums, Bd. 1, S. 411. Bde., Pisa 1784, Bd. 2, S. 78-80; Girolamo Tirabo- 43. Ugo Benzi hatte 1405/1406 Laia Sozzini, die schi, Storia della letteratura italiana, 16 Bde., Mai- Schwester Marianos, geheiratet; s. dazu Dean land 1822-1826, Bd. 6 (1824), S. 829-838. Lorenzo Lockwood, Ugo Benzi – medieval philosopher and de’ Medici besuchte die Universität von Pisa, be- physician, 1376-1439, Chicago 1951, S. 26. gleitet von seinem Freund Angelo Poliziano, um ei- 44. Zdekauer 1894, Lo Studio di Siena nel Rinasci- ner Debatte zwischen dem Mailänder Rechtsge- mento, S. 46. lehrten Giasone del Maino und dem Sieneser Pro- 45. „Quid autem de his sentiam in eo libello, quem de fessor Bartolomeo Sozzini beizuwohnen, zu einem divinatione, mathesi ac sortibus ad Bysarionem Zeitpunkt, als beide an der Universität lehrten und grecum sacrosancte romane ecclesie reverendis- Sozzini del Maino zu einer Textinterpretation des simum cardinalem Nicenum scripsi, latius explica- römischen Rechts herausgefordert hatte. Diese vi“ (zitiert nach Tedeschi 1966, A History of the Debatte initiierte ein enorm gesteigertes Interesse Sozzini Family, S. 120); s. Mariano Sozzini, Tracta- an beiden eminent erfolgreichen Gelehrten. Die tus de Sortibus, Manuskript, Rom, Biblioteca Vati- Debatte wird erwähnt bei Allegretto Allegretti, Dia- cana, Cod. Reginense, 1272, ff. lr.-37r. Das In- ri, in: Rerum Italicarum Scriptores, hg. v. Lodovico haltsverzeichnis, Kap. 8 und ein Teil des 9. Kap. Antonio Muratori, 25 Bde., Mailand 1723-1751, abgedruckt in Joseph Hansen, Quellen und Unter- Bd. 23 (1733), Sp. 768-860. Mit Mariano il Giovane suchungen zur Geschichte des Hexenwahns und und ihm nachfolgenden Mitgliedern der Sozzi- der Hexenverfolgung im Mittelalter, Bonn 1901, S. ni-Familie rückt im 16. Jahrhundert die Forderung 212-215. nach einer Kirchenreform ins Zentrum des Interes- 46. Studi sul Panormita e sul Valla. Cronologia docu- ses. Zu Bartolomeo Sozzini s. Bargagli 2000, Bar- mentata della vita di Antonio Beccadelli detto il tolomeo Sozzini; zu Mariano Sozzini il Giovane: Panormita, hg. v. Remigio Sabbadini und Luciano Colli 1981, La laurea di Mariano Sozzini il giovane, Barozzi, Florenz 1891, S. 19, Anm. 4; R. Valentini, Siena 1981; weiterhin Denley 2006, Commune Sul Panormita: notizie biografiche e filologiche, and Studio in Siena. Rom 1907, S. 456-490. 39. So kommt z. B. der Kunstkritiker Giulio Mancini 47. Gioacchino Paparelli, Enea Silvio Piccolomini, Pio Anfang des 17. Jahrhunderts just in seiner Ab- II., Bari 1950, S. 21 und auch Myron P. Gilmore, handlung über den Künstler Andrea Mantegna auf Pius II and Mariano Sozzini „De Sortibus“, in: Enea Sozzinis Originalität und Talent als pittore zu spre- Silvio Piccolomini Papa Pio II. Atti del convegno chen (Giulio Mancini, Considerazioni sulla pittura. per il quinto centenario della morte e altri scritti Con il commento di Luigi Salerno, hg. v. Adriana raccolti da Domenico Maffei, Siena 1968, S. 187- Marucchi, 2 Bde., Rom 1956-1957, Bd. 1 [1956], 194. S. 37). S. auch Angelo Maria Bandini, Specimen li- 48. Der Briefwechsel des Eneas Silvius Piccolomini, teraturae Florentinae Sec. 15, in quo, dum Chph. hg. v. Rudolf Wolkan, Wien 1909-1918, 4 Bde., Landini gesta enarrantur, virorunea aetate doctis- Bd. 1: Privatbriefe (1909), S. 393-394. S. auch den simorum in literariam remp. merita, satus gymnasii kürzeren Abriss Piccolominis De Mariano Socino Florentini a Landino instaurati et acta academiae Senensi in seinem Werk De viris illustribus, Stutt- Platonicae a Magno, 2 Bde., Florenz 1748-1751, gart 1842, S. 27. Eneae Silvii Piccolomini Epistula T. 1 (1748), S. 180; Angelo Fabroni, Magni Cosmi CXII domino Casparo Schlick: „Marianus Sozzinus Laura Goldenbaum Der Zeugniswert des Körpers kunsttexte.de 4/2010 - 20

Senensis, conterraneus meus, vir tum mitis ingenii cusas de numismate illo, quod eram questus me tum litterarum multarum scius, cuius adhuc simi- amisisse. Nam cum litteras accurate legerem, per- lem visurus ne sim haereo, duos amantes ut sibi suadebam mihi, ita ornate copioseque causam describerem, rogatum me his diebus fecit, nec re- tuam agis, vera esse quae a te scribuntur, meque ferre dixit, rem veram agerem an more poetico fin- non recte sensisse qui tibi aliquid imputarim. At lit- gerem [...] Vir est eloquens, iuris utriusque consul- teris positis cum mecum recenserem illius diei me- tus, historias omnes novit, poetice peritus est, car- moriam in qua mecum fuisti, haerebam dubius utri men facit et Latinum et Tuscum, philosophiae tam nostrum major esset fides praestanda, mihi ne scius quam Plato, geometer quasi Boethius, in nu- paucis verbis accusanti, an tibi tam multis, tam meris Macrobio similis, nullum instrumentum igno- probabiliter agenti, ut cuivis superior in causa vi- rat musicum, agriculturam quasi Vergilius novit, ni- deri possis.“ hil civile ignotum viro [...] Quae minutissima etiam 52. Für eine Aufzählung dieser literarischen Pamphlete didici, quasi alter Apelles sic pingit. Nihil emenda- Domenico Maffei, Gli inizi dell’umanesimo giuridi- tius est, nihil lucidius quam sua manu scripti codi- co, Mailand 1956, hier S. 33-81. ces. Sculpit ut Praxiteles nec medicinae ignarus 53. Nardi 1974, Mariano Sozzini, giureconsulto sene- est […].“ se, S. 100-113. 49. Der Briefwechsel des Eneas Silvius Piccolomini, 54. Ebd., S. 102. 1909-1918, Bd. 1 (1909), S. 393-394. Eneae Silvii 55. Piccolominis ausführliche Beschreibung dieses Piccolomini Epistula CXII domino Casparo Schlick: Banketts ist in seiner Abhandlung De Europa ent- „Dii formam huic homini et immortalitatem si de- halten (Kap. 52), in: Aeneas Sylvius Piccolomini, dissent, is etiam erat deus, sed nemo sortitus est Opera quae extant omnia …, hg. v. Marcus Hop- omnia inter mortales. Nullum adhuc novi cui pau- per, Basel 1571, S. 387-471. Eine zweite Erwäh- ciora quam huic defuerint.“ nung des Symposiums findet sich in Ugo Benzis 50. Für Sozzini sind nicht allein die besonders pom- Vita, geschrieben von seinem Sohn Sozzino und pös inszenierten und kostspieligen Exequien über- abgedruckt in Lockwood 1951, Ugo Benzi, S. 31. liefert, sondern auch die überschwänglich lobprei- 56. Francesco Buonamici, Il Poliziano giureconsulto: sende Grabrede im Wortlaut, verfasst von Agosti- della litteratura nel diritto, Pisa 1863; Niccolo Ma- no Dati; s. BCS, cod. C III 2, f. 99r. Der Text der chiavelli, Discorsi di Nicolo Machiauelli, cittadino, Rede ist abgedruckt bei Agostino Dati, Augustini et segretario fiorentino, sopra la prima deca di Tito Dati Senensis Opera, hg. v. Girolamo Dati, Rom Liuio, a Zanobi Buondelmonti, et a Cosimo Rucel- 1503, or. III, f. XCVIIv. Als Beispiel für eine panegy- lai (1513-1517), Rom 1531. Im Druck erschien das rische Grabrede kann auch Poggio Bracciolinis Werk erst posthum, erstmals im Jahr 1531. Zu Al- oratio funebris dienen, die er seinem in Florenz ciato s. Paul Émile Viard, André Alciat, 1492-1550, verstorbenen Freund Niccoli widmete. Darin ima- Paris 1926. Alciatos erste Publikation seiner Anno- giniert er sich selbst vor der Bahre stehend im An- tationes in tres posteriores Codicis Iustiniani libros gesicht mit dem Toten, umgeben von trauernden von 1515 markiert die Durchsetzung der humanis- Florentiner Bürgern. Poggio, ein Meister dieser tisch argumentierenden rechtswissenschaftlichen Gattung und ‚Anwalt der Canonisation’, hielt sich Schule: (Alciato), Andree Alzati Mediolanensis in zu dieser Zeit nachweislich in Bologna auf. Die tres posteriores Codicis Iustinianei Annotationes: körperliche Präsenz des Toten war demnach, In quibus obiter qu[aeque] plurima alior[um] aut- wenn auch allein mithilfe der Vorstellungskraft her- hor[um] loca explanant[ur], Argentin[a]e 1515. aufbeschworen, wesentlich und notwendig für die- 57. Maffeo Veggio, Proemio zu De Verborum Signifi- sen, eindeutig als Anrede gestalteten Monolog der catione, in: Giuseppe Antonio Sassi, Historia lite- irdisch anmutenden Laudatio; s. Voigt 1859, Die rario-typographica Mediolanensis, Mailand 1745, Wiederbelebung des classischen Alterthums, S. Sp. ccccvii; Lorenzo Valla, Contra Bartolum libel- 436 lum cui titulus de insigniis et armis epistola, Basel 51. Poggii Epistolae, hg. v. Tommaso Tonelli, Florenz 1518. Über dieses Werk Franco Gaeta, Lorenzo 1832, Bd. 1, S. 199-201. Der Brief ist adressiert: Valla. Filologia e storia nell’umanesimo italiano „Poggius pl. sal. dicit Mariano Sozino“. Eine Ab- (Istituto italiano per gli studi storici in Napoli 8), schrift befindet sich in der Biblioteca Ricardiana in Neapel 1955, S. 195-197; Maffei 1956, Gli inizi Florenz (cod. Latino 754, f. 84r): „Refert in prima dell’umanesimo giuridico, S. 38-41. Tusculanarum Quaestionum Cicero, se cum librum 58. Voigt 41960, Die Wiederbelebung des classischen legeret Platonis, qui est De Animo, omnino illi as- Alterthums, Bd. 2, S. 477. sentiri; deposito vero libro, secumque de ani- 59. Poggius Bracciolini, Historiae disceptativae Convi- morum immortalitate cogitandi, elabi omnem illam vales tres [et alia], Pars secunda: Utra artium, me- priorem assensionem. Illud idem fateor accidisse dicinae an iuris civilis praestet, in: La disputa delle mihi lectis litteris tuis, quibus te satis abunde ex- arti nel Quattrocento, hg. v. Eugenio Garin, Florenz Laura Goldenbaum Der Zeugniswert des Körpers kunsttexte.de 4/2010 - 21

1947, S. 15-33; Poggio Bracciolini, Epistolae son auch in dem Tafelbild Le finanze del Comune edente equ. Thoma de Tonellis, Florenz 1832, VI, in tempo di pace e in tempo di guerra, 1467, Tem- 8.11. Ähnlich zeigen sich die Schmähungen Enea pera auf Holz, 53 x 38,8 cm, Siena, Archivio di Silvio Piccolominis gegen die Juristen; s. Georg Stato, 35. Von der Figur des Friedens geht ein Voigt, Enea Silvio de’ Piccolomini, als Papst Pius Spruchband aus: „PAX CIVES DITAT“; von jener II. und sein Zeitalter, 3 Bde., Berlin 1856-1863, Bd. des Krieges: „HOC [BELLUM] EXTEROS“. Die In- 2 (1862), S. 258. schrift befindet sich am unteren Bildrand zwischen 60. Märtl 2008, Interne Kontrollinstanz, S. 67-96, hier zwei Säulen. Die Wappen sind den Familien der S. 69. Offiziellen und der Notare des Zollamts zuzuord- 61. Mariano Sozzini wurde dieser Titel zwischen 1438 nen: Capacci, Venturini, Giovannelli, Marzi, Cerre- und 1447 verliehen, wahrscheinlich aber im Jahr tani, Vitaleoni, Umidi, Del Garga, Piccolomini, Pi- 1443, als Eugen IV. in Siena weilte und die beiden nocci, Da Bagnaia, Arduini. Männer sich mit großer Wahrscheinlichkeit begeg- 66. Andrea Vanni (Zuschreibung), Il Buon Governo, net sind. Piccolomini berichtet in seiner kurzen 1385, Tempera auf Holz, 43,8 x 31,5 cm, Siena, biografischen Abhandlung über Mariano Sozzini Archivio di Stato, Museo delle Tavole di Biccher- De Mariano Socino Senensi: „Hunc Eugenius Pon- na, Inv.-Nr. 19. tifex advocatum consistorialem creavit, libenter- 67. Von der Figur der Kommune, die mit „LIBERTAS“ que in Romana curia habuisset, sed cives eum überschrieben ist, scheint das Spruchband auszu- non permiserunt.“ (Aeneae Sylvii 1842, De viris il- gehen: „KI BEN MINISTRA REMGNA“. Am unteren lustribus, S. 27). Bildrand die Inschrift: „Questa è l’entrata della ge- 62. „Est et advocatorum nobilis ordo, qui patrocinan- nerale chabella del magnifico / comune di Siena tur in causis, viri electi ex multis, utroque iure con- per tempo d’uno anno inchominciato / addi’primo sulti, qui cathedras diu in scolis publicis rexere. di gennaio 1473 e finito a di’ultimo di dicembre Neque hi neque auditores absque magno examine 1474 / al tempo delli spectabili uomini crescentio admittuntur, et necesse est eos publice disputare, di Pietro di Franciescho di Goro chamarlengo, priusquam in hunc ordinem aspirare audeant. Hi, maestro Franciescho di Messere Peri Medicho, quotiens publica consistoria fiunt, sisquid vel car- Rede di Fabricio / Socci, Ser Arduino di Lonardo, dinales vel auditores in causis peccaverunt, palam Franciescho di Baldo Tolomei, esecutori per li pri- edicunt ipsique pape in faciem malefacta sua ex- mi sei mesi / Soccino di Facio Belgliarmati“ u. a. probant.“ (Pius II., Aeneas Silvius, Germania und mit den dazugehörigen Familienwappen der Gori, Jakob Wimpfeling „Responsa et replicae ad Ene- Pieri, Sozzi, Arduini, Tolomei, Bellarmati, Umidi, am Silvium“, hg. v. Adolf Schmidt, Köln/Graz Arrighi, Gallerani, Piccolomini sowie des Frances- 1962, S. 70-124. Das Zitat: Pius II., Germania, III, co di Antonio und des Galgano di Cenni, Notare 39, 108). des Zollamts. 63. Guido Panciroli konstatierte Marianos kleine Ge- 68. Ruth Schmidt-Wiegand, Rechtsbücher als Aus- stalt und fügte einige unschmeichelhafte Kom- druck pragmatischer Schriftlichkeit: eine Bilanz, in: mentare zu seinem Porträt hinzu: „Nigra barba, Frühmittelalterliche Studien (2003), hg. v. Gerd Alt- sed composito, & jucundo vultu […] verrucam in hoff u. a., Berlin/New York 2004. mala dextra, & laeva menti parte habebat.“ (Panci- 69. Beispielgebend ist der Verdammungsprozess für roli 1637, De claris legum interpretibus, S. 360). Sigismondo Malatesta, für dessen über jegliche Auch Guglielmo Della Valle, der den Bronzegisant Zweifel erhabene Durchführung Pius II. einen willi- im Privathaus der Familie Sozzini gesehen hatte, gen Juristen benötigte. Der als äußerst loyal gel- merkt an: „Il volto è rappresentato senza barba“ tende Sienese Andrea Benzi, den Enea Silvio Pic- (Della Valle 1786, Lettere Sanesi, Bd. 3, S. 64). colomini nicht allein zum Konsistorialadvokaten, 64. So fordert es auch Cennino Cennini in seinem Li- sondern sogar zum Fiskalprokurator ernannt hatte, bro dell’arte: „benchè la barba o capellatura male gab diesem Schauprozess als Rechtsperson den si può fare, ma fa’ che sia rasa la barba“ (Cennino Anschein eines ordentlichen Gerichtsverfahrens. Cennini, Il Libro dell’arte o Trattato della pittura. Di Seine Person wies jeglichen Verdacht päpstlicher nuovo pubblicato, con molte correzioni e coll’ag- Willkür ab. Die Schilderung des Ablaufs in den giunta di più capitoli tratti dai codici fiorentini, hg. Commentarii des Papstes legt jedoch den Ver- v. Gaetano und Carlo Milanesi, Florenz 1859, S. dacht nahe, dass es Pius II. selbst war, der die An- 136). klagerede schrieb, diese jedoch von einer autori- 65. Benvenuto di Giovanni, Il Buon Governo dell’uffi- tätssteigernden, unabhängigen juristischen Amts- cio della gabella, 1473/1474, Tempera auf Holz, person verlesen ließ, um sein zutiefst persönliches 53 x 33,5 cm, Siena, Archivio di Stato, Museo del- Anliegen zu verschleiern. Die keinesfalls neben- le Tavole di Biccherna, Inv.-Nr. 38. Ähnlich präsent sächliche, eher stolze Bemerkung, Benzi habe ge- ins Bild gesetzt wird der Jurist als Autoritätsper- sprochen „ut erat pontefice iussus“ konkretisiert Laura Goldenbaum Der Zeugniswert des Körpers kunsttexte.de 4/2010 - 22

den Verdacht. Zur Überlieferung der Rede und ih- 74. Ebd., Rer. memorand. Lib. II, S. 466 (zitiert nach rer zeitgenössischen Rezeption Giovanni Soranzo, Voigt 41960, Die Wiederbelebung des classischen Un’invettiva della Curia Romana contro Sigis- Alterthums, Bd. 1, S. 47). mondo Pandolfo Malatesta. Estratto della Rivista 75. Leonardo Bruni Aretino, Humanistisch-philosophi- di storia e di lettere ‚La Romagna’, Imola 1911, S. sche Schriften mit einer Chronologie seiner Werke 9-14; Augusto Campana, Poema antimalatestiano und Briefe, hg. v. Hans Baron (Quellen zur Geis- di un umanista spagnolo per Pio II., in: Atti e me- tesgeschichte des Mittelalters und der Re- morie della Deputazione di Storia Patria per le naissance 1), Leipzig 1928, S. 73: „Inter moralis Marche, Ser. 8, Bd. 4, Heft 2, S. 189-205, hier S. disciplinae praecepta, quibus humana vita institui- 194-196; Franco Gaeta, La ‚leggenda’ di Sigis- tur et docetur, eminentissimum quodammodo lo- mondo Malatesta, in: Studi malatestiani, Rom cum obtinent, quae de civitatibus earumque gu- 1978, S. 159-196, hier S. 164-165, mit Anm. 12. bernatione conservationeque traduntur, quippe Zum Kanonisationsverfahren der Katharina von disciplina huiusmodi omnis felicitatem hominibus Siena Thomas Wetzstein, Heilige vor Gericht. Das conficere studet; [...].“ Ebd., S. 71: „Nec te deter- Kanonisationsverfahren im europäischen Spätmit- reat Aristoteles actor, qui philosophus fuerit atque telalter (Forschungen zur kirchlichen Rechtsge- gentilis. Quicumque enim scientia doctrinaque iu- schichte und zum Kirchenrecht 28), vare nos potest fructumque afferre, ei aures no- Köln/Weimar/Wien 2004, S. 234, Anm. 85, S. 355, strae accomodandae. Et accedit, quod pars haec 524-525. Zum Verfahren gegen Sigismondo unter philosophiae, quae circa mores circaque guberna- dem Aspekt eines Heiligsprechungsprozesses ‚ex tionem rerum publicarum et circa rectam vivendi negativo’ André Vauchez, Pie II et la canonisation rationem versatur, eadem fere sit apud gentiles infernale de Sigismondo Malatesta, in: Ovidio Ca- philosophos et apud nostros [...]. Non solum enim pitani. Quaranta anni per la storia medievale, hg. v. in his communibus, quae ad virtutes pertinent et Maria Consiglia De Matteis, Bd. 1, Bologna 2003, vitia, verum etiam in his, quae videntur esse pro- S. 7-20. pria Christianitatis, reperio philosophos quosdam 70. Der Briefwechsel des Eneas Silvius Piccolomini, nobiscum sentire eademque et praecipere et do- 1909-1918, Bd. 4 (1918): Briefe von seiner Erhe- cere.“ Ebd.: „[…] haec enim tria apud moralem bung zum Bischof von Siena bis zum Ausgang philosophum idem significant. Dico autem tria: des Regensburger Reichstages (23. September bene agere, bene vivere ac felicem esse. An igitur 1450 bis 1. Juni 1454), S. 238-239: „Commentari- aures non impartiar illis, qui me docent, si bene os tuos super decretalibus, et si facundas arbitror agam et si bene vivam, me esse felicem?“ miramque scientiam per se ferentes, videretamen 76. So in Mariano Soccini, Commentaria super secun- non cupio, quia terruit me librorum numerus, cum da parte libri quinti Decretalium, c. A nobis, De eos in quatuor et viginti volumina distinctos scrip- sententia excommunicationis, Manuskript, Madrid, seris. Mos est legistarum, ut longi sint. Hinc Ovidi- Biblioteca Nacional, Cod. 735-VI, (X.5.39.21.) f. us verbosas dicit leges et Juvenalis, de causidicis 272vb, Nr. 4; dort auch De iniuriis et damno dato scribens, libellos inquit eos in fasce sequi. Tu ta- (X.5.36.), f. 151ra, Nr. 8 (zwischen den zahlreichen men, qui et oratoris et poete et juris consulti locum Zitaten). imples, deberes ista metiri et modum pagine face- 77. Costas Douzinas, Die Legalität des Bildes, in: Kör- re, ne scriberes in immensum, quia et scribenti la- per und Recht. Anthropologische Dimensionen bor est et legenti fastidium.“ der Rechtsphilosophie, hg. v. Ludger Schwarte 71. Francesco Petrarca, Rer. morand. Lib. II, in: Opera und Christoph Wulf, München 2003, S. 147-175, quae extant omnia. Francisci Petrarchae Florenti- hier S. 174. ni, Philosophi, Oratoris, & Poetae clarissimi … in 78. Guy Bedouelle, Dominikus, von der Kraft des Wor- Tomos quatuor distincta, hg. v. Johannes Herold, tes, Graz 1984; Walter Senner, Wahrheit bei Alber- Basel 1554, S. 466 (zitiert nach Voigt 41960, Die tus Magnus und Thomas von Aquin, in: Die Ge- Wiederbelebung des classischen Alterthums, Bd. schichte des philosophischen Begriffs der Wahr- 1, S. 80); s. hierzu auch Jerrold E. Seigel, Rhetoric heit, Berlin 2006, S. 103-148. and Philosophy in Renaissance Humanism. The 79. Albertus Magnus, De resurrectione, in: Albertus Union of Eloquence and Wisdom, Petrarch to Val- Magnus, Opera omnia, curavit Institutum Alberti la, Princeton, N. J. 1968. Magni Coloniense, hg. von Bernhard Geyer, 72. Petrarca 1554, Opera, S. 466 (zitiert nach Voigt Münster 1958, Bd. 26, S. 63-64. 41960, Die Wiederbelebung des classischen Alter- 80. Bedouelle 1984, Dominikus. thums, Bd. 1, S. 80). 81. Bessarion, In calumniatorem Platonis libri IV, in: 73. Ebd., Epist. rer. famil. IV, 15. XVIII,2, (Rer. memo- Ludwig Mohler, Kardinal Bessarion als Theologe, rand. Lib. I), S. 452 und De sui ips. et mult. Igno- Humanist und Staatsmann, Bd. 2, Paderborn rant, S. 1161. 1927, Repr. Aalen 1967, S. 375: „Igitur alterum de Laura Goldenbaum Der Zeugniswert des Körpers kunsttexte.de 4/2010 - 23

his duobus dicat necesse est, aut enim unum eun- schichtskunde, Bd. 3.4.16], 5 Bde., Leipzig/Bonn demque intellectum omnibus esse aut una cum 1886-1926, Bd. 1, S. 182-183) corpore animam interire. Quo fit, ut nemo ex Ari- stotelis opinione possit animam dicere distingui ad corporis corruptionem permanere.“ Abb. 9: Siena, S. Domenico, Blick in die linke Neben- chorkapelle, ehemalige Cappella della Madonna della Neve (Sozzini-Kapelle) (Aufnahme der Autorin)

Abbildungen Abb. 10: Wappenstein der Sozzini-Familie mit der In- schrift „CHAPELLA DELLE REDE D(I) S(ER) MINO Abb. 1: Museo Nazionale del Bargello, Florenz, Dona- SOCCI DA SIENA ANTICHO DA PERCENA“, Siena, S. tello-Saal mit dem Bronzegisant Mariano Sozzinis Domenico, Stirnwand der linken Nebenchorkapelle (Aufnahme der Autorin) (Aufnahme der Autorin)

Abb. 2: Lorenzo di Pietro detto il Vecchietta, Bronze- Abb. 11: Bernardino di Betto, gen. Il Pinturicchio, Hul- gisant des Mariano Sozzini († 1467), Florenz, Museo digung im Namen Kaiser Friedrichs III. vor dem Papst Nazionale del Bargello (Aufnahme der Autorin) Eugen IV. (Ausschnitt), aus dem Freskenzyklus Zehn Szenen aus dem Leben des Enea Silvio Piccolomini, Abb. 3: Lorenzo di Pietro detto il Vecchietta, Bronze- 1502-1508, Siena, Dom, Libreria Piccolomini (Foto: gisant des Mariano Sozzini († 1467), Detail: Hände, Steffi Roettgen, Wandmalerei der Frührenaissance in Florenz, Museo Nazionale del Bargello (Aufnahme der Italien, 2 Bde., München 1996-1997, Bd. 2: Die Blüte- Autorin) zeit 1470-1510, Taf. 165).

Abb. 4: Lorenzo di Pietro detto il Vecchietta, Bronze- Abb. 12: Bernardino di Betto, gen. Il Pinturicchio, gisant des Mariano Sozzini († 1467), Detail: Kopf, Mu- Letzte Huldigung der zum Kreuzzug Versammelten seo Nazionale del Bargello (Aufnahme der Autorin) vor Papst Pius II. in Ancona, aus dem Freskenzyklus Zehn Szenen aus dem Leben des Enea Silvio Piccolo- Abb. 5: Lorenzo di Pietro detto il Vecchietta, Bronze- mini, 1502-1508, Siena, Dom, Libreria Piccolomini gisant des Mariano Sozzini († 1467), Florenz, Museo (Foto: Steffi Roettgen, Wandmalerei der Frühre- Nazionale del Bargello (Aufnahme der Autorin) naissance in Italien, 2 Bde., München 1996-1997, Bd. 2: Die Blütezeit 1470-1510, Taf. 173). Abb. 6: Giovanni di Stefano, Bronzegisant und mar- morner Sarkophagkasten des Kardinals Pietro Foscari Abb. 13: Bernardino di Betto, gen. Il Pinturicchio, († 1485), Rom, S. Maria del Popolo, Cappella Costa Letzte Huldigung der zum Kreuzzug Versammelten (Aufnahme der Autorin) vor Papst Pius II. in Ancona (Ausschnitt), aus dem Freskenzyklus Zehn Szenen aus dem Leben des Enea Abb. 7: Lorenzo di Pietro detto il Vecchietta, Bronze- Silvio Piccolomini, 1502-1508, Siena, Dom, Libreria gisant des Mariano Sozzini († 1467), Detail: Füße, Flo- Piccolomini (Foto: Steffi Roettgen, Wandmalerei der renz, Museo Nazionale del Bargello (Aufnahme der Frührenaissance in Italien, 2 Bde., München 1996- Autorin) 1997, Bd. 2: Die Blütezeit 1470-1510, Taf. 172)

Abb. 8: Unbekannter Künstler, Porträt Hermann von Abb. 14: Benvenuto di Giovanni, Il Buon Governo Weinsberg. Der Ratsherr im Alter von 22 Jahren, dell‘ufficio della gabella, 1473/1474, Siena, Archivio di 1540, Kohlezeichnung, Köln, Zeughaus (Foto: Kon- Stato, Museo delle Biccherne, Inv.-Nr. 38 (Foto: Fabri- stantin Höhlbaum u. a. (Hgg.), Das Buch Weinsberg. zio Nevola, Siena: constructing the Renaissance city, Kölner Denkwürdigkeiten aus dem 16. Jahrhundert New Haven/London 2007, S. 9, Abb. 9). [Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Ge- Laura Goldenbaum Der Zeugniswert des Körpers kunsttexte.de 4/2010 - 24

Abb. 15: Andrea Vanni (Zuschreibung), Il Buon Gover- 2008 arbeitet sie an ihrem Dissertationsprojekt zu den no, 1385, Siena, Archivio di Stato, Museo delle Bic- Bronzegisants des Quattrocento mit dem Arbeitstitel: cherne, Inv.-Nr. 19 (Foto: Fabrizio Nevola, Siena: con- „Fantasmata und Memoria – Die bronzene Effigies structing the Renaissance city, New Haven/London des Quattrocento“, betreut von Prof. Dr. Horst Brede- 2007, S. 9, Abb. 8) kamp, in Assoziierung mit dem Forschungsprojekt „REQUIEM – Die römischen Papst- und Kardinals- Abb. 16: Lorenzo di Pietro detto il Vecchietta, Bronze- grabmäler der Frühen Neuzeit“. Seit März 2009 ist sie gisant des Mariano Sozzini († 1467), Detail: Kopf, Mu- Promotionsstipendiatin am Kunsthistorischen Institut seo Nazionale del Bargello (Aufnahme der Autorin) in Florenz.

Zusammenfassung Titel

Mein Beitrag widmet sich dem Bronzegisant des Ma- Laura Goldenbaum; Der Zeugniswert des Körpers riano Sozzini († 1467), aufbewahrt im Florentiner Mu- oder anima forma corporis. Der quattrocenteske seo Nazionale del Bargello. Es ist zuallererst das Bild Bronzegisant des Sieneser Rechtsgelehrten Mariano eines Leichnams, eines individualisierten und auf- Sozzini, in: Philipp Zitzlsperger (Hg.): Grabmal und grund seiner Kopfbedeckung als Amtsperson des Ju- Körper – zwischen Repräsentation und Realpräsenz in risten gekennzeichneten Toten. Es soll hier der Frage der Frühen Neuzeit. Tagungsband erschienen in nachgegangen werden, auf welche Weise Körper und kunsttexte.de,Nr. 4, 2010 (24 Seiten), www.kunsttex- Gesicht eines Bronzegisants zum Zeichenträger wer- te.de. den können: in der Betonung seines Zeugniswerts, in der bewussten Inanspruchnahme der aristotelischen Lehre ‚anima forma corporis’ und in der allumfassen- den These, dass das Recht erst durch den Körper performativ wird und deshalb allein die Kombination von Recht und Bild auch die Subjektivität begründet.

Autorin

Laura Goldenbaum studierte 2001-2008 Kunstge- schichte, Klassische Archäologie, Geschichte und Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ebendort war sie 2004-2007 Forschungsstudentin des interdisziplinären und von der DFG geförderten Graduiertenkollegs „Codierung von Gewalt im media- len Wandel“, das von Prof. Dr. Joseph Vogl, Prof. Dr. Thomas Macho und Prof. Dr. Hartmut Böhme geleitet wurde. Ihre Magisterarbeit mit dem Titel „Hoc est cor- pus meum – Leibhaftigkeit und Totenabbild. Die Bron- zegisants der Grabmäler Sixtus’ IV. und ‚seines’ Kar- dinals Pietro Foscari in Rom“ schloss sie 2007 am In- stitut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt- Universität bei Prof. Dr. Horst Bredekamp ab. Seit