Klaus Doldinger Jazzmusiker Und Komponist Im Gespräch Mit Ursula Heller
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks http://www.br-online.de/alpha/forum/vor0204/20020415.shtml Sendung vom 15.04.2002, 20.15 Uhr Klaus Doldinger Jazzmusiker und Komponist im Gespräch mit Ursula Heller Heller: Guten Tag und herzlich willkommen. Unser Gast heute hat Jazz im Blut, hat "Rhythm and Blues" im Blut. Er spielt das Saxophon, mischt seit Jahrzehnten mit in der Musikszene: dies nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt. Er ist darüber hinaus aber auch Komponist: Er hat die Musik für den "Tatort" komponiert, für "Das Boot" oder für die "Unendliche Geschichte". Eine unendliche Geschichte ist auch seine Erfolgsstory: das, was er alles geschrieben, gemacht und selbst gespielt hat. Ich freue mich, dass heute Klaus Doldinger bei uns ist. Herzlich willkommen, Herr Doldinger. Wenn man sich Ihre Vita ansieht, ist das ja unglaublich: Das sind Seiten von Papier. Haben Sie sich das träumen lassen, als Sie als Musiker angefangen haben? Doldinger: Eigentlich nicht, nein. Ich habe mir damals gar nicht so viel träumen lassen. Ich wollte eigentlich nur Musik machen und alles andere hat sich dann im Laufe der Zeit erst so ergeben. Es hat damals ja auch noch nicht diese Perspektiven gegeben, die man heute als Musiker haben kann. Als ich anfing - zuerst als Schüler, später als Student und dann Profi –, hatte man nicht so diese Vorbilder, sodass man hätte sagen können, man mache nun dieses und jenes und eines Tages würde man ein Studio haben usw. Nein, das war alles unglaublich weit weg. Es ging nur darum, Musik zu machen. Das war das einzige Ziel: Man wollte gute Musik machen und viel spielen. Heller: Denken Sie, dass das damals schwieriger war als heute? Oder war das damals sogar ein Gefühl größerer Freiheit, weil man eben diese Vorbilder und damit auch keine Raster im Kopf hatte? Doldinger: Einerseits war es schon sehr viel schwieriger, weil das wirtschaftliche Überleben ja nicht so leicht möglich war wie heute. Man hatte das andererseits aber auch gar nicht so im Sinn. Ich habe ja schon relativ früh geheiratet und meine Frau war selbst auch berufstätig. Heller: Ihre Frau war Mannequin und hat Sie damals so ein bisschen über Wasser gehalten, wenn ich das richtig nachgelesen habe. Doldinger: Ja, genau so war es. Wir haben zu der Zeit nämlich wirklich nicht sehr viel verdient. Man hat sich aber auch gar nicht vorstellen können, dass man mal eines Tages wesentlich mehr verdienen könnte, oder dass man eine Schallplatte machen würde. All das kam erst so peu a peu ins Rollen. Überraschenderweise trat Anfang der sechziger Jahre ein junger Mann mal an mich heran, der Siggi Loch hieß. Er war damals in seiner Branche als Produzent und Schallplattenmacher bei einer großen deutschen Schallplattenfirma ebenfalls Anfänger. Er wollte mit mir ganz einfach eine Platte produzieren. Ich war darüber sehr überrascht und auch beglückt. Heute hingegen ist das freilich ganz normal: Jeder macht heute Schallplatten, jeder erwartet auch gleich große Verträge mit viel Geld und jahrelanger Beteiligung. All das war mir damals jedoch total fremd. Insofern war das also ein Sprung ins kalte Wasser. Einerseits war das alles also schon recht schwierig, weil es ja auch Zufall war, dass Siggi Loch und ich uns kennen lernten. Siggi Loch hatte mich allerdings schon ein paar Jahre im Visier, wie er mir später gestand. Heller: Er war also offenbar in der Musikszene so etwas wie ein Headhunter. Doldinger: Nein, das würde ich so nicht sagen. Er war ein wirklicher Jazzliebhaber. Er war davor schon öfter mal zu Konzerten, auf denen ich spielte, gereist – ohne dass ich das allerdings gewusst hätte. Genau zu dieser Zeit rätselte ich jedenfalls, wie man es anstellen könnte, zu einer eigenen Platte zu kommen. Denn als Schülerband hatten wir ja schon mal eine Platte aufgenommen: Wir waren eine Traditional-Band, also eine Dixieland-Band aus Düsseldorf gewesen und hatten die "Düsseldorfer Feetwarmers" geheißen. 1955 hatten wir in einem Mädchengymnasium, in einem Lyzeum, unsere erste Platte aufgenommen. Heller: Die Mädchen dort am Gymnasium sind wahrscheinlich ausgeflippt, wie ich annehme. Doldinger: Nun, wir haben dort ganz einfach ein Konzert gespielt. Heute, im Rückblick, waren das damals eigentlich paradiesische Verhältnisse. Denn damals war man in einer Minderheit, wenn man überhaupt Musik machte. Heute, und das finde ich auch sehr schön, ist ja das selbst Musizieren viel mehr gang und gäbe als damals. Heller: Waren Sie denn so eine Art von Boygroup, als Sie damals in diesem Mädchengymnasium auftraten? Doldinger: Oh, den Begriff kannte man damals natürlich noch nicht. Nein, nein, wir waren eine Dixieland-Band und spielten auch Sonntags Nachmittags zu Jazzband-Balls oder zu Riverboat-Shuffles. Mit dieser Band habe ich also als Schüler schon jede Menge Konzerte gemacht. Nach dem Abitur habe ich dann beschlossen, Musiker zu werden - zunächst einmal. Denn bevor ich mit dem Studium anfing, habe ich erst einmal mit einer Profiband – bzw. mit zwei unterschiedlichen Bands – in Nightclubs gespielt: jede Nacht acht Stunden lang, also von acht Uhr abends bis morgens um vier, und danach ging es dann noch ab zum Frühlokal. Für mich war das schon auch eine recht harte Tortour. Freilich waren das auch Lehrjahre, die ich heute keinesfalls missen möchte. Heller: Man sieht Ihnen gar nicht an, dass Sie so "gelumpt" haben. Was haben denn die Lehrer dazu gesagt? Doldinger: Die Lehrer auf der Schule hatten mich ja sowieso schon abgeschrieben. Auf der höheren Schule war nämlich mein Standing eigentlich sehr schwach gewesen. Denn die Lehrer sagten immer: "Ach, der Doldinger, der hat doch schon seine eigene Lambretta und eine Freundin und hängt nachts immer in diesen Höhlen herum." Heller: Entschuldigung, was war denn eine Lambretta? War das ein heißes Auto? Oder war das so etwas wie eine Vespa? Doldinger: Ja, ein Motorroller. Ich musste mich damals natürlich schon auch ab und zu mal von zu Hause wegschleichen, weil meine Eltern eben auch nicht wollten, dass ihr Sohn nachts in irgendwelchen vermeintlichen Lasterhöhlen, die das freilich gar nicht waren, jazzt. Mir war es aber so wichtig, dort zu spielen, dass ich das auf mich genommen habe. Später habe ich das dann auch immer wieder so durchgehalten. Aber irgendwann kam dann bei mir doch die Einsicht, dass dieses Tingeln nicht das Richtige ist. Mein Vater hatte ja schon immer gesagt, dass ich eines Tages im Tingeltangel enden würde. Heller: Ihr Vater war Beamter? Doldinger: Ja, er war Diplomingenieur. Er arbeitete in einem Bereich, den man heute Telekommunikation nennt. Er wollte natürlich, dass ich genau das auch mache. Zumal sein Vater, also mein Großvater, auch schon bei der Post gewesen war. Eine Beamtenkarriere, das war das, was er sich für mich vorstellte. Das war aber genau das Gegenteil dessen, was ich wollte. Denn schon damals war meine Verehrung für die Musik und die Jazzmusiker grenzenlos. Ich hatte auch das Glück, schon früh ganz tolle Musiker kennen zu lernen. Es hat damals eine österreichische Dixieland-Band gegeben, die bei uns in Düsseldorf sehr viel spielte. Es gab da ein Lokal mit dem Namen "New Orleans" und diese Band hieß "Fatty George Combo". Dort spielte ein Trompeter namens Oscar Klein. Heller: "Oscar" ist ja auch Ihr Spitzname geworden. Doldinger: Ja, aber nicht deshalb, weil ich den Oscar Klein kannte, sondern weil ich so unglaublich von Oscar Peterson schwärmte. Ich hatte natürlich schon damals jede Menge Hereos und Idole: alles Jazzmusiker! Ich habe sie mal zusammengezählt: Das sind mittlerweile circa 100 geworden. Weil es damals in der Band, also bei den "Feetwarmers", vier "Kläuse" gegeben hat, hat man mir eben den Spitznamen "Oscar" zugedacht. Später hat sich dieser Spitzname freilich wieder verloren. Wenn mich heute jemand mit "Oscar" anspricht, dann weiß ich ganz genau, dass das nur jemand aus der Düsseldorfer Zeit sein kann. Heller: Wie kam es eigentlich, dass Sie als Beamtensohn in der Jazzszene landeten? Hat es da ein Schlüsselerlebnis, einen bestimmten Moment gegeben, der Sie da so bewegt hat, der Ihnen diesen Ruck gegeben hat? Doldinger: Sicherlich. Während des Krieges lebten wir in Wien. Ich war schon damals als Kind ein wenig auffällig. Wann immer ich bei meinen Großeltern das Klavier bzw. den Flügel entdeckte, habe ich darauf herum improvisiert. Nach dem Besuch eines Tanzcafés habe ich zu Hause schon auch mal Kopftöpfe hergenommen und auf ihnen herumgetrommelt. Meine Eltern dachten sich also schon, dass da mit diesem Bub irgendetwas sei. Zu Kriegsende waren wir immer noch in Wien und mussten dann fliehen, mit dem Flüchtlingstreck von Wien nach Bayern. Meine Mutter wusste eigentlich nicht so recht, wohin mit sich und ihren beiden kleinen Buben, also mit meinem Bruder und mir. Wir sind dann auf gut Glück zu einem Onkel Josef nach Schrobenhausen gefahren: Er hatte dort eine Apotheke. Er war natürlich nicht so wahnsinnig beglückt, nun Gäste zu haben. Aber er hat uns dann doch sehr freundlich aufgenommen. Als die Amerikaner dann Anfang Mai einmarschierten – kurz vor meinem neunten Geburtstag – probte dann schon ein paar Tage später dort in Schrobenhausen eine Band. Das war Musik, die ich vorher noch nie gehört hatte. Ich sah auch zum ersten Mal schwarze Menschen. Sie machten Musik, es gab den ersten Kaugummi für mich usw. Das waren alles völlig unglaublich tolle Erfahrungen für mich. Dieses Amerika schlug bei mir ein wie eine Bombe. Heller: Das war gleich eine ganz große Liebe? Doldinger: Ja. Diese rhythmische Musik hat mich sofort angemacht, wie man heute sagen würde. Das ist mir im Blut geblieben. Ich habe dann auch sehr früh Jazzplatten entdeckt. In deutschen Schallplattengeschäften hat es damals ja nicht viele Jazzplatten gegeben. Wenn da mal eine Neuveröffentlichung von Errol Garner, Dizzy Gillespie oder Louis Armstrong herausgekommen ist – das waren damals noch diese 78er Schallplatten mit lediglich zwei Titeln drauf –, dann hatte jedes Schallplattengeschäft davon höchstens drei, vier Exemplare.