einblicke missbrauch Der Kummer von Belgien

Die Ruinen der Kathedrale im belgischen Ypes an der Westfront während des Ersten Weltkriegs.

24 vatican 8-9|2010 Der Staat der Wallonen und Flamen steckt in einer tiefen Krise. Die katho- lische Kirche aber auch. Sie geriet ins Fadenkreuz der Pädophilie-Fahnder. Und das nicht ohne Grund. Sittengemälde aus einem schwierigen Land

Von Freddy Derwahl

usgerechnet der sarkastische Bel- nicht sicher. Zwar herrscht immer noch gien-Hasser Charles Baudelaire die nur von Glockenspiel unterbrochene Aschrieb die Reisenotiz, er liebe die Beschaulichkeit, immer noch ist das acht- Stille des verträumten : „Wenn zigtausend Einwohner zählende Meche- Mechelen nicht in Belgien läge, und nicht len eine Hochburg der Klöpplerinnen und von Flamen bewohnt wäre, dann würde Bierbrauer mit acht Kirchen und drei- ich gerne dort leben und vor allem ster- hundert denkmalgeschützten Gebäuden, ben.“ Käme der Dichter der „Blumen des doch in ihrem Zentrum, rund um die aus Bösen“ in diesem Sommer in die Stadt, dem dreizehnten Jahrhundert stammende würde er seinen Augen nicht trauen und Sint-Rombouts-Kathedrale, sind noch die hier weder leben und erst recht nicht ster- Nachbeben eines Skandals zu spüren, der ben wollen. Das Leben hat in der Bischofs- in den letzten Monaten nicht nur die bel- stadt seine Tücken, die Grabesruhe ist gische Kirche erschüttert hat. vatican 8-9|2010 25 einblicke missbrauch

Der Hochzeitstanz im Freien von Pieter Brueghel d.J. (1564-1638). Baltimore, Walters Art Gallery.

26 vatican 8-9|2010 Wie bei der Suche nach einem Serien- Adriaenssens, empörte sich über den ekla- mörder tauchten am 24. Juni am Hauptsitz tanten Vertrauensbruch und forderte vom des Erzbistum Brüssel-Mechelen Fahn- christdemokratischen Justizminister Ste- der des Untersuchungsrichters von Brüs- faan de Clerck die Einsetzung eines parla- sel auf und durchsuchten mit nahezu bos- mentarischen Untersuchungsausschusses. hafter Akribie den erzbischöflichen Sitz, Der Minister sagte zu und kündigte an, die die Kathedrale und die Privatwohnung Suchaktion zu annullieren. des ehemaligen belgischen Primas, Kardi- Einige Tage später dann traten Adria- nal Godfried Danneels. Aber nicht genug: enssens und die Mitglieder der nach In der Kathedrale wurden sogar die Sar- ihm benannten Kommission von ihren kophage seiner Vorgänger, der Kardinäle Ämtern zurück. Die unverzichtbare Ver- Jozef-Ernest Van Roey und Léon-Joseph trauensbasis sei zerstört. Sämtliche Com- Suenens auf der Suche nach Beweisma- puter befanden sich unter Verschluss terial angebohrt und mit Kameras über- der Justiz, die Missbrauchsopfer, die sich prüft. Es wurden keine verdächtigen Spu- unter strikter Diskretion an die Kommis- ren gefunden. Das Grab des ersten Primas sion gewandt hatten, fühlten sich verraten. des vergangenen Jahrhunderts, Kardi- Der verantwortliche Richter Jean-Marc nal Désiré Mercier, wagte niemand anzu- Meilleur teilte lediglich mit, Erklärungen rühren. Eine Schändung durch Staatsbe- „gewisser Personen“ hätten seine Ermitt- amte hätte in patriotischen Kreisen hefti- lungsaktion ausgelöst, die Akte befin- ge Proteste ausgelöst, Monsignor Mercier de sich erst im Anfangsstadium, es müsse hatte im Ersten Weltkrieg von der Kan- geprüft werden, ob die Kirche belastendes zel der Kathedrale zum Widerstand gegen Beweismaterial in Fällen sexuellen Miss- die Grausamkeiten der deutschen Einmar- brauchs zurückhalte. schierer aufgerufen. Eine Umfrage ergab, dass eine brei- te Mehrheit der belgischen Bevölke- rung das strenge Vorgehen der Behör- Vertrauensbruch, Rücktritte den zunächst begrüßte. Seit dem Skandal um den Kinderschänder Der Zufall wollte es, dass sich die Bel- herrscht bei Pädophilie-Vergehen noch gische Bischofskonferenz beim Eintref- immer ein Trauma. Umgeben von einem fen der zwanzig Polizeibeamten zu ihrer Clan von Verbrechern und Porno-Kun- monatlichen Arbeitssitzung bei Erzbi- den hatte der lebenslänglich Verurteilte schof André Joseph Léonard in Meche- die kleinen Mädchen Julie und Mélissa in len aufhielt. Ohne Rücksicht auf Rang und seine Gewalt gebracht, monatelang miss- Namen wurden die Bischöfe während der braucht und schließlich verhungern las- neunstündigen Razzia in ihrem Versamm- sen. Der Fall löste weltweit Entsetzen aus. lungsraum festgehalten. Die Handys wur- Belgien, so hieß es, sei das „Land der Kin- den ihnen abgenommen, jede Kommuni- derschänder“. Zuvor waren bereits politi- kation verboten. Pikanterie am Rande: Zu sche Querelen in der Sozialistischen Partei ihrem Kreis gehörte auch der Apostolische der französischsprachigen Wallonie mit Nuntius in Belgien und Luxemburg, Erz- Mord geahndet worden. Minister mussten bischof Giacinto Berloco. Sein Diploma- zurücktreten. Hohe Magistrate erwiesen tenausweis gewährte ihm freies Geleit. sich als korrupt, ein Generalanwalt kam Zeitgleich mit der Razzia in der Kathe- hinter Gitter. Der alte Bischofssitz Lüttich drale und der Privatwohnung des Kardi- hieß fortan „Palermo an der Maas“. nals fand eine Hausdurchsuchung in den Räumen der bereits vor zehn Jahren ein- gesetzten Kommission statt, die sich im Wie im Da Vinci-Code Auftrag der Bischöfe mit dem sexuellen Missbrauch durch Geistliche befasst. In Wohl aus Rücksicht auf die Sensibilitä- den Büros wurden die vertraulichen Dos- ten der Öffentlichkeit fiel die Reaktion der siers von 475 Personen beschlagnahmt, die belgischen Bischöfe auf die Razzia eher sich bei dem Ausschuss als Opfer gemeldet verhalten aus. Kardinal Danneels sagte, hatten. Der Vorsitzende dieses Experten- die Justiz müsse „ihre Arbeit tun“. Sein Gremiums, der Kinderpsychiater Peter Nachfolger Erzbischof Léonard bezeich- vatican 8-9|2010 27 einblicke missbrauch

nete die Polizeiaktion zwar als „verwun- zeiten, pralle Nacktheiten, schäumendes derlich“, verglich sie jedoch schmun- Klosterbier, jedoch auch an Beginen-Mys- zelnd mit einem Stück aus dem „Da Vinci- tik, Heilig-Blut-Prozessionen, ergreifen- Code“. Die leisen Töne vermitteln das Bild de Kreuzabnahmen und die infame List einer eingeschüchterten Kirche, die es vor- des Besetzers Alba. Hier ist das Land, wo zieht, nach der linken auch noch die rech- Rubens, van Dijk und Jordans, aber auch te Wange hinzuhalten. Mehr als der rasan- die Surrealisten Magritte und Delvaux te Absturz der statistischen Daten über zuhause waren. Seit einer „unbeabsichtig- Kirchenbesuch und Sakramentsempfang ten, aber siegreichen Revolution“ gegen fürchtet man den „inneren Feind“. die verhassten niederländischen Pietisten Im April dieses Jahres trat der Bischof (1830) ist es ein Staat steter Gefährdungen von Brügge, , mit einem und abenteuerlicher Kompromisse. Die Schuldbekenntnis an die Öffentlichkeit. Er Kirche hat dabei immer eine herausgefor- gestand, während 25 Jahren den Sohn einer derte Rolle gespielt. Christen und Freige- befreundeten Familie sexuell missbraucht sinnte lieferten sich heftige Schulkämpfe. zu haben, auch in seiner Zeit als Bischof. In der Arbeiterfrage stellte sich der spätere Das Land war entsetzt. Der Demissionär Kardinal Joseph Cardijn auf die Seite der zog sich in die Trappistenabtei Westvle- Armen. Ein Hirtenbrief von Kardinal Van teren zurück und sprach von „Finster- Roey bewahrte das Land vor dem Zugriff nis“. Erzbischof Léonard entschuldigte der faschistischen Rex-Bewegung. Im dra- sich mit Tränen in den Augen im Namen matischen Konflikt um den Rücktritt von der katholischen Kirche für die Taten sei- König Leopold III. standen sich katholi- nes Amtsbruders und verkündete Nullto- sche Flamen und sozialistische Wallonen leranz. Doch wollten ihm die einflussrei- in blutigen Straßenkämpfen gegenüber. chen Beobachter aus Kreisen der Freimau- Während den brutalen Heimzahlungen in rerloge „Grand Orient“ sowie selbstkriti- der Kongo-Krise wurden belgische Missio- sche Christen nicht so ganz glauben. Der nare ermordet, Nonnen missbraucht. Kar- engagiert konservative Léonard hatte sich dinal Suenens, der sich im Konzil für den vor seiner Weihe zum belgischen Primas Aufbruch der Weltkirche engagiert hatte, im Februar dieses Jahres als scharfzüngi- musste 1968 mit ansehen, dass die inter- ger Gegner der Homosexualität erwiesen. national anerkannte Katholische Univer- Nach seiner Wahl fielen seine Urteile mil- sität Löwen im kleinlichen Sprachenstreit der aus; in einer Direktsendung des belgi- zerbrach. Danach trennte sich auch die schen Fernsehens brillierte der Sympathi- einst führende Katholische Partei in zwei sant der Tridentinischen Messe mit unver- Sprachflügel. fänglichen Antworten. Seit den frühen neunziger Jahren spe- Gegen seinen Vorgänger Danneels kuliert die Presse über hunderte Kla- wurde unterdessen der Vorwurf erho- gen wegen sexuellen Missbrauchs durch ben worden, im Besitz von Dokumen- Priester, die ein ehemaliger Pfarrer Kar- ten aus dem Dutroux-Prozess und dubi- dinal Danneels aushändigte. Es soll auch osen Fotos gewesen zu sein. Die Beschul- bereits von Bischof Vangheluwe die Rede digungen stammten aus einer undich- gewesen sein, doch Danneels kann sich ten Quelle in der Justiz und erwiesen sich nicht erinnern. 1997 kam es im bischöfli- als nicht haltbar. Der sichtlich angeschla- chen Palais von Mechelen bereits zu einer gene Kardinal, der während zehn Stun- Hausdurchsuchung. Ein pädophiler Geist- den verhört worden war, erstattete Anzei- licher aus Brüssel, der acht Minderjähri- ge: Vertrauensbruch des Gerichtes, Ruf- ge vergewaltigt hatte, soll von der Hier- schädigung, Verletzungen des Berufs- und archie gedeckt worden sein. Doch wurde Dienstgeheimnisses. Kardinal Danneels als verantwortlicher Vorgesetzter in zweiter Instanz freigespro- chen. Die Kirche reagierte mit der Einset- Blut und Bier zung der unabhängigen Untersuchungs- kommission. Als Vangheluwe, der bereits Das belgische Sittengemälde erinnert an sein 25-jähriges Bischofsjubiläum gefei- die Meisterwerke der Maler aus der „Flä- ert hatte, sein Schuldbekenntnis ablegte, mischen Schule“, an deftige Bauernhoch- war der Skandal nicht mehr aufzuhalten.

28 vatican 8-9|2010 Die Kreuzabnahme von Peter Paul Rubens (1577- 1640) und seiner Werkstatt.

Fotos: dpa Lille, Musee des Beaux-Arts.

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anzeige Löwen einbestellt, die seit Jahren künst- liche Befruchtung („In-Vitro-Fertilisati- on“) und das Forschungsklonen betrei- ben, wobei menschliche Embryonen zer- stört werden. In der Auseinandersetzung zwischen Kirche und Universität schlug sich der Kardinal auf die Seite der „Frei- Er trifft ein ohnehin angeschlagenes Land, heit der Wissenschaft“. Hochschulen seien das nicht nur sprachlich gespalten ist, son- kein „Propagandamittel des Glaubens“, dern heiter am Rande des Chaos lebt. verkündete er und nahm für seine Position sogar den heiligen Thomas von Aquin in Anspruch. Eine deutsche Zeitung schrieb: Das Ende Belgiens? „Das ist eine offene Provokation“. Bereits fünf Jahre zuvor hatte das belgi- Wegen des eskalierenden Sprachenstreits sche Abgeordnetenhaus gegen den Wider- wurde nach dem Rücktritt der Regierung stand der Bischöfe die aktive Sterbehil- im Mai diesen Jahres auch von seriösen fe legalisiert. Der Streit wurde 2008 nach Beobachtern „das Ende Belgiens“ befürch- dem Tod des flämischen Schriftstellers tet. Aus den Neuwahlen ging die Nationa- neu entfacht. Der an Alzhei- listische Flämische Allianz (NVA) als gro- mer Erkrankte hatte sich Leben beenden- ßer Sieger hervor, die sich die Schaffung de Medikamente verabreichen lassen und einer unabhängigen flämischen Repu- seinen letzten Wunsch mit „Kein Gott, blik zum Ziel gesetzt hat. In der Wallo- kein Meister“ unterschrieben. Der mehr- nie lagen die Sozialisten vorne; dann und fache Nobelpreiskandidat war für die Kir- wann erscheint ihr hochgradig betrunke- che ein rotes Tuch. In seinem autobiogra- ner Pensionsminister auf dem Bildschirm fischen Roman „Der Kummer Flanderns“ und lässt sich von seinen 75.000 Anhän- hatte er in deftigen Szenen tiefe Einblicke gern als „Papa“ feiern. Die abgeschlagenen in das Leben katholischer Internate ver- christlichen Parteien spielen nur noch eine mittelt, in denen „besondere Freundschaf- Nebenrolle. Während der Regierungs- ten“ und Doppelmoral herrschten. Kardi- bildung reiste König Albert II. als Ehren- nal Danneels übte in seiner Osterpredigt gast zu den Fünfzig-Jahr-Feiern der ehe- scharfe Kritik an der Medieninszenierung maligen Kolonie Kongo. Amnesty inter- des Todes von Claus. national sprach von einem „menschenver- Belgischer Eifer auf moralisch unsi- achtenden Regime“. Die belgische Bevöl- cherem Gelände wurde auch deutlich, kerung wurde tagelang in den Medi- als sich die große Mehrheit des Parla- en an ihre Mitverantwortung an Ausbeu- ments dazu hinreißen ließ, gegen die Kon- tung und Gräueltaten erinnert. Unterdes- dom-Stellungnahme des Papstes auf sei- sen musste das geschwächte Belgien für nem Flug nach Afrika offiziellen Protest sechs Monate die Ratspräsidentschaft in einzulegen. Welch ein Land! Das hatte der Europäischen Union übernehmen. Es es in Rom schon lange nicht mehr gege- geschah durch einen geschwächten Pre- ben: Ein Parlamentsbeschluss gegen die mierminister, der nur noch die Amtsge- Moraltheologie. schäfte führt. Für die Rolle als Garant und Nach der Razzia in Mechelen sprach Zuflucht nationaler Einheit, wie es in den Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone Weltkriegen der Fall war, kam die Kirche von Methoden „kommunistischer Kir- nicht mehr in Frage. Sie muss sich wehrlos chenverfolgung“. Seine belgischen Kon- den demütigenden Untersuchungen der frater zuckten zusammen. Vatikan-Dip- Gerichtspolizei stellen, deren Ergebnisse lomaten nannten die Lage „sehr ernst“. noch auf sich warten lassen. In einem Telegramm an die belgischen Der in Mechelen im Ruhstand leben- Bischöfe beklagte Papst Benedikt XVI. Victorinox AG de Kardinal Danneels stand in den letzten die „bedauerlichen Bedingungen“, unter CH-6438 Ibach-Schwyz, Switzerland Jahren seiner Amtszeit wiederholt im Mit- denen die Hausdurchsuchungen stattge- T +41 41 81 81 211, F +41 41 81 81 511 telpunkt heftigen Meinungsstreits. Im Juni funden haben, und bekundete ihnen seine [email protected], www.victorinox.com

2007 hatte der Vatikan führende Medi- „ganze Solidarität“. Sie werden sie noch MAKERS OF THE ORIGINAL SWISS ARMY KNIFE ziner der Katholischen Universität Neu- brauchen.

30 vatican 8-9|2010 anzeige Die Kardinäle der Weltkirche waren informiert

Kleine Geschichte einer großen Sauerei: Der pädophile Katechismus für den katholischen Religions- unterricht in Belgien

Am Tag nach der polizeili- chen Durchsuchung der erz- bischöflichen Residenz in Mechelen erschien in der Zei- tung „The Brussels Journal“ der nachfolgende Artikel. Er stammt aus der Feder der bel- gischen Parlamentarierin Ale- xandra Colen und beleuchtet Foto: cns die dunklen Seiten eines nati- Er wäre gerne Papst geworden. Das hat der ehemalige Erzbischof von Mechelen-Brüs- onalen Klerus, in dem man- sel, Kardinal Godfried Danneels, gerne zum Besten gegeben. Und dann hätte er sich che offen den Klein(st)kinder- Johannes XXIV. genannt. Der Kardinal bei seiner Ankunft im Polizeipräsidium in sex propagierten. Brüssel am 6. Juli.

ie Polizei hat heute die Resi- Mitgliedern des Klerus konfisziert, die lichen Untersuchungskomitee der Erzdiö- denz des Erzbischofs von Meche- einem Untersuchungskomitee übergeben zese gingen daraufhin mehrere Anklagen Dlen-Brüssel in Brüssel sowie die worden waren, welches die Kirche einge- ein. Der neue Erzbischof André-Joseph Krypta der erzbischöflichen Kathedra- richtet hatte, um Fälle von Pädophilie zu Léonard hat die Opfer dazu aufgefordert, le in Mechelen durchsucht. Sie fahndete prüfen. ihre Fälle vor Gericht zu bringen. dort nach Beweisen für Vertuschungsver- Seit im April aufgedeckt wurde, dass sich Sein Vorgänger, der liberale Kardinal suche im Zusammenhang mit der laufen- der Bischof von Brügge, Roger Vanghelu- Danneels, der sich in den belgischen und den Untersuchung über pädophile Verge- we, ein enger Freund und Mitarbeiter von ausländischen Medien großer Beliebt- hen in der belgischen Kirche während der Kardinal Danneels, während und sogar heit erfreute, war von 1979 bis 2010 Erz- Jahrzehnte, in denen Kardinal Godfried vor seiner Laufbahn als Bischof pädophiler bischof von Mechelen-Brüssel und Primas Danneels Erzbischof war. Danneels ist seit Vergehen schuldig gemacht hatte, haben von Belgien. Das Verständnis für Pädo- Januar diesen Jahres im Ruhestand. die Opfer Vertrauen gewonnen, dass sie philie, das unter den belgischen Bischöfen Die Polizei hat zudem 450 Ordner mit ernst genommen werden, und sowohl bei dieser Zeit herrschte, war vor allem seit Berichten über pädophile Straftaten von den Gerichten als auch beim außergericht- 1997 kein Geheimnis, als die heftige Kon-

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troverse über das Religionsbuch „Roeach“ während das Gegenteil der Fall ist.“ an seinem elf Jahre alten Neffen. Hun- für Schlagzeilen sorgte. Die Herausgeber Ich erklärte damals Kardinal Danneels, derte von Kindern, die nicht körperlich von „Roeach“ waren Professor Jef Bul- dass ich mich – wenngleich ein Parla- vergewaltigt wurden, sind während der ckens von der Katholischen Universität mentsmitglied der separatistischen Flämi- Katechismusstunden geistlich behelligt Löwen sowie Professor Frans Lefevre vom schen Partei „Vlaams Blok“ – als katho- worden. Priesterseminar in Brügge. Das Lehrbuch lisches Elternteil an ihn wenden würde, Nachdem ich meine Kampagne gegen das enthält eine Zeichnung mit einem nack- „das dem Papst treu bleiben und auch Lehrbuch „Roeach“ aufgenommen hatte, ten Mädchen, das sagt: „Wenn ich meine seine Kinder auf diese Weise erziehen haben sich viele Eltern mit mir in Kon- Muschi streichle, fühle ich mich super“, möchte“. Ich bestand darauf, dass er die takt gesetzt, um ihre Besorgnis zu äußern. „Ich ziehe gern mein Höschen aus, wenn Verwendung dieses Buches im Religions- Geschichten von anderen Gepflogen- ich mit Freunden zusammen bin“, „Ich unterricht verbieten möge: „Daher beste- heiten im katholischen Erziehungssys- möchte im Zimmer sein, wenn Mama und he ich darauf – ja, die Zeiten, kleinlaut zu tem wurden bekannt. Es gab Schulen, in Papa sich lieben“. Die Zeichnung zeigt bitten, sind vorbei –, dass Sie die Verwen- denen den Kindern beigebracht wurde, auch einen kleinen, nackten Jungen und dung dieses ,Religionsbuchs’ in den Klas- Kondome über künstliche Penisse zu stül- ein kleines, nacktes Mädchen, die „Doktor senräumen unserer Kinder verbieten.“ pen, und in denen sie Videos sehen muss- spielen“, und der kleine Junge sagt: „Guck Heute erhält dieser Fall, der zwölf Jahre ten, in denen Masturbations- und Bei- mal, mein Schniedel ist groß“. zurückliegt, eine neue und schreckliche schlafstechniken gezeigt wurden. Die Zeichnung zeigt auch drei Elternpaa- Bedeutung. Vor allem jetzt, da ich weiß, Da Kardinal Danneels sich weigerte, die- re. Das Paar mit der „richtigen“ Einstel- dass Roger Vangheluwe, der pädophile, sen Gepflogenheiten ein Ende zu setzen, lung sagt: „Ja es macht Spaß, diese klei- Kinder sexuell belästigende Bischof von haben sich Hunderte von betroffenen nen Plätzchen zu spüren und zu strei- Brügge, von Seiten der Bischöfe die bei- Eltern am 15. Oktober 1997 gemeinsam cheln“. Dieses „Religionsbuch“ wurde den Institutionen beaufsichtigte – die mit mir vor seinem Haus versammelt. Wir in den katholischen Schulen im Religi- Katholische Universität von Löwen und trugen Plakate mit der Aufschrift „Respekt onsunterricht verwendet, bis ich es eines das Priesterseminar von Brügge –, aus für Eltern und Kinder“ und beteten den Tages unter den Schulbüchern meiner denen die Chefredakteure dieses abarti- Rosenkranz. Kardinal Danneels weigerte damals dreizehnjährigen ältesten Tochter gen „Religionsbuchs“ kamen. sich, eine Delegation der Demonstranten entdeckte. Am 3. September 1997 schrieb Bischof Vangheluwe hatte nicht nur pädo- zu empfangen. „Ich lasse mich nicht unter ich Kardinal Danneels einen Brief, in dem phile Ideen, sondern praktizierte sie auch Druck setzen“, sagte er der libertinären es hieß: „Wenn ich diese Zeichnung und ihre Bot- schaft sehe, drängt sich mir der Eindruck auf, dieses Religionsbuch sei absichtlich so gestaltet, dass Dreizehn- und Vierzehnjäh- rige glauben sollen, Kleinkindern würde die Stimulierung ihrer Geschlechtsteile gefallen. Auf diese Weise produziert man Menschen mit pädophiler Einstellung, die ernsthaft glauben, Kinder dächten wirk- lich, das, was sie ihnen antun, sei ,super’,

Die Zeichnung des nackten Mädchens in dem pädophi- len Katechismus „Roeach“ für den katholischen Religionsunterricht.

Foto: The Brussels Journal

32 vatican 8-9|2010 Zeitschrift „Humo“ am 21. Oktober 1997. Am 18. Februar 1998 standen eine Gruppe anderen Eltern den Unterricht zu Hause, Der Tür des Erzbischofs blieb auch ver- von Eltern und ich selbst wieder bei Kar- damit unsere Kinder in einem katholi- schlossen, als wir am 10. Dezember 1997 dinal Danneels vor der Tür. Wieder blieb schen Umfeld erzogen werden konnten. nochmals demonstrierten. sie verschlossen. Daher begab sich am 18. Ich schickte einen Brief an alle Kardinäle Als wir am 19. November 1997 vor März 1998 eine Gruppe von zweihundert auf der Welt, um sie über die Inhalte des dem Haus des Bischofs von Antwerpen Eltern zum päpstlichen Nuntius, dem Bot- Religionsbuchs „Roeach“ in Kenntnis zu demonstrierten, empfing Bischof Paul schafter des Vatikans in Brüssel. Doch der setzen. „Seien Sie bitte gewiss, dass dieses Van der Berghe eine Delegation von Müt- Nuntius, ein Freund von Danneels, wei- Dikasterium Ihrem Bericht die gebühren- tern, unter denen sich auch eine Stadt- gerte sich ebenfalls uns vorzulassen. Er de Aufmerksamkeit schenken wird“, ant- rätin der christlich-demokratischen Par- hatte jedoch die Polizei verständigt, die an wortete Monsignore Clemens, der persön- tei sowie ich selbst befanden. Bischof Van der nächsten Ecke mehrere Wasserwerfer liche Sekretär von Kardinal Ratzinger bei der Berghe, der für Erziehungsfragen bereit stehen hatte. der Glaubenskongregation in Rom. Kar- zuständig war, hörte die Mütter an, wein- In der Zwischenzeit starteten die Freun- dinal Gagnon aus Rom würdigte „den te und versprach, diese Gepflogenheiten de von Danneels in den Medien eine Kam- gerechten Kampf, den Sie führen“. „Die im Sexualunterricht und in den Religi- pagne gegen mich. „Colen nervt weiterhin von ihnen aufgebrachte Angelegenheit ist onsstunden zu untersuchen. Er kündig- die Bischöfe“ lautete die Schlagzeile in der äußerst wichtig“, schrieb Kardinal Arinze te seine Absicht auch in einer Presseerklä- „Gazet van Antwerpen“. Eines Abends rief aus Rom. rung an. Toon Osaer, der damals der Sprecher von Ich erhielt Unterstützungsschreiben von Der Bischof von Antwerpen scheint von Daneels war, bei mir an, um mir zu erklä- Kardinälen aus allen Teilen der Welt. „Ich seinen Kollegen zurechtgewiesen wor- ren, dass ich als Katholikin den Bischöfen teile Ihre Besorgnis. Es ist wichtig, dass den zu sein, denn nach einem Treffen der „zu gehorchen“ hätte. In „Humo“ unter- Sie die Angelegenheit nicht auf sich beru- Bischofskonferenz am 24. November kün- stellte mir Danneels, ich würde „meine hen lassen“, schrieb Kardinal Meisner aus digte er in einer Presseerklärung gegen- Wahlkampagne führen“. Köln. „Sie haben guten Grund zur Sorge“, über der Nachrichtenagentur „Belga“ an, Am 5. Januar 1998 interviewte die Tageszei- schrieb Kardinal Wamala aus Uganda; dass es trotz seines Versprechens keine tung „Het Volk“ Patrick Vanhaelemeesch, „Ich fühle mich stark genug, um an Kar- Untersuchung geben würde. Heute wis- einen Religionslehrer in der Diözese Brüg- dinal Danneels zu schreiben, in der Hoff- sen wir, dass einer der bei der Bischofs- ge und Mitverfasser von „Roeach“. Er gab nung, dass er mich in dieser Sache auf- konferenz anwesenden Kollegen der Kin- ein paar Einzelheiten zu der Illustration klären wird“, schrieb Kardinal Vidal von derschänder Vangheluwe war, wodurch mit den masturbierenden Kleinkindern den Philippinen. „Wenn ich die Gelegen- auch dieser Vorfall etwas wirklich Absto- in dem Religionsbuch bekannt. Er sagte, heit habe, mit Kardinal Danneels über die ßendes erhält. die Illustration solle die Botschaft ver- Angelegenheit zu reden, die Sie mir vor- mitteln, dass „Kleinkinder sexuelle Lust getragen haben, so werde ich das tun“, erfahren“. Vanhaelemeesch erklärte, dass schrieb Kardinal Williams aus Neuseeland. das Gremium der Bischöfe diese Illustra- „Ich werde versuchen, etwas zu tun, um tion in einer Beurteilung des Religions- Ihnen zu helfen“, schrieb Kardinal Lopez buchs erwähnt hatte. In dem Bericht hieß Rodriguez von Santo Domingo. „Mir ist es: „Die Darstellung der sexual-pädagogi- bekannt, dass Ihre Sorgen Kardinal Laghi, schen Haltungen wird durch die Sprech- dem Präfekten der Kongregation für das blasen in den Augen der Schüler lächerlich Katholische Bildungswesen vorgelegt wor- gemacht.“ Nach Vanhaelemeesch zeigt den sind“, schrieb Kardinal O’Connor von diese Kritik, „dass die Bischöfe keinerlei New York. Einwände hinsichtlich der übermittelten Am 27. Februar 2010 schrieb die Tages- Botschaft vorzubringen hatten [d.h., dass zeitung „“, dass diese Briefe Kleinkinder sexuelle Lust empfinden], die Ansichten Roms von einer schwachen sondern befürchteten, die Schüler würden Führung in der belgischen Kirche ver- dies nicht ernst nehmen“. stärkten. Daher wurde der liberale Dan- Nachdem ich alle Möglichkeiten erschöpft neels durch Bischof Léonard ersetzt. Rom hatte und klar war, dass die belgische hofft, dass er in der Lage sein wird, die Kir- Kirche die Eltern nicht anhören woll- che in Belgien zu erneuern. Ich teile diese te, beschloss ich, alle Verbindungen zum Hoffnung. Dennoch ist es schade, dass es katholischen Erziehungssystem zu kap- so lange gedauert hat. Der Schaden, der pen. Ich nahm meine fünf Kinder aus der angerichtet wurde, ist größer als irgendje- Schule und organisierte gemeinsam mit mand sich hätte vorstellen können.

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