ANTON GRAFF Zur Ausstellung in der Nationalgalerie in (Mit 1 Abbildung) Anläßlich der 150. Wiederkehr des Todestages von Anton Graff - er starb am 22. Juni 1813 in - zeigt die Nationalgalerie vom 4. 10. - 1. 12. 1963 Gemälde und Zeichnungen dieses bedeutenden Porträtisten. Zweiundsiebzig gemalte Bildnisse, drei Landschaften und dazu noch knapp drei Dutzend Zeichnungen aus dem Besitz staatlicher Museen und öffentlicher Sammlungen in Berlin, Brandenburg, Dresden, Gotha, Halberstadt, Halle, Leipzig, Rudolstadt und Weimar belegen in klug getroffener Auswahl Graffs Schaffen über fast fünfzig Jahre. Die vorgenommene Hängung nutzt die zur Verfügung stehenden acht Säle und Kabinette im Erdgeschoß der National­ galerie (auf der Museumsinsel) geschickt aus, indem Graffs Entwicklungsstufen raum­ weise aufeinander folgen. Zunächst seine maltechnisch bereits höchst vollkommene, im Bildaufbau aber noch konventionelle Dresdener Frühzeit. Ihr interessanter Auftakt ist mit dem Selbstbildnis von 1765 gegeben, das der Anlaß wurde zu Graffs Berufung an die Dresdener Kunst­ akademie. Daneben hängen so ausgezeichnete Porträts wie die des sächsischen Diplo­ maten Peter Friedrich Graf von Hohenthal, des Malerkollegen Christian Wilhelm Ernst Dietrich und des Dichters Christian August Clodius, den bekanntlich der junge Goethe parodiert hat. Im folgenden Raum haben sich die Vertreter des geistigen Deutschlands in reicher Zahl gleichsam zusammengefunden: die Aufklärer - alles Angehörige des dritten Standes - Mendelssohn, Gellert, Lessing, Ramler und Sulzer. Zu ihnen gesellen sich außerdem der Weltreisende Forster, Ekhof als Charakterdarsteller, der Hofhistorio­ graph Böhme, der Thomaskantor Hiller und Reich, der Leipziger Buchhändler, für den Graff von 1769-74 berühmte Zeitgenossen gemalt hat. Einigen dieser sonst in der Universitätsbibliothek zu Leipzig bewahrten schlichten, ganz auf die jeweilige indivi­ duelle Persönlichkeit konzentrierten Porträts begegnet man hier. Werke der 1780er und frühen neunziger Jahre, elegante Damenbildnisse vor allem in lichten, zarten Farben, schließen sich an, denen im großen, galerieartigen Raum er­ lesene Arbeiten aus Graffs Spätzeit gegenüberstehen. Meisterwerke höchster Qualität hängen dort: Graffs stehendes Selbstbildnis in ganzer Figur vom Jahre 1809 (aus dem Leipziger Museum der bildenden Künste) oder jenes vom Klassizismus geprägte, leuch­ tend farbige Porträt der schönen „Tina" Gräfin Brühl, die sich im Seifersdorfer Park gern mit Dichtern und Denkern umgab, oder das der geistvollen . Ihr jetzt in der Nationalgalerie ausgestelltes, 1797 entstandenes Bildnis (Nr. 57), das sich 1863 im Besitz von C. Parthey in Berlin befand (Parthey 55), kam 1913 in die Ber­ liner Nationalgalerie (H. Mackowsky: Führer durch die Bildnis-Sammlung, 1929, S. 157) und ist, nach der Rückführung aus der Sowjetunion, dem Museum für Stadtgeschichte in Dresden übergeben worden, von wo es nun wohl an den rechtmäßigen Standort - die Nationalgalerie - zurückkehrt.

323 Ebenso einprägsam bleiben die großartigen Bildnisse des Herausgebers der .Zeitung für die elegante Welt", Siegfried August Mahlmann, im blauen Radmantel, 1807 ge­ malt, und eines Herrn Ried (von Rieth?) mit übereinandergeschlagenen Armen, im blauen pelzbesetzten Rock. Bei diesem 1808 vollendeten Porträt erscheint wie bei vielen Grafischen Bildnissen seit den ausgehenden 1790er Jahren als Hintergrund eine real gemeinte und so gemalte Landschaft, Schellings Postulat sinnfällig entsprechend: „Die Natur erkennt sich im Menschen, der Mensch in der Natur." Wenn Beate Becker in ihrer Graffs Leben und Wirken skizzierenden Einführung, die dem Ausstellungskatalog vorangestellt ist, meint, ohne auf die geistesgeschichtlichen Phänomene Dresdens um 1800 einzugehen, Graff habe 1805 „zum ersten Male reine Landschaften" gemalt, so bedarf dieses genannte Datum - ob seiner Wichtigkeit für die romantische Landschaftsmalerei - näheren Eingehens. Indem sich Graff mit den neuen, gerade in Dresden geprägten Ideen der Frühroman­ tik auseinandersetzte, wandelte sich die reine Landschaftsaufnahme alsbald zu einer eigenen Grafischen Bildgattung: zu der stimmungsgefüllten Landschaftssymbolik. „Mondbeglänzte Zaubernacht, die den Sinn gefangen hält, wundervolle Märchen­ welt ..." heißt es doch in Ludwig Tiecks Prolog und Schluß seines „Kaiser Oktavianus". Tieck begann dieses Werk 1800. Ein Jahr danach kam er nach Dresden, zur selben Zeit, als Graff seine Landschaften malte. Wir kennen das Jahr so präzise, da Elisa von der Recke im Herbst 1801 sehr direkt bei Graff angefragt hat: „Malen Sie, edler Freund, recht fleißig Landschaften?" Eine von ihnen, beispielsweise die (der Dresdener Gemäldegalerie gehörende, in Berlin leider nicht ausgestellte) mit dem Mond, dessen Widerschein sich in den Was­ sern der Elbe nahe dem Blasewitzer Fährhaus spiegelt, läßt uns vielleicht den entschei­ dendsten Anstoß erkennen, den der 65jährige Graff der nachwachsenden Künstlergene­ ration gegeben hat. Runge war gerade in Dresden eingetroffen und berichtete wenig später in einem Brief vom 2. Dezember 1801: „Ich bin gestern bei dem alten Graff gewesen, er malte soeben eine Landschaft, ich hoffe dort etwas in Bekanntschaft zu kommen." Runge ist dann tatsächlich wie ein Sohn von Graff aufgenommen worden, und in Graffs geräu­ miger Wohnung am Dresdener Altmarkt lernte er auch die Tochter eines der Grafi­ schen Freunde, Pauline Susanne Bassenge, kennen, mit der er sich 1804 in Dresden vermählte. Im Mai 1798 kam außerdem nach Dresden. Graff ist er wohl nicht nur im Hause der Familie Körner begegnet, denn auf dem Fundament, das Graff für die romantische Landschaft gelegt hat, baute Friedrich in der Folgezeit konsequent weiter. Seine ersten Ölbilder entstanden 1807/08. Mit diesem Hinweis auf Graff als einen der Wegbereiter der romantischen Land­ schaftsmalerei in Deutschland soll ein gewiß nur episodenhafter Schaffensteil ange­ deutet werden, der in der Graff-Literatur bisher unbeachtet blieb und darum auch in der Ausstellung nur leise anklingen konnte.

324 Dafür ist der Realist Graff, der unbestechliche Menschenschilderer, der keine Stan- desunterschiede - dank seiner schweizerisch-demokratischen Herkunft - kannte, ver­ ständlicherweise glänzend herausgestellt. In dieser Hinsicht besonders eindrucksvoll sind die Bildnisse des Freundes Bause, der mit seinen zahlreichen Kupferstichen nach Graffs Werken zu dessen Ruhm erheblich beitrug. Ebenso beachtenswert sind jene Kreidezeichnungen zu Porträts des Fürsten Metternich, Tiedges, Kaazens, des Freiherrn von Bülow oder Trebras. Von gleich hoher Qualität ist auch die gezeichnete Selbstdar­ stellung Graffs (Abb. 1), die der Künstler Goethe geschenkt haben soll, was immerhin denkbar wäre, da Goethe bei seinem Berlin-Besuch Graf am 16. Mai 1778 in der Woh­ nung des Schwiegervaters Sulzer aufgesucht hat. Unter den ausgestellten Bildniszeichnungen befinden sich (außer den kaum von der Hand Graffs stammenden Blättern Nr. 76, 80, 87 und 95) verschiedene hinsichtlich der dargestellten Persönlichkeiten noch unidentifizierte Bildnisse. Infolge langjähriger eige­ ner Beschäftigung mit dem Schaffen Graffs (den mehr als zweitausend Werke und über siebenhundertfünfundzwanzig namentlich bekannte Dargestellte nachweisenden vorbe­ reiteten Oeuvre-Katalog wird der Deutsche Verein für Kunstwissenschaft in Berlin, ausgestattet mit 600 Abbildungen, herausgeben) können einige dieser Blätter noch näher bestimmt werden. So ist auf der Zeichnung Nr. 83 nicht Auguste Graff, sondern wahrscheinlich Friederike Prinzessin von Preußen, die nachmalige Herzogin von York dargestellt, auf Blatt Nr. 84 wohl eine Frau von Piatoli, auf Nr. 90 Franziska Herzogin von Kurland und Semgallen, geb. Gräfin Corvin-Krasinska, auf Nr. 104 Samuel Richter und auf der Zeichnung Nr. 100 Dietrich von Miltitz. Ehedem hing das nach dieser Studie entstandene gemalte Bildnis im Schloß Siebeneichen, von wo es ins Ratsarchiv in Meißen übergeführt wurde. Wir kennen Miltitz als Revolutionär und Reformer, der sein Haus nach 1795 zum Mittelpunkt der sächsischen Romantik gemacht hat, in dem sein Vetter Novalis, Körner, Fichte, Carl Adolph von Carlowitz und verkehrten. Zu der von Vera Ruthenberg in Zusammenarbeit mit Beate Becker, Annegrete Janda, Lothar Brauner und Gottfried Riemann vorbereiteten und aufgebauten bedeutsamen Graff-Ausstellung der Nationalgalerie erschien ein solide bearbeiteter, 108 Seiten star­ ker wissenschaftlicher Katalog, in dem 48 Grafische Werke teilweise erstmalig abge­ bildet werden konnten. Nach , der Geburtsstadt Graffs, wo man zum ersten Mal 1901 unseren Künstler mit einer Ausstellung ehrte, veranstaltete 1910 die Berliner Galerie Eduard Schulte die zweite wichtige Graff-Ausstellung, zu der sie einen Katalog mit 182 Nummern herausgab. Damit wurde und wird von Berlin aus Anton Graff, der beste Porträtist des deutschen Sprachraumes im ausgehenden 18. Jahrhundert, gewür­ digt. Seine kurze Selbstbiographie endet mit dem Satz: „Berlin habe ich viel zu ver­ danken.“ Ekhart Berckenhagen

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