Über Den Dächern Von Durham Generation
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Kultur as Blöde mit der Genialität ist, dass sie wahrscheinlich nie ganz POP Dohne Tragik auskommt. Paddy McAloon, inzwischen 56 Jahre alt, gilt als einer der größten Songwriter seiner Über den Dächern von Durham Generation. Niemand schreibt so voll - endet und leichtfüßig. Und eigentlich ist auch die neue Single seiner Band Prefab Paddy McAloon gilt als einer der größten Songwriter. Der Brite Sprout das reine, rauschhafte Pop-Glück. ist halbblind, halbtaub und sieht aus wie der liebe Gott. „The Best Jewel Thief in the World“ heißt das Lied, mit aufstrebenden Gitarren - Doch er singt immer noch wie der junge Mann, der er einst war. akkorden und Polizeisirenen erzählt es die Geschichte des besten Juwelendiebs der Welt und wie er in der Euphorie des geglückten Raubs über die nächtlichen Dächer schleicht. Seit zwölf Jahren haben Prefab Sprout keine neuen Songs mehr veröffentlicht. Kaum jemand hat ihr Comeback erwartet. Paddy McAloon hört nicht mehr rich - tig. Vor einigen Jahren hatte er einen schweren Hörsturz. Wenn er seine Lieder hört, muss er sich das Störgeräusch weg - denken, das noch immer in seinen Ohren brummt wie eine aggressive Klimaanlage. Den Bass kriegt er nur noch auf der lin - ken Seite mit. Und laut darf er das, was er da produziert hat, auch nicht hören, weil er den Rest seines Gehörs verlieren könnte. Er kann nicht mehr reisen, nicht mehr live auftreten. Songs schreiben, das geht noch. Manchmal nimmt er sie auch auf, aber da wird es schon kompliziert. Ein warmer Spätsommertag in der Stu - dentenstadt Durham unweit der Grenze zu Schottland. McAloon ist in der Nähe aufgewachsen, sein Vater hat hier eine Tankstelle geführt, er selbst hat die Ge - gend nie wirklich verlassen. Er trägt einen dunkelblauen Samt - anzug, das Hemd hat er fast bis zum Bauchnabel aufgeknöpft, was man aber nicht sieht, denn darüber liegt ein langer weißer Bart. Er sieht ein bisschen so aus, wie sich kleine Kinder den lieben Gott vorstellen. Dafür, dass McAloon fast taub ist, scheint es ihm erstaunlich gutzugehen. Die Haut seiner Hände, die er zuletzt we - gen eines Ekzems noch mit feinen weißen Handschuhen hatte schützen müssen, sieht glatt und gepflegt aus. Er hat blen - dende Laune. „Crimson/Red“ heißt das neue Album, zehn Lieder, die sich mit Musik beschäf - tigen und den Freuden und Mühen des Heranwachsens. Ein Song würdigt Mc - Aloons Vorbild Bob Dylan („Myste - rious“), ein anderer handelt von Frank Sinatra („The List of Impossible Things“), C I in „Adolescence“ erzählt er in vier S U M O Minuten die Geschichte von Romeo und T K C Julia, in „Devil Came a Calling“ über - E B / setzt er den „Faust“-Stoff in die Gegen - G R E B wart, wo der Teufel nun mit den Verspre - R E T S chungen einer Pop-Karriere und ein paar E W N Blowjobs lockt. I V E K Die Stücke sind makellos, schwelge - Prefab-Sprout-Sänger McAloon: Den Stimmen im Kopf folgen risch, sie klingen fast wie früher, als Prefab 128 # $" 44/2013 Sprout noch mit großem Budget großen hind the Veil“, einer Oper über Michael Pop-Sound produzierte. Diese Etats gibt Jackson, die in einem Fahrstuhl spielt, in es nicht mehr. Und sie würden Mc Aloon dem der Star zusammen mit Princess auch gar nichts nützen – ein Studiotag Diana und einem Liftboy steckenbleibt. würde ihn ohnehin das Gehör kosten. „Digital Diva“, einer Platte über eine vir - Hinzu kommt, dass Paddy McAloon tuelle Sängerin, und von Dutzenden an - nicht nur schlecht hört, sondern auch deren Projekten. Alles Platten, die es nur schlecht sieht. Vor seinem Hörsturz be - als Gerücht gibt. gann sich die Netzhaut auf beiden Augen Auf einem Foto seines Studios, das vor abzulösen, er war eine Zeitlang sogar ein paar Jahren in einem britischen Mu - blind. Mehrere Operationen retteten sikmagazin abgedruckt wurde, sieht man McAloon zwar das Augenlicht, aber zum den Computer, an dem McAloon arbeitet. Interview kommt er mit einer lila getön - Daneben stapeln sich unüberschaubare ten Schutzbrille, die er über seiner nor - CD-Spindeln, Kisten mit Zetteln, Mappen malen Brille trägt. mit notierten Akkordfolgen. „Crimson/Red“ ist bei ihm zu Hause „Um ehrlich zu sein“, sagt McAloon, entstanden, an einem alten Computer, „ich verliere langsam die Übersicht. Ich mit einem Programm, das ohne aufwen - habe neulich irgendwo gelesen, dass dige Grafik auskommt, damit die Augen es ein Projekt von mir mit dem Titel nicht strapaziert werden. Seine Ohren ,Doomed Poets‘ geben soll. Stimmt, dach - überlistete er, indem er den Bass zu hoch te ich, da war doch was. Frühjahr 1999? einspielte und im Nachhinein vom Com - Nach den Songs über New Orleans? Ich puter herunterrechnen ließ. Die digitale konnte es nicht mehr finden. Irgendwo S E G Technik macht’s möglich. A muss es sein.“ M I Muss man sich so ein Genie vorstellen? Y Rund 400 unveröffentlichte Songs gibt T T E Schlecht sehen, schlecht hören, ein G es, alle in diesen Kisten, „gute Songs“, Mensch, der nur noch den Stimmen in Popstar McAloon 1985 sagt McAloon. Ziemlich unvorstellbar, wo seinem Kopf folgt, die ihm sagen: Schreib Band von Schlaumeiern es heute meist reicht, eine alte Hit-Platte ein Lied über die Eleganz von Cary Grant digital aufzupolieren, um sie noch einmal als ehemaliger Juwelendieb in „Über den tatsächlich landeten sie in den achtziger auf den Markt zu werfen. 400 Songs wä - Dächern von Nizza“! Jahren für eine Weile wirklich im Main - ren Material für mehr als 30 Alben. Paddy McAloon ruckelt ein bisschen stream. Neben Michael Jackson und Ma - „Vor einigen Jahren“, sagt McAloon, in seinem Stuhl herum, wenn man ihm donna. „gab es diesen Moment, als ich verstand, solche Fragen stellt. Das Wort Genie hört Natürlich ging das nicht lange gut. dass es mehr Songs sind, als ich jemals er nicht so gern. Er hat keine Antwort Ihr größter Hit, „The King of werde aufnehmen können.“ darauf. Wie auch? Rock’n’Roll“, handelt von dem Schicksal Hat der Gedanke etwas geändert? Als Prefab Sprout Anfang der Achtzi - eines alternden Rocksängers, der immer „Nicht wirklich.“ Lachen. „Vieles von ger auftauchten, waren sie eine dieser für wieder die gleichen Nonsenszeilen seines dem, was mir am meisten gefällt, ist ja die damalige Zeit typischen Bands von einzigen Hits singen muss – Paddy überhaupt noch nicht veröffentlicht.“ Schlaumeiern. Punk hatte die alten Ge - McAloon erging es einen Sommer lang Sie könnten die Songs anderen Sän - wissheiten zertrümmert, in allen mögli - wie dem Helden seines Lieds. gern geben? chen Nischen wurde experimentiert. Pre - Prefab Sprout verkauften zwar viele Wieder so ein Lacher. fab Sprout wollten aus dem, was sie lieb - hunderttausend Platten, aber als in Japan „Ich habe schon mal an eine Art Bo - ten, Musik machen: Kino, Literatur, wildgewordene Fans das Restaurant ney-M.-Projekt gedacht, mir überlegt, wie Kunst, Musik. stürmten, in dem die Band saß, galt die so eine Band aussehen soll, mit wie vielen Anders als sein Gegenspieler Morrissey, Begeisterung den norwegischen Super - Sängern, ich hatte sogar schon die Songs der Sänger der Band The Smiths, interes - stars von a-ha, die am Nachbartisch sa - geschrieben. Aber ich kann nicht meine sierte sich Paddy McAloon weder für Mar - ßen. „Wir waren nie so richtig gut in un - ganze Energie in etwas stecken, wovon garet Thatcher noch für englische Identi - serer Rolle als Popstars“, sagt McAloon. ich eigentlich nichts verstehe. Ich bin tät. Musik war für ihn kein Weg hinaus Hätte er damals einfach aufgehört und doch kein Pop-Impresario – also sind die in die Welt, weg von zu Hause, hinein in wäre Literaturdozent oder Tankwart ge - Lieder in der Kiste gelandet.“ die Metropole, zu Ruhm und Aufregung. worden, wahrscheinlich würde sich heute Es ist, als wäre Paddy McAloon eine Für ihn war Pop selbst die Welt. kaum noch jemand an Prefab Sprout er - Figur in einer Erzählung von Edgar Allan Oder was er dafür hielt: Als Jugend - innern, eine Fußnote in der Geschichte Poe. Während seine Töchter in der Schule licher schrieb er einen Brief an den Avant - des Achtziger-Jahre-Pop. sind und seine Frau bei der Arbeit ist, garde-Komponisten Karlheinz Stock - Aber McAloon hörte nicht auf. Schon sitzt er Tag für Tag allein im Studio. Und hausen und bekam sogar eine Antwort. in den Achtzigern hatte er angefangen, der Berg von Notenblättern mit Musik, McAloon war ein Eigenbrötler. Und ist Songs auf Vorrat zu schreiben, für die die nur er hören kann, wächst und wächst. es noch immer. schlechten Tage, wenn ihm nichts mehr Die Stimme eines Sängers sei, so sagt „Steve McQueen“ heißt Prefab Sprouts einfallen würde. Er wurde zu dem man, das Fenster zu dessen Seele. schönstes Album, eingespielt 1985, ein Songwriter, der nicht nur die schönsten Paddy McAloon sieht aus wie ein alter Klassiker der Moderne, hochglanzpolier - Lieder schreibt – sondern auch die meis - Mann, seine Ohren sind schwach, seine te Songs mit Zeilen wie „Desire as a ten. Und der sich weigert, sie aufzuneh - Augen sind kaputt, sein Eigensinn hat sylph-figured creature who changes her men. Paddy McAloon wurde zum J. D. schon längst etwas Schrulliges bekom - mind“, was übersetzt so viel heißt wie: Salinger des Pop. Das verkannte Genie, men. Aber seine Stimme ist immer noch „Begehren als ein launischer Luftgeist“. die verlorene Stimme. die eines jungen Mannes, so kräftig und Es war eine Band, die die Subkultur, Und so sitzt er heute da. Als Kompo - erwartungsvoll, so beseelt. den Underground, verachtete, auch und nist von Alben wie „Earth: The Story So Man müsste ihm die ganzen Kisten mit gerade weil dort ihre Wurzeln sind. Und Far“, einer Schöpfungsgeschichte. „Be - den Juwelen klauen. T!$ R"" # $" 44/2013 129.