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Sendung vom 15.04.2002, 20.15 Uhr

Klaus Doldinger Jazzmusiker und Komponist im Gespräch mit Ursula Heller

Heller: Guten Tag und herzlich willkommen. Unser Gast heute hat Jazz im Blut, hat "Rhythm and Blues" im Blut. Er spielt das Saxophon, mischt seit Jahrzehnten mit in der Musikszene: dies nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt. Er ist darüber hinaus aber auch Komponist: Er hat die Musik für den "Tatort" komponiert, für "" oder für die "Unendliche Geschichte". Eine unendliche Geschichte ist auch seine Erfolgsstory: das, was er alles geschrieben, gemacht und selbst gespielt hat. Ich freue mich, dass heute Klaus Doldinger bei uns ist. Herzlich willkommen, Herr Doldinger. Wenn man sich Ihre Vita ansieht, ist das ja unglaublich: Das sind Seiten von Papier. Haben Sie sich das träumen lassen, als Sie als Musiker angefangen haben? Doldinger: Eigentlich nicht, nein. Ich habe mir damals gar nicht so viel träumen lassen. Ich wollte eigentlich nur Musik machen und alles andere hat sich dann im Laufe der Zeit erst so ergeben. Es hat damals ja auch noch nicht diese Perspektiven gegeben, die man heute als Musiker haben kann. Als ich anfing - zuerst als Schüler, später als Student und dann Profi –, hatte man nicht so diese Vorbilder, sodass man hätte sagen können, man mache nun dieses und jenes und eines Tages würde man ein Studio haben usw. Nein, das war alles unglaublich weit weg. Es ging nur darum, Musik zu machen. Das war das einzige Ziel: Man wollte gute Musik machen und viel spielen. Heller: Denken Sie, dass das damals schwieriger war als heute? Oder war das damals sogar ein Gefühl größerer Freiheit, weil man eben diese Vorbilder und damit auch keine Raster im Kopf hatte? Doldinger: Einerseits war es schon sehr viel schwieriger, weil das wirtschaftliche Überleben ja nicht so leicht möglich war wie heute. Man hatte das andererseits aber auch gar nicht so im Sinn. Ich habe ja schon relativ früh geheiratet und meine Frau war selbst auch berufstätig. Heller: Ihre Frau war Mannequin und hat Sie damals so ein bisschen über Wasser gehalten, wenn ich das richtig nachgelesen habe. Doldinger: Ja, genau so war es. Wir haben zu der Zeit nämlich wirklich nicht sehr viel verdient. Man hat sich aber auch gar nicht vorstellen können, dass man mal eines Tages wesentlich mehr verdienen könnte, oder dass man eine Schallplatte machen würde. All das kam erst so peu a peu ins Rollen. Überraschenderweise trat Anfang der sechziger Jahre ein junger Mann mal an mich heran, der Siggi Loch hieß. Er war damals in seiner Branche als Produzent und Schallplattenmacher bei einer großen deutschen Schallplattenfirma ebenfalls Anfänger. Er wollte mit mir ganz einfach eine Platte produzieren. Ich war darüber sehr überrascht und auch beglückt. Heute hingegen ist das freilich ganz normal: Jeder macht heute Schallplatten, jeder erwartet auch gleich große Verträge mit viel Geld und jahrelanger Beteiligung. All das war mir damals jedoch total fremd. Insofern war das also ein Sprung ins kalte Wasser. Einerseits war das alles also schon recht schwierig, weil es ja auch Zufall war, dass Siggi Loch und ich uns kennen lernten. Siggi Loch hatte mich allerdings schon ein paar Jahre im Visier, wie er mir später gestand. Heller: Er war also offenbar in der Musikszene so etwas wie ein Headhunter. Doldinger: Nein, das würde ich so nicht sagen. Er war ein wirklicher Jazzliebhaber. Er war davor schon öfter mal zu Konzerten, auf denen ich spielte, gereist – ohne dass ich das allerdings gewusst hätte. Genau zu dieser Zeit rätselte ich jedenfalls, wie man es anstellen könnte, zu einer eigenen Platte zu kommen. Denn als Schülerband hatten wir ja schon mal eine Platte aufgenommen: Wir waren eine Traditional-Band, also eine Dixieland-Band aus Düsseldorf gewesen und hatten die "Düsseldorfer Feetwarmers" geheißen. 1955 hatten wir in einem Mädchengymnasium, in einem Lyzeum, unsere erste Platte aufgenommen. Heller: Die Mädchen dort am Gymnasium sind wahrscheinlich ausgeflippt, wie ich annehme. Doldinger: Nun, wir haben dort ganz einfach ein Konzert gespielt. Heute, im Rückblick, waren das damals eigentlich paradiesische Verhältnisse. Denn damals war man in einer Minderheit, wenn man überhaupt Musik machte. Heute, und das finde ich auch sehr schön, ist ja das selbst Musizieren viel mehr gang und gäbe als damals. Heller: Waren Sie denn so eine Art von Boygroup, als Sie damals in diesem Mädchengymnasium auftraten? Doldinger: Oh, den Begriff kannte man damals natürlich noch nicht. Nein, nein, wir waren eine Dixieland-Band und spielten auch Sonntags Nachmittags zu Jazzband-Balls oder zu Riverboat-Shuffles. Mit dieser Band habe ich also als Schüler schon jede Menge Konzerte gemacht. Nach dem Abitur habe ich dann beschlossen, Musiker zu werden - zunächst einmal. Denn bevor ich mit dem Studium anfing, habe ich erst einmal mit einer Profiband – bzw. mit zwei unterschiedlichen Bands – in Nightclubs gespielt: jede Nacht acht Stunden lang, also von acht Uhr abends bis morgens um vier, und danach ging es dann noch ab zum Frühlokal. Für mich war das schon auch eine recht harte Tortour. Freilich waren das auch Lehrjahre, die ich heute keinesfalls missen möchte. Heller: Man sieht Ihnen gar nicht an, dass Sie so "gelumpt" haben. Was haben denn die Lehrer dazu gesagt? Doldinger: Die Lehrer auf der Schule hatten mich ja sowieso schon abgeschrieben. Auf der höheren Schule war nämlich mein Standing eigentlich sehr schwach gewesen. Denn die Lehrer sagten immer: "Ach, der Doldinger, der hat doch schon seine eigene Lambretta und eine Freundin und hängt nachts immer in diesen Höhlen herum." Heller: Entschuldigung, was war denn eine Lambretta? War das ein heißes Auto? Oder war das so etwas wie eine Vespa? Doldinger: Ja, ein Motorroller. Ich musste mich damals natürlich schon auch ab und zu mal von zu Hause wegschleichen, weil meine Eltern eben auch nicht wollten, dass ihr Sohn nachts in irgendwelchen vermeintlichen Lasterhöhlen, die das freilich gar nicht waren, jazzt. Mir war es aber so wichtig, dort zu spielen, dass ich das auf mich genommen habe. Später habe ich das dann auch immer wieder so durchgehalten. Aber irgendwann kam dann bei mir doch die Einsicht, dass dieses Tingeln nicht das Richtige ist. Mein Vater hatte ja schon immer gesagt, dass ich eines Tages im Tingeltangel enden würde. Heller: Ihr Vater war Beamter? Doldinger: Ja, er war Diplomingenieur. Er arbeitete in einem Bereich, den man heute Telekommunikation nennt. Er wollte natürlich, dass ich genau das auch mache. Zumal sein Vater, also mein Großvater, auch schon bei der Post gewesen war. Eine Beamtenkarriere, das war das, was er sich für mich vorstellte. Das war aber genau das Gegenteil dessen, was ich wollte. Denn schon damals war meine Verehrung für die Musik und die Jazzmusiker grenzenlos. Ich hatte auch das Glück, schon früh ganz tolle Musiker kennen zu lernen. Es hat damals eine österreichische Dixieland-Band gegeben, die bei uns in Düsseldorf sehr viel spielte. Es gab da ein Lokal mit dem Namen "New Orleans" und diese Band hieß "Fatty George Combo". Dort spielte ein Trompeter namens Oscar Klein. Heller: "Oscar" ist ja auch Ihr Spitzname geworden. Doldinger: Ja, aber nicht deshalb, weil ich den Oscar Klein kannte, sondern weil ich so unglaublich von schwärmte. Ich hatte natürlich schon damals jede Menge Hereos und Idole: alles Jazzmusiker! Ich habe sie mal zusammengezählt: Das sind mittlerweile circa 100 geworden. Weil es damals in der Band, also bei den "Feetwarmers", vier "Kläuse" gegeben hat, hat man mir eben den Spitznamen "Oscar" zugedacht. Später hat sich dieser Spitzname freilich wieder verloren. Wenn mich heute jemand mit "Oscar" anspricht, dann weiß ich ganz genau, dass das nur jemand aus der Düsseldorfer Zeit sein kann. Heller: Wie kam es eigentlich, dass Sie als Beamtensohn in der Jazzszene landeten? Hat es da ein Schlüsselerlebnis, einen bestimmten Moment gegeben, der Sie da so bewegt hat, der Ihnen diesen Ruck gegeben hat? Doldinger: Sicherlich. Während des Krieges lebten wir in Wien. Ich war schon damals als Kind ein wenig auffällig. Wann immer ich bei meinen Großeltern das Klavier bzw. den Flügel entdeckte, habe ich darauf herum improvisiert. Nach dem Besuch eines Tanzcafés habe ich zu Hause schon auch mal Kopftöpfe hergenommen und auf ihnen herumgetrommelt. Meine Eltern dachten sich also schon, dass da mit diesem Bub irgendetwas sei. Zu Kriegsende waren wir immer noch in Wien und mussten dann fliehen, mit dem Flüchtlingstreck von Wien nach Bayern. Meine Mutter wusste eigentlich nicht so recht, wohin mit sich und ihren beiden kleinen Buben, also mit meinem Bruder und mir. Wir sind dann auf gut Glück zu einem Onkel Josef nach Schrobenhausen gefahren: Er hatte dort eine Apotheke. Er war natürlich nicht so wahnsinnig beglückt, nun Gäste zu haben. Aber er hat uns dann doch sehr freundlich aufgenommen. Als die Amerikaner dann Anfang Mai einmarschierten – kurz vor meinem neunten Geburtstag – probte dann schon ein paar Tage später dort in Schrobenhausen eine Band. Das war Musik, die ich vorher noch nie gehört hatte. Ich sah auch zum ersten Mal schwarze Menschen. Sie machten Musik, es gab den ersten Kaugummi für mich usw. Das waren alles völlig unglaublich tolle Erfahrungen für mich. Dieses Amerika schlug bei mir ein wie eine Bombe. Heller: Das war gleich eine ganz große Liebe? Doldinger: Ja. Diese rhythmische Musik hat mich sofort angemacht, wie man heute sagen würde. Das ist mir im Blut geblieben. Ich habe dann auch sehr früh Jazzplatten entdeckt. In deutschen Schallplattengeschäften hat es damals ja nicht viele Jazzplatten gegeben. Wenn da mal eine Neuveröffentlichung von Errol Garner, Dizzy Gillespie oder Louis Armstrong herausgekommen ist – das waren damals noch diese 78er Schallplatten mit lediglich zwei Titeln drauf –, dann hatte jedes Schallplattengeschäft davon höchstens drei, vier Exemplare. Man musste also schon sehr dahinter her sein, um dieser Musik überhaupt habhaft zu werden. Wir trafen uns dann eben in einem so genannten Jazzclub, der einmal in der Woche in einem Hinterzimmer eines Musikgeschäfts in Düsseldorf tagte. Denn in Düsseldorf waren wir dann von Schrobenhausen aus gelandet: Mein Vater hatte uns im Herbst 1945 gesucht und uns dann auch tatsächlich bei Onkel Josef gefunden. Er brachte uns nach Düsseldorf, wo er bereits wieder Arbeit gefunden hatte. In diesem "Hotclub Düsseldorf", wie sich dieser Club nannte, traf ich eben einige Gleichgesinnte: Wir waren zu dem Zeitpunkt alle an die 16, 17 Jahre alt. Ich hatte mit elf Jahren bereits das Glück gehabt - weil eben auch meine Eltern meinten, dass an diesem Jungen irgendetwas ist, das in Richtung Musik geht –, dass mich meine Eltern neben dem Gymnasium auch noch auf das Musikkonservatorium schickten. Heller: Das war das "Robert-Schumann-Konservatorium". Doldinger: Ja, richtig. Das war eigentlich recht witzig, denn dieses Konservatorium war natürlich eher für Leute gedacht, die später professionelle klassische Musiker werden oder ins Lehramt gehen wollten. Sie nahmen dort eigentlich nur Leute mit Vorbildung auf. Ich als Elfjähriger konnte dort bei der Aufnahmeprüfung praktisch nichts spielen. Ich hätte höchstens etwas improvisieren können. In meiner Not habe ich dann "Hänschen klein" gespielt, was natürlich großes Gelächter hervorgerufen hat. Da ich das aber offenbar recht charmant gemacht habe, hat man mich dann doch genommen. Aus diesem Grund hatte ich also schon mal eine gewisse musikalische Vorbildung. Ich hatte daher von meinem elften Lebensjahr an Klavierunterricht und spielte später dann auch noch Klarinette neben der Schule. Als wir Musiker uns dort mit 16, 17 Jahren in dem Club alle kennen lernten, beschlossen wir, ebenfalls eine Band zu gründen. Geprobt haben wir jeden Sonntagnachmittag. Heller: Das heißt, Sie haben auch die ganze Klassik drauf: Sie haben die ganzen Fugen gelernt usw. Doldinger: Ja, sicher. Ich habe ja neben der Schulzeit eine richtige konzertante Ausbildung durchlaufen. Einer der Hauptinitiatoren dieser Dixieland-Band damals waren Jürgen Buchholz und sein Bruder Stefan. Das war eine wirklich sehr schöne Zeit damals, weil wir so aus dem Nichts kamen und alle nur davon träumten, Musik zu machen und vielleicht auch mal vor Publikum zu spielen. Ich werde nie vergessen, wie wir damals unser erstes Konzert spielten. Das war im Britischen Kulturinstitut in Düsseldorf mit dem Namen "The Bridge". Es war ein Sonntagvormittag, denn ich glaube, es war eine Matineeveranstaltung. Dorthin haben wir gemeinsam durch den Düsseldorfer Hofgarten das Schlagzeug getragen. Es war wirklich ganz verrückt. Es waren tatsächlich Leute da und für uns war es eine große Überraschung, dass wir dann doch nach und nach vom Publikum in Düsseldorf wahrgenommen wurden, sodass wir weitere Konzerte spielten. Das war natürlich alles immer noch in sehr zivilem Rahmen. Es kam dann diese erste Schallplatte mit dem Titel "Enter the Feetwarmers" heraus. Ein Titel von dieser Platte findet sich jetzt auch wieder auf einer Viererbox-CD meiner Plattenfirma, die mir gewidmet ist. Heller: Zu Ihrem 65. Geburtstag ist dort eine vierteilige CD herausgekommen. Doldinger: Ja, das hieß "Works & Passion". Dort findet sich eben, wie gesagt, auch wieder ein Titel von diesen "Feetwarmers" damals. Ich muss sagen, dass sich auch heute noch ganz gut anhören lässt, was wir damals völlig unschuldig in unserer Aufnahmesession in dieser Schule aufgenommen hatten. Dort waren in der Aula ein paar Mikrophone aufgebaut worden. Wir wussten natürlich überhaupt nicht, wie man damit genau umzugehen hat. Wir spielten halt so gut wir konnten. Heller: Welchen Stellenwert hatte denn damals der Jazz für das normale Publikum? War das so ein bisschen wie "Underground"? War das etwas Revolutionäres? Doldinger: Nun ja, es war im Hinblick auf das, was sich später in der Musik ereignete - denken Sie nur mal an den Freejazz oder die Punk-Bewegung – sicherlich nicht revolutionär. Zu der Zeit damals war das eben eine absolut bürgerliche Gesellschaft, in der praktisch jede Kleinigkeit bei den normalen Bürgern Horrorvisionen hervorrief. Wir hatten einerseits diesen Background, Trümmerkinder zu sein: mit Banden, Steinschlachten, Feuer im Freien, Kartoffeln braten usw. Alles war irgendwie abenteuerlich in diesen Trümmern: Es gab ja sonst nichts. Meine Eltern hatten damals eine Postwohnung, also eine Dienstwohnung, und dort unten im Hof standen damals Unmengen von Fahrzeugen herum. Es war für uns ein Riesenvergnügen, diese Fahrzeuge ineinander crashen zu lassen. Das waren alles ausrangierte Militärfahrzeuge, die man mit einer Batterie immer noch starten konnte. Für uns war das alles ein Riesenspaß, genauso wie das Herumbalancieren auf riesigen Kabeltrommeln. Wir hatten eigentlich ein ganz schönes Leben, auch als Kinder im Krieg, wie ich sagen muss. Wenn ich mir heute Berichte über diese Zeit ansehe, dann fällt mir auf, dass das damals für mich alles nichts so schlimm war. Man konnte sich als Kind nämlich nicht ausmalen, was das alles bedeutet. Natürlich hatten wir auch Angst und wenn es einen Bombenangriff gab, dann saß die ganze Familie im Keller unten. Am Radio habe ich dann immer abgehört, ob die feindlichen Verbände nun gerade ein- oder schon wieder ausfliegen. Wir wohnten damals ja in Wien-Döbling mit wunderbarem Blick auf die Stadt. Von uns oben sah man immer ganz genau, wo es in der Stadt eingeschlagen hatte. Eigentlich habe ich das damals eher wie ein großes Abenteuer erlebt. Hinterher sind einem diese Dinge natürlich ganz anders klar geworden. Die Dramatik und Tragik jener Tage hat sich mir erst später eröffnet. Heller: Noch einmal zu dieser Düsseldorfer Zeit. Ihr Vater hatte Ihnen gesagt, dass Sie sich nicht auf diesen Tingeltangel einlassen sollten. Die Lehrer waren ebenfalls nicht so angetan davon. Wann hat man sich denn mit Ihnen versöhnt und gesagt, "Es ist doch richtig, was der Kerl macht"? Doldinger: Viel später erst, eigentlich erst, als ich meinen ersten Schallplattenvertrag hatte und somit auch in dieser Hinsicht akzeptiert worden bin. Auch die Presse hat dann ja sehr positiv über uns berichtet. Davor jedoch ist das alles noch so unter dem Aspekt "absturzgefährdet" usw. betrachtet worden. Ich habe auch sehr früh geheiratet. Wir haben bereits 1960 geheiratet und... Heller: ...und Sie sind immer noch mit der gleichen Frau verheiratet. Das ist heute ja auch ein Phänomen, wenn man 40 Jahre lang mit dem gleichen Menschen verheiratet ist. Doldinger: Ja, mehr als 40 Jahre mittlerweile. Heller: Kommt da doch wieder der Beamtensohn durch? Entschuldigung, wenn ich das so frech frage. Doldinger: Nein, überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. Das war zunächst eine Freundschaft, die durch Musik zustande gekommen war. So ungefähr unser zweiter Auftritt damals in Düsseldorf – es muss wiederum eine Matineeveranstaltung gewesen sein – war auch das erste Jazzkonzert meiner späteren Frau. Das muss 1956 gewesen sein. Heller: Als Zuschauerin. Doldinger: Ja, als Zuschauerin. Ich kannte sie allerdings bereits und hatte davor auch schon versucht, über meine Spezis an sie heranzukommen. Das hatte aber alles nicht funktioniert. An diesem Vormittag bei unserem Auftritt habe ich mir dann aber ein Herz gefasst, als ich sie in der Menge der Leute, die in unser Konzert gehen wollten, entdeckte. Sie hatte ihre Eintrittskarte von einer Freundin bekommen. Ich habe sie einfach angesprochen und da wurde dann gleich ein Date ausgemacht. Alles andere ist Geschichte. Das geschah allerdings alles vier Jahre bevor wir geheiratet haben. Die Musik hat uns zusammengeführt. Ich glaube überhaupt, dass es für eine Beziehung sehr wichtig ist, dass man gemeinsame Interessen hat. Wenn das nicht der Fall wäre, dann würde es auf alle Fälle schwierig werden meiner Meinung nach. Heller: Mit so einem Saxophon in der Hand hat man als Mann natürlich auch eine ganz besondere Aura. Wir werden das nachher auch noch in einem kleinen Filmausschnitt sehen. Ich kann mir gut vorstellen, dass da die Augen auch wirklich strahlen, wenn man da so in seinem Element ist und in gewisser Weise auch angehimmelt wird. Doldinger: Nun, wenn man spielt, nimmt man das ja nicht wahr in der Form. Heller: Wirklich nicht? Doldinger: Nein. Heller: Aber Sie müssen doch irgendwie spüren, wie das Publikum reagiert? Doldinger: Natürlich, man merkt schon, wenn das Publikum hinhört und Spaß an der Musik hat. Wenn die Musik so über die Rampe kommt, dann ist das wunderbar. Aber trotz allem ist man natürlich im Moment des Spielens mit all seinen Sinnen auch damit beschäftigt, die Band zusammenzuhalten, zu schauen, dass alles gut funktioniert. Denn wir folgen bei unserem Spiel ja schon gewissen Gesetzmäßigkeiten. Sicherlich, die Soli sind frei improvisiert, aber auf die Millisekunde muss dennoch jeder Ton genau sitzen, müssen die Einsätze passen usw. Die Strukturen müssen ebenfalls stimmen. So eine Band ist letztlich auch ein Organismus, der nur funktionieren kann, wenn jeder auf jeden hört und wenn das, was man selbst musikalisch gestalten will, von den Mitspielern umgesetzt wird. Das ist das Geheimnis des Ganzen und insofern wäre es schon fast widersinnig, dabei die eigenen Gedanken auf die Mädels zu verschwenden, die da unten vor der Bühne stehen. Heller: Das wäre aber doch keine Verschwendung. Doldinger: Ja, gut. Aber man ist doch so konzentriert beim eigenen Spiel, dass einem so etwas erst hinterher klar wird – oder beim Betrachten eines Videos. Heller: Jetzt wollen wir uns mal anschauen, wie konzentriert Sie da wirklich sind, denn wir haben einen kleinen Filmausschnitt vorbereitet. Wir sehen also jetzt Sie mit Ihrer Band "Passport", die Sie seit über 30 Jahren haben. Doldinger: Ja, aber seit 1971 in verschiedenen Besetzungen. Von 1962 bis 1969 hatte ich mein Quartett. Wir haben in der Zeit ungefähr zehn bis zwölf Langspielplatten und viele andere Projekte wie auch weltweite Tourneen gemacht. In der Zeit habe ich mir auch meine ersten Erfahrungen mit dem Rock 'n' Roll geholt. Ich arbeitete damals bei einem Label, das auch sehr viel Rockmusik produziert hat. Das war das "Starclub"-Label und hatte auch etwas mit britischen Musikern zu tun. Heller: Auch mit den "Beatles" im weiteren Sinne? Doldinger: Mit den "Beatles" nicht, aber mit vielen anderen britischen Gruppen oder auch mit deutschen Bands wie den "Rattles" oder den "Revettes" usw. Bei diesem Label war z. B. auch eine Frauenband aus Liverpool mit dem Namen "The Liverbirds" unter Vertrag. Das waren alles Musiker, die damals im Starclub spielten. Ich war jedenfalls als musikalischer Betreuer und sozusagen als Coproduzent mit im Studio. Bei mir hat sich aufgrund dieser Tätigkeit dann auch eine Hinwendung zur Rockmusik ergeben. Mir schwebte daher im Laufe der Zeit eine Verbindung zwischen Jazz, Rock und meiner klassischen Erfahrung vor. Aber auch viele andere musikalische Dinge gingen mir durch den Kopf, denn zu der Zeit gegen Ende der sechziger Jahre war ich ja bereits durch die ganze Welt gereist. Ich war in Südamerika, im Fernen wie im Nahen Osten gewesen... Heller: Darauf müssen wir schnell mal näher eingehen: Sie waren damit im Grunde genommen ein Exportartikel des Goethe-Instituts. Doldinger: Ja, im Auftrag des Goethe-Instituts und des Auswärtigen Amtes haben wir weltweit eine Menge Konzerte gespielt: als deutsche Kulturbotschafter, oder wie auch immer man das nennen mag. Diese sehr vielfältigen musikalischen Erfahrungen wollte ich dann auch mal auf andere Art und Weise umsetzen. Ich hatte das bereits mit meinem Quartett versucht, musste aber schnell feststellen, dass ich damit nicht so recht weiterkomme. Ich habe dann gegen Ende der sechziger Jahre eine neue Band gegründet und hatte dabei meine erste Begegnung mit , der bei mir als Schlagzeuger einstieg. Heller: Wie haben Sie ihn kennen gelernt? Doldinger: Auf Empfehlung des Musikerkollegen Michael Naura aus Hamburg. Ich suchte gerade einen Trommler und er sagte zu mir, ich solle ihn mir doch mal anhören. Tja, Udo kam dann eben nach München und... Heller: Er hatte also einen richtigen Vorstellungstermin bei Ihnen? Doldinger: Ja, das war eine so genannte Audition. Das war wirklich Sympathie auf den ersten Blick. Es kamen dann noch andere Leute zu dieser Band mit dazu wie Lothar Meid, Olaf Kübler, Paul Vincent, Jimmy Jackson, den es ja heute noch gibt. Das war wirklich eine ganz muntere Zusammensetzung von Musikern. Ich hatte dann von 1969 bis 1970 eine so genannte Interimsphase: Ich habe das Projekt in der Zeit "Motherhood" genannt. Das hat mir vom Namen her aber nicht so recht gefallen. 1971, ich war mit Siggi Loch immer noch sehr eng verbunden, bekam Siggi den Auftrag, für eine große amerikanische Major Company die Niederlassung in Deutschland zu gründen. Ich war der erste Künstler, der dort 1971 unter Vertrag genommen worden ist. Bei dieser Firma bin ich übrigens auch heute noch. Es kam dabei aber eben die Frage auf, wie wir dieses Kind denn nun letztlich nennen wollen. Die Band bestand bereits und ich hatte auch schon neues Material dafür komponiert. Ich habe wegen des Bandnamens dann eine Liste mit verschiedenen Namen gemacht und einer der Namen stach den Leuten dort besonders ins Auge, nämlich "Passport". Wir beschlossen also, das Kind "Passport" zu nennen. Wir beschlossen auch gleich, für das erste Cover ein Lay-out mit einem Reisepass zu machen usw. So kam diese erste Band eigentlich zustande. Heller: Diese Band ist nun wie alt? Doldinger: Sie ist über 30 Jahre alt. Die erste Besetzung hielt allerdings nur ein Jahr. Wir hatten freilich relativ schnell großen Erfolg gehabt: Wir traten damals bei großen Festivals mit Gruppen wie "Colosseum" auf. Ich glaube, diesem Erfolgsdruck waren die meisten in der ersten Besetzung dieser Band wohl doch nicht so gewachsen. Ein Teil der Band wie z. B. Lothar Meid spielte auch noch in der Band "Amon Düül". Das alles ging nicht so ganz gut zusammen mit Blick auf die Stilistik usw. Ich habe daher ganz schnell eine neue Besetzung gemacht: mit Wolfgang Schmied und zwei Engländern. Aber auch diese Besetzung hielt nicht lange. Danach dann kam aber die Traumbesetzung der siebziger Jahre zusammen: mit Wolfgang Schmied, Kurt Cress und Kristian Schultze. Das war eine ganz tolle Besetzung. Ende der siebziger Jahre gab es dann einen erneuten Wechsel in der Besetzung. Die jetzige Band besteht jedenfalls immerhin seit 1989. Heller: Sie spielen also seit 1989 in der gleichen Besetzung? Doldinger: Ja, wenngleich ein Teil der Musiker auch erst wieder nach und nach dazugestoßen ist. Aber die meisten sind doch schon an die zehn Jahre mit dabei. Das ist doch allerhand, wie ich finde. Heller: Und genau das schauen wir uns jetzt auch an. Wo spielen Sie da in dem Filmausschnitt, den wir nun zu sehen bekommen? Doldinger: Das war ein Auftritt in Nürnberg anlässlich unseres 25-jährigen Jubiläums. Heller: Da müssen wir also jetzt unbedingt reinschauen, um ein Gefühl zu bekommen für Sie, Ihr Saxophon und Ihre Konzentration. (Filmausschnitt) Heller: Unglaublich, da sieht man Ihnen wirklich an, wie konzentriert Sie sind. Ist so ein Solo auf dem Saxophon eigentlich auch ein unheimlicher Kraftakt? Doldinger: Es schaut so aus, aber ich empfinde das nicht so: Das kommt einfach aus mir heraus. Wenn ich das so sehe, denke ich mir auch, dass das recht anstrengend sein muss. Aber in dem Moment, in dem man spielt, schöpft man auch Kraft aus diesem Spiel. Heller: Sie haben soeben unter dem Stuhl auch kräftig mit gewippt: Da juckt es Sie gleich wieder, oder? Doldinger: Natürlich. Heller: Wie oft spielen Sie noch Saxophon? Wie oft haben Sie dafür noch Zeit? Doldinger: Wenn es geht, jeden Tag, und wenn es nur ein bisschen ist. Denn es ist ja so: Beim Saxophon gibt es diesen berühmten Ansatz. Einen Ton zu formen ist beim Saxophon das Hauptproblem. Denn an sich ist das ja technisch kein sehr problematisches Instrument, wenn man das meinetwegen mit der Violine vergleicht. Selbst das Klavier stellt an die Technik viel höhere Anforderungen. Beim Saxophon kann man also nicht von größeren technischen Anforderungen sprechen. Die Tonbildung ist hier jedoch das entscheidende Problem. Diese Tonbildung macht man mit den Lippen, indem man hier oben auf dem Mundstück aufbeißt und unten mit den Lippen versucht, eine entspannte Spannung herzustellen. Das Blatt muss nämlich schwingen können und dabei muss es gleichzeitig trotzdem kraftvoll auf eine gewisse Weise so beeinflusst werden, dass der Ton moduliert wird. Auch die Tonhöhe lässt sich damit gewissermaßen steuern. Auch das Vibrato macht man mit dem Mund. Dies erfordert also doch einen recht geübten Umgang mit dem Instrument. Ich glaube, es würde einem große Probleme machen, wenn man mal ein halbes Jahr nicht spielen würde: Ich müsste da glatt wieder beinahe von vorne anfangen. Ich versuche also, so gut es geht, z. B. auch im Urlaub, mein Saxophon immer dabei zu haben. Wenn wir zum Skilaufen fahren, dann sind wir immer in einem sehr netten Hotel, das mir einen Raum zur Verfügung stellt, damit im Haus sonst niemand inkommodiert wird. Dort kann ich dann in Ruhe üben. Heller: Das ist in der Schweiz. Doldinger: Ja, in der Schweiz. Die Leute dort sind wirklich sehr nett. Ich bin nun schon seit über 30 Jahren in diesem Hotel. Wenn abends die anderen Gäste in die Fitnessräume gehen, übe ich auf dem Saxophon. Heller: Sie treten dort vermutlich auch mal für die anderen Gäste auf, wenn Sie doch schon seit 30 Jahren dorthin fahren. Doldinger: Bisher noch nicht, nein. Heller: Da lässt man Sie also in Ruhe. Doldinger: Ja, aber ehrlich gesagt, reiße ich mich auch nicht darum. Ich habe dort in diesem Ort in St. Moritz aber schon mal mit der Band Konzerte gespielt, wie wir überhaupt bereits sehr oft in der Schweiz gespielt haben. Ich bin wirklich sehr gerne dort. In diesem einen Hotel habe ich jedoch noch nie gespielt. Aber das kann ja noch kommen. Heller: Sie haben vorhin von New Orleans gesprochen: Das war ja eine ganz, ganz tolle Sache für Sie. Im Grunde genommen war das ein Vorbild, ein Traum für Sie. Sie sind vor einiger Zeit auch mal Ehrenbürger von New Orleans geworden und haben überhaupt in der Zwischenzeit viele, viele Ehrungen und Auszeichnungen erhalten. Beschreiben Sie doch mal das Gefühl dabei: Was geht in einem vor, wenn man das alles erreicht hat? Doldinger: Ich nehme das ja nicht in dieser Form wahr. Von außen mag das so erscheinen, aber in erster Linie bin ich doch immer nur mit meiner Musik beschäftigt. Es ist eher so, dass jede Auszeichnung und auch jede gute Kritik einen Ansporn für mich darstellen. Das ist für mich eine Herausforderung, das jedes Mal aufs Neue zu rechtfertigen. Ich denke also, dass diese Auszeichnungen nichts sind, auf dem ich mich irgendwie ausruhen könnte. Nein, ganz im Gegenteil. Man hat natürlich auch viele Neider, die sagen: "Warum bekommt jetzt der diese Auszeichnung und nicht ich?" Gerade aus dem Grund betrachte ich das als Herausforderung, sie auch noch im Nachhinein zu rechtfertigen. Andererseits ist es natürlich auch so, dass mir dann, wenn ich mal so einen Preis bekomme, der Gedanke kommt, dass ich das alleine ja nie geschafft hätte. An so einer Musik sind nämlich immer sehr viele Menschen beteiligt. Nehmen Sie mal als Beispiel einen Schallplatten-Award: Das wäre nie möglich, wenn es dort nicht einen bestimmten Apparat gäbe. Das fängt an mit den Sekretärinnen und den Empfangsdamen, geht weiter mit den vielen Leuten, die im Marketing, im Vertrieb arbeiten usw. All das spielt eine ganz große Rolle. Ein Cover braucht in seiner Gestaltung auch immer unglaublich viel Teamarbeit. Ein Booklet muss erstellt werden usw. Vieles mache ich heute selbst, aber letztlich sind es dann doch immer wieder sehr viele Menschen, die daran beteiligt sind. Dies gilt natürlich hauptsächlich für die Musiker, mit denen man spielt. Solche Gedanken empfinde ich dann z. B. bei einer Preisverleihung: Ich würde diesen Preis dann am liebsten mit allen anderen teilen wollen. Gut, andererseits ist es aber eh so, dass ich nicht allzu lange darüber nachdenke, was es da im Laufe der Zeit alles gegeben hat, weil ich immer eher nach vorne schaue. Heller: Wie haben Sie es denn geschafft, so normal zu bleiben bei so einem Riesenerfolg? Doldinger: Das kann ich recht einfach erklären. Wenn ich mit meiner Band auf Tour bin – ich mache mit ihr ja auch heute noch pro Jahr so ungefähr 40 bis 50 Veranstaltungen –, dann werde ich dabei jedes Mal sozusagen auf den Boden der Realität zurückgerufen. Denn jedes Konzert, jeder Auftritt, bringt immer wieder die Stunde der Wahrheit – selbst dann, wenn ich nur irgendwo in einem kleinen Jazzclub spiele. Man steht da auf der Bühne und hat hervorragende Musiker um sich, Musiker, die so gut sind, dass man bei ihnen weiß Gott das Gefühl haben darf, dass es doch schrecklich wäre, wenn ich so schlecht spielen würde, dass sie mich mitreißen müssten, damit ich überhaupt spielen kann. Nein, ich will natürlich die anderen mitreißen. Es muss für mich also schon so sein, dass ich auf der Bühne das Gefühl habe, auch etwas zu bringen, etwas, das mein Dasein auf der Bühne motiviert. Ich will nicht als Ausstellungsstück oder als Vorzeige- Kasper auf der Bühne stehen: Das wäre mir denn doch zu blöd. Heller: Dazu sind Sie auch viel zu lebendig. Als Ausstellungsstück hätten Sie da keine Chance. Doldinger: Theoretisch könnte man diesen Gedanken ja immerhin hegen. Es ist jedenfalls so, dass einen das immer wieder auf den Boden der Realität zurückbringt. Ich spiele ja auch oft in kleineren Orten und mache daraus auch gar kein Hehl. Ich finde das wunderbar. Wir haben z. B. gerade in Coesfeld bei Münster und in Lengerich ebenfalls bei Münster gespielt. Das ist wunderbar. Das Schöne ist, dass es in Deutschland quasi in jedem Ort eine Möglichkeit gibt, in einem für uns angemessenen Rahmen aufzutreten und ein gutes Publikum zu haben. Natürlich muss man da manchmal auch mit der Deutschen Bundesbahn fahren und möglicherweise auch noch ein paar Mal umsteigen. Auch das Hotel am Ort ist vielleicht nicht immer erste Güte. In manchen Orten gibt es da z. B. gar nichts anderes als die entsprechenden Landgasthöfe. All das gehört eben mit dazu, dass ich wie jeder andere auch ein ganz normales Leben führe. Das relativiert dann schon wieder auch alles andere. Jeder Erfolg ist, wie gesagt, sehr schön für mich, aber eben auch immer ein Ansporn. Natürlich gibt es auch Misserfolge. Mit ihnen richtig umzugehen, ist vielleicht auch eines der Geheimnisse des letztlichen Erfolgs. Man muss alles in etwas Positives umsetzen können und als Ansporn begreifen, noch besser werden zu wollen. Alle diese Dinge wirken zusammen, sodass man dann eben einigermaßen normal bleibt – so gut es eben geht. Heller: Wer ist Ihr Publikum? Doldinger: Das ist schwer zu sagen. Wir haben gerade im Gärtnerplatztheater gespielt: Das war z. B. ein völlig anderes Publikum als früher im Bayerischen Hof oder ganz früher im "Domicile" in München. Ich kann das gar nicht genau sagen, denn im Laufe der Jahre hat sich das natürlich auch verändert. Ich stelle jedenfalls fest, dass heute sehr viele ältere, aber auch sehr viel jüngere Leute kommen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass Eltern mit ihren Kindern kommen, um ihre Vorlieben aus vergangenen Jahren mit den Kindern zusammen noch einmal zu erleben. Aber es gibt auch ein relativ neues junges Publikum, denn ich habe mich mit meinen verschiedenen Besetzungen und vor allem natürlich auch mit dieser Besetzung jetzt für neue Wege interessiert, um die Musik, die ich im Herzen trage und die mir vorschwebt, umzusetzen. Wir haben z. B. gerade ein so genanntes Remix- Projekt gemacht: Wir haben dafür Stücke von mir aus den siebziger Jahren hergenommen. Die Originaltakes jener Aufnahmen sind ja noch vorhanden: Sie sind z. T. sogar noch auf einzelnen Spuren vorhanden, es gibt also meinetwegen das Saxophon oder das Keyboard noch auf einzelnen Spuren. Damit haben wir ein Album mit Remixern produziert, also mit Leuten, die nicht dieser Band angehören, die aber eben einen Teil dieser Musik gemäß ihren eigenen Vorstellungen umgesetzt haben. Einige dieser Bearbeitungen kamen dabei freilich auch aus meiner Hardrock-Besetzung: Roberto Di Gioia hat z. B. vier dieser Stücke bearbeitet, Ernst Stroer hat ein Stück bearbeitet. Ich selbst habe dabei sozusagen nur so eine Art von Supervision gemacht und als Coproduzent fungiert. Dieses Album "Passport Remix" ist ein sehr schönes Album geworden. Wenn wir ein paar Veranstaltungen dazu spielen werden, werden meiner Meinung nach wieder völlig andere Leute kommen. Ich kann es also überhaupt nicht so genau sagen, wer genau unser Publikum ist. Heller: Da gibt es also bei jedem Auftritt immer wieder einen neuen Überraschungseffekt. Doldinger: Ja, mir scheint es jedenfalls so zu sein, dass aus allen Schichten Leute zu uns kommen. Wir haben z. B. seit zwei Jahren auch Auftritte auf einem Klassikfestival im Ruhrgebiet: Der Schirmherr des Ganzen ist ein Banker aus Essen, der aus irgendeinem Grund Gefallen an dieser Musik gefunden hat. Dort treffen wir z. B. wiederum auf ein ganz anderes Publikum. Wir spielen dort in alten, also stillgelegten Zechen: Das sind ganz wunderbare Konzerte mit einem völlig anderen Publikum. Heller: Lassen Sie uns doch bitte noch zum Komponieren kommen, denn dem breiten Publikum, das man nun freilich auch nicht so genau definieren kann, sind Sie ja deswegen bekannt und vertraut geworden, weil Sie diese vielen Titelmelodien komponiert haben, z. B. zu "Tatort" oder "Das Boot". Wie kam es denn dazu? Doldinger: Dafür hat es ganz unterschiedliche Beweggründe gegeben. Die "Tatort"- Titelmelodie ist deshalb zustande gekommen, weil ich davor schon mal eine Erkennungsmusik für die ARD komponiert hatte. Das war damals zur Einführung des Farbfernsehens. Damals waren ja bei weitem nicht alle Sendung in Farbe: Vor jeder Farbfernsehsendung hat es daher einen kleinen Trailer gegeben, der sich die "Farbcaption" nannte. Heller: Wie ging das? Können Sie den mal vorsummen? (Klaus Doldinger summt diese Melodie vor. Beide lachen.) Doldinger: Das war mit großem Orchester gemacht, obwohl das Stück nur mal gerade 20 Sekunden lang war. Ich hatte das in einem freien Wettbewerb gewonnen: Es hatte nämlich extra eine Ausschreibung dafür gegeben. Ich hatte damals einen Freund in Düsseldorf, der Photograph war und sich an diesem Wettbewerb beteiligt hat. Ich kannte ihn übrigens vom Leichtathletikclub her. Er fragte mich, ob ich mit ihm mitmachen möchte. Das gefiel dann dieser Prüfungskommission. Die Sache endete so, dass zwar jemand anderer den Auftrag für das Filmchen bekam, ich aber die Musik dazu machen durfte. Das muss so im Jahr 1966 gewesen sein. Als man dann 1970 einen Trailer für den "Tatort" brauchte – ursprünglich hatte das ja mal nur so eine zehnteilige Serie werden sollen –, bekam ich die Anfrage, ob ich das machen möchte. Der WDR sagte zu mir: "Du hast das doch damals prima gemacht. Hast du nicht Lust, auch hierfür etwas zu machen?" Gut, ich hatte Lust und bekam dann diesen kleinen Film von 30 Sekunden zugesandt, der immer als Vorspann zu jedem "Tatort" läuft. Ich habe dazu etwas komponiert, es aufgenommen - und das war's. Da gab es keine weiteren Vorschläge von mir oder irgendwelche Demotapes, wie das heute so üblich ist. Heller: Das war also diese Musik, die man heute immer noch hören kann? Doldinger: Nun gut, wir haben sie in der Zwischenzeit auch mal überarbeitet, aber im Prinzip ist das die gleiche Musik geblieben. Heller: Da klingelt es aufgrund der "GEMA" auch immer in Ihrer Kasse, was ja auch nicht so schlecht ist. Doldinger: Die "GEMA" ist eine segensreiche Einrichtung für alle Autoren, Texter, Verleger usw. Denn da hängt ja heute wirklich eine ganze Musikindustrie dran. Nicht zuletzt die Autoren haben jedenfalls dank der "GEMA" heutzutage ein recht gutes Auskommen. Wobei es freilich nicht allen so gut geht wie mir, das ist klar. Das ist eine Verwertungsgesellschaft, die nach den Prinzipien normalen Wirtschaftens funktioniert und ihr Geld eben an diejenigen Leute ausschüttet, die die meisten Aufführungen bzw. die meisten Verkaufserfolge haben. Heller: Wenn Sie z. B. die Filmmusik zu "Das Boot" komponieren, schauen Sie sich dann diesen Film vorher komplett an? Mit dem Regisseur dieses Films, Wolfgang Petersen, sind Sie ja auch befreundet. Doldinger: Zu "Das Boot" gibt es natürlich auch wieder eine Vorgeschichte. Ich hatte 1972 die Gelegenheit, Wolfgang Petersen kennen zu lernen. Das war reiner Zufall übrigens. Er machte damals seinen ersten Kinofilm: "Einer von uns beiden", nach einem Krimi von ky. Luggi Waldleitner war der Produzent. So kamen wir damals zusammen: Ich habe also für den ersten Kinofilm von Wolfgang Petersen die Musik gemacht. Wir lernten uns dabei kennen und freundeten uns an. Er machte dann ein paar Jahre lang Fernsehprojekte. Eines dieser Projekte hieß "Schwarz und weiß wie Tage und Nächte" mit Bruno Ganz und war eine Geschichte über einen Schachspieler. Das war ein ganz toller Film. 1981 wurde dann die Idee einer Verfilmung des Buches "Das Boot" erneut aufgegriffen. Man hatte sich nämlich ein paar Jahre davor schon mal die Zähne daran ausgebissen: Da hatte es noch nicht so ganz hingehauen. Man kurbelte also in diesem Jahr die Produktion noch einmal neu an und verpflichtete dafür Wolfgang Petersen als Regisseur. Er fragte mich dann, ob ich Lust und Zeit hätte, dafür die Musik zu machen. Natürlich hatte ich Lust, denn mir gefiel ja dieses Buch von Buchheim über alle Maßen gut. Ich war dann auch oft beim Dreh mit dabei. Ich kann nur sagen, dass damals einfach alles stimmte: Die Zusammensetzung der Schauspieler, die Technik, die Regie usw. Das hat mir wirklich sehr, sehr gut gefallen. Ich war daher in hohem Maße motiviert und begeistert, dafür die Musik zu machen. Dies gilt aber auch für alle anderen, die daran beteiligt waren. Ich glaube, dass diese Produktion für alle Beteiligten etwas Besonderes war – inklusive Wolfgang Petersen. Das war eine Sternstunde: Ich bin dankbar dafür, dass es sie gegeben hat und dass ich daran teilhaben durfte. Letztlich ist es ein großes Geschenk, dass man das Glück hatte, an so etwas partizipieren zu dürfen. Wenn dann auch noch der eigene Anteil daran gelingt, dann ist das natürlich umso besser. Ich freue mich natürlich sehr, dass es immer wieder Leute gibt, die von dieser Musik schwärmen. Wir haben sie auch noch einmal neu aufgelegt vor vier Jahren, als man einen Directors Cut von diesem Film gemacht hat. Heller: Damals haben Sie sich alle in Los Angeles getroffen und richtig gefeiert. Doldinger: Ich habe damals aus diesem Anlass die Musik in Dolby Surround noch einmal neu gemischt und z. T. auf unserem Tonträger, einer DVD, auch noch mit Dialogen versehen: Das ist also noch einmal rundum richtig bearbeitet worden. Vielleicht ist in der Sache ja das letzte Wort immer noch nicht gesprochen. Ich hatte jedenfalls vor kurzem zur Eröffnung des Buchheim-Museums das Vergnügen, diese Titelmusik in einer völlig ungewohnten Besetzung zu spielen. Denn meine Band konnte damals aus Platz- und auch aus Geldgründen dort nicht auftreten. Ich selbst war nur so als Gast bei der Eröffnung eingeladen. Buchheim hatte mich angerufen und gesagt: "Doldinger, du kommst doch auch, ja!" Ich sagte zu und fragte dann beiläufig, wer denn diese Musik bei dieser Eröffnung spielen würde. Mir wurde dann gesagt: "Na, wer schon, die Bernrieder Blasmusik!" Da habe ich mich dann hingesetzt und noch ganz schnell ein adäquates Arrangement für diese Blasmusik geschrieben. Die Noten brachte ich dann mit, es wurde ein wenig geprobt und dann war das schon eine wirklich schöne Sache. Ich muss sagen, dass diese Kombination aus Tenorsaxophon meinerseits und Blasmusik andererseits dem Ganzen noch einmal einen ganz besonderen Kick gegeben hat. Ich denke also sehr gerne an die Einweihung dieses Museums in Bernried zurück. Ich halte übrigens dieses Museum auch wirklich für sehr gelungen. Heller: Herr Doldinger, wir sind leider schon wieder fast am Ende unseres Gesprächs. Welche Wünsche, welche Projekte haben Sie denn für die nächste Zeit? Sie sprachen ja schon von Ihrem quasi lebenslangen Lernen, von ihrer großen Neugier, von Ihrer Suche nach Herausforderungen. Doldinger: An großen Aufgaben herrscht jedenfalls kein Mangel. Ich habe z. B. mein Studio auf eine neue Art von Digitaltechnologie umgestellt: Ich habe mich mit dieser Technologie zwar sowieso schon seit zwölf Jahren beschäftigt, aber jetzt haben wir dort ein ganz neues System installiert, bei dem z. B. auch Bilder und Filme via Harddisks in das ganze System mit integriert werden können. Wir arbeiten dort mit "Dolby Surround 5.1": Das ist für mich ein ganz wichtiges Thema, denn ich arbeite zurzeit an einem Projekt, das für die IMAX-Kinos bestimmt ist. Da geht es zentral um diese Surround- Technologie. Heller: Sie sind schon auch so ein richtiger Technikfreak geworden? Doldinger: Ja, aber doch mehr aus dem Bauch heraus. Ich bin kein Experte z. B. im Lesen von Handbüchern. Ich versuche da immer über learning by doing weiterzukommen. Ich kümmere mich da wirklich immer nur um die für mich praktischen Teile. Ich könnte z. B. nicht sehr gut erklären, was ich da mache. Aber das wird jedenfalls ein Naturfilm, für den ich gerade arbeite. Ich hoffe, dass mir das gelingt und dass das ein großer Erfolg wird. Andererseits haben wir aber auch eine Menge Veranstaltungen in der nächsten Zeit, u. a. auch mit unserem Remix-Projekt, denn auch damit werden wir auf die Bühne gehen. Wir wollen mal ausprobieren, wie es funktioniert, wenn diese Band, die ja wunderbar zusammenspielt, mit einem zusätzlichen Remixer oder DJ zusammengespannt wird. Wir wollen schauen, was sich abspielt, wenn da einer mit Plattentellern und Drummachine umgeht und gleichzeitig eine Liveband spielt. Das wird ein interessantes Experiment sein. Wahrscheinlich wird das viel mehr als ein Experiment sein. Wir bringen es jedenfalls auf die Bühne: zunächst einmal in Köln und und dann sehen wir weiter. In diesem Jahr gibt es jedenfalls eine Menge Konzerte und Veranstaltungen mit uns. Heller: Auch in Bayern? Doldinger: Auch in Bayern! Heller: Jede Menge? Doldinger: Doch, ja! Heller: Welche Musik hören Sie eigentlich selbst gerne? Doldinger: Musik ganz unterschiedlichster Natur: von Klassik über Jazz bis zu Popmusik. Ich höre natürlich auch viel unter dem Aspekt, einfach mal zu checken, was andere machen und wie sie es machen. Heller: Sie wollen also auch wissen, was ankommt? Doldinger: Na ja, in Sachen Filmmusik wird es da schon schwierig. Denn es gibt da ja wirklich viele große Filmmusiken. Ich habe mir z. B. gerade die Filmmusiken von "Herr der Ringe" und "Harry Potter" angehört. Das ist für mich zwar grandiose Musik mit großem Orchester eingespielt, aber z. T. hat man das eben auch alles schon mal gehört. Es ist sehr, sehr schwierig, auf diesem Gebiet neue Wege zu finden. Ich versuche also aus dem, was ich höre, wiederum zu lernen, wie man es vielleicht nicht machen sollte. Heller: Ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen. Ich werde mich freuen, wenn ich in der nächsten Zeit Ihren Melodien begegne. Das ist z. B. täglich der Fall, wenn man alleine nur unser Radioprogramm "B5" hört. Doldinger: Nein, das stimmt nicht mehr. Heller: Stimmt, das war aber von Ihnen musikalisch komplett durchgearbeitet worden. Es war jedenfalls eine Freude, das zu hören. Doldinger: Danke. Heller: Wenn ich aber den "Tatort" sehen werde, dann werde ich mich über Ihre Musik freuen und an das schöne Gespräch mit Ihnen zurückdenken. Ich wünsche Ihnen ganz viel Glück und viel Erfolg. Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, vielen Dank für Ihr Interesse, fürs Zuschauen. Wir sehen uns wieder und Sie sehen auch Ihn wieder, denn Sie haben ja gehört, er ist demnächst auf Tournee. Danke schön.

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