Klaus Doldinger Jazzmusiker Und Komponist Im Gespräch Mit Birgit Muth
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Sendung vom 1.2.2016, 20.15 Uhr Klaus Doldinger Jazzmusiker und Komponist im Gespräch mit Birgit Muth Muth: Guten Tag und herzlich willkommen zum alpha-Forum. Bei uns ist heute Klaus Doldinger zu Gast, Jazzlegende und Komponist. Doldinger: (spielt auf dem Saxofon) Muth: Wunderbar: Klaus Doldinger, live improvisierend! Das Live-Spielen ist für Sie nach wie vor das Wichtigste? Oder gibt es da andere Dinge, die Sie noch mehr begeistern? Doldinger: Nun, das Spielen an sich ist für einen Musiker immer so eine Art Prüfung: vor dem Publikum das zu liefern, was man drauf hat, was man sich im Laufe der Jahre erarbeitet hat. Aber bei mir hat auch die Familie immer eine große Rolle gespielt. Ich habe schon in sehr frühen Jahren geheiratet und später kamen dann drei Kinder. Mittlerweile habe ich schon fünf Enkel. Diese Familie nimmt einen natürlich auch sehr in Anspruch. Sie spielt in meinem Leben wirklich eine ganz entscheidende Rolle – neben der Musik natürlich. Wobei man aber sagen muss, dass die Musik gewissermaßen das Zugpferd ist, denn man versucht natürlich, im Laufe der Jahre genau das mit der Musik zu erreichen, was man sich früher noch nicht einmal hatte vorstellen können. Als ich angefangen habe zu spielen, habe ich selbstverständlich noch keine Platten gemacht. Aber zehn Jahre später kamen dann die ersten Klaus-Doldinger-Platten heraus, auch schon mit eigenen Werken. Das hat sich dann, auch über die Filmmusik usw., natürlich noch gesteigert. Aber gekommen ist das alles wirklich nur stufenweise über einen Zeitraum von 20, 30 Jahren – bis zum heutigen Tag. Muth: Dann nennen wir doch mal ein paar Zahlen. Wenn man Sie so sieht, ist das ja schier unglaublich: Sie sind im 80. Lebensjahr und die Musik beschäftigt Sie seit 70 Jahren. Stimmt das? Doldinger: Ja, das stimmt. Muth: Geboren sind Sie in Berlin im Jahr 1936 und über Wien sind Sie dann irgendwie nach Schrobenhausen gekommen, wo Sie Ihre erste Begegnung mit Amerikanern hatten, mit dem amerikanisch geprägten Jazz. Das war wohl so eine Art Initialzündung für Sie. Können Sie uns ein wenig erzählen, wie das damals gewesen ist? Doldinger: Mein Vater war Diplomingenieur und Oberpostdirektor und viel unterwegs. Ende der 30er Jahre sind wir daher auch nach Wien gezogen, weil er dorthin versetzt wurde. Also habe ich meine frühen Jahre in Wien verlebt und bin dort auch bis zum neunten Lebensjahr zur Schule gegangen, bis wir auf der Flucht von Wien – mit Flüchtlingsausweis! – in Schrobenhausen in Bayern landeten. Dort marschierten dann eines Tages die Amerikaner ein und es war für mich ein wirklich elementares Erlebnis, meinen ersten Jazz zu hören. Denn bis dahin ist einem so eine Musik ja völlig vorenthalten worden. Man kannte natürlich jede Menge Volkslieder und Operettenmelodien und dieses und jenes … Muth: Der Jazz war damals ja nicht gerne gesehen und gehört. Doldinger: Klar. Und plötzlich schlug das wie ein Blitz ein. Im Dorfgasthof nebenan probte nämlich eine US-Combo: Das war eine Musik, die ich bis dahin noch nie gehört hatte. Ich war vom ersten Moment an fasziniert. Muth: Der kleine Klaus hat dann also gesagt: "Ja, das ist es!" Doldinger: Das war noch nicht so klar, denn das musste ich mir im Laufe der Jahre erst noch erarbeiten. Denn bei allem, was man im Laufe seines Lebens so kennenlernt, ist es doch meistens so: Man traut sich das zunächst einmal gar nicht zu und muss sich da erst hineinleben und damit Umgang haben. Ich konnte zu diesem Zeitpunkt ja auch noch gar kein Instrument spielen. Ich habe zwar bei meinen Großeltern immer wieder mal ein bisschen auf dem Klavier herumgeklimpert, aber das war nur so zum Spaß. Erst als uns mein Vater nach Düsseldorf holte, habe ich diesbezüglich einen richtigen Werdegang beginnen können. Ich kam dort 1947 neben dem Gymnasium aufs Konservatorium. An diesem Robert- Schumann-Konservatorium habe ich neben dem Gymnasium zunächst einmal als Liebhaberschüler begonnen. Dort habe ich richtig seriös angefangen, Klavier zu studieren, mit Bach, Schumann usw. Das waren wichtige Jahre für mich. In dieser Zeit lernte ich dann aber auch schon Leute kennen, die sich ebenfalls für Jazz interessierten. Man muss dazu wissen, dass in der Nachkriegszeit der Jazz bei der älteren Generation keineswegs willkommen gewesen ist. Man musste sich da erst einmal durchsetzen – so wie das späteren Generationen ja auch erging, als meinetwegen die Punkmusiker ihr Ding auch erst mal gegen Widerstände durchsetzen mussten. Bei uns war das mit dem Jazz eben auch so. Muth: Wie war das bei Ihren Eltern? Ihr Vater war Beamter und ich kann mir vorstellen, dass er sich vermutlich gewünscht hat, sein Sohn Klaus wird was Anständiges und nicht Musiker, denn der Beruf des Musikers hatte ja mindestens in dieser Zeit doch den Geruch des etwas Halbseidenen. Doldinger: Mein Vater war ein großer Wagner-Verehrer und wünschte sich daher immer, dass ich mit ihm vierhändig irgendwelche Klavierauszüge aus Wagner-Opern spiele. Aber er hat dann schon auch wahrgenommen, dass meine Entwicklung in eine etwas andere Richtung zielt – obwohl auch das Konservatorium versucht hatte, das zu verhindern. Denn damals gab es am Konservatorium noch keine Jazz-Kurse usw. Stattdessen ist man dort auf eine ganz bestimmte Musikrichtung festgelegt worden. Das habe ich aber nicht als nachteilig empfunden. Ich fand es immer schon wichtig, dass man auch ein bisschen Disziplin erlernt und dass man auf diesem Wege mit all den Übungen, Etüden usw. gelernt hat, sein Instrument so gut wie möglich zu beherrschen, war ja auch nicht ganz schlecht. Das Konservatorium war schon ein wesentlicher Punkt in meinem Leben. Muth: Die Musikalität war Ihnen also quasi in die Wiege gelegt worden, denn Ihr Vater hat Klavier gespielt, d. h. ein Klavier war immer schon im Haus bei Ihnen. Doldinger: Ja, aber erst später. Denn für die Nachkriegszeit muss man sich das schon etwas Abenteuerlicher vorstellen. Wir kamen also nach unserem Aufenthalt in Schrobenhausen irgendwann nach Düsseldorf und wohnten dort in einem riesengroßen Postamt, das halb ausgebombt worden war. Wir wohnten dort mit zwei weiteren Familien gleichzeitig in einer Wohnung. Nach heutigen Maßstäben waren das nicht vorstellbare Verhältnisse. Erst im Laufe der nächsten vier, fünf Jahre hat sich das weiterentwickelt und wir bekamen eine eigene Wohnung in diesem Postamt. Ich habe wirklich bis zu meiner Verehelichung 1960 … Muth: Mit Inge. Doldinger: Ja, mit meiner heiß geliebten Inge! Bis dahin habe ich wirklich in diesem Postamt bei meinen Eltern gewohnt. Nach heutigen Vorstellungen war diese Zeit schon recht abenteuerlich. Aber sie hat mir auch etwas gegeben, denn da war immer was los. Das Ganze spielte sich ja mitten in einer zerbombten Großstadt ab. Ich ging zur Schule und wir hatten als Jugendliche selbstverständlich auch eine Bande, eine Gang, es gab Straßenschlachten mit Steinen usw. Wir haben auch immer wieder irgendwo ein Feuerchen gemacht, um uns Kartoffeln zu braten usw. usf. Das war schon irgendwie auch ein sehr freies Leben. Muth: Und da passte der so ein bisschen rebellische Jazz auch gut hinein. Doldinger: Ja, absolut. 1952 lernte ich dann auch einige spätere Kollegen kennen. Wir waren alle 16, 17 Jahre alt und damals gab es für uns ja so gut wie keine Schallplatten mit Jazzmusik. Aber es gab damals in Düsseldorf einen sogenannten "Hot Club": Dort traf man sich alle zwei Wochen, um gemeinsam Platten zu hören. Dort versammelten sich also 40, 50 Leute … Muth: … lauter 16-, 17-jährige Schüler. Sie kamen zusammen, um gemeinsam Musik zu hören. Doldinger: Ja, und es wurden von den Älteren, die sich schon ein wenig auskannten in der Jazzgeschichte, auch Vorträge gehalten: über den New Orleans Jazz, über Bix Beiderbecke, über Louis Armstrong usw. Das war natürlich etwas ganz Aufregendes und auf diesem Wege lernte ich eben auch gleichgesinnte junge Menschen kennen. Wir haben uns dann eines Tages gefragt: "Warum machen wir nicht selbst Musik?" Also haben wir eine Band gegründet. So ergab sich dann die Gründung der Düsseldorfer Band "The Feetwarmers". Muth: Die berühmten "Feetwarmers"! Doldinger: Ja, das war im Jahr 1953. Muth: Wie viele Instrumente haben Sie denn zur damaligen Zeit gespielt? Denn so eine Band kann man ja nicht einfach so aus dem Boden stampfen: Da muss man doch schon etwas können. Doldinger: Genau. Ich habe zunächst einmal Klavier gespielt, hatte aber damals schon eine große Liebe für Sidney Bechet, diesem berühmten Sopransaxofonisten. Mein Traum war daher, ebenfalls Sopransaxofon zu spielen. Also habe ich dafür gearbeitet, denn so etwas hat man damals natürlich nicht geschenkt bekommen. Ich habe also in den Schulferien in einem Wählersaal – so etwas gab es damals noch – im Fernmeldebauamt das nötige Geld dafür erarbeitet. Ich habe dort Kabel gelötet usw., um mir mein erstes Sopransaxofon leisten zu können. Das Instrument habe ich dann einem ehemaligen Musik-Clown abgekauft, der in einem Zirkus gearbeitet hat. Er konnte damit nichts mehr anfangen und hat es mir daher verkauft. Danach habe ich mich dann sehr wohl im Konservatorium beraten lassen und man sagte mir dort, ich solle doch auch Klarinette studieren, weil das zusammenhängt. Muth: Aber wir sind ja noch in der Schulzeit: Das haben Sie alles neben der Schule gestemmt? Doldinger: Ja, klar. Muth: Das heißt, Sie haben in der Nacht Musik gemacht … Doldinger: Nachts spielen, das kam erst später, das kam erst ab 1953/54, als ich dann schon mal ab und zu von zu Hause ausgebüxt bin. Denn es gab damals in Düsseldorf eine sehr lebendige Musikszene: Es gab eine ganze Reihe von Nachtlokalen, in denen jeden Tag bzw. jede Nacht live Jazz, also Dixieland, gespielt wurde. Es gab das "New Orleans", es gab ein ungarisches Speiserestaurant mit dem Namen "Zum Csikos" usw.: Es spielten dort eben auch sehr viele Düsseldorfer Künstler. Ich werde nie vergessen, dass dort auch mal jemand wie Günter Grass auf dem Waschbrett gespielt hat.