Musterhäuser Einer Anderen Immobilienwirtschaft
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Musterhäuser einer anderen Immobilienwirtschaft Florian Heilmeyer ›Wildromantisch‹ nennt die Thüringer Tourismusagentur eines der ältesten Naturschutzgebiete in Deutschland, das Schwarzatal. Doch seit langem stagniert die Wirt- schaft und die Bevölkerung wandert ab, vor allem die Jungen. Um das Tal zu retten, regen sich nun Kräfte inner- und außerorts. Unter anderem arbeiten junge Gruppen gemeinsam mit der Stiftung trias und der IBA Thüringen an einer kreativen Immobilienentwicklung zur Rettung der sogenannten ›Sommerfrische Häuser‹. Das Tal der Schwarza ist ein scharf in die Hügel- Schon davor hatte sich durch den Adel ein ers- landschaft geschnittenes Flusstal im Südosten ter Tourismus im Tal entwickelt. Die Fürsten von Thüringens. Die Schwarzburg, mit Ursprüngen Schwarzburg-Rudolstadt kamen in den warmen im 11. Jahrhundert und in der frühen Neuzeit zu Monaten, um auf Schloss Schwarzburg zu jagen, einer imposanten Schlossanlage gewachsen, zu wandern und zu picknicken — und sie brach- ist eines der kontinuierlichsten Zeugnisse der ten Gäste mit. Im späten 19. Jahrhundert folgten menschlichen Besiedelung dieses Raumes mit immer mehr Bürgerinnen und Bürger aus Indus- weitgehend friedlicher Geschichte. Es steht auf triestädten wie Berlin und Leipzig, auf der Su- einem von der dunklen, klaren Schwarza umflos- che nach einer naturnahen ›Sommerfrische‹. Für senen Felsen. Obwohl die Schwarza zu den gold- sie entstanden kleinere Herbergen und Hotels, reichsten Flüssen Deutschlands zählt, gab es hier oft Neubauten, die mit viel sichtbarem Fach- nie einen Gold- oder vergleichbare andere Räu- werk die traditionellen Typologien der lokalen sche. Der Abbau im harten Gestein erwies sich Häuser aufgrifen und so den gestressten Stadt- als ausgesprochen mühsam. Wirtschaftlich er- menschen bereits durch ihre Architektursprache folgreicher waren Schieferabbau, Wassermühlen, einen erholsamen Landurlaub versprachen. So- Eisenschmieden und Holzwirtschaft. Das Tal der genannte Sommerfrische-Architekturen sind im Schwarza war — sozusagen naturgegeben — im- Kern einfache Holz- und Fachwerkbauten, die mer schon das Zuhause einer langsamen, nach- aber mit wuchtigen und verspielten Dachformen haltigen Wirtschaft. Vom Entstehen und Schwinden der Sommerfrische Dann kam der Tourismus. 1900 wurde eine nur 25 Kilometer lange, aber aufwändig in die Land- schaft gegrabene Eisenbahnstrecke eröfnet, die noch heute von Rottenbach nach Schwarzburg führt, und von dort dem Flusslauf gut 15 Kilome- ter bis nach Katzhütte folgt: die Schwarzatalbahn. ›Sommerfrische Häuser‹ sind idyllische Schmuck- architekturen im Sinne der deutschen Romantik, die sich seufzend nach dem Naturerleben sehnte. 26 IBA THÜRINGEN MAGAZIN!#7 geschmückt sind, mit Türmen, Erkern, Veranden Zu DDR-Zeiten erlebte die Sommerfrische den und Balkonen, die später auch als Wintergärten nächsten Wandel: Der Feriendienst des Freien verglast wurden. Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) sorg- Der wachsende Tourismus versprach zusätz- te für einen straf durchorganisierten, staatlich liche Einkünfte. Dafür entstand eine neue Infra- subventionierten Massentourismus für bis zu struktur: Wanderwege mit Borken- oder Moos- 25.000 Besucherinnen und Besucher im Jahr. häuschen als Rastplätze, oder mit Pavillons und Staatliche Erholungsheime wurden gebaut, be- Tempeln an besonders idyllischen Aussichts- stehende Hotels umgewidmet. Viele private Ver- punkten. Bis vor dem Ersten Weltkrieg zähl- mieter zogen die Vermittlung durch den FDGB te man bereits 18.000 Besucherinnen und Be- vor, da sie so ihre Belegung ohne eigene Wer- sucher im Jahr; und es war kein Zufall, sondern bung ganzjährig sichern konnten. Die Auslas- aufgrund der Prominenz des Tals, dass Friedrich tung war zum Teil so groß, dass die Gäste in der Ebert 1919 in Schwarzburg die Weimarer Verfas- zentralen Essensversorgung in drei Schichten zu sung unterzeichnete. So weckte das Schloss auch Abend essen mussten, vom Personal höflich zur die Aufmerksamkeit der Nationalsozialisten, die Eile beim Essen angehalten. Mit der Grenzöfnung es zum nationalen ›Reichsgästehaus‹ umgestal- 1989 brach dieser zentral organisierte Tourismus ten wollten. Fürstin Luise wurde 1940 mit kleiner fast vollständig zusammen; es hatten sich kaum Abfindung vertrieben und Nazi-Architekt Her- private Strukturen erhalten, die die Organisati- mann Giesler entwarf einen umfangreichen Um- on hätten übernehmen können. Mit dem Touris- bau, der den Abriss weiter Teile der intakten, ba- mus verschwand die wichtigste Säule der lokalen rocken Schlossanlage zur Folge hatte. Vom fast Wirtschaft quasi über Nacht: Viele Einwohnerin- vollständig entkernten Hauptgebäude blieben nen und Einwohner wanderten ab, Gebäude stan- fast nur die historischen Fassaden erhalten. Viel den leer, vor allem die Beherbergungsbetriebe. weiter kam man allerdings nicht, bis die Arbeiten Etliche ›Sommerfrische Häuser‹ wie das hinrei- 1942 kriegsbedingt wieder eingestellt wurden. ßende Hotel ›Chrysopras‹ bei Bad Blankenburg Aus einem der schönsten Barockschlösser Mit- oder das Hotel ›Kieslerstein‹ in Katzhütte, sind teldeutschlands hatten die Nationalsozialisten, noch in den 2010er-Jahren abgerissen worden. denen das deutsche Erbe doch angeblich so am Davon hat sich das Tal bis heute nicht erholt. Ak- Herzen lag, ohne Not ein Trümmerfeld gemacht. tuelle Prognosen rechnen bis ins Jahr 2035 mit Die Spuren dieser Verwüstung sind noch heute einem Rückgang der Bevölkerung im Schwarza- deutlich zu sehen. tal um bis zu 30 Prozent. Und es ist, wie überall, wo es einen vergleichbaren Rückgang gibt, vor allem die ältere Bevölkerung, die bleibt, während die Jungen auf der Suche nach besseren Ausbil- dungs- und Berufschancen weiterziehen. Viele würden vermutlich bleiben oder zurückkommen, böte das Tal ihnen wieder eine Zukunft. —— Fortsetzung auf Seite 30 Es geht also um die Zukunft, um nichts weniger. Dafür müssen neue Ideen entwickelt und, wenn möglich, in der Realität erprobt werden. Tatsächlich regen sich neue Kräfte, inner- und außerhalb des Tals. AUS DEN IBA PROJEKTEN 27 Wiederbelebung der Sommerfrische — neue Zukunft im Tal Bei ›Haus Bräutigam‹ und ›Haus Döschnitz‹ Es geht also um die Zukunft, um nichts weniger. geht es um die Sanierung und Wieder belebung Dafür müssen neue Ideen entwickelt und, wenn möglich, in der Realität erprobt werden. Tatsäch- zweier lange leerstehender ›Sommerfrische lich regen sich neue Kräfte, inner- und außerhalb Häuser‹ als Gäste-, Lern- und Versammlungsorte. des Tals. Es haben sich lokale Initiativen gebildet und einige Gemeinden als kommunale Arbeitsge- meinschaft zusammengeschlossen. 2017 gründe- te sich der Verein ›Zukunftswerkstatt Schwarzatal‹ in Kooperation mit der LEADER-Aktionsgruppe Saalfeld-Rudolstadt, hier sammeln sich Akteu- her, dass ein Übernachten bei einfachstem Stan- rinnen und Akteure aus dem Schwarzatal, um dard möglich war, 2018 kamen die ersten Gäste gemeinsam neue Ideen zu entwickeln. Auch die für ein geringes Entgelt pro Kopf und Nacht — regelmäßigen ›Schwarzburger Gespräche‹ bün- die reinen Selbstkosten und sicher kein Weg, eine deln Impulse. Die Initiatoren sind vielstimmig und weitere Sanierung und den Betrieb von ›Haus umtriebig, sie haben unter anderem auch früh Döschnitz‹ auf wirtschaftlich gesunde Füße zu Kontakt zur IBA Thüringen aufgenommen. Dar- stellen. Dazu mussten erst weitere Hebel in Bewe- aus entstand die Idee zu einem ›Tag der Sommer- gung gesetzt werden. frische‹, der seit 2015 jedes Jahr mit vielen Veran- staltungen im ganzen Tal stattfindet. Sechs Ideen aus dem Schwarzatal stehen mittlerweile als IBA Zwei Häuser, zwei Vereine Projekte fest, womit das Tal zu einem der räum- lichen Schwerpunkte der IBA geworden ist. Im gleichen Jahr kam eine Gruppe von Architek- Um zwei dieser Projekte soll es hier gehen. Es turstudierenden und Lehrenden der Bauhaus- sind kleine Projekte: Nur zwei kleine alte Häuser, Universität Weimar ins Tal. Sie besuchten die kaum der Rede wert, Zeichen einer nicht mehr Jugendherberge ›Hans Breuer‹ in Schwarzburg existenten Vergangenheit, könnte man denken, als Fallbeispiel und es waren zwei Mitarbeiter wenn sie nicht so exemplarisch für die Geschichte der Professur ›Entwerfen und Wohnungsbau‹, und Gegenwart der Sommerfrische im Tal stün- die sich besonders begeistert zeigten: Till Hof- den. Sowohl bei ›Haus Bräutigam‹ in Schwarzburg mann und Henning Michelsen. Gemeinsam mit als auch bei ›Haus Döschnitz‹ in Döschnitz geht Jessica Christoph und Christine Dörner, die eben- es um die Sanierung und Wiederbelebung zweier falls an der Bauhaus-Universität beschäftigt lange leerstehender ›Sommerfrische Häuser‹ als sind, fragten sie, halb im Spaß, ob es noch weitere Gäste-, Lern- und Versammlungsorte. Beide wur- Altbauten gäbe. Und so stellten ihnen die IBA und den Ende 2020 in das neu gegründete ›Sonder- der Zukunftswerkstatt e.#V. das ›Haus Bräutigam‹ vermögen StadtLand Thüringen‹ übernommen, vor, welches der Verein kurz zuvor geschenkt be- das die IBA bei der Stiftung trias eingerichtet hat. kommen hatte. Döschnitz liegt mit etwa 250 Einwohnerin- Nun besteht der Verein zwar aus engagier- nen und Einwohnern kaum neun Autominuten ten Idealisten, aber verfallene ›Sommerfrische von Schwarzburg entfernt. Hier steht das ehe- Häuser‹ im Alleingang zu retten und zu betreiben, malige Wohnhaus der Brauereifamilie Böttner, gehört nicht zu ihren Möglichkeiten. Da kam die im Kern ein Fachwerkgebäude aus dem 18. Jahr- Anfrage der vier Architektinnen und Architekten hundert. Seit den 1990er-Jahren stand das Haus aus Weimar gerade recht. Allerdings musste noch