Weichtiere () Literaturhinweise: Nach den Gliederfüßern (Arthropoda, also Krebse, Spinnen, Insekten Danneel, I. & Hinz, W. (1976): Zur Biologie von amnicum O. F. Mül- ler (). – Archiv für Hydrobiologie, 77 (2): 213-225, Stuttgart. und andere) sind die Weichtiere (Mollusca) mit etwa 135.000 Arten Glöer, P. (2015): Süßwassermollusken. Ein Bestimmungsschlüssel für die Mu- der zweitgrößte Tierstamm. Sie werden in acht Klassen eingeteilt, von scheln und Schnecken im Süßwasser der Bundesrepublik Deutschland. – denen die Schnecken (Gastropoda) und die Muscheln (Bivalvia) die 14. Aufl., 135 S., Göttingen (DJN). beiden artenreichsten sind. Auch die Kopffüßer (Cephalopoda, z. B. Killeen, I., Aldridge, D. & Oliver, G. (2004): Freshwater Bivalves of Britain Tintenfische) gehören zu den Mollusken. Weichtiere leben sowohl im and Ireland. – 5 + 114 S., Cambridge (FSC). Korniushin, A. V. (1996): Bivalve molluscs of the superfamily Pisidioidea in the Die Große Erbsenmuschel Wasser als auch auf dem Land. Neben den oft bekannteren Meeresbe- Palearctic Region. Fauna, systematics, phylogeny. – 175 S., Kiev (National wohnern gibt es eine Vielzahl von Land- und Süßwassermollusken. Academy of Science of Ukraine) [in russischer Sprache]. Während das Süßwasser sowohl von Schnecken als auch von Mu- Piechocki, A. (1989): The of Poland (Bivalvia, Eulamellibranchia). – Pisidium amnicum scheln bewohnt wird, haben nur die Schnecken die Entwicklung zum Annales Zoologici, 42 (12): 249-320, Warszawa. Zettler, M. L. & Glöer, P. (2006): Zur Ökologie und Morphologie der Sphae- Landleben geschafft. Man unterscheidet die fast immer getrenntge- riidae der Norddeutschen Tiefebene. – Heldia 6 (Sonderheft 8): 1-61 + 18 schlechtigen Kiemenschnecken von den meistens zweigeschlechtigen Taf., München. (zwittrigen) Lungenschnecken, die sowohl im Wasser wie auch auf dem Land vorkommen. Die meisten Schnecken schützen ihren skelett- losen Weichkörper mit einem fest mit dem Tier verwachsenen Gehäu- se (dem „Schneckenhaus“). Die Nacktschnecken haben ihr Gehäuse in der Entwicklungsgeschichte zurückgebildet. Kuratorium „Weichtier des Jahres“ Die bei uns vorkommenden Muschel- und Schneckenarten sind über- (begründet durch Dr. Karl-Heinz Beckmann †, Ascheberg-Herbern) wiegend hochspezialisierte Tiere, die die verschiedensten ökologi- Kontaktadresse: Deutsche Malakozoologische Gesellschaft (DMG) schen Ansprüche haben. Viele Arten sind stark gefährdet, weil entwe- c/o Dr. V. Wiese, Haus der Natur – Cismar, Bäderstr. 26, der ihre Lebensräume (z. B. Trockenrasen, Sümpfe) von Menschen 23743 Cismar, Tel. & Fax 04366-1288 zerstört oder deren Qualität stark verschlechtert wird (z. B. Überdün- e-mail: [email protected] www.mollusca.de www.mollusken-nrw.de gung, Schadstoffeintrag, Eingriffe in den Wasserhaushalt). Vorsitzender: Reg.-Präs. a. D. Dr. W. Weidinger (Regensburg) Die meisten Weichtiere benötigen ganz spezielle Eigenschaften ihrer Pressesprecher: Prof. Dr. G. Haszprunar (München) Biotope und sind nicht sehr mobil. Sie können also negativen Verän- derungen ihres Lebensraumes kaum ausweichen, viele Weichtierarten Mitglieder des Kuratoriums: sterben aus. Dieser Verlust von Biodiversität hat, wie jede Änderung Deutsche Malakozoologische Gesellschaft im System der Natur, auch einen Einfluss auf alle anderen Teile der [Prof. Dr. T. Wilke, Giessen] lebenden Umwelt: auf Pflanzen, Tiere und Menschen. Friedrich-Held-Gesellschaft e.V., München [G. Falkner, Wörth-Hörlkofen] Die Jahresaktion „Weichtier des Jahres“ Club Conchylia e.V., Öhringen Seit 2003 wurde jährlich ein „Weichtier des Jahres“ gewählt: [Dr. M. Herrmann, Rosdorf] Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum, Frankfurt a. M. 2003 Bauchige Windelschnecke Vertigo moulinsiana (Dupuy 1849) [Dr. R. Janssen, Frankfurt] 2004 Gemeine Kahnschnecke Theodoxus fluviatilis (Linnaeus 1758) Zoologische Staatssammlung München 2005 Tigerschnegel Limax maximus Linnaeus 1758 [Prof. Dr. G. Haszprunar, München] 2006 Gemeine Flussmuschel Unio crassus Philipsson 1788 Senckenberg Naturhistorische Sammlungen Dresden 2007 Maskenschnecke Isognomostoma isognomostomos (Schröter 1784) [K. Schniebs, Dresden] 2008 Mäuseöhrchen Myosotella myosotis (Draparnaud 1801) Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart 2009 Husmanns Brunnenschnecke Bythiospeum husmanni (Boettger 1963) [Dr. I. Richling, Stuttgart] 2010 Schließmundschnecke Alinda biplicata (Montagu 1803) Haus der Natur - Cismar (Malakologisches Museum) 2011 Zierliche Tellerschnecke Anisus vorticulus (Troschel 1834) [Dr. V. Wiese, Grömitz-Cismar] Arbeitskreis Mollusken Ost 2012 Schlanke Bernsteinschnecke Oxyloma elegans (Risso 1826) [Dr. U. Bößneck, Erfurt] 2013 Europäische Auster Ostrea edulis Linnaeus 1758 Weichtier des Jahres 2016 Arbeitskreis Mollusken Rheinland-Pfalz 2014 Knoblauch-Glanzschnecke Oxychilus alliarius (Miller 1822) [K. Groh, Bad Dürkheim] 2015 Mantelschnecke Myxas glutinosa (O. F. Müller 1774) Arbeitskreis Mollusken Nordrhein-Westfalen Der Titel wird von einem Kuratorium vergeben, das es sich zur Auf- [H. Kobialka, Höxter-Corvey] gabe gemacht hat, die Öffentlichkeit über ausgewählte Arten zu in- Arbeitskreis Mollusken Mecklenburg-Vorpommern formieren und auf diesem Wege molluskenkundliche Themen und [Dr. M. L. Zettler, Rostock] Naturschutzprobleme bekannt zu machen. Es soll dazu anregen, auch Herausgeber: Kuratorium „Weichtier des Jahres“ die anderen Weichtiere in unserer Umgebung wahrzunehmen und sich Text: Ulrich Bößneck ihrer vielfältigen und oft unverzichtbaren Funktionen in unserer Um- Fotos: Vollrath Wiese (4) und Karl-Otto Nagel (1) welt bewusst zu werden. Logos: Ursula Rathmayr, Salzburg & Jochen Gerber, Chicago. Die Große Erbsenmuschel Umwelteinflüssen. Conchin Nieren ähneln. Auch ein Herz ist vorhanden, wie bei allen Muscheln - die markanteste Art der heimischen Erbsenmuscheln besteht unter anderem aus fehlt, etwas vereinfacht ausgedrückt, jedoch der Kopf. Eiwei­ßen, die denen im Pisidium amnicum (O. F. Müller 1774) Die kleinsten Vertreter der Erbsenmuscheln werden nur 2 mm lang. Le- Chitin der Insekten ähneln. diglich die Große Erbsenmuschel (Pisidium amnicum) erreicht manch- Erbsenmuscheln sind wenige Millimeter große Vertreter der Familie der Die Tiere selbst sind recht mal eine Länge von mehr als 1 cm, wird bereits mit einer Größe von ca. Kugelmuscheln. Sie verbringen fast ihr ganzes Leben in den oberen Se- ein­fach gebaut. Die zwei 4 mm fortpflanzungsfähig und bis zu drei Jahre alt. Sie lebt in Europa dimentschichten der Gewässer. Durch diese Lebensweise sind sie dem Schalenklappen schützen und Asien, eingeschleppt auch in den Großen Seen in Nordamerika. direkten Blick weitgehend entzogen. Ökologisch spielen sie eine wichtige den Weichkörper, der vom In Europa kommt die Art von Südskandinavien bis in den Mittelmeer- Rolle, vor allem als Nahrung, z. B. für Egel, Plattwürmer, Amphibien Mantelgewebe umhüllt wird. raum vor, meidet jedoch die Gebirgslagen. Dementsprechend ist sie in oder Wasservögel. Als Fischnahrung haben sie besondere Bedeutung, Hierin befinden sich ein Norddeutschland deutlich weiter verbreitet als in den von den Mittel- da sie oftmals hohe Individuendichten erreichen. In der Familie der Ku- Große Erbsenmuschel beim Eingraben in den Bachboden. oder zwei große Kiemen- gebirgen und den Alpen geprägten südlichen Landesteilen. Die Große gelmuscheln gehören in Europa neben den eigentlichen Kugelmuscheln paare sowie ein sehr beweglicher Fuß, mit dem Erbsenmuscheln nicht Erbsenmuschel besiedelt insbesondere Flüsse und Bäche mit feinsan- mit sechs und den Häubchenmuscheln mit zwei Arten allein 25 Vertreter nur im Sediment graben, sondern auch in der Unterwasservegetation klet- digem oder sandig-schlammigem Substrat, oft in Gesellschaft mit bis zur artenreichsten Gruppe, den Erbsenmuscheln. Diese können fast alle tern und selbst an der Unterseite des Oberflächenhäutchens des Wassers zu 10 anderen Kleinmuschelarten. Auch Seen werden bewohnt, we- Gewässertypen besiedeln. Lediglich Bäche und Flüsse mit sehr starker kriechen können. Von oben erweckt dies den Anschein, als ob die Tiere sentlich seltener hingegen wenig bewegte Gewässer wie Altarme bzw. Strömung und entsprechendem Gefälle sind als Lebensraum nicht ge- schwimmen würden. Im vorderen (und größeren) Kiemenpaar werden Gräben oder sogar schwach brackige Habitate wie die Haffe an der eignet, da in ihnen das Sediment ständig bewegt wird. Auch Hochmoor- bei geschlechtsreifen Muscheln Bruttaschen in den sogenannten Marsu- Ostseeküste. In beson- schlenken oder ähnliche Gewässer mit sehr niedrigem pH-Wert werden pien gebildet. Erbsenmuscheln sind Zwitter, die sich auch selbst befruch- ders geeigneten Fließ- gemieden. Andererseits können mehrere Arten selbst ein Trockenfallen ten können. Die Tiere produzieren ein- bis zweimal im Jahr Larven, die gewässern oder Seen, ihres Lebensraumes im noch feuchten Substrat über längere Zeit über- sich aus befruchteten Eiern in den erwähnten Bruttaschen entwickeln. die oft kalkhaltig sind, dauern. Vorkommen von Erbsenmuscheln in völlig isolierten oder noch Die letzten Larvenstadien sehen nicht nur so aus wie Miniaturkopien der kann die Muschel hohe nicht lange bestehenden Kleingewässern werfen die Frage auf, wie diese Muttertiere, sondern verhalten sich auch so, da sie nach dem Verlassen Individuendichten er- Tiere dorthin gelangen. Hierfür kommen nur passive Verbreitungsme- der Bruttaschen frei in den Marsupien herumkriechen können. Nach reichen (über 840 Ex- chanismen in Betracht. Neben fließendem Wasser – beispielsweise im mehreren Monaten Entwicklungszeit werden die Muttertiere verlassen, je emplare/m²). Im Unter- Zusammenhang mit Überschwemmungen – spielt möglicherweise Wind- nach Art mit Größen zwischen knapp 1 mm und 1,5 mm. Diese „Geburt“ schied zu verwandten verfrachtung eine gewisse Rolle. Haupt-Transportmedien dürften jedoch geschieht überwiegend im späten Frühjahr oder im Sommer. Einige In- Arten kommt die Gro- Tiere sein, insbesondere Wasservögel, Amphibien, Krebse und Insekten, dividuen behalten die noch recht empfindlichen Jungmuscheln während ße Erbsenmuschel in Kriechspuren der Großen Erbsenmuschel im Bach (Foto: Nagel). die lebende Kleinmuscheln an Gefieder, Beinen oder der Haut über grö- der Überwinterung innerhalb ihres schützenden Gehäuses und „gebären“ Gewässertiefen von maximal 5–6 m vor. Eine andere Art der Gattung ßere Strecken befördern können. Insbesondere bei Amphibien wurde dies diese erst im darauf folgenden Frühjahr. Durch die gestaffelte Freisetzung Pisidium wurde dagegen schon in mehr als 280 m Tiefe in Alpenseen schon öfters beobachtet: Erbsen- und Kugelmuscheln klemmen sich mit des Nachwuchses können ungünstige Umweltbedingungen viel besser nachgewiesen. ihren Schalenklappen an die Haut der Schnauzen und Flanken oder an ausgeglichen werden. Insgesamt wurden schon bis weit über 50 Jungmu- einzelne Finger- bzw. Zehenglieder von Molchen, Fröschen und Kröten scheln gezählt, die gleichzeitig im Körper eines einzelnen Muttertieres In der deutschen Roten Liste ist Pisidium amnicum als stark gefährdet und werden so in neue Wohngewässer transportiert. Auch Fische können herangewachsen sind. Interessanterweise wird die Geschlechtsreife be- eingestuft. Früher wurde die Art in vielen größeren Flüssen und Strö- Muscheln auf diese Weise verbreiten, zudem gelingt es einzelnen Mu- reits vor oder kurz nach der Geburt erreicht, daher kann bei einigen Arten men beobachtet. In der unteren Elbe scheint sie inzwischen erloschen schelindividuen, den Fischdarm lebend zu passieren. das letzte Jugendstadium bereits „im Mutterleib“ trächtig sein. zu sein, aus dem Rhein- und Weser-System oder aus Donau und Saale liegen, wenn überhaupt, nur wenige Meldungen über rezente Vorkom- Erbsenmuscheln ernähren sich vorrangig von Bakterien und Detritus, die men vor. Etwas günstiger scheint die Bestandssituation in einigen klei- mit Hilfe der Kiemen aus dem Atemwasser gefiltert werden. Die nur bei neren Flusssystemen in Norddeutschland zu sein. In Mitteldeutschland weit geöffneten Schalenklappen voll funktionsfähige Einströmöffnung sind die ehemals reichen Vorkommen im Zusammenhang mit der in entsteht aus Verwachsungen des äußeren Mantels. Eine weitere, röhrenar- der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts besonders hohen Eutrophie- tig verlängerte Öffnung befördert die Stoffwechselendprodukte nach der rung in landwirtschaftlich geprägten Regionen sowie der vorher schon Verdauung im Magen zusammen mit dem verbrauchten Wasser wieder industriell bedingten Verunreinigung vieler Fließgewässer weitgehend nach außen. Außerdem gibt es paarige Nephridien, die funktionell den erloschen. Trotz der danach deutlichen Verbesserung der Wasserquali- tät haben sich die Bestände noch nicht wieder erholen können. So sind beispielsweise in Thüringen nur zwei kleine Bachsysteme mit bis heute überlebenden Populationen der Großen Erbsenmuschel bekannt. Die Außen- und Innenansicht einer Schalenklappe der Großen Erbsenmuschel. Gründe für die regional kritische Bestandssituation sind weitgehend Wie bei allen Süßwassermuscheln besteht das Gehäuse aus zwei Klappen, unklar, zumal das Wiederbesiedlungspotential – ganz im Gegensatz zu die durch ein elastisches Schlossband, das Ligament, zusammengehalten anderen Erbsenmuschelarten – gering ist. Eine Rolle dürfte jedoch die werden. Die Klappen selbst bestehen überwiegend aus Kalk, außerdem weiterhin ungenügende Wasserqualität einiger sowie die Strukturdefi- organischen Bestandteilen wie Proteinen. Auf der Außenseite dient eine zite vieler Fließgewässer spielen. Auch aus diesem Grund wurde die Schalenhaut aus Conchin (auch: Conchiolin) als Schutz vor schädigenden Zum Kriechen und Eingraben können Große Erbsenmuscheln den Fuß weit ausstrecken. Große Erbsenmuschel als Weichtier des Jahres 2016 ausgewählt.