Kooperation Oder Konfrontation?
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Halbzeit Kooperation der Großen Koalition oder Konfrontation? Thomas Habicht „Große Koalitionen machen keine große humorvoll. Während Vizekanzler Mün- Politik“, meint der liberale Grandseig- tefering auf Pressekonferenzen „Empö- neur Otto Graf Lambsdorff. Focus-Korres- rung und Zorn“ über die Koalitionsarbeit pondent Henning Krumrey spottet, die öffentlich inszeniert, ja nicht einmal vor Merkel-Regierung sei nicht durch den Schröder-Nostalgie zurückschreckt, ge- kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern nießt Angela Merkel die Kanzlerschaft. den größten gemeinsamen Unsinn ge- Keinem Amtsvorgänger gelang es je, in prägt. Auch Kurt Georg Kiesinger, Kanz- den Meinungsumfragen zum beliebtesten ler der ersten Regierung von Union und Politiker Deutschlands aufzusteigen. Die SPD in den Sechzigerjahren, beurteilte demoskopische Spitzenposition mussten das Koalitionsmodell skeptisch. Kiesin- alle früheren Kanzler Bundespräsidenten ger vermisste die Richtlinienkompetenz oder Außenministern überlassen, weil de- des Chefs und klagte, er sei nur ein wan- ren Ämter von innenpolitischen Konflik- delnder Vermittlungsausschuss. ten weitgehend unberührt sind. Zyniker Manchmal wird sich Bundeskanzlerin meinen, die Amtsinhaber müssten nur die Angela Merkel an Kiesinger erinnert füh- richtigen Anzüge tragen, um brillant zu len. Sie äußert zwar selbstbewusst, am wirken. Merkel aber wird der demosko- Ende sei sie es, die entscheiden müsse. pische Durchbruch nach ganz oben zuteil. Zugleich verweist Merkel aber auf die Die erste Frau am mächtigsten Schreib- vier Machtzentren ihrer Regierung: das tisch der Republik profitiert vom Über- Kanzleramt, die CDU/CSU-Bundestags- raschungseffekt, dass „Kohls Mädchen“ fraktion, die SPD-Fraktion und jene elf eine gute Figur macht und auf der Welt- Ministerpräsidenten der Union, die ihr bühne hoch geachtet wird. Sie spricht ein Amt aus eigener Kraft eroberten und es ordentliches Englisch und vermag sogar, nicht im Gegenwind zur Berliner Politik sich mit dem russischen Präsidenten in wieder verlieren wollen. Merkel sei ge- dessen Muttersprache zu verständigen. fangen in den Machtzentren der Großen Doch kontrastiert die Zufriedenheit in Koalition, fürchtet die Neue Zürcher Zei- der Chefetage des Kanzleramtes mit dem tung. Reizklima beider Koalitionsfraktionen, vom Zustand der beteiligten Parteien Höchste Beliebtheitswerte ganz zu schweigen. Einen „Hühnerhau- Doch wie eine Gefangene wirkt die Pfar- fen“ nannte Hessens Ministerpräsident rerstochter aus dem brandenburgischen Roland Koch die SPD. Deren Fraktions- Templin ganz und gar nicht. Wer ihr in chef Struck schmähte Innenminister kleinerem Kreis begegnet, gewinnt den Schäuble als „Amokläufer“. „Wir wollen Eindruck, dass Merkel Freude an ihrem keine Koalition, wo die SPD mit harten Amt hat. Sie ist lockerer denn je, selbst Themen im Maschinenraum schwitzt, die zu später Stunde hellwach und ungeahnt Union dagegen vom Sonnendeck winkt“, Nr. 454 · September 2007 Seite 21 Thomas Habicht schimpfte SPD-Generalsekretär Huber- Schröder den Konsens. Erst der Merkel- tus Heil – und gestand indirekt strategi- Regierung gelang es, die gegenseitigen sche Fehler seiner Partei bei der Ressort- Blockaden von Bundestag und Bundesrat verteilung am Schluss der Koalitionsver- weitgehend aufzuheben bei Stärkung der handlungen ein. CDU/CSU-Fraktions- Länderkompetenzen. Schon im Gesetzge- chef Volker Kauder wiederum amüsierte bungsverfahren zur Föderalismusreform sich über die SPD-Aufforderung an die machten sich jedoch die internen Flieh- Kanzlerin, ihre Union auf Kurs zu brin- kräfte der Koalition bemerkbar. SPD-Ab- gen. Das sei, als ob kleine Kinder „Mama, geordnete wehrten sich gegen die Verla- hilf“ riefen. gerung der Bildungskompetenz an die Länder. Der Schweriner Ministerpräsi- Guter Anfang dent Ringstorff votierte gegen die bun- Begonnen hatte die Große Koalition aller- desstaatliche Neuordnung, weil er den dings in einer guten Atmosphäre. Ein lite- Finanzwettbewerb zwischen armen und rarisch versierter Unionspolitiker fühlte reichen Ländern fürchtete. Vollends tra- sich an Hermann Hesses Wort vom „Zau- ten die unterschiedlichen Grundüberzeu- ber des Anfangs“ erinnert. Zwar wirkten gungen der Parteien dann beim Anti- fast vier Jahrzehnte der bundespolitischen diskriminierungsgesetz und der Gesund- Gegnerschaft in den Koalitionsfraktionen heitsreform zutage. Zu Oppositionszeiten nach. Aber im Kabinett fanden sich Union hatte die CDU/CSU das rot-grüne Anti- und SPD unter Merkels Regie schnell diskriminierungsgesetz zum Schutz von zusammen. In einem unvorsichtigen Minderheiten als bürokratisches Mons- Moment wurde Gesundheitsministerin trum verworfen. Doch nach dem Macht- Ulla Schmidt mit der Bemerkung ver- wechsel lenkte Merkel gegenüber Justiz- nommen, zum ersten Mal seit Jahren dürfe ministerin Zypries ein. Unionsabgeord- sie am Kabinettstisch ausreden. Verbrau- nete sahen sich als Zustimmungsautomat cherminister Seehofer verglich Merkels missbraucht. Arbeitsstil mit der Präzision eines mobilen Computertomografen. Duzfreundschaf- Wachsende Konflikte ten entstanden quer durch die Parteien An der Gesundheitsreform wäre die Re- wie zwischen den Fraktionschefs Kauder gierung fast zerbrochen. Nur das parla- und Struck. Im Schwung des guten An- mentarische Kraftpotenzial einer Großen fangsklimas bewältigte die Große Koali- Koalition vermag an sich, die Herku- tion Herausforderungen, an denen sich lesaufgabe zu schultern: Mit 270 Milli- kleinere Bündnisse erfolglos abgearbeitet arden Euro pro Jahr setzt die Gesund- hätten: Die Heraufsetzung des Renten- heitsbranche fast so viel Geld wie der alters – zwingende Folge der demogra- gesamte Bundeshaushalt um. 4,2 Milli- fischen Entwicklung – gelang nur, weil onen Arbeitsplätze sind betroffen, sodass keine der großen Volksparteien von der jede Korrektur volkswirtschaftliche Brei- Opposition aus dagegen kämpfte. Auch tenwirkung hat. Obwohl die Deutschen die Föderalismusreform bedurfte der das drittteuerste Gesundheitssystem der Zweidrittelmehrheit. Zwar hatten sich die Welt finanzieren, weist die Versorgungs- Unterhändler von Union und SPD, Stoi- effizienz Mängel auf. Doch statt des ber und Müntefering, auf die größte großen Durchbruchs bewältigte die Mer- Grundgesetzänderung seit Bestehen der kel-Regierung nur wenige, wenn auch Republik schon zu rot-grünen Regie- zum Teil sinnvolle Korrekturen. Zu un- rungszeiten geeinigt, aber kurz vor der terschiedlich waren die Ausgangspo- Bundestagswahl 2005 zerstörte Kanzler sitionen von Union und SPD. „In der Seite 22 Nr. 454 · September 2007 Kooperation oder Konfrontation? Gesundheitspolitik ziehen alle am glei- Koalitionsparteien, je mehr es um die chen Strang, aber jeder in eine andere Ausgangsposition für die nächsten Ur- Richtung“, stöhnte ein Berliner Koali- nengänge geht. tionär. Josef Schlarmann, Vorsitzender der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung, Substanzverlust der SPD formulierte den kühnen Satz: „Frau Mer- Seit der Bundestagswahl 2005 verlor die kel muss ihre SPD-Politik einstellen“, SPD Schröder als Kanzler, Müntefering während der Gesundheitspolitiker Karl und Platzeck als Parteichefs sowie das rot- Lauterbach seine Genossen anstachelte, grüne Wunschprojekt. Der Mitglieder- den Widerstand der Union gegen die rückgang beschleunigte sich nochmals. Einheitsversicherung für Busfahrer und Im Zeitraum 1990 bis 2007 halbierte sich Millionäre zu brechen. Am Ende stand ein die SPD-Mitgliedschaft fast von 920 000 Kompromiss, auf dessen Grundlage beide auf 552 000 Genossen. Nur noch in fünf Seiten den Wahlkampf 2009 bestreiten Bundesländern stellen Sozialdemokraten können. Der beschlossene Gesundheits- den Regierungschef. Das lückenhafte fonds wäre als Finanzbasis sowohl für Talentreservoir in den Ländern schlägt die spätere Einführung der SPD-Bürger- sich im personellen Mittelmaß der Bun- versicherung als auch für das Prämien- destagsfraktion nieder. Fünf SPD-Chefs modell der Union geeignet. arbeiteten nach 1999 am Entwurf des neuen Parteiprogramms, dessen Verab- Krisensitzungen und Kraftproben schiedung noch immer kontrovers ist. Die Merkels Anspruch auf die „Politik der Konkurrenz der Linkspartei unter ihrem kleinen Schritte“ wurden die halbherzige fahnenflüchtigen Ex-Vorsitzenden Lafon- Unternehmenssteuerreform und der wi- taine verfolgen Sozialdemokraten gera- dersprüchliche Kompromiss zum Min- dezu traumatisiert. Statt sich zur eigenen destlohn zwar ebenfalls gerecht, aber die Reformpolitik zu bekennen, leben sie Entscheidungen erforderten Krisensit- Phantomschmerzen nach dem Verlust zungen und hinterließen in den Koali- großer Teile ihrer gewerkschaftlichen Ba- tionsfraktionen frustrierte Parlamenta- sis aus. rier. Obwohl Union und SPD in Fragen „Die SPD steht auf zwei Beinen, einem der inneren Sicherheit an sich mehr über- von Tony Blair und einem von Oskar La- einstimmen als die SPD mit den Grünen fontaine – das macht das Gehen nicht oder die Union mit der FDP, machen So- leichter“, beschrieb Klaus von Dohnanyi zialdemokraten Innenminister Schäuble die Identitätssuche seiner Partei. Franz zum Feindbild. Selbst in der Außenpoli- Müntefering warnte, die SPD dürfe nicht tik, dem an sich unstrittigsten Thema, einer öffentlichen Selbsterfahrungsgrup- kommt es zu Kraftproben. Im Afghanis- pe gleichen. Er selbst ist allerdings Teil tan-Konflikt werfen linke Sozialdemokra- des Problems. Münteferings ursprüngli- ten der Union Amerika-Hörigkeit vor, ches Konzept, als Vizekanzler und Partei- während sich Unionspolitiker über die chef die Klammer zwischen Regierungs- Differenzen zwischen SPD-Spitze